Auguste Supper
Der schwarze Doktor
Auguste Supper

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9. Kapitel.

Eine kurze Zeit hienach stund ich am Tisch, mein Haar zu strählen und zu flechten, als der Magister in seiner eilfertigen Art hereintrat. Er rief meinen Vater aus der Kammer und setzte sich auf einen Schemel, indes er den Hund zu sich rief. Mein Vater trat heraus in Barett und Mantel, da sagte der Magister: »Doktor, so Ihr nur wissen wollt, was Neues und Gutes zu Würzburg vorgeht, so möget Ihr ruhig Euer Mäntelein an den Nagel hängen und Eure Nachtmütze aufsetzen, denn der Magister Lamprecht und sein Samuel können Euch alles haarklein berichten, ohne daß Ihr einen Fuß rührt.«

Mein Vater warf das Barett auf den Tisch und setzte sich ebenfalls nieder, indes er erwiderte: »Was habt Ihr auf dem Herzen, Magister?«

Das Männlein streichelte immerzu des Hundes Kopf und sahe nicht auf, während er sprach: »Auf dem Herzen liegt mir zumeist, daß mein Samuel ein schwacher und weibischer Kerl ist. Er sitzt droben vor seiner Hafersuppe und rührt sie nicht an, sieht aus wie der Kalk an der Wand und stößt schwere Seufzer aus. Und wisset Ihr, warum? Ihr ratet's nicht, Doktor! Nur weil er heut früh am Kanzleihöflein vorüberkam, da sie gerade den Ratzenstein, den jungen Edelknaben aus der Rittersgasse, vorbeitrugen.«

Mein Vater stieß einen erschrockenen Ton aus, ich aber frug: »Warum trugen sie ihn denn vorüber, und wohin?«

Der Magister lachte kurz auf: »Warum? Nun, weil einer, der den Kopf neben sich liegen hat, gewöhnlich nicht mehr gehen kann: und wohin? Ich denke, wohl auf den Anger vor dem Sandertor, wo die bischöflichen Bratröste errichtet sind.« 78

Mein Vater stund hastig auf und trat an Lamprecht her, indes er fragte: »Den jungen Knaben mit dem Blondhaar, der allezeit die zwei schönen Doggen mit sich führte?«

Der Magister nickte: »Denselbigen, Doktor! Und seine beiden Hunde haben sie ebenfalls geköpft, dieweil es teuflische Kreaturen gewesen sind, die ihrem Herrn zu willen waren bei all seinen höllischen Anschlägen.« Mein Vater stützte sich auf den Tisch und fragte: »Wisset Ihr vielleicht auch, in was die höllischen Anschläge bestanden?«

Der Magister kniff die Augen zu und entgegnete: »Natürlich weiß ich's: der Ratzenstein ging mit den zwei Hunden über die Brücke. Bei der dicken Hökerin kaufte er den Viechern ein groß Brot, und statt dem Weib in christlich würzburgischem Geld zu bezahlen, machte er ihr Hokuspokus über die ausgestreckte Hand, wofür zwei gute Zeugen da sind. Die Hökerin, die längst im Verdacht ist, lachte zu solchem Gebaren und ließ den lustigen Junker ziehen. Danach begegnete der höllische Bube dem langen Rupprecht, dem wackeren Mann. Der kann, wie Ihr vielleicht wißt, in den verborgenen Falten des Herzens lesen, und so vermeinte er auch, in dem jungen Knaben einen verfluchten Ketzer zu erkennen. Er rief den beiden Hunden zu: ›Such Luther, such Melanchthon!‹ Der Edelknabe aber schrie dagegen: ›Such Spion!‹ Und alsbald stürzten sich die beiden starken Tiere auf den Langen, daß er zu Boden fiel und erst mit des Junkers Hilfe wieder befreit ward. Solche und ähnliche Stücklein weiß Euch in Würzburg jedes Kind von dem jungen Ratzenstein zu erzählen, und es ist ein groß Glück, daß dieser Unhold nun aus dem Weg ist; ob sich gleich seine Mutter soll halb blind geweint haben in diesen Tagen.«

