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Leiden eines hochgeborenen Jungfernkindes. – Ein verhängnisvolles Spottbild.

Neben Aston hatte ich einige Backsgenossen besonders ins Herz geschlossen. Einer, Walther, mir ungefähr gleichaltrig, war mein ständiger Umgang. Nicht als ob Geschmack und Wesenskern viel Gemeinsames gehabt hätten, sondern weil sein Erzeuger ihm ebenso schäbig begegnet war wie mir der meinige. Vielleicht hatte er nach Ansicht gewissenhafter Leute diesen Haß verdient, war er doch ungesetzlich, ungebührlich hienieden erschienen: Verwandte, Vormunde waren nicht pflichtmäßig befragt, die Rechte der Kirche geschmälert worden, ihre Zucht verhöhnt, ihre Diener um die Sporteln geprellt; kein fröhliches Geläut von Dorfglocken, kein festlicher Freundeskreis hatte den unwillkommnen Erdenbürger begrüßt. Er wurde mit der Mutter in die düstre Umgebung einer Großstadt geschmuggelt, wobei man zur Tarnung seiner Geburt soviel List und Bestechung aufbot wie bei einem Morde. Einziges Zeichen der Fürsorge seines Vaters – wenigstens hatte er nie von einem weitern gehört! Seine Mutter war eines aus der Million einfacher Mädchen, die auf das Eheversprechen hin an die Beteuerungen und Eide von Lords glauben. Als ob ein solcher irgendwas so zärtlich lieben könnte wie seine Adelskrone – als ob er nicht eher eine Welt unter ihm stehender Menschen opferte, statt sein Gelübde zu halten und sein eigen Fleisch und Blut trotz einem Fleck auf dem Wappen anzuerkennen, – ist er denn ein schofler Plebejer?

Walther kam in eine Armenschule, die Blaupockschule: eine königliche Stiftung für die Pflege und Erziehung armer, vaterloser Kinder. Und wer konnte so arm und vaterlos sein wie dieser Sohn eines Mannes, dessen jährlicher Pachtzins sich auf vierzigtausend Pfund belief! Jene Anstalt ist neben andern eine treffliche Bildungsstätte für die Bankerte der Vornehmen. Die Gesamtheit darf stolz sein auf das hohe Vorrecht, ihre sauer verdienten Groschen für den Unterhalt und Unterricht der Sprößlinge unsrer feurigen Lords und hochbürtigen Herren zu opfern. Eine Sünde wider den Heiligen Geist wäre es, wenn ein Tropfen ihres edlen Saftes verschüttet würde!

Seine Mutter brachte ihn mit großer Mühe bei der Flotte an. Mittellos, ohne Gönner außer ihr, darbte er, mußte er zahlreiche Plackereien und Maßregelungen erdulden, die nun anscheinend unter dem schottischen Leutnant verewigt wurden. Das verdüsterte ihn; er mied unsre Scherze und Spiele, – wenn wir zechten, las er. Ich bemitleidete ihn, nahm mehrmals seine Dienststrafen auf mich. Dadurch gewann ich sein Herz.

Um die schottische Heringsseele zu veralbern, entwarf ich ein Spottbild, das seinen Gehorsam gegen das Rückzugzeichen darstellte, als die zwei andern Boote auf das Malaienschiff losstürmten. Walther zeichnete besser; ich überredete ihn, einen Abklatsch zu fertigen. Als die Offiziere beim Essen saßen, beförderte ich das Blatt durchs Deckfenster auf die Tafel. Sie schüttelten sich fast aus den Kleidern vor Lachen. Es dauerte einige Zeit, ehe der Hauptbetroffne »im Bilde« war. Sein langes, blasses Gesicht wurde zitronenfarben, – er bekam einen Gelbsuchtanfall. Keine Mühe verdroß ihn, den Schöpfer der Bosheit spitzzukriegen. Überdies hatten wir ein paar erläuternde Knittelverse angehängt, die ich, gleich wann und wo, mit Vorliebe ableierte. Bald waren sie den Matrosen so geläufig wie das »Still, rauher Boreas!« oder »Tom Bowling« und andre. Nach meinem Geschmack war denen mein Singsang turmhoch überlegen. Ich wußte damals noch nicht, daß der gefeierte Verfasser dieses Volkslieds einen Ehrensold erhalten hatte, – ich hätte mich auch um einen beworben! Wegen meines Gedudels heimste ich nur einen Verweis ein, wurde dafür aber von dem Helden noch liebevoller verfolgt, dem ich so eifrig zur Unsterblichkeit zu verhelfen trachtete. Seine Undankbarkeit war, wie der Dolch des Brutus, der bitterste Stoß.

Wirklich schnüffelte er später aus, daß das Kunstwerk von Walther sei. »Ich dachte«, sagte er, »jener Patron (er meinte mich) habe es gemacht, er ist 'n Deibelskind und zu jeder Schandtat fähig; dazu kümmert er sich um keinen Menschen und wird in seiner Unverschämtheit von Aston und dem ersten Leutnant beschützt. Aber diesen käsigen Schlappstiebel Walther, den jeder rumstößt, den will ich bei Gott zwingen, sich ins Wasser zu stürzen, eh er 'ne Woche älter ist!«

Die Drohung war ernst gemeint. Mit List, Lüge, Verleumdung bestürmte er Kapitän und ersten Leutnant und beschwerte sich unablässig über Walther. Der Ärmste wurde gezwiebelt, bis der Druck ihn verzweifelte. Als er dann, außer sich vor Wut, einmal heftig antwortete, wurde er vom Offizier zum gemeinen Matrosen entgradet und auf die Kranzmars verwiesen. Dem Verbot zutrotz unterhielt ich mich ständig mit ihm und heiterte ihn auf. Sein zarter Geist war geknickt, er versank in Trübsinn; ich besorgte, er werde des Leutnants Weissagung bewahrheiten. Meinen Zuspruch beachtete er nur wenig. Nun vertraute ich ihm meinen Entschluß, Schiff und Flotte im nächstbesten Hafen zu verlassen, riet ihm ein gleiches und malte ihm den Hochgenuß aus, seinen Feind totzuprügeln. Die Aussicht auf diese urwüchsige Vergeltung erwies sich mächtiger als jede andre: sie beruhigte ihn; er heuchelte sogar Dienstwilligkeit und -freudigkeit.

Sein lumpiger Verfolger triezte ihn weiter. Die einstigen Backsgasten hatten ihn zu »schneiden«; er mußte Dienst mit den Kreuzmarsjungen tun, Matrosenkluft anlegen, mit den Leuten speisen. Ja, der Schotte hatte allen Einfluß aufgeboten, Walthers Namen durch die Schmach der körperlichen Züchtigung zu bemakeln; aber der Schiffer, der sich bis dahin hatte beschwatzen lassen, war dagegen.


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