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XVI.

Am Nachmittag desselben Tages gegen sechs Uhr zügelte Leo Sellenthin seinen Schimmel vor dem Hofthor von Uhlenfelde.

Aus dem Wappen der Kletzingks, welches die steinernen Pfosten der Einfahrt krönte, stierte das Richtschwert zwischen den drei breitmäuligen Fischen ihm warnend entgegen …

Er wischte sich den Schweiß vom Gesichte … Ein letztes leises »Kehr um!« zog im Blätterrauschen an seinem Ohr vorbei … Aber er biß die Zähne zusammen und ritt weiter.

Zur linken Hand – auf der Stromseite – lag das Herrenhaus, ein weißes, zinnengekröntes Schlößchen, das eher dem ländlichen Ruhesitze eines vornehmen Weltmannes als dem Stammschlosse eines derben Gaueingesessenen glich … Um ihretwillen war es geschaffen worden, weil der alte graue Kasten von ehemals der neuen schönen Herrin nicht behagt hatte.

Auf der Brüstung der Rampe, zu welcher eine terrassierte Auffahrt hinaufführte, standen zwei marmorne Frauengestalten, den Frieden und die Gastlichkeit darstellend, und streckten ihre leuchtenden Arme dem Fremden zum Willkomm entgegen … Eine Gruppe breitfächeriger Palmen, von einem zerrissenen Bananenwedel überragt, erhob sich auf dem Vorplatz, den halbrunden Bogen der Ausfahrt füllend … Die zackigen, geschweiften Blätter reckten sich zu den Marmorleibern empor, welche in ihrem schneeigen Weiß wie Wunderblumen aus dieser grünen Wildnis emporgeblüht schienen. –

Leo wandte sich von dem Herrenhause ab, denn er durfte Felicitas nicht begegnen, bevor er Ulrich gesprochen hatte. So stand es im Programm. –

In ungeheurer Fläche breitete vor seinen Blicken der langgestreckte Hofraum sich aus. –

Ulrich schien in den letzten Jahren ohne Ruhepause gebaut zu haben, denn die Hälfte der Wirtschaftsgebäude war von Grund auf erneuert … Wo früher die langen, weißen Lehmmauern, von morschem Fachwerk durchfurcht, von struppigen Strohdächern überragt, sich erstreckt hatten, erhoben sich jetzt blitzblanke Backsteinpaläste mit eisernen Balkenklammern, steinernen Schwellen und einem System gedeckter Abzugskanäle ringsherum.

Auf dem Hofe standen in Kolonnen geordnet – hier die Leiterwagen mit hohen, festen Achsen, leuchtend in der Frische ihres geglätteten Holzes – dort die Pflüge, eine vornehm dreinschauende, blauröckige Schar, vom stämmigen Ruchadlo bis zum schlanken Furchenigel, ein schöner Fowlerscher Dampfpflug mit seinem Zwiegespann von Lokomobilen an der Spitze. – Unter einem Schutzdach lagerten die feineren Maschinen: die Grubber und die Düngerstreuer, die zarten Gliedereggen und die abenteuerlichen Croskillwalzen, die jüngst aus England herübergekommen waren. Da stand auch die Zimmermannsche Drillmaschine, die sich Leo selbst so sehnlich wünschte, und ein fünfreihiger Dibbelapparat zum Einsetzen der Rübenkerne.

Ein Gefühl neidloser Bewunderung erwachte in ihm. Vieles, was er sonst auf Ausstellungen mit halber Teilnahme als Luxusschmuck betrachtet hatte, stand hier in Reih und Glied, erprobt und arbeitend wie dienstwilliges Hausgetier.

Auf einem andern Platze lagerten auf hohen Holzblöcken die Kästen der Schlempe- und Kartoffelwagen, ungeschlachte Ungeheuer, die, auf dem Bauche liegend, sich in der Sonne zu sielen schienen. – In der Nahe der Ställe lagen eiserne Röhrenkessel, in denen zur Winterszeit der derbere Futterstoff erweicht und dem Vieh mundgerecht gemacht wird – ein schöner Wolfscher Jauchekarren, der so teuer ist, daß nur Musterwirtschaften ihn halten können, schloß sich daran.

Aus dem hohen Dampfschlote, welcher die Gebäude der Brennerei flankierte, brachen schwarze Wolken. Zwar die Brennerei selber stand in diesem Augenblicke still, aber die Dampfmaschine bewegte gleichzeitig das Räderwerk der Meierei, die sich in vollstem Betriebe befand. In ihrer Nähe standen zum Sonnen in langer Reihe die Milcheimer – schneeweiß mit goldglänzenden Reifen – die verzinnten Satten, die wie Silber leuchteten, die Butterfässer und Butterkneter und allerhand Maschinenteile, die Leo nicht einmal vom Ansehen kannte.

