Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Die Nummer vier in der Fremdenliste führte Herrn Tobias Bünzli, Dichter aus Winterthur, an; das Wort Dichter war durchschossen gedruckt, vermutlich auf Wunsch des Kaufmanns Natterer, der den Gast als wertvolle Acquisition betrachtete. Mit der äußeren Erscheinung Bünzlis war nicht viel Staat zu machen. Er war ein langer, hagerer Mensch, in der Mitte der Zwanziger; sein Gesicht war blaß und unrein; auch die Zähne waren schadhaft, und auf geistige Beschäftigung deutete nur ein üppiger Haarwuchs hin. Aufmerksame Beobachter hätten sehen können, daß die Hände des jungen Mannes auffallend groß waren und Spuren von Frostbeulen trugen.

Sie konnten vom Dichten in kalten Dachstuben herrühren, aber ein mißtrauischer Mensch hätte eher an einen Kommis gedacht, der in ungeheizten Lagerräumen hatte arbeiten müssen.

Bünzli erhielt ein hübsches Zimmer beim Bürgermeister Schwarzenbeck, doch dichtete er anscheinend am liebsten in der freien Natur.

Auf den Bänken, die Harlander gestiftet hatte, saß er und schaute träumerisch über den Fluß hin, besonders träumerisch, wenn junge Mädchen um die Wege waren.

Sie gingen zu zweit und zu dritt ineinander eingehängt den Hügelweg zur Vils hinunter und bewunderten Bünzli, der an ihnen vorbei in selige Gefilde schaute. Ob sie errieten, daß er ihretwegen hastig den Bleistift netzte und Worte in sein Notizbuch schrieb? Altaich liegt weit ab von der Literatur, aber der Teufel steckt in allen Mädeln.

In der Post bedeutete der junge Mann wenig; seine Versunkenheiten zu Mittag und am Abend erregten keine Teilnahme.

Sie standen freilich in wunderlichem Gegensatze zu dem riesigen Appetite, den Bünzli zeigte, aber Hobbe gab sich mit Rätseln der Natur nicht ab, und ein nicht vorgestellter Mensch war kein Mensch für die Frau Professor.

Wlazeck sah freilich, was der junge Mensch aß und wie er aß. Er sah auch, daß seine Schuhe schief getretene Absätze hatten, daß seine Hände ungepflegt und seine Fingernägel abgebissen waren. Damit schied Tobias für den Herrn Oberleutnant aus der Klasse achtenswerter Individuen aus.

Wlazeck unterhielt sich lieber mit Eingeborenen, die er oft ermahnte, sich nie und durch nichts von den schlichten Gewohnheiten der Väter abbringen zu lassen.

»Beachten Sie stets, Herr Posthalter, daß die Basis Ihres florierenden Geschäftes die Billigkeit der Preise ist. Das ist gewissermaßen Ihre Spezialität, und in dem modernen Mischmasch is jede Spezialität etwas Söltenes und eißerst Wichtiges. Schauen Sie, ich kann da aus eigener Erfahrung sprechen. Ich habe erlebt, daß ganze Gegenden durch den internationalen Schwindel ihres Reizes beraubt worden sind. Was tut da ein denkender Mensch? Er bleibt ganz einfach weg. Wann ich zum Beispiel den Wunsch hege, das ächte Altbayern kennen zu lernen, will ich den gemietlichen Posthalter Blenninger antreffen, seine Jovialität und seine zivilen Preise. Wann ich natürlich ein Aff' bin, rutsch' ich in den Hotölls herum und soupiere im Frack und mache den internationalen Schwindel mit. Folgen Sie mir, Herr Posthalter, und bewahren Sie sich Ihre prachtvolle Spezialität!«

»Ja... ja...«, antwortete der Blenninger, »is scho recht.«

Bedeutsamer für die Geselligkeit war das Eintreffen des fünften Kurgastes, des Kanzleirates Anton Schützinger aus München.

Der kleine, beleibte Herr schien üble Laune nicht zu kennen.

Er war ein Mann, der, auf der höchsten Höhe des Kanzleidienstes stehend, mit sich selbst zufrieden sein mußte und keine Wünsche mehr hegen konnte.

Das herrliche, so wenigen Menschen beschiedene Schicksal, am Ziele angelangt zu sein, über das hinaus es nichts mehr anzustreben gab, gewährte ihm ein Glücksgefühl, das seine Augen hinter der Brille fröhlich funkeln ließ.

Er erzählte gerne Anekdoten, aber dabei kam ihm seine im Dienste angewöhnte Gewissenhaftigkeit in die Quere, denn er verweilte bei Nebenumständen, gab einleitende Erklärungen, verbesserte sich und kam selten zum guten Ende.

Das störte ihn nicht, weil er mehr Wert darauf legte, den hohen Beamten, von dem er die Geschichte hatte, namhaft zu machen.

