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Elftes Kapitel
Ich komme nach Castlewood, um dort die Ferien zu verleben, und finde ein Skelett im Hause

Zum dritten Male kam Esmond wie gewöhnlich nach Castlewood, um dort die großen Ferien zu verleben, und wie immer durchzuckte ihn lebhafte Freude, als er das Haus betrat, in dem er so viele Jahre seines Lebens verbracht, und als er die freundlichen, vertrauten Augen seiner Herrin auf sich ruhen fühlte. Sie kam mit ihren Kindern, die sie fast immer um sich hatte, wenn sie mit Esmond zusammen war, um ihn zu begrüßen. Fräulein Beatrix war so groß geworden, daß Harry nicht recht wußte, ob er sie küssen dürfe oder nicht. Sie wurde rot und bog den Kopf zurück, als er ihr einen Kuß zum Willkommen bot, aber sie nahm ihn; und wenn sie allein miteinander waren, dann warb sie sogar um seine Küsse. Der junge Lord fing an, seinem stattlichen Vater ähnlich zu werden, doch hatte er die guten Augen seiner Mutter. Die Herrin von Castlewood schien selbst auch gewachsen zu sein, seit Harry sie zum letzten Male gesehen; ihr Blick war fester, ihre Gestalt voller, und ihr Gesicht, so sanft und gütig wie immer, war doch in seinem Ausdruck entschlossener und befehlsgewohnter als das arglos sanfte Antlitz erschien, das Harry so dankbar in Erinnerung hatte. Der Ton ihrer Stimme, als sie ihn begrüßte, war so viel tiefer und trauriger, daß Esmond zusammenfuhr und sie überrascht ansah. Sie wich seinen Augen aus und sah ihn auch später niemals an, wenn sie seinen Blick auf sich ruhen fühlte, eine Andeutung von Gram und Geheimnis, die ihn mit ungreifbarer Angst erfüllten. Ihr Gruß war so kühl, daß es ihm beinahe wehe tat; am liebsten wäre er auf die Knie gefallen und hätte den Saum ihres Kleides geküßt, so feurig war seine Ehrfurcht und Liebe für sie. Er stammelte, als er die Fragen beantwortete, die sie zögernd an ihn richtete. Hatte er sich in Cambridge wohl gefühlt? Hatte er auch nicht zu eifrig studiert? Hoffentlich nicht. Er sei sehr groß geworden und sehe gut aus.

»Er hat einen Schnurrbart bekommen!« rief Junker Esmond.

»Warum trägt er nicht eine Perücke wie Lord Mohun?« fragte Fräulein Beatrix. »Mylord sagt, es trage jetzt niemand seine eigenen Haare.«

»Ich glaube, man hat Ihnen Ihr altes Zimmer zurechtgemacht«, sagte Mylady. »Ich hoffe, die Haushälterin hat nichts vergessen.«

»Aber Mama, du bist doch in den letzten drei Tagen selber zehnmal dort gewesen!« rief Frank.

»Und sie hat die Blumen geschnitten, die du selbst in meinen Garten gepflanzt hast; weißt du noch, vor vielen Jahren, als ich ein ganz kleines Mädchen war?« rief Fräulein Beatrix ausgelassen. »Mama hat sie in dein Fenster gestellt.«

»Ich erinnere mich, daß Sie damals nach Ihrer Krankheit Rosen so gern hatten«, sagte Mylady und wurde rot wie eine Rose. Sie alle begleiteten Harry Esmond in sein Zimmer; die Kinder liefen voran, und Harry folgte Hand in Hand mit seiner Herrin.

Der alte Raum war zu seinem Empfang nicht wenig verschönert und geschmückt. Die Blumen standen in einer chinesischen Vase am Fenster, auf dem Bett lag eine schöne neue Steppdecke, und die Plaudertasche Beatrix verriet, daß Mama sie gemacht habe. Im Kamin knisterte ein Feuer, obwohl es im Monat Juni war; Mylady hatte gefunden, das Zimmer bedürfe der Heizung. Alles war getan, um ihn freundlich willkommen zu heißen. »Du sollst jetzt auch kein Page mehr sein, sondern ein Herr und Verwandter, und sollst mit Papa und Mama zusammen sein«, sagten die Kinder. Als seine liebe Herrin und die Kinder ihn verlassen hatten, warf er sich vor seinem kleinen Bett auf die Knie nieder und flehte Segen auf die herab, die ihm so viel Güte erwiesen.