Die Männer schwiegen, mein Vater sahe finster vor sich hin und der Magister trommelte mit den Fingern auf des Hundes Kopf. Mir aber stieg in jener Stunde zum erstenmal ein dämmerig Ahnen auf von etwas Entsetzlichem, das über der Stadt lag. Der Magister trat jetzt mit meinem Vater ans Fenster hinüber, und die Männer redeten lange leise miteinander. Ich achtete dessen nicht, denn ich mußte immerzu an den gerichteten Knaben denken. Plötzlich hörte ich den Magister auf den Boden stampfen und zornig sagen: »Entweder, Doktor, 79 jetzt am Anger vor dem Sandertor vorbei, die Augen geradaus und Ansbach zu, oder in etlichen Wochen auf dem Anger den Stoß besteigen. Ein drittes gibt's für Euch nicht, wenn die Sache vor ein Tribunal kommt.«

Mein Vater machte eine Gebärde, als wollte er abwehren: »Laßt's nur kommen, Magister, wie es kommen muß. Philipp Adolfs schlecht Gewissen, das ihn nun jahrelang von mir fern hielt, wird inzwischen nicht besser geworden sein. Wenn aber, so ist der Ehrenberger derjenige, vor dem ich am wenigsten fliehen mag.«

Der Magister lachte und entgegnete: »Vom Gewissen erwartet Ihr etwas, Doktor? Ihr seid ein Kind! Es gibt kein bischöflich Gewissen, das stärker wäre denn die Bulle »Summis desiderantes«, die der achte Innocenz soll aus Dankbarkeit darüber erlassen haben, daß ihm zu Rom das siebente Kind glücklich geboren ward. Und es gibt kein richterlich Gewissen, das stärker wäre denn der Malleus maleficarum oder des Delrio Disquisitiones magicae, oder des wackeren Linsfeld wackeres Buch, oder eines Laymann, eines Remigius, eines Glanvil, eines Jacquier geistvolle Schriften. Wisset Ihr nicht, daß, wenn nur vollauf Gesetze vorhanden sind, der Richter des Gewissens leicht entbehren mag, dieweil es nichts gibt, das für einen Richter so vortrefflich, so nützlich und kommod wäre, denn das Bewußtsein, daß alles in bester Legalität zugehet.«

Ehe mein Vater darauf entgegnete, klopfte es stark am Haustor. Der Lamprecht schlüpfte hinaus, zu öffnen, mein Vater aber nahm sein Barett wieder vom Tisch, um seinen Gang zu machen. Da er mir eben die Hand hinreichte, sprang der Hund unter der Bank auf, also, daß er sie auf seinem Rücken hoch emporhob, und er fuhr gegen die offene Tür mit wütendem Bellen. Drei Männer standen im Flur und redeten mit dem Magister, mein Vater aber rief laut: »Zurück, Rupprecht!«

Als er des Hundes Namen hörte, lachte einer der Männer laut und fragte: »Ist des Bischofs langer Knecht Pate gestanden bei Eurem Vieh?« Mein Vater streichelte des Hundes schmal gewordenen Kopf und entgegnete: »Ihr habt's getroffen; aber ich bitte es ihm täglich ab, daß ich ihn also 80 geschändet.« Der Mann lachte noch lauter und fragte: »Den Knecht oder den Hund?« Aber mein Vater zuckte die Achseln.