Jeder Schritt vorwärts zeigte ihm neue Wunder. »Und meine arme, olle Klitsche dagegen!« dachte er.

Eine Feiertagsstimmung überkam ihn, ein Gefühl andächtiger Erhebung, das alles Bangen von ihm nahm und ihn für einen Augenblick sogar vergessen ließ, weswegen er gekommen war.

Wenn das, was er hier sah, auf Erden möglich, möglich allein durch Ernst und Energie, warum sollte es ihm nicht gelingen, ein Gleiches zu erreichen? – Er brauchte ja nur fortzufahren, wie er begonnen hatte, sich mit ganzer Seele seinem Werke zu eigen zu geben und Leichtsinn und Liebesverlangen abgethan sein zu lassen für alle Zeit … Das erhebende Beispiel des Freundes vor Augen, im Herzen das erlösende Gefühl, heimlich an dessen Glücke zu schaffen, so konnte er nie wieder Schiffbruch leiden.

Als er zum Herrschaftsstalle hinlenkte, kam ihm ein Reitknecht entgegen, den er nicht kannte, und lächelte verschmitzt und zutraulich zu ihm empor.

»Die gnädige Frau werden wohl heute nicht zu sprechen sein,« meinte er: »'s haben schon ihrer zweie wieder abreiten müssen.«

»Red, wenn du gefragt wirst, Bengel!« wetterte Leo ihn an, so daß er mit einem ängstlichen Satze aus dem Bereich seiner Gerte zurücksprang.

Welch entzückendes Einvernehmen mußte hier zwischen Dienerschaft und Gästen herrschen, wenn man schon ihn, den gänzlich Fremden, mit so viel Wohlwollen empfing! Und wie man es als selbstverständlich annahm, daß sein Besuch der schönen Herrin galt!

Er sprang aus dem Sattel und erhielt die Auskunft, der gnädige Herr sei hinter dem Pferdestall bei den Zweijährigen. Er ging von dannen, und der Bursche, der gewohnt sein mochte, von den Verehrern seiner Herrin mit Trinkgeldern gestopft zu werden, sah mit verblüfften Glotzaugen hinter ihm drein.

In dem kleinen Roßgarten, der sich, dem Strome abgewandt, an einem leisen Abhang hinunterzog, stand Ulrichs lange Gestalt, von einem Rudel goldbrauner Zuchtfüllen umgeben, die sich an ihn drängten, um sich von seiner Hand liebkosen zu lassen.

Das Herz krampfte sich Leo zusammen bei dem Gedanken an die betrügerische Komödie, die ihm jetzt auferlegt wurde, und deren Opfer der Mensch dort war, den er auf der Welt am meisten liebte.

Aber was geschah, geschah für dessen Glück und dessen Frieden. Darum hieß es: Vorwärts!

Bei seinem Nahen stoben die Füllen halb scheu, halb scherzend von dannen.

Ulrich wandte sich um.

Eine jähe Freude, die schon im nächsten Augenblick in Erschrecken überging, flackerte in seinem abgemagerten Gesichte aus.

»Du – auf Uhlenfelde?« stammelte er.

»'n Tag, kleines Mädchen!« rief Leo, indem er sich zwang, die alte Gemütlichkeit zu heucheln. »Mach nur nicht gleich solche Augen! Kannst mich ja mit Hunden vom Hofe hetzen lassen, wenn du mich hier nicht haben willst.«

Und dann sagte er sein Sprüchlein her:

Er habe es nicht länger so aushalten können und wolle daher versuchen, ob sich durch eine Aussprache, eine Klarstellung der Thatsachen der Haß, in den Felicitas sich gegen ihn hineingeredet habe, nicht wieder beseitigen ließe, damit ein erträgliches Verhältnis zwischen ihnen zu stande käme… und darum sei er hier und bitte den Freund, zu ihr hineinzugehen und eine Unterredung für ihn zu erbitten.

