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XV.

» Psillós – der Floh! Koréos – die Wanze! Psirás – die L...! ach so – das ist ein unpassendes Tier! – Also noch einmal: Psillós – der Floh! Koréos – die Wanze! ...«

»Lotte – was treibst du denn?«

»Pscht! Ich lerne Neugriechisch! Schon die ganze Zeit, während du mit dem Meister Josephus Mondschein geschwärmt hast. Da steht es ... Seite dreizehn der praktischen Vorbemerkungen zu Bädekers ›Griechenland‹ ...«

»Ach – Unsinn! ... Es ist Mitternacht vorbei!«

»Seite dreizehn der praktischen Vorbemerkungen: Psillós – der Floh.«

»Jetzt schlaf lieber! Was soll denn das? Du reißt einen immer aus aller Stimmung mit deinen törichten Geschichten!«

»Schlafen!« Lotte saß melancholisch, das aufgeklappte rote Buch im Schoß, im langen, von losem Haar überfluteten weißen Frisiermantel und gelben Pantoffeln auf einem Stuhl vor ihrem Bett. »Ich wollte wohl schlafen. Aber man hat mich auch aus der Stimmung dazu herausgerissen.«

»Wer denn?«

Lotte verzog das rosige Antlitz zu einer Grimasse. »Du willst im geheiligten Hellas reisen und weißt nicht, was Psillós heißt oder gar Koréos? Na warte! Du wirst es erfahren. In einer Viertelstunde spätestens!

»Ich wollt', die Sonne wäre schon da!« fuhr sie fort, da die andere schwieg. »Ach – arme Lore! Aus allen Mondscheinträumen erwacht und das Insektenpulver in der Hand! Gib dir keine Mühe! Die Schachtel ist leer. Ich hab' schon alles, was darin war, vergeudet und verstreut, und es hat gar nichts geholfen. Die Psillos- und Koreostiere scheinen es im Gegenteil zu lieben. Sie kriechen in Scharen danach wie die Fliegen nach dem Zucker! Puh – und die Stechmücken!« Sie warf den Kopf zurück, daß ihr offenes Haar wie eine lange, weich rollende Welle frei schwebend fast bis zum Boden niederglitt, und fächelte mit dem Reisehandbuch durch die Luft. »Die Mücken bringen mich noch um. Die machen mich mit ihrem feinen Singen schon beinahe wahnsinnig. Und es werden immer mehr! Aber weißt du, daß du ganz blaß aussiehst, Lore? Wahrhaftig! Förmlich blaue Ringe unter den Augen! Es fehlt dir doch nichts?«

»Nein. Eigentlich nicht! Es ist mir nur so schwer im Kopf. Aber mehr traurig als krank. Gerade, wie wenn irgendein Unglück bevorstände...«

Lotte hatte sich am Boden hingekauert und kramte in dem Koffer. »O weh!« murmelte sie plötzlich mit verdutztem Gesicht.

Ihre Schwester mußte wider Willen lachen. »Ist das Unglück schon da? Hast du es in dem Kästchen?«

»Lache nicht, Lore! In dem Kästchen war unser Chinin und ist durch die Seeluft feucht geworden und ist nur noch ein einziger bitterer Oblatenbrei!« Sie verzog schmerzlich den Mund, während sie mit Hilfe des kleinen Fingers kostete. »Das ist eine schöne Bescherung! All unser Chinin weg! Der Meister hat natürlich nie so etwas mit. Was machen wir nun?... Kriege nur kein Fieber! Du schaust miserabel aus!«

»Ach wo!« Ihre Schwester wickelte sich resigniert in einen Reiseplaid, setzte sich auf einen Stuhl und löschte das Licht.