Einer von den Dreien, ein kleiner Mann mit einem Kinn voll weißer Stoppeln, als hätten sie seit Wochen kein Schermesser gesehen, trat nun gegen meinen Vater hin und sagte mit einem bösen Grinsen: »Da Ihr Euch zum Fortgehen bereit machtet, Doktor Burkhard, darf ich wohl glauben, daß Ihr unser Kommen erwartet habt.« Mein Vater nickte und kehrte sich zu mir: »Lebe wohl, Renata, mein Kind! Ich gehe mit diesen Männern, es sind die Häscher des geistlichen Gerichts, wie man das erste Tribunal zu Würzburg dieser Tage nennt.« Indes ich vor Schreck schier erstarrete und mich am Tisch festhielt, schrie der Kleine mit dem Stoppelbart ärgerlich: »Ich gab Euch Euern Titel, Doktor, so möget Ihr mir den meinen auch nicht vorenthalten!« Da sagte mein Vater steif: »Ich gehe mit den beiden Häschern des geistlichen Gerichts und mit dem verpflichteten Notar Wolfgang Schilling.«

Ich schrie laut auf und hing mich an seinen Hals. Mein Vater preßte mich fest mit seinen Armen an sich und flüsterte: »Renata, kannst du nicht aufrecht bleiben? Nimmt dich der erste Windstoß schon mit fort?« Dann hörte ich ihn noch im Flur etwas zu Lamprecht sagen, hierauf ward alles still, und ich saß allein auf meiner zerwühlten Liegerstatt, verstört und erstarrt, als wäre ein böser Bann auf mich gefallen, der mir Leib und Seele gelähmt hätte. Und ich weiß nicht, wie lang ich also gesessen.

Um die Mittagsstunde kam der Magister zu mir und brachte zu essen: doch ekelte mir vor aller Speise; und ich nahm nichts. Er setzte sich mit einem schweren Seufzer auf meines Vaters Schemel und fuhr mit seinen gelbknochigen Fingern über den Tisch. Das sahe ich wie im Traum, auch daß er den Rupprecht an sich lockte und ihm das Fell streichelte. Nach einer langen Zeit fing er an, auf mich einzureden: »Nicht so, Jungfer Renata, nicht so!« Da lösete sich die Starrheit von meiner Seele und ich begann jämmerlich zu weinen.

Danach erzählte der Alte, daß die fremden Scharen bös in der Stadt hauseten. Zum Pleichertor herein ströme den 81 ganzen Morgen zusammengewürfelt, wild Volk, davor es dem Teufel grauen müsse. An der großen Glocke im Dom sei der Schwengel herabgefallen, da die Kapitulare wollten Sturm läuten lassen. In der Gasse bei St. Agneten habe ein Obrist des fremden Volks zwei Würzburger Stadtknechte Spießruten laufen lassen. In den Brunnen beim Ingolstädter Hof hatten die Banden zwei tote Pferde geworfen, und da die Bürger zusammengeeilt waren, das Aas herauszuschaffen, gab es ein solch bös Getümmel, daß zwölf Männer, darunter ein Vikar vom Neuen Münster, getötet wurden.

Wie der Alte von solchen Greueln berichtete, war es mir fast eine grimme Freude. Ich hörete auf zu weinen und hätte mögen noch viel schlimmere Dinge erlauschen, denn es wollte mir dünken, als habe die Stadt Würzburg zusamt ihrem Fürsten dies alles reichlich verschuldet an meinem Vater. Erst, da der Magister versprach, zu mir zu halten in meiner Verlassenheit, wie ihn mein Vater im Flur noch gebeten habe, – erst da kam mir wieder das Gedenken an mein bitter Elend, also, daß ich fast zusammenbrach.

Der alte Mann wußte nicht, wie er sollte mich schluchzend Mägdlein zurechtbringen; er fing wieder an zu erzählen von den Schrecknissen der Zeit, und ich merkete wohl seinen Haß gegen den Bischof, von dem er sagte, daß er in diesen Tagen mehr denn zwanzig Würzburger Bürger und Bürgersweiber gefangen wegen Verdachts der Hexerei und Zauberei.

