Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierunddreißigstes Kapitel.
Die Hinrichtung.

Komm' mit zum schönen grünen Wald
Und wähle selber dir den Baum.

Altes Lied.

»Nun gelobt sei Gott, der uns das Vermögen gab, zu lachen und Andre zum Lachen zu bringen, und Schande dem Thoren, der das Amt eines Spaßmachers verachtet! hier ist ein Spaß, und das keiner von den besten (obwohl er passiren mag, da er zwei Fürsten ergötzte), der doch besser, als tausend Staatsgründe, einem Kriege zwischen Frankreich und Burgund vorzubeugen wußte.«

Diese Bemerkung machte der Glorieux, als, in Folge der Versöhnung, deren Einzelheiten wir im vorigen Kapitel angaben, die burgundischen Wachen vom Schlosse zu Péronne abzogen, die Wohnung des Königs aus dem verhängnißvollen Herbertsthurme verlegt und, zur großen Freude der Franzosen und Burgunder, wenigstens dem äußern Anschein nach, Vertrauen und Freundschaft zwischen Herzog Karl und seinem Lehensherrn wieder hergestellt wurden. Dennoch wußte der Letztere, obschon er mit höflicher Aufmerksamkeit behandelt wurde, recht gut, daß er fortwährend Gegenstand des Argwohns war, wiewohl er sich den Anschein gab, als bemerke er dies nicht und halte sich für völlig frei.

Während nun die Hauptparteien ihre Streitigkeiten in so weit ausgeglichen hatten, so erprobte, wie es in solchen Fällen häufig geschieht, einer der untern Agenten ihrer Ränke die traurige Wahrheit der politischen Maxime, daß die Großen, wenn sie oft schlechte Werkzeuge nöthig haben, dies vor der Welt dadurch gut zu machen suchen, daß sie jene ihrem Schicksal überlassen, sobald sie dieselben nicht länger brauchbar finden.

Dies war Hayraddin Maugrabin, der, nachdem er von des Herzogs Dienern dem Generalprofoß des Königs übergeben worden war, den Händen der beiden treuen Gehilfen des letztern, Trois-Echelles und Petit-André überantwortet ward, um ohne Zeitverlust hingerichtet zu werden.

Zwischen diesen Beiden (deren Einer Allegro, der Andere Penseroso spielte) und gefolgt von einigen Wachen und einem großen Pöbelhaufen, schritt er (um eine moderne Vergleichung anzuwenden: wie Garrick zwischen Tragöde und Lustspiel) dem nahen Walde zu, wo, um sich die Errichtung eines Galgens und ähnliche Ceremonien zu ersparen, die Vollender seines Schicksals entschlossen waren, ihn an den ersten besten Baum zu knüpfen.

Bald fanden sie eine Eiche, die, wie sich Petit-André witzig ausdrückte, wohlgeeignet war, eine solche Eichel zu tragen; und als sie den armen Sünder unter hinlänglicher Bewachung auf eine Bank gesetzt hatten, begannen sie aus dem Stegreif die Vorbereitungen zu der Schlußkatastrophe. In diesem Augenblick gewahrte Hayraddin unter der Menge den jungen Quentin Durward, welcher in den Zügen des entdeckten Betrügers die seines treulosen Wegweisers wieder erkannt zu haben glaubte, und der Menge gefolgt war, um der Hinrichtung beizuwohnen und sich von der Identität der Person zu überzeugen.

Als die Henker Hayraddin benachrichtigten, daß Alles bereit sei, bat er mit großer Ruhe um eine einzige Gnade.

»Alles, was mit unsrer Pflicht verträglich ist, mein Sohn,« sagte Trois-Echelles.

»Das heißt,« sagte Hayraddin, »ich darf um Alles bitten, nur nicht um mein Leben.«

»Allerdings,« sagte Trois-Echelles, »wir sind willfährig; denn da Ihr entschlossen scheint, Euch gern in unsre Mysterien einweihn zu lassen und wie ein Mann zu sterben, ohne Fratzen zu schneiden – nun so kommt es uns nicht darauf an, dir zehn Minuten zu schenken, obwohl uns Auftrag ward, zu eilen.«

»Ihr seid ja recht großmüthig,« sagte Hayraddin.

