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Erste Abtheilung.


Wir dürfen jedoch hoffen, daß Er, welcher ein Vaterherz für die ganze Menschheit besitzt, sich in seiner Güte über die Tochter der arbeitsamen und redlichen Westgothländerin erbarmen wird.

»Wäre es denn nicht am klügsten, wenn Ove von hier fortginge?« äußerte sich des Tischlergesellen Richardson kranke Frau ihrer Schwiegermutter Magdalene Richardson gegenüber.

»Was ist dies für ein dummes Geschwätz!« platzte Madame Richardson heraus; »willst du, daß Ove fort soll, weil der Großhändler empfindlich und großartig ist? Ach nein, daraus wird nichts. Wir haben Widerwärtigkeiten genug gehabt, und man verläßt eine freie Wohnung nicht wegen Lappalien. Ihr habt so wie so knapp zu leben; was würde denn daraus werden, wenn Ihr noch Miethe dazu bezahlen müßtet? Hier habe ich das Recht zu wohnen und meine Kinder bei mir zu haben, und ich habe nicht im Sinne, mich erschrecken zu lassen. Wenn alle Stränge brechen, so kann die alte Magdalene dem Großhändler zeigen, daß sie noch immer die Zähne zu weisen vermag.«

Magdalene ließ ihren ganzen Reichthum von zweiunddreißig starken und gesunden Zähnen sehen. Wie erbaulich dieser Anblick auch war, so machte er doch nicht den beabsichtigten Eindruck auf die Schwiegertochter, welche als Antwort darauf in schmerzlichem Tone äußerte:

»Die Schwiegermutter ist ja beständig mit dem Großhändler im Streit gelegen, und deswegen ist es doch nicht besser geworden, sondern nur schlimmer. Was kümmert er sich um eine arme Frau? Er will uns fort von hier haben, und so lange dies nicht der Fall ist, wird es wohl keinen Frieden geben.«

Magdalene konnte nicht antworten, denn das Gespräch wurde von Kindergeschrei, welches mit Flüchen und Peitschengeknall vermischt war, unterbrochen. Der Lärm kam aus dem Hofe. Die kranke Frau begab sich erschreckt aus dem Bett an das Fenster.

»Mein Gott, Schwiegermutter, Folke bekommt Schläge von dem Bedienten des Herrn Arthur!« rief die junge Frau aus und sank auf einen Stuhl nieder.

»Nun, beruhige dich, armes Geschöpf; Ove ist ja schon draußen und nimmt den Kleinen in Schutz,« tröstete die alte Magdalene und trug ihre Schwiegertochter zurück ins Bett.

Draußen im Hof fuhr der Bediente fort, mit einer Peitsche einen kleinen Knaben durchzuhauen und wurde hiezu von einem elegant gekleideten jungen Herrn aufgemuntert, welcher, wie es schien, ein Vergnügen daran fand, zu sehen, wie der arme Schreihals Schläge bekam.

Von der entgegengesetzten Seite des Hofes näherte sich inzwischen ein hochgewachsener und kräftiger Arbeitsmann. Als er dem Bedienten auf Armeslänge nahe gekommen war, schlug er denselben in das Genick und rief mit Donnerstimme: »Lasse den Kleinen los, oder ich erwürge dich gerade vor den Augen deines Schlingels von einem Herrn!«

Der Bediente wurde mit solcher Stärke beim Genick gefaßt, daß er das Kind sofort losließ; in demselben Augenblick war dem Diener die Peitsche aus der Hand gerissen, und der Arbeiter gab ihm die Schläge, die der Knabe erhalten hatte, mit Zinsen zurück.

»Wie waget Ihr es, meinen Bedienten zu schlagen?« rief der elegante Jüngling, sprang vor und gab dem Arbeiter mit dem Spazierstock einen Schlag über das Gesicht. Der Tischler schwang die Peitsche; dieselbe pfiff durch die Luft, und ihre Schlinge fuhr dem jungen Herrn um die Ohren, so daß sich derselbe schäumend vor Zorn und mit den rothen Spuren des Schlages zurückziehen mußte.

Ove Richardson warf die Peitsche weg und ließ den Bedienten los, wobei er sagte: »Nehmt Euch in Acht, Sohn des Großhändlers Grattman, daß ich Euch nicht eines schönen Tages so herrichte, daß Ihr Euer Leben lang genug habt. Auch Euer Knecht soll sich in Acht nehmen, so lang er noch eine Rippe im Leibe hat. Es ist jetzt schon zum dritten Male, daß Ihr den Schlingel auf mein wehrloses Kind hetzt, und ich rathe Euch, es nicht zum vierten Male zu thun!«

Der Jüngling eilte in das Haus hinein, das an der Straße gelegen war; Ove nahm den kleinen Folke bei der Hand und ging in das niedrige Gebäude, welches eine Art von Flügel des großen bildete.


Das Haus, worin sich diese Begebenheiten zugetragen hatten, war ein großes steinernes Gebäude und lag, wie wir annehmen wollen, in der Regierungsstraße in Stockholm.

Das hohe dreistöckige Wohngebäude nahm die Hälfte eines Quadrats der genannten Straße ein und erstreckte sich bis zu der –gasse.

Der Hof war groß und sorgfältig gepflastert. Von der Regierungsstraße führte ein Durchgang zu dem Wohnhaus, dessen Einfahrt jedoch in der Nebengasse sich befand.

Dieses prachtvolle Besitzthum gehörte dem Großhändler Klas Henri Grattman. Er hatte es von seinem Vater, einem steinreichen Manne, geerbt.

Klas Henrik Grattman stand zur Zeit, in der unsere Erzählung spielt, in seinem Mannesalter, war mit einer reichen Kaufmannstochter verheiratet und Vater von drei Kindern, zwei Söhnen und einem Töchterchen. Mit dem ältesten dieser hoffnungsvollen Sprößlinge, dem Sohn Arthur, haben wir bereits Bekanntschaft gemacht.

Grattman war ein stolzer und hochfahrender Mann. Im Ueberfluß aufgewachsen, hatte er sich schon von Jugend auf gewöhnt, im Gelde den Maßstab zu finden, nach dem er den Werth der Menschen beurtheilte. In Folge dessen betrachtete er die Armuth beinahe wie eine Schande; der Arme hatte bei ihm nicht einmal auf Mitleid Anspruch.

Ausgezeichnete Geistesgaben, Geburt oder ein hoher Rang in der Gesellschaft hatte für ihn geringe Bedeutung, wenn nicht großer Reichthum damit verbunden war. Das Geld, meinte er, sei dazu bestimmt, Welt und Menschen mit Allmacht zu beherrschen.

Grattman, der im Besitz eines fürstlichen Vermögens war, konnte sich einen Aufwand erlauben, welcher die Meisten ruinirt hätte.

Er besaß eine angenehme Art, wenn er mit Personen verkehrte, welche seiner Meinung nach Achtung verdienten; er war zuvorkommend gegen Personen weiblichen Geschlechts, gebieterisch und streng auf dem Comptoir. Der Hochmuth trat zu Tage, wenn er eine vermögenslose Person vor sich hatte und zeigen wollte, wie groß der Abstand zwischen derselben und ihm sei.

Florence Malmberg – so hieß Frau Grattman vor ihrer Verehelichung – war ebenso beschränkt als reich, ebenso schön als hochmüthig und ebenso gefallsüchtig als eigennützig.

Eine edlere Anschauung vom Leben, als die, daß der Reiche sein Glück genießen, der Arme dagegen arbeiten müsse, wollte der Frau Grattman nicht in den Kopf, und sie konnte ihren Kindern auch keine andere Anschauung beibringen, weshalb sie außer Stande war, irgend welchen veredelnden Einfluß auf ihren Mann auszuüben.

Der Großhändler Grattman hatte einen einzigen Bruder, welcher einige Jahre älter und auch Kaufmann, jedoch von ganz anderem Charakter war.

John Grattman war vielleicht noch stolzer als Klas Henrik, allein dieser Stolz äußerte sich hauptsächlich darin, daß er den ersten Rang unter den Kaufleuten Stockholms einnehmen wollte und zwar weniger auf Grund seines ererbten Vermögens, als vielmehr durch strenge Redlichkeit und seine Gewandtheit als Kaufmann, welche er durch klug berechnete und glücklich ausgeführte Unternehmungen, womit er sein ererbtes Vermögen verdoppelte, an den Tag legte.

Er machte kein großes Haus und glänzte nicht durch Feste. Als er sich verheiratete, nahm er ein unbemitteltes, aber wohlerzogenes Mädchen zur Frau. Er war reich und angesehen genug, um ausschließlich auf den inneren Werth der Frau, welche mit ihm die Wechselfälle des Lebens zu theilen bestimmt war, sehen zu können.

Die beiden Brüder hatten nach des Vaters Tod im Anfang ein gemeinschaftliches Geschäft; allein Johns Verheiratung mit einer Lehrerin in dem Haus eines Großhändlers war die Ursache des Bruchs zwischen beiden Brüdern, und das Haus Grattman spaltete sich in zwei Handelsfirmen.

John Grattman wurde übrigens für den Reicheren gehalten, obwohl Klas Henrik ein großes Vermögen durch seine Frau bekommen hatte.

Glücklich, wie John in seinem Ehestand und seinen Geschäften war, hätte es scheinen können, daß er den Bruder nicht zu beneiden nöthig gehabt haben würde, und dennoch gab es Etwas, wodurch Johns Neid wach gerufen wurde.

John hatte nämlich ein einziges Kind, eine Tochter, während Klas Henrik dagegen Vater zweier Söhne war.

John empfand es schmerzlich, eine Firma, wie die seinige, wenn er einmal alt geworden sein würde, nicht auf ein eigenes Kind übergehen lassen zu können.

Seine Margarethe war zwar nach des Vaters und der Mutter übereinstimmender Meinung das schönste Kind auf Erden, aber was half dies? Sie konnte ja doch in Zukunft das Geschäft nicht übernehmen.

Bei der Erbtheilung nach dem Tode des alten Grattman war das Haus in der Regierungsstraße an Klas Henrik gefallen. Damit war er ganz gewiß nicht unzufrieden, aber dieses Erbtheil war mit einem Inventarium ausgerüstet, welches dem Eigenthümer ganz und gar keine Freude machte. Es war dies die Wittwe eines Dieners des verstorbenen Vaters, die alte Magdalene. Sie war Klas Henriks Amme gewesen, und diesem lag es nun in Folge Testaments ob, dieselbe im ungestörten Gebrauch der Wohnung, welche sie dreißig Jahre lang inne gehabt hatte, zu belassen und außerdem der Alten einen kleineren Betrag jährlich auszubezahlen. Grattman hegte einen heimlichen Groll gegen Magdalene, und weil er seinen Gefühlen keinen Zwang anzuthun pflegte, so mußte sie auch sehr oft Aeußerungen seines Unwillens erfahren. Nach seines Vaters Tod hatte ihr Grattman vergebens den Vorschlag gemacht, das Haus zu verlassen und eine entsprechende Geldentschädigung dafür anzunehmen.

Der Sohn der Magdalene, Ove, verheiratete sich frühzeitig und blieb bei seiner Mutter wohnen, aber auch er war Verfolgungen fortwährend mehr oder weniger ausgesetzt. So lange solche gegen ihn selbst gerichtet waren, ertrug Ove dieselben; als sie aber auch auf sein Söhnchen sich erstreckten, verlor er die Geduld, wie wir bereits gesehen haben.

Oves sanfte und friedfertige Ehefrau hatte oft darauf gedrungen, man solle ausziehen, aber ihre fortwährende Kränklichkeit nahm einen nicht unbedeutenden Theil von dem Arbeitsverdienst des Mannes weg, und Magdalene war deshalb der Meinung, daß, da ihr die Wohnung auf Lebensdauer gebühre und sie das Recht habe, den Sohn bei sich zu behalten, aus einem Wegzug nichts werden könne.

Die Feindseligkeiten von Seiten der reichen Familie hatten jedoch im letzten Jahre, als Arthur Grattman auch sich an denselben zu betheiligen anfing, einen derartigen Charakter angenommen, daß Ove schwerlich sich hätte darein finden können, und durch den Peitschenschlag in das Gesicht des jungen Arthur waren die Dinge auf die Spitze getrieben worden.

In dem großen Hause in der Wohnung im ersten Stock befand sich Frau Grattman. Sie war mit ihrer Toilette beschäftigt, als Arthur mit seinem durch den Peitschenhieb entstellten Gesicht eintrat.

Die noch wohlerhaltene Florence hatte der Kammerjungfer anbefohlen, ihr das Haar auf verschiedene Art zu frisiren, damit Florence beurtheilen könne, wie sie gekleidet sein müsse, damit ihre Schönheit auf dem Balle, den sie am heutigen Tage geben wollte, recht hervortreten würde. Sie war endlich über diesen Punkt sich klar geworden, als die Thüre aufging und der Sohn ohne alle Entschuldigung hereintrat.

»Mama,« rief er aus, »Richardsons oder ich müssen fort von hier!«

»Mein Gott, Arthur, wie du mich erschreckst!« platzte die Mutter heraus, indem sie ein Fläschchen vom Putztisch nahm und daran roch; »hast du die Absicht, mir Krämpfe zu verursachen? Du weißt, daß ich krank werde, wenn du dieses Volkes nur Erwähnung thust!«

»Aber betrachte mich nur,« unterbrach sie Arthur; »siehe nur, wie ich durch seinen Schlag entstellt bin; aber nicht genug damit, mich ins Gesicht zu schlagen, hat er auch gedroht, mich zu ermorden!«

»O, mein Gott, was höre ich!« schrie Florence, fuhr in die Höhe und fiel sodann erschöpft, jedoch mit einer gewissen Vorsicht, auf den Stuhl zurück.

Die Kammerfrau beeilte sich, sie zu halten und ihr die nöthige Fürsorge angedeihen zu lassen. Arthur ließ sich auf einem Ruhesessel nieder und wartete ganz unbekümmert den Augenblick ab, wann es der gnädigen Frau Mama belieben würde, aus ihrer Ohnmacht aufzuwachen. Als sie den Kopf wieder in die Höhe hob, fing der Sohn, ohne nach dem Befinden der Mutter zu fragen, zu erzählen an, was sich zugetragen hatte. Er wich zwar nicht von der Wahrheit ab, half aber nach und verbesserte dieselbe.

Frau Florence weinte vor Schmerz und Gram und gab dem Sohne die heiligsten Versicherungen, daß der unverschämte Kerl nicht im Hause bleiben dürfe, womit der Rachedurst des Jünglings augenscheinlich befriedigt war.

Nachdem sich Arthur entfernt hatte, zog Florence einen kostbaren Morgenanzug an und legte sich sodann auf ein Sopha im Boudoir. Sie mußte nach der Ohnmacht und den heftigen Gemüthsbewegungen wieder Kräfte sammeln.

Die Kammerjungfer erhielt den Auftrag, die Amme mit der noch kein Jahr alten Tochter hereinzuschicken, damit die Mutter ihre kleine Agnes sehen könne.

Die Amme fand sich kurz darauf ein, nachdem aber die nervöse Mutter ein paar Minuten lang das Kind geküßt und geherzt hatte, waren ihre Kräfte so erschöpft, daß sie in Thränen ausbrach. Sie hielt eine rührende Ansprache an die Kleine darüber, daß dieses gemeine Volk ihre Mutter noch ums Leben bringen werde und Agnes mutterlos würde. Die Kleine verstand natürlich nichts davon, allein die Rede war nicht für das Kind bestimmt, obgleich die Worte an letzteres gerichtet waren. Florence hatte, ohne nach der Thüre zu sehen, ihren Mann bemerkt, welcher einzutreten im Begriff stand: daher alle diese rührenden Redensarten.

Klas Henrik Grattman liebte seine Frau und seine Kinder beinahe wie sich selbst, und dies wollte viel heißen.

Das Blut stieg ihm immer mehr zu Kopfe, während Florence erzählte, was sie Alles wegen Richardsons zu leiden habe, und er eilte mit dem Ausrufe aus sie zu: »Wie, Florence, du bist krank, was ist die Ursache deines Uebelbefindens?«

»Ach, mein Freund, bist du es?« stammelte Florence mit gut gespielter Ueberraschung, »ich sah dich nicht.« Sie reichte ihm die Hand, wobei sie mit matter Stimme hinzusetzte: »Ich bin so schwach, daß ich mich genöthigt sehe, die Einladung an unsere Gäste zurückzunehmen und den Ball heute Abend abzubestellen.«

Der Großhändler befahl der Amme, das Kind zu nehmen und sich zu entfernen. Florence führte das Fläschchen an die Nase.

Für Klas Henrik gab es nichts Höheres, als ihn selbst und seine Familie. Die Nothwendigkeit, das glänzende Fest abzubestellen, welches bestimmt war, die ganze elegante Welt in Erstaunen zu versetzen, war für ihn eine Unannehmlichkeit ersten Grades. Er rief auch ganz erschrocken aus: »Florence, dies ist wohl nicht möglich, daß du so unwohl bist. Als ich dich vor einigen Stunden verließ, warst du fröhlich und gesund. Was hat dich so schnell unwohl gemacht?«

»Und dies fragst du?« platzte Florence mit erregter Stimme heraus. »Was anders, als dein Mangel an Willenskraft? Du lässest ja diesen Richardson immer noch bei seiner Mutter wohnen! Ich habe dich doch schon Jahre lang gebeten, diese unverschämten Leute fortzujagen, aber meine Bitten haben nichts vermocht. Die Folgen deiner Schwachheit haben sich jetzt gezeigt, nachdem der Kerl in seiner Grobheit so weit gegangen ist, daß er unsern ältesten Sohn mißhandelt und mit dem Tode bedroht hat. Arthur, dies ist nicht möglich!«

Florence bewies ihm nicht bloß, daß dies nicht nur eine Möglichkeit, sondern bereits Wirklichkeit sei. In dunkeln, grellen Farben schilderte sie ihm das Vorkommniß, dessen Augenzeugin sie nicht war. Ihre Thränen bewiesen, wie erschrocken und aufgeregt sie war, und es gab nur ein einziges Mittel, sie wieder zu beruhigen und zu Kräften kommen zu lassen; sie hatte jedoch nicht nöthig, dasselbe näher zu bezeichnen.

Der Großhändler war aufgebracht. Er gab seiner schönen Frau die Versicherung, daß innerhalb vierundzwanzig Stunden Richardsons aus dem Hause sein würden. Mit dieser Versicherung verließ Klas Henrik das Zimmer.

Diese Worte waren von merkwürdigem Erfolg. Florence wurde wieder wohl, erhob sich vom Sopha und läutete der Kammerjungfer, um derselben Befehle hinsichtlich des Balles, der am Abend stattfinden sollte, zu ertheilen.


Die alte Magdalene hatte inzwischen wegen ihrer Schwiegertochter vielen Kummer erduldet.

Anna Richardson war seit längerer Zeit sehr auf der Brust angegriffen und der Arzt hatte ernstlich anbefohlen, daß Alles, was sie beunruhigen und aufregen könne, auf das Aengstlichste von der Kranken ferngehalten werden müsse. Der Schrecken darüber, daß Folke Schläge erhalten hatte, hatte sie äußerst angegriffen, so daß sie mehrere schwere Anfälle von Blutspeien bekam. Ove hatte sofort den Arzt rufen lassen, und es gelang demselben, den Husten zu vertreiben und die Blutung zu stillen, allein er erklärte auch, daß die geringste Unvorsichtigkeit ihren Tod herbeiführen müsse.

Ove vertraute seine theure Anna der Pflege Magdalenens an und begab sich an die Arbeit.

Kurz nachdem Ove sich entfernt hatte und die Kranke eingeschlummert war, wurde die Thüre von Magdalenens äußerem Zimmer mit einer solchen Heftigkeit aufgerissen, daß Anna aus ihrem Schlummer geweckt wurde und erschrocken aufsah. Magdalene war bereits dem polternden Besuch entgegengegangen. Es war der Großhändler selbst, welcher der Magdalene entgegenkam und mit erregter Stimme ausrief: »Jetzt ist es mit meiner Geduld zu Ende. Euer Sohn muß unverzüglich fort von hier!«

»Ums Himmels willen,« rief Magdalene in beinahe flehendem Ton, »nicht so laut, meine Schwiegertochter ist schwer krank und der Großhändler könnte sie leicht ums Leben bringen!«

»Euer Lümmel von Sohn,« fuhr der Großhändler fort, ohne auf ihre Vorstellungen zu achten, »hat meinen Arthur mißhandelt, und ich will nicht, daß dies nochmals vorkomme!«

Der Großhändler wandte sich gegen die Thüre, um hinauszugehen. Magdalene trat ihm in den Weg und sagte: »Meine Schwiegertochter kann nicht aus dieser Wohnung, denn dies hieße ihr das Leben nehmen. Uebrigens sind dies meine Zimmer, und so lange ich lebe, sollen auch meine Kinder hier bleiben.«

»Nehmet Euch in Acht, Magdalene,« sagte der Großhändler mit gedämpfter Stimme, »Ihr waget zu viel, wenn Ihr Euch meinen Befehlen widersetzt. Richardsons müssen fort, andernfalls mache ich Anzeige gegen den Unverschämten, welcher dreist genug war, meinen Sohn zu schlagen. Ihr wisset es jetzt, wornach Ihr Euch zu richten habt.«

Die Augen der alten Frau funkelten; sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, allein sie schloß ihn wieder, denn aus dem einen Zimmer wurde ein schwacher Angstschrei gehört.

Magdalene stürzte hinein; der reiche Mann hatte sich bereits wieder entfernt.


Alles, was die Hauptstadt an hervorragenden Leuten, sowohl aus dem Kaufmannsstand, als an Beamten und Militärpersonen aufzuweisen hatte, war am Abend auf dem Ball bei Großhändler Grattman vertreten. Auch der Bruder des Festgebers, John Grattman, war anwesend. Es hatte nämlich im abgelaufenen Jahre eine Annäherung zwischen den beiden Brüdern stattgefunden, und John hatte sich herbeigelassen, die Einladung seines Bruders zu dem großartigen Feste anzunehmen. Trotzdem hatte er sich allein dabei eingefunden, weil er nicht wollte, daß seine reichbegabte Ehefrau jemals über die Schwelle Desjenigen treten solle, der sie nicht als Schwägerin hatte anerkennen wollen.

Klas Henrik stand im großen Salon und sprach einige Worte mit seinem Bruder. Ein Bedienter kam heran mit einem zusammengefalteten Papier.

»Die alte Magdalene bat mich, dies dem Herrn Großhändler zu übergeben,« sagte der Diener.

Klas Henrik warf einen mürrischen Blick auf den Ueberbringer, ohne das Papier entgegenzunehmen.

»Wie wagst du es, mich heute Abend mit etwas Derartigem zu behelligen?« ließ sich der reiche Mann vernehmen, wandte dem Bedienten den Rücken und eilte auf den Präsidenten X. zu, welcher soeben angekommen war.

John Grattman nahm das Billet.

 

»Gib es her, ich möchte wissen, was die alte Lene mitzutheilen hat,« sagte er und begab sich in ein abgelegenes Zimmer, woselbst er folgende Zeilen las: »Vor Gott klage ich Euch, Klas Henrik Grattman, an, daß Ihr meine Schwiegertochter getödtet habt. Sie starb unmittelbar nachdem Ihr befohlen hattet, daß sie, ihr Mann und Kind meine Wohnung verlassen sollten. Ihr werdet am Tage des Gerichts Euch dafür verantworten. Ich will nicht verfluchen, aber vergessen und verzeihen will ich auch nicht. Heute Abend verlasse ich die Wohnung, welche von Eurem Vater bestimmt war für die alte

Magdalene.«

 

John Grattmans Augenbrauen zogen sich zusammen, als er mit Lesen fertig war. Langsam legte er das Billetchen zusammen, steckte es zu sich und flüsterte: »Wieder ein Zug von Herzlosigkeit, und noch dazu gegen dieses eigensinnige alte Weib, welches niemals erlittenes Unrecht verzeihen kann. Er ist schrecklich in seinem Uebermuth.«

John begab sich nun in die glänzenden Salons, in welchen Musik ertönte und wo ihm Freude, Glück, Pracht und Reichthum entgegenlachten, was einen schroffen Gegensatz zu dem Billet in seiner Westentasche bildete, in welchem von Tod, Sorge und unversöhnlichem Haß die Rede war.

John Grattman verließ die prachtvollen Salons, ging durch das Vorzimmer, die Treppe hinunter, über den Hof und hinab zu Richardsons Wohnung.

Ein schwacher Lichtschimmer kam aus dem inneren Zimmer, als John die Thüre des äußern öffnete. Die meisten Möbel waren bereits fortgeschafft, nur ein Tisch, worauf ein Leuchter mit einem Lichte stand, befand sich noch da. Magdalene las ein mit mehreren Siegeln versehenes Schriftstück, welches im Feuer gewesen zu sein schien, denn ein Theil desselben war verbrannt und verkohlt. Neben ihr stand ein Knabe, welcher mit verwunderten Blicken der Alten in das Gesicht sah.

John ging hinein.

Der Blick der Alten traf sein stolzes Gesicht, und eine Zornesröthe erglühte auf ihrem Antlitz. »Was suchet ihr hier?« fragte sie. »So lange ich da bin, ist diese Wohnung mein, und über meine Schwelle darf kein Grattman treten.«

»Lene,« unterbrach sie John, »versuchet es, ruhig zu sein; ich habe Euern Brief an meinen Bruder gelesen und bin hier, um zu erfahren, auf welche Weise er Euch das Uebel zugefügt hat, dessen Ihr ihn anklaget. Wenn Euch Unrecht geschehen ist, so will ich Euch Genugthuung verschaffen, wenn es möglich ist.«

»Genugthuung durch Euch?« unterbrach ihn Magdalene. »Könnet Ihr Diejenige auferwecken, welche Euer Bruder dadurch getödtet hat, daß er meine Kinder von mir fortjagen will? Nein, das Leben der Gestorbenen könnet Ihr nicht zurückkaufen, selbst wenn Ihr ein fürstliches Vermögen besäßet. Auch ich werde diese Wohnung verlassen, aber mit der Erinnerung an Vieles, was die Söhne des reichen Grattman begraben zu sein wünschen sollten. Und nun, John Grattman, gehet fort von hier.«

»Noch nicht,« gab John ruhig zur Antwort. »Mein verstorbener Vater bestimmte für Euch ein jährliches Einkommen nebst dieser Wohnung. Ich will den Betrag verdoppeln als geringen Ersatz für die Zimmer, auf welche Ihr jetzt verzichtet, und wenn ich für Euern Sohn etwas thun kann, so wendet Euch an mich: Ihr werdet stets einen Beschützer an mir haben.«

Magdalene preßte die Lippen zusammen, wie wenn sie die auf denselben schwebenden Worte hätte zurückhalten wollen. Sie blickte John schweigend an, und als er verstummte, nahm sie den Enkel bei der Hand, beugte sich zu ihm hernieder und sagte: »Folke, betrachte den Herrn genau, so daß du dich erinnerst, wie er aussieht. Hörst du, Kind, er hat deiner Großmutter Geld als Ersatz dafür angeboten, daß sein Bruder deine Mutter ums Leben gebracht hat?« Magdalene richtete sich jetzt ihrer ganzen Länge nach empor.

»Nein, Herr Grattman, Ihr werdet nie in den Fall kommen, Eures Bruders Schuld an mich und meinen Sohn zu bezahlen. Verschwendet also kein Wort weiter an mich; Ihr solltet wissen, daß Magdalene sich nicht für das Unrecht, welches man ihr zufügt, bezahlen läßt. Gehet zu Eurem Bruder und sagt ihm, daß das, was geschehen ist, nicht mehr gutgemacht werden kann.«

John entfernte sich, ohne noch einen weiteren Versuch zu machen, die Alte zu besänftigen.

John war wider Erwarten aus der Fassung gerathen und hielt es deshalb für das Beste, nicht mehr mit Klas Henrik zusammenzukommen.

Als John nach Hause gekommen war, ging er zu seiner Tochter hinein. Er beugte sich über die kleine Schläferin und betrachtete voll Zärtlichkeit das blühende Gesicht; aber nicht einmal der Anblick des geliebten Kindes konnte das Andenken an die alte Magdalene verwischen. John Grattman fuhr mit der Hand über die Stirne und murmelte: »Was ist dies für eine Schwachheit; was habe ich denn eigentlich mit diesem Weibe zu schaffen?«

Am folgenden Morgen besuchte er Klas Henrik. Als er wieder zurückkam, war die noch nicht lange zwischen den Brüdern zu Stande gekommene Aussöhnung wieder rückgängig gemacht. Es waren beiderseits Worte gefallen, welche die Brüder einander noch mehr entfremdeten.


In der früheren Todtengräbergasse befand sich zu jener Zeit ein gelbangestrichenes hölzernes Häuschen, welches einige Monate lang unbewohnt gewesen war. In dieses Haus hatte Ove Richardson den Leichnam seiner verstorbenen Frau, zwei Stunden, nachdem sie den letzten Seufzer ausgehaucht hatte, verbracht. In diese Wohnung ließ Magdalene ihre Habe schaffen und begab sich mit Folke nach dem Zwiegespräch mit John Grattman ebenfalls dorthin. Vier Tage später wurde Anna Richardson beerdigt.

Sie erhielt, wie sich die alten Weiber im Johannesarmenhaus ausdrückten, ein ganz anständiges Begräbniß. Des Wittwers betrübtes Aussehen erregte deren Interesse, welches dadurch, daß sonderbare Gerüchte umgingen, nicht geringer wurde. Man sprach unter Anderem davon, daß der reiche Großhändler Klas Henrik Grattman in einem Ausbruche von Heftigkeit die Frau des Tischlers so schlecht behandelt habe, daß sie in Folge dessen gestorben sei.

Dieses Gerede ging nicht nur unter den Armen, auch in den Kreisen der Reichen flüsterte man davon, so oft das Gespräch auf Klas Henrik Grattman kam. Der eitle Mann erfuhr in Bälde von dem Gerede, wodurch der Widerwillen gegen Magdalene und ihren Sohn immer mehr gesteigert wurde. Es war übrigens vorauszusehen, daß in dem Streit zwischen dem reichen Mann und dem armen Arbeiter Letzterer den Kürzeren ziehen werde.


Ein halbes Jahr war seit Annas Begräbniß verflossen.

»Ove, hast du das Blatt von heute gelesen?« fragte Magdalene, welche mit dem Auftragen des Abendessens beschäftigt war.

Ove verneinte die Frage.

»Es steht etwas darin, was für dich passend zu sein scheint.«

Magdalene reichte ihm die Zeitung, und deutete auf eine Anzeige mit der Ueberschrift: »Geschickte Tischler.«

Ove las: »Einige geschickte und intelligente Tischler mit guten Zeugnissen finden vortheilhafte Stellung im Ausland, wenn sie sich melden bei Kling u. Comp.«

»Weshalb meint die Mutter, daß dies für mich passend sein soll?« fragte Ove.

