Rudolf Stratz
Der weiße Tod
Rudolf Stratz

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IV

»Nee ... was zu doll ist, ist zu doll ... da hört sich denn doch verschiedenes auf ... Komm ich da ganz gemütlich aus Interlaken vom Bankhaus mit 'm Geld in der Tasche ... frage: ja, zum Kuckuck ... wo steckt denn meine Frau? ... Einfach weg ... verschwunden ... Gott weiß wohin ... der Nachmittag vergeht ... Abends bekomm ich die Mitteilung: Ihre Frau kampiert irgendwo in den Gletschern in 'nem Ziegenstall oder so was Gutem! Die Nacht vergeht ... der nächste Morgen ... und dann endlich kommt ein unbekannter Mann vom Berge und liefert mir freundlicherweise meine Gattin wieder ab ... nein ... nein, liebes Kind ... ich denke ... du wirst mir zugeben, daß ich ein guter und rücksichtsvoller Ehemann bin ... aber mißbrauchen darfst du das auch nicht ... sonst ... sonst zwingst du mich eben auch, andre Saiten aufzuziehen.« Er wandte ihr den Rücken und sah zornig durch die regenblinden Scheiben hinaus in den grauen Nachmittag.

Vom Bette aus, in dem sie lag und ihren Tee schlürfte, sah ihn Elisabeth mit einer Art finsterer Neugierde an.

Er kam ihr so fremd vor, dieser elegante Aristokrat, der, immer mit gedämpfter Stimme und dem Bemühen, ihr nichts eigentlich Verletzendes zu sagen, sie nun schon seit zwei Stunden wie ein kleines Kind ausschalt.

Und doch war das ihr Mann. Und – darin hatte er ganz recht – ein guter und rücksichtsvoller Ehemann, um den schon viele ihrer Freundinnen sie beneidet hatten.

Sie lebten ja auch ganz glücklich miteinander – nicht gerade in verzehrender Zärtlichkeit, sondern als zwei gute lustige Kameraden. Ihr Schloß im Thüringischen war selten leer von Gästen, der heitere hochragende Herrensitz, um den im Winter das Knallen der Büchsen durch die kahlen Zweige scholl und im Herbst das fröhliche Kläffen und Rosseschnauben der Hasenhetze tönte. Wo sie sich im Lärm der Lawn-Tennis-Partien, im Gewühl ihrer weltbesuchten Bälle sahen, da nickten sie sich freundlich zu und wußten sich eins in dem glänzenden geräuschvollen Treiben ihrer Tage.

Jahrelang waren sie auch wirklich eins gewesen. Und wenn sie ehrlich war, mußte sie sich zugestehen, daß ihr Gatte sich in keiner Weise seit dem Tag verändert hatte, da er um ihre Hand anhielt. Er war derselbe gutherzige frohlebige Kavalier geblieben, der es als eine Ehrenpflicht ansah, der Frau, die ihm ihr Dasein anvertraut, dies Dasein so angenehm wie möglich zu gestalten.

Er war eben ein fertiger Mann, als er den großen Schritt in die Ehe tat. Und sie? ... Sie lächelte trübe, wenn sie an ihre achtzehn Jahre von damals dachte. Sie erschien sich in der Erinnerung wie eine Fremde.

Wahrlich ... sie war seitdem anders geworden. Wohl hatte sich ihren kühlen Sinnen und ihrem herben Stolz nie eine Anfechtung genaht – aber geistig ... das fühlte sie mit wachsendem Schrecken von Jahr zu Jahr – lockerte sich immer mehr das Band, das sie an ihren Gatten hielt. Sie verlangte mehr vom Leben, Ernsteres und Tieferes, als er ihr geben konnte.

Ein paarmal hatte sie versucht, sich mit ihm auszusprechen. Er verstand sie nicht, und sie entfremdeten sich noch mehr. Und ohne es zu wollen, begann sie, auf ihn herabzusehen.

»Du weißt ja gar nicht, wie schön es in den Bergen ist!« sagte sie endlich, um die peinliche Pause zu brechen, mit müder Stimme.

Er drehte sich gereizt um: »Schön? ... und wenn du nun heruntergefallen wärst ... zum Teufel ... ich habe doch schließlich nur eine Frau ... und unsre Edith nur eine Mutter ... du ahnst natürlich gar nicht, wie gefährlich das ist ... alle Augenblicke kommt so ein Kletterfritze kopfvor den Berg herunter, und das Unglück ist fertig.«

Sie schloß die Augen. Ein herber, spöttischer Zug spielte um ihre Lippen.

»Schließlich ist's deine Schuld!« sprach sie, »ich hab' dich oft genug gebeten, mich in die Berge zu begleiten ... und nur, weil du es durchaus nicht tun wolltest ...«

Er hatte sich vor ihrem Bette rittlings auf einen Stuhl gesetzt und rang, wie um Fassung zu behalten, die Hände, »Ein Talent habt ihr Frauenzimmer, einem die einfachsten Dinge zu verdrehen! Also weil ich das Bergsteigen für einen Unsinn halte und dir verbiete, bin ich an allem schuld ...«

»Dir verbiete!« Sie öffnete die Augen und sah ihm wieder in kaltem Befremden nach, wie er aufstehend durch das Zimmer schritt.

