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Viertes Kapitel

Der pfiffige Graukopf kam über den Plan;
Guten Abend, guten Morgen! so rief er mich an,
Und sprach, lieber Herr, laßt gnädig empfahn
Einen armen Mann ein Nachtquartier.

Der Bettelmann.

Unsere beiden Freunde wandelten durch einen kleinen Obstgarten, wo die bejahrten Aepfelbäume, schwer beladen mit Früchten, wie gewöhnlich in der Nähe klösterlicher Gebäude, bewiesen, daß die Mönche ihre Tage nicht immer dem Müßiggange, sondern oft auch dem Gartenbau gewidmet hatten. Mr. Oldbuck unterließ nicht, Lovel bemerklich zu machen, daß die Pflanzer jener Tage im Besitz des heutigen Geheimnisses gewesen wären, die Wurzeln ihrer Fruchtbäume abzuhalten, senkrecht in die Tiefe zu wachsen; sie wußten sie zu nöthigen, sich in horizontaler Richtung zu verbreiten, indem sie, wenn sie Bäume pflanzten, breite Steine darunter legten. »Dieser alte Bursche,« sagte er, »der vorigen Sommer niedergebrochen wurde, und, obwohl halb am Boden liegend, doch noch mit Früchten bedeckt ist, war, wie Sie sehen können, mit einer solchen Schranke zwischen seinen Wurzeln und der unfreundlichen Tiefe versehn. Auch jener Baum dort hat seine Geschichte; seine Frucht heißt der Abtsapfel; die Frau eines benachbarten Barons liebte ihn so sehr, daß sie oft einen Besuch in Monkbarns machte, um das Vergnügen, diese Aepfel vom Baume zu nehmen, zu genießen. Der Gemahl, ein eifersüchtiger Mann, war jedoch des Glaubens, daß ein Geschmack, welcher dem der Mutter Eva so gleich war, auch einen ähnlichen Fall in Aussicht stelle. Da die Ehre einer edeln Familie dabei betheiligt ist, so will ich nichts weiter von der Sache sagen, als daß die Ländereien von Lochard und Cringlecut noch jährlich sechs Scheffel Gerste Zins geben müssen, um die Schuld ihres voreiligen Eigenthümers zu sühnen, welcher sich mit seinem weltlichen Verdachte in die Abgeschiedenheit des Abtes und seiner Büßenden eingedrängt hatte. Betrachten Sie den kleinen Thurm, der sich über dem mit Epheu umwachsenen Portal erhebt – dort befand sich ein hospitium, hospitale oder hospitamentum, (denn auf so verschiedene Art findet man es in den alten Schriften und Urkunden geschrieben,) worin die Mönche Wallfahrer aufnahmen; ich weiß wohl, daß unser Pfarrer in seiner statistischen Darstellung sagt, das hospitium habe entweder auf dem Grund und Boden von Haltweary oder auf dem von Halfstarvet gelegen; aber er ist im Irrthum, Mr. Lovel – dieses Thor hier heißt noch das Pilgerthor und mein Gärtner hat noch viele behauene Steine gefunden, als er den Grund wegen des Wintersellerie grub; mehrere derselben hab' ich auch als Proben an meine gelehrten Freunde geschickt, so wie an verschiedene alterthumforschende Gesellschaften, deren unwürdiges Mitglied ich bin. Aber ich will für jetzt nicht mehr davon sagen; ich spare etwas für einen zweiten Besuch und wir haben gegenwärtig überhaupt einen wirklich merkwürdigen Gegenstand vor uns.«

Während er so sprach, führte er seinen Gast mit munterm Schritte über einige fruchtbare Wiesen nach einer offenen Haide oder einem Gemeindeplatz, und von da auf den Gipfel einer sanften Anhöhe. »Dies,« sagte er, »Mr. Lovel, ist in der That ein merkwürdiger Ort.«

»Er gewährt eine hübsche Aussicht,« sagte sein Begleiter, umherschauend.