»Potz Kreuz, du hast stets Gedanken gehabt, welche über dein bescheidenes Loos hinausgingen!« antwortete Magdalene. »Als Knabe hast du wollen zeichnen lernen, und als dein Vater nichts davon wissen wollte, sondern dich dem alten Kronberg in die Lehre gab, kam es deinem Eigensinn schwer an, sich zu fügen, und im ersten Jahre ging es heiß her zwischen dir und deinem Meister; allein er war ein Ehrenmann – Gott sei seiner Seele gnädig; er lernte dich sein Handwerk, wiewohl er oft zu mir sagte: ›Madame Richardson, Euer Ove hat mancherlei Neigungen, welche bei Tischlern sonst nicht vorzukommen pflegen, und er sollte nach Amerika gehen, denn dort würde er ein reicher Mann werden. Er zeichnet so gut, wie wenn er diese Kunst gelernt hätte, und deshalb kann er neue Möbelmodelle erfinden. Er ist in der That erpicht darauf, Sachen auszudenken.‹

»Seither sind mir seine Worte oft in das Gedächtniß gekommen; allein du bist hier geblieben, hast geheiratet und für Zwei gearbeitet. Der alte Kronberg starb; du kamst zu einem andern Meister und warst ein guter Arbeiter, bis du vor Anstrengung krank wurdest. Seit Annas Tod bist du nicht mehr der Alte. Du kannst es nicht ertragen, von niederem Stande zu sein. Du hast keine Freude mehr an deiner Arbeit, sondern zeichnest und grübelst, und wenn du in dieser Weise fortfährst, wird Armuth und Elend das Ende vom Lied sein. Etwas Anderes ist es, wenn du hinauskommst. Da kannst du die Fertigkeiten anwenden, welche du nach Aussage des alten Kronberg besitzest, und seine Voraussage geht vielleicht in Erfüllung. Ich glaube deshalb, daß die Anzeige für dich paßt und daß du dich melden solltest.«

Ove schwieg und schien nachzudenken. Nach einer Weile sagte er: »Die Mutter hat Recht; ich kann mich, seitdem meine Anna gestorben ist, nicht mehr in meine Verhältnisse finden. Wenn ich an Grattman denke, bin ich verstimmt und schlechter Laune. Manchmal denke ich auch daran, daß ich etwas Besseres thun könnte, als Schreinerarbeiten verrichten. Mein Sinn ist auf etwas ganz Anderes gerichtet. Ich möchte eine große Werkstätte mit vielen Arbeitern haben und selbst Verbesserungen in meinem Handwerk ausfindig machen. Allein das wird nicht in Erfüllung gehen, und deshalb ist es nicht der Mühe werth, darüber zu reden.«

Ove fuhr mit der Hand über die Stirne. Ein augenblickliches Stillschweigen entstand; er unterbrach dasselbe jedoch mit den Worten: »Wenn ich aber zu Kling und Comp. gehe und angenommen werde, so bin ich ja genöthigt, die Mutter und den Kleinen zu verlassen.«

»Nun, liebes Kind, dies muß jeder Seemann thun, und das ist wohl für dich nicht schlimmer als für Jene. An mich darfst du nicht denken«, setzte Magdalene hinzu. »Es ist mir am liebsten, wenn ich weiß, daß es dir nach Wunsch geht. Alles ist recht, wenn du deinen Entschluß ausführst.«

Ove antwortete nichts, aber am nächsten Morgen putzte er seinen äußeren Menschen heraus und zog seine besten Kleider an. Als er fortgehen wollte, rief Folke: »Ich will mit; hörst du, Papa?«

»Schweige, Kleiner,« befahl Magdalene; »was ist das für ein Geschwätz? Lasse deinen Vater in Ruhe, sage ich, sonst kommt etwas Anderes.«

Folke schielte nach der Großmutter, vor welcher er einen sehr großen Respekt hatte. Ove streichelte den Knaben und sagte in freundlichem Ton: »Gewiß darfst du mit, wenn wir verreisen; aber jetzt mußt du daheim bleiben.«

Der Knabe war mit diesem Ausspruch nicht ganz zufrieden, hielt es übrigens für das Beste, seine Gedanken für sich zu behalten.

Als der Vater nach Hause kam, sprang Folke ihm entgegen und rief aus: »Nun, Papa, wann werden wir abreisen?«

»Das weiß ich nicht; es haben sich so Viele angetragen, welche sehr gute Empfehlungen hatten,« sagte Ove zu Magdalenen, »daß die Aussichten sehr gering sind.«

Magdalene sagte nichts, und während der nächsten Tage wurde von der Sache nicht weiter gesprochen.

Eines Morgens, als Ove mit der Zeichnung eines Sophatisches beschäftigt war, klopfte es an der Thüre. Er öffnete, und ein feiner Herr trat ein.

»Seid Ihr Richardson?« fragte er.

Ove bejahte die Frage. Der junge Mann sagte ihm nun, er möge sich am folgenden Tage bei Kling und Cie. einfinden, um Anstalten zur Abreise zu treffen.

Ueber Oves Antlitz verbreitete sich ein Strahl der Freude; der gleichgültige Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht, welches das frühere kräftige und energische Aussehen wieder annahm.

Nachdem der elegante Herr sich entfernt hatte, eilte Ove zu seiner Mutter hinein.

»Nun, jetzt ist es so, wie es die Mutter gewollt hat; ich reise fort!« rief er.

»Gott sei gelobt dafür!« flüsterte Magdalene andächtig. »Jetzt wirst du mir große Ehre machen, das weiß ich.«

»So hoffe ich auch, denn ich bin wieder wie neu geboren,« antwortete Ove.

Zehn Tage später verließen Vater und Sohn die Heimat.


Unser Vaterland ist arm an fruchtbaren, aber reich an schönen Gegenden. Die schöne, herrliche und großartige Natur, welche die Vorsehung uns als Ersatz gegeben zu haben scheint für den Schweiß und die Mühe, welche der Anbau unseres Landes im Gefolge hat, läßt uns oft genug dessen Armuth und die Sorge für unseren Unterhalt vergessen. Reich an Bergen, Wäldern und steinigem Boden, schön, romantisch, aber nicht sehr fruchtbar waren die Gegenden, in welche wir jetzt den Leser führen. Die Leute daselbst waren arbeitsam, wohlwollend, anspruchslos und an Entbehrungen und Genügsamkeit gewöhnt. Einer der größeren Herrensitze in dieser Provinz gehörte dem Großhändler Klas Henrik Grattman.

Nygarda, so hieß das Besitzthum, hatte Klas Henrik von seinem Vater geerbt, und es brachte Ersterer mit der Familie stets einige Wochen während der Sommermonate daselbst zu. Zu dieser Zeit wimmelte es dort von Gästen; ein Fest folgte auf das andere, und Alles war voll Freude und Fröhlichkeit.

Von einem hochgelegenen und durchschnittenen Terrain umgeben, hatte man ein beständig wechselndes Bild vor Augen, besonders da Nygarda auf einer Anhöhe lag, an deren Fuße sich ein grünendes Thal ausbreitete.

Das Thal war begränzt von hohen, majestätischen und bewaldeten Bergen; es wurde von einem breiten Flusse durchschnitten, welcher durch den Park von Nygarda floß und bei seinem Ausfluß in das Thal einen Wasserfall bildete.

Der Wasserfall trieb eine kleine Mühle, welche nebst dem dazu gehörigen Hofe den Namen Qvarndammen führte.

Nachdem Klas Henrik Nygarda von seinem Vater geerbt hatte, bereitete Ersterem die Mühle und das alte, höchst baufällig aussehende Haus Verdruß. Grattman hatte mehrere Jahre zuvor die Mühle und das Grundstück von dem Müller zu kaufen gewünscht, aber das Besitzthum war Letzterem zu werth, denn es war seit langer Zeit immer vom Vater auf den Sohn übergegangen, und obgleich das Angebot des Großhändlers sehr vortheilhaft war, kam der Kauf dennoch nicht zu Stande. Vielleicht hatte der Müller gedacht, der Großhändler werde später einmal die Kaufsumme erhöhen, aber in diesem Falle hatte er sich verrechnet.

Während des Winters, zehn Jahre nachdem Ove aus seiner Heimat weggereist war, kamen in Olle, dem Wohnorte des Müllers, zwei Herren an, welche eine fremde Sprache redeten. Sie wanderten mehrere Tage lang im Thale herum, betrachteten sich die Mühle und den Wasserfall genau und begaben sich schließlich in das zerfallene Häuschen.

»Man hat uns gesagt,« bemerkte der jüngere Herr auf Schwedisch, »daß die Mühle zu verkaufen sei; nicht wahr?«

»Ja, gewiß,« antwortete eine alte Frau mit einem Trauerschleier auf dem Kopfe; »der Vater ist gestorben, und der Sohn ist Geistlicher geworden, und jetzt bleibt kein anderer Rath, als daß man von Haus und Hof geht, so schwer dies auch sein mag. Nun hat der Commissär die Sache in der Hand, und somit kann derselbe am besten Bescheid geben.«

Die Fremden entfernten sich, nachdem sie die Wohnung des »Commissärs« erfahren hatten.

Am vierzehnten März verließ die Wittwe Qvarndammen, und der neue Eigentümer nahm sofort Mühle und Hof in Besitz. Nun gab es Leben und Bewegung in der alten Mühle. Die Dämme wurden umgebaut, die Mühle und die übrigen Häuser niedergerissen, Und es entstanden nach und nach Gebäude, welche nach etwa fünfzehn Monaten eine im Betriebe befindliche Baumwollweberei beherbergten. Es stand auch ein anspruchsloses, aber bequemes Wohnhaus da, mit weit vorspringendem Dach, großen Fenstern und einer reizenden Veranda. Hier wohnte der Eigenthümer der Fabrik. Rechts und links in einiger Entfernung vom Wohnhaus waren ein paar lange Gebäude, welche für Niederlagen bestimmt waren; das Fabrikgebäude befand sich mitten vor dem Wohnhaus. Die sämmtlichen Gebäude umschlossen einen großen und freien Hofraum mit Buschwerk auf dem frischen Grasboden und Wegen nach allen Richtungen zu den verschiedenen Eingängen der Gebäude.


Die Fabrik war schon über einen Monat in Betrieb, als Grattmans um die Zeit des Hochsommers zu Nygarda ankamen.

Es war bereits zwei Jahre her, seitdem die Familie ihr Besitzthum nicht mehr besucht hatte.

Der Großhändler hatte keine Ahnung von der Veränderung, welche mit Qvarndammen vor sich gegangen war.

Es war zur Mittagszeit, als die Familie Grattman ankam. Nach der Mahlzeit zog sich Frau Grattman in ihre Zimmer zurück. Agnes machte mit ihrer Lehrerin einen Spaziergang im Garten, während der Großhändler und Arthur sich auf dem Balkon niedersetzten. Arthur war erst vor ganz kurzer Zeit aus dem Ausland zurückgekommen, wo er mehrere Jahre lang gewesen war; er sollte auf den Herbst als Theilhaber der Firma Grattman eintreten.

»Was ist das?« rief ganz plötzlich der Großhändler und zeigte mit der Hand auf Qvarndammen. »Es sieht so aus, als ob eine Art von Fabrik erbaut worden wäre. Ja, dies ist angenehm so ganz vor der Nase da.«

»Sehr angenehm, wenn man diese Schwärme elender, am Leibe ausgemergelter und, an der Seele verkommener Arbeiter in Betracht zieht, welche eine nothwendige Zugabe der meisten Fabriken sind,« fügte Arthur hinzu.

Inzwischen kam der Inspektor, nach welchem geschickt worden war, in das Zimmer herein.

»Wie haben Sie gestatten können, daß man in der Nähe meines Besitzthums eine Fabrik aufführt?« rief der Großhändler aus, als er seines Inspektors ansichtig wurde.

»Warum haben Sie den Hof nicht für unsere Rechnung gekauft?« fragte Arthur. »Sie wußten ja, daß mein Vater denselben vor einigen Jahren kaufen wollte.«

Der Inspektor kam in Verlegenheit. Er war erst seit einem Jahre angestellt und wußte nicht, daß der Großhändler Qvarndammen zu kaufen gewünscht hatte. Dies hätte dem armen Manne gewiß zur Entschuldigung dienen müssen, aber der Großhändler bedurfte eines Ableiters für seinen Aerger, und der Inspektor mußte somit die einzige Ursache davon sein, daß die Fabrik da stand.


»Nun, was will Papa jetzt thun?« fragte Arthur und zündete eine neue Cigarre an.

»Ich will dem Eigenthümer vorschlagen, Qvarndammen zu verkaufen.«

»Thorheit. Papa wird sich wohl nicht mit Weberei befassen wollen, und die Fabrik niederzureißen, wäre ein schlechtes Geschäft.«

»Du rathest mir also, die Sache so zu lassen, wie sie ist?«

»Mein Rath wird in diesem Falle wohl nicht viel gelten, denn es ist doch stets die Mama, welche Papas Entschließungen bestimmt, und sie hat ihm schon schlimmere Thorheiten, als Geldsummen für Beseitigung einer Unbequemlichkeit hinauszuwerfen, eingeredet.«

Bei den Worten des Sohnes nahm das Gesicht des Großhändlers eine röthere Färbung an. Er leerte jedoch seine Kaffeetasse, ehe er antwortete.

»Ich glaube, lieber Arthur, daß deine Worte nicht recht am Platze sind.«

»In wie fern? Wir Beide sind Männer, und können wohl mit einander sprechen, ohne beständig vor Augen zu haben, daß der Eine Vater und der Andere Sohn ist.«

»Lasse uns dies einen Augenblick vergessen; inzwischen kannst du mir die Thorheiten angeben, auf welche du anspielst.«

»Ach, diese kennt Papa nur zu gut. Aber, wenn wir deutlich sprechen sollen: was hat denn Papa veranlaßt, das Tischlervolk vor die Thüre zu setzen? Man hat recht hübsche Sachen erlebt bei der Geschichte, und wenn Papa bei dieser Gelegenheit seinen Verstand zu Rathe gezogen und sich nicht hätte beeinflussen lassen, so wäre uns manche Unannehmlichkeit erspart geblieben.«

»Du scheinst den Grund, warum ich den Tischler fortgejagt habe, ganz zu vergessen.«

»Ganz und gar nicht, allein dies beweist nur, daß Papa sich von seinen Gefühlen und nicht von seinem Verstand beherrschen läßt. Hätte letzterer die Oberhand behalten, so würde Papa sich mit der alten Magdalene auf eine passendere Weise auseinander gesetzt haben.«

»Möglich, mein lieber Arthur, aber was geht mich andrerseits diese Geschichte denn eigentlich an?« bemerkte der Großhändler stolz. »Ein Mann mit meinem Vermögen ist über den Klatsch erhaben.«

»Ich bin nicht der gleichen Ansicht mit Papa,« fiel ihm Arthur in die Rede. »Wenn man Papas Vermögen besitzt, darf man sich am allerwenigsten als roher und brutaler Mensch zeigen. Den Reichen setzt es stets herunter, wenn er sich schlimm gegen den Armen beträgt.«

Der Großhändler stand auf. Sein Blut war in Wallung gerathen. Arthur blickte ihn mitleidsvoll an und fuhr nach kurzer Pause fort: »Papa hat ein hitziges Blut, Papa kann nicht einmal ruhig anhören, was ich sage. Dennoch fordert man von einem Geschäftsmann in erster Linie, daß er kaltblütig sei. Derjenige, dessen Leidenschaften fortwährend rege sind, muß früher oder später Bankerott machen, wenn er auch doppelt so reich wie Papa wäre. Gut wäre es, wenn mein Vater meines Onkels Ruhe und Kälte besäße. Er ist ein Mann, welcher nie vergißt, daß er einer angesehenen Firma vorsteht. Er hat auch bereits sein Vermögen vervielfacht, und sein Name ist von bedeutend größerem Gewicht als der Papas. Was den Onkel betrifft, so war Papa sehr unbedachtsam, daß er die Mama es so weit treiben ließ, daß beide Brüder sich von einander trennten. Was kümmerte es denn den Papa eigentlich, daß der Onkel ein armes Mädchen zur Frau nahm, und wie konnte ein Mann so schwach sein, daß er in einer solchen Angelegenheit sich von seiner Frau beeinflussen ließ? Bedenke, was Ihr für eine Firma dargestellt hättet. Vereint wäret Ihr die erste im Lande gewesen.«

»Meines Bruders Herrschsucht machte es unmöglich, sein Theilhaber zu sein,« bemerkte der Großhändler.

»Sage lieber, daß Papas Eitelkeit und die Unbesonnenheit der Mama die Auflösung der Gesellschaft verursacht haben.«

Arthur warf seine ausgerauchte Cigarre weg, drehte sich auf dem Absatz herum und sagte: »Ich mache jetzt einen Ritt nach Fjellboda, um Margarethe zu besuchen. Es hieß in Stockholm, sie sei schon zu Anfang des Frühjahrs dorthin gereist.«

»Aber du weißt es nur zu gut, daß das Verhältniß zwischen mir und meinem Bruder noch immer nicht besonders freundlich ist.«

»Dies kann mich doch wohl nicht abhalten, den Verkehr mit Margarethe fortzusetzen, sollte ich meinen? Wir haben mit Eurem Zwist nichts zu schaffen.«

»Aber Margarethe ist ein sonderbares Mädchen und hat eine höchst eigenthümliche Erziehung erhalten.«

»Margarethe ist ein schönes Mädchen und besitzt überdies ungewöhnliche Geistesgaben,« entgegnete Arthur.

»Möglich; ich habe sie, als sie noch ein Kind war, kaum gesehen, und jetzt muß sie in dem Alter sein, daß wir vielleicht eines schönen Tages von ihrer Verlobung hören werden.«

Arthur antwortete hierauf nichts, sondern entfernte sich.


Mit zusammengerunzelten Augbrauen blieb der Großhändler stehen und blickte nach Qvarndammen. Dennoch wurden seine Gedanken nicht hievon, sondern von den Worten seines Sohnes in Anspruch genommen. Er fühlte sich gleichzeitig geärgert, beleidigt und betroffen von dem, was Arthur gesprochen hatte. Es war demüthigend für ihn, sich selbst sagen zu müssen, daß er nicht immer klug gehandelt habe. Er hatte jedoch die Genugthuung, daß es sein Sohn war, welcher ihn an Verstand übertraf und konnte stolz darauf sein. Ein leises Geräusch ließ sich hinter ihm vernehmen. Klas Henriks Stirne umdüsterte sich noch mehr.

»Wo ist Arthur?« fragte Florence und sank auf einen Ruhesessel nieder, während sie die Spitzen um ihre Hände ordnete.

»Er ist nach Fjellboda geritten,« antwortete der Großhändler, ohne sich umzuwenden.

»Ist es möglich!« rief Florence aus und sprang empor. »Hat er sich so weit vergessen? Er weiß ja, daß wir den Umgang mit der Familie abgebrochen haben. Du hättest es ihm verbieten sollen, mein Freund.«

»Meine Theure, du setzest etwas Thörichtes voraus, wenn du glaubst, dein Sohn werde dem Willen seiner Eltern gehorchen. Du hast ihn so erzogen, und da er dies als Kind nicht gethan hat, so ist nicht zu hoffen, daß er es als Mann thun werde. Er ist nach Fjellboda geritten, ohne Jemand um Erlaubniß zu fragen. Es macht ihm Vergnügen, seine schöne Cousine zu besuchen, und dies genügt für ihn, um dorthin zu reiten.«

Frau Grattman sank abermals auf einen Sessel nieder und erklärte, daß dies zu viel für ihre Nerven sei.

Der Großhändler schwieg und machte sich darauf gefaßt, ihre Klagen geduldig anzuhören, als sie urplötzlich verstummte. Sie hatte die Fabrikgebäude von Qvarndammen bemerkt.

»Klas Henrik,« rief sie aus, »es ist doch keine Fabrik da unten?«

Der Großhändler, welchem die Worte seines Sohnes noch frisch im Gedächtniß waren, sagte in äußerst gleichgültigem Tone: »Ja, wie du siehst, hat man an Stelle der baufälligen Mühle eine Weberei angelegt.«

»Das fehlte noch,« flüsterte die gnädige Frau und umklammerte den Arm ihres Mannes mit einer Heftigkeit, welche ihn nöthigte, sich zu ihr zu wenden.

Die zarte Frau war einer Ohnmacht nahe.

»Meine Theure, ich verstehe nicht,« stammelte der Ehemann.

»Ich weiß es, sonst hättest du nicht erlaubt, daß man in der Nähe unseres Eigenthums diese Gebäude hinstellt; du hättest dich sonst daran erinnert, daß schon der Gedanke an das viele schlechte Volk, welches sich in meiner Nähe befindet, mir alle Behaglichkeit hier raubt!«

»Dem kann dadurch vorgebeugt werden, daß wir von Nygarda abreisen,« entgegnete der Großhändler.

»Nygarda verlassen, wonach ich mich gesehnt habe, von dessen Waldluft mein Arzt sich die beste Wirkung für meine Gesundheit verspricht!« Bei diesen Worten brach Florence in Schluchzen aus, beschuldigte ihren Mann der Lieblosigkeit und führte eine jener häuslichen Scenen auf, durch welche die gnädige Frau ihren Mann aufzumuntern pflegte, wenn sie einen Wunsch erfüllt haben wollte.

Der Großhändler war denn auch jetzt die reinste Zuvorkommenheit gegen seine Frau, machte aber keinerlei Vorschlag, um dem Uebelstand abzuhelfen. So lange aber dies nicht der Fall war, konnte Florence nicht zu weinen aufhören. Vom Schluchzen ging sie zu Krämpfen über, und das Ende war, dem gewöhnlichen Programm gemäß, eine Ohnmacht. Als sie sich wieder erholt hatte, sagte der Großhändler, welcher nunmehr die Bemerkungen seines Sohnes weit mehr fürchtete, als die Convulsionen seiner Frau: »Meine geliebte Florence, beruhige dich. Wir können uns ja im großen Gartenhaus niederlassen, das am Ende des Parks gelegen ist, wo der Anblick der Fabrik und des Arbeitervolks dich nicht stören wird. Ich verspreche, Alles zu thun, um dir das Unbehagliche dieser Nachbarschaft zu ersparen.«

»Alles, sagst du,« rief Florence aus; »und da schlägst du mir vor, eine enge und unbequeme Wohnung zu beziehen! Siehst du denn nicht ein, daß es andere Auskunftsmittel gibt?«

Der Großhändler schwieg. »Du schweigst,« fuhr Frau Grattman fort: »du liebst mich nicht mehr; hättest du dies gethan, so wäre der Hof bereits von dir angekauft worden. Bedenke, welche schöne Villa du dem Arthur hättest erstellen können, worin er mit seiner künftigen Frau im Sommer hätte wohnen können. Auf solche Weise würdest du in Uebereinstimmung mit meinem und deines Kindes Interesse gehandelt haben.«

»Qvarndammen kaufen! was fällt dir ein? Der Eigenthümer der Fabrik verkauft dieselbe wenigstens jetzt nicht; vielleicht mag dies der Fall sein, wenn sie nicht rentirt, und daß dem nicht so ist, können wir mit Sicherheit annehmen.«

Abermals eine Flut von Thränen, Krämpfe und Ohnmächten. So machte die reiche Frau fort, bis Arthur nach Hause kam, worauf sie, um sich beklagen zu können, den nervösen Zufällen Einhalt that. Der Großhändler hatte diese Gelegenheit erwartet und überließ seine Gattin dem für die Gefühlsausbrüche der Frau Mama wenig empfindlichen Sohne. Wir folgen dem Beispiel des Großhändlers und machen einen Besuch in Qvarndammen.


Es war am Morgen nach der Ankunft des Großhändlers zu Nygarda.

Für diesmal gehen wir an der Fabrik vorbei, um einen Besuch bei einem der Eigenthümer im Wohnhaus zu machen. Fünf Zimmer des Hauses bewohnt der Fabrikant Richardson mit seiner Frau. Ueber drei weitere Zimmer verfügt der Theilhaber an der Fabrik, Namens Hundern, ein Onkel von Richardsons Frau, und ein paar Zimmer sind für den jungen Richardson.

Folke Richardson war zu jener Zeit ein starker und kräftiger Jüngling mit hübschem, ernstem Gesicht und einem Paar scharfer Augen. Ueber seine Lippen kam selten ein Lächeln. Der Ausdruck jugendlicher Fröhlichkeit, knabenhafter Lebhaftigkeit und übermüthiger Lebenslust ging ihm ab. Man sah ihm an, daß er sich zu einem Manne von großer Charakterfestigkeit und unbändigem Stolze entwickeln werde. Es war unmöglich, vorherzusagen, welche Wirkung starke Leidenschaften auf diesen Charakter ausüben würden. Vorderhand war er gleichgültig gegen die Vergnügungen und Zerstreuungen der Jugend. Er hatte keine Altersgenossen zu seinem Umgang und suchte auch keine auf.

Der junge Richardson, welcher seit seinem elften Jahre zur Arbeit angehalten und streng und einfach erzogen wurde, kannte nur eine Freude: die Arbeit; einen Tröster: die Arbeit. Das Leben war ihm zur Arbeit verliehen, und wie war es da möglich, eine einzige Stunde unthätig zu sein?

Wenn nun durch eine solche Erziehung auf der einen Seite eine große Arbeitslust bei ihm sich ausgebildet hatte, so war er auf der andern Seite der Gefahr ausgesetzt, einseitig zu werden. Dort, wo er auferzogen worden war, hatte man ihn gelehrt: »Durch Arbeit kannst du dir Reichthum und durch Reichthum Macht, Ehre und Ansehen verschaffen.« Arbeit bedeutete Geld für Folke, und Geld bedeutete Freiheit und Glück.

Eigenliebe, Selbstvertrauen und Unverträglichkeit gegen Jedermann waren Eigenschaften, welche sich frühe schon bei ihm entwickelten.

Folke Richardson hatte eine mangelhafte Erziehung erhalten. Zwar hatte er drei Sprachen erlernt, aber nur deshalb, um sich derselben als Mittel zur Ausübung seines Berufs zu bedienen. Er war im Rechnen und in der Buchführung bewandert, schrieb eine hübsche Handschrift und war sehr geschickt im Maschinenzeichnen, aber damit war auch sein Wissen zu Ende.

Es ist Sonntag. Die Fabrik steht stille. Hundern sitzt in einem seiner Zimmer und raucht am offenen Fenster, während er die Zeitungen studiert. Im Comptoir arbeitet Richardson. In einem kleinen Hellen und hübschen Zimmer rechts vom Saale finden wir Frau Richardson und Folke.

Jane Richardson hat ein hübsches Engelsgesicht, bleich, sanft und ernst. Sie ist etliche dreißig Jahre alt.

Die noch immer schöne Frau sitzt in einem mechanischen Rollstuhl, welcher so eingerichtet ist, daß sie sich selbst mit demselben von einer Stelle des Zimmers nach der andern fortbewegen kann. Jane kann seit einigen Jahren nicht mehr gehen.

Frau Richardson ertrug ihr Loos mit ruhiger Ergebung, denn sie war, wie die meisten Engländerinnen, in hohem Grade religiös.

Jane, welche mit einem Manne verheiratet war, der über den weltlichen Interessen die höheren vergaß, hatte viel erduldet, weil sie sein Herz nicht zu Gott erheben konnte. Je weniger glücklich sie mit diesen Bemühungen war, desto inniger und herzlicher wurde ihre Gottesfurcht.

Sie liebte ihren Mann; sie liebte denselben, wie eine Mutter ihren Sohn.

Sie suchte dem Folke Liebe zu Gott und dem Nächsten, einen demüthigen Sinn und ein lebendiges Vertrauen einzuprägen, aber das Gemüth des Jünglings war verstockt, und es war für ihn nicht so leicht, die Lehren der Versöhnlichkeit zu begreifen.

Jetzt saß er übrigens neben Jane und las aus der Heiligen Schrift vor. Als er nach einer Weile mit Lesen fertig war, blieben Beide stille und in Gebet versunken sitzen.

Jane erhob zuerst das gesenkte Haupt. Sie betrachtete ihren Sohn mit mildem Blick, wie wenn sie in seiner Seele hätte lesen wollen, damit sie erfahre, um was er bete. Als er endlich aufblickte, reichte sie ihm die Hand und sagte: »Komme näher zu mir, Folke. Du siehst nicht so aus, als ob dich das Wort heute befriedigt hätte.«

»Um aufrichtig zu sprechen, muß ich mit Nein antworten.«

»Was war die Ursache davon; liebst du denn deinen Herrn und Gott nicht mehr?« rief Jane aus.

»Gott nicht mehr lieben hieße dich nicht mehr lieben,« antwortete der Jüngling; »und dies ist unmöglich.«

Jane lächelte im Stillen.

»Hast du etwas, was deine Gedanken von der Heiligen Schrift abzieht?«

»Ja;« der Jüngling setzte sich auf einen Schemel zu den Füßen der Mutter.

»Und was mag dies sein?«

»Meine Erinnerung aus den Kinderjahren. Gestern Abend,« fuhr Folke fort und schloß Janes kleine Hand in die seinige, »als ich einen Gang zu den Arbeiterwohnungen machte, begegnete ich einem jungen Mann zu Pferde. Er ritt langsam und betrachtete jedes Haus im Thale hier. Er bemerkte mich erst, als ich ganz nahe bei ihm war, aber ich hatte meine Augen auf ihn gerichtet. Es ist schon lange her, seitdem ich ihn zuletzt sah, und ich erkannte ihn kaum wieder. Mein Blut kam in Wallung. Nun blickte er mich an und sah mir fest in die Augen, während er näher an mich heranrückte. Als wir uns begegnet hatten, hielt er einen Augenblick. In den Blicken, welche wir mit einander wechselten, drückte sich Wiedererkennen aus. Mutter, dies war mein Quälgeist in der Kindheit; es war der Sohn des Mannes, welcher nach des Vaters Worten meine arme Mutter zu Tod erschreckt hatte!«

Folke schwieg und preßte die Stirne an Janes Hand.

»Liebe die, welche dich hassen,« flüsterte Jane.

»Ich habe mir dies gesagt, aber das Bestreben zu vergessen und zu verzeihen ist unvermögend; ich kann diesen Menschen das Böse nicht verzeihen, welches sie uns zugefügt haben. Stärker als die Anhänglichkeit an Christi Lehre sind die von Kind an eingesogenen Gefühle des Widerwillens und der Erbitterung. Ich kann an nichts Anderes denken, als an die Worte meiner Großmutter, wie sie mich bat, John Grattman anzusehen: »Betrachte den Mann genau – er bietet uns Geld an als Ersatz für das Leben deiner Mutter.«

Eine kurze Pause entstand.

Janes Stirne überflog ein leichter Schatten. Es war jetzt acht Jahre, seitdem sie als Stiefmutter sich Folkes angenommen hatte, und nun machte sich Jane Vorwürfe, daß sie ihn nicht zum Rechten angehalten habe.

Jane hatte gewünscht, Folke lehren zu können, ohne Klage zu leiden und Böses mit Gutem zu vergelten; allein er hatte sich diese milde Lebensanschauung nicht zu eigen gemacht.

Was bewies dies? Daß keine solide christliche Grundlage gelegt war, sondern daß die Mutter ihr Gebäude auf lockeren Sand aufgeführt hatte. Dies schmerzte Jane.

Da sie zu schweigen fortfuhr, blickte Folke in die Höhe. Ihre milden Züge waren melancholisch; in den Augen glänzten Thränen.

»Ich habe dich betrübt, Mutter!« rief er aus; »verzeihe mir. Ich hätte nicht sagen sollen, wie wenig ich dem entsprochen habe, was du mit Recht verlangen kannst.«

»Folke,« erwiderte Jane und legte ihre Hände auf des Sohnes Haupt; »in diesem Augenblick bin ich sehr betrübt, hoffe aber, daß Gott in seiner Gnade mich erleuchten wird, damit ich weiß, wie ich mit dir reden muß, um dein Herz vom Bösen abzuwenden. Eines mußt du mir heilig versprechen.«

»Ich verspreche Alles, was meine Mutter von mir verlangt,« antwortete Folke.

Jane preßte ihm einen Kuß auf die Stirne.

Die Thüre zum Speisesaal ging auf, und Ove Richardson trat ein. Er war ein Mann von kräftigem Körperbau mit ergrauendem Haare. Er ging aus seine Frau zu, küßte sie aus die Stirne und sprach einige freundliche Worte mit ihr. Dann wandte er sich an seinen Sohn: »Sage Hundern, daß das Frühstück bereit steht.«

Folke begab sich hinaus. Richardson ging durch das Zimmer. Jane folgte ihm mit den Augen. »Ove!« sagte sie. Er blieb stehen und sah sie fragend an.

»Warum hast du die Fabrik gerade in dieser Gegend errichtet?« fragte sie.

»Einen besseren Platz konnte ich nicht finden; es ist weit mehr Wasserkraft vorhanden, als nothwendig ist; der Boden hier ernährt die Bevölkerung nicht genügend, weshalb dieselbe weit billiger als sonstwo arbeiten kann. Uebrigens ist diese Art von Beschäftigung hier am Platze nichts Neues, denn es sind da schon seit langer Zeit Handwebstühle im Betrieb.«

»Hast du keinen andern Zweck im Auge gehabt?« fragte Jane und sah ihren Mann forschend an.

»Jane,« sagte Richardson in freundlich vorwurfsvollem Tone: »vergiß nicht, daß es Hundern und nicht ich gewesen ist, welcher es durchgesetzt, daß wir die Fabrik hier anlegten.«

»Ove, ich möchte wissen, ob du damals gewußt hast, daß Grattmans Besitzthum in der Nähe liegt.«

»Erst nachdem der Kauf abgeschlossen war, erfuhr ich, daß er mein Nachbar werden würde, und da freute es mich; denn wenn wir zu Vermögen kommen, so geschieht es gleichsam vor seinen Augen.«

»Ich aber bedaure, daß er unser Nachbar ist.«

»Du bedauerst es?«

»Ja, Ove; denn jetzt wird dein Haß wieder aufleben und, damit nicht genug, Folkes Erbitterung. Wenn du mir gesagt hättest, als wir hieherzogen, daß wir in Grattmans Nachbarschaft kommen, so wäre ich dir nicht gefolgt.«

»Nicht? Jane, du täuschest dich.« Er küßte die bleiche Frau und setzte hinzu: »Wir wollen diesen Gegenstand verlassen. Du weißt, daß ich nicht vergessen kann; ich müßte mich selbst verachten, wenn ich dies thun würde; allein ich habe niemals gewünscht, in die Nähe dieser Menschen zu kommen: das kann ich dich versichern.«

Hundern und Folks traten ein. Man rollte Jane in den Salon hinaus, worauf das Frühstück eingenommen wurde.

