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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Entsagung

Es war am andern Morgen. Die Frühsonne schien heiter und warm auf den Hof von Haus Gohr und legte ihren goldenen Schein auf die üppigen Rebenblätter, welche die kleine Veranda vor dem alten Herrenhause bedeckten. Unter dieser Veranda saßen zwei Männer; der eine in schwarzem Hauskäppchen und dunkelm Schlafrocke, der andere in einem bequemen, grünen Jagdrocke, das ausdrucksvolle, nur seitdem wir es zuletzt sahen etwas schmaler und bleicher gewordene Haupt mit einem grünen Reisehute bedeckt.

Es waren Dankmar von Gohr und sein väterlicher Freund, der Rath Zander.

Dankmar war spät am gestrigen Abende unerwartet heimgekehrt, und der geistliche Herr saß jetzt, voll Spannung seinen Erzählungen lauschend, an seinen Lippen hangend, auf jede kleinste Einzelheit erpicht, die er Dankmar über seine Erlebnisse abgewinnen konnte.

Dankmar war fast genesen. Der Stich, den er von Beltram erhalten, war durch den Muskel des Oberarms gegangen und hatte dadurch seine Kraft verloren; er war dann in seine Brust eingedrungen, tief und breit, aber an den Rippen war die Spitze der Waffe abgebrochen und die Lunge war unverletzt geblieben.

Sie sehen, sagte er, mit dem Leben wäre ich unter allen Umständen wol davongekommen, aber daß ich so rasch soweit geheilt bin, um heimreisen zu können, verdanke ich doch der Pflege dieser Fanny. Was ich ihr vor allem danke, ist, daß ich keinem italienischen Quacksalber in die Hände gefallen bin; sie hat mir einen deutschen Chirurgus ausfindig gemacht, einen ehrlichen Burschen, auf dessen bescheidene Routine ich mich beschränkt habe und dessen Pflaster neben Fanny's Eisaufschlägen mich denn auch bald dahin gebracht haben, die Heimreise antreten zu können. Diese Heimreise war ja ohnehin für mich so bequem wie möglich eingerichtet; ich lag auf den schwellenden Polstern in der Kajüte der Miranda. Zu den Füßen meiner Paschaexistenz lag die hübsche Odaliske, ich hätte nur die nöthige Seelenruhe zu haben brauchen, um wie ein echter Türke: Kef! zu sagen und ein wenig süßen Lebenstraum zu schlürfen. Wenn man nur die Ruchlosigkeit hätte, die dazu gehört, um träumen zu können!

Ruchlosigkeit? fragte Zander.

Muß man nicht, um träumen zu können, vergessen, und kann man vergessen, ohne ruchlos zu sein? Nur wer weiß, daß er wird vergessen können, darf alles thun, er trägt den Ablaßzettel für zukünftige Sünden bei sich – ich aber habe ihn nicht, lieber Zander!

Und Fanny?

Ich habe Fanny in Paris gelassen. Von Marseille, wo ich mit der Miranda gelandet bin, hat sie mich noch bis Paris begleitet und mir dort erklärt, daß sie sich nun für ihre Bravheit ein wenig belohnen wolle; Paris sei der rechte Ort, nach so viel Selbstaufopferung und Redlichkeit dem beleidigten Teufel eine Kerze anzuzünden. Wir haben uns getrennt als gute Kameraden. Ich werde nicht vergessen, daß sie ein im Grunde gutes Geschöpf ist, und wenn sie je meines Beistandes bedarf, wird er ihr nicht fehlen.

Und Baron Beltram?

Gott weiß, was aus ihm geworden ist! Fanny hat sich für immer von ihm losgesagt. Sie hatte schon begonnen, ihn zu verachten, als sie sich zu dem Complot wider mich bereden ließ. Sie war bereit gewesen, sagte sie, dem Baron Jauffroi in seinem Anschlage beizustehen und ihm zu den Briefen zu verhelfen, weil sie nach dem, was er ihr vorgespiegelt, in dem Wahne stand, Eugenie von Chevaudun dadurch einen Dienst zu leisten. Sie hatte es mit den Mitteln bei einer solchen Intrigue nicht genau nehmen wollen. Jauffroi imponirte ihr, er beherrschte sie mit seinem Willen; aber was Beltram gethan, dieser feige, tückische Streich, diese ehrlose Rache hatte sie empört; sie war außer sich, zur Mitschuldigen eines Verbrechens gemacht worden zu sein. Am Morgen nach jener Nacht kam sie mit einer Art entschlossener Reue zu mir und ließ sich nun nicht mehr abweisen; sie hielt Tag und Nacht bei mir aus wie eine Barmherzige Schwester.

Vielleicht eine Vorübung zu dem, womit ihr emancipirtes Leben einmal enden wird, sagte Rath Zander. Möge der Himmel es fügen!

Und nun, erwiderte Dankmar, wird es Zeit, daß ich nach Dornegge aufbreche. Sie können denken, daß ich brenne, hinzukommen!

Wollen Sie nicht abwarten, daß Hermine kommt? Ich habe noch in der Nacht einen Boten an Hermine gesendet, um ihr Ihre Ankunft zu melden; sie wird vor Mittag hier sein.

Hermine? Weshalb haben Sie das gethan? Weshalb soll ich sie hier erwarten? Sie können denken, wie sehr ich danach verlange …

Fräulein Eugenie wiederzusehen – ich kann das freilich denken. Aber dennoch wäre es besser, Sie warteten Fräulein Herminens Ankunft ab, bevor Sie sich aufmachen, Dankmar; vielleicht kommt auch Gundobald und meldet Ihnen, daß Sie auf Dornegge erwartet werden. Aber bis dahin bleiben Sie, ruhen Sie sich aus, muthen Sie sich nicht sofort dieses Wiedersehen, diese Reise zu …

Ich bin durchaus nicht so erschöpft!

Erschöpft oder nicht, ich bitte Sie, erst Ihre Schwester abzuwarten …

Zander, rief Dankmar aufspringend aus, Sie sagen mir nicht alles, weshalb Sie mich von Dornegge zurückhalten! Ich seh' es Ihnen an, Sie haben einen besondern Grund, den Sie mir verschweigen wollen …

Welchen Grund könnte ich haben? Ich bitte Sie nur dringend, Dankmar …

Lieber, alter Freund, wenn man so ungeschickt im Täuschen ist, muß man's nicht versuchen! Was ist geschehen? Ist auf Dornegge etwas vorgefallen, ist Eugenie krank?

Nicht das – es ist auch nichts vorgefallen – aber … Wollen Sie mir versprechen, ruhig zu bleiben und verständig meine Gründe anzuhören, weshalb Sie Herminens Ankunft abwarten sollen?

Ich verspreche Ihnen, was Sie wollen, nur reden Sie!

Es ist jemand in Dornegge angekommen, mit dem Sie nicht zusammentreffen dürfen.

Angekommen – in Dornegge – doch nicht …?

Rath Zander nickte mit dem Kopfe, während er besorgt in Dankmar's bleicher gewordene Züge blickte.

Doch nicht Jauffroi?

Der Baron Jauffroi von Montenglaut.

Jauffroi? Der unselige Mensch! rief Dankmar schwer athmend aus.

Er ist seit mehrern Tagen da.

Aber dann ist es ja hohe Zeit, daß ich Eugenie von ihm befreie!

Es kommt darauf an, ob Eugenie von ihm befreit sein will.

