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In des Mongolen Gewalt

Mittlerweile war der Tag fast vergangen.

Weder die Sänftenträger noch ein Diener Fung-tus hatten sich eingefunden. Da Gerhardt an der Zuverlässigkeit seines Gastfreundes nicht zweifelte, flößte ihm dies Besorgnis ein. Was war dort vorgegangen? Einen Augenblick dachte er daran, im Hotel zu bleiben, dann aber schien ihm dies ein Unrecht gegen den großmütigen Fung-tu zu sein, der sich so offen als Fremdenfreund bekannt hatte.

Er beschloß, zurückzukehren und hoffte, im Notfall auch den Weg allein finden zu können.

Er suchte Jan auf, der gegessen, ausgeschlafen und wieder gegessen hatte und nun im Garten saß und rauchte. Dann begab er sich zu Herrn Tallieu, den er um einen Führer nach der Chinesenstadt zum Hause Fung-tus bat.

Dieser, der den Kopf voll hatte, wies ihm einen chinesischen Knaben zu, dem er die notwendigen Anweisungen gab. Unter dessen Führung schritten Gerhardt und Jan davon. Als sie einige wenig belebte Querstraßen durchkreuzt hatten, in denen vornehme Chinesen wohnten, begegneten ihnen einige chinesische Offiziere. Einer von diesen rief dem Jungen einige Worte zu, unter denen Gerhardt das Wort »Fankwei« zu vernehmen glaubte. Der Junge berührte mit der Stirne die Erde und lief mit großer Schnelligkeit davon. Gerhardt und Jan standen allein und schauten den Offizieren nach.

Gerhardt hatte, mit seinen Gedanken beschäftigt, auf den Weg, den sie gekommen waren, nicht geachtet, und Jan erst recht nicht.

Sie wandten sich und gingen zurück, um das Hotel wieder zu erreichen, gingen aber irre und sahen plötzlich die hohe Mauer der geheiligten Stadt vor sich. Sie gingen diese eine Strecke entlang, bis sie ein Tor vor sich sahen; von hier aus glaubte Gerhardt den Weg zu den Gesandtschaften finden zu können. Sie wandten sich in die Straße, die aus das Tor zuführte, dumpfe Schläge eines Gongs machten sie aufhorchen. Eine von Dienern und Bewaffneten begleitete hochragende Sänfte kam ihnen entgegen. Gerhardt sah, wie die wenigen Leute, die sich aus der Straße bewegten, sich vor der Sänfte niederwarfen und die Wache am Tore sich zu deren Empfang bereitete. Sich gleich den Chinesen niederzuwerfen, verspürte Gerhardt keine Neigung und um keinen Anstoß zu erregen, sagte er zu Jan: »Rasch, komm zurück.«

Doch als sie sich kaum gewendet hatten, waren die, welche der Sänfte vorhergingen, schon bei ihnen und Jan erhielt einen heftigen Schlag mit einem Bambusrohre über den Schädel; ein Wink, daß er die gebotene Ehrfurcht zu wahren habe.

Der Koch war sehr empfindlich gegen solche Berührungen, und ohne Besinnen faßte er den gelben, reichgekleideten Mann, der ihn geschlagen hatte, und warf ihn mit den Worten: »Donnerslag! du Ap du!« so ungestüm zurück, daß er noch zwei seiner Gefährten umriß und alle drei am Boden lagen. Im Augenblick waren die beiden Deutschen umringt. Schwerter blitzten und nur ein herrischer Ruf aus der Sänfte rettete Gerhardt und Jan vor jähem Tode. Auf einen zweiten Befehl des Sänfteinhabers wurden beide in die Mitte der Bewaffneten gestoßen und unter dem Drohen blitzender Schwerter hinter der Sänfte durch das Tor der heiligen Stadt geführt.

Dies kam so rasch, war so betäubend, daß Gerhardt erst jetzt zu einiger Besinnung und so zur Würdigung der gefährlichen Lage kam, in die sie durch das übereilte Zugreifen des Kochs geraten waren.

Die Sänfte mußte einen mächtigen Gebieter tragen, das ließ das Niederwerfen der Leute auf der Straße, das Verhalten der Wache erkennen.

Jan, der jetzt wohl einsah, was er angerichtet hatte, ging sehr niedergeschlagen neben Gerhardt her, rechts und links nach den blanken Schwertern seiner Begleiter schielend, die er bereits in seinem Nacken fühlte.