Ich fragte in völligem Entsetzen: »Ihr glaubet doch nicht, Herr, daß mein Vater zu diesen gesellet wird, ist es doch nur um seines Glaubens willen, daß er eingezogen ist.«

Des Alten faltig Gesicht verzerrete sich in bösem Hohn und er sprach: »So feine Unterschiede werden zu Würzburg nicht gemacht, Jungfer. Ich wette, es ist unter den Unholden mancher, gegen den nicht halb so viel vorliegt, denn gegen Euren Vater.«

Da sprach ich in unsäglicher Angst: »Aber mein Vater hat doch gelebet als ein überaus stiller Mann, den nichts zu Würzburg bekümmerte, denn die Not der Elenden.« Der Magister lachte laut und entgegnete: »Ich weiß einen, der war viel tadelloser, denn der schwarze Doktor, und ist doch am Kreuz 82 gehangen. – Das macht es nicht, Jungfer, so wenig als ein Lämmlein um seiner Sanftmut willen unter den Wölfen sicher ist. So man die böse Frucht nicht an Eurem Vater findet, so findet man doch sicher die böse Wurzel in ihm, und es werden die Richter sich's zum besonderen Verdienst machen, die Wurzel zu zerstören, ehe sie Früchte treibt.« Ich ballte meine Hände in Grimm und Schmerz und sagte: »Fluch solchen Richtern!« Der Magister sahe vor sich hin und nickte: »Jetzt fluchet Ihr, seitdem Euer Vater unter der Rute ist – zuvor aber rühmtet Ihr die strenge Justiz. Das ist so der Gang der Dinge zu Würzburg.«

Ich schämte mich, da ich meines vormaligen Eifers gedachte, und sprach: »Herr, das ist doch ein ander Ding mit meinem Vater.«

Der Magister stund auf und trat vor mich hin, indes er mich finster betrachtete, und er sagte: »Allemal ist's ein ander Ding, so es uns angehet, denn so es den lieben Nächsten betrifft. Was saget Ihr dazu, Jungfer: den roten Sebastian, den Henker, habe ich mit meinen eigenen Ohren zu einem Jesuiten sagen hören, so er die löbliche Folter nicht hätte, wüßte er nicht, wie den verschrienen Weibern möchte beizukommen sein. Mit einem Paar Daumenschrauben und einem guten Bock aber getraue er sich, jeden, und wenn es der Papst wäre, zum Hexenmeister zu stempeln.«

Als ich mich über solche Worte entsetzete, fuhr der Magister fort: »Ihr sehet schlimm aus im Gesicht, Jungfer; da wird es Euch vielleicht ein Trost sein, zu hören, daß der Jesuit erwiderte: ›Es ist die Folter nicht stärker denn ein brünstig Gebet, darum, Meister, indes Ihr mit Torquiieren die Schuld suchet, müssen die Beisitzer, die Priester und zuvörderst der peinlich Befragte mit gläubigem Gebet nach der Unschuld suchen.‹«

Ich sprach zu dem Magister: »Schweiget, schweiget Herr, ich kann nicht glauben, was Ihr mit Euren Worten sagen wollt!«