»Jawohl, und man wird uns dafür ausschelten,« sagte Petit-André; aber was macht das aus? – ich könnte fast mein Leben lassen für einen so lustigen Springinsfeld, einen so muntern, braven, flinken Burschen, der sich vornimmt, den letzten Sprung mit Grazie zu thun, wie es einem ehrlichen Kerl geziemt.«

»Wenn Ihr also einen Beichtvater wollt,« sagte Trois-Echelles –

»Oder ein Schöppchen Wein,« sagte sein witziger Kamerad –

»Oder einen Psalm hören,« sagte die Tragödie –

»Oder ein Zechliedchen,« sagte die Komödie –

»Keines von allen, meine guten, sanften und höchst bereitwilligen Freunde,« sagte der Zigeuner, – »ich bitte nur, einige Minuten mit jenem Bogenschützen der schottischen Garde reden zu dürfen.«

Die Henker überlegten einen Augenblick; aber da sich Trois-Echelles besann, daß Quentin Durward allen Umständen nach sehr hoch in der Gunst ihres Gebieters, des Königs Ludwig, stehe, so beschlossen sie, das Zwiegespräch zu gestatten.

Als sich Quentin auf ihren Zuruf dem verurtheilten Verbrecher näherte, konnte er sich des Mitleids nicht erwehren, obwohl derselbe sein Schicksal verdient haben mochte. Die Reste seines Heroldschmuckes, in Stücke gerissen durch die Fänge der Hunde und die Griffe der Zweifüßler, die ihn ihrer Wuth entrissen hatten, um ihn zum Galgen zu führen, gaben ihm ein eben so spaßhaftes als erbarmenswürdiges Ansehen. Sein Gesicht war noch durch Farbe und die Reste eines falschen Bartes, mit dem er sich verstellt hatte, verunziert, und Todtenblässe bedeckte Wangen und Lippen. Aber, gleich den meisten seines Stammes, stark an duldendem Muthe, schien sein Blick, der unstet umherirrte, sowie das verzerrte Lächeln seines Mundes dem Tode, den er sterben sollte, Trotz zu bieten.

Quentin ward von Schrecken und Mitleid bewegt, als er sich dem armen Menschen näherte, und diese Gefühle verriethen sich wahrscheinlich durch sein Benehmen, denn Petit-André rief aus: »Ein Bißchen schneller, mein hübscher Bogenschütz – dieser Biedermann kann nicht auf Euch warten, wenn Ihr einhergeht, als ob die Kieselsteine Eier wären und Ihr fürchtetet, sie zu zerbrechen.«

»Ich muß insgeheim mit ihm reden,« sagte der Verbrecher, mit dem Ausdrucke der Verzweiflung in der Stimme.

»Das dürfte sich schwerlich mit unserer Pflicht vertragen, mein lustiger Leiterspringer,« sagte Petit-André; »wir kennen Euch von sonsther schon als schlüpfrigen Aal.«

»Ihr habt mir mit Euren Pferdegurten Arm und Fuß gebunden,« sagte der Verbrecher – »Ihr könnt ein wachsames Auge auf mich haben, aber außer der Gehörweite – der Bogenschütz ist Eures eigenen Königs Diener – und wenn ich Euch zehn Gulden gebe« –

»Auf Messen verwandt, kann die Summe seiner armen Seele nützen,« sagte Trois-Echelles.

»Auf Wein oder Branntwein verwandt, wird sie meinem armen Leibe nützen,« erwiederte Petit-André. »So laß sie nur sehen, mein kleiner Seilspringer.«

»Zahlt den Bluthunden ihren Lohn,« sagte Hayraddin zu Durward; »man nahm mir jeden Stüber ab, als man mich fing – es wird Euch sehr vortheilhaft sein.«

Quentin zahlte den Henkern ihren Lohn, und als Männer von Wort zogen sie sich zurück, um nicht zuzuhören – beobachteten jedoch sorgfältig des Verbrechers Bewegungen. Quentin wartete einen Augenblick, um den unglücklichen Mann sprechen zu lassen, redete ihn jedoch, da er stumm blieb, endlich selbst an: »Zu diesem Ende mußte es mit dir kommen?«

»Ja,« antwortete Hayraddin, »es erforderte weder einen Astrologen, noch einen Gesicht- und Handwahrsager, um vorauszusagen, daß ich das Schicksal meiner Familie haben würde.«

»Ein Leben voll Verbrechen und Verrätherei bereitete dir dies Ende!« sagte der Schotte.