Es ward still zwischen ihnen. Mit beinahe taghellem Glanz füllte der Vollmond das Gemach mit den beiden dunklen, schlaftrunken auf den unbequemen Stühlen sich zurechtrückenden Gestalten. Von draußen klang das ferne tausendstimmige Froschgequake und Grillenzirpen, dazwischen, rasch näherkommend und wieder verhallend, das Gekläff der jagenden Köter. Nun war wieder alles ruhig. Nur die schweren Atemzüge der beiden Mädchen durchdrangen das tiefe Schweigen der Nacht. Dann begann Lotte plötzlich, wie aus dem Schlaf heraus, halblaut zu singen. Eine einförmige, frei erfundene Melodie von drei Tönen, die sich ewig, wie gleichmäßig fallende Tropfen, wiederholten.

»Hör mal, Lotte – das macht einen verrückt!« sagte Ellinor endlich. »Muß denn zu allen anderen Greueln auch noch dein Gesang kommen?«

Lotte machte die Augen auf, und ihre hübschen Züge belebten sich im Zorn. »Mich laß in Ruhe! Der Meister Josephus ist an allem schuld. Du sei nur still! Du liebst ihn! Also darfst du nicht klagen. Eine schöne Liebe, die nicht ein paar Stechmücken und Springflöhchen überwindet! Aber ich! Liebe ich ihn etwa auch? Nein – ich bin nahe daran, ihn zu hassen – von Tag zu Tag mehr. Solch ein Mensch! Ein sechs Fuß langes hinterlistiges Wickelkind mit blondem Vollbart! Was du an ihm findest – na einerlei! Jedenfalls muß ich hinter euch herlaufen und habe allen Verdruß und alle Mühsal von eurer Verlobungsreise und darf nicht einmal mehr dazu singen!«

»Verlobungsreise ...« wiederholte Ellinor mit hochgezogenen Brauen.

Aber schon war die andere, im langflatternden Frisiermantel durch das Zimmer schießend, neben ihr, hielt ihre Hände fest und lachte ihr ins Gesicht. »Ich kenne dich doch! Wie du herumwandelst – ganz feierlich, ganz weltentrückt – seit acht Tagen hab' ich doch schon gemerkt, was passiert ist! Und gottlos, wie ich bin, fing ich an, laut die praktischen Reisebemerkungen über den Psillós zu lesen, als du kamst! Rein aus Neid und Bosheit. Weil ich hier niemanden hab', mit dem ich mich verloben kann.«

Sie erhielt keine Antwort und schmeichelte ihrer Schwester wie ein Kätzchen. »Sei nicht böse. Aber ihr seid ja eigentlich schon dreizehn Jahre verlobt und da wirkt es auf mich nicht mehr so recht und ich verliere alle Feierlichkeit. Aber ich mein's gut, wenn ich ihn auch nicht ausstehen kann. Komm – gib mir einen Kuß! Bitte – bitte!« Sie schaute die Schwester besorgt an. »Was du für kalte Lippen hast! Schatz – werde mir nur nicht krank! Und ich lasse in meiner Dummheit auch noch das Fenster offen, daß die Fieberluft nur ja hereinkann!«

»Davon ist's nicht!« sagte Ellinor und starrte vor sich hin. Ihr Kopf wurde immer schwerer. Die unbestimmte Mattigkeit und Traurigkeit in ihr wuchs. Sie fühlte sich sonderbar gleichgültig gegen alles. Gegen den Meister Josephus, gegen den krausen Gedankenzickzack ihrer Schwester – gegen den Hermes, gegen Griechenland und die ganze Welt. Lotte sanft von sich schiebend, schloß sie die Augen und versuchte zu schlafen, einen unruhigen, von abenteuerlichem Traumgefunkel durchsponnenen Halbschlummer, in dem die wenigen, noch übrigen Stunden bis zum Sonnenaufgang dahinrollten.

Als sie wieder einmal, aufseufzend und lahm von dem unbequemen Sitz, die Wimpern emporschlug, war es ganz hell in dem Zimmer – nicht mehr von dem bläulich gedämpften Schimmer des Mondes, sondern von dem roten, warmen Licht des jungen Tages. Ein Rumpler hatte sie geweckt. Lotte war im Traum vom Stuhl gefallen und saß nun, wie eine Heilige, von langem, sonnenglitzerndem Blondhaar umwallt, auf dem Boden, mit offenem Munde, schlaftrunken und verdutzt aus großen Märchenaugen in das Blau hinausstarrend.

