Adalbert Stifter
Der beschriebene Tännling
Adalbert Stifter

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So erzählten sich die Leute und gingen fort. Sie fanden den Weg, der in den Wald hinein gemacht worden war, und gelangten zu dem Jagdraume.

Lange bevor der Tag angebrochen war, waren schon alle Zuschauerräume dicht mit Menschen besezt.

Nach Aufgang der Sonne kamen auch die Herren, und stiegen zu ihren Bühnen empor. Jeder hatte einen geräumigen Plaz, auf dem ein Gestelle angebracht war, an welchem die glänzenden Jagdbüchsen lehnten. Jeder hatte auch zwei Diener hinter sich, die beständig laden und die Gewehre darreichen sollten. Heute waren die Herren alle in vollem Puze und hatten die Mäntel in den Wägen, in denen sie gegen den Wald gekommen waren, liegen gelassen. An den Westen und Röken hatten sie goldene Borden, und Alle hatten kleine mit Gold ausgelegte Hirschfänger an den Schößen, sie trugen sämmtlich gepuderte Haare und darauf einen dreiekigen Hut. Die meisten waren in Tannengrün gekleidet, und nur einige hatten auch Kleidertheile von hochgelbem Lederstoffe. Wo nicht Borden waren, war häufig schöne Stikerei auf den Gewändern, und die Troddeln des auf die Weste herab gehenden Halstuches hatten goldene Fransen.

Von den Frauen und Mädchen, die zu den Herren gehörten, war keine einzige zugegen, nicht einmal die, die doch in Jägerkleidern nach Oberplan gekommen waren. Der Schulmeister von Oberplan sagte, die Frauen dürften wohl Jägerkleider anhaben, aber nicht jagen; die Sitte erlaube nicht einmal, daß die Frauen bei dem Tödten der Thiere zugegen seien, weil sie zu zart und zu fein sind, so daß sich nur das Schäferspiel für sie schike, daß ihnen die Herren nur Blumensträuße reichen, sie mit der Laute begleiten, oder beim Menuette führen dürfen.

Die Mädchen und Frauen der Gegend und des Landes hatten diese Gesinnungen nicht; denn es waren sehr viele zum Zuschauen herbei gekommen, und ihre Augen und Mienen verriethen fast die brennende Neugierde und das klopfende Herz. Sie waren sonntäglich gekleidet, trugen zum Theile Reifröke, zum Theile das kurze faltenreiche Rökchen und meistens auch Zwikelstrümpfe und Stökelschuhe. Manche Vornehmere hatte weißbestäubtes Haar.

Als alle Schüzen an ihrem Plaze standen, und als auch sonst Alles in Ordnung war, begann eine rauschende Waldmusik von Hörnern und andern klingenden Instrumenten; aber von dem Jagdraume herauf erschollen Schrektöne und plözliche Rufe der Angst; denn die Ohren des Waldes kannten nur die Laute des Donners und Sturmes, nicht den Schrekklang tönender Musik. Als dieses große Musikstük aus war, that ein einzelnes Jagdhorn helle auffordernde liebliche Rufe, und dies war das Zeichen, daß die Jagd beginne. Man ließ, da das Horn geendet hatte, die Hunde aus ihren Behältern gegen den Raum los, daß das Wild auffahre und gegen seine umstrikenden Wände ankämpfe. Plözlich wurde es nun in dem Nezraume lebendig, man sah das schlanke Waldwild durch die Gesträuche huschen, und hie und da legte sich eine Büchse an das weißbestäubte Haar. Man vernahm von einer Seite her einen Schuß, dann von einer andern her wieder einen, und da es Unten immer lebendiger wurde, und da die Thiere immer heftiger durcheinander fuhren, blizte und krachte es von allen Seiten. Ein Hirsch sezte über alle Gebüsche, sprang endlich gegen das Linnen so hoch auf, als wollte er eine Himmelsleiter überspringen, wurde im Sprunge getroffen, überstürzte sich und fiel hernieder. Eine wilde Kaze schoß jäh an einem Baume empor, um sich von ihm aus über die Neze hinaus zu werfen, aber sie wurde von einer Kugel auf ihrem Baume erreicht, schnellte in einem Bogen hoch über den Wipfel und fiel auf die Erde. So ereigneten sich auf verschiedenen Stellen verschiedene Dinge. Als es schon eine ganze Weile fast ununterbrochen geknallt, und der Raum sich mit Pulverdampf gefüllt hatte, als endlich die Schüsse immer seltener wurden, und nur mehr einzelne zu hören waren: so erschallte wieder die klingende Musik und ertönte wieder nach ihr das einzelne Jägerhorn, zum Zeichen, daß man nun aufhören solle. Die Schüsse hörten auch auf, die Büchsen wurden in die Stände gestellt, und der weiße Rauch verzog sich durch die schöngezakten grünen Wipfel der Tannen und durch die entfernteren Buchen. Man ließ nun an verschiedenen Stellen die Neze hernieder, und das Wild, das übrig geblieben war, weil es sich in die Gesträuche oder gar in Klüfte gedukt hatte, konnte in den schüzenden Wald entrinnen, und den größten Angsttag seines Lebens vergessen. Die Diener lokten die Hunde zu sich, um die verwundeten zu salben, und den hungrigen Nahrung zu geben. Hierauf erschienen mehrere Jäger, Heger und andere Leute, und suchten in dem Jagdraume herum, um das gefallene Wild zu finden und zusammen zu tragen. Auch manche Herren und andere Leute stiegen in den Jagdraum nieder, um sich das Wild zu betrachten und die Spuren der eben vergangenen Begebenheit zu sehen.