Die Kinder, die immer die Ausplauderer im Haus sind, machten ihn bald mit der Familiengeschichte bekannt. Papa war zweimal in London gewesen. Papa ging jetzt sehr oft fort. Papa war mit Beatrix in Westlands gewesen, und sie war größer als Baron Harpers zweite Tochter, obgleich die zwei Jahre älter war. Papa hatte sie beide, Beatrix und Frank, nach Bellminster mitgenommen, und Frank hatte Lord Bellminsters Sohn im Faustkampf untergekriegt. Das aber erfuhr Harry später von Mylord, der es ihm lachend erzählte. Viele Herren kamen, Papa zu besuchen, und Papa hatte ein neues Spiel aus London mitgebracht, ein französisches Spiel, das Billard hieß und das der französische König sehr gut spielte; und die Gräfin-Witwe von Castlewood hatte Fräulein Beatrix ein Geschenk geschickt; und Papa hatte einen neuen Wagen gekauft mit zwei kleinen Pferden, die er selber fuhr, und dann eine Kutsche für Mama; und Doktor Tusher sei eine rechte Plage, alt und brummig, und sie hätten die Stunden bei ihm gar nicht gern; und Papa sei es ganz einerlei, ob sie etwas lernten, er lache immer, wenn sie über ihren Büchern hockten. Aber Mama sehe es gern, wenn sie lernten, und gebe ihnen auch Stunden. »Ich glaube, Papa hat Mama gar nicht lieb«, sagte Fräulein Beatrix mit weit aufgerissenen Augen. Sie war Harry Esmond bei dem Geplauder immer näher gerückt, saß nun auf seinem Knie und prüfte alle Einzelheiten seines Anzugs und die guten oder schlechten Züge seines vertrauten Gesichts.

»Du solltest doch nicht sagen, daß Papa Mama nicht lieb hat«, sagte der Knabe bei diesem Bekenntnis. »Mama hat es nie gesagt, und sie hat dir verboten, es zu sagen, Beatrix.«

Das war es ohne Zweifel, was die Trauer in Lady Castlewoods Augen und das schmerzliche Beben ihrer Stimme erklärte. Wer kennt nicht Augen, einst von der Liebe erhellt, in denen das Licht nicht länger leuchtet? Jeder findet sie in seinem Hause. Solche Mementos lassen unsere prächtigsten Gemächer öde und trübselig erscheinen, ein solches Antlitz wirft Schatten auf den sonnigsten Tag. Die Schwüre, die man tauscht, die Anrufung des Himmels, die priesterliche Zeremonie – und treue Liebe, eine Liebe, die so zärtlich und zuversichtlich glaubt, daß sie immer dauern wird –, sie nützen alle nichts, der Liebe ewiges Leben zu sichern: sie stirbt trotz Priester und Segen, und ich habe oft gedacht, es sollte Totenwachen für sie geben, die letzte Ölung und ein abi in pace. Sie hat ihren Lauf wie alle sterblichen Dinge – ihren Anfang, ihre Höhe und, ihren Verfall. Sie knospt, sie blüht in den Sonnenschein empor, und sie welkt und endet. Strephon und Chloe schmachten getrennt, vereinigen sich hingerissen, und bald hört man, daß Chloe klagt, weil Strephon seinen Schäferstab auf ihrem Rücken zerschlagen hat. Kann man ihn denn so leimen, daß keine Spur des Bruches bleibt? Nicht all die Priester Hymens, keine Beschwörung der Götter vermögen es!

Harry Esmond erwachte aus den Träumen, in die ihn seine Bücher versenkt hatten, und fand sich mitten im lebendigen Trauerspiel des Lebens, das ihn mehr interessierte und fesselte als alle Gelehrsamkeit seines Lehrers. Die Menschen, die ihm die liebsten auf Erden waren und die am meisten für ihn getan hatten, lebten unglücklich miteinander. Die sanfteste, gütigste Frau litt unter schlechter Behandlung und vergoß heimliche Tränen, und der Mann, der sie durch Vernachlässigung, vielleicht sogar durch Gewaltsamkeit elend machte, war Harrys Wohltäter und Beschützer. In Häusern, in denen Zwietracht die heilige Flamme der Liebe ausgelöscht hat, fängt der ganze Haushalt an zu heucheln, und einer belügt den andern. Der Mann lügt, wenn Besucher kommen, und trägt ein versöhnliches Grinsen zur Schau; die Frau lügt, tatsächlich muß sie es tun und lächeln, so niedergeschlagen sie auch ist. Sie schluckt ihre Tränen herunter und belügt ihren Herrn und Gebieter. Sie lügt, wenn sie den kleinen Jack bittet, den lieben Papa zu ehren, und lügt, wenn sie Großpapa versichert, sie sei vollkommen glücklich. Die Diener lügen, wenn sie mit ernsten Gesichtern hinter ihres Herrn Stuhl stehen und tun, als wüßten sie nichts von dem Streit, und so verwandelt sich das Leben vom Morgen bis zum Abend in Heuchelei. Klugschnacker nennen das schuldige Rücksicht auf die Sitten und weisen auf Philemon und Baucis als Muster vortrefflicher Lebensführung.

