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Die Regei und der Stier vom Grünseekamm

Es ist wirklich so, als ob das Wetter bloß auf den Abzug des letzten Gastes gewartet hätte, um so unangenehm als möglich zu werden. Bis einige Tage nach Dreikönig hat es sich gehalten, als gäbe es so etwas wie Sturm und Nebel überhaupt nicht, aber dann ist der Teufel los und schüttet seinen ganzen Sack auf einmal aus.

Und dabei bleibt es dann geraume Zeit hindurch. Da haust nun Marianne allein und hat keine Zusprache als den Kümmerer, der seine Tage einhält, und wenn es draußen noch so wild zugeht. Ja, und natürlich Caruso ist da, der Hund Caruso. Er ist keine Hundeschönheit und vereinigt mindestens sieben Rassen in sich, aber er sitzt da und hört zu, wenn ihm Marianne vorliest. Magda Kaspar hat Marianne Bücher geschickt, und nun liest Marianne dem Caruso Storm vor. Sie hat das Bedürfnis, ihre Stimme zu hören, und dem Caruso ist offensichtlich auch ganz wohl dabei. Er sitzt auf der Ofenbank neben Marianne und hört zu. Und manchmal hebt er abwechselnd die eine um die andere Vorderpfote.

»Fabelhaft!« sagt Marianne, »das ist fein ... was, Caruso?«

Wenn der Caruso genug hat, ringelt er sich zusammen und schläft ein. Es gibt Leute, denkt Marianne, die es da unten in den Städten bei Vorlesungen genau so machen: sie schlafen ein, wenn sie genug haben. Nur daß sie sich dabei nicht so schön zusammenringeln dürfen. Nein, sie müssen aufrecht sitzenbleiben, und wenn ihnen die Augen zugefallen sind, so schauen sie nachher mit schlechtem Gewissen die Nachbarn links und rechts an, ob jemand etwas gemerkt hat. Das ist anders hier oben auf der Hütte, wie so vieles andere auch.

Nachdem sich der Sturmteufel ausgetobt hat, wird es wieder ganz friedlich zwischen dem Himmel und den Bergen. Der Kümmerer kann unten auf dem Telegraphenamt melden: Sonne, Windstille, Pulverschnee aus Marsch, Skifährte ausgezeichnet. Nun kommen auch wieder Leute auf die Jahnhütte. Viele Leute, die Hütte ist überfüllt, Marianne hat alle Hände voll Arbeit und kann bis auf weiteres für Carusos literarische Bildung nichts mehr tun.

Das geht so seine Zeit, bis der Winter wieder grantig wird und mit Schneestürmen herumfuchtelt und die Hütte anpackt, als wolle er die Drahtseile, die sie halten, aus den Felsen reißen. Es ist eine herrliche Abwechslung in den Launen der Natur, die gar keine Launen sind, sondern wahrscheinlich Gesetze, und Marianne bekommt eine neue Aufgabe. Der Kümmerer bringt ein großes Buch aus Annaberg. Das schickt die Ortsgruppe, und Marianne bekommt den Auftrag, Tag für Tag ihre Wetterbeobachtungen in die Kasten und Kästchen einzutragen, die zu diesem Zweck im Buch vorgezeichnet sind. Der Brief ist sozusagen ein amtlicher Auftrag in Schreibmaschinenschrift und vom Saliger gefertigt. Aber darunter steht noch mit Tinte: »herzlichen Gruß! Und ist es nicht gar zu langweilig? Nun hoffe ich, hier unten bald fertig zu sein, und dann komme ich.«

Den unteren Rand des Briefes, auf dem das steht, schneidet Marianne weg und steckt ihn in den Ofen. Puff, macht der Papierstreifen und windet sich nur mehr als schwarzer Aschenwurm in den Flammen, von unzähligen Feuerpünktchen übersät.

Den amtlichen Auftrag aber führt Marianne natürlich gewissenhaft aus, liest Wärmemesser und Druckmesser pünktlich ab, füllt die Kästchen aus und schreibt auch manchmal etwas in das Kästchen Anmerkung. Eines Tages aber schreibt sie in dieses Kästchen: »Föhn, Tauwetter.«

Ja, weiß Gott, Ostern, das war hier oben noch ein Winterfest mit einem großen Gewimmel von Schneeschuhen auf dem ganzen Skigelände im Hüttenbereich, aber nun geht es gegen Pfingsten, und da läßt sich der Frühling nicht länger dreinreden. Er tut, was seines Amtes ist, um den Rohrbrunnen liegen die Scherben der Eiszapfen, das Wasser erhebt seine Stimme, es tobt wild in den Runsen talwärts, und man muß sehr aufpassen, wenn man aus diesem gewaltigen Aufbruch noch die sanfte, murmelnde, gebändigte, sittsame Brunnenstimme heraushören will, wo ein schneefreier Fleck ist, geht der Almboden gleich geschäftig ans Grünwerden und Blühen, und zwischen der Hütte und der Alm entsteht ein tiefer Sumpf von zähem schwarzem Schlamm. Der Kümmerer muß einen Knüppelweg machen, damit man nicht versinkt.