Sein will? Daran zweifeln Sie? O, kennten Sie den Abscheu, den sie in ihren Briefen wider ihn ausspricht!

Mag sein, mag sein, lieber Dankmar. Um den Abscheu eines Weibes wider einen Mann, der sie liebt, ist es ein eigen Ding.

Zweifeln Sie an der Wahrheit eines Gefühls, das sich so energisch in Herzensergießungen an die vertrauteste Freundin ausspricht?

Gar nicht, gar nicht; ich zweifle nicht im mindesten daran, daß Fräulein Eugenie ganz das ausgedrückt hat, was sie wirklich empfand, und daß sie diesen Baron Jauffroi so aufrichtig haßte, wie Gloster von der Prinzessin Anna in der ersten Scene von Shakspeare's König Richard III. gehaßt wird. Trotzdem bleibt Shakspeare ein großer Menschenkenner …

Und Sie halten für möglich, daß dieser Gloster …

Zu reden weiß, wie der Shakspeare's? Weshalb sollte es ihn die Leidenschaft nicht lehren? Glauben Sie etwa, der Mordanfall auf Sie habe ihn unrettbar bei ihr verdorben? Das Argument: wenn ich ein Verbrecher wurde, wenn ich's auf einen Mord ankommen ließ, so geschah es um dich! – diese Schutzrede liegt ihm so nahe, wie sie Gloster lag, und wenn das Weib in Anna sich dadurch bethören ließ, kann es auch das Weib in Eugenie.

O nein, niemals! Eugenie steht himmelhoch über …

Ueber der weiblichen Natur? Das wäre ihr nicht einmal zu wünschen! Und von dieser sagt Cervantes:

Jedes Weib, es ist von Glas –
Zu versuchen unterlaß,
Ob entzwei es könnte gehen –
Alles nämlich kann geschehn!

O, fort mit Ihrem Cervantes, Ihrem Gloster …

Sie haben recht! fiel Zander ironisch ein. Dieser Jauffroi von Montenglaut ist keine häßliche Misgeburt wie der letztere, sondern soll ein schöner, stattlicher Mann sein …

Sie bringen mich außer mir, Zander! Ich bitte Sie um Gottes willen, was berechtigt Sie, anzunehmen …

Ich weiß nichts, ich bin zu nichts berechtigt, entgegnete der geistliche Rath; ich schließe nur aus dem, was Hermine mir schreibt – daß Fräulein Eugenie seit der Ankunft des Barons Jauffroi in ganz auffallender Weise verändert sei, daß sie wiederholte Unterredungen mit ihm gehabt, daß sie die Einsamkeit suchte seitdem, daß sie wortkarg und verschlossen gegen sie, Hermine, geworden, kurz …

Unmöglich, unmöglich! rief Dankmar entsetzt aus. Wie können Sie so niedrig von einem Wesen wie Eugenie denken, wie können Sie glauben, daß solch ein Mädchen so grenzenlos charakterlos, so wetterwendisch und launenhaft sein könne …?

Hören Sie, Dankmar, unterbrach ihn der Geistliche, ich denke nicht gar zu niedrig von den Frauen; ich denke nicht von ihnen wie die Papuaindianer, die eine Jagdbeute daraus machen und ihre Auserwählte mit einem Keulenschlage niederwerfen, um sie dann als ihr Eigenthum zu behandeln; ich stelle sie aber auch nicht höher als den Mann, und den Mann sehe ich zuweilen ganz entsetzlich schwach! Urtheilen wir milde über beide! Unmöglich?

Wer kennt die Grenze, wo
Das Mögliche ein Ende hat und das
Unmögliche den Anfang nimmt?

Ich finde Sie fürchterlich mit Ihren Citaten heute, Zander!

So lassen wir sie und reden Prosa. Der Baron Jauffroi wird eben ein kluger Mann sein. Er wird nicht so viel gethan, gewagt haben, um jene Briefe Eugeniens zu bekommen, ohne zu wissen, wozu. Mit diesen Briefen hatte er den Schlüssel zu ihren Gedanken und damit auch zu ihrem Herzen. Er wird geredet haben, und Sie wissen … Verzeihung für das letzte Citat, mit dem ich Sie quälen werde: Ein Weib widersteht dem Wissen, der Schönheit, dem Glanze, dem Ruhme eines Mannes, aber nicht seiner Zunge!

Um Gottes willen, welch fürchterlichen Stachel Sie mir in die Seele drücken! Das wäre ja ganz entsetzlich! Was soll ich glauben von dem allen?

Warten sollen Sie, bis Hermine gekommen ist. Sie müssen warten, bis Sie mit ihr gesprochen haben, Dankmar – glauben Sie es mir! Sie können nicht gehen, Fräulein Eugenie von diesem Baron Jauffroi zu befreien, wenn Sie nicht wissen, ob Sie ein Recht dazu haben – ob Ihnen dieses Recht noch von Eugenie selbst gewährt und eingeräumt wird – Ihre Ehre verbietet es Ihnen sonst – wollen Sie auf meinen Rath hören?

Gewiß, gewiß, gewiß! antwortete Dankmar halblaut und dann sprang er noch einmal auf und schritt langsam, um mit seinen so qualvoll aufgestürmten Gedanken allein zu sein, davon über den Hof.

Zander blickte ihm bekümmert nach, wie er matten Schrittes, die Arme auf dem Rücken, daherwandelte; erschüttert durch die Wirkung, welche seine Worte auf Dankmar hervorgebracht, stand jetzt auch Zander auf und eilte ihm nach.

Dankmar, es thut mir leid, Sie so beunruhigt zu haben, sagte er, als er an seiner Seite war; ich mußte es eben, ich konnte Sie nicht in der vollsten, harmlosesten Unbefangenheit nach Dornegge eilen lassen. Aber nehmen Sie es nicht zu schwer; vielleicht sehe ich zu schwarz. Was versteht ein alter Mann wie ich von diesen Dingen! Das Alter macht mistrauisch und oft ungerecht – lassen Sie sich's nicht zu sehr anfechten – am Ende …

Nein, nein, seien Sie nicht unruhig um mich, aber lassen Sie mich mir selber – ich kehre bald zu Ihnen zurück.

Und im Bedürfnisse, allein zu sein, wandte Dankmar sich ab von seinem alten Freunde und schritt über die Hofbrücke in das Gehölz hinein, welches sich von Haus Gohr und seiner vordern Allee rechts hin nach dem Schlosse Edern erstreckte und den ganzen Thalgrund füllte, in der Mitte von dem kleinen Flusse, den wir kennen, durchschlängelt. Wir kennen auch den Pfad, der durch dieses Gehölz von einem der beiden Edelsitze zum andern führte, und an diesem Pfade eine Steinbank, auf welcher Dankmar einst ein so verhängnißvolles Gespräch mit Eugenie hatte.

