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»Mein lieber Rex,« sagte der Doktor am zweiten Weihnachtsfeiertag, »du bist jetzt in das Alter getreten, in dem der Ernst des Lebens beginnt. Bisher hast du deine Jugend genossen und ich habe dir die Zügel schießen lassen. Aber für Mensch und Tier kommt die Zeit, in der sie Gehorsam gegen die höheren Mächte des Daseins und Selbstzucht lernen müssen. Beim Menschen nimmt zumeist das Schicksal selbst die Erziehung in die Hand und besorgt sie auf langwierigen, zuweilen schmerzhaften Umwegen, so daß man bisweilen meinen könnte, es mache sich nur einen Spaß mit einem, bis man dahinter kommt, es sei blutiger Ernst. Der Hund hat es, wie in vielen anderen Dingen, so auch darin besser, daß der Mensch an Stelle des Schicksals tritt und die Erziehung in abgekürztem Verfahren und wesentlich schmerzloser bewirkt. Außerdem gibt es für diesen Zweck sogenannte Hundedressurbücher, wie du eines hier in meiner Hand siehst, das dir das Christkindl vorgestern unter den Baum gelegt hat. Darin ist genau vorgeschrieben, in welcher Weise die hündische Pädagogik vorzugehen hat, in fortschreitenden Übungen, auf daß sich eines über das andere sorgsam baue und sich zuletzt das Goethesche Wort bewähre: ›Dem Hunde, wenn er wohl erzogen, ist selbst ein weiser Mann gewogen,‹ was auch von Wilhelm Busch sein könnte. Du hast Talent. Talent verpflichtet, und so wollen wir denn im Namen Hagenbecks beginnen.«

Rex hatte zuerst aufmerksam zugehört, wandte sich aber, da diese Rede etwas zu lange dauerte, zur Türe, durch deren Spalten ein feines, verlockendes Mittagsdüftlein aus der Küche herüberzog.

»Ja, ja,« sagte Schittelhelm, »du wirst es auch noch lernen müssen, daß, hör' ich, angeblich, nach der Meinung der Edlen, der Geist über die Materie siegt, was man Kultur nennt. Wir wollen also dem Geist zum Sieg verhelfen. Komm!«

Damit legte er Rex das Halsband um, befestigte die Leine daran und Rex sah sich zu seinem lebhaften Bedauern gezwungen, den lieblichen Dunstkreis der Küche zu verlassen und seinem Herrn in den Garten zu folgen. Der vor Wochen gefallene Schnee war in einer späteren Wärmeperiode dahingeschmolzen und nur war die nackte Erde im Frost erstarrt, also daß der große Rasenplatz um die Blaufichte hart wie ein Brett dalag.

Hier begann die Schule, die zunächst darin bestand, daß Rex an kurzer Leine neben dem linken Bein seines Herrn zu gehen hatte, die Nase um ein Stück vor dem Knie. Hierauf wurde ihm das Sitzen beigebracht, indem ihm der Herr das Hintergestell mit sanfter Gewalt niederdrückte. Jeden Tag, an dem der Doktor eine halbe Stunde erübrigen konnte, ging es um einen Schritt weiter. Es kam das Legen, das auf den Befehl »Platz« vor sich zu gehen hatte, und so eines nach dem andern, ganz nach dem Buch, das als Weihnachtsgeschenk unter dem Baum gelegen hatte und dem gar nicht anzusehen gewesen war, was für Niederträchtigkeiten es in sich barg. Es erwies sich, daß, was man von Rex verlangte, im wesentlichen darauf hinauslief, bisher nach freier Entschließung und eigenem Ermessen Geübtes nun auf das Wort des Herrn zu tun. Es kamen aber auch schwierigere Dinge, als »Such Verloren!« und »Apport!« und »Ablegen!«, wobei man vor irgend einem Gegenstand dazuliegen hatte und sich nicht wegrühren durfte, was auch geschah, bis man vom Herrn selbst abgeholt wurde. In diesem Falle wurde das Gegenteil von dem verlangt, das sonst geboten war; man durfte sich beileibe nicht rühren, wie auch der Herr rufen und pfeifen und locken mochte, durfte keinem Vorüberlaufenden an die Beine fahren und sich durch keinen Kollegen von seiner Pflicht abwendig machen lassen.