Das Männlein lachte und erwiderte: »Ihr könnt's nicht glauben, Jungfer, daß Gott der Herr auch gelästert wird mit Beten und frommen Worten, und daß keine Scheußlichkeit so 83 groß ist, daß man nicht den lieben Gott noch darunter hineinbringen könnte. Machet nur Eure jungen Ohren und Augen auf, so werdet Ihr zu Würzburg allerlei glauben lernen.« Danach ging der Magister und ich blieb allein in meiner großen Not. Wie sich der Tag in Dämmerung verkehrete, war es mir unmöglich, länger in meiner Kammer zu sitzen. Ich nahm ein Tuch, meinen Kopf darein zu hüllen, und schlich leise fort, damit mich der Lamprecht oder sein Knecht nicht hören und aufhalten möchten. Den Rupprecht mußte ich zu Hause lassen, denn dazumal fingen sie zu Würzburg die Hunde ein, sie zu verzehren, weil die Hungersnot überhand nahm. Das klare Wetter der letzten Wochen hatte sich mit einemmal geändert. Wie ich so dahinschritt, pfiff ein scharfer Wind über den Main her, und der Himmel hing schwarzgrau über der Stadt, und es war mir, als müßte es also sein und bleiben. Ich ging gegen die Saalgasse, ob ich nicht Ursula erspähen möchte. Es war dort außen gar still und die Leute schlichen bedrückt aneinander vorüber; aber von der inneren Stadt her klang oft ein dumpfer Lärm, lauter denn das Rauschen des Mainwehrs. Ob die Dunkelheit gleich rasch zunahm, hatte ich doch keine Furcht, dazu war allzuviel Jammer über mich gekommen. Nahe an der neuen Mühle war ein freier Platz. Man hatte dort auf des Bischofs Geheiß zwei elende Häuslein abgebrochen, und der Schutt lag noch umher. Dort stand eine Wache von der städtischen Wehr, daß sie die Brücke, das Tor und die Mühle hüten möchte. Ein Mann in einem zerlumpten Kittel ging nahe an mir vorüber und rief gegen die Soldaten hin: »Ei, ihr sollt wohl sorgen, daß das Gesindel dort drüben hübsch beieinander bleibt und der Stadt Würzburg nicht allzufrüh den Rücken kehrt?« Da sah ich, wie einer von den Konstabel den Kopf hob und etwas zu seinen Gesellen sagte. Danach schüttete dieser Pulver auf die Ladschaufel, eine Kartaune, die daneben stund, zu laden. Aber kaum hatte der unselige Mann die Ladung in das Stück hineingeschoben, so erfolgte ein böser Knall, und die zwei Konstabel, die den Zerlumpten hatten schrecken wollen, wälzten sich in ihrem Blut, indes der Bedrohte über die Brücke rannte. Voll Grauen und Schrecken lief ich weiter. Bald fing es an zu regnen, eisig kalt und in feinen Tropfen, 84 die mir auf die Haut gingen. Ich war bis an St. Burkhard gekommen. Dort schlüpfte ich hinein und schlich an einen der Altäre, ganz heimlich und scheu wie eine, die kein Recht hat. Dieweil der schneidende Wind und das eisige Geriesel hier nicht eindrangen, erschien es mir in der Kirche warm und auch die Stille und Dunkelheit tat mir wohl. Ich wollte beten und mein bitter Elend Gott hinlegen; doch fand ich keine Worte, hatte auch kein Vertrauen, das mich hätte stark machen können, sondern mein gemartert Herz war nur ein einziger jammervoller Schrei nach einem, der retten und helfen möge. Es kam mir die ganze Welt geschändet, zerrissen und gequält vor; der Höchste schien mir so fern und ein Beten mit gesprochenen Worten sinnlos, nichtig und ohne Zweck. Ohne Trost ging ich davon und lief heimwärts und fand den Magister unter der Tür meiner harrend. Ich sah, daß er mir zürnte ob meines Davongehens, doch sagte er kein Wort. Danach brachte mir der Knecht eine Suppe von Hafermehl. Ich wärmte meine erstarrten Finger an dem Schüsselein und gab die Suppe dem Hund, der winselnd vor mir stund; ich selbst vermochte nicht zu essen. Am selbigen Abend zündete ich die Ampel nicht an, sondern setzte mich auf meines Vaters Schemel und lauschte dem Plätschern des Regens und dem dumpfen Lärm aus der Stadt. Da klopfte es an den hinteren Laden der Kammer, wo das Fenster gegen den Maindamm hinausging. Ich glaubte, daß ich des Windes Geräusch vernommen hätte und blieb sitzen; aber das Pochen ward stärker. Rupprecht, der schon lange geknurrt hatte, fuhr mit jähem Bellen gegen die Kammer und ich wehrte mich einer schweren Angst.

