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7. Kapitel. Professorenkinder.

In der Untersekunda des Mädchen-Realgymnasiums wurden die Klassenaufsätze zurückgegeben. Jedes Mädchenherz klopfte banger. Denn man kann noch solchen guten Aufsatz verfaßt haben, immer denkt man, daß man ihn verhauen habe. Eine Ewigkeit dauerte es, bis das eigene Heft an die Reihe kam. Und doch wünschte eine jede diesen Zeitpunkt möglichst hinauszuschieben. Denn die schlechten Arbeiten sprach Professor Martin zuerst durch.

Der allgemein von den Schülerinnen verehrte Lehrer verstand es, das Interesse der jungen Mädel an einem Aufsatz zu wecken. Die Themen, die er stellte, waren meist dem Leben entnommen. Die Untersekundanerinnen sollten eigenes Urteil zeigen und dasselbe begründen. Professor Martin erzog seine Klasse zum selbständigen Denken.

»Was gefällt mir an unserer Schule nicht, und wie würde ich es besser einrichten«, hatte das Aufsatzthema gelautet. Zuerst waren die Mädel befangen gewesen, hatten sich nicht recht getraut, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Es ist immerhin etwas peinlich, seine Schule und die Lehrer öffentlich zu kritisieren, wenn man es auch unter sich um so ungenierter tut. Aber Professor Martin kannte seine Untersekunda. Hatte er doch seine Zwillinge Helga und Inge dabei.

»Immer frei von der Leber weg«, hatte er die ängstlich Zögernden aufgemuntert. »Es liegt mir daran, mal eure Ansicht über eure Schule zu hören. Aber ihr müßt für das, was euch nicht behagt, auch gleich eine Abhilfe vorschlagen.«

Da waren allerdings merkwürdige Dinge zutage gekommen.

Die größten Faulpelze fanden, daß viel zu wenig Ferien im Jahre seien im Vergleich zu der Arbeitszeit. Das wäre eine Ungerechtigkeit. Sie verlangten ja nicht gerade, daß die Sache umgekehrt sein solle, die Ferien Schulzeit, und das ganze Schulsemester Ferien, nein, so anspruchsvoll waren sie gar nicht. Aber man hielt es nur für richtig, wenn die Hälfte des Jahres Ferien und die andere Hälfte Schule gewesen wäre.

Professor Martin versuchte, den jungen Faulpelzen klarzumachen, daß jeder Klasse ein bestimmtes Lehrpensum vorgeschrieben sei, das man sich zu eigen machen müsse, um die Reife für die nächsthöhere Klasse zu erreichen. Wie sollte man das in einem halben Jahre schaffen? Um so weniger als gerade die Aufsätze, die halbjährige Ferien vorschlugen, sowohl inhaltlich wie grammatikalisch durchaus nicht fehlerfrei waren. Ja, sogar orthographische Schnitzer waren vorgekommen. Und dann wollte man die Arbeitszeit noch verkürzen?

Der Lehrer griff nach dem nächsten Heft. Suse Winter drückte die Hand der neben ihr sitzenden Freundin Inge. Sie war eiskalt, Suses Hand, vor Aufregung. »Paß auf, jetzt komme ich dran, ich habe sicher eine schlechte Nummer«, flüsterte sie kaum hörbar.

Aber ein anderer Name wurde aufgerufen – Gott sei's getrommelt und gepfiffen!

»Wir kommen jetzt zu einer Langschläferin«, der Lehrer durchblätterte das Heft. »Elisabeth Müller gefällt es nicht an der Schule, daß sie so früh des Morgens beginnt. Finden Sie denn so schwer aus dem Bette heraus, Elisabeth?«

»Nein, ich stehe immer schon um sechs Uhr auf«, erwiderte Elisabeth errötend.

»Und so lange brauchen Sie zum Anziehen? Oder nimmt das Frühstück bei Ihnen so viel Zeit in Anspruch?« scherzte der Lehrer.