Es kam ihr so seltsam vor, daß sie diesem Manne gehorchen sollte.

Sie wußte, daß sie ihn geistig weit überragte ... Sie war stärker und hatte mehr Tatkraft und Entschlossenheit, vielleicht sogar mehr Mut als er. Und doch: »Er soll dein Herr sein!« Vielleicht ein gutmütiger, aber dafür ein verständnisloser Gebieter auf Lebenszeit. Sie seufzte schwer auf. Ein dumpfes, entsetzliches Grauen vor der Zukunft ging durch ihre Brust.

Er trat wieder zu ihr: »Also sei vernünftig, Kind! Ich erlaub' dir nicht mehr, in die Berge zu gehen ... und du kannst fragen, wen du willst, er wird mir recht geben ... aber sonst soll geschehen, was du nur magst, und wir wollen von hier reisen, wohin du Lust hast.«

Sie fuhr in die Höhe. »Willst du denn weg von hier?« fragte sie rasch.

Er räusperte sich ärgerlich: »Du hast mich hier ein bißchen lächerlich gemacht, ma chère ... ein Ehemann, der quasi mit der Laterne seine Frau sucht und sich bei Hausknechten und Maultiertreibern nach ihrem Verbleib erkundigt ... enfin ... ich möchte nicht mit dem gewissen Lächeln empfangen werden, wenn ich mit dir zur Table d'hote komme. Das paßt mir nicht. Wir speisen heute auf dem Zimmer und reisen morgen früh ab ...«

Sie schwieg.

»Ich habe einen Brief von zu Hause«, sagte er nach einer Weile. »Edith ist gesund und munter. Und sonst passiert dort nach wie vor nichts!«

Sie nickte stumm.

Wie traurig war das alles ringsumher ... dies geschmacklose Hotelzimmer mit seinen Öldruckbildern ... dies Poltern und Trampeln, das die dünnen Holzdielen und Wände durch das ganze Haus trugen, dies Knarren der Lackstiefel, in denen ihr Gatte rastlos und ärgerlich auf und ab lief. Endlich blieb er stehen. »Wer war denn eigentlich dieser andre Mann, mit dem du da ankamst? ...«

»Er hat sich mir vorgestellt«, erwiderte sie ruhig, »Freiherr von Gündlingen, ein Gutsbesitzer vom Main.«

Er zog die Augenbrauen hoch und trat näher. »Ich dacht', es wäre ein Führer ... so sah er wenigstens aus!« Sie schüttelte stumm den Kopf.

»Das ist ja reizend«, hub er wieder an, »wirklich reizend ... also eine Gletscherwanderung mit einem mir völlig unbekannten Herrn.«

Ein kalter Ernst legte sich auf ihre Züge. »Ich bin froh, daß ich ihn getroffen habe«, sprach sie langsam, ohne ihren Mann anzublicken, »ohne ihn wäre ich da oben ganz einsam und verloren gewesen und hätte gewiß heute nicht den Weg heruntergefunden. Er hat für mich gesorgt wie ein starker besonnener Freund, und du tätest besser daran, ihm einen Besuch zu machen und ihm dafür zu danken, statt ewig hier über die Gefahren der Berge zu jammern.«

Er schien unsicher.

»Schließlich wird ja nichts andres übrigbleiben«, meinte er ärgerlich: »es ist die einzige Art, mich mit Anstand aus der Affäre zu ziehen ... ich will dem Kellner meine Karte geben und fragen lassen, ob ...« – er brach ab und sah erstaunt durchs Fenster. »Du ... aber da läuft der Mensch ja schon wieder fort!« rief er halblaut und erfreut.

Sie folgte seinem Blick. Jawohl, sie kannte diese breitschultrige Gestalt, die da mit schweren ruhigen Schritten, die Eisaxt auf der Schulter, durch den Regen dahinging, weiter und weiter, und, ohne sich umzusehen, in dem Nebeldämmern verschwand, das heute die Bergwelt von dem Tale unten schied.

Eine tiefe trostlose Traurigkeit kam über sie. Ihr war es, als schritten mit dem einsamen Wanderer dort all die Kraft und Größe wieder aus ihrem Leben, in das sie nur einmal in diesen letzten Tagen von ferne hineingeleuchtet hatten.

Das alte Spiel würde wieder beginnen, und in der flachen Buntheit ihres Daseins es ihr selbst vielleicht in kurzem unbegreiflich erscheinen, daß sie sich einmal nach Ernst und Einkehr gesehnt hatte.

Und doch war es vielleicht besser so!

Besser, eine flüchtige Begegnung zu vergessen, in der das blinde Treiben des Geschicks zwei Menschen im selben Augenblick genähert und wieder geschieden hatte, als nutzlos daran denken ... und darüber sinnen ...

Ihr Mann studierte den Fahrplan.

»Um zehn Uhr vormittags geht ein Zug«, murmelte er ... »ist dir das recht?«

»Mir ist alles recht!« sagte sie müde und drehte sich zur Seite.


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