Mylady sprach nicht mit Harry Esmond über ihre Leiden; aber Mylord war keineswegs verschwiegen, wenn der Wein ihm zu Kopf stieg. Er sagte seine Meinung frei heraus und warnte Harry in seiner derben Art und groben Sprache vor allen Weibern. Sie seien Betrügerinnen, Dirnen, Koketten, und was für unzweideutige Worte er noch gebrauchte. Freilich war das die Mode des Tages, wie ich gestehen muß. Ich weiß aus meiner Zeit keinen Dichter von einiger Bedeutung, ausgenommen den armen Dick Steele, der von den Frauen nicht als von Sklavinnen spricht und sie als solche gebraucht und verhöhnt. Herr Pope, Herr Congreve, Herr Addison, Herr Gay, sie alle singen in dieser Tonart, jeder nach seiner Natur mit mehr oder weniger Höflichkeit. Aber lauter und gemeiner in der Verleumdung als alle ist Doktor Swift, der sie am übelsten behandelte und von ihnen sprach.

Es scheint mir, daß viel Zank und Haß zwischen Eheleuten durch die Wut und Empörung des Mannes entsteht, wenn er merkt, daß seine Sklavin und Bettgenossin, die nur dazu da war, seine Wünsche zu erfüllen, und die ihm in der Kirche geschworen hat, ihn zu ehren und ihm zu gehorchen – ihm überlegen ist und daß er und nicht sie sich unterordnen sollte. Ich glaube, das war auch der Grund von Mylords Zorn gegen Mylady. Als er anfing, sie zu vernachlässigen, fing sie an, für sich selbst zu denken, und ihre Gedanken waren ihm nicht günstig. Nach dem strahlenden Glanz, wenn die Liebeslampe gelöscht wurde, von der wir zuvor sprachen, und man bei nüchternem Tageslicht auf das Bild blickt, wie gepfuscht es aussieht! Welche plumpe Täuschung! Wie viele Männer und Frauen, glaubt ihr, machen diese Erfahrung? So schmerzlich es für eine Frau ist, sich fürs Leben an einen Bären gebunden zu sehen und verpflichtet, einen Dummkopf zu lieben und zu ehren, so schlimm ist es für einen Mann, wenn in seinem trüben Verstand die Erkenntnis dämmert, daß seine Sklavin und sein Packesel in Wahrheit seine Herrin ist, daß sie Gedanken denkt, die sein Hirn nicht fassen kann, daß in dem Kopf, der neben ihm auf dem Kissen ruht, tausend Gefühle und Geheimnisse, unterdrückter Spott und Widerspruch leben, die er nur undeutlich in dem verstohlenen Blick ihrer Augen wahrnimmt. Da sind Schätze von Liebe verborgen, die zugrunde gehen, weil keine Hand sie hebt, liebliche Gebilde der Phantasie, die sich zu Blumen entfalten, Witz und Laune, die wie Brillanten funkeln würden, wenn man sie nur in die Sonne bringen wollte. Aber der Tyrann, dem dies alles gehört, verhindert, daß es zum Licht hervorbricht, jagt es wie Sklaven in Kerker und Finsternis zurück, wütet, ohne daß seine Gefangene sich auflehnt und sein vereidigter Untertan pflichtvergessen und aufsässig wird. So war das Licht im Schlosse von Castlewood erloschen, und Herr und Herrin sahen sich, wie sie waren. Ihre Krankheit und versehrte Schönheit töteten Mylords Leidenschaft, seine Selbstsucht und Treulosigkeit zerstörten ihr kindliches Trugbild von Liebe und Hingabe. Liebe? Wer sollte lieben, was niedrig und unliebenswürdig ist? Achtung? Wer kann achten, was grob und sinnlich ist? Kein Eheschwur vor all den Priestern, Kardinälen, Muftis und Rabbinern der Welt kann diese ungeheuerliche Treuepflicht erzwingen. Sie lebten jeder für sich; die Frau war glücklich, daß sie ihre Kinder lieben und pflegen durfte, die sie freiwillig nie von sich ließ, und dankbar, daß sie solche Schätze aus dem Schiffbruch gerettet hatte, mit dem der beste Teil ihres Herzens untergegangen war.