Du lieber Himmel, auch der Sommer ist nicht aufzuhalten, er steigt rüstig aus dem Tal die Berge hinan, legt sich breit auf die Almwiesen in den Sonnenschein und lacht: »So, da bin ich, und jetzt kann's losgehen.« Er hebt die Hand, und da stürzen drüben die Lawinen aus den Wänden in den Grünsee und brüllen wie tausend Stiere.

Tausend solcher Stiere wie der, der den Lawinen jetzt von der Alm her antwortet. Die Regei hat aufgetrieben, aus der Almhütte steigt der Rauch auf, das Vieh läutet auf den Wiesen und grast die Berghänge hinauf, und die Regei stapft in blauen Männerhosen, einen uralten breitkrempigen Strohschüppel auf dem Kopf und Holzschinakeln an den Füßen mit den Milchtöpfen und Melkeimern durch den Dreck. Der Caruso und der Flock haben sich beschnuppert und dann Freundschaft geschlossen, obzwar der Caruso eine literarische Bildung hat und der Flock nur ein gewöhnlicher Dorfköter ist.

Auch Marianne und die Regei haben sich beschnuppert, aber mit der Freundschaft geht es nicht so rasch wie bei den Hunden.

Der Breitenecker, der Bürgermeister von Annaberg, dem die Alm gehört, ist beim Auftrieb mitgekommen und hat die Bekanntschaft vermittelt. »Also vertragt's euch, Weiberleut!« hat er gemeint, weil er ja seine Regei kennt.

Es ist ein guter Wunsch, aber es hat den Anschein, als ob er sich nicht so rasch erfüllen sollte, so große Mühe sich der Kümmerer gibt, die guten Beziehungen zu fördern.

»Das is ein kreuzbravs Madel«, lobt er der Regei die Marianne auf.

Die Regei macht ein Gesicht zum Leutversprengen und schüttet den Säuen den Trank in den Trog, daß es nur so klatscht,

»Na ... na ... Kümmerer!« wehrt Marianne ab.

»Weil's wahr is«, beharrt der Kümmerer. »Ös seid's a Stadtfräul'n, und i woaß schon, es is Enk net immer leicht g'wesn. Zagt's amal Enkere Händ her ...«

Marianne versteckt lachend ihre Hände auf dem Rücken, es sind sehr rissige und abgearbeitete Hände, die sie da versteckt. Nichts da von feiner, weicher Seidenhaut, nein, das sind keine Erzieherinnenhände mehr wie im Hause des Herrn Rechtsanwaltes Klimsch. Und auch der Herr Hüttenwart Lobgesang würde vielleicht den Kopf schütteln und finden, daß diese Hände offenbar auch die groben Arbeiten fest angepackt haben. Natürlich, solche Baumrindenhände, wie sie die Regei hat, sind sie trotzdem noch lange nicht. Die Regei schaut auch gar nicht hin, der Kümmerer, der Tepp, redet ihr lang gut, sie unterhält sich weiter mit den Säuen in irgendeiner Ursprache der Menschheit: »Dschunkala ... Dschunkala.«

Man kann also nicht sagen, daß des Kümmerers Versuch der Anbahnung eines freundnachbarlichen Verhältnisses einen durchschlagenden Erfolg gehabt hat.

Aber dann geschieht etwas, das den Kümmerer weiterer Bemühungen enthebt. Es kommen allerhand Leute auf die Jahnhütte. Zum Teil andere wie im Winter, zum Teil dieselben, aber jetzt bleiben die Bretteln unten im Tal in den großen Städten. Jetzt ragt kein Hain von Bretteln – gerade, astlose Schäfte mit krummgebogenen Spitzen – aus dem Schnee vor der Hütte, jetzt ist die Rede von Seilen und Mauerhaken und Kletterschuhen. Das ist ja das großartige an der Jahnhütte, daß hier ebenso gutes Skigelände wie Klettergebiet ist.