Soviel Gerhardt auch von der verbotenen Stadt Pekings, der Residenz des Kaisers, gehört hatte, so war er doch erstaunt über den kolossalen Raum, die Fülle von Gebäuden, die teils dem Handel dienten, teils mit Truppen belegt waren. Immer weiter ging der Zug, bis er in einen wundervollen Park einlief, der uralte Bäume, Teiche, Brücken von seltsamer Verzierung zeigte, zwischen denen riesenhafte Tiergestalten, bald Löwen, bald Elefanten in grotesken Nachbildungen angebracht waren. An hochragenden Tempeltürmen zog er vorüber, umfangreiche, doch stets niedrige, aber überall mit reichen Schnitzereien gezierte Gebäude, zu deren Eingängen oftmals hohe Treppen führten, zeigten sich Gerhardts Blick. Überall warfen sich Vornehme und Geringe nieder, wo die Sänfte vorüberkam. Als sie sich einem weit ausgedehnten Gebäude zuwandten, das umschattet von Platanen anmutig dalag, begegnete ihnen ein junger Chinese in der dunklen Tracht des Gelehrten, der sich alsbald in den Staub warf. Einige Worte aus der Sänfte ließen ihn aufstehen und dieser in den Torweg des Palastes folgen. Gerhardt hatte das Gesicht des jungen Mannes nicht voll sehen können, doch lebendig rief ihm, was er sah, auch Kleidung und Haltung, die Begegnung mit dem Gesandtschaftssekretär in Berlin zurück. War es Herr Kau-ti? Jetzt wußte er auch, was ihn bekannt angemutet hatte bei dem Gesicht, das er gestern in einer Sänfte erblickte und das so rasch hinter dem Fächer verschwand.

Doch Gerhardt hatte nicht Zeit weder darüber nachzudenken, noch sich der Persönlichkeit, die bereits mit dem prächtig gekleideten Inhaber der Sänfte durch einen Seiteneingang verschwand, zu vergewissern.

Rauh angefaßt, wurden er und Jan in einen Hof gezerrt, an dem Ställe und Küchen lagen und zahlreiche Diener sie neugierig anstarrten, nach einem niedrigen Gebäude zu, dessen Fenster mit Eisengittern versehen waren. Hier wurden sie von zwei riesenhaften Chinesen in Empfang genommen und durch mehrere Räume bis in ein kleines halbdunkles Gemach geschleppt.

Die Gefangenen wurden untersucht und ihnen alles abgenommen, was sie bei und an sich trugen, Uhr, Taschenmesser, Börse, Ringe. Als die Gefängniswärter den Revolver fanden, stießen sie einen dumpfen Laut des Vergnügens aus.

Beiden wurden dann eiserne Ringe um den Leib gelegt, die mit kurzen Ketten an der Wand befestigt waren.

Als Jan, der sehr niedergeschlagen war und merklich zitterte, hierbei etwas ungefügig war, faßte ihn einer der Männer am Zopf, der zu seinem Erstaunen in seiner Hand blieb. Er nahm ihm dann die Mütze ab, und betrachtete das kurze aber volle Haar, tauschte einige Worte mit den Gefährten und redete Jan dann Chinesisch an.

»Den Düwel ook,« brummte dieser, »ich verstah ju nit, ick bin kein Chineser.«

Sie untersuchten ihn weiter, fanden ein wollenes Hemd unter seinem Chinesenkittel, ein Kleidungsstück, das der Chinese nicht kennt, der vor allem nie Wolle trägt, und entfernten sich dann, alles mitnehmend, was sie den Gefangenen abgenommen hatten, und die Tür von außen verschließend.

Da saßen nun die beiden Leute vom »Wittekind« in einem halbdunklen niedrigen Gemache, das sein Dämmerlicht durch einige kleine Öffnungen, die über Manneshöhe angebracht waren, empfing, auf einer hölzernen Bank mit Eisen an die Wand gefesselt.

Gerhardt war sehr traurig zu Sinne. Die Gefangennahme, der Transport hierher, die seltsame Umgebung, vereint mit der Aufregung des Tages, das alles hatte fast betäubend auf ihn gewirkt, so daß er erst jetzt dazu kam, über seine Lage nachzusinnen. Diese war bedenklich genug.