Die Kinder hatten keine Lehrer außer ihrer Mutter. Nur Doktor Tusher unterwies sie gelegentlich in Religion. Sie hatten bessere Fortschritte gemacht, als man bei einer so nachsichtigen und zärtlichen Lehrerin hätte erwarten sollen. Beatrix sang und tanzte wie eine Nymphe. Ihr Gesang nach Tisch war ihres Vaters Entzücken. Sie regierte das Haus mit kleinen Herrscherkniffen, und ihre Eltern lachten darüber. Sie hatte längst die Macht ihrer strahlenden Augen erkannt und ihre ersten Versuche auf dem Gebiet der Koketterie in corpore vili an Bauern und Gutsbesitzern gemacht, ehe sie sich auf die Eroberung der großen Welt vorbereitete. Sie schmückte sich mit einem neuen Band, um Harry Esmond zu empfangen, machte ihm Augen und übte ihr jugendliches Lächeln an ihm, zur nicht geringen Belustigung des jungen Mannes und zur Freude ihres Vaters, der in sein lärmendes Lachen ausbrach und sie zu tausend Possen ermutigte. Lady Castlewood beobachtete das Kind ernst und traurig. Die Kleine gab ihr schnippische Antworten, war aber eifrig in ihren Liebesbeteuerungen und rasch bei der Hand mit dem Versprechen, sich zu bessern. Wenn ihr eigner Leichtsinn einen Streit heraufbeschworen hatte, so flössen gleich die Tränen, bis der Mutter Gunst zurückgewonnen war. Dann aber kamen neue Ausbrüche ihrer immer wachen Eitelkeit, auf die Gefahr hin, das Mißvergnügen der gütigen Frau aufs neue zu erregen. Vor ihrer Mutter traurigen Blicken floh sie zu ihres Vaters trunkenem Lachen. Sie spielte den einen gegen den anderen aus, und dieser kleine Schurke freute sich über das Unheil, das er so früh schon anzurichten wußte.

Der junge Erbe von Castlewood wurde von Vater und Mutter gleichmäßig verwöhnt. Er nahm ihre Zärtlichkeiten hin, wie Männer es zu tun pflegen, als wären sie sein gutes Recht. Er besaß seine Falken und sein Wachtelhündchen, sein kleines Pferd und seine Spürhunde. Er hatte reiten, trinken und schießen gelernt und hatte einen kleinen Hofstaat aus den Söhnen der Jäger und Forstleute, wie es dem Thronerben nach dem Beispiel seines Vaters zukam. Wenn er Kopfschmerzen hatte, so befiel seine Mutter eine Angst, als ob die Pest im Hause sei. Mylord lachte und spottete in seiner derben Art – tatsächlich war es ein Tag nach Neujahr, und der junge Erbe hatte zuviel Fleischpastete gegessen – und sagte mit einem seiner üblichen Flüche: »Verflucht, Harry Esmond, da siehst du, wie Mylady sich um Franks Migräne anstellt. Sie pflegte sich früher um mich zu sorgen, mein Junge, und ängstigte sich, wenn ich Kopfschmerzen hatte. Jetzt fragt sie nicht mehr nach meinem Kopf. So sind sie, die Weiber – gib mir den Krug her, Harry –, alle sind sie so, kalte Koketten sind sie im Innern. Halte dich ans College, halte dich an Punsch und Bier, und sieh nie ein Frauenzimmer an, das hübscher ist als eine alte aschgraue Auf Wärterin. Das kann ich dir raten!«