Ueber Ulrichs Gesicht flog ein Lächeln der Mutlosigkeit. »Es ist umsonst,« erwiderte er. »Sie wird dich nicht einmal empfangen … Du weißt nicht, in welchen Ausdrücken sie über dich gesprochen hat.«

»Mag sein!« sagte Leo, ohne daß er es wagte, den Blick vom Boden zu erheben, »aber versuch es wenigstens. Sag, ich möchte um Verzeihung bitten – sag, was du willst.«

Ulrich sann vor sich hin. »Komm,« sagte er, »ich will nichts versäumt haben, mag es auch noch so aussichtslos sein.«

Sie verließen den Roßgarten, umdrängt von den Füllen, die sich bereits mit dem Fremdling anzufreunden suchten. Doch der achtete nicht auf sie. Stumm schritt er neben dem Freunde her, von Zeit zu Zeit sich schüttelnd, als ob er ein Grauen von seiner Seele schütteln wollte.

Vor der Rampe blieb Ulrich stehen und fragte: »Falls sie einwilligt – hältst du es für besser, wenn du unter vier Augen mit ihr redest?«

»Unbedingt!« erwiderte Leo, denn er sah ein, daß er der ekelhaften Komödie, die dem ahnungslosen Freunde andernfalls vorgespielt werden mußte, nicht gewachsen war.

»So laß mich zu ihr gehen und warte hier draußen. – Verzeih,« fügte er hinzu, »aber ohne ihre Einwilligung sollst du das Haus, das ihrer Ehre anvertraut ist, nicht betreten haben.«

Leo zerdrückte ihm fast die Hand, aber seinem Blicke zu begegnen, der in lauterem Feuer zärtlich auf ihm ruhte, fand er nicht den Mut.

Er sah ihn hinter der Statue des Friedens verschwinden … Sein Auge blieb an dem marmornen Weibe hängen, das seinen Palmenzweig freundlich gegen ihn auszustrecken schien. –

Dann ging er mit großen Schritten auf dem Vorplatz hin und her. – An das, was in diesen Augenblicken drinnen geschah, wagte er nicht zu denken.

Eine Viertelstunde verfloß, da trat Ulrich, glühend vor Erregung, den langen Hals begierig vorgestreckt, auf die Rampe heraus.

»Leo!«

»Was, mein Alter?«

»Es war ein hartes Stück, Leo, aber – sie willigt ein!«

»Ich dank' dir, Uli!« stammelte er und wurde rot wie ein lügender Schulbube.

»Bis jetzt hat sie freilich nur die eine Absicht,« fuhr Ulrich fort, »dich gedemütigt und gebrochen wieder heimzuschicken! Drum sieh zu, was du vermagst, mein Junge, und bedenk, wie ich fiebre.«

Ja, er fieberte wirklich. Seine Hände flatterten – in seinen Schläfen hämmerte das Blut …

Er wies ihm den Weg, und Leo schob sich rasch an ihm vorbei, den Sieg schon in der Tasche und doch voll Angst und Scham, wie einer, der die Schlacht verloren weiß. – – –

In den Winkel einer Chaiselongue geschmiegt, das Antlitz im Polster der Lehne vergraben, so fand er sie. Ueberwältigt von den seelischen Erregungen der letzten Viertelstunde schien sie dort zusammengesunken … Ein Hauskleid von mattgelber Rohseide floß in lässigen Falten an ihrem Leibe nieder … An der Hand, die sie ihm, ohne ihre Stellung zu ändern, müde entgegenstreckte, flimmerte sein Brillant.

»Schließ die Thür,« flüsterte sie.

Er that nach ihrem Geheiß.

Dann erst richtete sie sich empor … Ihre Augen waren vom Weinen gerötet.

»Wie hat sie Thränen finden können bei diesem abgekarteten Spiel?« fragte er sich.

»O, hab' ich mich geschämt,« stöhnte sie.

Ja freilich, wenn sie sich schämte! Und er begann sie zu trösten: Diese fürchterliche Stunde müsse überwunden werden … Freilich – später dürfe es keine Täuschung mehr geben, später müsse jedes Stäubchen ihres Handelns offen vor Ulrichs Augen liegen.

»Das versteht sich,« rief sie, entrüstet, daß er diese Mahnung für nötig befunden.

Und mitten in ihrem Schmerze lächelte sie ihn schlau und glücklich an.

»Nun denkt er, wir –« begann sie … Sie vollendete nicht, aber es lag etwas in diesen abgebrochenen Worten, was ihm das Blut ins Gesicht trieb.

»Schlimm genug,« grollte er und wandte sich ab …

Ein Schweigen entstand … Er zog seine Uhr und studierte das Zifferblatt.

»Ich danke dir, Leo, daß du schon heut gekommen bist,« begann sie schüchtern nach einer Weile.