»Nein, bei dem hellen Aldebaran und all' seinen Brudersternen!« antwortete der Zigeuner. »Meine Thorheit hat mir dies bereitet, indem ich glaubte, die blutdürstige Grausamkeit eines Franken könne durch das, was er selbst für das Unverletzlichste hält, gezügelt werden. Ein Priestergewand würde mich nicht mehr geschützt haben, als ein Heroldskleid nach Eurer scheinbaren Gewissenhaftigkeit und Chevalerie zu schließen.«

»Ein entdeckter Betrüger hat kein Recht, die Unverletzlichkeit des Kleides, welches er mißbrauchte, in Anspruch zu nehmen,« sagte Durward.

»Entdeckt!« sagte der Zigeuner. »Mein Kauderwälsch war so gut, wie das jenes alten Narren von Herold; aber mag das sein. Eben so gut jetzt, als später!«

»Ihr verschwendet Zeit,« sagte Durward. »Wenn Ihr mir irgend etwas zu sagen habt, so thut es schnell, und dann denkt an Euer Seelenwohl.«

»Mein Seelenwohl?« sagte der Zigeuner mit widerlichem Lachen. »Meint Ihr, ein zwanzigjähriger Aussatz lasse sich in einem Augenblicke heilen? – Wenn ich eine Seele habe, so ist sie, seit ich zehn Jahre oder noch jünger war, in einem solchen Zustande gewesen, daß es einen Monat kosten würde, um mich auf alle meine Verbrechen zu besinnen, und einen zweiten, um sie einem Priester zu erzählen; – und würde mir eine solche Frist verstattet, so ist fünf gegen eins zu wetten, ich würde sie besser anwenden.«

»Verhärteter Bösewicht, lästre nicht! Sage mir, was du zu sagen hast, und ich werde dich deinem Schicksal überlassen,« sagte Durward, zugleich von Mitleid und Abscheu durchdrungen.

»Ich habe um eine Gefälligkeit zu bitten,« sagte Hayraddin, – »doch erst will ich sie Euch abkaufen; denn Euer Geschlecht gibt, bei all Eurer vorgeblichen Nächstenliebe, nichts für nichts.«

»Fast möchte ich sagen, deine Gaben mögen mit dir untergehen,« antwortete Quentin, »ständest du jetzt nicht an der Schwelle der Ewigkeit. – Erbitte deine Gefälligkeit – behalte deine Vergeltung – sie kann mir nicht frommen – ich habe genug, wenn ich an deine frühern Dienste denke.«

»Ei, ich liebte Euch,« sagte Hayraddin, »wegen der Angelegenheit am Ufer des Cher; und gern hätt' ich Euch zu einer reichen Frau verholfen. Ihr trugt ihre Schärpe, und dies leitete mich zum Theil irre; ich glaubte in der That, daß Hameline mit ihrem tragbaren Reichthum ein besserer Marktpfennig für Euch sein werde, als jenes andre Hühnchen mit seinem alten Neste zu Bracquemont, welches Karl erwischt hat und wahrscheinlich in den Klauen behalten wird.«

»Schwatze nicht so thöricht, unglücklicher Mensch,« sagte Quentin; »jene Gerichtsbeamten werden ungeduldig.«

»Gebt ihnen noch zehn Gulden für weitere zehn Minuten,« sagte der Deliquent, der, gleich den meisten in seiner Lage, trotz seinem Stumpfsinn, das Verlangen fühlte, sein Ende zu verschieben, – »ich sage dir, es wird dir zu Gute kommen.«

»So nütze die also erkauften Minuten wohl,« sagte Durward, worauf er leicht einen neuen Handel mit den Gerichtsleuten schloß.

Nachdem dieß geschehen, fuhr Hayraddin fort. – »Ja, verlaßt Euch darauf, ich meinte es gut mit Euch; und Hameline würde ein gutes und lenksames Eheweib geworden sein. Hat sie sich doch sogar mit dem wilden Eber der Ardennen vereinigt, obwohl die Art, auf welche er um sie warb, ziemlich rauh war; und nun herrscht sie dort in seiner Höhle, als hätte sie sich ihr Lebenlang nur von Buchmast und Eicheln genährt.«

»Laß diese gemeinen und unzeitigen Scherze ruhen,« sagte Quentin, »oder, ich wiederhole es, ich werde dich deinem Schicksal überlassen.«

»Ihr habt Recht,« sagte Hayraddin nach kurzer Pause; »dem Unvermeidlichen muß man entgegentreten! – So wißt denn, ein bedeutender Lohn von Wilhelm von der Mark veranlaßte mich, in dieser verwünschten Verkleidung hieher zu kommen; und zugleich hoffte ich einen noch größern Lohn von König Ludwig zu erhalten, indem ich nicht allein die Botschaft der Herausforderung, wovon Ihr gehört haben werdet, überbrachte, sondern auch dem König ein wichtiges Geheimniß entdecken wollte.«

»Es war ein furchtbares Wagstück,« sagte Durward.