Es war Mylords Gewohnheit, solche Scherze bei den Mahlzeiten in Gegenwart seiner Frau und Kinder zu machen, plumpe Sarkasmen, die Mylady oft abzuwenden verstand oder die sie zu überhören vorgab. Manchmal aber trafen sie ihr Ziel, das arme Opfer zuckte zusammen, die Röte stieg ihr ins Gesicht, und Tränen füllten ihre Augen. Es kam aber auch vor, daß der Ärger sie packte und sie das schwere Geschoß mit schwirrenden Pfeilen erwiderte. Die beiden waren nicht glücklich, noch war es beglückend, mit ihnen zusammen zu sein. Ach, daß junge Liebe und Treue in Bitterkeit und Bankrott enden sollte! Wenn man ein junges Paar in Liebe zueinander sieht, so ist das kein Wunder; ein altes Paar aber, das sich liebt, ist ein seltener und schöner Anblick. Harry Esmond wurde der Vertraute beider Gatten, das heißt, Mylord sprach ihm von all seinen Leiden und Kränkungen, die in Wahrheit eigene Erfindung waren, und die von Mylady erriet Harry selbst. Seine Liebe durchschaute die Verstellung, mit der sich Lady Castlewood umgab, und sah, wie ihr Herz litt, während ihr Mund lächelte. Es ist schwer für Frauen, die Maske der Heiterkeit zu tragen, welche die Welt ihnen vorschreibt. Aber eine mißhandelte und unglückliche Frau kann kein größeres Verbrechen begehen, als ihre Leiden zu zeigen. Die Welt gebietet ihr erbarmungslos, ein heiteres Gesicht zu wahren, und wie die Weiber von Malabar müssen unsere Frauen lächelnd und geschminkt sich ihren Gatten opfern. Ihre Verwandten sind am eifrigsten bemüht, sie zum Scheiterhaufen zu stoßen und mit lautem Beifall ihre Schmerzensschreie zu ersticken; denn wenn sie auch unglücklich sind, so dürfen sie es doch nicht zeigen, ein größeres Verbrechen könnten sie nicht begehen. Darin ist unsere Welt ebenso unerbittlich wie die indische, die von den Witwen verlangt, daß sie lächelnd und geschminkt zum Opfertod gehen.

So wurde Harry in das traurige Geheimnis des Hauses eingeweiht, er wußte selbst nicht wie. Es hatte sich zwei Jahre früher vor seinen Augen abgespielt, als er es noch nicht verstehen konnte. Aber Lesen, Nachdenken und menschliche Erfahrung hatten ihn reifer gemacht, und eine der schwersten Sorgen seines Lebens, das tatsächlich nie sehr glücklich gewesen ist, kam jetzt über ihn, da er gezwungen war, einen Gram zu verstehen und mitzufühlen, dem abzuhelfen er machtlos war.

Man sagt, daß Mylord nie den Lehnseid leistete und von seinem Sitz im Parlament als Peer des Königreichs Irland, wo er allerdings nur nominelle Besitzungen hatte, keinen Gebrauch machte. Auch habe er den Sitz eines englischen Peers ausgeschlagen, den ihm die Regierung König Wilhelms anbot, um sich seiner Treue zu versichern.

Er hätte ihn ohne Zweifel angenommen, wenn nicht die ernstlichen Einwände seiner Gattin gewesen wären. Sie hatte über seine Ansichten mehr Macht als über sein Betragen, und da sie eine Frau mit einfachem Sinn war, für die es nur ein Gesetz in Recht und Glauben gab, so dachte sie nie daran, auch nur einen Fingerbreit von der Treue gegen die verbannte Königsfamilie abzuweichen oder einen anderen Herrscher als König Jakob anzuerkennen. Sie stimmte zwar dem Grundsatz zu, daß man sich der regierenden Macht fügen müsse; aber kein Lockmittel, so dachte sie, konnte sie verführen, den Prinzen von Oranien als rechtmäßigen König anzuerkennen, und sie hätte es nie zugelassen, daß ihr Herr und Gatte sich zu einer öffentlichen Anerkennung verstand. So blieb Lord Castlewood fast sein ganzes Leben lang ein Eidverweigerer, obgleich ihm diese Entsagung wahre Qualen bedeutete und ihm die Laune verdarb.

Das Jahr nach der Revolution und während der ganzen Lebenszeit König Wilhelms wurden ununterbrochen Intrigen gesponnen, um die verbannte Königsfamilie zurückzubringen. Aber wenn Lord Castlewood, was wohl denkbar ist, sich daran beteiligte, so war es nur für eine kurze Zeit, und Harry Esmond war noch zu jung, um in so wichtige Geheimnisse eingeweiht zu werden.

Aber im Jahre 1695, als die Verschwörung des Sir John Fenwick, des Obersten Lowick und anderer vorbereitet wurde, und als sich ein großer Teil des Adels und viele hochgestellte Personen für den geheimen Plan erklärten, König Wilhelm auf dem Weg von Hampton Court nach London gefangenzunehmen, da erschien Pater Holt in Castlewood und brachte einen jungen Freund mit, der sowohl von Mylord als von dem Jesuiten mit ungewöhnlicher Ehrerbietung behandelt wurde. Harry Esmond sah diesen Herrn und erkannte ihn später wieder, wie wir seinerzeit erzählen werden. Er ist sich jetzt ganz klar, daß der Herr Graf auf irgendeine Weise in die Geschäfte verwickelt war, die Pater Holt noch immer unter so vielen Namen und Verkleidungen umhertrieben. Der Begleiter des Jesuiten wurde Hauptmann Jakob genannt, und als Harry Esmond ihn später wiedersah, trug er einen sehr anderen Namen und ein sehr anderes Gewand.