»O ja; aber das ist's nicht, weßhalb ich Sie hieher brachte; sehen Sie sonst nichts Merkwürdiges? – nichts auf der Oberfläche des Bodens?«

»Allerdings, ja; ich sehe so etwas wie einen Graben, nur undeutlich.«

»Undeutlich! – Verzeihen Sie, Sir, aber die Undeutlichkeit muss in Ihrem Sehvermögen liegen – nichts kann sich deutlicher darstellen – ein wahrer agger oder vallum, nebst dazu gehörigem Graben oder fossa. Undeutlich! Nun, der Himmel steh' Ihnen bei; das Mädchen, meine Nichte, die doch eine so einfältige Gans ist, wie ein Weibsbild nur sein kann, bemerkte doch beim ersten Blick die Spuren des Grabens. Undeutlich! Ja, das große Lager bei Ardoch, oder das bei Burnswark in Annandale mag allerdings wohl deutlicher sein, weil beide castra stativa waren, während dies hier nur ein für den Augenblick aufgeschlagenes Feldlager war. Undeutlich! ei, Sie müssen doch bedenken, daß Narren, Bauern und Dummköpfe das Land aufgepflügt, und, gleich wilden Thieren und stumpfsinnigen Barbaren, dabei zwei Seiten des Vierecks vernichtet, und die dritte sehr verstümmelt haben; aber Sie sehen selbst, die vierte Seite ist noch vollkommen erhalten!«

Lovel bemühte sich, den unzeitig gebrauchten Ausdruck zu entschuldigen und schützte seine Unerfahrenheit vor. Aber das wollte ihm so bald nicht gelingen. Sein erstes Wort war zu offen und natürlich ausgesprochen worden, als daß es den Alterthümler nicht unangenehm hätte berühren sollen, und dieser vermochte daher den ärgerlichen Eindruck, den es auf ihn gemacht, nicht so schnell zu vergessen.

»Mein theurer Sir,« fuhr der Alte fort, »Ihre Augen sind nicht unerfahren: Sie wissen doch vermuthlich einen Graben von ebener Erde zu unterscheiden, wenn Sie beide sehn? Undeutlich! ei, selbst die ganz gemeinen Leute, der kleinste Junge, der nur eine Kuh treiben kann, alle nennen es Kaim von Kinprunes; und wenn das nicht ein altes Lager bedeutet, so weiß ich nicht, was es sonst heißt.«

Nachdem Lovel wieder beistimmende Antwort gegeben und endlich die gereizte und mißtrauische Eitelkeit des Alterthümlers in Schlaf gewiegt hatte, setzte der letztere sein Werk als Cicerone fort. »Sie müssen wissen,« sagte er, »daß unsre schottischen Alterthumsforscher über die Oertlichkeit des letzten Kampfes zwischen Agricola und den Caledoniern gar sehr verschiedener Meinung waren; einige nennen Ardoch in Strathallan, einige Innerpeffrey; einige stimmen ferner für Rädykes in den Mearns, und wieder andere verlegen den Schauplatz noch weit nördlicher, nach Blair in Athole. Nun, nach all' den verschiedenen Meinungen,« fuhr der alte Herr mit einem seiner schlauesten und selbstgefälligsten Blicke fort, »was würden Sie wohl denken, Mr. Lovel, – ich sage, was würden Sie denken, – wenn die merkwürdige Scene des Kampfes gerade derselbige Ort wäre, der jetzt Kaim von Kinprunes heißt und Eigenthum des unbekannten und schlichten Mannes ist, der jetzt mit Ihnen redet?« – Jetzt machte er eine kleine Pause, um dem Gaste Zeit zu lassen, eine so wichtige Mittheilung zu verdauen; und dann fuhr er in noch bedeutsamerm Tone fort: – »ja, mein guter Freund, ich müßte mich in der That sehr täuschen, wenn dieser Ort nicht all' den Merkzeichen jenes berühmten Schlachtfeldes entsprechen sollte. Es lag nahe bei den Grampiansbergen – nun! dort sind sie, mit dem Blau und den Wolken des Himmels am Horizonte verschwimmend – es war in conspectu classis, – im Angesichte der römischen Flotte; und könnte sich ein Admiral, Römer oder Britte, eine schönere Bucht zum Anlegen wünschen, als jene zur rechten Hand? Es ist erstaunlich, wie blind wir Alterthumsforscher von Profession zuweilen sind; Sir Robert Sibbald, Saunders Gordon, General Roy, Dr. Stuckely, – all' diesen Männern ist es entgangen. – Ich mochte nicht gern etwas davon sagen, so lang' ich den Ort noch nicht an mich gebracht hatte, denn er gehörte dem Johnnie Howie, einem benachbarten Grundbesitzer, und es währte lange, ehe wir einig werden konnten. Endlich – ich schäme mich fast, es zu sagen – aber endlich bracht' ich es über's Herz, und gab Acker für Acker von meinem guten Kornfeld für diesen dürren Fleck. Aber es war dies ja auch Nationalsache, und als der Schauplatz eines so berühmten Ereignisses mein Eigenthum wurde, so war ich reichlich bezahlt. – Wessen Patriotismus würde nicht, wie der alte Johnson sagt, auf Marathons Feldern wärmer werden? Ich begann den Boden umzugraben, um zu sehn, was sich etwa entdecken ließe; und am dritten Tage, Sir, fanden wir einen Stein, den ich nach Monkbarns gebracht habe, um die Inschrift davon in Gips zu nehmen; er zeigt nämlich ein Opfergefäß und die Buchstaben A. D. L. L. welches nach sehr natürlicher Deutung, heißen mag: Agricola Dicavit Libens Lubens