Er befand sich in der geheiligten Stadt, der kaiserlichen Residenz, in der Gewalt eines der Mächtigen des Landes, der vermutlich durch Jans Handgreiflichkeit eine tödliche Beleidigung empfangen hatte. Er verhehlte sich nicht, daß seine und seines Gefährten Lage äußerst gefährlich sei. Kein Europäer war zugegen, als sie festgenommen und fortgeschleppt wurden, der einer der Gesandtschaften hätte Mitteilung machen können, und selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, war es fraglich, ob bei dem gegenwärtigen Stande der Dinge das Dazwischentreten der Gesandten Wirkung haben werde. Die Lage war trostlos. Dann fiel ihm der junge Chinese ein, Herr Kau-ti, den er in Berlin aus einer unangenehmen Lage befreit hatte. War er's? Wenn er es war, dann war er auch der Mann in der Sänfte gewesen, der sein Gesicht hinter dem Fächer versteckte, als er Gerhardts Blick auf sich gerichtet sah. Er hatte gewiß auch ihn erkannt und wollte die in Berlin angeknüpfte Bekanntschaft in Peking nicht erneuern.

So die Gedanken durch das Hirn wälzend, saß er in trübem Schweigen da, das nur von Zeit zu Zeit durch einen schweren Seufzer Jans unterbrochen wurde.

Dem Koch war sehr übel zu Mute und außerdem hatte er Hunger.

Endlich sagte Jan in wehmütigem Tone: »Wat schall dat nu all gewen, Stürmann?«

Gerhardt, der nicht daran dachte, ihm Vorwürfe über seine rasche Tat zu machen, denn er wußte nicht, ob er nicht den Bambusschlag noch ärger geahndet haben würde als der Koch, erwiderte: »Ja, lieber Jan, wir sitzen fest und ich fürchte, wir können unser Testament machen.«

Jan zitterte, daß seine Kette klirrte.

»Dat meint Sei doch nich in Ernst, Stürmann?«

»Wir sind in der Gewalt eines sehr mächtigen Mannes, der augenscheinlich beleidigt worden ist, und bei dem Fremdenhaß, der hier herrscht, ist alles möglich.«

»Stürmann, Stürmann,« stöhnte Jan, »dat is 'n slimme Sak. Ick kann dat nich lang uthalen hier in die eiserne Ring. Au, Stürmann, dat is 'n slimme Sak.«

Er ließ den Kopf sinken.

Nach einiger Zeit aber erhob er ihn wieder und sagte in verändertem Ton: »Eens segg ick, wenn de Kirls mi wat tau leid tun wollen, mi afmurksen, een or twee brek ick erst de Knoken,« und er streckte seinen herkulischen Arm aus.

»Wir müssen in Geduld abwarten, was geschieht, und wollen den Kopf nicht verlieren.«

»Wenn dat dunkel is, Stürmann, breken wi ut.«

»Willst du uns von den Fesseln befreien?«

»Fesseln? Dat is dumm Tüg, die brek ick mit eene Hand af.«

»Es wäre dir zuzutrauen,« Gerhardt mußte unwillkürlich lächeln, »aber wie willst du hinauskommen?«

»Mit die Mauer ward ick ook noch fartig,« sagte Jan verächtlich.

»Du hast aber die Tore gesehen, durch die man uns führte, die hohen Mauern, die uns einschließen, die Menge der Soldaten und Wächtern draußen.«

Jan kratzte sich den Kopf und äußerte dann: »Dat is all eens, Stürmann, ick bliew hier nich; wir weren all ook iwwer die Mauer kamen.«

»Wir wollen abwarten, was geschieht, verhalten wir uns jetzt nur ruhig. Zeigt ein Befreiungsversuch Aussicht auf Erfolg, bin ich dabei – doch zunächst laß uns geduldig sein.«

Sie saßen geraume Weile schweigend nebeneinander. Gerhardt dachte an seine ferne Mutter, an seinen Bruder, der ihm räumlich so nahe gebracht war, dann riß ihn ein Blick auf seine Umgebung in die beängstigende Gegenwart zurück.

