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13.
Vater und Sohn.


Mehr als alles Andere ärgerte den Präsidenten das, was der Alte über den Sohn gesagt hatte. Immer schärfer trat die Opposition des Letzteren gegen den Präsidenten hervor, dennoch war es noch nicht zu einem entscheidenden Austausch der Ansichten gekommen. Der heutige Abend war dazu bestimmt. Der Präsident hatte nur kurze Zeit bei seiner Braut zugebracht; er hatte sie kühler und zerstreuter gefunden wie jemals, und darüber gekränkt, und dazu in Unwillen versetzt, indem er den Sohn, den er nicht dort erwartete, bei der Dame antraf, kam er mit diesem nach Hause, und es entspann sich folgendes Gespräch zwischen Vater und Sohn.

Der junge Mann, der mit dem Vater die regelmäßig schönen Züge, aber durch einen gänzlich verschiedenen Ausdruck belebt, gemein hatte, war wie [134] immer ehrerbietig der Aufforderung gefolgt, in's Cabinet des Vaters einzutreten; die Thür wurde sorgfältig geschlossen. Der Vater bot dem Sohne zu rauchen an, und Beide ließen sich auf der rothsammetnen Couchette nieder, die in die Nähe des Kamins, in welchem ein verlöschendes Feuer glimmte, geschoben war.

»Wie geht's mit Deinen Arbeiten?«

»Leidlich.«

»Als ich in Deinen Jahren war, fehlte es mir nicht an Erwerb. Es ist sonderbar, daß gerade die absolutistischen Minister des alten Systems mich beschützten und mich auf den Platz brachten, wo ich jetzt stehe. Es ist wahr, ich besaß die Kunst, meine Ansichten und Absichten gut zu verhüllen. Diese Kunst muß aber jeder Jünger der Themis sich aneignen.« –

Der Sohn erwiederte nichts.

»Die Freundschaft dauert so lange sie nützt. Ein praktischer Jurist sollte über seine Thüre schreiben: Alle Systeme sind gut, die dazu dienen uns in die Höhe zu bringen. Darin liegt unsere ganze Weisheit. Das absolute Recht hat noch Niemand gefunden.«

Der Sohn schwieg.

[135] »Doch das nebenher. Besuchst Du die hübsche Caroline noch?«

»Nein. Seitdem ich bemerkt habe, daß meine Besuche ihrem Rufe schadeten und sie gehindert haben würden eine vortheilhafte Heirath zu schließen, die sich ihr gerade jetzt bietet.«

»Ah!« rief der Vater lächelnd – »und Du hast Deine Gründe, zu wünschen, daß sie bald heirathe.«

Der Sohn sah ihn lange und forschend an und sagte dann: »Ich verstehe Sie nicht, lieber Vater.«

Der Präsident lächelte und klopfte die Asche von seiner Cigarre. »Man will mich nicht verstehen, aber ich bin nicht anzuführen,« murmelte er vor sich hin. »Die Mutter ist eine Närrin,« sagte er laut, »sie hat mich selbst gebeten, daß Du Deine Besuche fortsetzen möchtest.«

»Und das Mädchen hat mich gebeten,« rief der Sohn, »sie gegen ihre Mutter zu schützen.«

»Und Du gewährst ihr diesen Schutz gegen Deinen eigenen Vortheil?« –

»Gegen die ganze Welt, wenn es sein muß. Das Mädchen ist ehrlich. Ich achte die weibliche Tugend.«