Der Magister, der des Hundes Bellen vernommen hatte, kam herunter und trat an den Laden. Es war am Abend gegen sieben Uhr und pechschwarze Nacht. Eine Stimme hörete ich fragen: »Wohnt allhier der Doktor Burkhard?«

Das Männlein gab nicht Antwort, sondern fragete leis dagegen: »Wer seid Ihr?« Da klang es: »Ein Freund, der Botschaft bringt.«

Als ich dies hörete, konnte ich mich nicht halten, sondern lief an das Fenster, den Boten zu sehen; doch war es so dunkel, daß ich nur eine hohe, vermummte Gestalt gewahr 85 ward. Mein Herz begann zu schlagen, als müßte es zerspringen, und ich wußte, daß außen der Domherr Wolf Dietrich von Schaumberg stund. Der Magister schob mich zur Seite und sagte zu dem Vermummten: »So Ihr ein Freund seid, möget Ihr wohl durch die Tür kommen.« Aber der draußen entgegnete mit einem leisen Lachen: »Weil ich ein Freund bin, komm ich verstohlen und nächtlicherweile; es ist manches verkehrt in der Welt. Doch möget Ihr mir auftun, so Ihr allein seid und niemand mich eintreten sieht.«

Der Magister ging, aufzumachen, indes ich die Läden schloß und die Ampel mit zitternden Händen zu entzünden mich mühete.

Nach einer kleinen Zeit stund der hohe Mann auf der Schwelle unserer Tür, und das flackernde Licht fiel auf sein bleich und finster Gesicht, über das der Regen rieselte, trotz der schwarzen, großen Mantelkapuze. Ich starrte ihn an und schirmte mein Licht in der Hand, denn der eisige Wind drang mit dem Manne herein und drohete, die Flamme zu löschen. Der Magister verschloß wieder die Haustür und folgte dem Gast in die Stube. Wie der Domherr des Männleins gewahr ward, sahe ich ihn erschrecken, und er fragete: »Ihr seid doch nicht der Doktor Burkhard, der schwarze Doktor, den ich aufsuchen wollte?«

Der Alte schüttelte den Kopf: »Nein, den werdet Ihr wohl schwerlich in der nächsten Zeit in dieser Behausung treffen – der ist seit heute früh im Kanzleihöflein.«

Da blickte der Domherr erschrocken auf mich und fragte in Hast: »Schon eingezogen?« Ich nickte und konnte nicht reden.

Der Magister trat zu mir her und legte seine Hand auf meinen Arm, indes er sagte: »Jungfer Renata ist aber darum nicht ohne Schutz, solange der Magister Lamprecht einen Odem in seiner Brust hat.« Dabei sahe er den Domherrn an, als wolle er ihn warnen. Wolf Dietrich stund eine gute Zeit stumm und regungslos, als hätte ihn der Schrecken übermannt; dann streifte er die triefende Kapuze zurück und ließ sich auf die Bank fallen, die nahe an der Tür stund. Der Wind heulte und rüttelte an Türen und Läden, die Ampel qualmte, und vor des 86 nächtlichen Gastes Füßen sammelte sich eine Pfütze des Regenwassers, das aus seinen Kleidern trof. Der Magister lehnte an meiner Bettstatt und ich stund und vermeinte einen bösen Traum zu träumen, so schnell war alles anders geworden, denn es gestern noch gewesen war.