Jan dachte auch über allerlei nach. Er überlegte, wie man eine hohe Mauer übersteigen könne, mit etwas Tauwerk ausgerüstet, schien ihm das nicht so schwierig zu sein; wie viel Mauern zu übersteigen wären, um aus dieser Kaiserstadt hinauszukommen, und dabei ergrimmte er, daß man ihn ohne Mahlzeit ließ.

Da nahten Schritte, die Tür wurde geöffnet und herein traten die Leute, die die Gefangenen gefesselt hatten; hinter ihnen zeigten sich einige Soldaten. Man löste die beiden Gefangenen aus den Ringen und band ihnen die Hände zusammen.

»Ach du leiwe Himmel, Stürmann, jetzt kümmt dat Enn.«

Auch Gerhardts Herz erzitterte.

»Schall ick een packen, Stürmann?«

»Es ist vergeblich, Jan.«

Die wilden Mongolengesichter der Gefängniswärter, die im Halbdunkel noch fürchterlicher aussahen, die bezopften Soldaten draußen, die heller beleuchtet waren, das Schweigen, mit dem die Gefangenen gelöst und wieder gefesselt wurden, das alles sah bedenklich einem Gange zum Henkerblock ähnlich.

In Gerhardts Herzen wachte der Germanentrotz auf, und wäre er gewiß gewesen, daß es zum Tode ging, er hätte im Verein mit dem starken Koch den Untergang im Kampfe gesucht. Aber die Hoffnung verläßt den Menschen selten, und noch hoffte er, worauf wußte er eigentlich selbst nicht.

»Wat wird dann nu kamen, Stürmann?«

»Ich weiß es nicht; aber was auch komme, zeigen wir, daß wir brave Deutsche, daß wir ganze Männer sind.«

»Wenn ick nur een von di Kirls een Puff gewen künnt.«

Die Gefängniswärter winkten den gefesselten Leuten, ihnen zu folgen, vor der Tür nahmen die Soldaten sie in Empfang und führten sie nicht ins Freie, das hatte Gerhardt gefürchtet, nein, in das Innere des weitläufigen Palastes.

Sie schritten über Gänge, die mit weichen kostbaren Teppichen belegt, durch Zimmer, die mit seltenen farbigen Seidenstoffen, mit Gefäßen von edlem Metall und Porzellan ausgeschmückt waren, bis sie endlich in einem einfach ausgestatteten Raume halt machten. Der Führer ihrer Wache verschwand durch einen Vorhang. Nach kurzer Zeit erschien er wieder und bedeutete die beiden Gefangenen einzutreten. Im nächsten Zimmer saßen zwei Leute an einem Tische, die emsig den Tuschpinsel handhabten, um seltsame chinesische Schriftzeichen auf Papier zu übertragen. Diese warfen nur einen flüchtigen Blick auf die Gefangenen und schrieben, oder besser malten ruhig weiter.

Nach kurzer Zeit öffnete sich ein Vorhang und heraus trat Herr Kau-ti in hochmütiger Haltung mit drohender Miene.

Der Offizier grüßte ehrerbietig.

Kau-ti nahm Platz an einem Tische und richtete dann den Blick auf die Gefangenen.

Ja, er war's, es war der Sekretär der Gesandtschaft in Berlin. Gerhardt erkannte ihn jetzt sicher, aber in des jungen Mannes Auge war nichts zu erblicken, was darauf hindeutete, daß auch er Gerhardt wiedererkannte.

» What countrymen are you?« fragte er.

»Wir sind beide Deutsche,« erwiderte Gerhardt in seiner Muttersprache, »und stehen unter dem Schutz der deutschen Gesandtschaft.«

Mit scharfem Tone, der etwas Drohendes hatte, erwiderte Kau-ti jetzt deutsch: »Verraten Sie nicht das geringste Erstaunen, oder daß Sie mich kennen – senken Sie beide den Kopf,« sagte er barsch.

Die Gefangenen taten es, dann fuhr er fort: »Sie sind in einer schlimmen Lage, aber ich will versuchen, Sie zu retten.«

Es war ein Glück, daß beide den Kopf gesenkt hielten, sonst hätte man ihre Züge freudig aufleuchten sehen.

Kau-ti sprach dann Chinesisch mit den Schreibern, die hierauf eifrig ihre Pinsel in Bewegung setzten.