Nach eingenommenem Frühstück entfernte sich Richardson. Hundern stand bei Jane, Und Folke ging hinaus, um einen Spaziergang zu machen.

Die Sonntage waren die einzigen Tage, an welchen er sich erlaubte, die Zeit mit Spazierengehen zu verschwenden.

»Onkel, ich fühle mich sehr unglücklich,« äußerte Jane, als sie mit Hundern allein war.

»Hm, hm, sollte Richardson sein Betragen gegen dich verändert haben?« Hundern öffnete den Mund und fuhr mit der Hand über den kahlen Scheitel.

»Nein, nein, er hat mich stets gleich lieb, ist immer gleich gut; aber …«

»Er arbeitet Sonntags,« fiel ihr Hundern in die Rede und zeigte zwei Reihen großer, langer, weißer Zähne. »Nun, dies ist schon ein altes Lied, liebe Jane, und dazu ein kindisches. Ich habe ja schon oft gesagt: Ein rechtschaffener Mensch kann durch seinen Fleiß seinem Gott ebenso dienen und ihn verehren, wie du durch dein Gebet. Richardson liebt die Thätigkeit und legt dadurch seine Gottesfurcht an den Tag. Das sollte dich doch nicht beunruhigen.«

»Dies war es nicht, was mich soeben betrübte. Ich habe, nachdem ich Richardsons Frau wurde, zu Gott gebetet, es möge ihm vergeben werden, daß er ein solcher Sklave des Mammons ist und …«

»Du hoffst jetzt, daß der Herr deine Bitten erhört. Kind, du hast einen schwachen Begriff von der Größe und Güte des Schöpfers, wenn du glaubst, du müssest zu Ihm beten, daß er es deinem Manne vergebe, wenn dieser für Weib und Kind arbeitet. Thue, was recht ist, fliehe das Böse, nütze, so viel du kannst, diene deinen Nebenmenschen, vergebe deinen Feinden, und Er da droben wird dir deine Unvollkommenheit vergeben: dies ist meine Ueberzeugung.«

»Vergib deinen Feinden!« rief Jane aus. »Das ists eben, was mein armer Richardson nicht versteht.«

»Sei ruhig, er wird es schon noch verstehen.«

»Niemals; aber nicht genug damit, daß er selbst haßt: er hat diese Gefühle auch dem Folke eingepflanzt. Mein ganzes Bestreben, den Jungen zu einem guten Christen zu machen, ist deshalb vergeblich gewesen. Es bedurfte bei ihm bloß der Begegnung mit dem Feinde aus seiner Jugendzeit, um das Gefühl der Unversöhnlichkeit wieder erwachen zu lassen. Sage mir nun, lieber, theurer Onkel: habe ich da nicht Ursache, betrübt zu sein?«

Hunderns Lippen öffneten sich wieder auf eine bedenkliche Weise; er zog die Augenbrauen in die Höhe und fuhr abermals langsam und bedächtig mit der Hand über die Glatze.

»Haß und Feindseligkeit sind unvereinbar mit wahrer Bildung. Weißt du, Jane, ich warnte dich auch, als du Zuneigung zu Richardson faßtest und bald darauf die Frau eines Werkmeisters werden wolltest. Ich sagte dir: »Er ist ein guter Kerl, besitzt aber gar keine Bildung. Du warst eigensinnig, du warst mein Augapfel, und so hast du deinen Willen durchgesetzt; ich hatte dir noch nie etwas abgeschlagen und konnte dies jetzt auch nicht thun. Ich habe dir eine gute Erziehung geben lassen, und obgleich Richardson ein Mensch mit offenem Kopfe war, welcher mir gut gefiel, so sah ich wohl, daß er kein Mann für meine Jane sei. Wie jede ungebildete Person ist er der Sklave seiner Leidenschaften; denn siehst du, mein Kind, die Bildung ist das Gegengewicht gegen dieselben. Folke hat, den Ansichten seines Vaters entsprechend, auch keine Bildung erhalten, und es fällt ihm deshalb schwer, deine Lehren zu verstehen. Er ist so erzogen, daß der Zweck seines Lebens darin besteht, Vermögen zu erwerben. Er ist eben wie sein Vater weiter nichts als ein Arbeiter.«

»Onkel!« unterbrach Jane.

»Keine Kindereien,« fuhr Hundern fort; »du mußt doch, ohne zu erschrecken, eine Wahrheit hören können, du, die du stets gewöhnt warst, dieselbe aus meinem Munde zu hören, seitdem ich nach dem Tode deiner Eltern Vater- und Mutterstelle an dir vertreten habe.«

»Gibt es denn da gar kein Mittel für mich, dem Fehlerhaften in Folkes Erziehung entgegenzuarbeiten?« flüsterte Jane. »Du, Onkel, wirst solche Mittel ausfindig machen können, welche zu einem guten Ergebnisse führen.«

»Hm, hm,« sagte Hundern und sah mürrisch aus. »Ich glaube, es ist am besten, diese mißklingenden Saiten nicht anzuschlagen. Richardson verbirgt seinen Haß, weil er nicht einsehen kann, daß dies ein elendes Gefühl ist. Unkenntniß der Art der Leidenschaften ist die beste Nährmutter derselben. Sind wir einmal so weit gekommen, dies einzusehen, dann geht uns ein Licht auf; aber dazu ist dein Mann zu alt. Er hat bereits seinen ausgeprägten Charakter, Folke dagegen ist jung, und sein Verstand kann kultivirt werden; vielleicht machen die religiösen und moralischen Begriffe Eindruck auf ihn; aber da mußt du es ihm klar machen, daß er besserer Kenntnisse bedarf, als Rechnen, Schreiben und in einer Fabrik zu arbeiten. Es ist recht und gut, daß du ihn beten und Gott lieben lehrtest, um aber das Christentum richtig aufzufassen, ist es notwendig, dessen Lehren zu verstehen, und dies kann man nicht, wenn man so unwissend wie Folke ist. Blinder Glaube, welcher sich nicht auf die Vernunft stützt, ist ein Tappen im Finstern, welches niemals zu einer höheren moralischen Entwicklung führt. Siehe deshalb zu, daß du es bei Ove durchsetzest, damit der Bursche nach und nach einige Kenntnisse sich erwirbt. Du weißt, es ist nicht das erstemal, daß ich dir dies sage. Jetzt hast du meine Meinung gehört; mache nun Gebrauch von dem, was du für gut hältst. Zeige dem Folke die Nothwendigkeit, sich ein wenig Bildung anzueignen, und er wird alsdann selbst aus die nothwendigen Mittel hiezu verfallen, selbst wenn sein Vater nicht gut dazu sehen würde.«

Hundern entfernte sich, nachdem er Jane mit väterlicher Zärtlichkeit auf die Wange geklopft hatte.

Die Wahrheit dessen, was er gesagt hatte, stand klar und deutlich vor ihren Augen. Sie war von Jugend auf gewöhnt, auf Hundern wie auf eine überlegene Persönlichkeit zu blicken und glaubte deshalb an jedes Wort, welches über seine Lippen kam.

Folke war bereits einundzwanzig Jahre alt; es war sehr spät, jetzt, nachdem sein ganzes Interesse auf den Weiterbetrieb der Fabrik gerichtet war, seinen Sinn auf etwas außerhalb derselben Liegendes zu richten.

Jane besaß keine eigentlichen Kenntnisse, wenn auch ihre Erziehung, Dank dem Onkel, keine, vernachlässigte genannt werden konnte; aber die Natur hatte sie mit einer feinen Auffassungsgabe ausgerüstet, welche bei einer Frau oft den Mangel an wahrer Bildung ersetzt. Bei aller ihrer Nachgiebigkeit besaß sie dennoch Charakterstärke, und da sie sich vorgesetzt hatte, daß Folke Kenntnisse erwerben solle trotz aller Abgeneigtheit Oves gegen das Studium aus Büchern, so zweifelte sie nicht einen Augenblick am Erfolg.

Während Jane hierüber nachdenkt, wollen wir uns entfernen, um an der Sonntagsfeier zu Nygarda theil zu nehmen.


Eine elegante Frühstückstafel war in dem großen Speisesaale gedeckt, woselbst zwei Livreebediente mit der Serviette unter dem Arm an der Thüre standen. An den Stimmen, welche aus dem Salon kamen, konnte man bemerken, daß sich die Familie innen befand.

»Ich muß gestehen, Mama,« rief Arthur aus, als seine Mutter endlich sichtbar wurde, »daß, wenn wir noch eine halbe Stunde hätten warten müssen, ich mich ohne Zweifel der Unart schuldig gemacht haben würde, mit dem Frühstück den Anfang zu machen.«

»Und ich auch.« versicherte die kleine Agnes.

»Dies wundert mich, mein bester Arthur, daß du, der du doch in Paris warst, dich so gegen deine Mutter vergessen kannst,« bemerkte Florence und ging schnell in den Saal hinaus.

»Ach, ein hungriger Magen ist strenger in seinen Anforderungen, als selbst die gute Lebensart.« Mit diesen Worten ging Arthur an den Tisch vor, um ein Butterbrod zu nehmen, und die kleine Agnes zögerte nicht, diesem Beispiel zu folgen. Zwar erröthete Florence, als der Sohn so wenig Notiz von ihr zu nehmen schien; aber es war ihr Sohn.

Was Agnes anbelangt, so war der Eigenwille des Kindes der Aufmerksamkeit der schwachen Mutter ganz entgangen. Agnes sei ein Engel mit allerlei entzückenden Eigenschaften, dachte die Frau Mama, und eine andere Meinung konnte es nicht geben. Zwar hatte die Lehrerin der Agnes es sich angelegen sein lassen, die guten Anlagen des Mädchens zu entwickeln und die Fehler desselben zu verbessern; allein die Lehrerin hätte ganz gewiß ihre Stelle verloren, wenn sie der Mutter auch nur eine Andeutung darüber gemacht hätte, daß das Mädchen Fehler besitze.

Gegen das Ende der Mahlzeit wandte sich Arthur an seinen Vater mit der Frage: »Lebt die alte Magdalene noch?«

Florence stellte die Tasse weg, stützte sich auf die Rücklehne des Stuhls und lispelte: »Arthur, ich bin den ganzen Tag außer mir, wenn du dieses Volk nennst.«

»Ich richtete aber doch die Frage an Papa,« wandte Arthur ein.

»Magdalene lebt noch,« antwortete der Großhändler.

»Das ist erfreulich,« erklärte Arthur und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: »Kennt Papa den Herrn Hundern?«

»Nein, ich hörte gestern erst den Namen Hunderns als einen der Fabrikanten nennen,« entgegnete der Großhändler.

Arthur lächelte und sagte: »Als ich von Fjellboda wegritt, nahm ich den Weg nach Qvarndammen vorbei. Die Fabrik ist in der That nicht unbedeutend.«

»Das Alles ist von keinerlei Interesse für uns,« bemerkte Florence; »die Fabrik ist mir, abgesehen davon, daß sie die Aussicht vom Balkon beeinträchtigt, gleichgültig, und ich möchte deshalb nicht daran erinnert werden.«

»Wenn wir jedoch bedenken, daß ein Theil der Armenbevölkerung des Orts Beschäftigung daselbst findet, so wird es ganz gewiß für Papa nicht ebenso gleichgültig sein, wie für die Mama, besonders da einer der Fabrikanten ein alter Bekannter ist.«

»Du machst mich neugierig; ist es vielleicht einer meiner Geschäftsfreunde?«

»Ein Geschäft wenigstens hat Papa mit ihm gehabt,« antwortete Arthur; »aber ich glaube nicht, daß dasselbe Zu freundschaftlichen Beziehungen Veranlassung gegeben hat. Der Name des Mannes ist Ove Richardson.«

»Deinen Arm, Klas Henrik,« sagte Frau Grattman mit einem gewissen Nachdruck und verließ das Zimmer.

Arthur stand auch vom Tisch auf, und Agnes hängte sich fest an seinen Arm, wobei sie ausrief: »Ove Richardson, was ist dies für ein Mensch?«

»Das kann dir gleichgültig sein,« antwortete Arthur und warf im Vorübergehen einen Blick auf den längsten der beiden Bedienten. »Ja, so, du bist da,« sagte er und blieb vor dem Mann stehen.

Arthur zog die Augenbrauen zusammen, als der Bediente mit dem Ausdruck heimlichen Einverständnisses sich verbeugte. Ohne eine weitere Bemerkung ging Arthur in den Salon, woselbst der Großhändler sich allein befand.

»Deine Mutter wünscht, du sollest zu ihr hinaufkommen,« bemerkte der Vater.

»Ich werde hinausgehen, aber vorher raucht vielleicht der Vater eine Cigarre in meiner Gesellschaft.« Arthur reichte seinem Vater das Cigarrenetui.

Der Papa hatte zwar keine Lust dazu, denn Papa war ganz ärgerlich, aber er wollte dem Sohne nicht widersprechen, und so gingen Beide mit einander in den Park hinunter.

»Wie kommt es, daß Fritz immer noch beim Papa in Diensten ist? Die Geschichte mit dem Tischler ist noch so frisch in meinem Gedächtniß, daß ich nicht jeden Tag einen Zeugen derselben vor meinen Augen haben möchte. Lasse ihn deshalb heute schon nach Stockholm abreisen. Es ist genug damit, Richardson zum nächsten Nachbar zu haben.«

»Was das Unbehagen betrifft, so verweilen wir hier nur kurze Zeit,« bemerkte der Großhändler. »Deine Mutter kann es nicht ertragen, den Menschen so in unserer Nähe zu wissen, und ich gestehe, daß …«

»Papa ihn fürchtet,« unterbrach Arthur. »Wenn wir Nygarda deshalb verlassen, weil er sich in unserer Nähe niedergelassen hat, so bereiten wir ihm einen Triumph.«

»Ach ja, du kannst Recht haben, und ich bin noch nicht bestimmt zur Abreise entschlossen.«


Florence hatte beinahe eine Stunde gewartet, als Arthur eintrat, ohne daß sie ihr Mißvergnügen darüber auch nun durch ein einziges Wort an den Tag gelegt hätte. Sie wollte ihren Sohn beeinflussen, und da ging es nicht an, ihn zu ärgern. Die noch immer schöne Frau lächelte denn auch ihren Sohn liebreich an, als sie die Hand ausstreckte und ihn auf den schwellenden Divan zu sich herabzog.

Arthur hatte erwartet, seine Mutter weinend und umgeben von Arzneiflaschen, Kammerjungfern und allem jenem Zubehör, welchen er nicht leiden konnte, anzutreffen. Er war deshalb sehr angenehm überrascht, als er ihr Lächeln bemerkte.

Zum erstenmal fand er, daß seine Mutter trotz ihrer Jahre eine hübsche Frau sei, und daß sie reizend sein könne, wenn sie wolle. Florence ihrerseits fand, daß ihre Worte von weit größerer Wirkung auf den Sohn seien, wenn dieselben nicht von Weinen und Nervenkrämpfen begleitet wären.

»Mein bester Arthur,« sagte sie, »ich habe über einen unerquicklichen Gegenstand mit dir zu verhandeln, aber ich zähle darauf, daß du dessen ungeachtet mir deine Aufmerksamkeit zu Theil werden lässest.«

»Ich liebe unangenehme Gegenstände allerdings nicht,« meinte Arthur lächelnd, »allein ich muß natürlich den Wünschen der Mama mich fügen.«

Das war bedeutend artiger gesprochen, als es Arthur sonst zu thun pflegte.

»Du ahnst, daß es sich um Qvarndammen handelt.«

»Ich vermuthe etwas Derartiges.«

»Die Jahre haben wohl den Schimpf, welchen Richardson uns zugefügt hat, nicht aus dem Gedächtnisse entschwinden lassen, oder hast du den Skandal vergessen, welchen er durch das Gerücht bezüglich des Todes seiner Frau hervorgerufen hat?« Florence sprach mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit.

Arthur wechselte die Farbe. »Mein Gedächtniß ist sehr gut,« sagte er.

»Es gibt Beleidigungen, welche man nicht verzeihen kann,« fuhr Florence fort, »und das, worauf ich anspiele, gilt der ganzen Grattmanschen Familie.«

»Ich glaube wirklich, daß meine Mutter in dieser Beziehung Recht hat.«

»Ich danke für diese Worte; ich erkenne meinen Sohn wieder. Sage mir nun, wie du gegen Denjenigen aufzutreten gedenkst, welcher sich in solch vermessener Weise in unserer Nähe niedergelassen hat?«

»Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht,« gab Arthur zur Antwort.

»In diesem Falle will ich dir meine Meinung sagen. Noch ehe ich gewußt habe, wem die Fabrik gehöre, machte ich deinem Vater den Vorschlag, Qvarndammen zu kaufen und einen hübschen Sommersitz für eines seiner Kinder daraus zu machen, aber nunmehr sehe ich ein, daß dies nicht angeht. Vielleicht ist es am besten, Nygarda zu verkaufen, oder was ist deine Meinung?«

»Der Vorschlag läßt sich wohl hören, allein die Sache hat vielleicht auch ihre praktische Seite. Ich bin deshalb genöthigt, die Mama zu bitten, es mir zu überlassen, bei irgend einer passenden Gelegenheit unsere Schuld an den Tischler abzutragen. Die Art und Weise, wie ich dieses Geschäft erledige, muß bis auf Weiteres mir anheimgestellt bleiben. Inzwischen bleiben wir zu Nygarda, verkaufen das Besitzthum nicht, sondern verweilen ruhig daselbst. Stelle diese ganze Ehrensache mir anheim, und ich hoffe, daß die Mama zufrieden gestellt werden wird.«

»Unter der Bedingung, daß du nicht eher ruhen wirst, als bis du den Menschen bestraft hast. Du ahnst nicht, wie sehr du Ursache hast, diese Leute zu verabscheuen.«

Arthur gab seiner Mutter die Hand.

»Ich verspreche dir, unsere Rechnung mit Richardsons wo möglich ins Reine zu bringen, und dies wird dir genügen, Mutter.«


Nachmittags ritt der junge Arthur einen schmalen und schlechten Pfad entlang, welcher sich längs der Windungen des Flusses hinzog. Am Ende des Thales angekommen, befand sich Arthur am Fuße eines hohen, bewaldeten Berges, dem höchsten von allen Bergen, welche das Thal einschlossen. Auf dem Gipfel desselben erblickte man eine hübsche Hütte im Schweizerstyl, welche Bauart in Schweden zu jener Zeit noch nicht häufig angetroffen wurde.

Hier hielt der junge Mann sein Pferd an. Er maß mit den Augen die beinahe senkrechte Klippe, wie wenn er sich hätte von der Unmöglichkeit überzeugen wollen, von dieser Seite aus zu der Hütte zu gelangen.

»Was, mein Vetter, du scheinst den Weg nach Fjellboda verfehlt zu haben!« rief eine Stimme in Arthurs unmittelbarer Nähe aus. Von der Anrede überrascht, zog er die Zügel so heftig an, daß das Pferd sich bäumte. Eine kleine behandschuhte Hand ergriff die Zügel, und die Besitzerin des Händchens sagte zu dem erschreckten Thiere: »Ruhig, Achilles, du brauchst vor mir keine Furcht zu haben; es ist schon genug, daß ich deinem Herrn einen solchen Schrecken eingejagt habe.« Die kleine Hand ließ die Zügel los und klopfte Achilles auf den Hals.

Arthur war inzwischen vom Pferde gesprungen und stand nun bei Margarethe Grattman.

Dieselbe war ein hochgewachsenes Mädchen von achtzehn Jahren: »schlank, blondlockig, blauäugig und schön.«

»Gehst du ganz allein spazieren?« fragte Arthur.

»Ja gewiß. Ich werde in meinem Alter wohl allein ausgehen können,« gab Margarethe lächelnd zur Antwort.

»Schon gut; allein es ist doch sonderbar, junge Damen allein auf der Landstraße zu treffen.«

»Es ist möglich, aber dessen ungeachtet kannst du mich nicht bloß allein spazieren gehen, sondern auch ohne Begleitung reiten und fahren sehen. Bedenke, daß du ein französisches Mädchen, kein schwedisches, vor dir hast. Du mußt mich deshalb nehmen, wie ich bin, wenn auch mein Benehmen etwas Ungezwungenes an sich hat.«

»Und wer sollte dich nicht gerne so nehmen, wie du bist?« fiel ihr Arthur verbindlich ins Wort.

Margarethe zuckle die Achseln. »Keine Komplimente,« sagte sie. »Ich liebe keine Schmeicheleien, da ich dieselben entbehren kann.«

Arthur verbeugte sich.

»Wohin wolltest du?« fuhr Margarethe fort; »wohl nicht nach Fjellboda?«

»Heute wollte ich es nicht wagen.«

»Das hättest du gut wagen können. Du bist stets willkommen. Wenn dich aber dein Weg nicht an mein Haus geführt hat, was war dann dein Ziel?«

»Mein Spaziergang hatte keinen bestimmten Zweck.«

»Ist es möglich! Du sahst so tiefsinnig aus, daß ich glaubte, du gehest auf Freiersfüßen.«

Arthur lächelte. »Wenn dies der Fall gewesen wäre, so hätte ich gewiß den Weg nach Fjellboda eingeschlagen.«

Einige rasche Fußtritte veranlaßten Arthur und Margarethe, sich nach dem Herannahenden umzusehen. Es war dies ein Jüngling von hohem Wuchse, welcher den schmalen und gefährlichen Bergpfad herabkam. Der Jüngling ging rasch an den beiden Verwandten vorüber, ohne Margarethe eines Blickes zu würdigen. Seine Augen waren auf Arthur gerichtet, welcher ihn unverwandt anblickte.

»Kennst du den jungen Mann?« fragte Margarethe und blickte dem Jüngling nach.

»Nein.«

»Obwohl ich schon seit sechs Wochen hier bin,« fuhr Margarethe fort, »so habe ich ihn dennoch erst heute und zwar zweimal gesehen. Ich bin wirklich neugierig zu wissen, wer er ist.« Margarethe warf einen prüfenden Blick aus Arthur.

»Was kann der Bursche wohl für ein Interesse für dich haben?« forschte Arthur.

»Du, der du ihn betrachtet hast, solltest dies begreifen. Er hat ein Gesicht, welches man nicht gleich vergessen kann, wenn man dasselbe gesehen hat. Ich glaube nicht, daß es schön ist; vielleicht ist es häßlich, allein soviel ist gewiß, daß sich diese Züge dem Gedächtniß einprägen.«

»Du bist sehr beredt,« bemerkte Arthur. »Um aufrichtig zu sein, muß ich gestehen, daß ich weiß, wer er ist, und gerade deshalb klingen deine Worte nicht angenehm in meinen Ohren.«

»Wer ist er denn?«

»Ein Nachkomme des Kutschers meines Vaters.«

»Dann stellt es sich am Ende noch heraus, daß er selbst ein Bedienter ist!« rief Margarethe aus. »In diesem Falle hätte ich Lust, ihn dem Papa zu empfehlen.«

»Sein Vater ist Mitbesitzer von Qvarndammen.«

»Der Kutscher?«

»Nein, sein Sohn. Letzterer war ursprünglich Tischler, später Fabrikwerkmeister irgendwo im Ausland und nach seiner Rückkehr Gesellschafter eines Engländers, welchem die Fabrik gehört.«

»Ach, jetzt erinnere ich mich; Papa hat davon gesprochen. Margarethe knüpfte ihr Hutband fester und fuhr nach einer kurzen Pause fort: »Gehe mit mir nach Fjellboda –« hiebei hatte sie ihre Augen auf das Pferd gerichtet – »allein du gehst nicht dorthin, wenigstens kannst du mich nicht begleiten, da du deinen Achilles bei dir hast. Ich will nicht, daß du ihn im Stiche lässest, sondern ich erwarte dich etwas später heute. Abend.«

Margarethe nickte mit dem Kopfe; Arthur nahm den Hut ab und versicherte, es sei ihm mehr als lieb, ihrer Einladung Folge leisten zu dürfen.

Er schwang sich in den Sattel, während Margarethe denselben steilen Bergpfad hinauszusteigen begann, welchen Folke heruntergekommen war.

Die Stirne des jungen Mädchens wurde von einer leichten Wolke überschattet, und das Gesicht desselben nahm einen gedankenvollen und ernsten Ausdruck an. Margarethens Wanderung war auch mehr ein Klettern, als ein Spaziergang. Sie schien jedoch keine Unbequemlichkeit dabei zu empfinden; vielmehr verfolgte sie ihren aufsteigenden Pfad mit beinahe ebenderselben Leichtigkeit, als wie wenn sie auf dem Markte Karls des Dreizehnten spazieren gegangen wäre.

Auf dem Gipfel des Berges angekommen, befand sie sich auf einem ebenen, mit Föhren und Birken bewachsenen Platze, welche das Schweizerhäuschen umgaben.

Die Kunst hatte nichts gethan, um die natürlichen Anlagen um das Gartenhaus herum zu verderben. Der Erdboden war mit Moos, Haidekraut und Heidelbeergesträuch bedeckt; da und dort fanden sich auch Wachholderbüsche vor. Tannen, Fichten und Birken warfen ihre unregelmäßigen Schatten auf und um die Hütte, von welcher aus man die schönste Aussicht über Thäler und Höhen hatte.

Margarethe blieb einen Augenblick stehen und warf einen Blick auf die Umgebung. Sie holte tief Athem und flüsterte: »Wie schön ist es hier; wie glücklich bin ich.« Sie lächelte ohne Stolz fröhlich und vergnügt.

»Aber,« setzte sie hinzu, »jetzt ist es nicht an der Zeit, mein Glück zu genießen; die arme Signe ist gewiß beunruhigt darüber, daß ich ihr so lange aus den Augen war. Sie hat mich gewiß in ihrer Einbildung allen möglichen Gefahren ausgesetzt gesehen.«

Mit diesen Worten ließ sie das Häuschen hinter sich und schlug einen zertretenen Pfad ein, welcher von da aus nach dem Wohngebäude von Fjellboda führte; dasselbe lag an einem sonnigen Platze mitten im Garten. Es war ein Wohnhaus für eine einzelne Familie und hatte eine große Veranda, die mit Topfpflanzen angefüllt und von Schlingpflanzen umrankt war: ein wahres Feenschlößchen mitten im Walde.

Auf der Veranda stand eine ältere Dame von kleinem Wuchs mit hellen Haaren, bleicher Gesichtsfarbe und aufrechter Haltung. Es sprach sich in ihrer Haltung eine außerordentliche Ruhe aus, welche trotzdem im Gegensatz zu dem Gesichtsausdruck stand, der eine innerliche Unruhe wiederspiegelte.

»Mein Gott, Margarethe, wie du mich in Angst versetzest!« rief Signe Ekkeberg, die Lehrerin der jungen Erbin, eine Person von klarem Verstand und vieler Bildung, aus.

Signe war die Tochter eines verstorbenen Professors in Lund. Sie hatte so wenig geerbt, daß sie sich nach ihres Vaters Tod eine Stelle als Lehrerin suchen mußte und auf diese Weise zu dem Großhändler John Grattman kam, welcher kurz zuvor seine Frau verloren hatte. Margarethe war ihre einzige Schülerin und Signe Margarethens einzige Lehrerin. Als das Mädchen nahezu siebenzehn Jahre alt war und ihr erstes Abendmahl feierte, sprach der Großhändler den Wunsch aus, Fräulein Ekkeberg möchte bei seiner Tochter bis zu deren Verehelichung bleiben. Signe nahm diesen Vorschlag gerne an. Zwischen ihr und der reichen Erbin war ein wirkliches Freundschaftsband angeknüpft worden, so daß Beide einander unentbehrlich geworden waren. Nach dieser Andeutung kommen wir wieder auf das zurück, was sich zwischen dem Zögling und der Erzieherin zutrug.

Als Antwort auf die Worte, womit Margarethe von Signe bewillkommt worden war, rief das junge Mädchen aus: »Weshalb bist du denn eigentlich beunruhigt gewesen, liebe Signe? Glaubst du denn, daß ich etwas thun würde, was du nicht billigst?«

»Gewiß nicht, allein ich fürchte immer, daß dir etwas geschehen könnte. Ich kann mich nicht dareinfinden, daß du in deinem Thun und Treiben so oft von dem herkömmlichen Brauch abweichst. Ich befürchte, daß man sich über deine emancipirten Sitten auslassen wird.«

»Ueber John Grattmans Tochter macht man keine Bemerkungen,« antwortete das junge Mädchen lächelnd.

»Margarethe, wie kannst du so sprechen? Glaubst du denn, daß der geachtete Name und das große Vermögen deines Vaters dich schützen würden, im Falle du eine …«

»Eine Unvorsichtigkeit begehst, willst du sagen,« fiel Margarethe ein. »Ich begehe unzählige Unvorsichtigkeiten, aber niemals solche, welche auf meines Vaters Tochter einen Schatten werfen könnten. Er hat mir unumschränkte Freiheit gelassen und dadurch jedem Mißbrauch die allergrößten Schranken gezogen. Sieht Signe dies nicht ein?«

»Wenn du vor mir stehst und ich dir in die Augen blicke, so weiß ich, daß dem so ist, aber wenn du abwesend bist, weiß ich es nicht.«

»Darin hast du Unrecht; aber lasse uns von etwas Anderem sprechen. Du kennst ja eine gewisse Magdalene, welche bei dem Großvater gedient hat. Ich möchte gerne von derselben hören. Wenn wir uns in Stockholm aufhalten, so pflegst du sie ja zu besuchen.«

Wir verlassen nun Margarethe und lassen Signe in ungestörter Ruhe erzählen, was sie von Magdalene weiß.


Folke hatte, nachdem er an Arthur und Margarethen vorbeigegangen war, seine Wanderung nach dem Thal hinunter fortgesetzt. Er schlug den Weg dem Flusse entlang gegen den Park von Nygarda ein. Hier blieb er stehen, betrachtete die brausende Wassermasse und sprach bei sich selbst: »Dies ist also der Wasserfall von Nygarda, welcher unsere Wasserräder treibt. Könnte der Eigenthümer dieses Parkes den Lauf des Wassers hemmen, so würde er es thun; aber er kann dies nicht. Machtlos in seinem Haß, muß er von seinen Fenstern aus sehen, wie wir es durch unsere Arbeit zu demselben Vermögen bringen, wie er. Was ist alsdann der Unterschied zwischen Arthur Grattman und dem so oft und so schwer mißhandelten Sohn des Tischlers?«

»Er ist so groß, so groß – ich muß ihn fangen!« rief eine Kinderstimme, und eine kleine Gestalt in flatternder weißer Kleidung eilte an Folke vorbei gerade auf den Rand des Wasserfalls zu. Sie war in voller Jagd auf einen Schmetterling begriffen. Ein durchdringender Schrei ertönte hinter Folke; er erfaßte die leichte Kleidung und riß das Kind an sich, sonst wäre dasselbe in das Wasser, von dessen Wellen das Hütchen bereits fortgenommen wurde, gefallen.

Athemlos vor Schrecken stürzte nunmehr eine noch junge Frauensperson auf das Kind zu.

»Agnes, Agnes!« rief die junge Dame aus; »wie kann man so springen; bedenke, wenn Agnes ins Wasser gestürzt wäre, was hätten da Papa und Mama gesagt? Agnes hätte uns Beide unglücklich gemacht!«

Agnes war über die Gefahr, worin sie geschwebt hatte, wenig betroffen und starrte schweigend ihren Retter an. Was die Erzieherin sagte, glitt an den Ohren des Kindes vorbei, welches nur die Schlußworte auffaßte. Agnes holte Athem und sagte dann: »wir sagen der Mama nicht, was geschehen ist. Der Wind hat mir meinen Hut genommen, und das ist nichts zum Weinen.«

Mit diesen Worten wollte Agnes sich entfernen, ohne ein Wort zu Folke zu sagen. Die Erzieherin hielt sie jedoch zurück und sprach: »Nun, Agnes, danke dem Herrn hier, welcher dich gerettet hat.« Das Mädchen blieb einen Augenblick stehen, wie wenn sie überlege, ob sie sich wirklich zu bedanken habe und kam dann zur Ueberzeugung, daß dem so sei, denn sie sah plötzlich auf zu Folke und sagte: »Danke! Wie heißen Sie?«

»Es ist nichts zu danken,« antwortete Folke kurz; »mein Name ist Folke Richardson.«

Nach diesen Worten entfernte sich Folke eilig, ohne den Hut abzunehmen.