»Nun, hast du mich nicht erwartet?« fragte er.

»O, wenn's danach ginge,« erwiderte sie mit einem Seufzer. »Aber ein Weib wie ich!«

»Ein Weib wie du? Was heißt das?«

»Nun ich meine – so eine wie ich ist vogelfrei. – Der braucht man nicht viel Wort zu halten.«

Er fühlte einen bittern Ingrimm gegen diese Art der Selbsterniedrigung.

»Ich muß dich bitten, Lizzie,« sagte er, »solche falsche Demut unterwegs zu lassen. Du bist die Frau Ulrich von Kletzingks … Als solche hast du das Recht, die höchsten Ehren zu beanspruchen – von mir, wie von jedermann … Und wer sich untersteht –«

Er erhob seine beiden Fäuste, und sie zog sich ängstlich in den Winkel der Chaiselongue zurück.

»Gott – wüte doch nicht gleich wieder,« flüsterte sie, »ich bin ja schon elend genug.«

»Das soll nun ein Ende haben,« sagte er.

»Mein Elend?« fragte sie und lächelte trostlos.

Da begann er in heiligem Eifer ihr auseinanderzusetzen, wie er sich die Zukunft dachte. Er habe eine doppelte Mission in ihrem Hause zu erfüllen. Die eine sei Ulrichs Glück, die andre ihre Wiederaufrichtung … Sie solle sich durch seinen Beistand befreit wissen von dem drückenden Bewußtsein der alten Schuld, solle es lernen, den Kopf wieder hoch zu heben und sich an das Gefühl der wiedererrungenen Würde zu gewöhnen, so daß es auch für den Frechsten undenkbar würde, mit unlauterem Sinn an sie heranzutreten.

»Du malst mir den Himmel,« flüsterte sie, während ein verzücktes Leuchten in ihrem Blick erglomm.

»Ich male nichts, was nicht zu verwirklichen wäre,« erwiderte er. »Wenn wir diese Thür öffnen, Lizzie, dann muß all der alte Moder von uns abgewaschen sein. Und dann fängt ein neues Leben an.«

Sie drückte das Taschentuch vor die Augen, welches eine Wolke ihres altgewohnten Parfüms über ihn herströmen ließ … die diskrete Zartheit der Iris wurde erstickt durch die scharfe Süße des Opoponax, so daß er, beklemmt aufatmend, sich von dem schwülen Hauche ihrer Atmosphäre fort zum Fenster wandte.

Sein Blick glitt durch das einfenstrige Gemach, das einst sein eigenes Absteigequartier gewesen und das jetzt mit verschwenderischem Luxus in das Nest einer verwöhnten Weltdame umgewandelt war.

Die Wände waren mit dunkelblauen Brokatstoffen bekleidet. Vergoldete Stühlchen mit schillernden Schmetterlingsflügeln als Lehnen, Puffs, Tabourets und Schemel aller Art kauerten wie phantastisches Getier auf den indischen Teppichen. – Ein Riesenfächer von schneeweißen Maraboutfedern diente als Ofenschirm. – Bronzen und Altmeißner Spielzeug, zierlich und kosend, bevölkerten die Etageren. – Ein marokkanischer Schrank, mit elfenbeinfarbenem Hirschleder überzogen, enthielt die Lieblingsbücher der Herrin, – eine venetianische Altardecke war als Gardine, kokett gerafft, darüberhin geworfen … Ueber dem Schreibtisch leuchtete in carrarischem Marmor der träumerische Kopf des vatikanischen Eros, an den Rändern bläulich getönt von dem durchscheinenden Lichte, das, durch einen blau- und goldgewirkten Spitzenflor gedämpft, in zarter Dämmerung und dennoch sonnig flimmernd, den Raum durchflutete.

Das alles schuf ein Interieur, wie es in europäischen Großstädten wohl oft genug zu finden war, das jedoch hier im Hinterwalde als etwas Unerhörtes gelten mußte.

»Er verwöhnt dich viel zu sehr!« sagte er mit einer Art von väterlichem Lächeln, indem er ihr mit dem Finger drohte.

»Seine Güte drückt mich zu Boden,« erwiderte sie, das milchweiße Angesicht gegen die Polster pressend … Von neuem zog er die Uhr.

»Es wird Zeit,« sagte er, »wir dürfen ihn nicht unnütz warten lassen.«

Sie hob flehend die Hände … »Noch fünf Minuten!«

»Weshalb?«

»Ich fürchte mich!«

»Vor ihm?«

Sie schwieg.