»Hier also finde ich Sie«, sagt eines Tages ein junger Mann und macht große, verzückte Augen. Marianne steht mit den Ansichtskarten neben ihm, und der junge Mann hat gekramt und gewählt, und nun schaut er so beiläufig auf, um zu fragen, ob er auch Briefmarken haben könne, und nun reißt er die Augen auf.

Marianne wirft den Kopf zurück. Irgendwie bekannt kommt ihr der junge Mann schon vor, aber der tut ja so, als ob diesem Wiedersehen eine sehr innige Vertrautheit vorangegangen wäre.

»Erinnern Sie sich denn nicht?« drängt der junge Mann, »denken Sie einmal scharf nach.«

Marianne hat keine Zeit, scharf nachzudenken. Sie hat ein halbes Dutzend Gäste zu bedienen, auf dem Herd bräunt sich ein halbes Dutzend Wiener Schnitzel. »Ich weiß wirklich nicht ...«

»Nun, in der Eisenbahn ...«, hilft der junge Mann nach.

»Nein«, sagt Marianne ungeduldig. »Also wie viele Karten, bitte ... Briefmarken können Sie haben und den Hüttenstempel kriegen Sie auch darauf.«

»Ich bin doch damals mit Ihnen nach Klausen-Oberberg gefahren«, ruft der junge Mann Marianne nach. Auf dem Herd prasseln die Schnitzel und müssen gewendet werden. Also, denkt Marianne, der junge Mann von damals, der zum Reden eingenommen hatte. In was er wohl reisen mag, denkt Marianne.

Das halbe Dutzend Gäste gehört zusammen. Sie bilden eine Seilschaft und haben eine große Unternehmung vor. Nach dem Mittagessen brechen sie auf und wollen über den Grünseekamm ins Weißbachtal hinüber, in der Weißbachhütte übernachten und dann in einem Ruck die Kammwanderung Geierkopf -Hochgrindeck-Gabelspitze machen.

Ob der Herr nicht die Kammwanderung mitmachen wolle, eine sehr lohnende Sache;

Nein, der junge Mann will sie nicht mitmachen, er will sich zunächst einmal die Umgebung der Jahnhütte ansehen. »Ganz groß!« sagt er, und »Überwältigend!« sagt er.

Nach dem Mittagessen wird die Hütte leer, und nun hilft nichts, Marianne muß den jungen Mann über sich ergehen lassen. Ob er ihr beim Geschirrwaschen helfen dürfe? Er werde das Geschirr abtrocknen, damit falle ihm kein Stein aus der Krone, das habe er schon oft genug gemacht. Als Junggeselle, nicht wahr? »Siegfried Rummel, mein Name!« Und was das für ein glücklicher Zufall sei, geradezu ein Wunder von einem Zufall, nicht wahr; »Glauben Sie mir, unsere Begegnung ... nun, man fährt auf der Eisenbahn und hat ein Gegenüber ... Es steigt aus, man muß weiterfahren ... aber ein Funke ist zurückgeblieben ...«

So geht Siegfried Rummel ins Zeug. »Glauben Sie mir, es ist kein Tag vergangen, ohne daß ich mich gefragt hätt', was mag diese junge Dame ... diese entzückende junge Dame wohl in den Bergen zu tun haben ... ›Beruflich‹, haben Sie damals gesagt ... Ich geb' Ihnen mein Ehrenwort, ich hab' mir die ganze Zeit über den Kopf zerbrochen ... also was für ein Beruf kann denn das sein? Da oben in den Bergen ... und denken Sie, passen Sie auf, was ich erzähle ... ich hab' doch Winterurlaub nehmen wollen nach St. Ulrich, wissen Sie, mich im Skilaufen vervollkommnen ... aber es kommt immer etwas dazwischen, immer was dazwischen, wie wenn irgendein guter Geist das hätt' verhindern wollen, daß ich nach St. Ulrich geh'. Na, dann gehst du eben im Sommer, denk' ich mir ... und wohin? Schau also halt einmal so zufällig in die Zeitung hinein, Ehrenwort, ganz zufällig ... und les': Jahnhütte und Barometerstand und Niederschlagsmenge und so. Denk' ich mir gleich, die schaust du dir im Urlaub an. So ... und da bin ich ... aber – passen Sie auf – wer ist auch da? Sie! No, ist das jetzt ein Wunder oder nicht, ein Wunder von Zufall ... ganz groß?«

»Ja, ja!« sagt Marianne und schaut aus dem Fenster hinaus, und da sieht sie die alte Regei über die Almwiese rennen, einen Besen in der Hand, und hört sie brüllen, wie nicht gescheit. Marianne steckt den Kopf zum Fenster hinaus, was die Regei da treibt, erinnert stark an den Hexenritt in »Hänsel und Gretel« und wäre in der Walpurgisnacht gruselig anzusehen.

