Johann Ludwig Tieck
Der wiederkehrende griechische Kaiser
Johann Ludwig Tieck

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Der König von Frankreich begleitete mit seinem ganzen Zuge die Neuverlobten, um die Hochzeit, die in Gent gefeiert werden sollte, durch seine Gegenwart um so glänzender zu machen. Fast eben so glücklich als die Liebenden fühlte sich der alte Ingeram, den Ferdinand, wenn sie allein waren, mit der vormaligen Freundschaft behandelte. Auch Johanna zeigte ihm das reinste Wohlwollen, und Beide versprachen, sein Alter so heiter und glücklich zu machen, daß er die Noth der früheren Jahre vergessen könne.

Ritter, Edle und Krieger folgten dem Zuge. Der Abt Ildefons, so wie andere Geistliche, die mehr oder minder sich der Verschwörung angeschlossen oder sie heimlich oder öffentlich befördert hatten, erhielten Verzeihung. Die Bürgerschaften unterwarfen sich wieder der früheren Ordnung und das ganze Land war in wenigen Tagen beruhigt.

So wie der Zug sich entfernt hatte, um sich der Hauptstadt zu nähern, vernahm man, daß in der Gegend von Lille und in dieser Stadt selbst von neuem Unruhe, Zusammenlauf und Rottirung der Bürger und Bauern stattfand. Der freche Bernhard Rais, zornig, daß Alles, was er gewonnen hatte, ihm in einem Augenblick wieder war entrissen worden, benutzte die Unzufriedenheit und Verzweiflung einiger Rebellen, um zu versuchen, ob er den Krieg nicht dennoch von neuem entzünden könne. So unwahrscheinlich es war, daß er wieder so mächtigen Anhang finden werde, so riß ihn im verblendeten Wahnsinn sein Schicksal dennoch in diese Unternehmung. Zuerst schloß sich ihm der wilde Rudolf Ademar an, der Vorstand der Schlächterzunft, welcher überzeugt war, daß er wegen seines Verrathes und wegen des Brandes des Schlosses, als er wüthend das Feuer in die Zimmer warf, keine Verzeihung erhalten würde. Ihm folgte der Zimmermeister Hattrich und der Kupferschmied Anton Pustel, die der Haß gegen die Fürstin und den neuen Regenten mit den Rebellen verband.

Der verwegene Bauer behauptete gegen seinen Anhang von neuem, er sei der wahre Balduin. Der König von Frankreich habe mit diesem Ferdinand, der dem Lande nur als Fürst aufgedrängt sei, schon in Paris Alles verabredet, was seine unglückliche Tochter in Verblendung mit diesem ihrem Geliebten schon seit lange beschlossen. Die Feigheit des Adels und die Bosheit der Geistlichkeit habe ihn, da sie von der Verbindung mit Frankreich und einem jungen verliebten Abentheurer größere Vortheile erwarteten, aufgeopfert und preisgegeben. Als sich vieles Gesindel, Bösewichter und Räuber zu ihm geschlagen hatte, machte er bekannt, daß er als Vater des Landes und rechtmäßiger Fürst gekommen sei, dem armen, unterdrückten Landmann zu helfen, die Bauern vorzüglich gegen die Bosheit der Geistlichen zu schützen, von denen sie unter allerhand Vorwänden, und neuerdings so oft unter dem der Ketzerei verfolgt und gedrückt würden. Es währte nicht lange, so fand er Schwärmer und erhitzte Köpfe um sich versammelt; auch der alte Landmann, der in Gent schon am ersten Aufstand Theil genommen, Veit Firlinger, führte ihm eine Schaar von Bauern zu, die eine neue Lehre und Abänderungen im Gottesdienste verlangten. Jener große Bauernknecht begleitete ihn ebenfalls, in der Absicht die Kirche zu reformiren. Es währte nicht lange, so waren die Rotten dem Lande von neuem gefährlich, und da sie jetzt nichts schonten und nicht von bedeutenden Männern angeführt wurden, so zeigten sie sich viel grausamer und mordsüchtiger. Um sein Heer in Athem und frischem Muth zu erhalten, mußte der vorgebliche Balduin erlauben, daß einige Klöster beraubt und angezündet wurden, wodurch sie den Anfang machen wollten, die kirchliche Verfassung zu verbessern.