Dankmar wanderte langsam, seines Weges nicht achtend, auf diesem Pfade dahin; zuweilen blieb er stehen, und ein halblaut gemurmeltes Wort glitt über seine Lippen, oder er riß mechanisch ein Reis von einem Strauche und zerknickte es ebenso mechanisch zwischen den Fingern; er sagte sich alles vor, was ihm Zuversicht auf die ehrliche Neigung Eugeniens für ihn geben konnte; er dachte daran, wie unumwunden und bestimmt sie von seiner Neigung für sie gefordert habe, daß er ihretwillen fliehe. Hätte sie jemals eine Anforderung an seine Neigung gestellt, wenn sie diese Neigung misbilligte, wenn sie sie nicht erwiderte? War Eugenie eine Kokette, die von einer Neigung forderte, ohne dafür ein Recht zu gewähren? Hatte sie ihn nicht auf ihre Miranda geschickt, ohne sich darum zu kümmern, ob unter einer so auffallenden Fürsorge für ihn ihr Ruf leiden könne oder nicht? Und ihre Briefe endlich – konnte sie lebhafter, offener aussprechen, was er ihr sei, als indem sie ihm sagte, daß sie kein Geheimniß für ihn habe? In der That, war es nicht unendlich kleinmüthig, war es nicht elend von ihm, an ihr zu zweifeln?

Und doch – die Liebe ist verzagt und kleinmüthig, und Dankmar gewährte das, was er sich vorsagte, nicht den mindesten Trost. Das alles war vor Tagen, vor vielen Tagen geschehen, und wer stand ihm für das Heute? Und wenn Eugeniens Herz sich ihm abgewendet, konnte er ihr zürnen? Hatte er ein Recht auf die Treue einer Neigung, welche sich ihm zugewendet zu haben schien, um bald wieder zu schwinden, vielleicht mit klarem Bewußtsein, daß er himmelweit entfernt sei von dem Ideal, welches ein so reicher Geist wie der Eugeniens sich von dem Manne machte, von dem sie an ihre Freundin geschrieben, daß sie sich ihm gefangen geben könne? War nicht schon in Neapel, nachdem er ihre Briefe gelesen, so mächtig und so niederdrückend die Frage in ihm aufgestiegen, was er, er, Dankmar von Gohr, einem solchen Wesen sein könne?

Und doch, mit einem elastischen Kraftgefühle sich wider diesen Druck empörend, sagte er sich, daß er ihr alles, alles sein könne durch die Welt von Liebe, von Energie, von Aufopferungsfähigkeit, die er für sie in sich fühlte, durch die grenzenlose Hingabe, durch die Treue bis in den Tod, durch die Unendlichkeit dessen, was er für sie empfand – und auch das Bewußtsein kehrte ihm zurück, daß er ein Recht auf sie habe, und wenn auch kein anderes als das, zwischen sie und das Verhängniß zu treten, welches sie erfassen mußte, wenn sie der Leidenschaft Montenglaut's zur Beute wurde.

Während Dankmar durch das Gehölz dahinwanderte, war er in all diese folternden Gedanken so vertieft, daß er den Blitz nicht wahrgenommen hätte, der aus hellem Himmel über die Wipfel über ihm fortgezuckt wäre, nicht den gleißenden Schatz, über welchen sein Fuß gestrauchelt wäre; aber ein grelles, wie wahnsinnig tönendes helles Auflachen erscholl so plötzlich, so seltsam und unerwartet in seiner nächsten Nähe, wo doch kein Mensch zu erblicken war, daß er erschrocken auffuhr und aufhorchte; dann fuhr er mit der Hand über sein Gesicht und fragte sich, ob er das dämonische Lachen wirklich gehört oder ob es eine Hallucination gewesen sei; ob das Ohr Tonvorspiegelungen zugänglich sei wie das Auge Visionen. Und dann blickte er noch einmal um sich und sah, daß dieses Auflachen mit seinem ganzen widerwärtigen, das Herz zusammenkrampfenden Tone doch keine Täuschung seines Ohrs gewesen, er sah den Mann, der es ausgestoßen, und fühlte sein Herz stillstehen bei dem Anblicke dieses Mannes.

Dieser kam, etwa hundert Schritte von Dankmar entfernt, rechts aus dem Gehölze hervor. Als Dankmar's Auge ihn traf, hatte er eben seinen Schritt angehalten und stand in einem niedern Dickicht von Gestrüpp und Farrnkräutern. War sein Lachen wie das eines Wahnsinnigen gewesen, so war es sein Aussehen nicht minder: seine Augen lagen tief eingesunken, seine Züge waren bleich, fahl, sein Barthaar war verwildert; es hingen ein paar Blätter darin, der Hut war zerdrückt und tief in die Stirn gezogen. So stand er, eine Bewegung mit beiden Armen machend, als ob er Dankmar zu sich heranwinke; und als dieser wie angewurzelt stehen blieb, kam er mit einem raschen, eigenthümlich wogenden Gange, als ob er über das Moos und die Laubschichte unter seinen Füßen fortstrauchele, heran.

Dankmar von Gohr! sagte er. Dies ist – hahaha! – dies ist wirklich zum Lachen! Der Teufel hat Geist – Sie als den ersten Menschen, dem ich Guten Morgen sagen kann, herzusenden – nach solch einer Nacht! Sie, just Sie! Und es ist sehr gutmüthig vom Teufel; wie trostreich, dies: Siehst du, wie alles nichts ist als eine verdammte Affenkomödie, die ich mit euch Schuften von Menschen treibe? Der Teufel geht durch die Welt lustwandeln wie Nero nach dem Banket durch seine Lustgärten, im Scheine brennender Menschenfackeln! – Dazu ist unsereins da – Futter für des Teufels Circus, der die Welt ist! Sind Sie den wilden Thieren noch nicht vorgeworfen? Der Cäsar Teufel wartet; tödten Sie mich, und dann werden Sie die wilden Bestien, die Zähne der Reue und die Krallen der Verdammniß schon in Ihrem Fleische fühlen!

Baron Jauffroi, stammelte Dankmar entsetzt, was ist mit Ihnen vorgegangen? Sie haben den Verstand …

Ich habe den Verstand verloren, wollen Sie sagen. So ungefähr! Nein, ich denk', ich habe ihn bekommen. Das Verständniß dieser Teufelskomödie, die man das Leben nennt. Wollen Sie mich tödten? Nein? Dann lassen Sie mich dort auf der Steinbank ruhen. Ich bin geneigt, sehr freundschaftlich mit Ihnen zu reden – aber auf der Bank dort; denn ich bin müde und habe nun just das wilde Rennen satt. Eine Nacht ist nicht lang, wenn man darin erlebt, was ich in der letzten. Aber der Morgen darauf ist lang, sehr lang; und ich bin müde.

Je länger Jauffroi sprach, desto ruhiger und leiser wurden seine anfangs laut und in sich überstürzender Hast hervorgesprudelten Worte. Es schien, als ob das Reden selbst ihn beschwichtigte; nichtsdestoweniger fuhr er fort, auf Dankmar den Eindruck eines Wahnsinnigen zu machen.

Jauffroi schritt der Bank zu, warf sich darauf nieder, verschränkte die Arme auf der Brust und sah dann mit seinen unruhigen wilden Augen Dankmar an. Einen Moment waren seine Blicke stechend, feindselig, trotzig und spähend zugleich, wie auf einen Feind geworfen, der im nächsten Augenblicke die Faust, ihn niederzuschlagen, hätte erheben können. Dann erloschen diese Augen und flogen wie scheu umher und zu Boden.

