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4. Auf dem Saltholm

Gleich nach der Landung begaben wir uns nach der schönen blühenden Wiese, die wir bereits vom Wasser aus gesehen hatten. Sie war vom Meeresstrand nur einige Schritte entfernt und dehnte sich bis zum Rande eines kleinen Wäldchens.

Es war ein höchst eigenartiges Gefühl, das uns zwei Knaben beschlich, als wir so ganz allein dies einsame, verlassene Eiland mitten im Meere betraten.

Kein Laut regte sich: es war fast unheimlich still, und doch so seltsam feierlich.

»Du glaubst also wirklich, Valdemar, daß keine Menschen hier sind?« fing ich endlich zu sprechen an.

»Nein, es wohnt niemand hier, Nonni. So habe ich wenigstens gehört. Man sieht ja auch gar kein Zeichen von Menschen, weder Häuser noch Hütten.«

»Das ist aber merkwürdig, Valdemar. Es wäre doch wunderschön hier zu wohnen in dieser Einsamkeit mitten im Meere! Warum baut sich denn kein Mensch hier ein Haus? Das könnte man doch ganz gut!«

»Den Grund weiß ich nicht genau, Nonni. Aber ich habe gehört, daß einmal eine Familie hier gewohnt hat. Da kam unerwartet eine Hochflut und überschwemmte die ganze Insel. In den Wellen ist dann alles ertrunken, Menschen und Tiere. Und seit der Zeit hat niemand mehr hier wohnen wollen.«

»O, dann verstehe ich es, Valdemar. – Aber hast du nicht gesagt, es seien Schafe hier auf der Insel?«

»Ja, das habe ich immer gehört: das heißt, man läßt sie hier nur während des Sommers auf die Weide gehen. Vor dem Herbst, wenn es wegen der Hochfluten gefährlich wird, werden sie wieder weggeholt.«

So gingen wir plaudernd über die blühende Wiese bis hin zu dem kleinen Wäldchen. Am Rande blieben wir stehen und horchten. Plötzlich glaubte ich irgendwo ein Geräusch zu vernehmen. Doch ich konnte nichts sehen. Aber ich bekam einen erschrecklichen Einfall:

»Meinst du nicht, Valdemar«, sagte ich leise, daß vielleicht Räuber oder Geächtete hier sein könnten wie auf den isländischen Bergen?«

Valdemar fuhr zusammen. Er schaute mich ängstlich an. »Was sollen wir dann machen?« fragte er. »Wollen wir nicht lieber wieder umkehren?«

Es tat mir leid, daß ich den kleinen Jungen so erschreckt hatte. Um ihn wieder aufzumuntern, sagte ich:

»O, das ist nicht immer so schlimm mit den Geächteten; sie sind nicht alle böse.«

»Glaubst du?«

»Ganz sicher, Valdemar. Ich bin einmal mit meinem kleinen Bruder Manni in die Höhle eines Geächteten gekommen, der war sehr gut mit uns. Er gab uns zu essen und zu trinken und zeigte uns dann wieder den Weg nach Hause.«

Valdemar beruhigte sich damit. Wir gingen nun langsam weiter, durch das kleine Wäldchen hindurch. Es bestand nur aus wenigen Bäumen und niedrigem Gebüsch.

Valdemar meinte, wir würden nun bald jenseits der Insel sein, denn der Saltholm sei ja nur ein schmales Stück Land im Meere.

Doch auf der andern Seite des Wäldchens lag wieder eine kleine Wiese, und dann kamen noch einmal Bäume und Gebüsch.

Das Ufer war noch nicht da. Wir hatten jetzt aber schon größeren Mut und gingen rasch auch in das zweite Wäldchen hinein. Als wir hindurch waren, blieben wir auf einmal voll Verwunderung stehen. Gerade vor uns nämlich, an einer kleinen saftiggrünen Niederung, sahen wir eine Herde von Schafen und ein wenig weiter – das Meer!