Hugo war höchst überrascht, als an einem Morgen Graf Conrad ihn auf seiner einsamen Burg besuchte. Erstaunt nicht, fing dieser an, wenn ich Euch meine Hand zur Versöhnung biete. Daß wir alte Freunde uns aus Ehrgeiz entzweiten, war der größte Mißverstand unseres Lebens, der uns Beide zugleich gestürzt hat. Wir haben Alles verloren, und der empfindlichste Schmerz ist es, daß wir nun auch ohne Kinder im Alter einsam dastehn. Ja, ich kann mich als den Mörder meines Wachsmuth anklagen, denn wohl wäre er noch von seiner Wunde und Schwachheit genesen, wenn ihn nicht der Schmerz über die Entdeckung, daß der Fürst nicht der wahre sei, hingerichtet hätte. Nun stehen wir da, arm, verschmäht und noch mehr verkannt, weil Jeder die Fehler des Unglücklichen vergrößert.

Ihr habt nicht Unrecht, erwiederte Hugo; aber was kann geschehn? Was können wir thun, um unsern Zustand zu verbessern?

Blutet Euch denn nicht das Herz, fuhr Conrad fort, den zerrütteten Zustand unseres Vaterlandes zu sehn? Diese wilden Horden, die es zerfleischen, den jämmerlichen Betrüger, der uns so schändlich hintergangen hat und von neuem unter dem Namen des Kaisers umherzieht? Jene Gottlosen, die der Bösewicht mit Vorspiegelungen an sich gezogen und die nun unsere heilige Kirche lästern? Vereinigt Euch mit mir, daß unsere Diener, Söldner, alle Männer, die uns noch zugehören, oder die unserm Aufruf folgen mögen, sich zur Kriegsschaar bilden, um diese Meuter zu strafen, zu fangen, zu vernichten. So zeigen wir, daß wir nicht ganz die verwerflichen Männer sind, für die man uns, da wir unser Spiel verloren haben, jetzt ausgeben möchte.

Hugo war mit diesem Vorschlage einverstanden, und bald sammelte sich um die beiden Grafen eine beträchtliche Schaar. Viele der Landleute, die von dem Gesindel waren beschädigt worden, wollten gern unter ihren Fahnen streiten, viele der Uebertreter kehrten, so wie ihre Anführer, zurück, um wieder Ehre und guten Ruf zu erwerben. Der braune Robert, der schon vorher einiges verwegene Volk um sich gesammelt hatte, um als Räuber wieder seinen Unterhalt zu suchen, war Einer der Ersten, der seine Dienste seinem ehemaligen Beschützer anbot.

So gerüstet zogen die Grafen aus. Balduin vermied das Gefecht nicht. Der Streit war hartnäckig und von beiden Seiten wurde mit großer Tapferkeit gekämpft. Im verwirrten Handgemenge stießen Balduin und der braune Robert auf einander, und der anmaßliche Fürst fiel von der Hand seines alten Gefährten, der ihm, als er schon auf dem Boden lag, das Schwert durch die Brust stieß. Ademar ward getödtet mit vielen Andern seiner Schaar, Firlinger und so Mancher entfloh, Viele, unter diesen Hattrich und Pustel, wurden gefangen. Lille erklärte sich sogleich nach dieser Niederlage reuig und flehend für den echten Fürsten des Landes.

Hugo und Conrad zogen mit ihren Gefangenen nach Gent. Sie lieferten sie dem Hauptmann der Stadt ab und wünschten persönlich den Fürsten und dessen Gemahlin zu sprechen. Noch war der König zugegen, und Turnier und Fest, die Hochzeit glänzend zu feiern, erfreuten die Stadt. Der alte Tillen, so wie einige andere Ritter, die den Verbannten begegneten, waren über den dreisten Muth erstaunt, mit dem sie sich wieder am Hofe zu zeigen wagten. Alle entfernten sich von ihnen, scheu, oder verachtend, und Dieselben, die vormals das Land regiert hatten, mußten jetzt froh seyn, daß sie endlich im Garten den Koch Pamphilus fanden, der ihnen Rede stand.