Agnes blickte ihm nach, zuckte sodann vornehm mit den Achseln und sagte in einem Tone, welcher sehr an Florence erinnerte:

»Was für ein unhöflicher Mensch! Er nahm nicht einmal den Hut vor uns ab.«

Sobald Agnes ihren Bruder traf, theilte sie ihm mit, was geschehen war.

Den Eindruck, welchen die Erzählung der Schwester auf Arthur machte, kennen wir nicht. Wir wissen nur, daß er einige Zeit später ein Sägewerk in größerem Maßstab anzulegen begann, als dasjenige war, welches bereits zu Nygarda bestand.

Arthur war während der Bauzeit sehr thätig und schien mit Leib und Seele bestrebt zu sein, durch das großartige Sägewerk in jener Waldgegend den Werth Nygardas zu erhöhen.


Einige Tage später treffen wir Margarethe in der kleinen Gebirgshütte an, wie sie ganz eifrig in einem vor ihr liegenden Buche liest.

Fenster und Thüren waren geöffnet; die milde Sommerluft umfächelte die Lesende, als Jemand sehr rasch hereintrat, ohne daß Margarethe durch das Geräusch der eintretenden Person gestört worden wäre.

»Sitzest du wieder über das Buch gebeugt!« rief der Eintretende. »Du reibst dich noch auf durch das ewige Lesen. Was nimmt denn deine Aufmerksamkeit so in Anspruch, daß du es verabsäumst, den schönen Morgen zu genießen?«

Margarethe wandte sich an die Person, von welcher sie angeredet wurde.

»Schiltst du schon wieder?« rief sie aus. »Du bist eine unverbesserliche Zänkerin. Denke doch daran, wer mir die Liebe zum Lesen eingeflößt hat, meine beste Signe, und du wirst alsdann stille sein.«

»Liebe ist nur Leidenschaft; du warst früher etwas leidenschaftlich in deinen Studien, was ich ganz und gar nicht billigen kann. Jede Uebertreibung schadet und führt zu nichts Gutem.«

Signe nahm das Buch, schlug das Titelblatt auf und las: »Allgemeine Weltgeschichte von Schlosser.«

»Was in aller Welt, studierst du dieses Werk noch einmal durch? Du hast es ja schon dreimal durchgelesen.«

»Ein solches Werk muß man genau durchlesen, und ich habe früher die gehörige Verstandesreife noch nicht gehabt, um dasselbe mit Nutzen zu lesen,« antwortete Margarethe mit großer Ruhe. »Und jetzt, Signe, darfst du nicht mehr böse sein. Wenn ich mich meiner Wißbegierde hingebe, so muß es dich freuen, denn dadurch kann ich schließlich wahre Bildung erlangen, und den Grundsätzen gemäß, die du mir eingeprägt hast, besteht ja doch hierin allein der wirkliche Werth des Menschen.«

Margarethe reichte ihrer ehemaligen Lehrerin die Hand. Signe ergriff dieselbe und sagte halb lächelnd: »Schreibe mir kein Verdienst bezüglich des Wissensdrangs zu, womit die Natur dich begabt hat, denn ich habe dir nur den Weg angedeutet, den du einzuschlagen hattest. Gleichwohl beunruhigt mich deine rastlose Geistesthätigkeit und ich fürchte, daß dieselbe störend auf deine Gesundheit einwirken und dich …«

»Kränklich machen könnte,« setzte Margarethe lachend hinzu. Sie richtete sich in ihrer vollen Größe auf und stand als ein Bild von Gesundheit und Jugend vor Signe. »Betrachte mich,« sprach sie, »und sage mir, ob ich aussehe wie ein Wesen, dessen Natur durch anhaltende Studien angegriffen ist? Ich bin ja stark wie eine Löwin.«

»Prahle nicht,« ermahnte Signe.

»Wenn ich Gott dafür danke und es offen anerkenne, daß ich mich einer guten Gesundheit erfreue, so kann ich dies keine Prahlerei nennen. Aber erlaube mir nun eine Bemerkung. Glaubst du, daß du recht daran thust, wenn du in fortwährender Angst lebst? Deine Lippen sind stets zu schelten bereit, und niemals bist du mit mir zufrieden. Weißt du denn auch, wie du mich haben möchtest?«

»Ja, ich weiß es.«

»Lasse mich hören.«

»Ich will, daß du allen deinen Handlungen eine gewisse Mäßigung zu Grunde legst, so daß keine einzelne Neigung vorherrschend bleibt. Nur dadurch können wir eine völlige Uebereinstimmung zwischen unsern Gefühlen, unserem Verstand und der äußern Welt erreichen. Dies heißt nach menschlicher Vollkommenheit streben.«

»Und du glaubst, daß ich derselben nahe kommen kann?« Margarethe lächelte.

»Ich wünsche wenigstens, daß du dein ganzes Leben lang darauf hinarbeitest. Meine Beunruhigung deinetwegen kommt daher, daß ich innerlich mit mir selbst unzufrieden bin und lebhaft fühle, daß ich der Aufgabe nicht gewachsen war, eine reichbegabte Natur zu leiten. Weil du dich mit zu großem Eifer dem hingibst, was dir Vergnügen macht, so erblicke ich hierin eine Anlage zu Uebertreibungen, welche früher oder später zur Einseitigkeit führen und Fehler hervorrufen, die du alsdann nicht mehr ablegen kannst.«

»Deine empfindliche Gewissenhaftigkeit führt dich zu weit,« wandte Margarethe ein. »Du hast Alles gethan, was eine Erzieherin thun kann, um mich zu einer guten und ehrbaren Frau heranzubilden.«

»Das ist zu wenig.«

»Liebste Signe, du willst doch wohl nicht, daß ich von mir selbst sagen soll, du habest mich vollkommen gemacht? Daß du dies gewollt hast, erkenne ich von Herzen an. Bist du nicht zufrieden damit?«

Signes Gesicht heiterte sich auf, und es fiel ihr ein, daß sie Margarethe aufgesucht habe, um ihr eine Neuigkeit zu erzählen.

»Und wie lautet dieselbe? Sollte Papa vielleicht hierherkommen wollen … und seine Geschäfte im Stiche lassen?«

»Wie kannst du so etwas denken? Nein, die Neuigkeit betrifft deine Cousine Agnes.«

»Das kleine häßliche Kind! Ist es krank?«

»Nein, aber es hätte beinahe das Leben eingebüßt. Fräulein Demoire und Agnes waren auf dem Spaziergang, als das Mädchen einen Schmetterling erblickte, den sie fangen wollte. Sie jagte demselben nach, ohne sich vor dem Wasserfall in Acht zu nehmen und wäre ohne Weiteres hineingestürzt, wenn nicht der Fabrikant Richardson sie gefaßt und von dem Abgrund hinweggerissen hätte.«

»Das ist brav von ihm gehandelt, obwohl es weiter nichts als seine Pflicht war. Nun, auf welche Art hat der Onkel seine Dankbarkeit an den Tag gelegt?«

»Klas Henrik Grattman ist nicht dankbar und hat sicherlich die That des Jünglings keiner Anerkennung werth gehalten.«

»Um so schlimmer für den Onkel, allein wir wollen darüber nicht vergessen, daß der junge Richardson unsere Cousine gerettet hat. Das lautet königlich, meine ich.«

Margarethe nahm ihren Hut, nickte Signe zu und ging nach der Thüre mit den Worten: »Jetzt will ich hinaus und mir Bewegung machen.«

»Soll ich dich begleiten?«

»Nein, Signe, jetzt nicht. Du kannst meine Streifereien nicht leiden, und ein stiller Spaziergang steht nicht wohl im Einklang mit meinen augenblicklichen Empfindungen. Wenn ich die Stellung der Grattmanschen Familie zu Richardsons bedenke, so kommt mein Blut stets in Wallung. Ich will ausreiten: dies wird mich beruhigen.«

Margarethe ging. Signe setzte sich an deren Platz, blätterte in der Weltgeschichte und dachte: »Ich sollte sie nicht fortwährend mit meiner Aengstlichkeit und mit meinem Tadel quälen, denn sie könnte mir dadurch schließlich entfremdet werden und die ungehörigen Bemerkungen satt bekommen. Mein Benehmen gegen sie ist nicht das Richtige. Der Vater will, daß sie selbständig sein soll, und ich möchte sie wie ein Kind behandeln. Worüber beunruhige ich mich denn eigentlich? Kann Jemand von seiner Freiheit einen besseren Gebrauch machen als Margarethe? Nimm dich in Acht, Signe; wenn du Margarethe lobst, so lobst du dein eigenes Werk, und Eigenliebe ist eine große Sünde.«

Signe wagte es kaum, Margarethen Recht zu geben, aus Furcht, dadurch das zu billigen, was sie gethan hatte, und deshalb beschäftigte sie sich mehr mit den Fehlern als mit den Tugenden ihres vormaligen Zöglings.


Während Signe damit beschäftigt war, über ihre eigene und Margarethens Unvollkommenheit nachzudenken, ritt Letztere ganz allein von Fjellboda hinunter nach Qvarndammen.

Das Pferd, das sie ritt, war ein schönes und zahmes Thier, welches vollkommen zu verstehen schien, daß es mit seiner Herrin vorsichtig sein müsse.

Margarethe ritt gerne, allein; sie hatte kein Verlangen, das Pferd in wildem Lauf dahinsprengen zu lassen; vielmehr wollte sie, daß das Thier, welchem sie sich anvertraute, gut dressirt und fromm sei.

Madame Bella war auch eine im höchsten Grade fromme Stute. Ruhig und unerschrocken, wie sie war, ließ sie sich weder von Schüssen, noch von Geräusch erschrecken und erlaubte sich nie, Seitensprünge zu machen. Das Pferd ging denn auch sehr vorsichtig die etwas abschüssigen Hügel hinunter. Als Margarethe im Thal unten war, klopfte sie ihre Bella auf den Hals und berührte dieselbe sodann mit der Reitpeitsche, wobei sie sagte: »Nun, Madame, wollen wir den Lauf beschleunigen. Es taugt nicht, den Schneckengang zu gehen, wenn wir nach der neuen Fabrik wollen.«

Bella verstand die Aufforderung und eilte vorwärts mit ihrer schönen Reiterin.

Auf dem Comptoir arbeitete Hundern. Der Hufschlag veranlaßte denselben, von seinen Büchern aufzublicken.

»Eine Frauensperson, eine schöne Frauensperson,« murmelte er; »was mag sie wollen?«

Der Engländer stand von seinem Pulte auf und ging in den Hof hinaus. Margarethe hielt das Pferd an.

Mr. Hundern war ein Gentleman. Er bewies dies auch dadurch, daß er vor der stattlichen Dame eine zwar steife, aber dennoch artige Verbeugung machte. In schlechtem Schwedisch fragte er, womit er dienen könne.

»Ich wünschte mir die Fabrik anzusehen,« antwortete Margarethe. »Da ich eine nahe Nachbarin bin, so wird mir diese Bitte wohl nicht als eine Dreistigkeit ausgelegt werden, besonders wenn ich hinzufüge, daß ich früher noch nie eine Weberei gesehen habe.«

Hundern, welcher trotz seines Phlegmas und seines Alters von etlichen fünfzig Jahren äußerst eingenommen für schöne Gesichter war, erklärte sofort, daß Margarethens Wunsch nichts im Weg stehe und reichte derselben alsdann die Hand, um ihr beim Absteigen zu helfen. Er rief einen Arbeiter herbei, um Bella zu halten, während er einem andern den Auftrag gab, Herrn Folke zu rufen.

»Herr Richardson selbst ist verreist,« sagte Hundern; »Sie werden deshalb gestatten, daß dessen Sohn Ihnen die Fabrik zeigt.«

Margarethe schien es zufrieden zu sein, daß Hundern nicht selbst sich ihr als Begleiter anbot. So lange man auf Folke wartete, spazierten die Beiden im Hof auf und ab und blieben am Eingang des Fabrikgebäudes stehen. Margarethe theilte Hundern mit, daß sie zu Fjellboda wohne, gab jedoch ihren Namen nicht an, obgleich Hundern denselben auf feine Weise zu erfahren wünschte.

Margarethe schien die Anspielung nicht zu verstehen und als Folke endlich aus der Fabrik kam, vertraute Hundern das Mädchen dem jungen Richardson an.

Folkes Augen waren mit einem forschenden Ausdruck auf Margarethe gerichtet. Da er fortfuhr, sie zu betrachten, ohne Miene zu machen, sie in die Fabrik zu führen, so hielt es Margarethe für gerathen, ihn daran zu erinnern.

»Herr Hundern hat versprochen, mir die Fabrik zu zeigen; vielleicht werden Sie die Güte haben, dieses Versprechen zu erfüllen.«

»Wenn er dieses Versprechen gegeben hat, so bleibt mir nichts übrig, als dasselbe an seiner Stelle zu erfüllen,« gab Folke nicht sehr höflich zur Antwort. Nach augenblicklichem Schweigen fuhr er fort: »Aber ehe ich es thue, sollte Fräulein Grattman mir den Grund dieses Besuches angeben.«

»Sie kennen mich?« fragte Margarethe.

Folke nickte bejahend mit dem Kopf.

»In diesem Falle will ich aufrichtig reden,« fuhr Margarethe fort. »Ich wäre sicherlich noch lange nicht dazu gelangt, meine Neugierde zu befriedigen und hierher zu kommen, wenn nicht der Vorfall mit meiner Cousine Agnes sich zugetragen hätte. Meine eigentliche Absicht ist denn auch, dem Retter derselben meinen Dank abzustatten.«

Folkes Blick verfinsterte sich. Steif und unbeweglich stand er da, wie wenn Margarethens Worte etwas Verletzendes gehabt hätten. Er legte die Hand auf den Drücker der Fabrikthüre und schloß auf, wobei er Margarethen einzutreten bedeutete, was dieselbe mit den Worten that: »Wenn meine Cousine erwachsen sein wird, so wird sie sich gewiß noch lebhaft an ihren Retter erinnern, und ich meinestheils erkläre, daß wir Alle Ihnen verbunden sind.«

»Fräulein Grattman, Sie wissen sicherlich nicht, mit wem Sie sprechen, sonst würden Sie gleich Andern Ihrer Familie überzeugt sein, daß es Personen gibt, denen gegenüber man niemals Verbindlichkeiten zu haben in der Lage ist.«

»Sie täuschen sich. Wenn uns ein Feind einen Dienst erweist, so ist unsere Schuld gegen ihn größer als gegen einen Freund. Wenn Sie Jemand aus der Familie Grattman gerettet haben, so ist Ihnen dadurch unsere gesammte Familie zu Dank verbunden – Ihnen, dem Sohne des Ove Richardson.«

Folke zuckte zusammen. In seinen Blicken drückte sich, als sie auf Margarethen verweilten, Verdruß aus.

»Sie werden wohl nicht behaupten, daß die Familie Grattman mir für eine der natürlichsten Handlungen, welche ein Mensch begehen kann, nämlich dafür, ein Kind aus einer Gefahr errettet zu haben, Dank schuldig ist. Als ich das Kind bei den Kleidern ergriff, handelte ich unwillkürlich und wußte kaum, wen ich rettete.«

»Sie hätten das Kind auch gerettet, wenn Sie dies gewußt hätten,« gab Margarethe zur Antwort.

Diese Worte machten einen ziemlich günstigen Eindruck auf den Jüngling, denn sein Gesicht nahm einen weniger widerwilligen Ausdruck an.

Er führte sie in die Weber-, Spul- und Aufzugsäle und war sehr bemüht, die Thätigkeit der verschiedenen Maschinen zu erklären. Worüber Margarethe sich sehr verwunderte, war der Umstand, daß er von Allem, nur nicht von den Arbeitern und der Stellung derselben sprach. Diese armen Geschöpfe, welche fortwährend das durch die Maschinen verursachte Geräusch hören mußten, beständig damit beschäftigt waren, auf die Fäden zu blicken und Acht zu geben, ob keiner abriß, erregten Margarethens Theilnahme. Sie hielt jedoch den Augenblick nicht für geeignet, Fragen hierüber zu stellen, denn Folke schien nicht geneigt zu sein, sich in Diskussionen einzulassen; er beschränkte sich vielmehr darauf, eine Beschreibung dessen, was er für interessant hielt, zu geben und schnitt alle Fragen ab, welche sich irgendwie auf etwas Anderes, als auf Webstühle und Maschinen bezogen.

Als Margarethe mit ihrer Wanderung durch die Fabrik zu Ende war und sich wieder in dem Hof befand, rief Folke dem Manne, welcher das Pferd hielt, zu, er solle es vorführen und nahm alsdann den Hut ab, ohne sich darum zu bekümmern, wie das junge Mädchen in den Sattel komme.

Es wäre einem der Arbeiter die Gunst zu Theil geworden, der jungen Dame beim Aufsteigen zu helfen, wenn Hundern nicht herausgeeilt sein würde und seine Dienste angeboten hätte. Zur Belohnung für seine Aufmerksamkeit sagte ihm Margarethe einige verbindliche Worte und zwar in gutem und fließendem Englisch. Sie sagte ihm ihren Namen und bat ihn, sie in Fjellboda zu besuchen.

»Eine ausgezeichnete Person,« murmelte Hundern und ging stolz in die Weberei hinunter, um Folke aufzusuchen.

Der Jüngling, welcher sich auf eine so unhöfliche Weise von Margarethen verabschiedet hatte, stand am Fenster und blickte ihr nach.

Hunderns Herannahen vermochte ihn, seinen Platz zu verlassen, um einer Begegnung mit dem Engländer auszuweichen, was aber nicht gelang, denn Hundern trat etwas zu rasch herein und rief sofort aus: »Folke, ich will mit dir reden!«

Folke gehorchte der Aufforderung, wandte sich um und ging dem steifen Mann entgegen.

»Wie kann ein junger Mann sich so betragen, wie du es gegen die fremde Dame gethan hast?« ließ Hundern sich aus. »Weißt du denn nicht, was man von einem Gentleman zu verlangen berechtigt ist? Ich schäme mich für dich. Die junge Lady hat einen schlimmen Eindruck von dem Sohne des Fabrikherren und der Bildung, welche Ersterer erhalten hat, bekommen. Sahst du denn nicht, daß du eine schöne Dame vor dir hattest, und hast du denn nicht soviel gesunden Menschenverstand gehabt, ihr aus das Pferd zu helfen?«

»Ihr Name war Grattman,« gab Folke zur Antwort.

»Dummkopf, um so mehr hättest du Grund gehabt, artig zu sein.« Damit kehrte Hundern dem Folke den Rücken und murmelte: »Wenn sie nicht so schön gewesen wäre, hätte ich dir verzeihen können;« als Antwort hierauf erhielt er einen Blick, welcher etwas wie »Tölpel« zu besagen schien.


Folke war einundzwanzig Jahre alt, aber trotzdem hatte er die Frauen mit Ausnahme seiner Stiefmutter stets nur mit gleichgültigen Augen angesehen. Ob Letztere schön oder häßlich sei, darüber machte er sich keine Gedanken. Wie andere Frauen aussahen, ging ihn nichts an. Jetzt, nachdem der Engländer ihm den Vorwurf gemacht hatte, daß er nicht bemerkt habe, wie schön Fräulein Grattman sei, fiel es ihm ein, über ihr Aussehen nachzudenken. So lange er die Fabrik gezeigt hatte, war ihm Margarethens Schönheit ganz und gar nicht aufgefallen, aber durch Hunderns Worte kam ihm jeder ihrer Züge ins Gedächtniß, und er gelangte zu der Ueberzeugung, daß sie schön sei.

Am Abend, als Folke der Mutter vorlas, war es ihm, als ob Margarethe ihre hellblauen Augen auf ihn gerichtet habe, und es kam ihm vor, als ob er darin den Ausdruck des Bedauerns über seinen Mangel an Artigkeit bemerken müsse.

Zum ersten Male empfand er einen inneren Drang nach Bildung, und er wünschte nun auf einmal, die Gelegenheit zu bekommen, das zu erlangen, was er entbehrte.

Noch spät Abends saß Folke am offenen Fenster und überlegte, was Hundern über ungebildetes Betragen gesagt hatte. Seither hatte er ausschließlich von Reichthum geträumt; derselbe war der Gegenstand seines ausschließlichen Strebens gewesen. Einst so reich zu werden, wie ein Grattman, hatte Folkes zukünftiges Glück ausgemacht. Um dasselbe zu erreichen, hätte er auf Alles verzichten können; nun kam aber plötzlich das Wort: »ungebildet« und belehrte ihn, daß diese Menschen, auf deren Stufe er sich stellen wollte, auch noch andere Vorzüge außer ihrem Gelde haben müßten und daß er solcher Vorzüge entbehre. Diese Leute hatten Erziehung und Bildung erhalten und waren civilisirte Menschen, während er ein roher Tölpel war. Folke sah jetzt ein, daß er das noch erlangen müsse, was ihm abgehe.

Er war erst einundzwanzig Jahre alt. Mit Beharrlichkeit, Entsagung, Opfer an Zeit und einigem Geld mußte er sich die nöthigen Kenntnisse erwerben können und selbst in geistiger Beziehung denen gleich werden, welche er beneidete.

»Aber,« rief er ganz laut aus, »mein Vater wird mir keine Zeit dazu lassen; darum fort mit allen Gedanken an die Erreichung des von mir angestrebten Zieles!«

»Von welchem Ziele sprichst du?« fragte eine widerliche Stimme. Hundern stand bei dem Jüngling.

»Das Ziel, aus einem rohen Menschen ein gebildeter zu werden,« gab Folke zur Antwort.

»Der Wille ist halbe Arbeit. Wenn du aufhören willst, in der Finsterniß zu leben, so kannst du dir selbst Licht verschaffen. So habe auch ich es oft gehalten. Jeder, der einsieht, daß er in der Nacht der Unwissenheit lebt, soll sich nicht eher Ruhe gönnen, als bis er daraus erlöst ist.«

»Papa wird nie erlauben, daß …«

»Daß du einige Jahre mit Lernen dich befassest; nein; aber du hast lesen gelernt, du verstehst drei Sprachen, es gibt Bücher, und du hast die Nächte frei. Wenn du mit solchen Hilfsmitteln dich nicht aus dem Sumpf der Unwissenheit herausarbeiten willst, so magst du wohl darin bleiben. Ich kam übrigens, um dir mitzutheilen, daß dein Vater soeben zurückgekommen ist. Gute Nacht!«


Richardson war spät nach Hause gekommen, und obwohl er nichts sagte, so bemerkte Jane doch, daß er unwohl sei.

Er hatte bereits lange Zeit vor seiner Zurückkunft nach Schweden an einem Brustübel gelitten, welches ihn einige Wochen lang bettlägerig machte, und als er genesen war, hatte ihn der Arzt vor Ueberanstrengung gewarnt; Richardson aber achtete auf diese Warnung nicht viel und war nach seiner Krankheit womöglich noch eifriger bei der Arbeit als zuvor. Wenn ihn Jane bat, er solle sich schonen, so lautete die Antwort gewöhnlich: »Wenn ich aus kein langes Leben hoffen kann, so ist es um so nothwendiger, daß ich arbeite, so lange es Zeit ist. Ein Jahr mehr oder weniger will nicht viel heißen, wenn ich nur so gearbeitet habe, daß Folke ohne große Mühe da fortfahren kann, wo ich aufgehört habe.«

So dachte und so handelte er. Die Erstickungsanfälle und das Herzklopfen wurden immer häufiger, und als er an dem erwähnten Abend ankam, hatte ihn ein solcher Anfall genöthigt gehabt, mehrere Stunden im Gasthof zu verweilen. Ein heftiger Brustschmerz und eine niederdrückende Mattigkeit ließen erkennen, daß er die Wahrheit gesagt habe, als er davon sprach, daß er sehr ermüdet sei. Am folgenden Morgen dauerte die Mattigkeit fort und zwar in so hohem Grade, daß er das Bett nicht verlassen konnte.

Folke wurde zum Vater beschieden und erhielt Verhaltungsmaßregeln von demselben.

Die Geschäfte vermehrten sich jetzt so sehr und waren so andauernd, daß kaum einige Ruhestunden für Folke übrig blieben.

Eine ganze Woche lang mußte Richardson im Bett bleiben. Der Arzt machte ihn ernstlich darauf aufmerksam, daß er, wenn er sich nicht der Arbeit und körperlicher, sowie geistiger Anstrengung enthalte, sehr bald einen neuen Anfall bekommen würde, wodurch dann ohne Zweifel sein Tod herbeigeführt werden müßte.

Dieser Warnung ungeachtet verließ Richardson sein Bett, sobald seine Kräfte dies erlaubten, und obgleich er noch nicht in der Fabrik unten sein konnte, so lebte und athmete er doch bloß für dieselbe.

Während der langsamen Wiedergenesung Richardsons wurde mit der Aufführung eines Gebäudes zur Vergrößerung der Fabrik begonnen. Folke war durch seinen rastlosen Vater äußerst in Anspruch genommen. So ging es drei Wochen lang fort, als ein Brief von England eintraf. Derselbe bezog sich auf die Verbindungen der Fabrik in jenem Lande und lautete derart, daß Richardson unverzüglich dorthin reisen sollte. Obgleich er sich in keiner Weise an die Vorschriften des Arztes kehrte, so sah er dennoch selbst die Unmöglichkeit ein, abermals eine weite Reise zu machen, und Folke erhielt den Auftrag, an seines Vaters Stelle die Reise zu unternehmen. Dem Jüngling wurde nur so viel Zeit gelassen, als erforderlich war, um ihm das Nöthige in Beziehung auf seinen Auftrag mitzutheilen, worauf er von Qvarndammen abreiste.

Als der Wagen in die Nähe von Fjellboda gekommen war, ließ Folke den Kutscher halten. Folke stieg aus in der Absicht, sich in die Villa hinaufzubegeben. Er war sich nicht klar darüber bewußt, warum er dieselbe vor seiner Abreise besuchen wollte; er fühlte nur, daß es ihm Vergnügen machen müsse, mit Margarethen zusammenzutreffen. Gleichwohl führte er seine Absicht nicht aus, sondern blieb in einiger Entfernung vom Wagen stehen. Folke sah nämlich eine Reiterin ganz gemach den steilen Weg herunterkommen.

»Sie wird vorbeikommen, und ich werde Gelegenheit haben, sie zu betrachten,« dachte Folke und richtete einen forschenden Blick auf Margarethe, als dieselbe ihm so nahe gekommen war, daß er ihre Gesichtszüge unterscheiden konnte. Ja, sie war schön, sehr schön, dies konnte nicht in Abrede gestellt werden, und dennoch lag in diesem Gesichte etwas, was Folke nicht befriedigte. Die großen blauen Augen schienen ihm zu groß, zu klar, zu ruhig zu sein: sie erinnerten an einen völlig wolkenlosen Winterhimmel.

Margarethe hielt ihr Pferd an, als sie bei Folke angekommen war, wodurch der Jüngling genöthigt wurde, den Hut abzunehmen. Es geschah dies jedoch, trotz Hunderns bemerkenswerther Worte, mit einem gewissen Widerwillen.

»Begibt sich Herr Richardson nach Fjellboda hinauf?« fragte Margarethe. »In diesem Falle kehre ich um.«

Folke konnte nicht lügen; er antwortete deshalb ganz der Wahrheit gemäß, daß er sich dorthin zu begeben die Absicht habe.

»Dann gehen wir mit,« fuhr Margarethe fort und ließ Bella linksum kehren.

Folke faßte das Pferd am Zügel und hielt es.

»Ich hatte nicht die Absicht, einen Besuch in Fjellboda zu machen,« sagte er. »Der Wunsch, welcher mich veranlaßte, hier heraufzukommen, ist jetzt in Erfüllung gegangen.«

»Und was war dies für ein Wunsch?«

»Ich wollte Fräulein Grattman treffen, bevor ich mich auf längere Zeit fortbegebe,« sagte Folke.

»Wohin wollen Sie denn reisen?«

»Nach England, Deutschland und Frankreich. Meines Vaters Gesundheit erlaubt es ihm nicht, diese Reise zu machen, und da gehe ich an seiner Stelle.«

»Ist Herr Richardson krank?«

Folke nickte bejahend mit dem Kopfe. Margarethe beugte sich hernieder und reichte dem Folke ihre Hand, wobei sie sagte: »Ich wünsche Ihnen von Herzen eine glückliche Reise und fröhliches Wiedersehen.«

Folke faßte die kleine behandschuhte Hand, während er dem Mädchen fest in die Augen blickte. Er ersah aus denselben, daß der Wunsch einer glücklichen Reise und eines frohen Wiedersehens ernst gemeint sei. Einige Minuten darauf setzte er seine Fahrt fort.


Ueber ein Jahr war vergangen, seitdem Folke sich von Margarethen verabschiedet hatte, und noch immer verweilte der Jüngling im Ausland. Unterdessen waren große Veränderungen in Qvarndammen vor sich gegangen. Die Fabrikgebäude standen zwar immer noch da, aber das angefangene Bauwesen war noch unvollendet. Ueber die halbfertigen Mauern war ein provisorisches Bretterdach gedeckt worden, um gegen den zerstörenden Einfluß des Regens Schutz zu gewähren. Das Getöse des Wasserfalls ertönte nicht mehr so stark, denn zwei trockene Sommer und ein milder Winter hatten den Wasserzufluß vermindert; wenn man aber in das Thal herunterkam, so hörte man aus großer Entfernung das Geräusch einer arbeitenden Dampfmaschine. Die Fabrik war demnach trotz des Wassermangels immer noch in gleich starkem Betrieb.

Wenn man in das Comptoir eintrat, so saß Hundern gleich steif und aufrecht da, wie im vorhergehenden Jahre; er kritzelte mit der Feder und blickte von Zeit zu Zeit nach seinen beiden Gehilfen.

Oben im Wohnhaus saß Jane in ihrem Rollstuhl; aber sie war bleicher als damals, wo wir sie zum letzten Male sahen; nur der Ausdruck ihres Gesichts war noch sanfter und ernster geworden. Sie trug beständig schwarze Kleider.

Wir wollen uns übrigens bei ihr nicht aufhalten, sondern uns auf den eine halbe Meile von der Fabrik entfernten Kirchhof von Hultvik begeben.

Vor der Einfriedigung desselben steht ein Reisewagen. Derjenige, welcher in demselben fuhr, war ausgestiegen und hatte sich in Begleitung des Kirchenwächters, welcher in seiner werthen Person die Eigenschaften eines Wächters und Todtengräbers vereinigte, auf den Kirchhof begeben. Die Jahre haben den Rücken des alten Mannes gekrümmt und seine Locken mit Schnee bedeckt, allein dessen ungeachtet versieht er sein zweifaches Amt ordnungsmäßig und eifrig.

Jetzt schreitet er neben einem ganz jungen Manne einher, welcher einen Trauerflor um den Hut hat.

»Es sind erst zwei Monate, seitdem der Patron begraben wurde,« bemerkte der Kirchenwächter, »und deshalb ist noch nichts weiter geschehen, als daß ich Rasen aus das Grab gelegt habe.«

Der Angeredete erwiderte nichts, sondern folgte in tiefem Schweigen dem Alten bis zu einem mit frischem Rasen bedeckten Grabhügel, aus welchem ein frischer Blumenkranz lag.

Der Jüngling wünschte allein zu sein.

Der Alte ging zwischen den Grabhügeln einher und besah dieselben mit Interesse, wie wenn es gute Freunde gewesen wären, welche er mit Vergnügen betrachtete.

Unterdessen stand der Jüngling da und blickte auf das frische Grab. Der Ausdruck schweren Kummers lagerte sich auf seiner Stirne, und ein herber Schmerz drückte sich in seinen scharfen Blicken aus. Endlich murmelte er: »So bist auch du im Kampf gefallen, ohne das Ziel zu erreichen.«

Er senkte das Haupt und flüsterte: »›Muthig und unermüdlich im Kampf mit Schwierigkeiten, geduldig und ergeben im Sterben,‹ hat er dir geschrieben. Friede und Segen deiner Asche. Möge dein Sohn deiner würdig sein und sich stets dieser deiner Abschiedsworte erinnern: ›Kämpfen wie ein Mann für die Vollendung des Werkes, welches ich angefangen habe?‹«

Noch tiefer beugte sich das stolze Haupt. In dieser demüthigen Stellung verharrte der Jüngling längere Zeit, und als er den Kopf wieder erhob, war seine Stirne entwölkt, und ein ruhiger Ernst drückte sich in seinem Aeußern aus.