Ich bin nicht wahnsinnig, glauben Sie das nicht! sagte er. Oder bin ich es doch? Bin ich wahnsinnig, daß ich zu Ihnen laufe, sobald ich Sie erblicke? Daß ich zu Ihnen rede? Sie sind mein Feind. Sie hassen mich von allen Menschen auf Erden am meisten. Und Sie haben das Recht dazu – wahrhaftig, Sie haben es. Und doch rede ich zu Ihnen. Ist das Wahnsinn? Ist man wahnsinnig, wenn etwas in uns aufjubelt beim Anblick unsers Todfeindes? Wenn es in uns aufschreit: da ist eine Menschenseele – eine Seele, die du mit Schreck und Entsetzen erfüllen kannst … mit Jammer, wie deine eigene davon erfüllt ist … die du zu dir in deine Hölle ziehen kannst … ist man wahnsinnig, wenn man zu seinem Feinde stürzt und ihm zuschreit: ich bin verloren, ich bin ein Mörder, ich bin elender als der elendeste …

Sie sind ein Mörder! Um Gottes willen … rief Dankmar in namenloser Angst leichenblaß auffahrend … Sie haben sie erschlagen in Ihrer wilden …

Nein, nein, nein, sagte Jauffroi, nicht sie, nicht sie – aber ich habe gemordet und ich habe sie verloren durch den Mord und ich bin so elend, so grenzenlos elend, daß es mich hierher peitscht, hierher, vor die Füße meines Feindes, um nur reden, nur sprechen zu können, können, um nur nicht ersticken zu müssen, nur weil es eine Menschenseele ist, vor der ich reden kann.

Nun so reden Sie, reden Sie doch, was ist geschehen? rief Dankmar, von dem allen außer sich. Wenn Sie sagen, daß Sie elend sind und das sehe ich ja –, so bin ich nicht mehr Ihr Feind. Ich bin nie rachsüchtig gewesen, und wäre ich es, so würde der Zustand, in dem ich Sie finde, mich entwaffnen.

Sehr schön, sehr edel, sehr passend gesprochen! rief Jauffroi aus. Ganz, wie es sich schickt für den Augenblick – es ist mir völlig eins, ob es wahr ist oder nicht – seien Sie rachsüchtig oder nicht rachsüchtig, ich fürchte nichts mehr, nichts auf dieser Welt. Hören Sie. Ich habe Eugenie aufgesucht, ich habe sie dazu gewonnen, mich zu hören; ich habe dann ihr Herz gewonnen; sie war im Begriffe, die Meine zu werden, da finde ich einen Menschen in meinem Wege – in der letzten Nacht, bei ihr allein – einen Mann, der sie bestürmt, sie bedrängt, der sie gewaltsam entführen will; draußen, unfern von ihrem Schlosse, hält sein Wagen, bereit, sie aufzunehmen; ich komme ihr zu Hülfe, ich schleudere ihn fort von ihr, ich tödte diesen Menschen – er sinkt todt zu meinen Füßen nieder. Die Ueberlegung, die nach der That zu mir zurückkehrt, sagt mir, daß ich fliehen, augenblicklich fliehen muß – auch Eugenie sagt sich das, und sie entschließt sich, mit mir zu fliehen. Sie theilt meine Flucht, mein Schicksal; wir eilen davon, wir bemächtigen uns des harrenden Wagens, er soll uns zur Eisenbahn bringen. Aber er bringt uns, ohne daß ich es ahne, zu jenem Schlosse dort, zu jenem Schlosse jenseit des Gebüsches. Auf der Schwelle des Portals erwartet uns ein Weib – ein dunkles Weib, ein rothes Licht fällt auf ihre harten Züge. Eugenie erblickt sie und ruft: Das ist die Mutter des Mannes, den du erschlagen hast! – Und dann wird sie bewußtlos, man bemächtigt sich ihrer, man trägt sie ins Haus, man legt sie zu den Füßen jenes Weibes nieder – und ich, ich muß fliehen, fliehen auf ewig, Eugenie ist verloren für mich, sie ist mir entrissen in dem Augenblicke, wo sie mein war, ich werde sie nie wiedersehen – nie!

Baron Jauffroi sprach diese letzten Worte leise, mit zitternder Lippe, mit einem Zucken der Gesichtsmuskeln – als ob Jauffroi von Montenglaut weinen könne, und als ob ihm Thränen nahe ständen.

Dankmar hatte in athemloser Spannung zugehört. Er schwieg, völlig entsetzt von dieser Geschichte; er fand kein Wort, nicht eine Silbe; stumm starrte er Jauffroi an.

Das ist ja grauenhaft! rief er dann mit einem Ausbruche seines innern Entsetzens. Eugenie ist mit Ihnen entflohen – und Sie haben Boto Edern erschlagen?

Ich werde sie nie wiedersehen! sagte Jauffroi dumpf vor sich hin, die ganze Gestalt zusammengebrochen, das Gesicht auf den Arm stützend und zu Boden blickend.

Auch Dankmar fühlte sich wie innerlich gebrochen. Es lag auf seiner Brust wie eine erstickende Schwere, seine Gedanken wirbelten, es schwindelte ihm, als hange er über einem Abgrunde und sehe nichts, woran sich halten, um in diesen Abgrund nicht zu versinken. Wie ein Ertrinkender um sich greift, mußte er nach Gedanken greifen, woran sich halten, und fand keinen, keinen. Endlich faßte er an beide Schläfen seines Kopfes, drückte sie wie mit eisernem Drucke zusammen, fuhr dann mit den Händen über sein Gesicht und sagte nach einem tiefen und zitternden Athemholen:

Das ist der schwerste Augenblick meines Lebens! Weshalb flohen Sie nicht, weshalb bleiben Sie hier? rief er dann aus.

Ich irrte im Walde umher. Ich wollte nicht fliehen. Ich vermochte es nicht, zu fliehen ohne sie. Ich hoffte, wenn der Morgen da, jemand zu begegnen, den ich bestechen könne, mir Nachrichten von ihr zu verschaffen. Der Morgen kam, der Tag rückte vor, aber niemand, niemand erschien – der erste, dem ich begegnete, waren Sie, Sie – gerade Sie!

Es muß etwas gethan werden! rief Dankmar aufspringend aus. Sie können nicht so hier im Walde bleiben, Sie können auch nicht fliehen in dem Zustande, worin Sie sind, es fehlt Ihnen alle Besinnung dazu. Sie würden jedem Begegnenden ein Gegenstand des Verdachts werden! Und doch müssen Sie fliehen, aber nicht jetzt! Kommen Sie mit mir, ich will Ihnen eine Zuflucht gewähren und für Sie sorgen – folgen Sie mir: Sie brauchen nicht Anstand zu nehmen, weil es Sie demüthigt, mir etwas verdanken zu sollen – ich thue es nicht um Ihretwillen, bei Gott, nicht um Ihretwillen – aber wenn Eugenie mit Ihnen fliehen wollte, wenn Eugenie Sie wirklich – wirklich …

Er brachte das Wort nicht über seine Lippen; er unterbrach sich, indem er sich zum Gehen wandte und gebieterisch sagte:

Folgen Sie mir!

Folgen? Ich Ihnen folgen?

Ja, augenblicklich!

Wollen Sie mir möglich machen, von Eugenie Nachrichten zu bekommen, wollen Sie mich verbergen so lange, bis es mir gelungen ist, nur die geringste Botschaft an sie gelangen zu lassen – wollen Sie mir das versprechen, bei Ihrer Ehre, Gohr, dann will ich Ihnen gehorchen wie ein Knecht, Ihnen vertrauen wie dem größten und edelsten Menschen, den die Erde trägt, ich will bereuen, was ich an Ihnen verbrochen, ich werde mich hassen deshalb, solange …

Ersparen Sie sich diese Betheuerungen! sagte Dankmar, ihn unterbrechend und sich kalt abwendend. Sie werden mir folgen, weil Sie mir folgen müssen, um nicht entdeckt und aufgegriffen zu werden! Sie wissen selbst, daß eine That wie die Ihre sofort alles in Bewegung setzt, was der Staat an Mitteln besitzt, um ein empörendes Verbrechen zu rächen! Wollen Sie sich dem Henkerbeile aussetzen? Wenn Sie das nicht wollen, so müssen Sie mir folgen, damit ich Sie rette – um Eugeniens willen werde ich Sie retten!