Das Jahr darauf flog die Fenwick-Verschwörung auf und nahm, wie wir in der Geschichte Englands lesen können, ein schreckliches Ende mit der Hinrichtung des Sir John und vieler Genossen, die männlich für ihren Verrat den Tod erlitten und von Myladys Vater, dem Dechanten Armstrong, Herrn Collier und anderen standhaften eidverweigernden Geistlichen nach Tyburn geleitet und am Fuße des Galgens von ihren Sünden losgesprochen wurden.

Man weiß, daß der Prinz von Oranien die Liste, auf der eine lange Reihe von edlen Namen verzeichnet stand und die man bei der Verhaftung des Sir John Fenwick gefunden hatte, in königlicher Weisheit und Nachsicht dem Feuer übergab, mit der Erklärung, er wolle nicht wissen, wer die übrigen Verschwörer gewesen. Als Lord Castlewood das hörte, schwor er einen strengen Eid, daß er, so wahr ihm der Himmel helfen möge, nie wieder an irgendeiner Unternehmung teilhaben wolle, die sich gegen diesen tapferen und großmütigen Fürsten richte. Das gab er damals auch Holt zu verstehen, als der unermüdliche Priester ihn besuchte, um ihn in eine neue Verschwörung zu verwickeln. Mylord sprach seitdem von König Wilhelm nur noch als von dem weisesten, tapfersten und größten Manne, und er hatte recht damit. Lady Esmond aber sagte, sie könne dem König nicht verzeihen, daß er seinen Schwiegervater des Thrones beraubt habe und daß er seiner Frau, der Prinzessin Marie, nicht treu sei. Tatsächlich, ich glaube, wenn Nero wieder auferstände, König von England würde und dabei ein guter Familienvater, so würden die Damen ihm alles andere verzeihen. Mylord lachte über die Einwände seiner Frau; die Fahne der Tugend behagte ihm nicht sehr.

Die letzte Unterredung zwischen Herrn Holt und dem Grafen fand statt, als Harry seine ersten Universitätsferien zu Hause verbrachte. Er sah seinen alten Lehrer nur eine halbe Stunde lang und wechselte kein Wort mit ihm allein. Die Unterhaltung mit dem Grafen aber, welcher Art sie nun auch gewesen sein mag, hatte diesen sehr verstört, so sehr, daß seine Frau und sein junger Verwandter seine Unruhe bemerken mußten. Als Holt fort war, schnauzte er Esmond heftig an und behandelte ihn gleich darauf mit der größten Rücksichtnahme. Er vermied die Gesellschaft und die Fragen seiner Frau, warf auf seine Kinder Blicke der Sorge und Angst und murmelte dumpf: »Arme Kinder – arme Kinder!« so daß die, deren Aufgabe es war, für sein Wohlergehen zu sorgen, in ernstliche Besorgnis gerieten. Jeder hatte für den Trübsinn des Grafen eine andere Deutung.

Mylady sagte mit grausam bitterem Lachen: »Ich glaube, die Person in Hexton ist krank oder hat ihm eine Szene gemacht.« Denn Mylords Vernarrtheit in die Frau Marwood war nur zu gut bekannt. Der junge Esmond fürchtete eher für die Vermögenslage, in deren Stand er eingeweiht war; er wußte, daß die Ausgaben immer größer waren als die Einnahmen, und nahm an, das hätte Lord Castlewoods Unruhe verursacht.