»Ohne allen Zweifel, Sir; denn die holländischen Alterthumsforscher nennen Caligula als Erbauer eines Leuchtthurmes, und zwar nur wegen der Buchstaben C. C. P. F., welche sie erklären: Cajus Caligula Pharum Fecit

»Ganz recht, und das hat stets für eine vernünftige Interpretation gegolten. Ich sehe aus Ihnen wird etwas, noch ehe Sie eine Brille tragen, trotzdem, daß Sie meinten die Spuren dieses schönen Lagers wären undeutlich, als Sie dieselben zuerst bemerkten.«

»Mit der Zeit, Sir, und unter guter Leitung« – –

»Werden Sie immer geschickter werden, – daran zweifle ich gar nicht. Sie sollen bei Ihrem nächsten Besuch in Monkbarns meine geringe Abhandlung über die Kunst Lager zu befestigen, nebst einigen besondern Bemerkungen über die Spuren alter Fortificationen, welche der Verfasser neuerdings beim Kaim von Kinprunes entdeckt hat, durchlesen. Ich glaube den untrüglichen Probirstein vermeinten Alterthums angezeigt zu haben. Ich schicke einige allgemeine Regeln über diesen Punkt voraus, das heißt, auf welche Weise man in solchen Fällen den Beweis zu führen habe. Unterdessen begnüge ich mich, Ihnen bemerklich zu machen, daß ich zu meinen Gunsten Claudian's berühmte Stelle anführen könnte,