Und wenn ich nun dem Henkerbeile trotzte so lange, als ich nicht von ihr gehört …

Sie sollen auch von ihr hören, antwortete Dankmar nach einer Pause. Wenn alles ist, wie Sie es sagen, so wird Eugenie von Chevaudun so heftig danach verlangen, Ihnen eine Botschaft zukommen zu lassen, als Sie, eine Nachricht von ihr zu erhalten. Ich werde alles dafür thun, Eugeniens Wunsch zu erfüllen. Also – wollen Sie mir folgen?

Ich will Ihnen folgen. Wohin werden Sie mich führen?

In mein eigenes Haus. Sie müssen fühlen, daß Sie dort sicher sind! setzte Dankmar bitter hinzu.

Dann schlug er einen Nebenpfad durch das dichteste Gebüsch ein, wo er auf keinen Begegnenden stoßen konnte. Jauffroi schritt schweigend hinter ihm drein. So erreichte er Haus Gohr von der Seite her, wo eine schmale hölzerne Laufbrücke über den Hausgraben führte.

Warten Sie hier, hinter den Bäumen verborgen. Ich kehre sogleich zurück.

Er ging voraus, über die Laufbrücke, verschwand im Hause und kehrte nach fünf Minuten, mit einem Schlüsselbunde versehen, zurück.

Wollen Sie mich einschließen? fragte Jauffroi mit scheuem Blicke auf die Schlüssel.

Nein. Ich werde Sie in ein Gemach bringen, wo niemand Sie sehen wird, niemand zu Ihnen kommen kann. Aber Sie werden es verlassen, wann Sie wollen, unbeachtet.

Er schritt wieder vorauf; als er, Jauffroi hinter sich, über die Laufbrücke gekommen, wandte er sich dem kleinen alten Thurme zu, der links nach der Flußseite hin lag, erschloß hier ein kleines, wie es schien, seit Jahren außer Gebrauch gekommenes altes Bogenthor und führte Jauffroi im Innern eine dunkle Holztreppe hinan. Oben kam man in einen durch ein schmales Fenster erhellten Vorraum, der zur Aufbewahrung alten Geräthes diente; eine niedrige, braun angestrichene Thür führte daraus in ein kleines, mit altfränkischer Einrichtung versehenes rundes Thurmzimmer, von dem nur das für den Vorraum nöthige Segment des Kreises abgeschnitten war.

Hier sind Sie sicher, sagte Dankmar. Die Kammer dient für Domestiken fremder Gäste, wenn die andern Räume im Hause besetzt sind, und sie ist sehr lange nicht mehr benutzt worden.

Jauffroi warf sich schweigend auf das in der Ecke stehende Bett. Als sich Dankmar zum Gehen wenden wollte, hörte er Jauffroi einen Fluch ausstoßen und zornig den Fuß auf den Boden stampfen.

Das nenn' ich Bankrott! rief er dabei aus. Ich bin ein Bettler geworden, ein Bettler um Mitleid und Brot – bei meinem Feinde!

Fassen Sie sich und bleiben Sie wenigstens so ruhig, um sich den Hausbewohnern nicht zu verrathen, rief Dankmar aus, und dann ging er und ließ ihn allein.

Zunächst, um Wein und einige Nahrungsmittel zu holen. Als er damit zurückkam und das Thurmzimmer wieder betrat, fand er Jauffroi still mit geschlossenen Augen auf dem Lager liegen. Dankmar stellte seine Vorräthe auf den Tisch und sagte dann:

Den Weg nach außen durch das kleine Thor unten lasse ich offen; weil man es für stets geschlossen hält, wird niemand ihn betreten. Ich werde nur zur Sicherheit die Thür, welche aus dem Vorraume dieses Thurmzimmers ins Haus führt, abschließen. Sie können also jeden Augenblick gehen. Doch nehme ich an, daß Sie vorziehen zu bleiben, bis ich Eugenie habe sprechen und vernehmen können, was sie beschließt. Davon wird alles abhängig sein. Wollen Sie bleiben bis dahin?

Jauffroi nickte.

Weil Sie mir mistrauen könnten, will ich suchen, ein schriftliches Wort für Sie von Eugenie zu erhalten. Auf Wiedersehen!

Dankmar ging. Er schloß draußen, wie er gesagt, die Verbindungsthür zwischen dem Vorraume und dem innern Hause ab und eilte dann auf den Hof, weil er einen Wagen hatte rollen hören. Als er den Hof betrat, fand er schon Hermine neben Zander unter der Veranda stehen. Hermine flog auf ihn zu, umarmte ihn stürmisch, aber sie brach dabei in einen Strom von Thränen aus, während Zander mit einem Gesichte, auf welchem Schrecken und Entsetzen ausgeprägt waren, ihr nachgeschritten kam.

Herr des Himmels, rief der geistliche Rath aus, während Hermine an der Brust ihres Bruders vor Schluchzen kein Wort hervorbringen konnte, welche furchtbaren Geschichten! Boto ist ermordet – der Mörder unzweifelhaft dieser Jauffroi – und Fräulein von Chevaudun ist verschwunden – entflohen mit dem Mörder!

Dankmar preßte seine Schwester an sein Herz, ohne eine Silbe auf diese Schreckensbotschaft zu erwidern.

Dankmar, hören Sie es? Haben Sie es gehört, Dankmar? wiederholte der Geistliche außer sich.

Ich weiß es!

Dankmar umschlang seine Schwester und führte sie auf einen Sitz unter der Veranda.

Fasse dich, Hermine, sagte er leise; erschwere mir nicht, gefaßt zu bleiben; wir bedürfen der Fassung, wir haben zu berathen, zu handeln! Wo ist Gundobald?

In Dornegge zurückgeblieben; er durfte das herrenlose Haus nicht verlassen. Aber weißt du denn schon alles, alles?

Ich weiß alles.

Sie wissen? Woher, wodurch? Wie ist das möglich? rief der geistliche Rath.

Ist das Ganze nicht eine Lehre, eine furchtbare Strafe für mich? erwiderte Dankmar. So ist auch dafür gesorgt worden, daß ich zuerst es erfuhr. Fragen Sie mich nicht, wie …

Eine Lehre – für Sie, Dankmar?

Ja, die alte Lehre, daß jede Schuld auf Erden gebüßt werden muß. Ich habe eine rasche That der Leidenschaft begangen. Ich leide jetzt unter einer andern That derselben Leidenschaft; leide darunter mehr, als ich sagen kann.

Welcher Vergleich! rief Hermine aus.

Es ist so, fiel ihr Dankmar ins Wort, und weil es so ist, bin ich gefaßter, als ich sonst sein würde. Uebrigens ist Eugenie nicht fort, sie ist in Edern.

In Edern?

In Edern. Und ich will hin, sie zu sehen.

Welcher Entschluß! Jetzt nach dieser That …?

Dankmar antwortete nicht.

Was könntest du ihr jetzt sagen? fuhr Hermine fort.