Der Jüngling nahm eine Blume aus dem Kranz vom Grabe, legte dieselbe zwischen die Blätter seines Notizbuchs und verließ den Kirchhof. Der Wagen fuhr Qvarndammen zu.


Die Morgensonne warf die freundlichsten Strahlen in den Saal und beschien Jane, welche dasaß und arbeitete, als die Thüre aufging und eine junge, stattliche Frauensperson eintrat.

»Guten Morgen, Frau Richardson!« rief die Fremde in Janes Muttersprache. »Wie befinden Sie sich heute?«

»Wohl, mein Fräulein,« war die Antwort. »Ich bin bloß darüber beunruhigt, daß ich von Folke keine Nachricht habe. Seine Anwesenheit hier ist sehr nothwendig, wofern nicht Alles schief gehen soll. Die Angelegenheiten stehen nicht so günstig, wie wir gehofft haben; es ist ungewiß, ob mein Sohn dieselben ins Reine bringen und die Fabrik behalten kann. Der arme Richardson machte letztes Jahr, als der Wasserstand so klein war, große Anstrengungen, um die Fabrik im Gang zu halten, aber die Dampfmaschine kostete ihn viel Geld. Es schien die Aufgabe seines Lebens gewesen zu sein, für das Bestehen der Fabrik zu arbeiten, und dennoch droht derselben jetzt der Untergang.«

»Der Sohn muß das Werk des Vaters vollenden,« bemerkte Margarethe.

»Wenn dies im Bereiche der Möglichkeit liegt, so wird er dies auch thun; allein Hundern behauptet, die Schulden seien so bedeutend, daß er und Folke wohl keinen andern Ausweg haben würden, als Bankerott zu machen.«

Jane seufzte. Ihre erröthenden Wangen ließen erkennen, daß sie durch den bloßen Gedanken hieran in Aufregung komme.

Margarethe hatte sich an ein Fenster gesetzt. Vor ihren Blicken lag der Weg, welcher zu der Fabrik hinaufführte.

»Wann haben Sie die letzte Nachricht von Ihrem Sohn erhalten?« fragte sie.

»Vor ungefähr einem Monat.«

»Machte er eine Mittheilung über seine Rückkehr?«

»Er sprach sich nicht bestimmt aus, sondern bemerkte nur, er komme so bald als möglich zurück.«

Margarethens Blicke fielen auf einen Reisewagen, welcher sich eiligst der Fabrik näherte.

»Seien Sie getrosten Muthes,« sagte sie lächelnd, »Ihr Sohn ist bälder bei Ihnen, als Sie ahnen; dies sehe ich voraus und verlasse Sie deshalb jetzt.« Margarethe drückte Janes Hand. »Ich weiß nun, daß Sie sich wohl befinden, es wird nicht lange anstehen, bis ich wieder hierherkomme. Erweisen Sie mir die Gefälligkeit und bitten Sie den Herrn Hundern, er möchte mich heute Nachmittag besuchen.«

Margarethe entfernte sich rasch. Sie hörte das Geräusch des Wagens, welcher unter den Fenstern vorüberfuhr; sie wollte, ehe der Wagen anhielt, hinwegeilen; allein als sie bei der Veranda war, hielt der Wagen unten, und ein junger Mann sprang aus demselben. Er blieb jedoch auf der untersten Treppenstufe stehen, als er Margarethens auf der obersten ansichtig wurde.

»Fräulein Grattman, Sie hier?« rief er aus.

»Ja, wie Sie sehen, und ich bin auch die Erste, welche Sie daheim willkommen heißt, wie ich auch die Letzte gewesen bin, welche Ihnen Lebewohl gesagt hat,« erwiderte Margarethe ungezwungen.

»Wenn Ihr Willkomm so glückbringend ist, wie Ihr Lebewohl war, so habe ich allen Grund, mir Glück zu wünschen,« bemerkte Folke mit Bitterkeit.

Margarethens Augen vergrößerten sich und nahmen eine dunklere Färbung an. Sie bemerkte nichts auf seinen Ausfall, sondern ging auf die Seite.

»Ich will Sie nicht aufhalten, Herr Richardson,« sagte sie; »denn es hieße dies, Ihre Mutter einer langersehnten Freude berauben.«

Margarethe hüpfte die Treppe hinab und entfernte sich.


»Meine Mutter!« »Mein Sohn!« waren die Rufe, welche in dem Saale, worin Jane saß, ertönten. Eine stumme, lange Umarmung folgte. Thränen rollten Beiden über die Wangen.

Was lag nicht Alles in dieser stummen Umarmung, auf welche einige unzusammenhängende Worte, dann etliche Fragen und zuletzt eine vollständige Schilderung dessen, was sich seither ereignet hatte, folgten!

Nachdem Mutter und Sohn ihre ersten Freudenbezeugungen ausgetauscht hatten, ging Folke zu Hundern, um denselben zu begrüßen. Folke wußte, daß der Engländer nicht gestört sein wollte, bevor dessen Arbeitsstunden zu Ende waren.

Der Engländer saß noch am Pult, als Folke eintrat. Er blickte von dem großen Hauptbuch auf und nickte dem Jüngling zu, wie wenn sie sich erst Tags zuvor getrennt gehabt hätten.

»Es ist gut, daß du endlich heimkommst,« sagte er, »du hast lange gesäumt. Ich hätte beinahe die Geduld verloren.«

»Der Onkel weiß, daß ich zwei volle Monate krank war.«

»Es ist ein dummer Streich, krank zu werden, wenn man so nothwendig daheim sein sollte. Wie alt bist du, daß solche Altersschwächen dich anwandeln?«

»Zweiundzwanzig Jahre,« gab Folke zur Antwort.

»In diesem Alter sollte man gesund sein, aber wir werden mit einander reden, wenn die Mittagsstunde schlägt.«

Hundern schrieb weiter, und Folke wollte so schnell wie möglich die Fabrik besichtigen. Nachdem dies geschehen war, begab er sich in sein Zimmer hinauf.

Er war schwer krank gewesen und noch nicht zu Kräften gekommen, was er jedoch vor seiner Stiefmutter zu verheimlichen wünschte. Einige Augenblicke vor dem Mittagessen ging er hinunter, um mit ihr zu sprechen.

»Ich begegnete Fräulein Grattman, als ich aus dem Wagen stieg,« sagte er. »Was wollte sie hier?«

»Sie! Habe ich dir denn nicht von ihr geschrieben?«

»Keinen Buchstaben!«

»Wie habe ich dies unterlassen können! Ach ja, jetzt erinnere ich mich, daß sie mich gebeten hat, ich solle dir keine Mittheilung zugehen lassen.«

»Worüber?«

Folke sah verstimmt aus.

»Daß sie während dieser schweren Zeit mein guter Engel gewesen ist. Sie wünschte, daß ich in meinen Briefen nichts von ihr und von dem, was sie für mich gethan hat, schreiben soll.«

»Was hat sie denn der Mutter für Dienste geleistet?«

»Sie kam zu mir, als dein Vater bettlägerig und ich körperlichen und Seelenqualen preisgegeben war. Sie flößte mir Muth und Seelenstärke ein und war ein wahrer Engel in diesem Trauerhause. Sie stand an dem Todtenbette deines Vaters; einige Augenblicke, bevor er den letzten Seufzer aushauchte, hatte sie mit ihm eine lange Unterredung unter vier Augen, worauf er ruhig wurde und zu mir sagte: ›Grüße meine alte Mutter, wenn du sie von meinem Tod in Kenntniß setzest; sage ihr, daß ich Grattmans vergab, was sie verbrochen haben. Grüße auch den Folke und befehle ihm an, gegen die Schwierigkeiten anzukämpfen, so daß die Fabrik den von mir angestrebten Fortgang nimmt. Mache ihn so gut, wie du mich haben wolltest.‹ Bei diesen Worten ergriff er meine Hand und Fräulein Grattmans Hände, richtete sich auf und flüsterte den Namen seiner verstorbenen Frau, worauf Erstickungsanfälle und der Todeskampf eintraten.«

Gerade als Jane mit ihrer traurigen Erzählung zu Ende war, trat Hundern ein. Folke war erregt, und in Janes Augen standen Thränen, welche jedoch bei Hunderns Eintritt schnell abgetrocknet wurden.

Hundern war sehr befriedigt von Folkes Ankunft und sprach während des Essens, was ein Beweis guter Laune war. Als er vom Tisch aufstand, sagte er zu Folke: »Morgen Arbeit und Geschäfte, heute Ruhe. Du wirst jetzt deines Vaters Stelle einnehmen und dich in die Geschäfte einarbeiten. Die Schulden sind groß, und die eingehenden Zahlungen stehen in keinem Verhältniß hiezu. Wir haben einige Gläubiger, welche nicht mit sich reden lassen; wenn du dieselben nicht bezahlen kannst, so muß die Fabrik zugemacht werden. Das ist es, was du dir bis morgen um acht Uhr, wenn wir auf dem Comptoir sein werden, zu überlegen hast.«

Hundern entfernte sich.

Man muß gestehen, daß es keine sehr angenehmen Sachen waren, welche Folke sich überlegen sollte.


Der Hochsommer war in voller Pracht herangekommen; die Familie Grattman befand sich schon seit einer Woche zu Nygarda. Die Frau kam aus einem Badeort und sollte den Rest des Sommers und den Anfang des Herbstes auf ihrem stattlichen Besitzthum zubringen. Der Großhändler war nicht mit seiner Frau gekommen. Arthur hatte im Frühjahr und auch im Frühsommer zweimal einen Besuch auf dem Landgut gemacht, um sich zu überzeugen, wie das neue Sägewerk arbeite. Dasselbe, welches ebenfalls am Ende des Wasserfalls lag, hatte weniger als die Fabrik an Wassermangel gelitten. Es war vielleicht auch einigermaßen mit Schuld daran, daß man in Qvarndammen weniger Wasser hatte.

Arthur legte großen Werth darauf, daß sowohl das Sägewerk als auch der Ackerbau zu Nygarda verbessert wurden und war in seinem ganzen Thun und Treiben ein unternehmender, wagender Mann mit geschäftsmännischem Blick und großem, praktischen Verstand. Er würde in der Handelswelt eine bedeutende Rolle gespielt haben, wenn er dazu hätte bewogen werden können, in das Geschäft seines Vaters einzutreten, wie es bestimmt gewesen war, allein auffallender Weise konnte er, nachdem er die Art und Weise seines Vaters genauer kennen gelernt hatte, hiezu nicht veranlaßt werden. Des Winters arbeitete er auf dem Comptoir, allein im Sommer verließ er das Geschäft, um sich einzig und allein dem Betriebe des Gutes zu widmen.

Klas Henrik Grattman hatte jetzt sozusagen nur noch einen Sohn. Vom Jüngeren, welcher schon vor einigen Jahren seine Stelle auf dem väterlichen Comptoir verlassen hatte, um sich auf die See zu begeben, hatte man schon seit langer Zeit nichts mehr gehört.

Arthur war thätiger und arbeitslustiger, als man von dem Sohne eines reichen Mannes, welcher eine ähnliche Erziehung erhalten hatte, erwartet haben würde; allein die Ursache lag vielleicht darin, daß er den Becher des Vergnügens geleert hatte, denn: »Das Uebermaß des Genusses ist des Genusses Tod,« sagt einer unserer Sänger, und dies bewahrheitet sich vielleicht bei Arthur, so daß er jetzt in der Arbeit eine Zerstreuung edlerer Art suchte.

Eine Woche, nachdem Florence zu Nygarda angekommen war, das heißt am Tage der Ankunft Folkes, langte ein prachtvoller Reisewagen in Nygarda an; in demselben saßen Klas Henrik und Arthur. Das Haus Grattman war durch die Spekulationen, welche von Arthur gemacht und durchgeführt worden waren, sehr glücklich gewesen und hatte höchst einträgliche Geschäfte gemacht.

Der reiche Kaufmann war auch sehr stolz über den ausgezeichneten Geschäftsgeist seines Sohnes, und Florence fühlte sich veranlaßt, zur Feier der Triumphe ihres Sohnes in der Geschäftswelt das großartigste Fest zu geben, welches während der ganzen Wintersaison abgehalten wurde.

Florence vergaß bei der Ankunft zu Nygarda all ihr genossenes Glück, da sie die Fabrik in vollem Betriebe antraf. Sie hatte gehofft, der leidige Wassermangel würde die Fabrik ruinirt haben, allein ihre schönen Hoffnungen hatten sich zum großen Leid ihres edlen Herzens nicht verwirklicht.

Der Eindruck, welchen der Großhändler bekam, als seine Blicke den Rauch gewahrten, der aus dem Fabrikschornstein in Qvarndammen aufstieg, war ein im höchsten Grad unangenehmer, und dies um so mehr, als Grattman von dem Inspektor vernahm, daß die Fabrik ihre Thätigkeit ununterbrochen fortgesetzt habe, trotzdem daß der Wasserzufluß ein derartiger gewesen sei, daß das Sägewerk zu Nygarda stille stehen mußte.

»Ich dachte, daß durch Richardsons Tod die Geschäfte einigermaßen ins Stocken gerathen wären,« ließ Arthur sich vernehmen.

»Wie du siehst, war dies nicht der Fall,« gab der Großhändler zur Antwort.

»Das Volk da wird mit der Zeit reich und dies auch noch vor unsern Augen,« meinte Florence.

»Die Sache ist jetzt abgemacht,« bemerkte Arthur gleichgültig. »Was mich überrascht, ist der Umstand, daß dieselben so bedeutende Hilfsquellen gehabt haben, daß sie trotz der ungünstigen Verhältnisse Stand halten konnten. Sie kommen übrigens immerhin wegen einiger verfallener Wechsel hart ins Gedränge, und ich will sehen, wie sie sich da heraushelfen werden. Sicherlich sind sie zum Konkurs gezwungen, und dann wird Qvarndammen verkauft. In diesem Falle kann Papa als Käufer auftreten und ein schönes Besitzthum zur Niederlassung für Tom daraus machen. A propos Tom, so ist er wohl der sonderbarste Mensch unter der Sonne. Ich kann es nicht begreifen, daß er die abenteuerliche und nicht sehr angesehene Laufbahn eines Seemanns ergriffen hat. Das war eine ebenso tolle als unerklärliche Laune. Was hat ihn wohl dazu veranlaßt?«

Weder Florence noch der Großhändler gaben eine Antwort. Sie hatten seit zwei Jahren Tom als ihr Schmerzenskind betrachtet und sprachen höchst ungern von ihm.

Es war ein harter Schlag für den stolzen Vater und die eitle Mutter gewesen, als sich ihr Sohn als einfacher Matrose auf die See begab. Sie wünschten daher, nicht weiter an dieses traurige Ereigniß erinnert zu werden, was auch nicht zu oft vorkam, da Tom, seitdem er die Heimat verlassen hatte, nur zweimal schrieb und zwar ohne Geld von dem Vater zu begehren.

Als Arthur keine Antwort bekam, verließ er den Gegenstand des Gesprächs, erhob sich und bemerkte, daß er einen Besuch zu Fjellboda machen werde.

Florence fächelte mit dem Taschentuch; der Großhändler leerte ein Glas Zuckerwasser, aber beide schwiegen beharrlich. Sie wußten, daß es nicht der Mühe werth sei, sich dem Sohne zu widersetzen, denn dieser liebte keinen Widerspruch, und sie hatten großen Respekt vor den Ausbrüchen seines Unwillens.

Arthur entfernte sich, ohne ein Wort weiter zu verlieren.

»Mein Gott, Grattman, was bist du für ein armer Schwachkopf!« platzte Florence heraus; »du vermagst nicht einmal so viel über deinen Sohn, daß du ihn von dem fortgesetzten Umgang mit Margarethen abhältst!« Florence warf sich zurück an die Lehne des Sopha und wurde roth vor Aerger.

»Meine Liebe,« fiel ihr der Großhändler etwas heftig ins Wort; »warum hast du keinen größeren Einfluß auf ihn? Du bist ja eigentlich von Anfang an die Ursache des Zwistes zwischen mir und meinem Bruder gewesen, und folglich bist es du, welche …«

»Beabsichtigst du, mir einen Krampfanfall zuzuziehen?« unterbrach ihn Florence halb weinend. »Machst du mir Vorwürfe? mir, die ich bei jeder Gelegenheit bewiesen habe, wie sehr ich dich liebe? Nur aus Liebe habe ich es nicht zugegeben, daß eine ehemalige Erzieherin deinen Namen führen darf, aber so ist es: ihr Männer seid alle undankbar, und deshalb geht Arthur … nach Fjellboda.«

Jetzt brach eine Flut von Thränen und Krämpfen los, und der Ehemann hatte das Vergnügen, diese Flut einzudämmen.


In einem kleinen hübschen Kabinett zu Fjellboda saß Margarethe und war in lebhaftem Gespräch mit Hundern begriffen, als Signe hereinsah und sagte: »Margarethe, dein Vetter Arthur steigt eben vom Pferde; empfängst du denselben?«

»Er ist willkommen, beste Signe, wofern sein Besuch mir und nicht dir gilt,« gab Margarethe zur Antwort.

»Das Letztere wird wohl nicht der Fall sein,« meinte Signe und ging wieder auf ihren Platz im Salon. Einige Augenblicke später fragte ein Diener an, ob die Herrschaft den Herrn Arthur Grattman empfangen wolle. Signe bejahte diese Frage. Hundern nahm seinen Hut und sagte Margarethen Lebewohl. Eben als Arthur mit der Gewandtheit eines Weltmannes in den Salon eintrat, kam der Engländer in Begleitung Margarethens aus dem Kabinett.

Arthur, welcher Margarethen sein Compliment machen wollte, kam außer sich, als er Hundern gewahr wurde und sagte, als der Engländer fort war: »Liebenswürdige Margarethe, hast du Zusammenkünfte mit dem Comptoiristen von Qvarndammen? Was kann ein junges Mädchen dem Kerl da zu sagen haben?«

»Ganz dasselbe, was ein junger Großhändler kann, wenn er eine größere Partie Fabrikwaaren braucht,« antwortete Margarethe lachend.

Also eine geschäftliche Besprechung. Arthur konnte trotz aller Selbstbeherrschung keine ruhige Miene beibehalten, denn man sah deutlich, daß ihm Hunderns Besuch mißfiel.

Margarethe ersah aus den Gesichtszügen ihres Vetters, was in demselben vorging, aber sie ließ nichts merken.

»Herr Hundern und ich haben in der That von Geschäften gesprochen,« sagte sie; »aber wenn ich für heute genug daran habe, so hoffe ich, daß du eine angenehmere Unterhaltung zu bieten im Stande bist. Um übrigens den Anfang zu machen: was ist der Grund, daß ein so fleißiger Mann, wie du, frei macht und bis hierherkommt?«

»Ich könnte antworten: mein lebhafter Wunsch, dich wiederzusehen; allein dies wage ich nicht, wenn gleich ich dir die Wahrheit gesagt habe.«

»Wir weichen von der Wahrheit ab. Du mußt mich kennen gelernt haben und wissen, daß die Firma Margarethe und Arthur Grattman ein Traum ist, welcher sich niemals verwirklichen wird. Du kamst also zu Nygarda vor …«

»Vier Stunden an,« fiel ihr Arthur in das Wort, »und ich bleibe da, um nach dem Besitzthum zu sehen. Ich habe mich um Nygardas Angelegenheiten angenommen. Ich arbeitete den Winter über so, daß der Gewinn des Hauses Klas Henrik Grattman …«

»So und so viel hunderttausend beträgt,« fiel ihm Margarethe in die Rede. »Verschone mich mit Ziffern; und lasse meine Einbildungskraft die Größe der Summe bestimmen!«

»Deine Einbildungskraft würde sich also dennoch mit Ziffern beschäftigen?«

»Sie hat nichts Anderes gethan, seitdem ich anfing, mich für die Fabrik in dem Thale da unten zu interessiren.«

Arthur biß sich auf die Lippen.

Margarethe fuhr fort: »Sobald Papa durch mich von der Richardsonschen Unternehmung Kenntniß erhalten hatte, hegte er den Wunsch, die Sache möchte von Erfolg begleitet sein, und er wird Alles thun, was in seinen Kräften steht, damit die Weberei sich immer noch vergrößern kann.«

»Es ist möglich,« sagte Arthur, »daß das Unternehmen einer großartigen Entwickelung fähig ist, wenn es das Schicksal so bestimmt hat; allein ich für meinen Theil fürchte, daß demselben keine glänzende Zukunft bevorsteht, sondern daß es recht bald der Vergangenheit angehören wird. Die Eigenthümer werden wohl in den nächsten Tagen in Konkurs gerathen, und dann kaufen wir Qvarndammen, welches hernach in einen Herrschaftssitz umgewandelt wird.«

»Ja so, die Besitzer gerathen in Konkurs?« Bei diesen Worten blickte Margarethe ihren Vetter an.

»Aller Wahrscheinlichkeit nach. Bart und Zuist in Stockholm haben Wechsel auf Hundern und Richardson in bedeutendem Betrag, und ich habe Grund zu vermuthen, daß Letztere dieselben nicht einlösen können.«

»Der arme junge Mann, wie beklage ich ihn,« sagte Margarethe, wobei sie lächelte.

»Margarethe, dein Interesse für diesen Menschen macht einen widerlichen Eindruck auf mich,« bemerkte Arthur.

»Ich kann nichts dafür,« entgegnete Margarethe. »Ich nehme von ganzem Herzen an dem Jüngling Antheil, welcher das Geschäft in dem Zustand, in welchem es sich augenblicklich befindet, übernehmen soll.«

»Wahrscheinlich hast du von dem Engländer erfahren, daß der, welchem du eine solche Theilnahme entgegenbringst, zurückgekehrt ist?«

»Herr Hundern hat nichts davon gesagt.« Signe sah beunruhigt aus und verließ das Zimmer.

Arthur rückte mit seinem Sessel näher zu Margarethen heran und sagte mit einer Ironie, durch welche er seine Gefühle zu verheimlichen beabsichtigte: »Da bin ich noch glücklich, der Erste gewesen zu sein, welcher dir mittheilen konnte, daß er gestern angekommen ist.«

»Du kommst zu spät. Ich habe Folke Richardson bereits getroffen und ihn bewillkommt.«

Margarethens ruhige Blicke richteten sich auf den Vetter, dessen Gesichtszüge einen Unglück verheißenden Ausdruck annahmen. Diesmal waren die Worte Margarethens von größerer Wirkung, als sie vermuthete. Ohne den Schmerz zu ahnen, welchen Arthur erduldete, fuhr sie nach kurzer Unterbrechung fort: »Arthur, lasse uns ehrlich reden. Du weißt, daß ich jede Verstellung verabscheue.«

»Ich hatte unlängst einen schmerzlichen Beweis davon,« gab Arthur zur Antwort.

»Versprich mir also, aufrichtig Rede zu stehen.«

»Du hast mein Wort.«

»Ist es wahr, daß du dem Folke Richardson grollst?«

»Ja, dies ist wahr. Jetzt thue ich es; vor einem Jahre aber war dies nicht der Fall. Du hast mich mit ihm verfeindet, und ich würde es mit Vergnügen sehen, wenn dieser verwegene Emporkömmling einem widrigen Schicksale verfallen würde.«

»Willst du dazu beitragen, daß er seinen ökonomischen Verlegenheiten erliegen muß?«

»Dies ist meine Absicht. Er muß von hier fort, und dann frage ich weiter nicht nach ihm. Die Welt ist groß, und er kann sein Glück anderswo, als in deiner Nähe suchen und finden. Jetzt, Margarethe, kennst du meine Denkungsart.«

»Ich ahnte dieselbe, allein ich wollte von dir selbst hören, daß dein Widerwillen so weit geht. Ich dachte zu gut von deinem Charakter, als daß ich meinen Beobachtungen hätte Glauben schenken können.«

»Ich bedaure, daß ich dich nicht auf deinem guten Glauben hinsichtlich meiner gelassen habe,« sagte Arthur kalt; »aber du sollst wenigstens keinen Grund haben, mich des Mangels an Aufrichtigkeit zu beschuldigen. Es ist meine Schuld nicht, daß dieser Günstling sich mir in den Weg stellt und seine Wünsche auf ein Ziel erstreckt, auf welches die meinigen sich nicht mehr zu richten wagen. Wenn mein edelstes Gefühl irgend welche Entgegnung gefunden hätte, dann wäre Alles anders geworden; so aber …«

»Bleibst du ein Egoist,« unterbrach ihn Margarethe. »Deine Liebe, Arthur, beruht auf einer zu materiellen Grundlage, als daß sie dein Herz hätte veredeln können. Du wolltest zwei große Vermögen zusammenbringen und eine Firma gründen, welche die erste in Stockholm geworden wäre. Dies ist das Ganze.«

»Margarethe!« rief Arthur aus und sprang empor, indem er alle Selbstbeherrschung vergaß. Er nahm jedoch sogleich seinen Platz wieder ein und fuhr in ruhigem Tone fort: »Wenn du nichts dagegen hast, so wollen wir diesen Gegenstand verlassen.«

»Sofort.« Margarethe stand auf und zeigte auf ein Porträt ihrer Mutter. »Du hast, als du noch sehr jung warst, meine Mutter gesehen und mit ihr gesprochen, aber du kanntest sie nicht. Sie war eine außergewöhnliche Frau und ebenso gut und rechtdenkend, als schön. Von meiner frühesten Jugend an habe ich ihren Willen in Ehren und ihre Lehren werth gehalten. Weißt du, um was sie mich in ihrer letzten Stunde gebeten hat? Daß ich mich nur dann meines Reichthums erinnern soll, wenn ich mit demselben Nutzen schaffen könne. Die Fabrik zu Qvarndammen wird nicht geschlossen werden; alle diese armen Menschen, welche von dort ihren Lebensunterhalt haben, werden nicht brodlos werden; das schöne, gemeinnützige Unternehmen wird seinen Fortgang nehmen.«

»Will Margarethe Grattman dem Folke Richardson Geld vorstrecken?« fragte Arthur.

»Ja, mein Vater thut dies im Nothfall. Herr Hundern hat übrigens versichert, daß er und Richardson auch ohne diese Unterstützung sich zu retten gedenken.«

»Das ist's, was wir abwarten wollen. Bedenke, Margarethe, daß es Zeit braucht, um den Onkel zu benachrichtigen und Geld zu bekommen. Du mußt es herbeischaffen; Hundern und Richardson haben nur noch einige Stunden Zeit übrig, bis es sich entscheidet, ob sie weiter arbeiten oder falliren werden. In letzterem Fall will ich dem Richardson nach Amerika hinüberhelfen, und zwar mit so bedeutenden Mitteln, daß er dort eine neue Laufbahn beginnen kann. Ich wünsche seinen Untergang nicht, möchte aber, daß er für immer fortbliebe.«

Arthur stand auf und nahm seinen Hut.

»Er wird nicht genöthigt werden, sein Vaterland zu verlassen,« erklärte Margarethe.

»Wir wollen sehen,« antwortete Arthur.

»Wie lange bleibst du zu Nygarda?« fragte Margarethe.

»Einige Wochen, vielleicht auch länger; Alles hängt davon ab, ob der Papa bald in die Hauptstadt zurückkehrt.«

»Da hoffe ich, dich bald wieder in Fjellboda zu sehen.«

Arthur blickte sie erst schweigend an und fuhr alsdann fort: »Ich würde viel darum geben, wenn ich dich verstehen könnte.«

»Da müßtest du ganz anders werden, wenn du dies könntest,« antwortete Margarethe.

»Sage mir, warum du mich gebeten hast, hierherzukommen, da du …«

»Da ich deine Frau nicht werden will«, unterbrach ihn Margarethe. »Einfach darum, weil ich gerne in deiner Gesellschaft bin.«

»Trotz meines Widerwillens gegen Richardson?«

»Trotzdem. Ich denke, man solle den Tag nicht vor dem Abend loben. Ein unschöner Morgen kann einen hellen und angenehmen Abend im Gefolge haben.«

Arthur küßte seiner Cousine die Hand und entfernte sich.


»Es ist ja heute Samstag und nicht Sonntag,« äußerte Signe gegen Margarethe, als das junge Mädchen eines Morgens früh in den Pavillon hereintrat.

»Warum sagst du dies?« forschte Margarethe und setzte sich an den Kaffeetisch.

»Ach, es kommt mir auffallend vor, daß kein Rauch aus dem Fabrikschornstein aufsteigt … Es sieht ganz so aus, als ob nicht gearbeitet würde.«

Margarethe stellte die Kaffeetasse auf die Seite und eilte an das Fenster. Sie sagte kein Wort; aber als sie von Signe beobachtet wurde, bemerkte dieselbe, daß Margarethens blühende Wangen sich entfärbt hatten.

»Die Fabrik ist nicht im Gange,« äußerte das Mädchen einen Augenblick später.

»Nein, sie ist in der That nicht im Gang,« sprach eine Stimme hinter dem jungen Mädchen, und als dasselbe sich umwandte, stand Arthur da. Aus seinen Blicken leuchtete keine Siegesfreude: die Sache schien ihm gleichgültig zu sein.

Margarethe begab sich sofort wieder an ihren Platz am Kaffeetische.

»Nun, Vetter, ist dir bekannt, warum gefeiert wird?«

»Vermuthlich aus Mangel an Arbeitern,« antwortete Arthur und nahm von Signe eine Tasse Kaffee entgegen.

»Das ist wohl nicht möglich,« meinte Margarethe.

»Das ist nichts Unmögliches. Die Arbeiter sind vielleicht zu schlecht bezahlt, und da wir zu Nygarda größere Bau- und Feldarbeiten haben, als in früheren Jahren, so kann ja die Hoffnung, außerhalb der Fabrik beschäftigt zu werden, der Grund sein, daß die Arbeiter einen höheren Lohn beanspruchen. Dies ist um so wahrscheinlicher, als die Leute wissen, daß der Besitzer von Nygarda seine Arbeiter stets gut bezahlt. Sie glauben also jetzt, den Fabrikanten Bedingungen vorschreiben zu können. Diese Armen, für welche du es unlängst als ein Unglück angesehen hast, daß der Fabrikbetrieb eingestellt werde, haben die Arbeit jetzt selbst aufgegeben. Ich kenne übrigens den Sachverhalt nicht, nehme jedoch an, daß das, was ich sage, mit dem Vorgefallenen übereinstimmt.«

»Ich habe dieselbe Vermuthung,« sagte Margarethe und fing dann an, von andern Gegenständen zu sprechen.

Arthur war, als diese Begebenheiten sich zutrugen, schon drei Wochen zu Nygarda gewesen und beabsichtigte, längere Zeit daselbst zu bleiben.

Nachdem Margarethe ihren Kaffee getrunken hatte, sagte sie, man solle Bella satteln, und als kurz darauf berichtet wurde, daß das Pferd bereit stehe, fragte sie, ob Arthur sie nicht begleiten wolle, da er ja zu Pferd gekommen sei.

»Diese Frage, Margarethe, ist überflüssig,« gab Arthur zur Antwort. »Dich zu begleiten, ist mir stets ein Vergnügen.«

»Aber ich will nach der Fabrik reiten.«

»Ich muß auch dorthin,« entgegnete Arthur.

»Dort müssen wir uns übrigens trennen. Ich will einen Besuch bei Frau Richardson machen. Schon eine volle Woche bin ich nicht mehr bei ihr gewesen.«

»Das heißt mit andern Worten, ich solle mich an dem Thore von dir verabschieden.«

»Ja, mein bester Arthur; bis dorthin mußt du reiten, aber nicht weiter; dort soll dein stolzer Paßgänger anhalten,« bemerkte Margarethe scherzend.

Arthur half ihr aufsteigen, und als sie zum Thore hinausritten, sagte er: »Wie bist du mit Derjenigen bekannt geworden, welche du besuchen willst?«

»Ich habe ihr einen Besuch gemacht; sie hat mich freundlich empfangen, und ich bin wieder gekommen.«

»Man sagt, sie sei eine Weberstochter; sie ist also von geringer Herkunft.«

»Ihr Vater war Aufseher in einer Weberei; aber was du unter geringer Herkunft verstehst, kann ich nicht begreifen.«

Arthur vermied es, eine Antwort zu geben. Nach einer kurzen Pause fragte Margarethe: »Nun wie befindet sich Agnes? Sie hat wohl in diesem Jahre keine Lust mehr, Schmetterlinge zu fangen?«

»Agnes befindet sich außerordentlich wohl,« entgegnete Arthur, anscheinend ohne zu verstehen, worauf Margarethe anspielte. »Sie fängt keine Schmetterlinge mehr; sie ist jetzt für derartige Belustigungen zu groß geworden.«

»Es ist auch am besten, wenn sie es unterläßt. Richardson kann nicht immer zur Stelle sein, um sie vor einem Sturz in den Wasserfall zu bewahren.«

Margarethe und Arthur setzten ihren Weg fort, ohne daß ein weiteres Gespräch zwischen ihnen angeknüpft worden wäre.