Wolkenloses Blau dehnte sich über den kahlen, in der Ferne rosig schimmernden Höhen, den bebuschten Tälern, den weithin gewundenen Flußspiegeln von Elis. Zwischen den saftig grünen Fluren im Grunde lag wie gestern tief eingebettet die graue Spielzeugschachtel von Olympia mit ihren umgestürzten Säulenreihen, ihren verwitternden Tuffsteinquadern und durcheinander geworfenen Marmorblöcken, und darüber hob der heilige Hügel und die Wiege des Zeus, der Kronion, düster sein von Gestrüpp und Kieferwirrwarr gesträubtes Haupt. – Neuer Tag, neues Leben, neues Licht war überall. Eine Faust pochte an der Türe. »Seid ihr schon wach?« fragte der Baß des Meisters Josephus. »Ich halt's in dem Hotel nicht mehr aus, ich will ins Freie! Kommt ihr mit?«

Lotte, die immer noch ganz vergeistert auf dem Boden saß, gab keine Antwort. Ihre Schwester aber ging zur Türe, weniger elastisch, mit langsameren Bewegungen als sonst. »Wir kommen gleich!« sagte sie halblaut.

»Wie seltsam deine Stimme klingt! Du bist doch nicht krank?«

Sie schüttelte energisch den Kopf. »Ich hab's mir eingebildet, heute nacht! Aber das darf jetzt nicht sein. Das muß wieder besser werden!«

Sie gingen langsam in dem taufrischen Morgen den Weg nach Arkadien dahin, einen wüsten, vielverschlungenen Reitpfad am Ufer des Alpheios. Rebenpflanzungen säumten ihn zu beiden Seiten ein, mit stumpfsinnigen, geplagten Winzern und wütenden Kötern. Durch die Furt schob sich klingelnd ein Trupp bis zum Bauch im Wasser stolpernder Maultiere, die Reiter daneben nur noch mit Kopf und Schultern aus den Fluten tauchend, sonst kein Leben auf den im Kreise kahl aufgetürmten, von der Sonne verbrannten Steinhalden als eine Herde halbwilder, das letzte Grün aus dem Boden weidender Ziegen, spärliche Hütten zwischen wucherndem Buschwerk und da und dort im Tal – das Ganze eine Öde, ein Schweigen, eine Schwermut trotz des glühendblauen, alles in seinem Feuer verklärenden Augusthimmels.

»Wißt ihr, woran ich denken muß?« sagte Meister Josephus. »Vor Jahren ... an ein Bild im bayerischen Hochland. Da kam ich auf einer Fußwanderung an einen Bauernhof hoch oben. Da war eben die Tochter des Bauern gestorben. Ganz still und weiß hat sie im offenen Sarg vor dem Elternhaus gelegen, mitten in dem schönen Sommermorgen. Alles ringsum hat gelacht und gelebt – der rote Mohn am Weg und die Goldkäfer darunter und die Schmetterlinge in der Luft – bloß das arme Dirndl – das hat mit geschlossenen Augen da geruht, als ob es träumte, und nichts mehr von der Pracht gesehen, und dem weißen Schnee in der Ferne und dem blauen Himmel. Und dann sind Männer gekommen – vierschrötige, dumme Kerle – und haben den Sarg zugenagelt und fortgeschleppt – ins Tal hinunter – in die Nacht! Unter die Erde!«