»Was ist denn da los?« fragt Herr Siegfried Rummel, ungehalten über die Störung. »Der Stier ist los«, sagt Marianne und wischt die Hände in die Schürze ab und stürzt vor die Hütte.

Da hopst der Stier auf dem Hügel über der Hütte herum und ist offenbar bei allerbester Laune.

Es ist ein junger, sehr lebenslustiger Stier, und wie der Breitenecker beim Auftrieb heroben war, hat er gemeint: »Gib acht, Regei, das wird aner!« Der Stier hat ein Stück Alm für sich, von einem starken Zaun umgeben. Für seinen Vorgänger hat der Zaun ja genügt, das war ein dicker, behäbiger Herr, der keinen Unternehmungsgeist mehr in sich hatte. Aber der neue Stier ist ein Brausekopf mit jugendlichem Feuer in sich. Zuerst hat es ihm Spaß gemacht, den Lawinen Antwort zu geben. Aber dann mag er dahintergekommen sein, daß das Gebrüll keine Herausforderung ist, und nun ist es ja überhaupt verstummt. Der Stier hat sich also anderen Aufgaben zugewendet, und heute hat er den Zaun an einer Stelle niedergelegt, nicht aus Bosheit, nein, aus reinem Übermut, und schaut sich nun auf dem Hügel über der Hütte um: was kostet die Welt?

Die Regei steht vor ihm und fuchtelt mit dem Besen und schreit und bringt ihn richtig auf den Trab. Aber nicht dorthin, wohin sie will, sondern wohin er will, also waldwärts.

»Das geht doch nicht, daß man da einen Stier frei herumlaufen läßt«, sagt Herr Siegfried Rummel neben Marianne. »Denken Sie, wenn Leute kommen!«

»Nein«, meint Marianne, »das geht wirklich nicht. Und gerade heute ist der Kümmerer nicht da.«

Siegfried Rummel ist der einzige Mann auf der Alm, weit und breit kein anderer, es bleibt ihm also wohl nichts übrig, als gegen den Stier vorzugehen. Es ist ein junger Stier, gewiß noch nicht bösartig, vielleicht ist auch dies ein freundliches Zufallswunder: man kann zeigen, daß man ein Held ist.

Er geht also verwegen auf den Stier los und ruft der Regei zu: »Nehmen Sie ihn von der anderen Seite!« Ein Taschentuch hält er in der Hand, ein rascher Blick hat ihn überzeugt, daß keine Spur von Rot in dem bunten Rand ist. Er wedelt mit dem Tuch und schreit: »Ho! Ho!«, um den Stier auf sich aufmerksam zu machen. Es gelingt ihm schließlich auch, der Stier bemerkt ihn, und weil er ein junger, lustiger Kerl ist, macht er sich einen Spaß mit dem Männchen. Er senkt den Kopf und galoppiert auf Herrn Siegfried Rummel los.

Man kann von einem Reisenden in Leinenwaren nicht verlangen, daß er sich benimmt wie ein Stierkämpfer, noch dazu, wenn er bloß mit einem Taschentuch bewaffnet ist. Auch ist schwer zu unterscheiden, ob es so ein Stier im Spaß oder im Ernst meint, wenn er die Hörner senkt. Herr Siegfried Rummel macht also kehrt und sitzt fünfunddreißig Sekunden später auf dem Dach des Ziegenstalles, der im Frühjahr der Jahnhütte angebaut worden ist.

Der Stier aber rast, von seinem Galopp fortgerissen, noch ein paar Sprünge weiter, und jetzt steht er unmittelbar vor Marianne, die ihm ein paar Schritte entgegengegangen ist.