»Sei nicht feige, Lizzie!« mahnte er.

»Und dann ist's so friedlich – so harmonisch hier… Wie in einem weiten, stillen Walde ist's … Man wagt doch endlich einmal wieder zu atmen.«

»So atme dich satt,« sagte er. »Eins – zwei – und drei.« Er zählte, die Klinke schon in der Hand.

Dann riß er die Thürflügel weit auseinander.

Das helle, sonnenwarme Licht des Gartenzimmers drang in die blaue, schwüle Dämmerung.

»Um Gottes willen – warte!« rief sie, »was sagen wir ihm?«

»Was das Herz uns eingibt,« erwiderte er, sich dehnend wie ein Erlöster.

Sie guckte scheu durch die Spalte, doch als in diesem Augenblicke die gegenüberliegende Thür sich öffnete, hinter welcher Ulrich dem entscheidenden Momente entgegengeharrt hatte, da stürzte sie ohne Besinnen mit einem Aufschrei voller Liebe ihrem Gatten an die Brust.

*

Zwei Stunden später saßen sie beim Scheine der abendlichen Lampe zu dreien um den Theetisch, glückselig im Bewußtsein des Wiederbesitzes.

Vor dem Abendbrot hatte Leo sich, die Ställe zeigen lassen, hatte gestaunt und gelernt. – Nun war die Landwirtschaft vergessen, und die Freundschaft kam zu ihrem Recht.

Ulrich sprach viel und beredt … Sein Glück ging mit ihm durch. Er konnte nicht satt werden, sein Weib zu preisen, das ihm selbigen Tages das Zeugnis einer fast übermenschlichen Liebe zu Füßen gelegt hatte … Und jeder Blick, mit dem er sie liebkoste, jeder Gedanke, der ihn in sich selbst zurücksinken ließ, schien eine geheime Abbitte dafür, daß er je gewagt hatte, sich an ihrer Seite unglücklich zu fühlen.

Sie ihrerseits behandelte ihn mit einer so demütigen Zärtlichkeit, sie harrte so dienstbeflissen seiner Wünsche, sie sah in so selbstvergessender Bewunderung zu ihm empor, daß Leo, der voll Entzücken ihr Treiben beobachtete, sich unter dem Tische die Hände fast zerrieb, und nicht müde wurde, sich zu wiederholen:

»Das ist mein Werk! Und mir verdankt er sein Glück.«

Lizzies Benehmen gegen ihn war musterhaft … Sie hielt sich reserviert, ohne darum strenge zu erscheinen … Sie sprach weich und freundlich, ohne doch vergessen zu lassen, daß Welten zwischen ihnen lagen. In ihrem Tone lag die thränenvolle Rücksicht Eines, der schwere Kränkung verziehen hat, ohne daß ihm Zeit geblieben wäre, sie auch zu verschmerzen, und der nun um dieses Mangels willen sich Nachsicht erbitten will … Ihre Art sich zu geben, stimmte so gut mit den wahren wie mit den vorgespiegelten Verhältnissen überein, daß Leo die peinliche Empfindung einer fortgesetzten Heuchelei alsbald verloren hatte.

Behaglich blies er die Wolken seiner Upman vor sich nieder, so daß sie, an dem silbernen Ständer seines Theeglases zerschellend, nach beiden Seiten auseinanderstoben. – Nun erst hatte er ihn wieder gewonnen, den dort drüben, – nun erst hielt er die Heimat ganz in seinen Händen.

Das Oel in den beiden Astrallampen surrte und brodelte … Aus dem Innern des Samowars erscholl ein leises, geheimnisvolles Singen … Durch die geöffneten Glasthüren drang das Zirpen der Heimchen, das Säuseln des Abendwindes in den Orangen.

Es war ein seltsamer Zusammenklang von gebrochenen, verschleierten Tönen, recht dazu angethan, Vergangenes zu umhüllen und glückverlangende Träume in die Zukunft hinauszugeleiten.

Doch in Ulrichs Auge, welches stier ins Leere sah, lag etwas, was Leo nicht gefiel.

»Deine Freude ist ja mit einemmal so schweigsam geworden, mein Alter,« sagte er. »Ich hab' dich lieber, wenn du Reden redest …«

Ulrich lachte hell auf und schellte … »Wein!« befahl er dem Diener. »Liebfrauenmilch – du weißt – vom ältesten.«

Felicitas, die züchtig über ihre Weißstickerei geneigt saß, schaute mit leiser Schelmerei zu Leo hinüber, der so gut wußte wie sie, mit welchem Eifer Ulrich diesen höchsten Schatz seines Kellers hütete. Dann stand sie auf, um selbst nach dem Rechten zu sehen.