O, viel, unendlich viel! Ich liebe Eugenie. Und weil ich sie liebe, steht mir am höchsten ihr Glück. Ich kann – vielleicht – etwas thun für dieses Glück; wenn nicht …

Du – du denkst an ihr Glück – in dieser Stunde?

Weshalb nicht? Ich werde nicht aufhören, daran zu denken – ist sie dessen unwürdig?

Das fragst du noch?

Gewiß! Ich werde zu ihr gehen und aus ihrem Munde hören, daß sie es nicht ist!

Und dann?

Laß mich zur Klarheit kommen über mich selber, antwortete Dankmar tonlos und stützte die Arme auf den Tisch, um sein Gesicht in beiden Händen zu bergen.

Eugenie in Edern! wie ist das möglich? hob Hermine nach einer Weile wieder an – und da ist sie ja wie in der untersten Hölle – im Hause der Frau, deren Sohn sie erschlagen half! Wenn die Gräfin die Schreckensbotschaft erfahren hat, wird sie sie tödten – o mein Gott, welche Fügung ist dies und in welche Tragödie ist das arme Geschöpf gerathen!

Glaubst du, daß ihr dort wirklich eine Gefahr drohe? fuhr Dankmar auf.

Ich glaube, daß Gräfin Edern wenigstens das aufrichtige Verlangen empfinden wird, sie zu erwürgen oder auf das Schaffot zu bringen!

Und sie ist allein, ganz allein, von aller Welt verlassen in Edern – nichts ist bei ihr im Hause derer, denen sie den Schmerz, die Verzweiflung, die Vernichtung gebracht hat, als das blutige Bild des Erschlagenen, das nicht von ihr weichen kann, keinen Augenblick – Herr des Himmels, welche Lage! Hermine, du mußt mich begleiten, wir können sie nicht einen Augenblick in dieser schrecklichen Situation lassen; wir müssen sie hierher holen, und das kann nicht ich, das kannst nur du!

Ich – ich? versetzte Hermine erschrocken. Was muthest du mir zu, Dankmar – und hierher? In unser friedliches Haus – soll ihr auch dahin der Schrecken und das Entsetzen folgen?

Ich meine, Schrecken und Entsetzen haben ihren Weg ohnehin schon in unser friedliches Haus gefunden, Hermine, antwortete Dankmar ruhig. Du bist zu grausam gegen sie. Welches Verbrechen hat sie begangen?

Und so fragst du noch – habe ich nicht mit eigenen Augen Boto's blutige Leiche gesehen?

Nicht an ihrer Hand klebt Blut – wäre nur die Hand deines Bruders so rein davon wie die ihrige! Wenn der Sturm deinen Nachen an der Klippe zerschellt, wirst du dadurch zum Verbrecher? Komm wenigstens, sie zu hören – und dann erst verurtheile sie!

Und Sie, Zander, wandte sich Hermine an diesen, denken Sie auch wie Dankmar verlangen Sie auch von mir …?

Ich denke, sagte Zander milde, daß Eugenie von Chevaudun sehr unglücklich sein muß, und wenn sie sich in diesem Augenblicke in Haus Edern befindet, doppelt. Das scheint mir hinreichend, um Mitleid mit ihr zu haben. Ich weiß nichts von den Vorgängen dieser Nacht. Sie erzählen mir, Boto ist ermordet, der Mörder entflohen, und Eugenie mit ihm verschwunden. Dankmar sagt, Eugenie sei in Haus Edern – deutet das nicht darauf hin, daß sie wenigstens nicht mit dem Mörder entflohen ist – würde dieser sie nach Edern gebracht haben?

Das ist wahr, fiel Hermine lebhaft ein – sag' nur, wie ist das zu erklären, Dankmar?

Ich will es dir später erklären, Hermine; das Einzige, was ich dir jetzt sagen kann, ist, daß du auf diese Thatsache keine Voraussetzungen bauen darfst, die sich unrichtig zeigen würden. Aber komm, komm sogleich – ich verlange es von dir! Wir beide haben kein Recht, Eugenie von Chevaudun in dieser Lage zu verlassen!

Hermine ergab sich widerstrebend in den bestimmt ausgesprochenen Willen ihres Bruders. Sie trat ins Haus, um das Zimmer, welches Eugenie schon früher darin bewohnt hatte, für ihre Aufnahme in Stand setzen zu lassen; nach einer Weile kam sie zurück, um mit Dankmar den Gang nach Haus Edern anzutreten.

Als sie zusammen durch das Gehölz schritten, ließ sich Dankmar die Ereignisse der Nacht auf Dornegge berichten. Gundobald hatte mit Ludwig und Helene nach dem Abendessen noch eine Wanderung durch die Gärten gemacht und war mit beiden – Hermine erzählte Dankmar in wenigen Worten ihre Geschichte – auf sein Zimmer gegangen; Eugenie und Hermine hatten sich kurz vor zehn Uhr getrennt; beide waren in ihr Zimmer gegangen, Eugenie mit der Bemerkung, sie werde noch ein wenig auf ihrer Terrasse auf- und abgehen, weil die Nacht so schön sei. Eine halbe Stunde später, zwischen zehn und elf Uhr, als Hermine sich eben zur Ruhe begeben wollen, sei ein furchtbarer Schreckensruf aus dem untern Stockwerke des Schlosses zu ihr heraufgedrungen; sie sei hinausgeeilt, habe den Ruf noch einmal, dann Lärm vernommen; auf der Treppe sei ihr ein Diener entgegengestürzt mit der Nachricht, in des Fräuleins Zimmer liege ein stöhnender, zum Tode verwundeter Mensch, das Fräulein sei nicht da, sei verschwunden – alles, was im Schlosse von Bewohnern gewesen, habe sich nun um den unglücklichen Verwundeten gedrängt, in welchem sie sofort Boto erkannt – der Tod habe schon auf seiner Lippe gesessen, die nur noch wenig unartikulirte Laute gemurmelt; er sei, während man noch damit beschäftigt gewesen, seine Wunde zu untersuchen, gestorben. Unter denen, welche ihn umstanden, habe sich Böhmer befunden – Gundobald habe ihr seine Anwesenheit erklärt: er sei so spät noch gekommen, um mit seiner Tochter Frieden zu schließen – und Böhmer war es denn auch gewesen, der Boto's Anwesenheit in Dornegge zu erklären gewußt hatte – beide waren zusammen gekommen, Boto hatte Böhmer begleitet.

Wozu eigentlich, schaltete Hermine ein, das ist mir nicht klar geworden; ich war zu entsetzt, zu sehr außer mir, um meine Sinne zusammenhaben zu können; wir waren ja alle von Sinnen, nur Gundobald bewahrte mit bewundernswürdiger Fassung die Ruhe und die Geistesgegenwart; er gab sofort Befehl, überall nach Eugenie oder nach Spuren von ihr zu suchen, und nahm dann Ludwig zu sich, um selbst mit ihm nach der nahen Mühle zu eilen – sein erster Gedanke war, daß Jauffroi der Schuldige sei; er wollte sich überzeugen – Jauffroi wohnte in der Mühle. Böhmer suchte nach seinem Wagen, der ihn hergebracht und der fort war; als Gundobald zurückkam, berichtete er, daß Jauffroi verschwunden sei wie Eugenie. Jauffroi hatte sich den Abend hindurch draußen herumgetrieben; er war gegen zehn Uhr plötzlich in großer Hast in die Mühle heimgekommen, hatte sich einen Augenblick bei seinen Sachen zu schaffen gemacht und war dann wieder davongeeilt, des geradesten Wegs auf Dornegge zu.