Ja, ja, meine Herren, sagte dieser auf ihre Erkundigungen, unser ehemaliger guter lieber Hof hier ist so verwandelt, daß kein Mensch ihn wieder erkennen kann. Alle ehemalige Würde, der nothwendige Unterschied der Stände, die Disciplin in der Küche, Alles ist dahin! Ich darf nicht mehr hineinkommen, denn ich bin meines Amtes entsetzt, das ist noch die Folge von jenem dummen Gerücht, daß ich unsern jetzigen Fürsten habe vergiften wollen. Ist wohl Menschenverstand in der Sache? So wandere ich denn noch manchmal in der Nähe der Küche hin und her und ziehe den Duft ein und vernehme das Geräusch und Geklapper von drinnen. Das tröstet mich noch einigermaßen. O und wie weit schlimmer wäre es mir ergangen, liebe Männer, wenn da der kleine Herr Ingeram nicht wäre. Es ist wahr, der Mensch bleibt zeitlebens ein Dummkopf und spricht immerdar aberwitziges Zeug, so brachte er denn auch bei der Gelegenheit die alte Fabel wieder auf, als ob ich ein Ketzer wäre und dergleichen mehr; ich sei aber das Feuer schon so gewohnt, daß bei mir das Verbrennen nicht anschlagen würde, man sollte mich lieber ins Wasser thun; weil ich aber zu dick sei, so würde ich auf dem Strome doch nur, wie die echten Hexen, oben schwimmen, drum sei es wohl am gerathensten, man nöthige mich, den Strom in mich hineinzuschlucken, daß ich ein zehn oder zwanzig oder mehr Jahre so recht tüchtig Wasser trinken müsse. Der Vorschlag ging denn durch und ich trinke meinen Wein nur heimlich. Seht, Herren, das nennt man jetzt regieren und Rathschläge geben und einen Criminalprozeß, denn das kann ich Euch sagen, das kleine Ding von Mensch da, das wie eine graue Ente aussieht, ist Alles in Allem. Er schlägt Räthe vor und setzt sie ab, und so ist der alte Berthold, der doch gewiß keinem Menschen was zu Leide gethan und niemals ein Wort gesprochen hat, das sich Einer hätte zu Gemüthe ziehen können, ebenfalls zur Ruhe verwiesen; dagegen hat man einen unklugen Zeichendeuter, den Wenzesla, reich beschenkt, und wie? mit vielen Pfunden von Goldstaub. Das hat auch der Twatsche angegeben. – Wenn Ihr wollt, will ich den rufen, denn umgänglich ist die kleine Kröte immer noch.

Die Grafen nahmen den Vorschlag an und nach einiger Zeit kam Ingeram zu ihnen und sie gingen in einem anmuthigen Gange des Gartens auf und ab. Conrad sowohl wie Hugo waren verlegen, so höflich und freundlich sie sich auch gegen Ingeram betrugen. Dieser war ganz in seiner alten Laune und erwiederte auf ihre Bitte, daß er die Fürsten durch seinen Einfluß dahin vermögen solle, sie persönlich anzuhören: Ich will Euch gern darin behülflich seyn, und ich glaube auch, daß sie meinen Vorstellungen Gehör geben werden, und es ist ja am besten, Alles zu vergessen und zu vergeben, was uns Kummer gemacht hat.

Sie dankten ihm und beugten sich tief, um ihn zu umarmen. Er erwiederte ihnen: Ihr rührt mich, werthe Herren, und ich gehe sogleich, Euer Gesuch durchzusehen. Ihr glaubt nicht, was mir das bequem und anmuthig dünkt, daß ich jetzt nur ein Narr zu seyn brauche, wenn mich der eigne Genius dazu treibt. Und wieder bin ich auch darin glücklicher, wie alle Räthe, Priester und Lehrer des ganzen Landes, daß ich eben so wenig auf Commando vernünftig und weise seyn muß; auch nach meinem Gutdünken setz' ich mir die klugen Stunden, oder lasse sie so von selbst kommen. Ihr habt, edle Herren, die Sache zu weise und klug beginnen wollen, mit Feinheit und Tiefsinn aller Art, und darüber ist sie Euch unter den Händen zerbrochen.

Er bat die beiden glücklichen Neuvermählten und sprach so possierlich und eindringend, daß man die Flehenden in den Saal kommen ließ, als eben auch der König Ludwig und sein Hof zugegen war. Ferdinand und Johanna dankten ihnen für ihre Dienste und gaben ihnen die eingezogenen Güter wieder, den Gefangenen wurde verziehen und Alles kehrte friedlich in die alte Ordnung zurück. Lange regierten in Glück Ferdinand und Johanna.

 


 


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