» Ille Caledoniis posuit qui castra pruinis

denn pruinis, obwohl man es mit Reif übersetzt, der an dieser nordöstlichen Seeküste allerdings häufig ist, kann ja auch eine Oertlichkeit bezeichnen, nämlich prunes; die castra pruinis posita wären daher nichts andres, als der Kaim von Kinprunes. Aber ich gebe dies auf; denn ich weiß wohl, daß alsdann Wortklauber mein Lager in die spätere Zeit des Theodosius versetzen könnten, welchen Valentinian erst im Jahr 367, oder um diese Zeit herum ungefähr, nach Britannien kommen läßt. Nein, mein guter Freund, ich berufe mich auf Jedermanns Augen – ist hier nicht die porta decumana? und dort würde, ohne die Zerstörungswuth des schrecklichen Pfluges, wie sich ein gelehrter Freund ausdrückte, die porta praetoriana sein. – Zur linken können Sie einige leichte Spuren zur porta sinistra bemerken, und rechts ist die porta dextra beinah völlig sichtbar; – nun lassen Sie uns auf diesen kleinen Hügel treten, welcher einigen zerstörten Gebäuden zum Grunde diente, – das ist der Mittelpunkt, ganz ohne Zweifel das Prätorium des Lagers. Von dieser Stelle aus, die sich jetzt freilich nur durch eine geringe Erhöhung und den grünern Rasen von den übrigen Werken unterscheiden läßt, von dieser Stelle übersah höchstwahrscheinlich Agricola die ungeheure Armee der Caledonier, die den Abhang jener Höhen drüben besetzt hielten, wo denn eine Linie des Fußvolks die andre überschauen konnte, da die Gestalt des Bodens ihrer Schlachtordnung die größten Vortheile bot; die Kavallerie oder covinarii aber, worunter ich die Streitwagenführer verstehe, (ein ganz andrer Menschenschlag, als ihr, wenn ihr mit Vieren in Bondstreet hinfahrt,) nahmen den ebenern Raum in der Tiefe ein –

– – Dann, Lovel, sieh, o sieh,
Wie sich die große Schlacht zieht von den Bergen;
Gleich Drachenschuppen glänzt der Rüstung Gold;
Wie Sturmgetöse braust ihr Marsch; – sieh, schaue sie,
Und dann sieh Rom nicht wieder! – – –

Ja, mein theurer Freund, wahrscheinlich, oder vielmehr gewißlich, betrachtete von hier aus Agricola, was unser Beaumont so schön schilderte! – von diesem selbigen Prätorium aus« – –

Eine Stimme hinter ihm unterbrach seine begeisterte Schilderung – »Prätorien hin, Prätorien her, ich weiß, wie's zugegangen ist.«

Beide wandten sich um, Lovel erstaunt und Oldbuck zugleich erstaunt und unwillig über eine so unhöfliche Unterbrechung. Ein Zuhörer hatte sich, ungesehn und ungehört, während der enthusiastischen Rede des Alterthümlers und der aufmerksamen Artigkeit Lovel's, zu ihnen geschlichen. Sein Aeußeres war ganz das eines Bettlers. Ein ungeheurer großer, niedergekrempter Hut, ein langer weißer Bart, der sich mit dem grauen Haupthaar mischte, ein gealtertes aber scharf markirtes, ausdrucksvolles Gesicht, durch freie Luft und Sonne sehr dunkelbraun gefärbt; ein langer blauer Rock mit einem zinnernen Schild am rechten Arm; einige Quersäcke oder Reisetaschen über die Schulter geschlungen, um die verschiedenartigen Lebensmittel aufzubewahren, wenn er seine milden Gaben von denen empfing, die ein wenig reicher als er selber waren, – alles dies verkündigte den Bettler von Handwerk und zugleich einen solchen, der zu der bevorrechteten Klasse gehörte, welche man in Schottland des Königs Bettler, oder gewöhnlich Blaukittel nennt.

»Was sagst du da, Edie?« sprach Oldbuck, während er vielleicht hoffte, seine Ohren möchten ihre Schuldigkeit versäumt haben; »was wolltest du da sagen?«

»Von dem Erdhaufen hab' ich gesprochen,« antwortete der unerschrockene Edie; »ich weiß woher das Alles rührt.«

»Hol' dich der Teufel! ei, du alter Narr; eh' du geboren warst, war das vorhanden und wird noch da sein, wenn du längst gehängt bist, Mensch!«

»Gehängt oder ertränkt, hier oder sonstwo, lebendig oder todt, ich weiß von wem das herrührt.«

»Du – du – du,« sagte der Alterthümler, verlegen und zornig stotternd, »du alter Landstreicher, was Teufel kannst du davon verstehn?«