Einer der Gründe von Mylords besonderer Gunst für den jungen Esmond war eine unbedeutende Begebenheit; wir haben sie darum noch nicht erwähnt, aber sie war ein sehr glücklicher Zufall in Harrys Leben. Wenige Monate nach der Ankunft Mylords in Castlewood – es war im Winter, und sein kleiner Sohn trabte noch im Röckchen umher – geschah es, daß das Kind nach dem Essen bei seinem Vater war. Dieser nickte über dem Wein ein und bemerkte nicht, daß der kleine Frank zum Feuer kroch. Esmond wurde von seiner Herrin ausgeschickt, um den Knaben zu holen, und das Glück wollte es, daß er gerade in dem Augenblick ins Zimmer trat, als der Kittel des schreienden kleinen Buben zu brennen anfing. Esmond stürzte vorwärts, riß dem Kind das Kleid vom Leibe und verbrannte sich die Hände, während der Unfall den Kleinen mehr erschreckt als verletzt hatte. Wäre nicht ein entschlossener Mensch ins Zimmer gekommen, so wäre das Kind wahrscheinlich verbrannt, denn Mylord schlief nach dem Trinken sehr fest, und wenn er aufwachte, so war sein Kopf nicht klar genug, um einer Gefahr zu begegnen.

Der Vater erging sich in lauten Selbstvorwürfen und nannte sich einen betrunkenen Taugenichts, Esmond aber nannte er einen Helden und dankte ihm für den geringfügigen Dienst mit der herzlichsten Zuneigung. Harry wurde ein Glied der Familie; seine Brandwunden wurden von Mylady mit der größten Sorgfalt gepflegt, und sie sagte, der Himmel habe ihn gesandt, um ein Beschützer ihrer Kinder zu sein, und sie werde nie aufhören, ihn liebzuhaben.

Obwohl die Ermahnungen des Dechanten Armstrong bei ihm auch ins Gewicht fielen, so war es doch mehr diese große Liebe und Zärtlichkeit, die Harry zu dem Glauben der Familie und seiner teuren Herrin führte, dem er seither treu geblieben ist. Zwar rühmte sich Doktor Tusher, diese Bekehrung verursacht zu haben; aber die Verachtung für diesen Herrn war schon in seinen jungen Tagen bei Harry Esmond so groß, daß ihm jede Wahrheit fraglich erschienen wäre, die Tusher ihn etwa hätte glauben machen wollen.

Mylady trank selten Wein, nur bei gewissen festlichen Gelegenheiten, wie Geburtstagen (der arme Harry hatte niemals einen) und Jahrestagen, verstand sie sich zu einem Glas. Ein solcher Tag war der 29. Dezember. Am Ende dieses Jahres 1696 nun, etwa vierzehn Tage nach Herrn Holts letztem Besuch, befahl Mylady nach Tisch ihrem Diener, ihr ein Glas Wein zu bringen. Sie sah ihren Gatten, der noch immer trüben Sinnes war, mit einem sanften Lächeln an und sagte:

»Mylord, wollen Sie nicht auch einen Becher füllen und mich eine Gesundheit ausbringen lassen?«

»Was für eine Gesundheit, Rachel?« fragte er und hielt sein leeres Glas zum Füllen hin.

»Es ist heute der 29. Dezember«, sagte Mylady mit einem Blick voll Liebe und Dankbarkeit, »und mein Trinkspruch heißt Harry – Gott segne ihn, der meinem Knaben das Leben rettete!«

Mylord sah Harry scharf an und trank das Glas aus; dann setzte er es hart auf den Tisch, stand stöhnend auf und verließ das Zimmer. Was war mit ihm? Wir wußten alle, daß ein großer Kummer auf ihm lastete.

Ob Mylord durch kluges Haushalten reicher geworden war oder ob er Erbschaften gemacht hatte, die ihm erlaubten, einen größeren Aufwand zu treiben, das wußte Harry Esmond nicht. Er wußte nur, daß die Mittel nicht einmal für den früheren sparsameren Haushalt ausgereicht hatten, und sah, daß man jetzt auf viel größerem Fuße lebte als in den ersten Jahren von Mylords Herrschaft. Es waren mehr Pferde im Stall, mehr Diener im Schloß, mehr Gäste kamen und gingen als früher, wo man es bei sorgfältigster Sparsamkeit schwer genug gefunden hatte, das Haus standesgemäß zu führen. Es war ersichtlich, daß viele von den neuen Bekanntschaften wenig nach Myladys Sinn waren; nicht daß sie es an Höflichkeit gegen irgendeinen Sterblichen fehlen ließen, aber es waren Menschen, die ihr nicht willkommen waren und deren Gesellschaft eine so gebildete und zurückhaltende Frau für ihre Kinder nicht wünschenswert finden konnte. Es kamen angetrunkene Gutsbesitzer aus der Umgegend, die unter ihren Fenstern sangen und schrien und sich an Mylords Punsch und Bier noch völlig betranken. Es kamen Offiziere aus Hexton, von denen der kleine Lord Flüche und Reden zu hören bekam, welche die empfindsame Mutter für ihren Sohn zittern ließen. Esmond versuchte sie zu trösten. Er erzählte ihr von seinen Erfahrungen auf der Universität, sagte ihr, daß jeder Mann einmal früher oder später in solche Gesellschaft komme und daß es nicht viel ausmache, ob er solche Reden zuerst mit zwölf oder mit zwanzig Jahren höre, ja, daß im Gegenteil die Knaben, die zu lange an der Mutter Schürze hingen, meist die wüstesten Gesellen würden. Wegen ihrer Tochter war Lady Castlewood in noch größerer Angst. Die Nachsicht des Vaters gegen die kleine Beatrix und die Gesellschaft, in die der sorglose Herr sie brachte, schienen ihr große Gefahren. Wir müssen zugeben, daß Mylord, besonders seit dem Ausbruch der unseligen häuslichen Zwistigkeiten, im Ärger eine zu heftige Sprache mit den Kindern führte und bei guter Laune zu vertraulich, um es nicht derb zu nennen, mit ihnen verkehrte.