Die Freunde blieben allein. Da bekannte ihm Ulrich, daß er das, was heute geschehen, noch nicht zu begreifen im stande sei. Diese Versöhnung, die er sich in früheren Zeiten ganz bequem und naturgemäß gedacht habe, erschiene ihm jetzt, da sie vollzogen sei, als etwas Märchenhaftes und Ungeheuerliches.

»Ja, ja, so seid ihr Gesunden! Ihr Frohen! Ihr Sonntagskinder!« sagte er und nickte in liebevoller Bewunderung zu Leo hinüber, »Wo ihr erscheint, da thun die Dornenhecken sich auseinander, sie mögen noch so stachlig sein. Und die haßerfülltesten Herzen fliegen euch nur so entgegen.«

Leo lachte befangen und meinte, es wäre nicht so schlimm.

Felicitas brachte den Wein und goß sein bernsteinfarbenes Oel in die hohen, grünen Römer.

In Leo erwachte der lachende Leichtsinn, den der Anblick eines edlen Tropfens stets in ihm hervorrief. – Wie ein vorahnender Rausch kam es über ihn und schwemmte den letzten Rest hinfort von allem, was ihn noch eben beengt hatte.

»Stoßt an! Die Freundschaft soll leben!« schrie er, das Glas erhebend.

»Und daß uns dreie nichts mehr trennen möge!« fügte Ulrich hinzu.

Da trafen sich Leos Augen mit denen Lizzies in einem raschen, schuldbewußten Blicke … Wenn er wüßte!

Die Gläser klangen zusammen. Ein dumpf verhallender Akkord brach aus den herrlichen Krystallen.

»Ich wünschte, auch unser Leben möchte so ausklingen,« sagte Ulrich … Und dann plötzlich stutzte er – machte Miene, das Glas vom Munde sinken zu lassen – sandte einen suchenden Blick an der Wand entlang – raffte sich wieder zusammen und trank das Glas in einem Zuge leer. –

Leo war dem Blicke gefolgt: dort an der Wand hing das Bildnis des Knaben.

Auch Felicitas geriet in Unruhe: nach kurzem Besinnen goß sie etliche Tropfen aus ihrem in ihres Mannes Glas und, sich zärtlich zu ihm hinüberneigend, flüsterte sie ihm ins Ohr:

»Auf das Ferne, was wir lieben.«

Leo gab sich den Anschein, nichts bemerkt zu haben. Um der drohenden Verstimmung auszuweichen, begann er rasch:

»Es hilft nichts, Kinder. Ueber eine heikle Sache müssen wir uns noch heute schlüssig werden … es mag uns noch so schwer fallen, gerade heute darüber zu reden.«

Die Gatten horchten auf. Lizzie schauerte ängstlich zusammen. »Um Gottes willen, schweig!« warnte ihr Blick, heimlich auf das Bild hinweisend. Es schien, daß sie fürchtete, er könne, roh genug, von dem Knaben zu reden beginnen.

»Also kurz und gut,« fuhr er fort, »auf welche Art werden wir das, was heute geschehn ist, mit allem, was noch draus folgen wird, unsrer geliebten Nachbarschaft beibringen? Denn ich wette, ihre christliche Duldung lauert schon drauf, einen Skandal daraus zu machen.«

Felicitas atmete erleichtert auf, ihm einen dankbaren Blick zuwerfend.

»Was ist deine Ansicht, Liebster?« fragte sie dann, das Kinn in die hohle Hand geschmiegt, und schaute kindlich zu ihrem Gatten empor.

Der fuhr sich mit gespreizten Fingern durch seinen fleckigen Bart: »Geht mir doch damit!« sagte er, »Wozu halten wir uns für Aristokraten, wenn wir über dergleichen nicht erhaben sein sollten? Wir dürfen es uns gestatten, eine Persönlichkeit zu haben – können die ausprägen nach unsrem Belieben und brauchen uns nicht um das Wohl- oder Uebelwollen irgend eines Kaffeeklatsches zu kümmern.«

»Bravo!« rief Leo lachend. »Ein edelgesinnter Viehdieb, wie wir ihn da drüben manchmal aufgehängt haben, kann vom Galgen aus nicht wirkungsvoller sprechen.«

»Laß deine Faxen!« tadelte Ulrich. »Wozu bilden wir uns ein, aus andrem Stoff zu bestehen wie irgend ein Krämer, der um seinen Kredit zu zittern hat? … Wir sitzen als kleine Könige auf unsern Schlössern, sind in freier Ehrfurcht unsrem Lehnsherrn unterthan und sonst niemandem auf der Welt … Und halten wir unsre Krautjunkerschaft nicht für höher stehend als selbst den Hochadel, der nach dem Hof hinschielen muß und sich mit russischen und französischen Schwagerschaften rumschleppt?«

Leo nickte, leuchtend vor Stolz.