»Aber wieso erinnerst du dich gerade jetzt daran?«

»Sind hier nicht auch solche schwarze Männer gekommen, törichtes Lottchen? Wenn du nicht immer in der Töchterschule sitzen geblieben wärest, wüßtest du's! Die Männer haben mein Griechenland in einen Sarg gelegt und dazu mit Glocken geläutet! Da war es aus. Da haben sich auch die alten Griechen hingelegt und sind lieber gestorben, wie die Sünde in die Welt kam! So wie's jetzt bei uns zwischen Mann und Weib ist! Ein Schuldbewußtsein – warum, das weiß kein Mensch – ein Getuschel in allen finsteren Ecken. Eine dumme Fastenzeit der Liebe. Das verstehst du natürlich nicht, Lotte! Denn du kannst überhaupt nicht lieben, sondern bist eine kalte, kleine Schlange, tief, tief im Wald, mit Madonnenaugen und einem Krönchen auf dem Kopf.... Ja – schaue nur so rosig und dumm in den Sommermorgen hinein und beiße dir auf die Lippen, um nicht zu lachen! Ich kenne dich doch!«

Lotte ging einige Schritte voraus, pfiff unbekümmert und warf nach rechts und links Steine auf die herbeirasenden Hirtenköter.

Meister Siegfried schüttelte wehmütig das blonde Haupt. »Ja – die törichte Jungfrau ... die hat recht. Von ihrem Standpunkt. Die läuft wie ein Schusterbub durch die Welt und pfeift auf Hellas. Aber ich...«

Lotte drehte sich um. »Sei doch vergnügt, Meister!« rief sie. »Freu' dich, daß du das Leben hast. Einmal werden wir alle begraben!«

»Ach, sei still, du kleiner Gassenjunge!« sagte der Bildhauer wehmütig. » Ihr mögt euch freuen. Über euer Leben! Weil ihr blinde Maulwürfe seid, ihr Lottchen! Aber ich nicht! Ich bin kein Frauenzimmer! Gott sei Dank! Ich bin der letzte Grieche!«

Lotte knabberte nachdenklich an einem Grashalm, daß die weißen Zähne blitzten. »Der Meister wird jeden Tag gröber zu mir!« sagte sie zu ihrer Schwester. »Ich glaube wirklich: er hat mich lieb!«

Ellinor schüttelte abwehrend den Kopf. Es war etwas in ihr, was sie erschreckte. Sie wußte nicht, kam es vom Körper oder vom Geist – eine tiefe Schwermut – eine unsägliche Müdigkeit, eine Sehnsucht nach dunkler Nacht und doch eine Angst ... eine beklemmende Schwüle ... Glut und Mückensummen und schwarzes Geflimmer vor den Augen und alle Dinge wie durch einen heißen trüben Flor verschwimmend. Der Augusthimmel hatte sich verschleiert, ohne daß man eigentliche Wolken an ihm sah. Ein bleigrauer Dunst spann sich über seine Wölbung hin und gab der Sonne einen unheimlich rötliche Glanz. Und obwohl sie sich in diesem schweren, trübe lastenden Luftgespinst halb verlor, schossen doch ihre Strahlen wie Feuerpfeile nieder, daß Berg, Tal und Fluß in ihrer Glut zu zittern schienen.

Die drei kehrten um und gingen, dem ferne in der Violettfärbung des Horizonts blauenden Arkadien den Rücken drehend, den Weg nach Hause.

Meister Josephus sah seine Begleiterin stirnrunzelnd an. »Sind Sie krank?« forschte er. »Sie werden immer blasser!«

Sie verneinte stumm. Sie wollte ihm und sich nicht Angst machen. Er schaute, schon wieder beruhigt, von ihr weg nach der Trümmerstätte von Olympia und ballte die Faust.