Die Klasse lachte. Elisabeth wurde noch röter. »Ich muß vor der Schule noch meine kleineren Geschwister und unsern Haushalt versorgen«, sagte sie leise. »Meine Mutter ist krank, und ein Mädchen können wir uns nicht halten.«

Professor Martin reichte der verlegenen Schülerin anerkennend die Hand. »Ei, Elisabeth, dann sind Sie ja nichts weniger als eine Langschläferin, sondern fleißiger als wir alle hier. Da wollen wir nur wünschen, daß es Ihrer Mutter bald wieder besser geht. Ihr Aufsatz ist eine überlegte Arbeit, bis auf einige Flüchtigkeitsfehler, an denen wohl Ihre Hausfrauenpflichten schuld sind.« So versuchte der Lehrer nicht nur das Können seiner Schülerinnen zu ergründen, sondern auch in ein persönliches Verhältnis zu ihnen zu kommen.

Mehrere Schülerinnen stimmten dafür, die Zeugnisse abzuschaffen, weil man dadurch nur Aufregung und Ärger habe.

Professor Martin lachte herzlich. »Das sind natürlich die, welche stets die ›besten‹ Zeugnisse mit heimbringen. Ich will Ihnen mal einen Gegenvorschlag machen. Versuchen Sie mal, voll Ihre Pflicht zu tun. Dann ist keine Aufregung vorher nötig, und es gibt keinen Ärger, sondern im Gegenteil nur freudige Genugtuung bei der Zensurenverteilung. Probieren Sie mal mein Mittel.«

Immer noch kam Suses Aufsatz nicht an die Reihe. Gehörte er zu den guten, oder war er etwa so schlecht, daß Professor Martin ihn als letzten noch besonders durchsprach? Auch das war schon vorgekommen. In ihrer Bescheidenheit nahm Suse natürlich das letztere an.

Jetzt bekam Helga Martin ihr Heft zurück. Der Professor sah seine Tochter mit merkwürdigem Blick an. »Ei, Helga, spukt der Sport selbst in den deutschen Aufsatz hinein? Du schreibst, man sollte weniger geistige Lehrfächer in der Schule haben und dafür mehr körperliche Sportstunden einsetzen. Nun ich denke, unsere Schule trägt dem Sport gerade genug Rechnung. Wir haben Turnen, Gymnastik, Schwimm-, Ruder- und Tennisunterricht. Ist euch das noch nicht genug? Dazu kommt noch das Rodeln und der verschiedenartige Wintersport außerhalb der Schule. Du schlägst vor, Helga, die häuslichen Arbeiten abzuschaffen und das ganze Pensum in der Schule zu erledigen, um die Nachmittage für Sportzwecke frei zu haben. Nein, mein Kind, auch der Sport darf nicht übertrieben werden. Er soll Belohnung, Entspannung und Erholung von geistiger Arbeit sein. Häusliche Schularbeit stärkt das Pflichtbewußtsein und lehrt euch vernünftige Zeiteinteilung. Ich selbst bin sehr für Sport, das weißt du, mein Mädel, aber nach erfüllter Pflicht.«

Helga warf den Kopf mit den kurzgeschnittenen, hellblonden Haaren zurück. Sie ärgerte sich, daß der Vater ihr vor der Klasse diese Standpauke gehalten hatte. Mit brennenden Augen saß sie da. Ganz dunkel erschienen ihre veilchenblauen Augen vor Erregung, als sie ihr Heft mit zwei bis in Empfang nahm. Helga, früher eine gute Schülerin, hatte durch ihre Sportbegeisterung in der Schule nachgelassen. Ihr »Sportfimmel«, wie es in der Untersekunda hieß, war allgemein bekannt.

Professor Martin hatte bereits andere Hefte vorgenommen. »Eine Reihe von euch stimmt dafür, die Extemporalien und Klassenaufsätze abzuschaffen, weil man dadurch nur nervös wird und dann weniger leistet als in Ruhe zu Hause. Nein, Kinder, das geht nicht! Nur die Klassenarbeit gibt wirklich ein Bild davon, was ein Schüler weiß oder nicht weiß. Daheim gibt es zu viele Hilfsquellen, zweibeinige und gedruckte, von denen man sich Rat holen kann. Unser heutiges Geschlecht darf nicht nervös sein, auch nicht, wenn Klassenarbeit geschrieben wird. Ihr müßt durch die körperlichen Sportübungen im Freien kräftige Nerven haben, die eine Klassenarbeit nicht aus dem Gleichgewicht bringen können. Siehst du, Helga, jetzt kommt auch dein Sport zu seinem Recht. Ihr sollt euch daran gewöhnen, in jeder Lebenslage gesammelt und kaltblütig zu bleiben, dazu erzieht euch die Klassenarbeit.«

Die Hefte wurden verteilt – mit strahlenden Mienen nahm man sie in Empfang, es waren die Aufsätze, die das Prädikat zwei trugen. Professor Martin gab knappe Nummern. Eine Arbeit bei ihm, die mit einer Zwei zensiert war, war wirklich gut.