»Hm. Von etwas Anderm. Ich habe für Dich eine lohnende Arbeit. Du mußt Dich als [136] Vertheidiger bei Gericht hervorthun. Das ist etwas, was lohnt. Die Tribünen sind gut besetzt, die Zeitungen geben Berichte. Die Franzosen haben diese öffentlichen Schauspiele aufgebracht, und es ist nicht zu leugnen, sie fördern unsere Sache gewaltig. Die Menge hört prahlende Phrasen, und weiter will sie nichts. Schon im vorigen Sommer wurde ein Individuum bemerkbar, das sich durch die boshaftesten Pasquille auf die Person des Königs und das königliche Haus auszeichnete. Im Verein mit andern Schriften der Art waren diese Erzeugnisse völlig geeignet, jede noch vorhandene Pietät für das Königshaus zu erschüttern. Ich und meine Freunde hatten an diesen Productionen unsere Freude; allein sie wären verrauscht in dem Strome der Zeit, und bald hätte Niemand mehr an sie gedacht; deshalb veranstaltete ich, daß die Verfasser jetzt gerichtlich belangt wurden. Man macht ihnen den Prozeß, und nachdem sie zum Schein anfänglich verurtheilt werden, werden sie später glänzend frei gesprochen. Auf diese Weise wird der sogenannte Hochverrath ein Kinderspiel und dient dazu, das Volk zu belustigen; zugleich aber auch haben diese jetzt so beliebten Prozesse den Zweck, jede Achtung vor dem alten Gerichtswesen und vor dem, was früher als gesetzlich und als verboten galt, zu [137] erschüttern und die Begriffe zu verwirren. Das alles fördert uns. Wir bringen die alten Gesetze in den Verruf, daß sie barbarische und unnütze Institutionen seien, völlig geeignet, die willkührliche Fürstenmacht zu unterstützen. Ein solcher Prozeß wird jetzt auftreten, und Du sollst den Vertheidiger jenes sogenannten Hochverräters machen.«

»Liegt denn das Factum des Hochverrats offen da?« fragte der Sohn.

»Freilich! Ein jedes Kind kann's fassen; allein um so mehr Ehre, die Sache so zu drehen, daß der Angeklagte unschuldig und wohl noch dazu gar verdienstlich sei. Ein bekannter Sprecher hat bis jetzt das Spiel immer mit großem Gewinn getrieben; allein ich sehe nicht ein, weshalb Du nicht auch einmal an die Reihe kommen sollst.«

»Ich danke Ihnen, mein Vater, für Ihre Fürsorge.«

Der Präsident lächelte befriedigt: »Ich habe damals,« fuhr er fort, »um Dir nur die ganze Wahrheit zu gestehen, damals selbst die Schmähschriften verfaßt und sie unter dem Namen jenes unbedeutenden Menschen, dem ich für gewisse Dienste, die er mir bei den damaligen Volksversammlungen leistete, Dank schuldig war, und der sich damit etwas Gewisses erwarb, herausgegeben.«

[138] »Sie waren damals, so wie Sie es jetzt noch sind – dem Könige durch ihren Eid verpflichtet, und Chef eines Gerichtshofes, das gerade solche Verbrechen zu verfolgen hat.«

»Ja!« sagte der Präsident verwundert. »Allerdings war ich das und bin es noch; allein was thut denn das zur Sache?«

Der Sohn schwieg.

Der Vater fuhr fort. »Es wird Dir manchen Scherz machen, die Verteidigung zu führen. Ich werde dafür sorgen, daß die Tribünen für den Tag recht stark besetzt sind. Was sagst Du dazu?«

»Ich werde,« entgegnete der junge Mann mit einer leisen Miene des Spottes um seinen wohlgeformten Mund, »den armen Schelm von jeder Strafe lossprechen, um diese Strafe dann auf das Haupt des wirklichen Verfassers der Schriften zu lenken.«

»Vortrefflich!« rief der Präsident, indem er sich laut lachend in die Polster zurückwarf. »Der bin ich – Niemand anders als ich!« Der Sohn sah ihn lange und mit einem Blick an, in welchem sich auf eine unheimliche Weise ein verächtlicher Zug mischte. Er stand auf und wollte sich entfernen. Der Vater sagte, plötzlich zum Ernst übergehend: »Was soll das sein? Was ist das? Es ist nicht alles richtig [139] zwischen uns. Du sprichst Dich nicht aus. Wenn wir uns nicht vertragen können, so wollen wir uns trennen. Ich heirathe, und wird es ohnedies schicklich sein, daß Du für Dich wohnst!« Der Sohn machte eine zustimmende Verbeugung und näherte sich wieder der Thür. Der Vater war auf's Höchste gereizt. Er faßte ihn beim Arm und sagte scharf: »Man antworte, wenn's beliebt. Was ist Dir an mir nicht recht? Was entzweit uns?« –

Es wäre zu einer heftigen Scene gekommen, wenn der Sohn jetzt geantwortet hätte; er bezwang sich männlich und es gelang ihm, sich vom Vater loszumachen, ohne ihm Rede zu stehen. Der Präsident blieb mit dem Bewußtsein zurück, daß er an seinem Sohne den allerhartnäckigsten Feind habe.


[140]


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