»Es ward auch als solches bezahlt und hat sich als solches erwiesen,« antwortete der Zigeuner. »Wilhelm von der Mark versuchte erst mittelst der Marthon mit Ludwig in Verbindung zu treten; aber wie es scheint konnte sie nicht zu ihm gelangen, sondern nur zum Astrologen, dem sie alle Vorgänge auf der Reise und zu Schönwald mittheilte; schwerlich aber werden ihre Nachrichten je zu Ludwig gelangen, außer in der Form einer Prophezeihung. Aber hört mein Geheimniß, welches wichtiger ist, als irgend ein Umstand, den Marthon mitzutheilen hatte. Wilhelm von der Mark hat eine zahlreiche und starke Heeresmacht in der Stadt Lüttich versammelt, und vermehrt sie täglich mit Hilfe der Schätze des alten Priesters. Aber er gedenkt keineswegs eine Schlacht mit der burgundischen Ritterschaft zu wagen, und noch weniger eine Belagerung in der schlechtbefestigten Stadt auszuhalten. Er denkt folgendermaßen zu verfahren: – er will den hitzköpfigen Karl die Stadt ohne Widerstand berennen lassen, in der Nacht aber mit seiner ganzen Macht einen Ausfall gegen die Belagerer thun. Viele will er als französische Krieger verkleiden, die sich des Feldgeschrei's ›Frankreich! Saint Louis! und Denis Montjoie!‹ bedienen sollen, als ob eine starke Abtheilung französischer Hilfstruppen in der Stadt läge. Dies muß nothwendig Verwirrung unter den Burgundern hervorbringen; und wofern König Ludwig mit seinen Leibwachen, seinem Gefolge und den Kriegern, die er etwa mit sich führt, die Anstrengungen des Ebers der Ardennen unterstützt, so zweifelt dieser nicht an einer gänzlichen Niederlage des burgundischen Heeres. – Dies ist mein Geheimniß, und ich vermache es Euch. Fördert oder hindert das Unternehmen – verkauft die Kunde an König Ludwig oder an Herzog Karl, mir ist das einerlei – rettet oder verderbt wen Ihr wollt; ich für mein Theil bedauere nur, daß ich die Sache nicht gleich einer Mine in die Luft sprengen kann, um Alle mit einander zu verderben!«

»Es ist in der That ein wichtiges Geheimniß,« sagte Quentin, der alsbald begriff, wie leicht die Nationaleifersucht in einem Lager erweckt werden könnte, welches theils aus Franzosen, theils aus Burgundern bestände.

»Ja, das ist es,« antwortete Hayraddin; »und nun Ihr es besitzt, möchtet Ihr gern davon gehen und mich verlassen, ohne mir die Gefälligkeit zu erweisen, die ich Euch im Voraus bezahlte.«

»Nenne mir dein Gesuch,« sagte Quentin, – »ich will es erfüllen, wenn es in meiner Macht steht.«

»Ei, es ist keine große Forderung – es betrifft nur meinen armen Klepper, mein Pferd, das einzige lebende Wesen, das mich vermissen dürfte. – Eine Meile südwärts werdet Ihr es weidend bei einer verlassenen Köhlerhütte finden; pfeift ihm so« – (hier pfiff er auf eine eigenthümliche Weise,) »und ruft ihn bei seinem Namen Klepper, so wird er zu Euch kommen; hier hab' ich seinen Zaum unter meinem Kleide – es ist ein Glück, daß ihn die Jagdhunde nicht erwischten, denn das Thier gehorcht keinem andern. Nehmt ihn, und sorgt gut für ihn – ich will nicht sagen um seines Herrn willen, – sondern weil ich den Ausgang eines bedeutenden Kriegs zu Eurer Verfügung gestellt habe. Er wird Euch in der Noth nie verlassen – Nacht und Tag, rauh und eben, gut und schlimm, warmer Stall und Winterhimmel, das Alles ist dem Klepper gleich; hätt' ich nur die Thore von Péronne hinter mir gehabt, und wäre bis dorthin gekommen, wo ich ihn ließ, so befänd ich mich nicht in dieser Lage. – Wollt Ihr den Klepper gut halten?«

»Ich schwöre Euch, daß ich es will,« antwortete Quentin, den dieser Zug von Zärtlichkeit an einem so verhärteten Charakter rührte.