Suse Winter und Inge Martin waren noch immer nicht dabei. Die beiden Freundinnen hielten sich aufgeregt bei den Händen. Was würden die nächsten Minuten bringen? Nur wenige Hefte lagen noch auf dem Klassentisch.

»Suse Winter« – erklang es da. Wie von der Tarantel gestochen, schnellte Suse in die Höhe. Sie fühlte ihr Herz bis in den Hals klopfen.

Der Lehrer schlug das Heft auf. »Natürlich, Suse, das Angsthäschen kommt wieder zum Vorschein. Suse Winter gehört zu denen, die das Abiturium abschaffen wollen, weil man vor Aufregung doch nicht weiß, was man sagt, und was man weiß, in dem kritischen Augenblick vergißt. Gerade das sollt ihr nicht, Suse. Dasselbe, was ich vorhin von der Klassenarbeit gesagt habe, gilt auch fürs Abiturium. Kaltblütigkeit und ruhiges Überlegen in jeder Lebenslage. Wenn man was gelernt hat, braucht man keine Angst zu haben. Du schreibst hier weiter, das Reifeexamen wäre doch eigentlich gar nicht nötig, da die Lehrer nach zwölfjähriger Schulzeit ja wissen, ob eine Schülerin die Reife zum Universitätsstudium habe oder nicht. Hm, das läßt sich eher hören, Suse. Auch meiner Ansicht nach ist das Ergebnis der ganzen Schulzeit wichtiger als die paar Examenstage. Nun kommen wir zu deinem zweiten Vorschlag: Den Naturunterricht während der Sommermonate nur im Freien bei gemeinschaftlichen Spaziergängen stattfinden zu lassen. Eine hübsche Idee, die einer Blumenfreundin wie dir alle Ehre macht. Aber kaum ausführbar. Die wenigsten von euch sind im Freien für den Unterricht gesammelt genug. Die meisten würden sich ablenken lassen. Nur wer wirklich Interesse für Pflanzen hat, würde sich freudiger in der freien Natur an der Botanikstunde beteiligen als im Klassenzimmer.«

»Aber in der Berliner Waldschule haben wir immer im Freien Unterricht gehabt«, wagte Suse einzuwerfen.

»Da wart ihr schon daran gewöhnt. Es käme auf einen Versuch an. Ich will es in der nächsten Konferenz zur Sprache bringen. Im übrigen bin ich mit deinem Aufsatz recht zufrieden, Suse – eins bis.« Freudestrahlend starrte Suse auf die in roter Tinte prangende gute Nummer.

»Ich bin mit deinem Aufsatz recht zufrieden, Suse« – das war das Höchste, was Suse erstrebte. Suse Winter gehörte zu den Martinschwärmerinnen der Untersekunda. Das Backfischchen, das sonst darauf brannte, Sie genannt zu werden, war stolz darauf, daß Professor Martin ihrer Bitte nachgegeben hatte und sie trotz der Sekundawürde als Intima seiner Töchter weiter duzte. Sie war glücklich, wenn sie sich die Zufriedenheit des verehrten Lehrers erworben hatte.

Inge erhielt als letzte ihr Heft zurück. Sie war die einzige, die eine Eins hatte. »Es war mir ein wenig peinlich«, sagte der Vater lächelnd, »daß ich meiner Tochter die beste Nummer geben mußte. Aber ich darf doch nicht ungerecht sein, auch meinem Kinde gegenüber nicht. Inge hat die Eins verdient. Klarer Stil, gute Sprache. Inge hat die Schule von einer etwas höheren Warte, vom sozialen Standpunkt aus, betrachtet. Sie bringt zum Ausdruck, daß mehr Gemeinschaftssinn zwischen den Lehrern und Schülern herrschen sollte. Sie sollen sich bewußt sein, daß es gilt, gemeinsam dasselbe Ziel zu erreichen. Die Schüler sollten in dem Lehrer, der sie fördern will, nicht den feindlich Gesinnten, der jede Missetat ahndet, sehen, sondern den Freund, der ihnen Führer und Helfer auf dem manchmal schwierigen Wege sein will. Besonders gefallen hat mir, daß du schreibst, auch die Schüler untereinander müßten nicht danach trachten, sich zu überflügeln, sondern sich gegenseitig zu fördern.«

»Alles nur Theorie, in der Praxis sieht es anders aus«, rief eine halblaute Stimme dazwischen. Es war Helga, die nur zu gern die Aufgaben von der Schwester abschrieb, was diese als ehrliches Mädchen ungern zuließ.