Sich wieder an die Gefangenen wendend, fuhr er in deutscher Sprache fort: »Ich habe Sie nicht vergessen, mein Freund, aber bewahren Sie Ihre Ruhe. Erstaunen Sie nicht, wenn ich Ihnen sage, daß ich von allem unterrichtet bin, was Sie nach Peking geführt hat.«

Es kostete Gerhardt Mühe, einen Ausdruck der Überraschung zu unterdrücken.

»Wer ist der Mann an Ihrer Seite?«

»Der Koch meines Schiffes, Jan Martens,« erwiderte Gerhardt, auf die Situation eingehend, sehr ehrerbietig.

»Sie heißen also?« wandte sich Kau-ti an Jan.

»Ganz wi de Stürmann seggt, Herr, ick bin 'n Hamborger Jong.«

»Sowie Sie durch eine Miene verraten, daß ich Ihr Freund bin, sind Sie verloren, merken Sie sich das.«

Jan erschrak wirklich und stotterte verlegen: »Ick wer nix seggen, helpen Si mi man nur ut dat Gefängnis.«

Wiederum sprach Kau-ti zu den Schreibern, die ohne allen Zweifel ein Protokoll aufnahmen.

»Sie haben sich gegen einen der mächtigsten Prinzen des Reiches vergangen in einer Weise, die nach unsern Gebräuchen schwer geahndet wird. Bewahren Sie Ihre Ruhe und vertrauen Sie darauf, daß ich alles zu Ihrer Rettung tun werde, was irgendwie in meinen Kräften steht, und ich bin nicht ohne einigen Einfluß hier.«

Ein heller metallischer Laut, der aus einem der unweit liegenden Gemächer ertönte, veranlaßte Kau-ti abzubrechen und sich schleunigst zu entfernen.

Mit hoffnungsfreudigem Herzen blieb Gerhardt zurück, doch hütete er sich wohl, das zu zeigen, und Jan flüsterte er zu: »Um Gottes willen, Jan, machen Sie ein recht betrübtes Gesicht oder es geht uns an den Kragen.«

»Ick bin all triwetrostig genug, Stürmann, ick heww 'n bannigen Apptit.«

Und wirklich, Jan sah sehr hilfsbedürftig aus.

Gleich darauf erschien Kau-ti wieder in der Türöffnung und befahl den Gefangenen, ihm zu folgen: »Sie treten vor den mächtigsten Mann Chinas. Zeigen Sie Ehrerbietung!«

Er schritt voran, durch ein überreich mit Schmuckgegenständen ausgestattetes Zimmer, ihm folgten die Gefangenen, diesen der Offizier. Zwei Wachen hielten eine Tür mit seidenem goldgesticktem Vorhang besetzt. Sie schlugen ihn zurück, in gebückter Haltung trat Kau-ti ein, hinter ihm Gerhardt und Jan.

Dieses Gemach, einfacher als das vorige, doch reich mit kostbarer gestickter Seide rings bekleidet, barg den Prinzen Tuan.

Auf einem seidenen Polster in ein bequemes seidenes Hausgewand gehüllt lag der Mongolenfürst nachlässig ausgestreckt. Ein kleiner elfenbeinerner Tisch stand vor ihm, auf diesem Teegefäße und ein russischer silberner Samowar. Ein Zwerg kauerte daneben, bereit, den Gebieter zu bedienen.

Kau-ti berührte den Boden mit der Stirn und erhob sich, in den geistvollen Zügen den Ausdruck tiefster Ehrfurcht und die Augen niedergeschlagen. Gerhardt und Jan hatten nur Augen für das dunkelgefärbte Tatarengesicht. Mit stechenden Blicken und einem Hohnlächeln um die Lippen musterte der Prinz die Gefangenen.

»Das also sind die rothaarigen Missetäter?« sagte er. »Welchem von den fremden Völkern gehören sie an?«

»Es sind Deutsche, erhabener Fürst,« erwiderte Kau-ti.

»Ah, Deutsche, die uns Kiautschou genommen haben.«

Gerhardt hatte die Augen niedergeschlagen, dem Beispiele des Chinesen folgend, und Jan zwinkerte mit den Lidern, der Prinz flößte ihm Schrecken ein. Das schien der Prinz nicht ohne Genugtuung zu bemerken.