Es war kein Zweifel, daß er der Thäter sei. Wer wäre auch sonst einer solchen That fähig gewesen? schloß Hermine ihren Bericht.

Du hast recht – er ist es, antwortete Dankmar. Er selbst hat es mir gesagt.

Er? Dir selbst? Und wie, wo?

Unter diesen Baumstämmen, auf diesem Wege, den wir eben schreiten.

Du hast ihn gesehen, gesprochen?

Dankmar erzählte seiner Schwester die ganze Begegnung und alles, was Jauffroi ihm gesagt und was Dankmar gethan.

Hermine blieb athemlos vor Bestürzung stehen. In unser Haus hast du ihn gebracht? Und nun willst du auch noch sie in unser Haus führen? Du willst den Mörder schützen? rief sie entsetzt aus.

Nein, die Folge seiner That komme über ihn! Aber ich will auch nicht, daß der Mann, den Eugenie liebt, unter das Beil des Henkers gerathe. Davor will ich sie schützen. Ich weiß, ich fühle es, daß sie meiner bedarf in dieser Stunde. Ich will ihr nicht fehlen. Ohne mich gehen diese beiden Menschen unter. Ich will Eugeniens Retter sein, und kann sie nicht retten, ohne ihn zu retten. Widersprich mir nicht darin. Mein Wille steht fest. Ich fordere von dir, daß du die Schwester deines Bruders seiest. Komm!

Hermine war von dem allen so überwältigt, daß sie ihn mit starren Blicken ansah, ohne ein Wort zu erwidern.

Du du willst ihm die Mittel zu fliehen gewähren? rief sie dann nach einer langen Pause aus.

Ich will es komm! wiederholte Dankmar entschlossen.

Dankmar, sagte Hermine leise und an seiner Seite weiter schreitend, ich beuge mich deinem Gebot nicht; aber ich beuge mich dem in dir, was höher steht als dein Wille, deinem Gemüth!

Die Geschwister kamen in Haus Edern an. Haus Edern war in einer unbeschreiblichen Verwirrung und Auflösung. Nur die Diener waren da. Vor länger als einer Stunde war Herr Böhmer dagewesen. Herr Böhmer, bleich, zitternd, nicht wiederzuerkennen. Er hatte die fürchterliche Kunde gebracht – von seinen bebenden Lippen hatte die Mutter den Tod ihres einzigen Sohnes erfahren – sie war darunter zusammengebrochen wie ein geknicktes Rohr, sie war erstarrt darunter – sie hatte nicht gesprochen, nicht geklagt, sie hatte keine Thräne vergossen, sie hatte aus ihren starren Augen geblickt, als umgebe sie eine Vision des Grauens, vor der ein menschliches Wesen zu kaltem Stein werden müsse. Edwine und Bertha hatten das Haus mit Jammern erfüllt, nur Graf Achatius hatte den Kopf oben behalten; er war der einzige gewesen, der mit Böhmer gesprochen, der sich Aufklärungen hatte geben lassen, der dann befohlen, anzuspannen, und darauf waren alle davongefahren, nach Haus Dornegge.

Das alles erfuhren Dankmar und Hermine von einer ältlichen Person, welche eine Art von Leinwandbeschließerin auf Edern machte.

Und das Fräulein, welches die Nacht gekommen ist? fragte Dankmar.

Das Fräulein Morell oder wie sie jetzt heißt, antwortete die Beschließerin auf diese Frage – sie ist oben in ihrem Zimmer – sie war ohnmächtig, als sie kam; es ist ein Herr bei ihr im Wagen gewesen, aber der ist gleich darauf verschwunden – niemand hat ihn wiedergesehen – Herr Böhmer sagt, es müsse der Mörder gewesen sein; Christian schwört, daß er beide für Helene Böhmer und den Bildhauer gehalten – niemand wird klug aus der Geschichte – aber Herr Böhmer hat nach den Gensdarmen geschickt im nächsten Orte, daß sie die Gegend nach ihm durchstreifen.

Aber das Fräulein, das Fräulein von Chevaudun? wiederholte Dankmar seine Frage dringender.

Es hat niemand viel Zeit gehabt, nach ihr zu sehen in all dem Tumult, entgegnete die Frau; der Graf Achatius hat uns gesagt, sie solle bewacht werden, wir sollten sie nicht gehen lassen.

Führen Sie uns zu ihr, fuhr Dankmar fort und trat voran, als die Frau wiederholte, daß sie oben in einem Fremdenzimmer sei. Hermine folgte die Treppe nach oben hinauf und betrat nach Dankmar das Zimmer, welches die Beschließerin vor ihnen öffnete.

Sie fanden Eugenie todtenbleich, mit geschlossenen Augen auf einem Sofa liegend, das Haupt mit den wilden, dunkeln Locken auf die Lehne des Ruhebettes zurückgeworfen.

Sie öffnete langsam die Augen, starrte Dankmar wie eine Vision an, erhob sich, schritt ihm langsam, die ganze Gestalt wie mechanisch bewegt, entgegen, reichte ihm die Hand und sagte tonlos, kaum hörbar:

Sie kommen spät!

Dankmar wußte bei dieser seltsamen Anrede nicht, was er erwidern solle, um so weniger, als er sah, daß es plötzlich um ihre Lippen zuckte, daß diese aufbebten, als ob sie in Thränen ausbrechen wolle.

Nicht zu spät, antwortete er, mit einem Blicke voll Innigkeit sie anschauend und ihre Hand festhaltend, nicht zu spät, um in dem Augenblicke da zu sein, wo Sie des Freundes bedürfen. Sie sollen diesen Freund in mir finden, Fräulein Eugenie, bereit zu allem, was Sie gethan sehen wollen, was Sie irgend wünschen können. Zunächst kommen wir, meine Schwester und ich, Sie aus diesem Hause zu führen, wo Sie nicht länger bleiben dürfen!

Eugenie wandte sich jetzt Herminen zu; sie umarmte sie und legte schweigend ihre Stirn auf Herminens Schulter.

Sie wissen, wie nahe unser Haus ist, fuhr, vor Bewegung kaum die Worte findend, Dankmar fort – und Sie würden es gewiß sowol diesem hier vorziehen wie der Rückkehr nach Dornegge – in den ersten Tagen …

O, gewiß, gewiß! antwortete Eugenie, leise zusammenschauernd, führen Sie mich fort von hier!

Dort, sagte Dankmar, werden Sie in Ruhe und Sammlung Ihre Entschlüsse fassen können. Sie werden – er blickte um sich und dann dämpfte er seine Stimme zum Flüstern – Sie werden unter meinem Dache, gegen die ersten Nachforschungen geborgen, Jauffroi von Montenglaut finden – Sie werden sich mit ihm besprechen oder ihm schreiben; wie auch Ihr Entschluß ausfallen mag, Sie sehen mich bereit, Ihnen für die Ausführung jede Hülfe zu gewähren – jede – ich werde Jauffroi vor der Entdeckung durch die Justiz verbergen – ich werde ihm die Flucht möglich machen – wir werden Sie in Ruhe erwägen lassen, ob Sie bei dem Entschlusse, die Flucht und das Leben Jauffroi's von Montenglaut zu theilen, bleiben wollen – ich bitte nur, daß Sie alsdann vorher mich anhören, daß Sie mit Vertrauen auf das hören, was ich Ihnen darüber zu sagen habe – Sie werden nicht handeln ohne Ihren besten Freund …

Eugenie hob ihr blasses Haupt empor und sah mit einem schwer zu beschreibenden Blicke Dankmar an. Es lag wie Staunen, aber auch etwas wie Flehen in diesem Blicke; dann schlug sie die Augen zu Boden und sagte mit demselben Zittern der Lippen:

Ich werde die Flucht Jauffroi's von Montenglaut nicht theilen – ich werde auch die Zuflucht nicht annehmen, welche Sie mir in Gohr bieten!