Jane war eben im Begriff, eine vollendete Arbeit wegzulegen, als die Saalthüre aufging und Margarethe hereintrat.

»Fräulein Grattman!« rief Jane ganz freudig aus. »Es ist schon lange, daß Sie mich nicht mehr besucht haben.«

»Ich weiß es,« antwortete Margarethe und drückte Janes Hand; »aber Sie wissen besser als ich, wie ungerne mich Ihr Sohn sieht, und deshalb sind meine Besuche seltener geworden. Jetzt bin ich aber dennoch gekommen, um zu erfahren, warum die Dampfmaschine heute stille steht. Ist sie denn eingestellt worden?«

»Nein, sie steht stille, weil die Fabrik ohne Arbeiter ist,« sagte Jane mit bitterem Lächeln und erzählte in kurzen Worten, daß die Leute die Arbeit einstellen zu wollen erklärt hätten, wenn sie keinen höheren Arbeitslohn erhalten würden.

Arthur hatte demnach die Wahrheit gesagt.

»Nun, was gedenkt Ihr Sohn jetzt zu thun?« fragte Margarethe. »Er hat doch mit seinem klaren Verstand eingesehen, daß es für beide Theilhaber eine sehr empfindliche Widerwärtigkeit ist. Die Leute bekommen jetzt wohl den Lohn, welchen sie verlangen?« setzte sie hinzu.

»So hatte ich geglaubt,« erwiderte Jane; »aber Folke und Onkel Hundern sind nicht Willens, auf diese Forderungen einzugehen. Beide sind der Meinung, daß wenn sie heute nachgeben wollten, die Leute morgen noch mehr verlangen würden.«

»Was soll dann geschehen?« fragte Margarethe.

»Folke reiste sogleich ab. Seine Abschiedsworte an mich lauteten: ›Entweder komme ich mit einem neuen Arbeiterpersonal zurück oder kehre ich nicht mehr wieder.‹«

»Beunruhigt Sie diese Aeußerung?«

Jane blickte verwundert auf die Fragende.

»Warum sollte ich mich beunruhigen? Wenn Folke keine Arbeiter bekommt, so muß die Fabrik geschlossen werden, und wir müssen in diesem Falle fort von hier. Wir kehren alsdann nach England zurück. Es wird für meinen Sohn und Hundern schmerzlich sein, wenn sie ihre Zukunftshoffnungen zerstört sehen; allein wir müssen uns unter den Willen Gottes beugen. Mein armer Sohn, noch so jung und schon so viele Kämpfe!«

Margarethe unterhielt sich noch lange mit Jane, und als sie wegging, begab sie sich in das Comptoir. Hundern saß da auf seinem gewöhnlichen Platz am Pult, aber mit so aufgeworfenen Lippen, daß der Mann mehr einem Pavian als einem Menschen glich.

Margarethe hatte dem Engländer sehr viel mitzutheilen. Als er ihr endlich auf das Pferd half, hatte er wieder menschliche Gesichtszüge angenommen.

Einige Tage später machte Margarethe aufs Neue einen Besuch bei Jane, aber die Sache war noch beim Alten. In der Fabrik wurde nicht gearbeitet, und Folke hatte nichts von sich hören lassen.

Es wurden zwar durch Arbeiten im Walde augenblicklich viele Leute zu Nygarda beschäftigt, aber es fanden nur junge, gewandte Männer Verwendung. Alle Weiber, Kinder und alten Leute, welche in der Fabrik hätten arbeiten können, waren beschäftigungslos. Selbst die jungen Männer sahen bald ein, daß es ihr eigener Vortheil sei, wenn sie die Arbeit in der Fabrik behalten könnten. Sie waren daher beunruhigt, als ein Tag nach dem andern verging, ohne daß die Herren zu Qvarndammen einen Schritt thaten, um sich mit den Arbeitern auseinanderzusetzen. So standen die Dinge, als der Sonnabend herangekommen war. Am Freitag war Allen, welche in den Arbeiterhäusern der Fabrik wohnten, aufgekündigt worden. Dies verursachte große Aufregung. Hundern hatte den Arbeitern samt und sonders mitgetheilt, daß sie auf dem Comptoir ihre Zeugnisse abholen könnten, da man sie entlassen habe. Diese Nachricht rief eine allgemeine Bestürzung hervor.


»Margarethe!« rief Signe aus, als sie am Montag Morgen hereintrat, »die Fabrik ist im Gang.«

Margarethe eilte in den Pavillon. Ihr Gesicht strahlte und ihre Augen leuchteten vor Freude, als sie den Rauch aus dem Dampfschornstein bemerkte.

»Jetzt ist es der richtige Augenblick, um Nygarda zu besuchen!« rief sie aus. »Ich bin noch nie dort gewesen; mein erster Besuch daselbst wird also gemacht, um Arthur meinen Triumph zu verkündigen.«

Einige Stunden später fuhr Margarethens elegante Equipage von Fjellboda ab.

Auf der Seite des Wohngebäudes zu Nygarda, welche gegen das Thal gerichtet war, brannte die Sommersonne den ganzen Tag, so daß die Zimmer trotz der Marquisen zu heiß für den Aufenthalt waren. Die Familie pflegte deshalb erst Nachmittags sich daselbst aufzuhalten. Die übrigen Zimmer waren auf der entgegengesetzten Seite, wo man von der Sonne nicht belästigt wurde.

Es schlug eilf Uhr, als Margarethens Wagen im Hofe hielt. Ein Bedienter kam sogleich an das Fuhrwerk heran, um mitzutheilen, daß Frau Grattman noch nicht aufgestanden sei.

»Kann ich den Großhändler treffen?« fragte Margarethe.

»Der Herr Großhändler ist gestern nach der Hauptstadt gereist, aber der junge Herr befindet sich zu Hause.«

»Melden Sie demselben,« sagte Margarethe, »daß Fräulein Grattman ihn zu sprechen wünscht.«

Mit diesen Worten stieg sie aus dem Wagen und ließ sich von dem Diener in den blauen Salon geleiten, dessen Fenster auf den Park hinausgingen. Margarethe begab sich in das anstoßende Gemach, einen großen Salon in Weiß und Gold. Die fünf Fenster desselben nahmen einen Theil der Vorderseite des Hauses ein. Margarethe ging an eines der Fenster, zog die Marquise auf und blickte hinaus. Unten im Thale lag Qvarndammen, und der Rauch aus dem Dampfschornstein stieg gerade und hoch empor, um alsdann von einem leichten Südwind gegen Nygarda getrieben zu werden.

Margarethe war eben im Begriff, wieder in den blauen Salon zu gehen, als Arthur eintrat. Sein Aussehen ließ Ueberraschung und Freude erkennen. Margarethens Besuch bedeutete einen Schritt zur Aussöhnung, auf welchen er nie zu hoffen gewagt hatte.

»Welcher glückliche Umstand verschafft uns die Freude, dich hier zu sehen?« rief Arthur aus.

»Es ist in der That ein glückliches Ereigniß, das mich hierher geführt hat,« antwortete Margarethe; »und wenn du mir deinen Arm geben und mich in den weißen Salon führen willst, so wirst du selbst Gelegenheit haben, dich davon zu überzeugen.« Margarethe ergriff ihres Vetters Arm, den er ihr mit mißtrauischem Blicke anbot.

Margarethe führte den jungen Mann an ein Fenster. »Ziehe die Marquise auf,« sagte sie.

Er that dies. Die Augustsonne beschien die Umgegend mit ihrem blendenden Lichte. Margarethe öffnete ein Fenster und deutete auf das Thal hinunter, ohne ein Wort zu sprechen.

Arthur stand schweigsam und brütend da. Endlich wandte er sich an sie mit den Worten: »Ist dies das glückliche Ereigniß, welches dich hierhergeführt hat?«

»Ja!« Darauf entstand wieder eine Pause, nach welcher Margarethe das Wort ergriff: »Es war eigentlich mein Wunsch, den Onkel zu treffen. Mein Vater hat mir aufgetragen, ich solle dem Onkel den Vorschlag machen, den Zankapfel zwischen den Brüdern als Mittel für die Herbeiführung der Aussöhnung zu benützen, damit die stattgehabten Zwistigkeiten zu einem friedlichen Abschluß gelangen könnten.«

»Willst du mir den Vorschlag des Onkels mittheilen?« fragte Arthur.

»Gerne. Da ich nicht weiß, inwieweit dir die Geschichte unseres Großvaters bekannt ist, so kann ich auf dieselbe nicht weiter eingehen, weil mich ein Gelübde bindet. Wir wollen uns daher nur mit ihm und seinen Söhnen befassen. Das erste Gut, welches der Großvater kaufte, war Wikingsbruk in Smaland, das zweite Nygarda hier in Westgötland. Für diese beiden Güter hegte er ein großes Interesse und gab große Summen für deren Verbesserung aus. Diese Besitzthümer sollten sich auf seine Söhne vererben. Weil Wikingsbruk beinahe doppelt soviel werth als Nygarda war, so sollte das massive Haus in der Regierungsstraße Demjenigen zufallen, welcher Nygarda bekam. Von unseren Großeltern hatte jeder Theil seinen Liebling unter den beiden Söhnen. John war der Mutter Liebling, Klas Henrik der des Vaters. Als einst der Großvater schwer erkrankte und man für sein Leben fürchtete, wurde ein Testament gemacht und darin bestimmt, daß John Nygarda nebst dem Haus in der Regierungsstraße und Klas Henrik das Gut Wikingsbruk bekommen solle.

Der Großvater genas wieder, und es gelang der Großmutter, denselben zu überreden, das Testament nach ihrem Willen zu ändern. Sie sprach früh und spät von dem Unrecht gegenüber dem älteren Sohne, und schließlich brachte sie den Großvater doch so weit, daß er beschloß, es dem Schicksal anheim zu stellen, wer Wikingsbruk bekommen solle. Wahrscheinlich hoffte er, seinen Liebling werde der Zufall begünstigen. Der Großvater schrieb den Namen Wikingsbruk auf einen Zettel und Nygarda auf einen andern. Die Zettel wurden in eine Hutschachtel gelegt, und die Söhne zogen das Loos; John erhielt Wikingsbruk, Klas Henrik Nygarda. Tags darauf wurde ein neues Testament aufgesetzt, worin den Loosen gemäß verfügt wurde. Der Großvater starb erst einige Jahre später. Das alte Testament fand sich noch vor und gab deinem Vater Veranlassung, sich über das neuere Testament aufzulassen. Mein Vater wollte mit seinem Bruder tauschen, ihm Wikingsbruk gegen Nygarda überlassen und damit dem Zwist ein Ende machen, allein die Großmutter erklärte, daß sie nicht ruhig sterben könne, wenn ihr älterer Sohn auf diese Weise verfahre. Er mußte ihr feierlich geloben, nie auf einen solchen Tausch sich einzulassen. Als sich Papa verheiratete, schenkte er Wikingsbruk der Mama als Morgengabe. Ich erbte das Gut von Mama. Du weißt, daß die Heirat meines Vaters einen vollständigen Bruch zwischen den beiden Brüdern herbeiführte. Bei dieser Gelegenheit gab das unglückselige Wikingsbruk einen Beschuldigungsgrund gegen den Papa ab. Nachdem die Feindschaft acht Jahre lang gedauert hatte, überredete meine Mutter, welche damals sehr kränklich war, ihren Mann, sich mit seinem Bruder auszusöhnen, aber das Schicksal wollte, daß die Versöhnung da schon wieder rückgängig gemacht wurde, als Papa erstmals nach Verlauf so vieler Jahre in seines Bruders Haus auf Besuch war; Magdalene Richardson gab die Veranlassung dazu. Bei dem Wortwechsel, welchen das Benehmen deines Vaters hervorrief, äußerte der Onkel: »Wenn du mir das weggestohlene Wikingsbruk herausgibst, so werde ich meinen Haß auf diese Richardson schon vergessen.« Mein Vater will nun, daß ich dem Onkel den Vorschlag mache, mit mir zu tauschen, so daß ich Nygarda und das Haus in der Stadt bekomme, während der Onkel Wikingsbruk erhält. Du kannst also deinem Vater diesen Vorschlag machen.«

»Du würdest wirklich dabei gewinnen, denn du wärest dann die alleinige Nachbarin deiner Schützlinge,« bemerkte Arthur mit bitterem Lächeln. »Ich bezweifle indessen sehr, ob Papa jetzt noch zu einem Tauschgeschäft geneigt ist. Nygarda ist ihm lieb geworden, und ich für meinen Theil werde ihm nie zusprechen.«

»Um so schlimmer für dich, Arthur. Ich bin jetzt hier, um Euch die Hand zur Versöhnung zu bieten.«

»Margarethe, die Versöhnung kommt zu spät. Du hast dein Interesse für den Herrn Folke Richardson zu ungeschminkt an den Tag gelegt, als daß ich einer Freundschaft Werth beimessen könnte, welche ihren Ausgangspunkt in dem Wunsch hat, dem Richardson nützen zu können.«

»Jetzt verläugnest du deine Klugheit,« entgegnete Margarethe.

»Erlaube mir, dich an das zu erinnern, was du einmal zu mir gesagt hast: ›Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.‹ Ich will diesen Kerl los werden, und es wird mir früher oder später gelingen, ihn zu beseitigen.«

»Du willst also keine Versöhnung?« Margarethe warf einen prüfenden Blick auf Arthur.

»Nein, Margarethe, so nicht.«

»In diesem Fall lebe wohl, Vetter. Grüße deinen Vater von mir aus. Hättest du mich verstanden, hättest du die Gelegenheit, welche ich dir gegeben habe, um alle Zwistigkeiten zu schlichten, ergriffen, so wäre gar Manches gewonnen worden, was jetzt für immer verloren ist.«

Arthur verbeugte sich schweigend vor dem schönen Mädchen und geleitete dasselbe an den Wagen.


Durch ein größeres Anlehen war es den beiden Besitzern von Qvarndammen gelungen, von den drängendsten Gläubigern befreit zu werden, und um die Verbindlichkeiten, welche mit der Anlehensaufnahme eingegangen worden waren, erfüllen zu können, war die größtmögliche Thätigkeit der Fabrik nothwendig geworden. Inzwischen war eine ganze Woche darüber hingegangen, ehe dies der Fall war. Es kamen nunmehr alle die neuen, großen und unvorhergesehenen Ausgaben, welche durch die Einstellung neuer Arbeiter verursacht wurden, so daß die Aussichten auf die Zukunft sich sehr verdüsterten.

Folke saß allein im Comptoir und lehnte sich über ein großes Buch, in welchem er blätterte. Er hatte den Kopf auf die Hände gestützt und starrte die Zahlen an. Der Jüngling fühlte sich von Kummer gedrückt und kampfesmüde. Ein Gefühl von Muthlosigkeit überwältigte ihn.

Die Comptoirthüre ging auf. Folke blickte sofort empor aus Furcht, es könne ihn Jemand überraschen und die Stimmung bemerken, in der er sich befand.

Margarethe stand vor dem Jüngling.

Ein leichtes Runzeln der Augenbrauen, sowie eine rasche Bewegung mit der Hand über die Stirne gab kund, daß der Anblick des jungen Mädchens keinen angenehmen Eindruck gemacht habe. Seit seiner Rückkehr vom Ausland hatte er sie nicht mehr getroffen, außer bei seiner Begegnung mit ihr nach seiner Ankunft.

Wenn Folke wußte, daß Margarethe bei seiner Mutter aus Besuch war, so hütete er sich, dem Mädchen in den Weg zu kommen, und Margarethe ihrerseits pflegte ihre Besuche stets nur dann zu machen, wenn Folke beschäftigt war.

Die Beiden schienen sich also nach einem stillschweigenden Uebereinkommen aus dem Wege zu gehen.

Folke hatte es übrigens in letzter Zeit klar eingesehen, daß er höflicher gegen sie sein müsse. Obgleich es ihm jetzt unangenehm war, Margarethe zu sehen, so begrüßte er sie dennoch mit einiger Artigkeit. Dessen ungeachtet bemerkte Folke nicht, daß Margarethens Angesicht in diesem Augenblick nicht den ruhigen Ausdruck wie sonst hatte.

»Ich beabsichtigte zwar nicht, hierherzukommen,« sagte sie, »aber eine unerklärliche Beunruhigung hat mich veranlaßt, Sie aufzusuchen. Eine innere Stimme sagt mir nämlich, ich solle Sie warnen, denn sicherlich droht den Eigenthümern von Qvarndammen irgend eine Gefahr.«

Folke blickte das junge Mädchen kalt an.

»Fräulein Grattman bringt mir eine Theilnahme entgegen, welche ich nicht verdiene,« sagte er, »und welche ich, aufrichtig gesagt, nicht wünsche.«

»Möglich, mein Herr,« entgegnete Margarethe, »aber dessen ungeachtet sage ich Ihnen, seien Sie auf Ihrer Hut!«

»Weswegen?«

»Das kann ich nicht sagen; ich kenne die Art der Gefahr, welche Ihnen droht nicht, ich weiß nur, daß die entlassenen Arbeiter aufgebracht sind und etwas im Schild führen.«

»Sie werden kommen und verlangen, ich solle sie wieder beschäftigen,« meinte Folke; »darauf bin ich gefaßt.«

»Und was gedenken Sie zu thun?«

»Sie werden keinen höheren Lohn erhalten: darüber bin ich mit Hundern einig.«

»Haben Sie schon an die Folgen und daran gedacht, daß möglicherweise Ihre Mutter auch von denselben betroffen werden kann?«

»Ich kann nicht wohl das einzige Wesen, welches ich liebe, vergessen; aber das versichere ich, daß sie nichts zu befürchten hat. Sie werden trotzig hierherkommen, aber beim Weggehen bereit sein, um jeden Preis ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Ich habe als Knabe schon zu viele Arbeiterdemonstrationen mit angesehen, als daß ich solche fürchtete.«

»Würden Sie es dennoch nicht vorziehen, Frau Richardson in Sicherheit zu bringen?« fiel ihm Margarethe ins Wort. »Könnte sie nicht über die nächsten Tage sich als Gast zu Fjellboda aufhalten?«

»Meine Mutter pflegt in allen Dingen selbständig zu handeln; allein um sie zu bestimmen, auf Ihren Vorschlag einzugehen, wäre es am besten, wenn man derselben Ihre Befürchtung nicht mittheilen würde.«

»Sie räumen mir somit das Recht ein, sie zu veranlassen, daß sie mit mir geht?«

»Ich kann es nicht verhindern.«

Margarethe ging auf die Thüre zu, blieb dann aber stehen und schaute sich nach ihm um.

»Ihr Widerwille gegen Alle Namens Grattman muß sehr groß sein, wenn er Sie abhält, mir die Hand zu geben. Sie sollten gleichwohl die Ueberzeugung erlangt haben, daß ich Ihre Freundin bin.«

»Meine Abneigung gegen diese Familie ist groß, ich gebe es zu,« antwortete Folke, »und der Name flößt mir Mißtrauen gegen die Person ein.«

»Das Mißtrauen macht uns ungerecht, vergessen Sie dies nicht. Leben Sie wohl!« Mit diesen Worten eilte Margarethe hinaus.

Folke sah ihr durchs Fenster nach; sein Blick war kalt und seine Stirne umdüstert.


Jane konnte nicht überredet werden, Qvarndammen zu verlassen. Sie begriff, daß Margarethe sie fort zu haben wünsche, weil man hinsichtlich der Arbeiter Befürchtungen hege. Sie, welche in einer Fabrik geboren und auferzogen worden war, sah den Ereignissen mit Ruhe entgegen. Jane blieb daheim, denn im Falle des Vorhandenseins einer Gefahr konnte sie ihren Sohn unmöglich verlassen.

Es hatte übrigens den Anschein, als ob man Margarethe schlecht berichtet gehabt hätte, denn die Woche verging, ohne daß es zu Unruhen gekommen wäre.

Am Samstag Abend war Zahltag.

Die nöthigen Mittel hatte Hundern aufgebracht, und das kleine Arbeiterhäuflein verließ befriedigt über den Verdienst der ersten Tage die Fabrik. Es war wieder ruhig und stille. Auf dem Comptoir saßen Hundern und Folke. Der Engländer wies den Folke auf die Nothwendigkeit hin, sich nach einem Theilhaber umzusehen, da das Capital, welches Hundern in der Fabrik angelegt hatte, unzulänglich sei.

»Ich werde wahrscheinlich Einen ausfindig machen,« sagte der Engländer, konnte jedoch nicht ausreden, da sich ein sonderbares und dumpfes Gemurmel aus der Ferne hören ließ, worauf er abbrach mit dem Ausruf: »Jetzt bricht der erwartete Sturm los!«

Der Engländer verließ das Comptoir, um von einem Fenster des Fabrikgebäudes aus die Umgegend zu überschauen, so weit dies möglich war. Auch Folke ging hinaus. Der Monat September hatte gerade seinen Anfang genommen. Die Luft war warm, der Himmel sternhell, die Nacht aber dunkel.

Folke ging auf das Wohnhaus zu, die Treppe der Veranda hinauf und gab ein Zeichen mit einer Pfeife.

Einige Minuten später kamen etliche Bursche aus dem einen Anbau heraus.

»Zündet die Lichter im Hof an und gehet dann wieder ins Gebäude zurück!« befahl Folke. »Keiner von Euch kommt in den Hof heraus, ehe ich ihn rufe, wenn der Lärm auch noch so groß wird. Wer sich an diesen Befehl nicht kehrt, wird morgen entlassen.«

Die Lichter wurden angezündet. Folke selbst steckte eines über der Thüre an, die von der Veranda nach dem Wohngebäude führte.

»So, entfernt Euch jetzt,« sagte er. »Es ist hohe Zeit; sie werden gleich am Eingang sein. Oeffnet, damit sie ungehindert hereinkommen können: es wird ihnen dadurch die Mühe des Einbrechens erspart.«

Einer der Bursche, ein hochgewachsener Westgotländer, welcher in der Fabrik seit Gründung derselben war, näherte sich dem Folke mit den Worten: »Der Herr erlaubt wohl, daß ich da bleibe?«

»Nein, Jönson, dies thue ich nicht. Du bist der älteste Arbeiter und mußt deshalb den Andern, was den Gehorsam anbelangt, mit gutem Beispiel vorangehen.«

Jönson ging schweigend mit den Andern hinein; das Gemurmel kam immer näher. Die aufgebrachte Schaar drang in den Hof, und es schien die Leute einigermaßen zu überraschen, als sie denselben geöffnet fanden.

Folke saß ganz allein auf der Veranda, rauchte eine Cigarre und betrachtete die Männer ruhigen Blickes.

Den erregten Leidenschaften der Massen wird durch Kaltblütigkeit stets imponirt. Das Gemurmel wurde leiser, nachdem die Leute den einzigen Mann oder vielmehr Jüngling gewahr wurden, zu dem sie gekommen waren, um ihn und seinen Theilhaber zu zwingen, den Forderungen der Arbeiter nachzugeben.

Folke ließ dieselben näher herantreten. Er rührte sich nicht einmal dann, als einige der Kühnsten die Treppe zur Veranda heraufkamen. Er hatte sich vorgenommen, nicht zuerst zu sprechen und fuhr fort, eine Rauchwolke nach der andern in die Luft zu blasen.

Ein Lichtschein fiel auf sein unbedecktes Haupt und ließ sein junges bartloses Gesicht erkennen.

Dicht zusammengedrängt stand der Haufen um die Treppe herum. Diejenigen, welche heraufgekommen waren, erwarteten, Folke werde einige Fragen an sie richten, allein er schwieg.

Folke hörte, wie ein Fenster des Fabrikgebäudes geöffnet wurde; er drehte sich um in der Absicht, darnach zu sehen. Unwillkürlich wandten sich aller Augen nach derselben Richtung. Man konnte Hundern erblicken, wie er, auf die Ellbogen gestützt und aus dem offenen Fenster sehend, eine Pfeife rauchte. Mit Gleichgültigkeit schaute er auf den zusammengedrängten Volkshaufen herab. Bei dem Anblicke des kahlköpfigen Engländers erwachte der Groll der entlassenen Arbeiter; denn dieser Ausländer war ja die Schuld, daß sie beschäftigungslos wurden. Dieselben riefen denn auch, wie aus einem Munde: »Wir verlangen, wieder Arbeit zu bekommen!«

Folke nahm hierauf die Cigarre aus dem Mund und blies langsam den Rauch in die Luft, ohne eine Antwort zu geben.

Einer der Arbeiter, welcher auf der Veranda stand, rückte dem Herrn auf den Leib mit den Worten: »Herr, wir können nicht dulden, daß uns Fremde das Brod vom Mund wegnehmen; wir verlangen, daß sie entlassen werden, damit wir den verlangten Lohn erhalten.«

Folke erhob sich plötzlich, streckte den Arm aus und schleuderte den vor ihm Stehenden mit einem kräftigen Stoß zurück.

»Zurück, Lars, ich rathe dir, mir auf eine Armeslänge vom Leibe zu bleiben. Du wirst schon noch Auskunft erhalten, ohne so nahe bei mir zu sein. Ihr wollet wieder Arbeit, und Ihr selbst habt dieselbe nicht fortsetzen wollen. Ich sage nur soviel: Diejenigen, welche um den verabredeten Lohn bei uns arbeiten wollen, können am Montag Morgen sich auf dem Comptoir einfinden; aber auf eine Erhöhung des Arbeitslohnes lassen wir uns nicht ein.«

»Wenn der Herr in diesem Tone spricht, so bemerken wir, daß wir alle Maschinen in der Fabrik zerstören werden, wenn Ihr nicht auf unsere Forderungen eingeht,« entgegnete Lars.

»Zerstöret nur die Maschinen, mein lieber Lars, wenn du deine Kameraden zu einer solchen Frevelthat veranlassen kannst; vergiß aber dabei nicht, daß die Abrechnung kommt, und dann blüht die Festung Denjenigen, welche bei der Zerstörung sich betheiligten. Wir lassen uns keine Gesetze vorschreiben; wir bezahlen Euch, was Ihr verdient, aber keinen Pfennig weiter, und ich warne Euch vor den Folgen der Tätlichkeiten, womit Lars droht. Diejenigen, welche zu den alten Bedingungen arbeiten wollen, können sich morgen auf dem Comptoir einfinden; Diejenigen, welche noch fernerhin einen höheren Lohn beanspruchen, werden nicht angenommen.«

Auf diese Rede hin entstand zuerst eine kurze Pause, sodann aber ein Gemurmel. Es zeigte sich, daß die Meinungen auseinanderzugehen begannen. Die Vernünftigeren hielten es für das Beste, aus der Noth eine Tugend zu machen, während die Aufwiegler versuchten, die Unzufriedenen aufzuhetzen und auf die Seite Ersterer zu ziehen. Die Veranda füllte sich mit solchen Unzufriedenen, welche den Folke drohend und mit Gemurmel umringten. Dieser sprang nun auf und rief mit lauter befehlender Stimme: »Alle Diejenigen, welche in der Fabrik wieder beschäftigt werden wollen, haben sich sofort zu entfernen; wer dieser Aufforderung keine Folge leistet, wird nie mehr bei uns beschäftigt! Vergreifet Ihr Euch an mir, meinem Theilhaber oder an der Fabrik, so steht Euch dies frei; aber dabei gewinnt Ihr nur soviel, daß Ihr Euch die gesetzliche Strafe wegen Vergehens an Personen und Eigenthum zuziehet!«

Diejenigen, welche unter der Veranda standen, zogen sich gegen die Umzäunung zurück, allein Die, welche den Folke umringten, rückten demselben näher auf den Leib. Es entstand ein großer Tumult, und es war jetzt, wie es oft zu geschehen pflegt, Keiner da, welcher zuerst angreifen wollte. Lars packte zwar schließlich den Folke an, um ihn von der Bank herunterzureißen, erhielt jedoch bei dieser Gelegenheit einen Schlag von hinten, daß er sich umwandte. Hundern und Jönson standen mitten unter den Leuten.

»Pfui Teufel, Kameraden, wer wird sich an einer einzelnen Person vergreifen!« sagte Jönson.

Die erhobenen Arme sanken nieder, und murrend zogen sich die Unzufriedenen etwas zurück; Jönson trat jetzt auch auf, sprach mit den Arbeitern, und seine Rede war von guter Wirkung, denn er versicherte, daß wenn sie sich von Lars verleiten lassen würden, den Folke auch nur zu berühren, so kämen sie allesamt auf die Festung, und dort gäbe es eine weniger lohnende Arbeit als in der Fabrik.

Jönsons Worte brachten es den Leuten zum vollen Bewußtsein, daß sie sich vielleicht selbst am meisten schadeten, wenn sie den Aufforderungen des Lars Folge leisten würden, weshalb sie, wenn auch drohend, die Veranda verließen. Lars ballte die Faust gegen Folke und Hundern, wobei er ausrief: »Wir treffen uns schon noch wieder, und dann werde ich Euch die Flügel stutzen, verdammte Blutsauger!«

Der Hof wurde wieder leer, nachdem zuvor die Fenster der Fabrikgebäude zertrümmert worden waren. Die Leute hatten, ehe sie fortgingen, noch irgend ein Unheil anrichten wollen. Folke befahl nun, die Thore zu schließen und die Lichter auszulöschen. Er vermuthete übrigens, daß die Aufgebrachtesten nochmals kommen würden, um weiteren Unfug zu verüben; er brachte daher die Nacht auf der Veranda zu, aber es blieb ruhig.

Der Sonntag verging in der Stille, einige Besuche in der Fabrik ausgenommen; aber die Anhänger des Lars streiften um die Wohnungen der neuen Arbeiter herum und suchten mit Letzteren in Händel und Schlägereien zu gerathen. Es fanden auch einige Gewaltthätigkeiten statt, welche übrigens durch das Einschreiten des Bezirksvorstehers beendigt wurden. Am Montag Abend wurden im Wohngebäude zu Qvarndammen alle Fenster eingeschlagen, aber damit war die Sache zu Ende. Man wußte, daß der Bezirksvorsteher in der Nähe war, und am Dienstag meldete sich eine große Zahl der früheren Arbeiter, um die Arbeit zu den alten Lohnsätzen wieder aufzunehmen.

Die nächstfolgenden Tage der Woche verflossen ruhig, und es hatte den Anschein, als ob der Streit zwischen Arbeitern und Fabrikherren beigelegt sei. So war es wieder Samstag geworden.

Folke saß lange außen auf der Veranda, obgleich das Wetter schlecht war. Es wehte Ostwind; der Himmel war bewölkt. Folke hielt es dennoch für das Rathsamste, Nachtwache zu halten und ging nicht vor eingetretener Mitternacht zur Ruhe.

Er schlief sofort ein, hatte aber noch nicht lange geschlummert, als er einen Angstruf hörte. Er fuhr auf, wurde jedoch von einem starken Feuerschein geblendet.

Es war, wie wenn Folke sich mitten in einem Feuermeere befunden hätte, aus welchem es keine Rettung gab; so kam es ihm wenigstens unmittelbar nach dem Erwachen vor; einen Augenblick später war er der Gefahr, in welcher er schwebte, sich klar bewußt.

Das Feuer brannte von dem unteren Stockwerk herauf und kam somit aus dem Schlafzimmer der Mutter.

Er stürzte hinaus, wich aber vor dem vielen Rauch, welcher ihm entgegenkam, zurück. Er hatte gleichwohl keine Sekunde zu verlieren. Bei Jane unten brannte es, und von ihr war der Angstruf ausgegangen. Wenn er ein Raub der Flammen werden sollte, so mußte er dieses Schicksal mit seiner Mutter theilen.

Als er unten an der Treppe angekommen war, wäre er beinahe umgefallen, so sehr setzte ihm der Rauch zu. Als die Thüre aufging, kamen Rauch und Feuer dem Eintretenden entgegen. Er sprang auf die Veranda und in den Hof hinunter mit dem Rufe: »Feuer! Feuer!«, ergriff eine Feuerleiter und richtete sie gegen das brennende Fenster, allein ehe er einen Fuß auf dieselbe setzte, rief eine Stimme von der Veranda: »Ihre Mutter ist gerettet!«

Er sah sich in dieser Richtung um. Ein junger Mann stand da mit der armen Jane in den Armen.