»Dann lebe wohl,« sagte der Verbrecher – »doch halt – halt – ich möchte nicht gern mit einer Unhöflichkeit sterben, indem ich den Auftrag einer Dame vergäße. – Dies Briefchen ist von der allergnädigsten und höchst albernen Gemahlin des wilden Ebers der Ardennen an ihre schwarzäugige Nichte – ich merke an Eurem Blicke, daß ich einen bereitwilligen Boten gefunden habe. – Und nun noch ein Wort – ich vergaß zu sagen, daß Ihr im Kissen meines Sattels eine reiche Goldbörse finden werdet, um derentwillen ich mein Leben an ein Abenteuer wagte, welches mir so theuer zu stehen kam. Nehmt sie und macht Euch hundertfältig für die Gulden bezahlt, die Ihr diesen gemeinen Bluthunden gabt – ich mache Euch zu meinem Erben.«

»Ich will sie zu guten Werken anwenden und zu Messen für das Wohl deiner Seele,« sagte Quentin.

»Nenne das Wort nicht wieder,« sagte Hayraddin, indem sein Gesicht einen schrecklichen Ausdruck zeigte; »es gibt – es soll nicht, es kann nicht ein solches Ding geben! – es ist ein Traum, von Pfaffentrug erfunden.«

»Unglückliches – höchst unglückliches Wesen! denke besser! – laß mich schnell einen Priester besorgen – diese Leute werden noch etwas länger zögern – ich will es ihnen bezahlen,« sagte Quentin – »was kannst du erwarten, wenn du mit solcher Gesinnung und ohne Buße stirbst?«

»In die Elemente aufgelöst zu werden,« sagte der verhärtete Atheist, seine gefesselten Arme gegen die Brust drückend; »mein Hoffen, Vertrauen und meine Erwartung ist, daß der geheimnißvolle menschliche Leib in die allgemeine Masse der Natur verschmolzen wird, um in andern Gestalten wieder hergestellt zu werden, womit sie täglich diejenigen ersetzt, die täglich verschwinden, um in andrer Form wiederzukehren, – die Wassertheilchen werden Ströme und Regen, die Erdtheilchen bereichern ihre Mutter, die Erde, die Lufttheile verschwimmen im Winde, und die feurigen erhöhen den Glanz des Aldebaran und seiner Brüder – in diesem Glauben hab' ich gelebt und in ihm will ich sterben! – Drum gehe hinweg, und belästige mich nicht weiter! – Ich habe das letzte Wort gesprochen, das sterbliche Ohren von mir vernehmen sollten!«

Tief ergriffen von des Zigeuners grauenvoller Denkweise, sah Quentin dennoch ein, daß es vergeblich sei, zu hoffen, ihm seinen furchtbaren Zustand begreiflich machen zu können. Er sagte ihm daher Lebewohl, welches der Verbrecher nur durch ein kurzes und düsteres Nicken erwiderte, wie ein in Gedanken Versunkener dem Gefährten, der ihn darin stört, Lebewohl sagt. Quentin schlug den Weg nach dem Walde ein und fand bald die Stelle, wo der Klepper weidete. Das Geschöpf folgte seinem Rufe, wollte sich jedoch Anfangs nicht fangen lassen, sondern fuhr scheu zurück, wenn der Fremde ihm nahte. Da Quentin jedoch überhaupt mit der Art und Weise des Thieres bekannt war, und vielleicht auch mit den Eigenheiten dieses Kleppers vorzüglich, den er oft bewundert hatte, als er mit Hayraddin reisete, so gelang es ihm endlich, den Nachlaß des Zigeuners in Besitz zu nehmen. Lange bevor er nach Péronne zurückkehrte, war der Zigeuner dorthin gegangen, wo er die Eitelkeit seines furchtbaren Glaubens erkennen sollte – eine schreckliche Erkenntnis für einen Menschen, der nie Reue für das Vergangene noch Furcht vor dem Künftigen empfunden hatte!



 << zurück weiter >>