Schützinger mietete sich in der Post ein und setzte sich am ersten Abend zu den beiden alten Soldaten, die ihn gewähren ließen.

Es stellte sich, wie es nicht anders sein konnte, bald heraus, daß der Herr Kanzleirat manche angesehene Persönlichkeit kannte, die der Herr Oberinspektor gut kannte, und daß der Herr Oberinspektor mit gewichtigen Männern verkehrt hatte, die zu den Bekannten des Herrn Kanzleirates gehörten.

»Diese Gemeinschaft der Konnaissancen«, sagte Wlazeck, »hat etwas Riehrendes. Sie stempelt die Angehörigen der gleichen Stadt gewissermaßen zu Kindern derselben Mudder. Das kann in der Fremde geradezu einen herzbewägenden Charakter annehmen. Ich bidde, ich war im Jahre zweiundachtzig – pardon! es war dreiundachtzig –, weil damals mein intimster Freind, der Graf Kielmannsegge, nicht der Max Kielmannsegge, sondern der Georg Kielmannsegge, der gelbe Schurl, wie ich ihn getauft hab, das Lemberger Korps kommandierte. Von was, bidde, wollte ich sprechen? Ja so... pardon! Von der Gemeinsamkeit der Konnaissancen. Ich war damals unseligen Angedenkens in Jaroslau in Garnison. Kennen die Herren Jaroslau? Nicht? Dann begehren Sie es nie und nimmer zu schauen! Alsdann, ich sitze bei Chaim Weichselzopf im Kaffeehause, eine Schale Haut trinken. Ein Rittmeister von den vierten Dragonern setzt sich zu mir. Tschau! Särvus! Wir sprechen von früheren Zeiten und Garnisonen und kommen auf Graz. Er war dort – ich war dort. Er kennt den Baron Styrum, den Graf Spaur, er schwärmt von der Komteß Buttler, von der Hansi Buttler, nicht von der Mizzi, die war damals noch angehendes Backfischel. Alsdann ich kenne den Styrum, den Spaur, ich schwärme von der Hansi Buttler... auf einmal... ich bidde, meine Herren, es ist effektive Tatsache... stirzen uns harten Soldaten die Tränen aus den Augen...«

»Übrigens, Herr Kamerad, mir in Burghausen...«, wollte Dierl beginnen, aber der Kanzleirat hielt seine Zeit für gekommen.

»Entschuldigen, Herr Oberinspektor, wenn ich unterbreche, aber mir fallt bei der Erzählung, die der Herr Oberleitnant soeben... ah... vorgebracht hat, eine sehr lustige Anekdote ein, das heißt es ist eigentlich weniger eine Anekdote, was man im gewöhnlichen Sinn unter einer Anekdote versteht, sondern mehr eine sehr treffende Antwort, die tatsächlich vorgekommen sein soll. Da keine Damen in der Nähe sind« – Herr Schützinger sah sich vorsichtig um, bemerkte aber bloß den Dichter Bünzli, der in der Nase bohrte –, »da keine Damen in der Nähe sind, kann ich es ja wohl erzählen. Für die Damenwelt wäre der Witz, respektive das Vorkommnis etwas zu gepfeffert oder doch zu pikant. Unser Ministerialrat Kletzenbauer hat es neulich auf unserer Kegelbahn zum besten gegeben, und ich muß sagen, daß ich selten was Lustigeres gehört habe... Der Witz ist nämlich folgender, es handelt sich um einen älteren Herrn, so eine Art Bonvivant, wie man zu sagen pflegt; der Betreffende war schon bedenklich ergraut, das heißt, er war kein Greis, aber doch schon über gewisse Jahre hinüber. Kurz und gut, ein Bekannter begegnet ihm auf der Straße, oder im Klub, kurz und gut, er sieht ihn wieder einmal nach längerer Zeit, vielleicht nach Jahren, und macht gewisse Anspielungen auf das Älterwerden mit einem pikanten Beigeschmack, die Herren verstehen schon, und da sagt dieser ältere Herr, dieser Bonvivant, ob vielleicht jemand aus dem Bekanntenkreis von dem betreffenden Herrn, aus dem Damenkreis natürlicherweis, eine Beschwerde eingereicht habe... Ich muß sagen, die Kegelbahn hat gewackelt, so haben wir alle g'lacht...«

Dierl blieb ernst. Wlazeck blieb sehr ernst. Bloß der Kanzleirat brach über seine Anekdote in ein schallendes Gelächter aus und sah sich augenzwinkernd nach dem jungen Menschen um, ob der nicht am Ende an der Pikanterie teilgenommen habe. Er hätte es ihm in seiner Gutmütigkeit gegönnt.

Aber Tobias Bünzli bohrte in der Nase.