Der Domherr wandte sich an den Alten und fragte: »Wer hat den Doktor in Haft genommen?« Der Magister entgegnete: »Der verpflichtete Notar Wolfgang Schilling, das wackere Knechtlein Sr. Gnaden und des Domkapitels.« Wolf Dietrich nickte und sprach: »Also richtig wegen Verdachts der Zauberei und des Teufelsumgangs!«

Der Magister trat vor den Gast hin und sagte scharf: »Natürlich darum; habt Ihr schon einmal gehöret, daß man zu Würzburg einen Ketzer um anderer Ursach willen in Haft genommen hätte? Der Jesuit Delrio hat es nicht umsonst gelehret und bewiesen, daß der Protestantismus die Länder mit Hexen fülle.«

Der Domherr hob sein bleich Gesicht zu dem Männlein empor und sprach: »Ich höre den Grimm in Eurer Rede; aber ich kann Euch erwidern, daß in den lutherischen Ländern die Stöße ebenso hell, wo nicht noch heller brennen.«

Da trat der Lamprecht wieder zurück und entgegnete:

»Das kann ich Euch leider nicht streiten. Zu Würzburg brennt Philipp Adolf aus Haß, anderwärts brennen die Lutherischen aus Dummheit; was aber dabei herauskommt ist das gleiche, nämlich ein klein Häuflein grauer Asche und ein großer Berg unsäglichen Jammers.«

Der Domherr entgegnete düster: »Ja, es gehet eine finstere Macht um in der Welt, und der Kampf, den man dagegen führet, ist so schauerlich, als das Übel selber.« Das Magisterlein schlug auf den Tisch und antwortete zornig: »Lasset ihn endlich ruhen, den schauerlichen Kampf, Ihr Männer in den Hirtengewändern! Und Ihr sollt es erleben, daß alsofort das Übel endet. Der Kampf ist das Übel, der freche, gotteslästerliche Kampf, der dem Teufel mehr Ehr antut, denn hundert alte Vetteln, die auf dem Kreideberg wollen das Homagium geleistet haben. Der Kampf gebiert die Scheußlichkeiten, die Ihr mit Feuer ersticken wollet, und das ganze ekle, 87 blutige, ruchlose Treiben ist wie eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt – kein Anfang und kein Ende. Und die Kirche, Herr, die heilige, christliche Kirche ist's, die das Übel aufdeckt, das nette Übel, das Hunderten von Pfaffen Gelegenheit gibt, ihren frommen Eifer zu zeigen und Hunderte von Richtern dartun läßt, wie blind Themis ist und wie sie sich trefflich eignet zum Henkersknecht der geistlichen Herren. O heilige Kirche, für was alles bist du schon gut gewesen! Tantum religio potuit suadere malorum!«

Der Domherr schaute auf das zornige Männlein hin und sprach: »Ihr müsset mich für einen verschwiegenen Mann halten, daß Ihr all dies vor mir vorbringt, oder habt Ihr mein Gewand nicht erkannt?«

Der Magister setzte sich ruhig auf einen Stuhl und sagte trocken: »Ich habe geredet, dieweil ich sonst heut noch daran erstickt wäre. Daß Ihr priesterlich Gewand tragt, sehe ich; aber darum muß nicht gleich jeder ein Pfaff sein!«

Über des Domherrn Gesicht huschte ein Lächeln, dann begann er: »Ich kam, den schwarzen Doktor zur Flucht zu mahnen; aber ich sehe, es ist zu spät. So gehet wenigstens Ihr, Jungfer, denn es ist nicht gut, eines Verdächtigen Tochter zu sein.«

Alsbald bäumte sich in mir ein großer Zorn und Trotz auf, und ich sprach: »Es ist gut, Herr, meines Vaters Tochter zu sein; ich wüßt mir nichts Lieberes, ob er nun verdächtig oder unverdächtig ist. Auch werde ich nicht fliehen, wenn er in Banden ist; ich habe niemand, denn ihn allein und meine Gespielin, die Beckin, die auch zu Würzburg ist.«

Der Domherr stund auf von seiner Bank, kam zu mir her und sagte leise: »Die Gespielin habet Ihr heut mit dem Vater verloren, aber Mägdlein, ich versprech es Euch mit ehrlichem Manneswort: Ihr sollt darum nicht verlassen sein, so lang einer lebt, der ein priesterlich Gewand trägt, aber darum doch wahrhaftig kein Pfaff ist.«