»Also was sind denn das für Manieren?« redet Marianne den Stier an. – Ja, ist das nun ein Stier oder ein unartiger kleiner Junge, den Marianne da vor sich hat? Es ist schon ein Stier, wenn auch nicht gerade ein wütender, so doch ein übermütiger, und auch bei Stieren gilt das Sprichwort: Übermut tut selten gut! Aber Marianne sagt, als ob sie einen ungebärdigen Lausbuben vor sich hätte, mit strenger Miene: »Was fällt denn dir ein, deinen Zaun über den Haufen zu rennen und der Regei davonzulaufen?«

Der Stier hat es natürlich erfaßt, daß jetzt ein anderer Mensch vor ihm steht als die alte Regei oder der vorhin mit dem Taschentuch. Es ist ein Mensch, der eine ungemein wohltuende Stimme hat. Sie läutet sanft in den Ohren, und nachher spürt man sie noch im Magen wie junges, saftiges Gras. Aber sie bringt doch auch Verwirrung über den Unband, denn es ist in dieser Stimme etwas, das nicht Liebkosung ist. Der Stier ist mit einem Ruck vor der neuen Erscheinung stehengeblieben, nun ist im Klang dieser Stimme etwas, das ihn in Verlegenheit bringt. Er wiegt den Kopf unruhig hin und her, er beginnt mit den Vorderhufen den Boden zu scharren. Vielleicht würde er sich, wenn dies einem Stier gegeben wäre, mit dem Huf hinter dem Ohr kratzen. Irgend etwas ist nicht in Ordnung, das beginnt der Stier einzusehen.

»Du darfst das nicht wieder machen«, setzt Marianne ihre Strafpredigt fort, »und jetzt wirst du schön vernünftig sein und dich in deinen Pferch zurückführen lassen.« Damit nimmt Marianne ein Kletterseil vom Haken an der Hüttenwand, macht eine Schlinge und wirft sie dem Stier um den Hals. Und dann trottet der große Kerl hinter dem zierlichen Fräulein ganz brav und folgsam durch den Almwiesensumpf seiner Umzäunung zu.

»So, da habt's Euren Ausreißer!« sagt Marianne.

Die alte Regei wartet schon, sie macht ein Gesicht wie siebentausend Teufel, brummt irgend etwas Mürrisches, und dann boxt sie den Stier mit der Faust gegen die Rippen, daß es dröhnt wie eine dumpfe Pauke. So, und nun wird er mit der Kette an den dicksten der noch aufrecht stehenden Pfähle angeschlossen.

Vor der Hütte sitzt Herr Siegfried Rummel auf der Aussichtsbank. »Ganz groß!« sagt er. Und »überwältigend!« sagt er. »Ich bin sprachlos!« Er ist aber ganz und gar nicht sprachlos. »Nein, wie Sie das gemacht haben! Fabelhaft! Mein Ehrenwort: so was hab' ich noch in keinem Zirkus gesehen, wie Sie das gemacht haben! Nur mit dem Zauber der menschlichen Stimme! Wo Sie das nur gelernt haben?«

»Ach was«, sagt Marianne, »wir hatten doch ein Gut in Nordmähren, und da gab es allerhand Viehzeug drauf. Es gibt kein Tier, bei dem sich nicht durch gutes Zureden allerhand erreichen ließe.«

»So – hatten Sie ein Gut in Nordmähren?« horcht Herr Siegfried Rummel gespannt auf. Für solche Dinge hat er ein überaus feines Gehör. »Nein«, fährt er dann zu bewundern fort, »es sah ganz fabelhaft aus, wie der Stier so gesittet hinter Ihnen dreinging. Die Macht der Frau ... Europa mit dem Stier!« Sie soll nur wissen, diese Europa, daß man in Leinenwaren reisen und doch eine klassische Bildung haben kann ... Realgymnasium bis zur sechsten Klasse, bitte!

Marianne fängt plötzlich zu lachen an.

»Warum lachen Sie?« fragt Herr Rummel beunruhigt. Hat da mit Europa und dem Stier etwas nicht gestimmt?

Marianne lacht sich erst gründlich aus. »Ach ... es war doch zu komisch, wie Sie oben auf dem Ziegenstalldach gesessen sind.«

»Erlauben Sie«, erwidert Herr Rummel scharf, »ich habe keine solche Macht über wilde Tiere wie Sie ... mich hätte er wahrscheinlich aufgespießt ... ich bitte um ein Butterbrot und ein Glas Milch!«

Am Abend kommt der Kümmerer, beschaut den Schaden, den der Stier angerichtet hat, und flickt den Zaun aus. »Sixt es, Regei«, meint er, »wann du jetzt die Mariann' net g'habt hättst, könntst dei'm Stier nachlaufen!«

Die Regei gibt keine Antwort. Der Kümmerer braucht die Marianne gar nimmer aufzuloben. Sie weiß schon selber, was sie von ihr zu halten hat.


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