* * *

Es war Schranne in Altaich, wie alle Samstage. Da die Heuernte zu Ende war und die Getreideernte noch nicht begonnen hatte, kamen etliche Bauern auf den Markt und machten sich einen guten Tag in der Post.

Geschäfte gab es um die Zeit eigentlich nicht, aber jeder machte kleine Einkäufe, damit die Bäuerin daheim den guten Willen sah.

Sie saßen bis in den Nachmittag hinein in der Wirtsstube und unterhielten sich über die Ernteaussichten.

Dann fuhr einer nach dem andern weg, und Martl schirrte die Gäule ein, hielt mit jedem einen kurzen Diskurs ab und lüpfte die Haube, wenn er sein Trinkgeld kriegte.

Den Lenzbauer und den Sappelhofer, zwei angesehene Bauern von Riedering, begleitete der Posthalter selber hinaus und wünschte ihnen das beste Wetter für die Ernte.

Wie sie weggefahren waren, wollte der Blenninger in die Stube zurückgehen, blieb aber in der Durchfahrt stehen, weil ihm was einfiel.

»He, Martl!«

Der Hausel kam langsam heran. »Wos is?«

»Paß auf, morg'n is Sonntag, gel?«

»Ja.«

»Da kunntst du eigentli amal de neue Haub'n aufsetz'n...«

»Warum nacha? Müaßt i Maschkera geh im Summa, grad weil's der trapfte Kramawaschl hamm möcht? Sie hamm ja selm g'sagt, daß dös a Dummheit is...«

»No... no... Dös braucht's net, glei a so ob'n außi...«

»Is ja wahr! Wenn ma'r amal was sagt, nacha muaß gelt'n...«

»Was hab i g'sagt? Daß d' net auf d' Station abi steh muaßt, hab i g'sagt...«

»Und daß i den Malafizkrama, dem damisch'n, sein dumma Bletschari net aufsetz'n muaß, hamm S' g'sagt. Und dös sag i pfeigrad, dös tua'r i amal net...«

Blenninger sah, daß sein alter Martl fuchsteufelswild war, und beschwichtigte ihn.

»Vo mir aus brauchst d'as net aufsetz'n, aba gar so aufdrah'n brauchet's aa net, wann i di um an G'fall'n o'geh...«

»Dös kunnt aa no a G'fall'n sei, daß i als Hanswurscht umanand laffa müaßt...«

»Laß da sag'n, Martl, da brauchst jetzt net schimpfn, dös sell könna mir mit Ruah ausdischkrier'n. I hab de G'schicht am O'fang anderst o'g'schaugt und hab auf'n Natterer sei G'red überhaupts nix geb'n. Aba jetza schaugt si de Sach do a bissel anderst o. Es kemman Fremde, es san scho fünfi do, sie zehr'n was, sie bringan a Geld her, es kunnt glei sei, daß no mehra kemman. Folgedessen war dös net ganz so dumm, was da Natterer g'sagt hat. No ja, kunnt ma'r eahm aa an G'fall'n erweis'n. Und wenn er de Haub'n eigens macha hat lass'n, schau, Martl, de tat di net gar so druck'n...«

»Na! I geh amal net Maschkera.«

»Was hast denn allawei mit dein Maschkera geh? Gibt do gnua Hausmoasta, de wo sellane Haub'n aufhamm. Z' Minka is da ganz Bahnhof voll...«

»De san's net anderst g'wöhnt.«

»G'wöhnt! Oamal hat's a jeda 's erstmal aufg'setzt. Probierst as halt amal in deiner Stub'n! Vielleicht g'fallt's da bessa, wia's d' moanst.«

»Net mag i, dös sag i Eahna glei. Sie hamm g'sagt, daß 's a Dummheit is, und bal Sie dös selm g'sagt hamm, nacha wer i de Dummheit net macha müass'n zweg'n dem spinnat'n Krama...«

Der Posthalter sah, daß er nichts erreichen konnte, und ging in die Stube. Martl schob seine Ballonhaube ganz windschief nach rechts und schaute grimmig vor sich hin, als Herr von Wlazeck mit dem Kanzleirat an ihm vorüber ging.

»Särvus, Herr Haus- und Hofmeister!« rief der Oberleutnant jovial.

Martl schaute ihn spinngiftig an. Um Mund und Nase zuckte es ihm wie einem bissigen rauhhaarigen Schnauz. Er wollte etwas sagen, wie man deutlich wahrnehmen konnte. Er sagte es aber nicht, sondern drehte sich um und ging.

»Ein Prachtexemplar!« sagte Wlazeck fast zärtlich. »So was von einem gut konservierten, vorsündflutlichen Hausknechtsideal ist mir überhaupt noch nicht vorgekommen. Ich versichere, Herr Kanzleirat, ich verehre diesen Menschen. Ich sehe in ihm den letzten einer aussterbenden Edelrasse, sozusagen einen Azteken der Grobheit.«


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