»Was bewog die Leute, mich zu beleidigen?«

»Es mag wohl nur ihre Dummheit gewesen sein; sie wußten, wie sie sagten, nicht, daß der Schatten meines erhabenen Herrn auf ihren Weg fiel.«

»Wie lange sind sie in Peking?«

»Erst seit gestern.«

»Seit gestern? Was wollen Sie hier?«

»Der Größere hat einen Bruder im Lande, den wollte er von hier aus besuchen.«

»Wo kamen sie her?«

»Von Tientsin, Allergnädigster.«

»Von Tientsin?« sagte er mürrisch. »Dort gibt es Verräter, man hat dort dem Schurken Kang-ju-wei auf ein Schiff verholfen. Schaff mir die Menschen aus den Augen; ich glaubte es mit andern zu tun gehabt zu haben, sonst hätte ich sie nicht meines Anblicks gewürdigt.«

»Befiehlst du, Allererhabenster, daß sie gleich hingerichtet werden?«

»Was, hast du es so eilig?«

»Ich hasse die Fremden und vor allen die Deutschen.«

Prinz Tuan kniff die Augen zusammen und ein böser Ausdruck erschien in seinem Gesicht.

Dann sagte er langsam: »Es könnte zu den Ohren des Gesandten kommen, daß wir zwei seiner Leute hier getötet haben – es gibt selbst in der Purpurstadt Verräter,« fügte er finster hinzu, »wir haben noch Zeit, bis« – er brach ab, als ob er fürchte zu viel zu sagen, aber der Ausdruck seines Gesichts war sehr drohend. Endlich rief er: »Fort mit ihnen, sie sind nicht wert, daß meine Augen auf ihnen ruhen. Hole später meine Befehle ein.«

»Ihr entfernt euch aus dem Gemache Seiner kaiserlichen Hoheit,« sagte Kau-ti rauh zu den Gefangenen. »Eure Strafe wird furchtbar sein.«

Jan, der gleich Gerhardt stumm und sorgenvoll der ihnen unverständlichen Unterhandlung gelauscht hatte, zitterte von oben bis unten, und selbst Gerhardt wurde bleich bei den mit Nachdruck gesprochenen Worten.

»Was hast du ihnen gesagt?« fragte Tuan, der dies bemerkte.

»Daß ihre Strafe ihrem Verbrechen entsprechend sein wird.«

Der Prinz lächelte; ein unglückverheißendes Lächeln.

Kau-ti warf sich vor ihm zu Boden und ging hinter den hinausschreitenden Gefangenen her. Er übergab sie nicht nur der Wache, sondern ging selbst mit zu ihrem Gefängnis, wo die Schließer der Gefangenen harrten.

»Die Fankweis sollen gut gepflegt werden, bis ihre Stunde kommt, befiehlt Prinz Tuan, den Himmel und Erde segnen mögen; sie sollen Kraft haben zum letzten Gange.«

Die Schließer grinsten.

»Fessele sie nur, soweit es notwendig ist.«

»Sie sind hier im Rachen des Löwen, hoher Herr; ein Entrinnen gibt es nicht.«

Zu Gerhardt sagte Kau-ti dann, immer in dem rauhen Ton, den er mit viel Geschick annahm: »Seien Sie munter in der Nacht und achten Sie auf alles, was um Sie vorgeht; hoffentlich kommt Rettung.«

»Tue, was Seine kaiserliche Hoheit befiehlt,« sagte er noch zu dem ersten der Wächter, dem zweiten dabei ein unmerkliches Zeichen mit der Hand machend, was dieser wohl kennen mußte, denn er zuckte zusammen, »ich komme morgen wieder und hoffe, die Gefangenen munter zu finden.«

Damit ging er hochmütig hinaus.

Die beiden Wärter unterhielten sich und schienen nicht gleicher Meinung zu sein, doch banden sie dann den Gefangenen die Hände los, was für diese eine große Erleichterung war, und entfernten sich, ohne ihnen die Eisen wieder anzulegen.

Gleich darauf erschien der Wärter, dem Kau-ti ein Zeichen gegeben hatte, wieder, mit Tee, Brot und Fleisch, ein wonniger Anblick für Jan, der, alles vergessend und nur an das Bedürfnis des Augenblicks denkend, kräftig einzuhauen begann. Auch Gerhardt aß und trank, doch mäßig. Die Wärter sahen schweigend zu und entfernten sich, die Tassen und Schüsseln mitnehmend.


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