Ich schrie auf: »Was ist's mit Ursula?«

Da sprach Wolf Dietrich: »Ich komme von meiner Amme, denn sie ließ mir gestern durch den langen Rupprecht, des 88 Bischofs Knecht, vermelden, daß sie krank und elend sei. Das Weib liegt bös darnieder, doch mag sie sich getrösten, daß sie nicht allein ist in der Stadt, denn es ist kaum ein Haus, darin nicht eines siech wäre. Ich habe erst geglaubt, sie rede im Fieber, als sie mir sagte, das blinde Mägdlein sei von den Häschern des geistlichen Gerichts abgeholt worden. Aber das Weib sprach mit klarem Verstand und hernach kam der Torwart herein, schwer betrunken und halb sinnlos, und er schrie, daß es mir grauete: ›Sie haben wieder eine, Hochehrwürden, eine Ketzerin, sie ist blind und es ist meine Ursula!‹ Ich ließ mich an meiner Amme Lager nieder und bat sie, mir alles genau zu berichten. Das Weib sagte, daß die Männer um die Mittagszeit gekommen seien, und daß die Blinde sich lange festgehalten habe am Bettpfosten und leis gebetet. Als einer der Häscher sie am Arm fassete, habe sie laut geschrien. ›O Doktor Burkhard, o Renata!‹ Denn ihr, Jungfer, und Euer Vater seiet allezeit der Ursula einzige Gesellschaft gewesen, und sie habe sündhaft an euch gehangen.

Nun habe einer der Häscher gesagt: ›Ei, Jungfer, wenn Ihr den schwarzen Doktor vom Käppelesberg meint, der kann Euch Gesellschaft leisten im Kanzleihof.‹ Alsbald sei die Blinde ganz ruhig geworden und ohne ein Wort mit den Männern gegangen. Ich wollte Euren Vater warnen, denn ich weiß, daß er nur durch eines Pfaffen vermessene Reden in solche Dinge verstrickt ward, und jener Pfaff ist der Ankläger.«

Da der Domherr also sprach, war es mir, als sei eine lange Zeit vergangen, seitdem ich mit Ursula und dem Vater in St. Burkhard gewesen war; aber der Blinden weiß Gesicht und ihre drohenden Worte, die durch die Stille nach der Kanzel hin klangen, traten klar vor meine Seele. Ich kam mir feig vor angesichts solch kühnen Mutes eines hilflosen Dirnleins, und ich sprach zu dem Domherrn: »Ich weiß, Hochehrwürden: Wutschreie allein helfen jetzt nichts, so saget Ihr mir ein Mittel, wenn Ihr unser Freund seid!«

Ich sahe, wie seine Augen heller blitzten, indes sie über meine Gestalt hinglitten, und er antwortete: »Das Schreien müßt Ihr lassen, die Wut mögt Ihr behalten, vielleicht wird sie ein ätzend Gift, das selbst Kerkergitter durchfressen mag. 89 Daß ich Euer Freund bin, das will ich beweisen, so wahr ich Wolf Dietrich von Schaumberg heiße.«

Der Magister trat heran und sprach: »Und ich bin's nicht minder, so wahr ich Heinz Lamprecht getauft bin.« Das klang wie ein Schwur, und die beiden Männer stunden beisammen mit aufgehobenen Händen. Danach zog der Domherr seine nasse Kapuze hoch und hielt sie vorne zusammen, daß sie fast sein Gesicht verhüllte, indes er sprach: »Es braucht niemanden Wolf Dietrich von Schaumberg zu erkennen, wenn er bei Ketzern herumschleicht. Allzuleicht muß man dem löblichen Tribunal sein Amt nicht machen, und zwei gefangene Mäuse haben einander noch selten herausgeholfen.« Da trat ich heran und zog dem Manne den Mantel noch mehr in die Höhe, denn mir bangte plötzlich um ihn.



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