Rex gab es auf, sich über das Widerspruchsvolle solcher Menschenwünsche den Kopf zu zerbrechen und unterwarf sich völlig dem Willen seines Herrn. So fügsam er aber auch wurde, sein höchstes Entzücken und der eigentliche Sinn seines Lebens war doch nicht der Gehorsam, sondern die inbrünstige Verehrung, mit der er seiner Herrin zugetan war. Wenn er dem Doktor im Gefühl der Notwendigkeit und Pflicht sich unterstellte, so war er ihr mit einer blinden Bedingungslosigkeit ergeben und wenn er sie ansah, hatten seine Augen einen tiefen Glanz.

Er wuchs heran und das dumpfe Empfinden seiner Jugend wurde zu einer strahlenden Bewußtheit, ihr zu gehören. Er gewann eine Seele und sie war nichts als Liebe.

Nur eines verdroß ihn, daß er an seiner Herrin, wenn sie fort gewesen war, nach ihrer Heimkehr bisweilen, manchmal schwächer, manchmal stärker, jenen widerwärtigen Geruch bemerkte, der ihm den fremden Mann verriet und der ihm so gar nicht zum süßen Duft seiner Herrin zu passen schien. Solche Mischung mißbilligte er ganz und gar, ihr Wahrnehmen bekundete er durch ein leises Knurren, dem der Doktor keine Erklärung wußte.

In die Zeit, in der seine Erziehung ihrem Ende nahte, fiel seine Bekanntschaft mit dem Pudel Bimm. Auf einem der Gänge ins Freie, bei denen der Doktor das Angenehme mit dem Belehrenden zu verbinden pflegte, hatte er etwas herbeizuholen, was sein Herr aus erzieherischen Gründen verloren hatte. Rex hatte auf der Spur ein tüchtiges Stück zurückzulaufen, vom Waldrand bis weit auf die Heide hinaus, und als ihm seine Nase sagte: »Hier ist es«, fand es sich, daß der Handschuh seines Herrn bereits von einem Kollegen aufgegriffen war. Ein zottiges Vieh, dem schwarze, östlich aussehende, gedrehte Locken in die Augen hingen, hatte sich des Handschuhes bemächtigt, es hielt ihn im Maul und machte Anstalten, sich in entgegengesetzter Richtung zu entfernen, einem Herrn entgegen, der da langsam wandelnd im Abendschein über den Hügel mit den drei Birkenbäumen kam.

Verblüfft ob dieser maßlosen Frechheit, starrte Rex den fremden Hund wie verdonnert an; dann aber, da ihm sein Pflichtgefühl sagte, daß er eine solche Entführung unter keinen Umständen zugeben dürfe, stürzte er sich auf den Fremdling und packte die herabhängenden Finger des Handschuhes. Der andere aber, im Bewußtsein des redlichen Finders, hielt fest und stemmte die Beine ein. Sie zogen und zausten hinüber und herüber, bis Rex, des langwierigen Kampfes überdrüssig, plötzlich losließ und sich über den Räuber hermachte, indem er ihm die Zähne in den Zottelpelz des Nackens schlug. Verbissen kollerten sie den Abhang hinab, aber der Kampf wäre für Bimm, der ein alter Herr war, und dem die wenigen Zähne, die er noch besaß, schon recht locker in den Kiefern saßen, übel ausgegangen, wenn nicht in diesem gefährlichen Augenblick die beiden Herren herbeigeeilt wären und jeder seinen vierfüßigen Paukanten zurückgerissen hätte.

Mit der einen Hand in die Halsbänder ihres Hundes verkrampft, lüfteten die Herren mit der anderen den Hut und stellten sich vor. Der Doktor erfuhr so, daß der Besitzer des Pudels der pensionierte Oberlehrer Bartosch sei, jener sonderbare Herr, von dem der kleine Ort nicht mehr wußte, als daß er ein einsames, zurückgezogenes, ärmliches Leben führe, aller Not der Zeit preisgegeben und beschwert durch das Leid um zwei Söhne, die im Krieg gefallen waren.