»Da sind ja die Schafe!« rief Valdemar freudig aus, indem er mit der Hand nach den Tieren zeigte. – »Und dort, Nonni, weit drüben über dem Meer, sieht man die schwedische Küste!«

Ich betrachtete sofort genau die ganze Schafherde. Dann sagte ich:

»Die Schafe müssen Milch haben! Ganz sicher, Valdemar! Ich sehe es deutlich, es sind Milchschafe dabei! Da fangen wir einige und melken sie! Dann haben wir beim Mittagessen etwas Feines zu trinken!«

»O ja, Nonni, das wollen wir tun! – Glaubst du aber, daß die Schafe sich fangen lassen?«

»Das wird schon gehen, Valdemar, wenn wir es nur richtig anstellen.«

»Und wo wollen wir dann unser Essen kochen?«

Statt zu antworten blickte ich ein wenig umher. Da entdeckte ich, nahe am Strand, eine kleine Erhöhung, die einer Hütte aus Holz sehr ähnlich sah.

»Siehst du die Hütte dort, Valdemar?« sagte ich.

Valdemar schaute hin. – »Wahrhaftig!« rief er aus, »da scheint wirklich ein kleines Häuschen zu sein. Also müssen doch Menschen hier wohnen.«

Wir ließen vorläufig die Herde in Ruhe und liefen zum Strand hinunter. Als wir zu der Hütte kamen, sahen wir sogleich, daß niemand darin wohnte. Sie war äußerst ärmlich aus alten Brettern zusammengefügt. Auch war keine Tür da, sondern nur ein offener Eingang.

Wir traten hinein. Der Boden des Häuschens bestand aus nackter Erde. In einer Ecke lagen alte Planken und Pfähle, ein ganzer Haufen. Auch die Tür lag dazwischen. Sie war also vom Eingang weggenommen worden.

Weiter fanden wir einige Werkzeuge, Spaten und Schaufeln, einen Hammer und viele verrostete Nägel. Gegen die eine Wand war eine kleine Leiter gelehnt.

»Uh! hier möchte ich nicht wohnen«, sagte Valdemar. »Du, Nonni?«

»Nein, ich auch nicht. Da wird wohl überhaupt nie jemand wohnen. Die Hütte wird von den Leuten sein, denen die Schafe gehören, und diese Leute kommen wohl selten hierher, drum ist alles so verwittert und verfallen.«

Wir traten wieder ins Freie hinaus und schauten nun über das Meer nach Schweden hinüber.

Jetzt konnten wir die schwedische Küste schon gut sehen; auch die Stadt Malmö schien uns viel näher gerückt zu sein. Aber das kam hauptsächlich von der klaren, durchsichtigen Luft. Bis nach Schweden war in Wirklichkeit noch ein weiter Weg, gewiß fünfzehn bis zwanzig Kilometer.

»Wo sollen wir nun aber unsere Mahlzeit halten?« fragte wieder der Kleine.

»Das machen wir gleich hier, Valdemar. »Ich glaube, hier können wir am besten unsere Sachen kochen. Hier ist ja trockenes Holz im Überfluß. Und dann sind wir auch ganz nahe bei den Schafen und können uns Milch bei ihnen holen.«

Valdemar war sofort damit einverstanden. Es fehlte uns aber jetzt der Proviant und der Kochapparat. Die waren noch in unserm Boot.

Wir liefen also schnell wieder quer durch die kleine Insel bis zum jenseitigen Ufer zurück.

Hier war nun etwas Sonderbares geschehen: Wir fanden unser Boot fast ganz im Wasser liegen, obgleich wir es halb aufs trockene Land hlnaufgezogen hatten!

»Das ist aber merkwürdig«, sagte Valdemar. »Wie kommt es denn, daß der Kahn so im Wasser liegt? Das Ufer ist doch ganz flach!«

»Ich verstehe das auch nicht, Valdemar.«

»Und denk dir, Nonni, wenn er erst ganz vom Lande fortgeschwommen wäre!«

»O Gott, dann hätten wir ja das Boot und alle unsere Vorräte verloren!« rief ich aus; »und wir hätten nicht mehr von der Insel fortkommen können!«

Der bloße Gedanke hieran versetzte uns in Furcht und Schrecken.

Aber wir konnten gar nicht begreifen, was hier vorgegangen war. Das Boot konnte doch unmöglich von selbst ins Wasser hineingeglitten sein! – »Am Ende ist ein böser Mensch da gewesen und hat es ins Wasser hineingestoßen«, bemerkte ich.

Valdemar meinte, das könne nicht sein, denn auf dem Saltholm seien ja gar keine Menschen.

»Dann ist es vielleicht ein Gespenst gewesen«, antwortete ich halb lachend und noch halb erschreckt.