»Und führen wir noch dazu ein Leben voll Arbeit und Pflichterfüllung,« fuhr Ulrich fort, »so werden wir es uns doch erlauben dürfen, nach unsern eigenen Bedürfnissen selig zu werden? – Was kann die Welt uns anhaben, wenn wir uns bewußt sind, daß unsre Handlungsweise – ganz egal, ob man sie billigt oder nicht – aus reinem Herzen stammt?«

»Nun komm du noch gar mit deinem reinen Herzen,« spottete Leo, der sich so wohl fühlte, daß er, wie in alten Zeiten, allem, was vorging, die scherzhafte Seite abgewann. »Es ist unbegreiflich, daß ein Mann, der ein so ausgezeichnetes Buch über die Stallfütterung geschrieben hat, behaupten kann, daß man im stand ist, vom Hochgefühl seines reinen Herzens fett zu werden. – Zudem ist nicht jeder glücklicher Besitzer eines solchen Instituts,« fügte er kleinlaut hinzu.

»Aber seinen Trotz hat doch ein jeder?« mahnte Ulrich.

»Das will ich meinen!« rief er, die blanken Zähne zeigend, und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Und da Felicitas soeben aufgestanden war und sich in der Thür des dunklen Nebenzimmers zu schaffen machte, beugte er sich zu Ulrich hinüber und sagte leiser:

»Meinetwegen brauchtest du mir diese Vorlesung nicht zu halten, Alterchen. – Mein Brustkasten ist breit genug … und meine Ellbogen weiß ich auch zu brauchen … Aber – es ist eben eine Frau im Spiel.«

»Meine Frau?«

»Ganz recht. Deine Frau … Auf die muß Rücksicht genommen werden. Weiber untereinander haben ihre eigenen Gesetze. Wir dürfen nicht dulden, daß sie in eine schiefe Lage gerät.«

Ulrich schwieg. Er, der stets bereit war, sich überzeugen zu lassen, zögerte keinen Augenblick, Leos Bedenken in ihrer vollen Berechtigung anzuerkennen.

Felicitas kehrte zurück, lieblich und bescheiden, als ob das Gespräch sich um irgend ein Thema der Agrikulturchemie gedreht hätte, von welcher die Frauen ja doch nichts verstehn. –

Aber als die Männer fortfuhren, ratlos vor sich hinzustarren, nahm sie das Wort – zögernd und hilfsbedürftig, wie eine, die sicher ist, daß sie Dummheiten sagen wird. –

»Verzeihung – aber ich meine nur – man müßte der Welt – sozusagen die Verantwortung überlassen.«

»Wofür?« Keiner von beiden verstand sie.

»Für – euer Zusammenkommen.«

»Wie wäre das möglich?« fragte Leo.

»Ich weiß noch nicht – aber ich werde nachdenken – und werde dir Nachricht zukommen lassen, lieber Leo, wenn ich glaube, etwas gefunden zu haben.«

Es lag eine so drollige Wichtigkeit in ihrer Rede, daß Ulrich in ein befreiendes Lachen ausbrach und in scherzendem Wehleide rief: »Das arme Kind! Es wird nachdenken!«

Sie machte ein Mäulchen, und während er mit ungeschickter Liebkosung ihren runden Lockenkopf streichelte, legte sie sich, die Augen schließend, weit in seinen Arm zurück. –

Er warf einen heißen, scheuen Blick auf sein Weib hernieder, dann erhob er sich rasch und schritt in das dunkle Nebenzimmer, wie um übermäßigen Glückes Herr zu werden.