Die Schüzen und die Zuschauer mischten sich auf ihren Bühnen, und da das Vergnügen allgemein gewesen war, so redeten jezt auch Alle mit einander. Da wollte es der Zufall, daß Hanna, die Tochter des armen Weibes, die auch herbei gekommen war, dem Feste zuzuschauen, neben einen außerordentlich schönen jungen Mann von vornehmem Stande zu stehen kam. Dieser Mann war schon früher aufgefallen. Er war, der allgemeinen Sitte zuwider, der einzige, der keine weißbestäubten Haare trug, sondern seine eigenen Loken, die von wunderschönem Gelb waren, bis auf die Schultern und auf den Rokkragen niederfallen ließ. Er hatte sehr gut geschossen, hatte immer auf die unsichersten Punkte gezielt und immer getroffen. Er war so schön, daß er, wie die Landleute sagen, wie Milch und Blut aussah, seine Augen waren groß und sanft, und er war schier prächtiger gekleidet, als alle Andern.

Da Hanna so neben ihm stand, erblikte sie ein Mann aus dem Volke, der sich unten in dem Nezraume befand, zeigte mit dem Finger hinauf und rief: »Das ist das schönste Paar!«

Das Volk, welches ohnehin schon in eine höhere Stimmung gekommen war, welches an der Jagd den lebhaftesten Antheil genommen, mit den Fingern nach dieser und jener Stelle gezeigt und freudig gejubelt hatte, wenn sich etwas Merkwürdiges zugetragen hatte, war zu dem Ungewöhnlichsten aufgelegt. Kaum hatte es also die Worte des Mannes vernommen, so rief es gleichsam mit einer Stimme und laut: »Das ist das schönste Paar, das ist das schönste Paar!«

Der junge Mann wandte sich in seiner Verwirrung gegen Hanna und sah sie an. Da wurde sein Angesicht so scharlachroth, wie die Bänder, an denen er seinen Hirschfänger hängen hatte.

Hanna wandte sich ebenfalls nach dem Rufe gegen ihren Nachbar, und da sie den ausgezeichneten Mann gesehen hatte, wurde ihr Antliz gleichsam mit dem dunkelsten Blute übergossen. Sie sah ihn eine Weile mit offenen Augen an, dann drängte sie sich unter das Volk und ging über die Treppe hinab. Ihr Benehmen war wie das einer Trunkenen.

Da das Hin- und Hergehen und Sprechen noch eine Zeit gedauert hatte, fing man an, sich zu entfernen. Die Diener sammelten die Gewehre auf den Schießständen und trugen sie fort. Die einzelnen Herren begaben sich gegen die Treppen, und suchten ihre Wägen zu gewinnen. Den jungen Mann umringten seine Freunde und wünschten ihm Glük. Von Hanna war nichts mehr zu sehen; sie ging bereits mit mehreren schön gepuzten Freundinnen, die sich zu ihr gesellt hatten, auf dem durch den Wald gehauenen Wege hinaus. Die jüngeren Schüzen hatten sich meistens Reitpferde kommen lassen. Diese wurden vorgeführt und in Ordnung gerichtet, daß man sie besteigen und in Gesellschaft davon reiten könnte.


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