Der kleine Valdemar schaute mich betroffen an. »Du lachst immer, Nonni«, sagte er. »Es könnte aber doch sein, daß die Insel verhext ist.«

»O nein, Valdemar, das mußt du nicht glauben! Ich habe nur Spaß gemacht. Die Gespenster gehen doch nicht am hellen Tage umher!«

Wieder warf mir Valdemar einen fragenden Blick zu: »Aber in der Nacht, Nonni?«

»So heißt es, aber auch nur in den Spukgeschichten. Ich glaube nicht daran, Valdemar. Komm, wir wollen jetzt unser Essen und den Kochapparat mitnehmen.«

Der Kleine sprang ins Boot und holte die Sachen ans Land heraus.

Indessen fiel mir aber ein neuer Plan ein. Ich sagte zu Valdemar:

»Wart ein wenig? ich glaube, wir wollen es anders machen. Wir fahren lieber mit dem Kahn um die Nordspitze der Insel herum und landen auf der andern Seite bei der Holzhütte. Dann haben wir gleich den Kahn in unserer Nähe.«

Das schien sofort auch Valdemar das beste zu sein. Er sprang mit all den Sachen wieder ins Book zurück und ich ihm nach. Wir nahmen die Ruder und fuhren, so schnell wir konnten, dem Strande entlang um die nördliche Spitze der kleinen Insel herum bis dahin, wo die Hütte stand.

An einer sanft ansteigenden Stelle, die wir bald gefunden hatten, landeten wir und zogen den Kahn so weit wie möglich aus dem Wasser aufs Land hinauf.

Das war eine schwere Arbeit. Doch mit vereinten Kräften gelang es uns, ihn fast ganz auf den trockenen Sand zu bringen.

»Nun ist er aber weit genug heroben!« meinte Valdemar; »jetzt kann er gewiß nicht mehr von der Stelle!«

Ich wollte aber diesmal doch vorsichtig sein. Ich nahm ein Ruder, bohrte es in den Sand hinein und band den Kahn daran fest. – »So, jetzt wenn er noch einmal forkkommt«, sagte ich lachend, »dann müssen entweder Menschen oder Gespenster hier sein.«

Nachdem wir das Boot auf diese Weise »verankert« hatten, trugen wir unsere Vorräte zum grünen Rasen bei der Hütte und holten dann einige flache Steine vom Meeresstrand herbei. Die sollten uns als Tisch und Teller dienen. Statt auf einen Stuhl setzten wir uns ins weiche Gras nieder.

Es wurde nun der Proviant ausgepackt und die Spirituslampe angezündet. Den kleinen Kochkopf füllten wir mit etwas Fleisch und Gemüse, taten frische Butter hinzu und stellten ihn über die Flamme.

Als es in dem Topf zu summen und zu kochen anfing, rührten wir mit einem kleinen Löffel um, und so war das erste Gericht bald fertig.

Von der duftenden warmen Speise bekam jeder seinen Teil auf einen reinen flachen Stein vorgesetzt.

Wir waren jetzt ganz lustig geworden und ließen uns das selbstbereitete Mahl vortrefflich munden. Es schmeckte uns so gut, daß wir unsern kleinen Kochtopf wiederholt füllen und leeren mußten, bis wir endlich satt waren.

Eines jedoch hatten wir zu spät bedacht: von dem stark gewürzten Fleisch und Gemüse bekamen wir beide einen gewaltigen Durst, und wir hatten nichts zu trinken bei uns.

Wir standen also auf und suchten nach Wasser. Aber es war keines da. Weder Bach noch Brunnen war hier zu finden.

Wohl entdeckten wir in der Nähe der Schafherde einen kleinen Wassertümpel. Doch das Wasser darin war nicht zu genießen; es war wie von einer dünnen, grünlich schimmernden Haut überzogen und wimmelte von einer Menge kleiner Tierchen.

»Da bleibt uns nichts anderes übrig«, sagte ich, »als daß wir einige Milchschafe einfangen und sie melken. Du wirst sehen, Valdemar, wie fein die Schafsmilch schmeckt!«

»Ja, aber glaubst du, Nonni«, wiederholte der Kleine, »die Schafe lassen sich auch wirklich von uns fangen?«

»Komm nur, das will ich dir gleich zeigen, Valdemar!«


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