Nicht weit von Castlewood liegt das Schloß Sark. Dort lebte die Marquise von Sark, die als Mätresse des verstorbenen Königs Karl bekannt war. Mylord bestand darauf, in diesem Haus, wo allerdings ein großer Teil des Landadels aus und ein ging, nicht nur selbst zu verkehren, sondern er führte auch Sohn und Tochter dort ein und ließ sie mit den Kindern des Hauses spielen. Den Kindern mißfiel das keineswegs; denn die Haushaltung war glänzend, und sie wurden freundlich genug willkommen geheißen. Aber Mylady meinte – wahrscheinlich mit Recht –, daß die Kinder einer solchen Mutter wie Lady Sark keine gute Gesellschaft für ihre Kinder seien. Sie verschwieg Mylord ihre Ansicht nicht; seine Sprache, wenn man ihm in den Weg kam, war nicht die mildeste. Kurz, es gab einen Streit, wie es schon manchen über andere Dinge gegeben hatte. Mylady mußte nachgeben, denn Mylords Wille war Gesetz. Sie konnte nicht einmal mit den Kindern über ihr Mißfallen an diesen Besuchen sprechen, weil sie zu jung waren, sie zu verstehen. Sie fühlte sich zu allem andern heimlich gedemütigt, sie selig von ihren Freunden zurückkehren zu sehen, beladen mit Geschenken und erpicht auf die Erlaubnis, die Stätte solcher Wonnen, wie das Schloß Sark sie barg, bald wieder aufsuchen zu dürfen. Dabei wurde die Gesellschaft dort mit jedem Jahr gefährlicher für ihre Tochter; denn Beatrix wuchs aus einem Kind zur Frau heran, und mit ihrer Schönheit wuchsen so manche Fehler ihres Charakters.

Harry Esmond mußte einen der Besuche miterleben, welche die alte Lady Sark der Lady auf Schloß Castlewood machte. Sie kam in Gala, mit sechs kastanienbraunen Pferden, die himmelblaue Federbüsche trugen, mit einem Vorreiter und bewaffneten Dienern zu Pferde; auf jedem Wagentritt stand ein Page. Wäre es nicht qualvoll gewesen, Myladys Ausdruck zu sehen, so hätte man viel Vergnügen an der Begegnung der beiden Feindinnen haben können – die eisige Geduld der jüngeren Dame, die unverwüstliche gute Laune der älteren, die jede Kränkung übersah, die ihre Rivalin ihr bereiten wollte, die nicht aufhörte zu lächeln und zu lachen, mit den Kindern spaßte, jedermann Komplimente machte und Hunde, Tische und Stühle, ja alles in Castlewood ihrer Bewunderung wert fand. Sie lobte die Kinder und wünschte, wozu sie allen Grund hatte, ihre eigene Familie wäre so gut erzogen wie diese beiden Engel. Sie habe nie eine so schöne Gesichtsfarbe gesehen wie die der lieben Beatrix; aber freilich, es sei kein Wunder, bei diesem Vater und dieser Mutter – Lady Castlewoods Teint sei ja von blendender Frische, und Lady Sark beseufzte, daß sie selbst nicht schön geboren sei. Als sie Harry Esmond bemerkte, sagte sie ihm mit bezauberndem, etwas abgestandenem Lächeln allerlei Schmeichelhaftes über seinen Witz. Sie behauptete, er stehe ihm auf der Stirn und in den Augen geschrieben, und schwor, ihn werde sie nie nach Sark einladen, ehe ihre Tochter nicht aus dem Wege sei.


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