Der Vater überhörte den Zwischenruf. »Nehmt ›Hermann und Dorothea‹ vor.« Alsbald waren alle Mädchenköpfe, helle und dunkle, eifrig über den Goethe geneigt. Die Wogen der Erregung, die der Klassenaussatz aufgewirbelt hatte, ebbten ab bei der geruhsamen Lektüre.

Aber später, in der Pause, gab es noch ein Nachspiel. Helga und Inge zankten sich. Das heißt eigentlich war nur Helga der Zankteufel. Sie war neidisch auf ihren Zwilling, daß Inge eine Eins hatte und sie selbst nur zwei bis.

»So 'ne Ungerechtigkeit! Bloß weil ich dem Sport das Wort geredet habe, hat Vater mir eine schlechte Nummer gegeben. Wir können doch nicht alle Bücherwürmer sein wie er und Inge.«

»Dein Vater ist der gerechteste Mann, den es gibt, Helga«, unterbrach Suse die Empörte mit heißen Wangen. »Du bist ungerecht, wenn du so etwas sagst.« Die sanfte Suse brannte lichterloh, daß man ihrem Abgott etwas anhaben wollte. Noch dazu die eigene Tochter.

»Wir sind durchaus keine Bücherwürmer, Vater und ich«, wehrte sich auch Inge. »Aber erst kommt die Pflicht und dann der Sport.«

»Hör auf, Tugendlämmchen weiß wie Schnee. Heute nachmittag auf dem Tennisplatz, da werde ich die Erste sein!« rief Helga mit blitzenden Augen. »Da werde ich es euch zeigen, daß körperliche Kraft und Gewandtheit mehr wert ist als eure Bücherweisheit. Aber jetzt pumpe mir mal erst dein französisches Vokabelheft, Inge. Ich muß noch schnell präparieren.«

»Bücherweisheit scheint also doch nicht ganz zu verachten zu sein«, sagte Inge mit seinem Spott, reichte aber der Schwester gutmütig ihren Vokabelauszug.

Inge und Helga waren sich äußerlich sehr ähnlich. Beide hatten lichtblondes Haar. Nur trug Helga, das Sportmädel, das ihrige kurzgeschnitten, während Inge noch immer ihre Zöpfe als Schnecken über den Ohren aufnestelte. Dunkelblaue Augen von der Farbe der Veilchen hatten sie beide, die Zwillinge, und doch wie grundverschieden war ihr Ausdruck. Bei Helga war der Blick lebensprühend, unternehmungslustig, energisch. Inges Augen hatten etwas Ruhiges, Klares und dabei Sinnendes. Sie verrieten Innenleben. Ja, ganz verschieden waren die Martinschen Zwillinge in ihrer Wesensart. Früher, als sie noch Kinder gewesen, kam das weniger zum Ausdruck. Aber bei den heranwachsenden Mädchen traten die Gegensätze immer deutlicher zutage. Oft prallten sie aufeinander.

Suse fühlte sich zu Inge bei weitem mehr hingezogen. Inge war lieb und freundlich, trotz ihrer Kenntnisse bescheiden. Helga dagegen wußte sich stets in den Vordergrund zu stellen. Auch kannte ihr Übermut oft keine Grenzen und artete leicht in Spottsucht aus. Suse fürchtete sich manchmal vor Helgas scharfer Zunge.

Auch Eifersüchteleien gab es öfters bei Helga. Bald war sie auf Inge eifersüchtig, weil Suse mit ihr mehr befreundet war als mit ihr, bald wieder auf die Schwester, weil diese Suse Winter als »Beste« erkoren hatte und nicht sie selbst, ihren Zwilling. Das hinderte aber nicht, daß man nach Schulschluß freundschaftlich zu dreien untergeärmelt durch die sonnenbeschienenen Straßen Jenas heimging.

»Also um vier Uhr heute nachmittag zum Tennis. Kommt die lange Latte auch wieder mit?« fragte Helga naserümpfend.