»O, Monkbarns, ich weiß davon, – und was hätt' ich für Vortheil, wenn ich löge? – ich weiß so viel davon, daß vor etwa zwanzig Jahren ich und ein Paar Kerle meines Schlags, sammt den Maurern, die den langen Graben unten am Fußsteg auswarfen, und noch einigen Hirten, daß wir, sag' ich, das Ding bauten, was Sie ein Prätorien nennen; und das geschah, als der alte Aiken Drum Hochzeit hatte und wir hielten uns drinnen auf, weil's ein Bischen regnete. Wollen Sie's noch besser wissen, Monkbarns, so lassen Sie den Hügel aufhauen, wie wohl schon der Anfang gemacht ist, und da werden Sie einen Stein finden, wenn Sie ihn nicht vielleicht schon haben, auf welchen einer der Maurer einen Löffel eingehauen hat, um sich mit dem Bräutigam einen Spaß zu machen; und er setzte die Buchstaben darauf, A. D. L. L.Aiken Drum's langer Löffel; denn Aiken war einer der tüchtigsten Suppenesser in Fife.«

Dies, dachte Level bei sich selbst, ist ein famoses Seitenstück zu der Geschichte des Geht auf dieser Seite. – Sodann wagte er's, einen Blick auf den Alterthümler zu werfen, sah aber alsbald mit gutmüthigem Mitleid wieder nach anderer Richtung. Denn, freundlicher Leser, wenn du je das Gesicht eines sechzehnjährigen Mädchens betrachtetest, dessen phantastische Ideen von treuer Liebe durch eine unvermuthete Entdeckung mit einem Schlage vernichtet wurden, oder wenn du ein Kind von zehn Jahren sähest, dessen Kartenhaus ein boshafter Gespiele niederwarf, so kannst du dich darauf verlassen, daß Jonathan Oldbuck von Monkbarns weder weiser noch minder bestürzt aussah.

»Hier muß ein Mißverständniß sein,« sagte er, während er sich schnell vom Bettler abwandte.

»Der Teufel, auf meiner Seite nicht,« antwortete der verstockte Bettler; »ich habe nie mit Mißverständnissen zu thun, die immer Mißgeschick nach sich ziehn. – Nun, Monkbarns, der junge Herr, den Sie da bei sich haben, kümmert sich gewiß wenig um einen Kerl, wie mich; und doch wett' ich drauf ich kann ihm sagen, wo er gestern gegen Abend war, wenn es ihm nämlich nicht unangenehm ist, daß man in Gesellschaft davon spricht.«

Lovel's Wangen färbten sich mit all' der Gluth eines jungen Mannes von zwei und zwanzig Jahren.

»Kümmern Sie sich nicht um den alten Schuft,« sagte Mr. Oldbuck; »glauben Sie nicht, daß ich Ihres Berufs wegen schlechter von Ihnen denke; nur vorurtheilsvolle Narren und Dummköpfe können das thun. Erinnern Sie sich, was der alte Tullius, in seiner Rede pro Archia poeta, in Bezug auf Ihre Kunstgenossen sagt: Quis nostrum tam animo agresti ac duro fuit – ut – ut ich vergesse das Latein – der Sinn ist, wer von uns ist so roh und barbarisch, daß ihn der Tod des großen Roscius nicht rührte, dessen vorgerücktes Alter uns auf seinen Tod so wenig vorbereitet hatte, daß wir vielmehr hofften, ein in seiner Kunst so herrlicher, trefflicher Mann müsse von dem gemeinsamen Loose der Sterblichkeit ausgenommen sein? So sprach der Fürst aller Redner von der Bühne und ihren Künstlern.«