Gleich darauf schlugen weiche, leise Orgelklänge an Leos Ohr. – Ueberrascht von der süßen Fülle des Wohllauts horchte er auf. – Sonst hatte im Musikzimmer ein altes, quäkiges Harmonium gestanden, auf welchem Ulrich seine Choralstudien zu treiben pflegte. –

»Was bedeutet das?« fragte er Felicitas, die ihr Knäuel zusammenpackte. –

Sie legte den Finger auf den Mund:

»Ein neues Orgelwerk, das er sich aus Amerika hat kommen lassen,« flüsterte sie über den Tisch hinweg. »Bleib hier und stör ihn nicht … Ich muß aufpassen gehn, wenn er die Pedalstimmen braucht. – Er hat's gern, daß ich dann die Balgen ziehe.«

Lautlos eilte sie hinaus und öffnete die Flügelthüren weit hinter sich. – Ein paar Augenblicke später flammten in dem Zimmer, aus dessen dunkler Tiefe die geheimnisvolle Tonflut quoll, die Kerzen auf. –

Vor einem fremdartigen Instrumente, welches einem Pianino ähnelte, nur daß es sich in mehreren hintereinanderliegenden Etagen treppenartig aufbaute, saß Ulrich, in Tönen verloren. – Er hatte den Kopf nach hinten übergeworfen und starrte zur Decke empor. –

Felicitas, die in ihrem hellen Kleide wie ein Lichtwölkchen durch das rotdämmrige Zimmer glitt, legte geräuschlos ein Notenheft vor ihn aufs Pult. –

Er nickte ihr Dank, ohne sich stören zu lassen. – Dann begann er, einen Uebergang erfindend, das Tonstück, das sie ihm ausgewählt hatte.

Leo kannte es wohl. Es war eine Scarlattische Messe, die Ulrich schon früher mehr als alles andre geliebt hatte.

Er selber freilich war nicht müde geworden, über die altmodischen Tonfiguren zu spotten, die »gesungenen Heiligenbilder«, wie er damals zu sagen pflegte, doch als er jetzt nach Jahren wüsten Umherirrens die altvertrauten heimatlichen Töne wieder vernahm, quoll ihm die Rührung heiß aus dem Herzen empor.

Die Thränen verbeißend, warf er sich in einen Sessel, den, welcher der Thüre zunächst im dunkelsten Winkel stand, umhüllte sich mit Tabakswolken und sann in zerfließenden Halbgedanken vor sich hin.

Die ehrenfesten Pläne, die er bei seiner Heimkehr geschmiedet hatte, die waren nun freilich dahin. Und Johanna durfte triumphieren … Und der alte Hauspfaffe mit ihr … Aber schließlich, was that das alles? … Ulrichs Glück war die Hauptsache …

»Und glücklich ist er doch?« fragte er sich erschreckend, denn ein Zweifel an sich und ihr und allem Guten schoß ihm jäh durch den Kopf.

Er beugte sich vor die Thürspalte und verschlang mit den Augen, was er sah.

Wenn das nicht Glück war, so gab es keins auf Erden!

Neben Ulrich stand sie in all ihrer Lieblichkeit, hatte den Arm zärtlich um seinen langen, dünnen Hals gelegt und folgte voll bescheidener Sorge den Angaben des Notenheftes, um im gegebenen Momente hilfreich beispringen zu können.

»Die ›vox humana‹!« bat Ulrich zu ihr aufschauend.

Sie griff nach einem der Registerknöpfe, der mit leisem Knacken vorsprang, und im nächsten Augenblicke vernahm Leo, aufhorchend, den zitternden, klagenden Ton einer Menschenstimme, die in inbrünstig flehendem Gesange sich zum Himmel emporringt. –

»War es nicht menschlich, was ich verbrach?« so schien die Stimme zu fragen. »War sie nicht süß, die Sünde, die ich nun büße?«

Da kam sein alter Wahlspruch ihm zu Sinn.

»Nichts bereuen!« klang es grollend aus den Tiefen.

Trotzig raffte er sich empor.

Nein, wahrlich, er büßt nichts … Er bereut nichts .. Die Heimlichkeiten werden ein Ende haben … Ulrich ist glücklich … Lizzie, von alter Angst befreit, wendet sich in neuerwachter Liebe ihrem Manne zu. – Und, was da war, ist nie gewesen

»Leo, bist du zufrieden mit mir?« sagte in diesem Augenblick eine traurig flüsternde Stimme dicht an seinem Ohr, während eine Flut von Wohlgerüchen ihn umwogte. –

Er erschrak. – Ein jäher Zorn preßte ihm die Kehle zusammen. Er mußte an sich halten, um ihr, die mit trostlosem Lächeln, ein Opferlamm, sich zu ihm niederneigte, nicht eine Grobheit an den Kopf zu werfen.

»Brauchst du ein Lob, so wende dich an deinen Mann,« sagte er, noch immer grob genug. – Dann stand er auf, sich zu verabschieden. – – – –


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