Suse schoß das Blut ins Gesicht. »Natürlich kommt Paul Liedtke hin. Es hat Mühe genug gekostet, bis wir ihn so weit bekommen haben, daß er unserm Tennisklub beigetreten ist. Vater hat seine ganze Beredsamkeit aufbieten müssen«, berichtete sie eifrig.

»Die Mühe hättet ihr euch sparen können«, meinte Helga trocken. »Hast du schon mal beobachtet, Inge, wie der Bälle gibt? Als ob einer Fliegen fängt. Der wird sein Lebtag kein anständiger Tennisspieler.«

»Dafür ist er ein um so anständigerer Mensch – und das ist mehr wert!« rief Suse mit erregter Stimme. Immer ließ Helga ihren Spott an Paul aus.

»Na, dann nimm du ihn dir auch gefälligst zum Partner. Wir danken für das Vergnügen. Nicht wahr, Inge?«

»Er muß ja erst lernen«, beschwichtigte Inge mit ruhiger Stimme die erregten Gemüter. »Pauls Fähigkeiten liegen eben auf einer andern Seite.« Dankbar drückte Suse der Inge die Hand, daß sie sich des Freundes annahm.

»Er wollte sich ja auch durchaus nicht beteiligen. Erstens der Geldkosten wegen. Er braucht ja jeden Pfennig, der arme Junge. Und dann aus Zeitmangel. Mit der Zeit ist der Paul genau so sparsam wie mit seinem Gelde. Aber Vater hat ihm ins Gewissen geredet, er müsse Sport treiben zum Ausgleich für das viele Arbeiten und Lernen. Mutti hat ihm ihren eigenen Tennisschläger gegeben; sie meinte, sie spiele nicht mehr. Und da Paul Sonnabend nachmittag frei hat, hatte er gar keine Ausrede«, erzählte Suse.

»Es wird ihm sicher gut tun, wenn er seine Muskeln ordentlich ausarbeitet«, pflichtete Inge bei.

»Das soll er doch in den Zeiß-Werken machen und nicht in unserm Tennisklub«, brummte die unverbesserliche Helga.

»Pfui, Helga, du bist wirklich garstig zu Paul. In den Zeiß-Werken bei den feinmechanischen Arbeiten ist auch sehr viel Kopfzerbrechen dabei, sagt Paul. Wenigstens, wenn man nicht nur als Maschine arbeitet, sondern dabei überlegt und denkt. Ich hatte gerade gehofft, daß du dich seiner annehmen würdest. Ich selbst spiele nicht gut. Aber bei dir kann er was lernen.«

»Nee, danke für die Ehre. Ich habe gar kein Talent zum Opferlamm. Inge ist viel mehr dazu geeignet. Für die ›lange Latte‹ spielt ihr beide noch reichlich gut genug.«

»Helga, du sollst den Paul nicht immer so häßlich nennen. Du tust mir weh damit«, bat Suse, Tränen in den Braunaugen.

»Immer noch das Marzipanpüppchen von früher – das Blümchen Rührmichnichtan. Bist ebensolche Wassersuppe wie dein Paul«, zog die spottsüchtige Helga die Freundin auf.

»Suse hat ganz recht«, mischte sich Inge in die Kabbelei der beiden. »Man soll seine Freunde verteidigen und sie nicht von andern schlecht machen lassen. Und vor Paul Liedtke muß man wirklich allen Respekt haben, wie zielbewußt und fleißig der ist.«

»Stubenhocker imponieren mir nun mal nicht!« Helga zuckte die Achsel. »Solchen frischen Jungen wie dein Bruder Herbert, den lasse ich mir eher gefallen.« Bunte Gymnasiastenmützen flogen gerade in die Luft. In Gegenwart seiner Schulkameraden tat auch Herbert höflicher. Man hatte die Ecke erreicht, an der sich Professors Zwillinge mittags meist trafen.

»Ga – ga – ga – gack – die Martinsgänse alle miteinander.« Herbert sprach laut genug, daß die Mädel seine Schmeichelei hören konnten. Mit seiner Höflichkeit war es doch noch nicht allzuweit her. Herbert steckte noch zu sehr in den Flegeljahren. Aber solchen Scherz nahm Helga nicht übel, während Inge und Suse mit Recht empört darüber waren.

»Also um vier zum Tennisturnier!« Damit trennten sich die Zwillingspaare.


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