Einige Augenblicke später waren die herbeigeeilten Leute vollauf mit Löschen beschäftigt. Trotz des heftigen Sturmes verlief die Feuersbrunst sehr glücklich. Nur das Wohnhaus war niedergebrannt, ohne übrigens die Fabrikgebäude angesteckt zu haben.

Bei Aufgang der Sonne war von Janes Heimwesen nur noch ein rauchender Aschenhaufen übrig.


»Weiß das Fräulein, daß es zu Qvarndammen heute Nacht gebrannt hat?« wurde Signe von der Haushälterin am nächsten Morgen gefragt.

»Ist zu Qvarndammen Feuer ausgebrochen?« rief Signe aus.

»Ja, das ganze Wohnhaus ist samt Inhalt verbrannt.«

Signe liebte die Gefühlsausbrüche nicht, am allerwenigsten, wenn sie von etwas recht angegriffen wurde. Sie kleidete sich also an, ohne weiter zu fragen oder ein einziges Wort zu sprechen, aber ihre Hände zitterten und ihre Wangen waren blaß.

»Lasse die Droschke sogleich einspannen, befahl sie und verbot allen Dienstboten in Fjellboda, zu Margarethe nicht eher etwas von der Feuersbrunst zu sagen, als bis sie, Signe, zurückgekehrt sei.

Signe war jedoch noch nicht lange im Thale drunten, als Margarethe vollständig angekleidet in den Salon hereintrat und nach ihrer ehemaligen Lehrerin fragte. Man sagte, Fräulein Ekkeberg sei ausgefahren und werde bald wieder da sein. – Margarethe blieb gegen ihre Gewohnheit im Salon. Sonst pflegte sie sich zuerst in den Pavillon zu begeben, um in ungestörter Ruhe die Zeitungen durchzulesen und ihren Kaffee zu trinken.

Margarethe war mit dem Lesen der per Post angekommenen Zeitungen zu Ende, ohne daß Signe zurückgekehrt wäre; das Mädchen wollte sich gerade in den Pavillon begeben, als eine Dienerin den jungen Großhändler anmeldete, der mit dem Fräulein zu sprechen wünsche.

Es hatte soeben acht Uhr geschlagen. Zwar war es dem jungen Manne gestattet, zu Fjellboda nach Belieben Besuche zu machen, aber ein so früher Besuch bedeutete, daß etwas Außerordentliches vorgefallen sein müsse.

»Lasse den Großhändler eintreten,« sagte Margarethe.

Gleich darauf stand Arthur vor ihr, aber nicht mit der ruhigen Miene des Weltmanns, sondern bleich und aufgeregt.

»Margarethe,« sagte er und trat auf sie zu, »ich bin über das Geschehene entsetzt und bitte dich, mir zu verzeihen, was ich gethan habe. O diese Nacht, diese schreckliche Nacht wird nie aus meinem Gedächtniß verschwinden.« Er ließ sich auf einen Stuhl nieder und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

Margarethe war so bleich wie er; sie athmete einige Male tief auf und fragte in kaltem, beinahe verletzenden Tone: »Arthur Grattman, hast du die Arbeiter gegen Richardson aufgehetzt? Es würde mir sehr wehe thun, wenn ich dich verachten müßte.«

»Margarethe, es ist nicht so leicht, den Sturm der Leidenschaften zu beschwichtigen, als ihn zu erregen. Wenn ich hätte voraussehen können, daß es so weit gekommen wäre, dann …«

Margarethens kleine Hand umfaßte kräftig den Arm des Vetters.

»Was ist geschehen?« fragte sie mit bebenden Lippen.

»Einer von den am meisten aufgehetzten Arbeitern hat das Wohngebäude zu Qvarndammen angezündet und …«

»Sie verbrannten?« Diese Worte ertönten wie ein Angstgeschrei von den Lippen des armen Mädchens; dasselbe konnte sich nicht mehr auf den Füßen halten, sondern sank auf einen Stuhl nieder.

»Nein, es gelang mir, die Mutter aus den Flammen zu retten,« antwortete Arthur und beeilte sich, Margarethe zu stützen. Sie stieß ihn von sich.

»Aber ihn konntest du nicht retten?« Aus ihren Augen flossen Thränen: sie weinte.

Dies hätte Arthur nicht erwartet. Der Anblick dieser Thränen war für ihn die härteste Strafe, welche er erdulden konnte.

»Er rettete sich selbst,« brachte Arthur mit Mühe hervor.

»Gott sei Dank,« stammelte Margarethe und hielt das Taschentuch vor das Gesicht. Sie weinte lange und heftig. Arthur stand vor ihr und blickte auf das gesenkte Angesicht, in dessen Zügen ein tiefer Schmerz sich ausdrückte.

Nach längerem Schweigen sagte er: »Wie sehr ich jetzt mir selbst Vorwürfe mache, ahnst du nicht; ebensowenig kannst du begreifen, was ich in diesem Augenblick erdulde. Du kannst weder Theilnahme für eine Person haben, noch Vertrauen zu derselben hegen, wenn diese ihren Verstand und ihr Rechtsgefühl derart von Eifersucht blenden ließ, daß sie so handelt, wie ich. Dies ist klar, allein dessen ungeachtet kann ich nicht umhin, dir mein Herz auszuschütten und zu zeigen, worin ich gefehlt habe.«

Margarethe nahm das Taschentuch vom Gesicht und trocknete ihre Thränen.

»Jede Erklärung ist jetzt überflüssig,« sagte sie. »Deine Handlungsweise kann durch nichts entschuldigt werden. Ich wünsche deshalb, daß wir scheiden, ohne ein Wort weiter zu verlieren.«

»Das ist dein Wunsch nicht,« bemerkte Arthur. »Der größte Verbrecher hat das Recht, über die Beweggründe Auskunft zu geben, welche seinen Fall herbeiführten, und du kannst auch mir dieses Recht nicht streitig machen. Wenn ich gesprochen habe, so werde ich gehen und dir nicht eher wieder vor dein Angesicht treten, als bis ich deine Achtung wieder erlangt habe.«

»Dann werden wir wohl jetzt zum letzten Male mit einander gesprochen haben,« versetzte Margarethe.

»Du wirst mich also anhören?« stammelte Arthur.

»Ja.«

Es entstand eine Pause. Der junge Mann stützte den Kopf auf die Hände.

Arthur hätte in diesem Augenblick alle seine irdischen Glücksgüter hingeben mögen, wenn er sich der schmerzlichen, bittern und demüthigen Gefühle hätte erwehren können, welche sein Herz erfüllten und wenn er schuldlos und rein vor ihr gewesen wäre.

Margarethe blickte ihn kalt an. Sie erwartete, daß er sich erklären würde. Sie wollte ihn anhören, weil sie es für ihre Pflicht ansah, aber dadurch sollte das Urtheil über ihren Vetter nicht gemildert werden. Er hatte ihre Achtung verscherzt. Margarethe war überzeugt, daß er, was er auch zu seiner Rechtfertigung anführen würde, die Freundschaft, welche sie früher für ihn gehegt hatte, nicht wieder werde erwerben können.

Endlich erhob Arthur das Haupt und sagte: »Es nützt nichts, daß ich überlege, wie ich meine Worte fassen soll: sie würden dein Herz doch nicht rühren. Es ist deshalb am besten, die Wahrheit reden zu lassen; ich muß jedoch etwas zurückgreifen.

»Durch die Feindschaft unserer Eltern war jede Berührung zwischen dir und mir während unserer Kindheit ausgeschlossen. Du warst mir fremd, als ich dich erstmals in Paris traf. Ich war als ein Verwandter von dir in dem Bankhause, wo du wohntest, gut aufgenommen. Nie werde ich den Eindruck vergessen, den du auf mich machtest. Du schenktest meinen Worten keinen Glauben, als ich von meiner Liebe sprach; aber in diesem Augenblick, wo ich dir auf lange Lebewohl sage, mußt du dies thun. Ich liebte und ich liebe dich. Um deiner würdig zu werden, arbeitete ich meinen Fehlern entgegen, versuchte es, das Leben von einem höheren Standpunkt aus zu betrachten und mich mit deinem Gedankenkreis vertraut zu machen. Wozu nützte dies? zu nichts. Als ich endlich nach Verfluß eines Jahres es wagte, dir zu sagen, wie lieb du mir seist, gabst du zur Antwort, daß du befürchten müssest, meine Liebe sei bei näherer Prüfung nur eine kaufmännische Spekulation. Dadurch hattest du meinem Herzen eine tödtliche Wunde beigebracht. O Margarethe, Margarethe, wie bist du doch so grausam gewesen, und dennoch wiederhole ich in diesem Augenblick, daß ich nie eine Andere liebte und nie lieben werde als dich. Mein Herz wird nicht eher aufhören, für dich zu schlagen, als bis es stille steht …«

»Es ist genug, Arthur!« unterbrach ihn Margarethe.

»Ja, du hast Recht, es sind der Worte genug über Gefühle, welche du nicht verstehst. Du warst über siebenzehn Jahre alt, als du Paris verließest. Einige Tage vor deiner Abreise hatte ich aufs Neue von meinen Gefühlen gesprochen, aber du unterbrachst mich damals, wie jetzt und meintest, ich solle mich für immer enthalten, darüber zu reden. Ich sollte mich mit unserer beiderseitigen Freundschaft begnügen. Noch klingen mir die Worte in den Ohren, welche du halb im Ernst und halb scherzend sprachst: ›Mein bester Arthur, vergiß nie, daß ich meines Vaters einzige Tochter und Erbin bin. Ich werde mit der Zeit dreimal reicher als du.‹ Ich verließ dich, niedergeschmettert von deinen Worten, war aber zu stolz, um dich merken zu lassen, wie tief dieselben mich schmerzten. Trotzdem hatte ich die Hoffnung, daß du eines Tags überzeugt sein werdest, daß ich dich und nicht dein Geld liebe, und ich glaubte, daß früher oder später eine redliche und aufrichtige Liebe zu Tage getreten sein würde.

Du und Fräulein Ekkeberg kehrten zurück, ich aber blieb noch in Paris.

Nach der Trennung von dir sah ich so recht ein, wie sehr du mir am Herzen liegest und wie groß dein Einfluß auf mich sei. Meine von Jugend auf eingesogenen Vorurtheile hattest du und Fräulein Ekkeberg unterdrückt, und ich bekam ganz andere Lebensanschauungen. Ich war jetzt ein besserer Mensch geworden, als ich früher einer war.

Ein halbes Jahr später kehrte auch ich nach Schweden zurück. Mit meinen nächsten Angehörigen stimmte ich nicht mehr überein. Der Hochmuth meines Vaters empörte mich, und die Schwächen meiner Mutter konnte ich nicht ertragen; meine Kindesliebe war nie so groß gewesen, daß sie mich hätte nachsichtig stimmen können. Wenn ich mir auch eine aufgeklärtere Anschauungsweise erworben hatte, so hatte ich mir dennoch keinen christlichen Sinn angeeignet. Mein Benehmen gegen meine Eltern war unverträglich, und ich wollte dieselben hofmeistern. Kurz nach meiner Ankunft in Stockholm begaben wir uns nach Nygarda. In Stockholm hatte man mir gesagt, daß du in Fjellboda seist. Ich hatte dich seit unserer Trennung in Paris nicht wiedergesehen. Ich war ungeduldig, dich zu treffen und machte schon am ersten Tag einen Besuch in Fjellboda. Du empfingst mich so freundlich, daß mir das Herz vor Freude bebte … doch wir wollen nicht darüber reden. Auf dem Heimwege von Fjellboda führte mir der Zufall den Folke Richardson in den Weg. Als wir uns so unvermuthet begegneten und einander in die Augen sahen, lasen wir gegenseitig in unseren Blicken, daß wir uns wieder erkannten. Ich hatte denselben Folke Richardson vor mir, den zu prügeln und zu mißhandeln mir als Jüngling Vergnügen machte. Der Eindruck, welchen er auf mich machte, war unangenehm; ich fühlte Reue über mein früheres Betragen. Aus seinen Gesichtszügen ersah ich den Ausdruck eines Hasses, der sich mit den Jahren bedeutend vergrößert hatte. Als wir an einander vorbeikamen, rief ich mir Alles in das Gedächtniß, was zwischen diesen Leuten und unserer Familie vorgekommen war. Ich erinnerte mich der Gerüchte, welche im Umlauf waren, nachdem Magdalene Papas Haus verlassen hatte; je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr sah ich ein, daß wir großes Unrecht gut zu machen hatten.

Ein Gespräch zwischen mir und meiner Mutter belehrte mich, daß meine Eltern anderer Ansicht seien; dessen ungeachtet aber war ich entschlossen, es zu versuchen, unser Unrecht auf jede Weise gut zu machen. Da führte der Zufall dich, mich und Folke Richardson zusammen. Du interessirtest dich für ihn, was mir schmerzlich war. Meine leicht erregbare Eifersucht erwachte, und als du einige Fragen stelltest, welche erkennen ließen, daß du dem Jüngling Aufmerksamkeit schenktest, so erwachten höchst feindselige Gefühle in meiner Brust. Dein Besuch in der Fabrik und das steigende Interesse, das du dem jungen Fabrikanten entgegenbrachtest, steigerte meine Eifersucht mehr und mehr. Ich suchte durch Arbeit derselben Herr zu werden, es war aber nicht möglich, denn du gabst dieser Eifersucht beständig Nahrung. Ich wurde zuletzt von allem dem Haß beseelt, welchen die Eifersucht einzuflößen vermag und wünschte, diese Leute nöthigen zu können, Schweden zu verlassen, wenn sie sehen würden, daß ihre Existenz daselbst nicht mehr möglich sei. Zu diesem Zwecke setzte ich mich mit unserem ehemaligen Bedienten Fritz ins Benehmen. Ich wußte von früher her, daß man ihn um Geld zu Allem bewegen könne. Er erhielt eine gute Belohnung, damit er die Leute gegen die Fabrikanten aufhetze. Ich kannte übrigens diejenigen nicht, welche ich bekämpfen wollte. Obwohl der Eine ein Greis an Jahren, der Andere ein Jüngling ist, so besaßen sie dennoch eine solche Energie, daß sie um jeden Preis Stand zu halten suchten.

Als die Fabrik aus Mangel an Arbeitern geschlossen war, hielt ich die Besitzer für ruinirt; da ließen Letztere neue Arbeiter kommen. Wüthend darüber, daß mir der Sieg entgehen sollte, gab ich große Summen aus, damit Fritz durch Zureden und Branntwein die alten Arbeiter veranlasse, daß dieselben es versuchen, Richardson zu nöthigen, sie wieder anzunehmen, denn es mußten alle Hilfsquellen der Fabrikanten durch die Einstellung neuer Arbeiter erschöpft sein, und wenn man die Herren hätte nöthigen können, ihre alten Arbeiter wieder anzunehmen, so wäre es unbedingt zum Konkurs gekommen. Mein Beauftragter hatte übrigens einzelne Leute derart aufgewiegelt, daß sie zu Gewaltthätigkeiten schreiten mußten. Hieran hatte ich nicht gedacht. Als der Haufen sich nach Qvarndammen begab, war ich dabei, um zu sehen, wie der Auftritt verlaufen würde. Als ich sah, wie dieser bartlose Jüngling einer ganzen Menge unerschrocken Trotz bot und sich von derselben durchaus nicht einschüchtern ließ, schämte ich mich der Eingebungen meiner Eifersucht und beschloß, eine Nachbarschaft zu verlassen, welche nur dazu angethan war, meine schlimmen Regungen zu verstärken.

Die weiteren Auftritte hatten obrigkeitliches Einschreiten zur Folge, und ich hoffte, das unselige Schauspiel, dessen Urheber ich war, werde zu Ende sein. Ich schickte Fritz in die Hauptstadt, denn ich wollte ihn nicht mehr sehen. Eine unbestimmte Ahnung sagte mir jedoch, daß auf den von mir erregten Sturm ein heftiger Wellenschlag erfolgen werde, und diese Befürchtung veranlaßte mich, jede Nacht einigemal um Qvarndammen herumzustreifen. Auch heute Nacht war dies der Fall. Ich sah selbst, wie Folke Richardson vor der Wohnung seiner Mutter Wache hielt. Als er endlich hineinging, entfernte auch ich mich. In der Nähe begegneten mir einige Kerle, denen ich übrigens keine Beachtung schenkte. Als ich in mein Zimmer zu Nygarda eintrat, sagte der Bediente, welcher meine Lichter anzündete: ›Der Weber-Lars war da und hat den Fritz gesucht; er sagte, daß Fritz heute Nacht mit ihm müsse, um etwas Lustiges zu sehen.‹

›Lustig,‹ wiederholte ich bei mir selbst. Dieser Lars war der Verbissenste unter allen Arbeitern. Was konnte er meinen? Darüber nachzugrübeln, war keine Zeit. Ich befahl dem Bedienten, mir zu folgen, und so ging ich sofort wieder nach der Fabrik zurück. Schon aus der Ferne sah ich die Flamme aus dem Wohngebäude herausschlagen. Bei meiner Ankunft stand dasselbe in vollen Flammen. Nur mit Mühe gelang es mir, die lahme Frau zu retten. Es waren gräßliche Augenblicke, ehe ich die Frau aus dem Zimmer verbracht und mich überzeugt hatte, daß sie noch lebe. Dieselben sind von einem entscheidenden Einfluß auf mein ganzes ferneres Leben. Man muß so etwas Fürchterliches ausgestanden haben, wie die Vorstellung, den Tod eines Menschen durch Verbrennung zu verursachen, um zu begreifen, was ich empfand.

Das Feuer erlosch, ohne die Fabrik zu ergreifen, aber meine Seelenqual erlosch nicht. Nachdem alle Gefahr vorüber war, begab ich mich, von Reue erfaßt, hierher und bitte dich nun, der von mir Geretteten beizustehen. Ich gehe von hier als der Besiegte meines Nebenbuhlers und als ein von dir Verachteter im vollen Bewußtsein, daß du … ihn liebst. Von derjenigen, welche man liebt und anbetet, verachtet zu werden, ist schwerer zu ertragen, als die Gewißheit, daß sie einen Andern liebt. Ich werde gleichwohl diese Strafe ertragen, aber ich werde nicht eher ruhen, als bis ich deine Achtung wiedererlangt habe. Unterdessen lebe wohl, Margarethe.«

Er blieb vor ihr stehen. Margarethe blickte ihn mit ihren hellen Augen an.

War es ihm wohl gelungen, den unvortheilhaften Eindruck seiner schlechten Handlungen abzuschwächen? Hatte er sie zu überzeugen vermocht, wie sehr er sie liebe? Einen derartigen Schluß zu ziehen, war, nach Margarethens Gesichtsausdruck zu urtheilen, nicht möglich. Arthur konnte aus demselben nichts ersehen, was auf Vergessen oder Verzeihung, Mitleid oder Theilnahme schließen ließ. Es war kalt, nur kalt, dieses schöne Gesicht. Er wandte sich von ihr weg und ging auf die Thüre zu. Dort blieb er stehen und stammelte mit bewegter Stimme: »Hat Margarethe kein einziges Wort der Vergebung oder des Vorwurfs für mich?«

»Nein, kein einziges,« antwortete sie.

Arthur öffnete die Thüre und ging hinaus. Eine halbe Stunde später war Margarethe nach Qvarndammen unterwegs.


In der Fabrik wurde gearbeitet, als ob sich während der Nacht nichts von Bedeutung ereignet hätte. Einige Bursche bewachten die rauchende Brandstätte, im Uebrigen aber beschäftigte man sich nicht länger mit der Feuersbrunst. Im Wohnhause war Alles ein Raub der Flammen geworden.

Margarethe trat in das Comptoir ein, wo sie Hundern an seinem Pulte arbeitend antraf. Sein Gesicht strahlte, als er das hübsche Mädchen gewahrte.

»Wie befindet sich Frau Richardson?« fragte Margarethe.

»Besser, als man erwartet hätte,« lautete die Antwort.

»Kann ich sie sprechen?«

»Ja wohl, Fräulein Grattman.« Mit diesen Worten öffnete der Engländer eine Thüre, welche in ein Zimmer vor dem Comptoir führte, das sonst dazu benützt wurde, um die Besuche, die in Geschäften kamen, zu empfangen. Das Mobiliar bestand aus einem kleinen Seegrassopha, einigen Stühlen und einem Schreibtisch. Hier saß Jane auf dem Sopha; sie hatte einen Schemel unter den lahmen Füßen und war mit einem soeben angefangenen Strumpfe beschäftigt. Jane war ruhig, und in ihrem Gesicht hatte der Schrecken keine Spuren zurückgelassen.

»Ah, siehe da Miß Grattman!« rief sie und streckte die Hände nach Margarethen aus. »Immer theilnehmend und bereit, diejenigen zu trösten, welche Sie des Trostes bedürftig halten. Ich danke Ihnen dafür, daß Sie gekommen sind, damit sich meine Augen an Ihrem Anblick erfreuen können.«

Margarethe konnte vor Aufregung nicht sprechen. Schweigend drückte sie Janes Hand und konnte bei dem Gedanken an die Gefahr, welcher dieselbe entgangen war, die Thränen nicht zurückhalten.

Die Freundschaft zwischen der Engländerin und Margarethen war so innig, daß Erstere die Bedeutung dieses stummen Händedrucks vollkommen begriff. Nach kurzer Pause sagte Margarethe: »Ich hoffe, Frau Richardson, daß Sie mich nicht von hier weggehen lassen, ohne mich zu erhören, obgleich Sie meine zweite Mutter abschlägig beschieden haben.«

»Miß Grattman, Sie verstehen mich besser als sonst Jemand, und Sie werden deshalb einsehen, daß ich Fräulein Ekkebergs und Ihr Anerbieten, nach Fjellboda überzusiedeln, nicht annehmen kann.«

»Und warum können Sie dies nicht?«

»Ich würde alsdann nicht jeden Tag meinen Sohn sehen, nicht in seiner Nähe und umgeben von Allem, was ihn interessirt, leben können, sondern in eine mir fremde Welt versetzt werden. Ich würde dies weniger ertragen können, als wirklich schwere Prüfungen.«

»Sie können nicht hier bleiben, Sie haben ja nicht einmal eine passende Wohnung mehr.«

»Ich habe dieses Zimmer. In einer Woche wird ein besseres für mich hergerichtet sein. Meine Bedürfnisse sind gering, meine Gewohnheiten einfach. Glauben Sie indessen nicht, daß ich undankbar bin, weil ich Ihr edelmüthiges Anerbieten nicht annehme.«

Margarethe schwieg. Es schmerzte sie, daß Jane stets die angebotenen Dienste ausschlug.

»Sie sind stolz,« sagte sie, »und deshalb wollen Sie durchaus keine Verbindlichkeit gegen mich haben.«

»Sie haben Unrecht, Miß Grattman. Ich bin nicht stolz, und was meine Verbindlichkeiten gegen Sie betrifft, so habe ich schon längst größere, als diejenigen sein würden, welche durch Ihre Gastfreundschaft für mich entstehen könnten. Glauben Sie denn, daß ich je die Theilnahme vergessen kann, welche Sie mir in allen den Prüfungen, die mich heimsuchten, erwiesen haben? Sprechen Sie nicht davon, daß ich stolz sei. Ich bin in einer Fabrik aufgewachsen, meine Interessen und meine Erinnerungen sind mit der Fabrik verwachsen, wie es mein Herz mit Folke ist. Trennen Sie mich von ihm und von dem Wirkungskreis, in welchem er lebt, so wird alle meine Zufriedenheit verschwinden.«

»In diesem Falle will ich nicht eigensinnig sein, aber Eines müssen Sie mir dennoch gestatten: nämlich, daß ich Ihnen Einiges übersende, was Ihrer jetzigen Wohnung größere Bequemlichkeit verschafft. Wenn Sie es nicht als Geschenk annehmen wollen, so betrachten Sie es bis auf Weiteres als geliehen.«

Jane reichte Margarethen die Hand.

»Ich nehme es als auf zeitlebens geliehen an.«

»Ich danke; Sie bereiten mir eine wahre Freude. Leben Sie wohl; ich eile nach Hause, um dafür zu sorgen, daß Sie heute Abend das erhalten, was Sie brauchen, aber jetzt entbehren.«


Im Speisesaale zu Nygarda frühstückte Florence in Gesellschaft ihrer Tochter und der Gouvernante. Sie hatte zu Arthur hinaufschicken und sagen lassen, daß das Frühstück aufgetragen sei, allein der junge Großhändler war fort und hatte die ganze Nacht zu Qvarndammen verbracht, um beim Feuerlöschen zu helfen. Der Bediente Arthurs hatte sogar berichtet, daß sein Herr eine Frau aus dem brennenden Hause gerettet habe. Der Inspektor wußte zu erzählen, daß der Großhändler früh Morgens in größter Eile nach Hause gekommen, aber sofort wieder weggeritten sei. Dies Alles machte Florence neugierig. Sie fand es höchst auffallend, daß Arthur zu Qvarndammen während des Brandes war.

Was hatte er dort zu schaffen gehabt? Diese Leute hätten das Feuer auch ohne seine Hilfe löschen können!

Gewiß hätte Florence vor Ungeduld Krämpfe und Ohnmachten bekommen, wenn ihre dermalige Umgebung durch ihr Unwohlsein in Bestürzung gerathen wäre. So aber wußte Florence, daß die Sache sich nicht der Mühe verlohne. Agnes und Fräulein Demoin hatten für derlei Schaustellungen keinen Sinn.

Florence entschädigte sich damit, daß sie sich das Frühstück gut schmecken ließ. Das Essen bildet auch einen Zeitvertreib, und Florence liebte Alles, womit man die Zeit tödten konnte, die der Frau manchmal sehr lang vorkam.

Agnes aß nicht viel und war mürrischer Laune. Wenn die Frau Mama mit ihr sprach, so bekam Erstere eine bissige Antwort, und die Gouvernante hielt es für das Räthlichste, keinen Mund aufzuthun. Agnes war schon die ganze Woche so unliebenswürdig gewesen, ohne daß ihre Mama sie durch Thränen und Bitten hätte veranlassen können, sich darüber auszusprechen, was eine solche Unlust verursacht habe. Das Mädchen speiste die Mutter damit ab, daß man es in Ruhe lassen solle und wurde böse, wenn die Mama weiter fragen wollte. Florence mußte zuletzt davon abstehen, ihre selbständige Tochter auszuforschen und statt dessen Vorwürfe von derselben sich machen zu lassen.

Die charakterlose Florence war stets eine schwache Mutter gewesen, und was insbesondere das Mädchen betraf, so that sie Alles, um dessen minder gute Eigenschaften groß zu ziehen.

Schön und eitel, wie Florence war, hatte ein widriges Geschick es gefügt, daß ihre einzige Tochter der Schönheit vollständig ermangelte. Agnes war körperlich klein und schwächlich, von Temperament lebhaft und heftig, launisch und herrschsüchtig dem Charakter nach. Dessen ungeachtet hatte dieses von allem nur denkbaren Egoismus erfüllte Kind einige gute Anlagen, welche, wenn ausgebildet, von unschätzbarem Werthe gewesen wären. Nun aber nahm das Unkraut so überhand, daß diese Saat einer bessern Ernte leicht hätte zerstört werden können. Die unverständige, jeder wahren Menschenwürde ermangelnde Mutter hatte von der frühesten Kindheit des Mädchens an sich darüber beklagt, daß Agnes eine gelbliche Hautfarbe habe, während doch John Grattmans Margarethe blühend aussehe; sie hatte auch gesagt, es sei ein Unglück für Agnes, braunäugig zu sein, da Margarethe blaue Augen habe, ebenso sei es ein Unglück, daß Agnes schwarz von Haaren sei, während die Cousine braunes Haar habe u. s. w. Ferner grämte sich Florence darüber, daß Margarethe eine Schönheit zu werden versprach, während Agnes jede Spur einer solchen entbehrte. Weil Florence so viel über derlei Dinge sprach, so hatte sie bei der Tochter einen gründlichen Widerwillen gegen Margarethe hervorgerufen.

Agnes kannte ihres Onkels Tochter nicht, hatte dieselbe kaum gesehen, allein dessen ungeachtet betrachtete sie Margarethe als diejenige, welche ihr alle äußeren Vorzüge raubte.

Von dem Augenblick an, wo Agnes denken oder verstehen konnte, was gesagt wurde, hatte die Mutter ihrem Kinde Abneigung gegen die Cousine in das Herz eingepflanzt. Weiter lehrte Florence ihre Tochter, stolz auf den Reichthum des Vaters zu sein, so daß sie als reich bedeutend höher sich fühlte, als diejenigen, welche genöthigt waren, sich das Brod zu verdienen. Agnes könne darauf Anspruch machen, in Zukunft die hervorragendste Stellung in der Gesellschaft einzunehmen, was niemals außer Acht zu lassen sei.

Handwerker, Gewerbetreibende und alle diejenigen, welche durch Händearbeit ihren Lebensunterhalt verdienten, gehörten einer solch geringen Volksklasse an, daß sie von reichen Leuten als untergeordnete Wesen behandelt werden müßten: so lauteten der Mutter Lehren, welche in der hochmüthigen und eiteln Seele des Mädchens Wurzel schlugen; allein sie vermochten dennoch das von Natur aus gute Herz nicht gänzlich zu verderben.

Agnes konnte nie einen Armen sehen, ohne ihm von ihrem Ueberfluß mitzutheilen, nie einen Betrübten anhören, ohne ihn zu trösten. Oft, wenn die Mutter einen Dienstboten hart anließ und heftig gegen denselben war, trat das Mädchen zu dessen Vertheidigung auf.

Wenn Florence ihren Mann oder Sohn gegen einen Untergebenen aufzureizen suchte, so wurde Agnes böse, und dann mußte die Mama dem Zornesausbruch Einhalt thun.

Agnes besaß ein stark entwickeltes Rechtsgefühl, welches die Mutter nicht unterdrücken konnte.

Das Mädchen war stolzen Sinnes, aber es lag in ihrem Stolz ein unklares Streben nach etwas Höherem, wodurch sie ein edler Charakter hätte werden können, wenn nur ihre Erziehung eine andere gewesen wäre. An ihre Mutter war sie nicht besonders anhänglich, dagegen liebte sie ihren Vater und ihre Brüder sehr.

Tom hatte in seiner frühesten Jugend die Heimat verlassen, aber sein Andenken wurde von der Schwester werth gehalten. Sie konnte mit der Mutter zanken, wenn diese nicht mit ihr von dem abwesenden Sohne sprechen wollte. Ab und zu konnte sie darüber weinen, daß der Bruder nicht nach Hause schrieb. Wenn die Mutter irgendwie sich mißbilligend darüber aussprach, daß Tom Seemann geworden war, so wurde Agnes gleich böse, und Florence mußte nach derartigen Auftritten das tyrannische Töchterlein durch Geschenke und Vergnügungen wieder besänftigen.

Nachdem Arthur aus dem Ausland zurückgekehrt war, wurde er der Abgott der Schwester. Sie behandelte Vater und Mutter als untergeordnete Personen, allein Arthur war für sie der beste, der vollkommenste unter den Menschen. Die Schwester liebte ihn leidenschaftlich: sie war auf Alle, für die sich der Bruder interessirte, eifersüchtig.

Agnes mußte unzählige Thränen vergießen, weil er so oft zu Margarethen fuhr, und die Abneigung gegen die Cousine steigerte sich dadurch bis zu einem solchen Grad, daß man leicht voraussehen konnte, es werde diese Abneigung das ganze Leben hindurch fortdauern.

So war Agnes im Alter von dreizehn Jahren. Soviel ließ sich von ihr vorhersagen, daß ihre guten Anlagen unter Mamas fortdauerndem Einfluß unterdrückt und die selbstsüchtigen Triebe entwickelt werden mußten. Sie konnte eine gute und edle Frau zu werden versprechen, aber auch zu einer herrischen, hochmüthigen und selbstsüchtigen jungen Dame heranwachsen, welche der Befriedigung ihrer Wünsche gar Alles zu opfern im Stande hätte sein können.

Wir wollen es übrigens der Zukunft anheimstellen, wie die Würfel des Schicksals fielen und beschäftigen uns anstatt dessen damit, was sich zutrug, nachdem Florence ihr Frühstück beendigt gehabt hatte.