»Entschuldigen Sie,« sagte der Doktor, »mein Hund ...«

»Ihr Hund war im Recht,« wehrte der Oberlehrer ab, »er hat Ihr Eigentum verteidigt. Es wäre zu wünschen, wenn bei Kämpfen zwischen Menschen und Völkern Recht und Unrecht immer so klar geschieden wären.«

Wie der Doktor daraufhin den alten Herrn genauer ansah, war er überrascht durch etwas, was er nicht anders, denn als eine merkwürdige Ähnlichkeit zwischen ihm und seinem Hund bezeichnen konnte. Auch dem Oberlehrer, der seinen Kopf hutlos der weichen Vorfrühlingsluft hingab, hingen wirre Haarzotteln über die Stirn und in die Augen, nur daß sie weiß waren und nicht schwär; wie die Bimms. Und wenn der Pudel in seinem Gesicht unleugbar etwas Menschenhaftes, Beseeltes hatte, so hatte der alte Herr mit seiner stumpfen Nase, den flachen, schlaff hängenden Backen und der kindlichen Einfalt seines Blickes etwas von seinem Hunde an sich, ja man hätte glauben können, daß seinem Mund eben dieselben Zähne fehlten wie der Schnauze Bimms. Der Oberlehrer, der die Prüfung und ihr Ergebnis bemerkt zu haben schien, lächelte ein wenig und die beiden Herren gingen friedsam selbander in den Abend hinein.

Indessen hatten sich auch die beiden Hunde, da sie ihre Herren in so völligem Vertragen sahen, miteinander bekannt gemacht.

»Was bist denn du für einer?« roch Rex fragend an dem Pudel.

»Ein guter Freund!« wedelte Bimm mit einem Blick auf seinen Herrn.

»Wollen wir unsere Beißerei vergessen,« schlug Rex gutmütig vor.

Darauf liefen sie voraus, Rex in seinem jugendlichen Drang als Führer, Bimm mit der größeren Würde gesetzten Alters nebenher, doch etwas hinterdrein. Ab und zu blieben sie stehen und bekundeten die Übereinstimmung ihrer Interessen an demselben Baumstamm oder demselben Stein.

»Ich habe ihn Bimm genannt,« sagte der Oberlehrer, »weil ich es nicht leiden kann, wenn die Hunde Menschennamen haben. Was für ein Unsinn, so ein Tier etwa Cäsar zu nennen, wenn vielleicht ein Abbé des achtzehnten Jahrhunderts in ihm steckt. Oder Nero, während er doch von Rechts wegen Ludwig der Fromme heißen müßte. Oder Ali, wenn er mit Mohammeds Schwiegersohn gar nichts gemein hat, sondern etwa Lavater in ihm umherwandelt.«

»Sie glauben also an die Seelenwanderung?«, fragte Schittelhelm einigermaßen erstaunt.

»Sie etwa nicht?« gab der Oberlehrer verwundert zurück.

Da sich über diese heikle Frage aber nach so kurzer Bekanntschaft nichts Entscheidendes ausmachen ließ, kamen sie bald wieder auf das eigentlich Hundemäßige zurück. Auch Bimm war ein gelehrter Herr, freilich waren seine Kunststücke von anderer Art als die des Rex. Er konnte, den Stock seines Herrn im Maul, auf zwei Beinen aufrecht gehen, wenn ihm auch die ein wenig gichtischen Pfoten dabei wankten; er legte sich auf den Rücken und stellte sich tot, er antwortete auf die Frage: »Wie spricht der Hund?« mit einem heiseren Kläffen.

Rex bewunderte diese Künste sehr.

»Er hat eine altmodische Erziehung,« lächelte der Oberlehrer, »er ist ja auch ein altmodischer Hund. Wer hält sich noch heutzutage einen Pudel? Sollte man nicht meinen, daß das Entstehen, Blühen und Vergehen der Menschenmassen und Menschenvölker auch von den Modelaunen jener Mächte abhängt, die uns zu ihrem Vergnügen halten?«

»Ja, jetzt ist alles auf Schneidigkeit gestellt,« gab der Doktor zu, »auf Schärfe, Verstand und praktischen Nutzen.«