»Da stelzt solch ein schwarzer Reverend herum!« brummte er. »Mitten im Zeustempel steht er – ich glaube sogar, auf einem Bein, wie ein Reiher! Wenn man nur auf diese Totenvögel knallen könnte! – Kinder... ich bin zwei Jahrtausende zu spät auf die Welt gekommen. Ich hätte hier der Aspasia den Spinnrocken halten müssen und mit dem Perikles Brüderschaft trinken – aber jetzt ...«

Er wurde ganz traurig. Lotte hinter ihm lachte, während sie, die jeden Augenblick mit etwas Neuem spielen mußte, eine Orange auseinanderriß und die Schnitten auszusaugen begann. »Jetzt macht er wieder seine majestätische Miene! Wie ein Löwe im Käfig, wie ein feierlicher, gelangweilter Lord! Die Griechen nennen doch jeden Fremden einen Lordós! Zu dumm – nicht? Aber wenn man so einen großkarrierten Anzug trägt und solch einen Vollbart.... Es ist etwas Wahres darin. Du hast wirklich so etwas Vornehmes an dir....«

Der Bildhauer nickte erzürnt. »Ich bin auch einer der letzten vornehmen Menschen auf der Welt! Ein Künstler! Ein Geißbub! Ein Grieche! Das ist alles ein und dasselbe. Das denkt nichts und weiß nichts und will nichts und soll nichts – das kann bloß und sieht die Welt mit offenen Augen an und ist vergnügt. Da wird die Welt anders! Da wird's Sonnenaufgang. Einfältig muß man sein, wie ich – der letzte Grieche! Ihr seid's alle nicht. Ihr seid zu klug. Drum seid ihr so dumm!«

Lotte hängte sich kameradschaftlich in seinen Arm und bemühte sich, graziös den Tritt wechselnd, mit ihm den gleichen Schritt zu halten. »Solch ein armes, riesiges Sonntagskind!« sagte sie zärtlich spottend. »Heute redet der Meister wieder ein Zeug zusammen – ich versteh' es nicht!«

Er sah sie melancholisch an. »Wie solltest du das verstehen, törichte Jungfrau? Du begreifst mich am Montag und am Dienstag und die ganze Woche. Aber am Sonntagmorgen nicht. Da rede ich griechisch mit Ellinor. Du ahnst gar nicht, Kind, wie überflüssig du in Griechenland bist. Du gehörst wo anders hin: droben im Norden, im Landregen, im November steht ein Baum, und um den Baum ringelt sich eine Schlange, und unter der Schlange sitzt du und hältst einen Apfel in der Hand. Und wer ihn nimmt, und wer dich nimmt, begeht eine große Dummheit. Du verleitest einen zu der Dummheit – du ewige Eva!«

Er sah zornig in das reizende Kindergesicht mit den großen melancholischen Märchenaugen und den halb offenen roten Lippen. Sie tat, als ob sie gar nichts gehört hätte. »Da!« sagte sie zerstreut und hielt ihm ihre Orange hin. »Beiße einmal hinein! Sie ist gut. Ich habe sie vorhin gekauft!«

Es schien einem Moment, als wolle er sich ihrem Wunsch fügen. Aber dann maß er sie mit einem strafenden Blick und schleuderte die Apfelsine weit von sich in den zur Seite fließenden Bach. Sie seufzte nur. »Garstiger Seppl!« murmelte sie, schlüpfte gewandt wie eine Katze aus seinem Arm und lief wieder ein paar Schritte voraus, sorglos pfeifend und die Hunde scheuchend, wie sie es zuvor getrieben.

Ellinor richtete sich im Gehen auf. Es war ihr, als müsse sie einen bleiernen, düsteren Traum abschütteln, der schwer an ihre fiebernden Schläfen pochte. »Sage nur eines ... was ich nicht begreife ... warum dich der Hermes gerade so erschüttert hat! Du hast doch seit vielen Jahren all die anderen Meisterwerke in Italien gesehen....«