»Agnes hat heute keine Lektion,« sagte Florence, als sie in den kleinen Salon eintrat; »sie muß mir auf der Spazierfahrt, welche ich zu machen gedenke, Gesellschaft leisten.«

»Ich will aber nicht mit Mama ausfahren,« bemerkte Agnes und ergriff die Hand des Fräuleins Demoin; »kommen Sie,« fügte sie hinzu: »ich habe es Arthur versprochen, nie eine Lektion zu versäumen, wenn ich gesund bin. Mama muß allein ausfahren.«

Die Erzieherin war unschlüssig, wem sie gehorchen solle: der Frau, welche einen bestimmten Befehl aussprach, oder dem Mädchen, welches sich diesem Befehl widersetzte.

Zum Glück für Fräulein Demoin trat Arthur in diesem Augenblick ein und befreite sie aus dieser Verlegenheit. Durch den Eintritt Arthurs gerieth Florence auf andere Gedanken, und sie rief aus: »Mein Gott, Arthur, wo bist du gewesen? ich habe nach dir fragen lassen.«

Diese Frau, welche sonst nur für den Augenblick lebte, war jetzt so begierig zu erfahren, warum ihr Sohn zu Qvarndammen während der Feuersbrunst gewesen sei, daß sie nicht gewahr wurde, wie blaß Arthur aussah. Agnes bemerkte es jedoch und eilte auf ihn zu mit dem Ausruf: »Bist du krank, Arthur?« Dabei ergriff sie seinen Arm; er aber schob sie sanft bei Seite mit den Worten: »Ich bin nicht krank, ich bin aufgeregt. Gehe, Agnes, ich habe etwas mit der Mutter zu sprechen.«

»Kommst du dann zu mir herauf?« fragte Agnes.

»Ich komme, um dir Lebewohl zu sagen, ehe ich abreise.«

»Reisest du ab?« riefen Mutter und Tochter gleichzeitig.

»In einigen Stunden. Gehe, Agnes,« wiederholte Arthur in einem Tone, der etwas ungeduldig war; »ich habe keine Zeit zu verlieren.«

Agnes ging; Arthur schloß die Thüre hinter ihr zu.

Florence, welche die Absicht gehabt hatte, ihren Unmuth darüber, daß ihr Sohn bei der Rettung während des Brandes mithalf, Luft zu verschaffen, war jetzt nicht dazu aufgelegt, ihm Vorwürfe zu machen. Er sah so streng und ernst aus, daß ihr schwach zu Muth wurde; sie fand es nicht am Platz, daß er die Thüre geschlossen hatte, was sie nicht verhehlen konnte.

»Warum schließest du uns ein?« fragte sie.

»Aus dem Grund, weil ich einige ernste Worte mit dir zu sprechen habe,« gab Arthur zur Antwort; »ich werde mich so kurz als möglich fassen. Die Mama hegt ja einen solchen Groll gegen Richardson und will, daß mein Vater und ich denselben theilen sollen. Die eigentliche Ursache kenne ich genau, und ich werde mich deshalb nicht darüber aussprechen, sondern ich beschränke mich auf die Erklärung, daß die Mama alle Versuche unterlassen muß, den Papa gegen den jungen Richardson aufzuhetzen. Vergiß, daß er da ist, sprich nie von ihm und denke nicht an ihn. Ich verlange dies, wofern Mama nicht will, daß ich es mache wie Tom und auf die See gehe.«

»Du scheinst demnach diese Menschen nicht zu hassen!« rief Florence aus; »du kannst es also ertragen, daß Magdalenens Enkel mit der Zeit ein ebenso reicher Mann wird, wie du?«

»Es handelt sich da nicht um mich, sondern um die Mama,« unterbrach sie Arthur. »Bei dem ersten Worte, das du in der Absicht, Richardson zu schaden, zu Papa sagst, gehe ich als einfacher Matrose auf ein Kauffahrteischiff. Es mag genug sein an dem Unheil, das unser Bestreben, Richardsons zu schaden, angerichtet hat. Jetzt muß dies aufhören. Es ist uns gelungen, die Sache so weit zu treiben, daß die Fabrik heute Nacht angezündet worden und es mir nur durch eine günstige Fügung des Schicksals gelungen ist, zu verhindern, daß eine Frau der Flamme zum Opfer fiel. Wenn Richardsons auf einer genaueren Untersuchung über die Entstehung des Brandes bestehen, so wird der Verdacht unwillkürlich auf die entlassenen Arbeiter sich richten, und dann kommt es an den Tag, daß die Familie Grattman die Aufwieglerin und die eigentliche Urheberin der Vorfälle gewesen ist, welche die Brandstiftung zur Folge gehabt haben. Mama wird hieraus ersehen, daß wir uns zurückziehen müssen. Gott ist gerecht; er läßt nicht zu, daß wir fortwährend Diejenigen verfolgen, welche wir allen menschlichen Rechtsbegriffen nach zu beschützen schuldig sind.«

Florence hielt das Taschentuch vor die Augen. Was konnte sie anders thun als weinen? Sie erlag beinahe ihrem Schmerz.

»Keine Scenen!« rief Arthur aus, »sie führen zu nichts. Ich verlasse Nygarda sofort, um mich in die Hauptstadt zu begeben und bitte die Mama, mich mit ihren nervösen Anfällen zu verschonen. Befolge lieber meinen Rath, und reise so bald als möglich von hier ab. Erwarte nicht, daß Papa dich abholen werde, er wird es nicht thun, soweit ich etwas zu sagen habe.«

Arthur verließ den Salon, ohne ein Wort weiter zu verlieren. Als er fort war, brach Florence in heftiges Schluchzen aus. Ihre Eitelkeit und ihr Hochmuth waren verletzt.

Florence gehörte übrigens nicht zu den Leuten, welche leidenschaftlichen Gefühlen in ihrer Brust Raum zu geben vermögen. Haß und Liebe waren ihr gleich unbekannt. Diese beiden Leidenschaften fanden sich in ihrer kleinlichen Seele verkümmert vor: die eine als ganz gewöhnliche Bosheit und die zweite als ein selbstsüchtiges Bedürfniß, Andere für Florence sich aufopfern zu sehen.

Nachdem sie eine Weile geweint hatte, trocknete sie ihre Thränen ab. Es fiel ihr ein, daß von den Thränen die Augen geröthet werden und daß sie auf einen Ball zu Baron X. müsse. Es war also nicht thunlich, ein verstörtes Aussehen zu zeigen.


Agnes lag auf einem Sopha ausgestreckt und buchstabirte aus einem französischen Buche, welches sie in der Hand hielt, als Arthur die Thüre aufmachte und nach seiner Schwester rief. Das Buch wurde auf den Boden geworfen, so daß es vor Fräulein Demoins Füßen niederfiel. Agnes selbst eilte aus dem Zimmer.

»Was für ein abscheuliches Ding dieses Mädchen ist,« murmelte Fräulein Demoin, hob das Buch auf und schleuderte es auf einen Tisch. »Wenn ich nicht so gut bezahlt wäre, so bliebe ich keinen Tag bei diesen dummen und hochmüthigen Menschen.«

Während die Erzieherin ihr Selbstgespräch über die Familie zum Besten gab, sprang Agnes durch die Galerie ihrem Bruder nach und trat mit demselben in seine Zimmer ein.

»Ist es wahr, daß du abreisen willst?« fragte Agnes.

Arthur deutete auf den Bedienten, welcher im Schlafzimmer des Ersteren stand und dessen Kleider einpackte.

»Dann will ich nicht mehr länger hier bleiben,« erklärte Agnes und setzte sich ihrem Bruder auf den Schooß.

»Mama wird binnen kurzer Zeit von Nygarda abreisen,« sagte Arthur, »und du mußt mir versprechen, so lange noch hier zu bleiben. Hast du mir sonst noch etwas sagen wollen?« fragte er und fuhr mit der Hand über seine kalte, bleiche Stirne.

»Ja, noch etwas;« bei diesen Worten umarmte Agnes den Bruder. »Ich war die ganze Woche über sehr, sehr betrübt,« setzte sie hinzu und schmiegte ihren Kopf an seine Wangen.

»Und worüber?«

Nur mit Mühe konnte Arthur seine Gedanken auf das richten, was seine Schwester sagte.

»Darüber, daß die Leute in der Fabrik da unten dem Eigenthümer Böses thun wollten. Arthur, ich mußte so erschrecken, als sie ihn umtobten, daß ich gewiß meinen Schrecken nie mehr vergessen kann.«

»Du!« Arthur blickte in das gelbliche Gesichtchen. »Wie konnte dieser Auftritt dich erschrecken?«

»Ich und Fräulein Demoin fuhren vorüber, als die Leute ihr Unwesen am ärgsten trieben.«

»Ach, es ist wahr, ihr waret bei Stales. Aber, Agnes, du hättest bei diesen Vorfällen nicht nöthig gehabt, zu erschrecken: die Sache ging ja nur die Besitzer von Qvarndammen an.«

»Ja wohl, ich weiß es, und ich weiß auch, daß es elende Menschen sind, welche verdienen, daß alle böse über sie sind; aber dennoch ist mir etwas leid.«

»Laß hören, was es ist.«

»Fräulein Demoin behauptete, sie habe dich in jenem Abend unter den Arbeitern gesehen, und Mama hat gesagt, du werdest Richardson für all das Schlimme, das er uns angethan hat, zu Grunde richten. Ich will nicht, daß du ihm Böses thust, denn er hat mich ja vor dem Ertrinken gerettet. Wenn er auch schlecht ist, so hat er mir doch das Leben gerettet, und deshalb, Arthur, kann es nicht wahr sein, daß du auch unter den Leuten gewesen bist, welche ihn bedroht haben. Sage mir, daß es nicht so war, und ich bin wieder zufrieden.«

»Das kann ich dir bestimmt sagen,« antwortete Arthur, allein seine Wangen waren stark geröthet.

»Du hast auch nicht zu dem Brand von heute Nacht aufgehetzt?« Bei diesen Worten streichelte Agnes ihrem Bruder die Wangen und sah ihm prüfend ins Gesicht.

»Mit nichten, aber ich habe bei diesem Unglück seine Mutter vor dem Verbrennen gerettet. Dies wird dir recht sein.«

Agnes war mehr als zufrieden; sie war entzückt und bedeckte das Gesicht ihres Bruders mit Küssen.

»Arthur,« sagte sie, »ich kann den Richardson gar nicht leiden, und es ist mir eine wahre Freude, daß er dir die Rettung seiner Mutter zu verdanken hat; jetzt sind wir ihm also nichts mehr schuldig. Ich hätte Tage und Wochen lang weinen müssen, wenn es wahr gewesen wäre, daß du ihm zu schaden gesucht hättest; aber nicht deshalb, weil es um den unangenehmen Menschen schade, sondern weil es unrecht von dir gehandelt gewesen wäre. Es war mir stets ärgerlich, daß gerade er mich am Kleide zurückgehalten hat, als ich beinahe in den Wasserfall gestürzt wäre; aber da dies nun einmal der Fall war, so mußte der Dienst bezahlt werden, und dies hast du jetzt gethan. Gott sei Dank!«

»Wenn du nur Recht hättest,« flüsterte Arthur seufzend, küßte Agnes auf die Stirne und setzte sie wieder von seinem Schooß ab.

Einige Stunden später fuhr Arthur von Nygarda ab. Er sah ernst aus, als er sich nach dem letzten Abschiedsgruß von seiner Schwester in eine Ecke des Wagens zurücklehnte.


Margarethe hatte den Folke nach dem Brande nicht mehr getroffen. Als sie seine Mutter besuchte, um derselben den möglichsten Beistand anzubieten, war er bereits in Geschäften nach der Stadt gereist. Es vergingen einige Tage, ohne daß Margarethe die Thalbewohner besuchte. Hundern hatte einen Besuch in Fjellboda gemacht und mitgetheilt, daß der Brand für Folke in seiner jetzigen ökonomischen Bedrängniß ein Glück zu nennen sei. Das Haus sei sehr hoch versichert gewesen und es werde sich Folke durch die Entschädigungssumme aus seiner Verlegenheit helfen können. Es solle kein neues Wohnhaus erbaut werden; man würde sich vielmehr darauf beschränken, über dem Comptoir eine Wohnung für die Mutter einzurichten.

Als Hundern, nachdem er Margarethen dies mitgetheilt hatte, weggegangen war, setzte sich Letztere zum Schreiben nieder. Wir nehmen uns die Freiheit, den Inhalt ihres Briefes wiederzugeben:

 

»Arthur! Es ist drei Tage her, seitdem du mich verlassen hast, ohne daß ich dir ein einziges freundliches Wort zu sagen vermocht hätte.

Ich sage: vermocht, weil ich es doch gerne gethan hätte, aber mein verletztes Rechtsgefühl hielt mich davon ab.

Jetzt verhält es sich anders.

Die größten Fehler können vergeben, die größten Verbrechen gesühnt werden, und es gibt keinen Menschen, der das Recht hätte, eine unversöhnliche Strenge walten zu lassen. Auch ich bin nicht dazu berechtigt. Das will ich nicht vergessen und deiner ohne Groll gedenken.

Du wollest nicht ruhen, hast du gesagt, als bis du meine Achtung wieder erworben habest. Halte diesen Vorsatz, und meiner Achtung wird meine Freundschaft folgen.

Nun wollen wir von dem Unglück reden, welches du verursacht hast.

Wenn die Begebenheiten an und für sich selbst auch ohne Einfluß auf dich geblieben wären, so hätten doch deren Folgen dich zur Erkenntniß genöthigt, daß ein gerechter und allmächtiger Gott über den Verfolgten wacht.

Prüfen wir ein wenig die Vergangenheit, so ersiehst du aus derselben, daß das Geld, wenn es dazu mißbraucht wird, unsere niedrigeren Leidenschaften zu befriedigen, stets unseren Wünschen entgegengesetzte Ergebnisse herbeiführt.

Du hast ungeheure Summen hinausgeworfen, um die Besitzer von Qvarndammen zu ruiniren. Was war das Resultat davon?

Daß Richardson und sein Theilhaber Vortheile errangen, welche sie sonst nie erlangt hätten.

Es liegt in dem Prinzip des Bösen, gerade Denjenigen zu treffen, welcher sich desselben bedient.

Auch hievon liefert die Vergangenheit Beweise.

Durch deines Vaters Härte gegen Magdalenens Sohn verlor dieser seine erste Frau. Das war ein niederschmetternder Schlag für den jungen Arbeiter.

Der Onkel war reich und konnte sich erlauben, grausam zu sein. ›Wer kümmert sich darum, ob die Frau des Tischlergesellen lebt oder todt ist?‹ dachte dein Vater. Er täuschte sich.

Es ist Niemand so gering, daß er nicht schaden könnte. Auch steht Niemand so hoch, daß ihn die allgemeine Verachtung nicht erreichen würde.

Du weißt ja, daß die letzten zwölf Jahre nicht hingereicht haben, das Gerücht verstummen zu machen, das der Tischlergeselle in der Hauptstadt verbreitete, als habe dein Vater der armen Frau das Leben genommen. Dieses Gerücht wird stets dem Namen deines Vaters anhaften.

Du, Arthur, hättest es dir sollen zur Warnung dienen lassen, du, der du fortgingst, um nicht fortwährend dieses Gerücht hören zu müssen; allein auch du bist der Meinung gewesen, daß, wenn man Geld habe, man sich ungestraft Alles erlauben könne, was die Leidenschaft eingibt.

Du wärest jetzt unbedingt kompromittirt, wenn dein Feind nicht so edelmütig gewesen wäre und den Mordbrenner Lars Erikson fortgeschafft hätte. Es ist durch Zeugen hinlänglich bewiesen, daß Lars der Urheber des Brandes war; aber man hat den Thäter nicht beibringen können, und so hat man auf die Aussagen verzichten müssen, welche er zu machen imstande gewesen wäre.

Wie es dir in Zukunft gelingen wird deine indirekte Theilnahme in der Angelegenheit geheim zu halten, ist eine Sache, welche du mit dem Bedienten Fritz auszumachen hast. Zunächst hat Richardson wenigstens deinen Ruf gerettet.

Gestehe es nur zu, daß der Schlag, den du deinem Gegner zugedacht hattest, dich selbst getroffen hat.

Du bist siebenundzwanzig Jahre alt. Du hast eine lange Zeit vor dir und Vieles gut zu machen. Versuche es, durch Strenge gegen dich selbst den Fleck abzuwaschen, womit du deine Ehre verunziert hast; dies ist die Bitte, welche dir zugeflüstert wird von

Margarethen.«

 

Der Brief war gerade beendigt, als Signe vom Balkon der Briefschreiberin zurief: »Der Fabrikant Richardson läßt fragen, ob du ihn empfangen willst.«

Margarethe erhob sich rasch. »Habe ich richtig gehört? Sagtest du: Richardson?« fragte sie mit erröthenden Wangen.

Signe deutete auf die Dienerin, welche unter der Thüre stand.

»Es war also der Fabrikant Richardson, den du angemeldet hast?«

»Ja, der Besitzer von Qvarndammen.«

»Er ist willkommen,« erklärte Margarethe und trat in den Salon ein, wo Signe an einem Fenster saß und häkelte. Die beiden sprachen in der kurzen Zwischenzeit, welche vor dem Eintreten des Gastes verfloß, kein Wort mit einander.

Die Thür ging auf und wieder zu. Folke Richardson hatte die Schwelle eines Grattmanschen Hauses betreten. Er stand da, wie wenn er einige Zeit gebraucht hätte, um sich mit dem Gedanken, daß er diese Schwelle freiwillig betreten habe, vertraut zu machen; alsdann ging er auf Signe zu, begrüßte sie freundlich und drückte in einigen Worten seinen Dank dafür aus, daß sie seiner Mutter eine solche Theilnahme erwiesen habe. Hierauf wandte er sich an Margarethe. In jedem seiner Züge stand geschrieben, wie schwer es ihm falle, das schöne Mädchen zu begrüßen. Er sprach dessen ungeachtet mit heller, ungezwungener Stimme: »Es fehlen mir die Worte, um Fräulein Grattman meine Erkenntlichkeit auszudrücken, obgleich ich dies schon lang hätte thun sollen …«

»Herr Richardson,« unterbrach ihn Margarethe und reichte ihm die Hand, »Sie sind mir keinen Dank schuldig. Die herzliche Freundschaft, welche ich für dieselbe hege, wäre befriedigt gewesen, wenn es mir verstattet worden sein würde, solche anders als durch Worte an den Tag zu legen. Ich höre es deshalb nicht gerne, wenn Sie von Erkenntlichkeit sprechen. Was mich immerhin von Herzen freut, ist, daß ich Sie in meiner eigenen Wohnung bewillkommnen kann.«

Folke drückte schnell die ihm. dargereichte Hand, verbeugte sich und nahm auf dem ihm von Margarethen angewiesenen Stuhle Platz.

Mit der Leichtigkeit, welche durch den häufigen Umgang mit Menschen erworben wird, leitete Margarethe ein Gespräch über Gegenstände ein, für welche Folke sich interessiren mußte. Zuerst sprach sie von den englischen Fabriken und wünschte, Folke möchte ihr deren Einrichtung beschreiben. Sie hatte somit einen Gegenstand berührt, der für ihn von Interesse war.

»War Fräulein Grattman in England?« fragte Folke.

»Nur kurz auf Besuch, aber ich bin mit dem, was für und wider die großen Fabriken geschrieben worden ist, auf dem Laufenden,« sagte sie. »Wenn ich ein Mann wäre, so hätte ich mein Geld vielleicht auch in einer größeren Fabrik angelegt, aber ich hätte dieselbe anders eingerichtet, als es im Allgemeinen bei den Fabriken der Fall ist.«

Folke fragte halb lächelnd, was sie denn an den Fabrikeinrichtungen auszusetzen habe. Man konnte es ihm im Gesicht ansehen, daß er auf eine Antwort gefaßt war, wodurch der Mangel praktischer Anschauung Seitens der jungen Dame zu Tag getreten wäre.

»Ehe ich diese Frage beantworte,« bemerkte Margarethe, »wünschte ich von Herrn Richardson zu hören, ob der Fabrikbetrieb, wie er jetzt ist, von gutem oder schädlichem Einfluß ist.«

»Je entwickelter die Industrie eines Landes ist, desto größer ist sein Wohlstand. Wenn alle Arbeit finden können, so ist das Wort Armuth ohne Bedeutung. Die Fabriken bedeuten Arbeit im Großen und können daher nur von segensreicher Wirkung sein.«

»Erlauben Sie mir eine Einwendung. Die Fabriken sind eine Einrichtung, bei welcher man mit Maschinen und einem möglichst kleinen Arbeiterpersonal die größten Ergebnisse erzielt.«

»Gewiß, aber um eine Fabrik mit Maschinen zu betreiben, müssen solche angefertigt werden, und dadurch haben wir Beschäftigung für weit mehr Leute, als die Zahl derer beträgt, welchen durch die Maschinenarbeit Eintrag geschieht. So werden zum Beispiel zur Einrichtung einer Spinnerei, Weberei oder einer sonstigen Fabrik ganz beträchtliche Arbeitskräfte erfordert, und auf diese Weise sind Erfindungen und Arbeitstheilung nur eine Arbeitsgelegenheit. In allen Ländern, wo die Fabriken floriren, ist auch großer Wohlstand. Wir brauchen nur auf Belgien zu sehen.«

»Es mag sein; ich kann und will dies nicht bestreiten, aber ich muß gleichwohl die Frage aufwerfen, ob nicht der materielle Vortheil auf Kosten der moralischen Entwicklung gewinnt. Hat wohl der Fabrikbesitzer mehr als nur ein Interesse?«

»Diese Frage kann unmöglich beantwortet werden, wofern sie nicht bestimmter gefaßt wird,« erklärte Folke. »Zuerst muß ich wissen, welches Interesse das Fräulein meint.«

»Das des Geldes,« antwortete Margarethe mit Nachdruck. »Bei Anlage einer Fabrik ist der Hauptzweck der, daß das Unternehmen den größtmöglichen Gewinn abwirft; nicht wahr?«

»Natürlich. Ohne diese Absicht könnte keine industrielle Unternehmung zu Stande kommen.«

»Somit ist der Gegenstand Ihres Strebens, durch die Fabrik zu Qvarndammen soviel zu verdienen, daß Sie mit der Zeit ein reicher Mann werden?«

»Ich gebe es zu.«

»Ihr ganzes Interesse und Ihre ganze Thätigkeit sind demnach auf diesen Zweck gerichtet?«

»Das muß ja so sein; wenn dem nicht so wäre, so würde es nichts nützen, sich in derartige Unternehmungen einzulassen.«

»Aber es sollte noch ein anderes Interesse da sein, welches mit dem egoistischen so Hand in Hand geht, daß eines vom andern nicht getrennt werden sollte.«

»Ich verstehe nicht recht, worauf das Fräulein anspielt.«

»Ich habe die Arbeiter im Auge, diese lebendigen Werkzeuge, deren man sich bedient. Haben Sie nie an dieselben gedacht? Haben Sie nicht selbst eingesehen, daß Sie gegen dieselben Pflichten haben und für die Erfüllung dieser Pflichten dem Höchsten verantwortlich sind?«

»Ich bin noch zu jung, um auf diese Fragen eine befriedigende Antwort zu geben. Ich glaube übrigens, daß die Arbeiter zu Qvarndammen keinen Grund zur Klage haben. Wir wollen die Meuterei, welche unlängst stattgefunden hat, aus dem Spiele lassen, denn dieselbe war von anderer Seite angestiftet und keine freiwillige That der Arbeiter; wir wollen jetzt dieselben Leute, nachdem sie sich beruhigt haben, fragen, ob sie uns nachsagen können, wir seien unbillige oder ungerechte Arbeitgeber gewesen.«

»Was verstehen Sie unter guter Behandlung der Fabrikarbeiter?«

Folke blickte Margarethe an, wie wenn er hätte prüfen wollen, ob sie die Absicht habe, eine Beleidigung auszusprechen.

»Habe ich nötig, eine Erklärung hierüber abzugeben?« fragte er.

»Ich bitte Sie darum; aber,« setzte sie lächelnd hinzu, »vielleicht ziehen Sie vor, daß ich den Ausdruck nach der gewöhnlichen Auffassung der Fabrikanten erkläre?«

»Das wäre sehr interessant zu hören,« versicherte Folke.

»Nun gut; in der besten Fabrik hat man doch keine höhere Anschauung in dieser Beziehung, als daß Alles darauf ankomme, ob die Leute hinreichend bezahlt seien, daß man nicht mehr als eine zehn- oder zwölfstündige Arbeitszeit täglich verlange und darauf sehen müsse, daß Völlerei und Unordnung so wenig als möglich unter den Arbeitern vorkomme. Ein Arbeitgeber, welcher nach diesen Grundsätzen handelt, hätte damit allen Anforderungen Genüge geleistet.«

»Dies würde auch ich zu behaupten mir erlauben,« meinte Folke.

»Aber ich thue dies nicht!« rief Margarethe mit einer ihrem ruhigen Wesen ungewöhnlichen Lebhaftigkeit aus. »Was hat denn der Arbeitgeber weiter gethan, als pünktlich und vollständig die materiellen Pflichten erfüllt; hat er nicht auch einige moralische Verpflichtungen? Haben Sie, Herr Richardson, bei ihren Wanderungen durch die Fabriksäle niemals einen prüfenden Blick auf die Männer, Weiber und Kinder gerichtet, welche Sie beschäftigen? Wenn Sie dies nicht gethan haben, so konnten Sie gewiß auch nicht erstaunt sein über den matten, müden und geistlosen Ausdruck in ihren Gesichtern. Sie wandern rasch durch diese Säle und halten sich nicht länger darin auf, als nothwendig ist, weil das Geräusch störend auf Sie einwirkt und weil Sie sich erleichtert fühlen, wenn Sie aus all diesem Lärm hinauskommen. Glauben Sie nicht, daß dieser Lärm, dieses ununterbrochene Hinstarren auf das Gewebe geisttödtend auf Diejenigen einwirken muß, welche Tag für Tag genöthigt sind, sich dieser beschwerlichen Arbeit zu unterziehen? Sie halten die Leute für glücklich, weil sie von Ihnen gut bezahlt werden, aber Sie haben sich nie weiter um deren Lage bekümmert. Sie geben den Leuten einen guten Lohn, die Arbeit derselben scheint nicht anstrengend zu sein, und Sie bedenken nicht, wie es um Ihre geistige Beschaffenheit stehen würde, wenn Sie genöthigt wären in diesen Sälen zu arbeiten. Ihr ganzes Denkvermögen würde ertödtet werden, wenn Sie Tag für Tag auf das Gewebe achten müßten. Sie mit Ihrer Gemütsart und Ihrem Charakter würden endlich ein Narr werden, und wenn auch die Geisteskräfte dieser armen Leute nicht dieselbe Thätigkeit erfordern, wie die Ihrige, so müssen die Arbeiter doch so abgestumpft werden, daß sie sich in lebende Maschinen verwandeln. Sie müssen als moralische und gesittete Wesen gänzlich zu Grunde gerichtet werden. Ist dies nicht ein so trauriger Umstand, daß der Fabrikant sich beunruhigt fühlen muß und zu bedenken genöthigt ist, inwieweit er seinen Pflichten gegen die Nebenmenschen gerecht wird, wenn er dieselben zu Idioten macht? Wenn er dieselben so lange ausgenützt hat, bis sie arbeitsunfähig geworden sind, so entledigt er sich derselben, und die Armenpflege mag dann für die Untauglichen sorgen, während er sich neue Arbeitskräfte verschafft, um solche auf die gleiche selbstsüchtige Weise auszubeuten.«

»Dieser Schilderung nach,« wandte Folke ein, »müßte man alle Fabriken zerstören und die langsame, wenig Nutzen abwerfende Handarbeit wieder einführen.«

»Durchaus nicht; die Fabriken mögen floriren, denn sie machen, wie Sie sagen, den Wohlstand der Länder aus; aber der Fabrikant sollte bedenken, daß das Geld nicht Alles ist, und daß der Gewinn nicht ausschließlich das Ziel des Strebens bilden soll. Der Unternehmer muß die Pflichten gegen die Geschöpfe, welche seine Interessen befördern, hiemit in Übereinstimmung bringen.«

»Was kann er aber mehr thun, als die Arbeiter gut bezahlen und behandeln?«

»Er muß für deren moralische Entwicklung besorgt sein. Er besitzt kein Recht, ihre ganze Existenz auf die Fabrik zu beschränken.«

»Um allen diesen Unzuträglichkeiten vorzubeugen, würde es Ihrer Ansicht nach also nur ein Mittel geben?«

»Ja, ein sehr einfaches. Setzen Sie die Arbeitszeit von zehn und zwölf Stunden auf acht herab. Richten Sie in jeder Fabrik eine Schule ein, und theilen Sie die Ruhestunden so ein, daß sie länger werden und für irgend eine abwechselnde Beschäftigung verwendet werden können. Alle Kinder, welche in der Fabrik arbeiten, müssen jeden Tag eine gewisse Zeit zum Schulbesuche übrig haben; die älteren sollten zum Lesen und selbst zu andern Beschäftigungen angehalten werden. Die Verbreitung nützlicher religiöser und moralischer Lektüre bildet ein Hauptmittel geistigen Fortschritts; harmlose und anständige Belustigungen machen eine Belohnung des Fleißes aus, denn die Zerstreuung ist von großem Nutzen. Der Mensch ist von Natur derart beschaffen, daß es ein Bedürfniß für ihn ist, aus dem Becher der Freude zu trinken; durch beständige Frohnarbeit um das tägliche Brot verliert er alle innere Energie. Ermangelt er eines unschuldigen Zeitvertreibs, so kann man sicher sein, daß er thierischen Belustigungen sich hingibt. Und nun habe ich so viel gesprochen, daß Herr Richardson mich wohl nicht mehr länger anhören mag.«

»Ich hätte wohl nicht gedacht,« sagte Folke, »daß meine Verbindlichkeit gegen Sie noch größer werden würde; aber durch Ihre Unterhaltung ist diese Verbindlichkeit noch einmal so groß geworden. Ich werde lange an dieses Gespräch denken.«

Folke erhob sich, um zu gehen.

»Ach, Herr Richardson,« bemerkte Margarethe, »wenn das, was ich sagte, wirklich verdient, beherzigt zu werden, so thun Sie dies. Vergessen Sie, daß die Sprecherin weiblichen Geschlechtes ist, und nur nach dem Gefühle urtheilt.«

Folke verbeugte sich, und Margarethe reichte ihm die Hand, indem sie hinzusetzte: »Sie hassen wohl den Namen, welchen ich führe, nicht mehr?«

»In jener Nacht, wo meine Mutter den Flammen entrissen worden ist, ist mein Haß in dem brennenden Hause geblieben und mit demselben verschwunden,« gab Folke zur Antwort.

»Dann wird auch Gott ihre Unternehmungen segnen.«

Folke entgegnete hierauf bloß mit einer neuen Verbeugung.


Dieses Gespräch sollte einen großen Einfluß auf Folkes inneren Menschen haben.

Er war, um es gleich zu bemerken, wie verblüfft, ein solch junges Mädchen in dieser Weise sprechen zu hören. Ihr klarer, heller Verstand blendete ihn so zu sagen, so daß ihm sein eigener niedriger Bildungsgrad zum Bewußtsein kam. Er erlangte die feste Überzeugung, daß er ihr ähnlich werden müsse.

Als er bei seiner Nachhausekunft zu Jane hereintrat, fragte ihn diese: »Nun, was hältst du jetzt von Fräulein Grattman?«

»Sie ist eine ausgezeichnete Person.«

»Gewiß ist sie dies,« pflichtete ihm Jane bei; »aber nicht das ist es, weshalb ich sie bewundere, sondern es ist um ihres Herzens willen.«

Folke schwieg. Er mußte sich selbst fragen, ob er Margarethe nicht für einigermaßen überschwänglich halten solle.

»Du hast vorher nie bemerkt, daß sie schön ist, allein jetzt thust du dies gewiß,« fuhr die Mutter fort.

»Nein, meiner Meinung nach ist sie es nicht,« entgegnete Folke. »Wenn man mit Fräulein Grattman spricht, so ist man durch die Unterhaltung mit ihr so eingenommen, daß man ihr Aussehen ganz außer Acht läßt, und wenn man ihre regelmäßigen Züge in Betracht zieht, so muß man die Lebhaftigkeit in denselben vermissen. Ihre Augen sind schön, was Farbe und Form derselben anbelangt, jedoch zu hell und durchdringend. Sie sind so blau, daß sie dem Himmel ähnlich sind, aber gleich demselben geben sie keine Antwort auf die Frage, welche man an sie richtet.«

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