»Was den praktischen Nutzen anlangt –« sagte der alte Herr, »da ist ein Pudel auch nicht zu verachten.« Er blieb stehen und streifte die Hose über den Schuhrand empor, wobei ein paar dicker, zottiger, wollener Socken zum Vorschein kamen. »Ja, schauen Sie nur! Beste Hundewolle ... geliefert von meinem Bimm. Da er doch im Sommer geschoren werden muß, warum soll das schöne Haar verloren gehen? Sehen Sie nur: gesponnen und gestrickt von meiner Frau. Sie ist schon lange tot, aber die Socken sind nicht umzubringen. Es ist kein Falsch an meinem Bimm, alles echt, er hat mir auch kein Flöckchen Baumwolle hineingemischt. Und sie ahnen nicht, wie wunderbar warm das ist, die ganze Wärme seiner Seele ist darin.«

Sie waren über die hochgebuckelte Heide wieder dem Ort nahegekommen und beim Tennisplatz schieden sich ihre Wege. Ob der Oberlehrer ihn nicht mit Bimm einmal besuchen wolle, fragte der Doktor und mit einem etwas verlegenen Bemühen fügte er hinzu: »Da sich die Hunde so gut vertragen.«

»Seien Sie mir nicht böse,« bat Bartosch mit einem gleichfalls verschämt verhohlenen Dank: »Ich gehe nicht mehr in fremde Häuser. Wenn wir uns aber im Freien treffen wollen ... gern. Aber vielleicht kommen Sie einmal zu mir, früher als wir beide jetzt glauben.«

Beim Heimkommen fanden der Doktor und Rex das Haus leer. Von Frau Hella ein Zettel: sie sei mit Mama in die Stadt gefahren, in die Oper, und Schittelhelm ergänzte unschwer aus Eigenem: wo ihnen Beckers eine Loge genommen hatte. Und Mirzl, die weiland tränenfeuchte Jungfrau, war, die allseitige Abwesenheit wahrnehmend, offenbar gleichfalls ausgeflogen, als girrendes Täubchen, in das sie sich seit einiger Zeit gewandelt hatte. Es war sohin die Vermutung nicht abzuweisen, daß man vorhin in dem engen Gäßchen richtig gesehen hatte, wo ein Pärchen unter überhängendem dunkeln Gebüsch durch eine Zaunlücke geschlüpft und wo Rex verräterisch wedelnd stehen geblieben war.

Aus Schränken und Laden trug sich der Doktor ein karges Abendessen zusammen und sprach, wie es seine Gewohnheit geworden war, zwischendurch mit Rex: »Ja ... da sind wir wieder allein ... Rex, Frauerl ist in der Stadt. Im Theater. Mit der Mama und dem Herrn Beckers. Frauerl hat jetzt viel Unterhaltung. Immer was Neues. Im Fasching war sie auf drei Bällen. Mit der Mama. Und dem Herrn Beckers. Was soll das Herrl machen? Soll es den Blödsinn mitmachen? Ins Theater, ins Restaurant, in die Bar? Ich trau' mich ja nicht weg. Ich muß zu Haus sein. Die Leute müssen sich an mich gewöhnen. Ein Arbeiter macht seine sechs Stunden und aus. Ein Doktor muß immer da sein, sonst gehen die Leute zum nächsten.«

Rex hörte zu und hatte ein schweres Herz, denn es lag im Ton seines Herrn etwas, dem Trauer entströmte, ein dicker, dunkler Schwaden von Kummer, der die Augen des Hundes trübte. Irgend etwas rang in ihm, ein heißes, schmerzhaftes Sehnen nach Ausschließung seiner Tiefen, nach der Möglichkeit, seine Stimme so zu wandeln, zu bilden, hoch und tief, verschmolzene und getrennte Töne, wie sie der Mensch von sich geben konnte. Er wußte, in seiner Brust war nichts als ein unschmiegsamer Urlaut, ein armes Bellen oder Winseln. Unruhig bewegte er sich hin und her, legte seinen Kopf auf die Knie des Herrn und sah tröstend zu ihm auf: »Ich bin da! Nimm mich! Ich bin da!«

»Ich weiß,« sagte der Herr »ich weiß, mein Hund!« Und es war, als wäre es Rex mit der Macht seines ergriffenen Gefühles gelungen, die Wände, die seine Seele umschlossen, zu durchdringen.

Nach einer Weile kam Mirzl, noch gerötet vom herzhaften Abschied, aber trotzig aufgebäumt und mit einer Sprengladung äußerst starkmütiger Mahnungen: »Wann s' der was sagen, nur a schiach's Wort, so haust eana den Dienst hin und gehst d' in d' Fabriken!«

Aber der Doktor tat nichts dergleichen, er hatte eine medizinische Zeitschrift vorgenommen und war vollständig in einem Artikel über Trachome untergesunken, wie sich jemand bei größter Kälte bis über die Ohren unter der Bettdecke verkriecht.