Die Worte des alten Mannes tönten in Lovel's Ohr, aber ohne seinem Geiste einen bestimmten Begriff zu geben, denn er war eben noch beschäftigt, an die Mittel zu denken, durch welche der alte Bettler, der ihn noch immer mit herausfordernder, schlauer Miene ansah, sich eine Kenntniß seiner Angelegenheiten habe verschaffen können. Er steckte die Hand in die Tasche, weil ihm dies die natürlichste Weise schien, die erwünschte Verschwiegenheit zu fördern und die angeredete Person für sich zu gewinnen; und während er jenem ein Almosen gab, welches an Größe eher seiner Furcht als seinem Mitleid entsprach, blickte er ihn bedeutungsvoll an; der Bettler, ein Physiognom von Handwerk, schien den Blick vollkommen zu verstehen. – »Keine Sorge, Sir; ich bin kein Schwätzer; aber es gibt außer den meinigen noch mehr Augen in der Welt,« antwortete er, während er Lovel's Geschenk einsteckte, jedoch in einem Tone, daß es der Angeredete allein vernahm, und mit einer Miene, welche Alles andeutete, was ungesprochen blieb. Darauf wandte er sich an Oldbuck. – »Ich gehe nach dem Pfarrhaus. Wenn Sie dorthin was zu bestellen haben, oder an Sir Arthur, – denn am Abend denk' ich im Schlosse Knockwinnock einzusprechen –«

Oldbuck fuhr wie aus einem Traum empor; und während er zugleich eine Gabe in Edie's abgegriffenen unförmlichen Hut warf, sagte er mit hastigem Tone, wo die Verlegenheit mit dem Wunsche kämpft, sich zu verbergen: »Geh' hinab, nach Monkbarns – laß dir etwas zu essen geben – oder wart': wenn du nach dem Pfarrhaus kommst oder nach Knockwinnock, so brauchst du dort nichts von deiner närrischen Geschichte zu sagen.«

»Wer, ich?« sagte der Bettler – »Gott segne Eure Gnaden, Niemand soll ein Wort von mir hören, ich will sagen, der Erdhaufen ist seit Noah's Sündfluth da. Aber lieber Himmel, ich hörte, Sie hätten dem Johnnie Howie Acker für Acker von Ihrem schönen Felde für diesen kahlen Anger gegeben! Nun, hat er wirklich den Erdhaufen als altes Werk an Sie abgetreten, so wird meiner Meinung nach der Handel zurückgehn müssen, wenn Sie's nur über Ihr Herz bringen, vor Gericht zu gehn und zu sagen, daß Sie von ihm hinter's Licht geführt worden sind.«

»Abscheulicher Kerl!« murmelte der unwillige Alterthümler zwischen den Zähnen, – »ich wollte des Henker's Peitsche und dein Rücken machten Bekanntschaft miteinander!« – Und dann setzte er etwas lauter hinzu: – »Laß das sein, Edie – 's ist ein bloßes Mißverständniß.«

»Freilich, so denk' ich auch,« sagte der Quälgeist, dem es Freude zu machen schien, die offene Wunde zu kratzen, »freilich, ich dachte auch so; und 's ist noch nicht lange her, da sagt' ich zu Luckie Gemmels, »denke nur nicht, Luckie,« sagt' ich; »daß der gnädige Herr Monkbarns, solch einen dummen Streich gemacht, und ein Stück gutes Land, wo der Acker seine fünfzig Schilling werth ist, für einen dürren Fleck hingegeben hat, der mit einem Pfund schottisch zu theuer bezahlt sein würde. Nein, nein,« sagt' ich, »der Laird ist gewiß von dem pfiffigen Teufelskerl, dem Johnnie Howie, geprellt worden.« »Aber Gott steh' uns bei, ihr Leute, wie kann das zugehen,« sagte sie darauf, »der Laird ist doch ein so studirter Mann, daß man seines Gleichen nicht im Lande findet, und Johnnie Howie hat kaum Verstand genug, um die Küh' aus seinem Stalle zu treiben?« »Freilich,« sagt' ich, »er hat ihn mit einigen seiner alten Geschichten bethört, – denn Sie wissen doch, Laird, wie es damals mit dem Kupferpfennig stand, den sie auch für eine alte Münze hielten« –

»Geh' zum Teufel!« sagte Oldbuck; und dann setzte er, wie Jemand der recht wohl weiß, sein Ruf hänge von des Gegners Gnade ab, in etwas milderm Tone hinzu: – »Fort mit dir, nach Monkbarns, und wenn ich nach Hause komme, will ich dir eine Flasche Ale nach der Küche schicken.«