»In Italien sind sie in der Fremde. Im Käfig. Eine Menagerie für die Rundreisephilister! Und weißt du, wo die schönsten sind? Hinter Klostermauern. Im Hause des Papstes! Ein alter Mann, der sein Leben lang nichts von Lieben und Küssen hat wissen dürfen, hält die Aphrodite und den Eros hinter Schloß und Riegel, damit sie nicht wieder entspringen und Unfug in der Welt anstiften. Ach – muß dem armen olympischen Gesindel zu Mut sein, wenn sie da im Vatikan wie die Bagnosträflinge auf ihren Postamenten stehen, mit dem britischen Blechschürzchen und der Katalognummer – und nebenan läuten die Glocken, und der Weihrauch qualmt, und all die ehelosen Priester beten um Vergebung ihrer Sünden, und die schönen Römerinnen knieen und weinen und beten mit! Ach – ich seh' förmlich die großen versteinerten Augen der Venus oben: Sünde – was ist denn das nur für ein Ding? – zu unserer Zeit gab es das doch nicht! Also die sind dort fremd – meine Götter dies bißchen vom Himmel gefallener Marmor. Einen Gott lernt man nur in seinen vier Wänden kennen. Hier in Hellas ist die Heimat für die Götter – und hier fühle ich, daß ich keine Heimat auf der Welt habe!« Er brach erschrocken ab und schlang den Arm um sie. »Was hast du denn? du zitterst ja förmlich....«

Sie schloß die Augen und lehnte sich an ihn. Sie kämpfte dagegen, ohnmächtig zu werden. Ein Frostschauer überlief sie, als herrsche Eiskalte ringsum, statt des glühenden Sonnnentags. Ihre Zähne schlugen aneinander. Ihr Gesicht war fahl.

»Fieber!« sagte Lotte kaltblütig, die herbeigekommen war. »Also richtig! Und dabei ist unser Chinin verdorben!«

Ihr rosiges Gesicht zeigte keine besondere Aufregung. Sie wunderte sich eigentlich nie über etwas, sondern war dafür lieber gleich mit Rat und Tat zur Hand. »Fasse du sie rechts an!« befahl sie ohne weiteres dem ganz verdutzt dastehenden Meister Josephus. »Ich links. So – nun führen wir sie – bis ins Hotel – und reisen dann gleich ab – daß wir einen Arzt kriegen.... So komme doch endlich zu dir, Meister ... Männer sind was Schreckliches in solch einem Fall ... überhaupt ... mach' dir nur nichts daraus, Ellinor ... daran stirbt man nicht! ... stütze dich nur auf mich ... nicht auf den ungeschickten Meister Seppl ... nur ordentlich ... ich wehr' dir schon die Stechmücken ab und halte den Sonnenschirm über dich ... und du da drüben – lasse lieber ganz los ... du faßt ja wie ein Bär zu! ...« Sie war ganz Leben und Geschäftigkeit, zart und gewandt, wie eine geübte Krankenpflegerin, während sie ihre blasse Schwester den Pfad entlang geleitete, sie immer wieder dabei sanft streichelnd und mit halblauten, kindischen Schmeichelworten tröstend. Sie beherrschte jetzt, als etwas Unerwartetes geschehen, plötzlich vollkommen die Lage und schien es ganz natürlich zu finden, daß nicht nur die Fieberkranke, sondern auch der ganz verstört und kleinlaut hinterher schleichende Meister Josephus ihrem frischen, fröhlichen Willen gehorchten. Und dabei leuchtete es herrisch, wie von einem triumphierenden Gefühl, in ihren großen Kinderaugen.

Endlich räusperte sich ihr Begleiter und wollte sprechen. Aber sie schnitt ihm sofort das Wort ab. »Du sei still. Du denkst ja doch nur an dich! Du hast ja doch nur Angst, daß du jetzt auch das Fieber kriegst ... jawohl! Ich kenne dich! Aber ich hab' gar keine Angst! Nicht so viel! Leid tust du mir!«

Er neigte von hinten sein Löwenhaupt ärgerlich über sie. »Warum kriegst denn du nicht das Fieber – wenn es schon sein muß – statt der armen Ellinor?«

Da lächelte sie ihn über die Schulter zurück feindselig an. »Weil ich nicht will!« sagte sie, schlau mit den Augen blinzelnd. »Was ich nicht will, das passiert mir nicht! Und was ich will – weißt du, Meister Sepp! – das geschieht ... Wenn nicht heute – dann morgen!«

 


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