Nach Mitternacht hob Rex, der neben ihm auf seiner roten Decke ins Rund eines der Stühle hineingegossen war, so daß er es völlig ausfüllte, den Kopf. Er hatte ein fernes Geräusch gehört, lange ehe das Ohr des Menschen von ihm getroffen war, und seine Ahnung sagte ihm, wer da kam. Als das Auto herantobte, stand er schon an der Türe, schnob am Spalt und winselte ungeduldig. Gartentor ... Haustor ... Vorzimmertür ... Stimmen der Herrin und der alten Frau. Die Pfoten scharrten heftig. Als der Doktor öffnete, schoß er hinaus, drehte sich heulend um sich selbst, saß plötzlich da, von einem jähen Jucken gepackt und kratzte sich mit dem linken Hinterfuß am Hals, daß die Haare flogen, sprang wieder auf und mit einmal wurde die Freude so unbändig in ihm, daß er vollständig außer sich geriet. Er schoß zur Küche hinein, warf einen Sessel um, schnappte im Vorüberrasen nach Mirzls Beinen, die schlafend am Herd saß, fuhr hinaus, zwischen den Menschen hindurch in ein Zimmer hinein, sprang über das Sofa, warf sich auf die Vorderpfoten, das Hintergestell hoch in der Luft, bellte seine Verzückung laut hinaus, flog mit ausrutschenden Beinen weiter und packte das schwarzlederne Handtäschchen, das seine Herrin eben auf einen Stuhl gelegt hatte.

Es öffnete sich und wie Rex weiterrannte, entleerte es seinen Inhalt als eine Spur der wilden Jagd: Schlüssel, Taschentuch, Börse, Handschuhe, Rechnungszettel, einen Brief ...

»Rex, bist du verrückt,« rief der Doktor lachend und bückte sich, um die verstreuten Dinge wieder aufzuheben.

»Laß nur!« sagte Frau Hella hastig.

Aber Schittelhelm hielt den Brief schon in Händen und mit einem jener Blicke, die über alle optischen Gesetze hinaus eine unerhörte Plötzlichkeit und wunderbare Umfänglichkeit zu haben scheinen, hatte er schon eine ganze Anzahl von Worten erfaßt: »... immer die Mama dabei. Wann wirst du endlich meine Sehnsucht nach einem ungestörten Alleinsein erfüllen, um das ich dich so lange bitte ...«

Roter Brand aufgejagten Blutes glutete bis unter Hellas Haarwurzeln über die klare Stirne. Sie nahm zitternd Schlüssel, Handschuh und Brief aus des Mannes Hand und senkte einen verstörten Blick in sein Gesicht. Es schien ihr unverändert, und da er sich nun nach Taschentuch und Börse bückte, setzte ihr Herz mit einem schmerzhaften Ruck seine Arbeit fort: die Gefahr, diese jähe, fürchterliche Gefahr war abgewendet, aber die Beine schwankten unter ihr, daß sie sich setzen mußte.

»Ich bin so müde,« sagte sie erblassend, indem sie die zusammengelesenen Gegenstände wieder in ihre Handtasche tat.

»Du kannst gleich schlafen gehen,« antwortete der Doktor ruhig, »ich möchte erst noch einen Artikel zu Ende lesen.«

Aber als es im Hause still und dunkel geworden war, da erlebte Rex etwas Seltsames. Er lag schon in seiner Kiste und schlief. Da erwachte er durch das Öffnen der Küchentür und den Schritt seines Herrn. Und gleich darauf fühlte er, wie der Mann sich neben ihm auf die Knie warf und ihn aus der Finsternis her mit Streicheln, Küssen und Liebkosungen überströmte, wie er das Gesicht in sein Fell wühlte und seine Arme ihn umschlangen. »Mein Rex,« stöhnte und schluchzte es, »mein Rex, mein lieber, guter Hund ...« Rex schob seinen Kopf über die Schulter seines Herrn und schnob seinen warmen, beruhigenden Atem an das Ohr des bebenden Menschen hin.


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