»Der Himmel vergelt's Ew. Gnaden!« dies ward im wahren Bettlertone gesprochen, als er seinen Stab vor sich in Bewegung setzte und den Weg nach Monkbarns einschlug. – »Aber haben Ew. Gnaden,« sagte er, sich noch einmal umsehend, »auch das Geld wieder bekommen, das Sie dem reisenden Krämer für den Pfennig gaben?«

»Verfluchter Kerl, geh' deiner Wege!«

»Gut, gut, Sir, Gott segne Ew. Gnaden! – Ich hoffe, Sie werden dem Johnnie Howie den Spaß noch vergelten und ich werde das selber noch erleben.« Mit diesen Worten wanderte der alte Bettler davon und befreite Mr. Oldbuck von Erinnerungen, die nichts weniger als angenehm waren.

»Wer ist der treuherzige alte Bursche?« sagte Lovel, als der Bettler entfernt war.

»O, eine der Plagen dieses Landes – ich bin stets gegen Armensteuer und Arbeitshäuser gewesen – aber nun werd' ich doch wohl dafür stimmen, damit dieser Kerl nur eingesperrt wird. Ach, ein solcher Bettler, dem Sie von jeher etwas gaben, wird am Ende so bekannt mit Ihnen, wie mit seinem Sack, so vertraut, wie ein Hausthier mit dem Menschen, der es besonders gern hat und oft mit ihm zusammenkommt. Wer er ist? – nun er hat Alles durchgemacht, ist Soldat gewesen, Bänkelsänger, wandernder Kesselflicker, und nun ist er Bettler. Er ist von unsern dummen Landleuten verdorben, die über seine Späße lachen und Edie Ochiltree's Scherze und Witze eben so regelmäßig weiter erzählen, wie die von Joe Miller.«

»Nun, er nimmt sich, wie es scheint, viel Freiheit, die allerdings die Seele des Witzes ist,« sagte Lovel.

»O ja, Freiheit genug,« sagte der Alterthümler; »er erfindet gewöhnlich eine abscheuliche, unwahrscheinliche Lüge oder sonst etwas, womit er Sie dann ärgert, wie etwa einen solchen Unsinn, den er jetzt zum Vorschein brachte. Indeß will ich meine Abhandlung nicht eher drucken lassen, als bis ich der Sache auf den Grund gekommen bin.«

»In England,« sagte Lovel, »würde man sich eines solchen Bettlers bald zu entledigen wissen.«

»Ja, Ihre Kirchenvorsteher und Gerichtsdiener würden seiner witzigen Ader nicht lange nachsehen! Aber hier, daß ihn der Teufel, ist er gewissermaßen privilegirt; eines der letzten Exemplare der vormaligen schottischen Bettler, welche ihre Runde in einem besondern Umkreise machten, und die Zeitungsbringer, Sänger und auch wohl Historiker ihres Distriktes waren. Dieser Schuft nun weiß mehr alte Balladen und Sagen, als irgend ein Mensch in diesem und den vier benachbarten Kirchspielen. Und im Allgemeinen,« fuhr er fort, während er zugleich, Edie's gute Seiten schildernd, in einem mildern Tone sprach, »hat der Taugenichts doch manch guten Einfall. Er hat sein hartes Geschick mit festem Muthe ertragen, und es wäre grausam, wenn man ihm den Trost rauben wollte, über Vornehmere zu lachen. Das Vergnügen, mich geneckt zu haben, wie die lustigen Leute es etwa nennen würden, wird für ihn auf einige Tage so gut wie Essen und Trinken sein. Aber ich muß nach Hause gehn und ein Auge auf ihn haben, sonst wird er die verdammt unsinnige Geschichte über's halbe Land verbreiten.«

Mit diesen Worten schieden unsre Helden, Mr. Oldbuck, um nach seinem hospitium in Monkbarns zurückzukehren, und Lovel um seinen Weg nach Fairport zu verfolgen, wo er ohne weiteres Abenteuer anlangte.


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