Eugenie, ich bitte dich, rief Hermine überrascht aus, du kannst nicht hier bleiben!

Nein, ich kann es nicht, sagte sie, tief aufseufzend – und in Dornegge liegt der Erschlagene – mir wäre am wohlsten, läge ich an seiner Stelle!

Sie umklammerte jetzt noch einmal, und dabei in furchtbares Schluchzen ausbrechend, Herminens Brust.

Um Dankmar's bleiche Züge flog eine plötzliche Röthe.

Und weshalb wollen Sie nicht mit uns, nicht zu Ihren treuesten Freunden kommen?

Weil ich Jauffroi von Montenglaut nie, niemals wiedersehen will!

So sollen Sie ihn nicht wiedersehen – mein Wort darauf, daß ich Sie schützen werde vor diesem Wiedersehen, solange Sie es nicht wollen!

Ich danke Ihnen, Dankmar, versetzte sie. Werden Sie es können? Was nutzt es, daß Sie sich zwischen den Tiger und seine Beute stellen! Er wird Sie tödten, wie er Boto getödtet hat!

Diese Worte waren so wenig das, was Dankmar zu hören erwartet hatte, daß er, tief aufathmend, mit gerötheter Wange sagte:

Nun wohl, wenn Ihr Gefühl für ihn nur noch das des Schreckens und der Furcht ist, so verspreche ich Ihnen, daß er Ihre Anwesenheit in Gohr gar nicht erfahren und daß er mein Haus im Schutze der Nacht verlassen soll, sobald nur die Nacht da ist – ja sogleich, noch bevor Sie es betreten haben, falls Sie ihm in ein paar Zeilen, die Sie mir schriftlich geben, diesen Willen aussprechen wollen. Sind Sie dazu entschlossen?

Ich ihm schreiben? Könnte ich es, wenn ich wollte? Bin ich in dieser Stunde fähig, meine Gedanken zu ordnen, um schreiben zu können?

Und doch muß es geschehen, sagte Hermine drängend – versuche es, Eugenie! Frage dein Herz, frage deinen Verstand, und wenn sie dir sagen, daß du zwischen dich und diesen Mann eine unübersteigliche Kluft bringen mußt, so schreibe die trennenden Worte mit dem Muthe, der dir ja immer noch treu geblieben ist, nieder!

Mein Muth ist dahin, sagte Eugenie leise; höchstens ist mir der Muth der Verzweiflung geblieben. Aber ich will's versuchen. Gib mir ein Blatt.

Schreibgeräth stand auf einem Nebentische. Dankmar brachte es herbei, und Eugenie setzte sich und nahm die Feder in ihre zitternde Hand. Sie schrieb mit dieser Hand langsam die Worte nieder:

»Ihr Wille hat mich unterjocht, betäubt, meine Widerstandskraft niedergerungen, und doch habe ich Sie immer nur gefürchtet. Ihre That, der Abscheu hat mich befreit – ich bin frei, ich will und werde Sie nie wiedersehen – ich werde zu meinem Vater zurückkehren, daß er mich vor Ihnen schütze, und ich würde diese Worte nicht mehr an Sie richten, wenn ich nicht Ihre Flucht wünschte.

E. v. Ch.«

Es wird hinreichen, sagte Dankmar. Ich lasse Sie jetzt Herminen, mit der Sie mir nach Gohr folgen werden. Noch bevor Sie ankommen, hoffe ich Jauffroi bewogen zu haben, Gohr zu verlassen.

Dankmar faltete das Billet und eilte davon. Er unterrichtete das Gesinde, daß Fräulein von Chevaudun Edern verlassen und nach Gohr kommen werde. Man wagte nicht, sich ihm zu widersetzen, trotz des Befehls, den Graf Achatius gegeben, da Dankmar sein Wort gab, daß er diese Entführung bei der Herrschaft vertreten wolle. Dann eilte er davon, seinem Hause zu.

Als er die Steinbank im Gehölze erreicht hatte, warf er sich darauf nieder, um einen Augenblick aufzuathmen; um sich eine Minute zu gönnen, aus all der wilden und fürchterlichen Erregung dieses Morgens zur Fassung zu gelangen; um ein Stoßgebet zu sprechen, ein Stoßgebet, das zum Himmel aufschrie mit einem wunderlichen Inhalte, um eine seltsame Gabe.

Herr, hilf mir, mein Herz zu verschließen wider die Hoffnung! lautete dieses Stoßgebet. Gib mir Muth und Kraft, die Kraft, mich zu beherrschen und meine Seele zu wahren vor jedem Gefühl, in das sich ein Hoffen verstecken sollte!

Er fühlte, daß er nicht vor Jauffroi treten dürfe mit seiner Botschaft, er nicht, mit neuen Hoffnungen für sich selbst im Herzen!

Und dann eilte er weiter, und nach kurzer Frist hatte er sein Haus vor sich; als er auf dem Fußsteige durch das Gehölz sich der Thurmseite seines Hauses näherte, hörte er einen leisen Anruf und erblickte seitwärts unter einer Eiche liegend Jauffroi.

Jauffroi winkte ihn heran er blieb dabei in seiner ruhigen Lage unter dem Baume. Um des Himmels willen – Sie hier? sagte Dankmar – hier? Die Häscher spähen bereits nach Ihnen und Sie …

Ich soll es aushalten in Ihren Thurmmauern? versetzte Jauffroi mürrisch. Krampfhaft lauschend, ob nicht der Schlüssel plötzlich in der Thür sich wendet? Haben Sie Eugenie gesprochen?

Ja – und Sie müssen fliehen – Sie gebietet es Ihnen zu fliehen und sie zu vergessen.

Auf diese Botschaft konnte ich gefaßt sein, Herr Dankmar von Gohr, als ich Sie als Boten sandte! antwortete Jauffroi, bitter auflachend.

Es scheint, versetzte Dankmar, seit ich Sie verließ, hat sich Ihrer eine andere Stimmung bemächtigt, und vor allem der Argwohn wider mich. Mag sein. Sie werden deshalb nicht minder auf mich hören, Halten Sie mich immerhin für Ihren Feind. Ich bin Ihr Feind, werde, nachdem ich Ihnen geholfen und Sie gerettet habe, für immer Ihr Feind sein. Sie aber, Sie werden von Ihrem Feinde sich nicht beschämen lassen wollen. Sie werden Ihrem Feinde nicht sagen: ich bin schwächer, bin muthloser, bin kleiner als du!

Wie sollt' ich es?

Indem Sie gestehen, daß Sie auf den Traum Ihrer Leidenschaft nicht verzichten können, daß Sie nicht den Muth haben, Ihren Wahnsinn zu bezwingen, nicht Entschlossenheit, dem Leben die Stirn zu bieten, auch ohne das Gut, welches das Leben Ihnen versagt.

Haben Sie etwa diesen Muth, diese Entschlossenheit gezeigt? antwortete Jauffroi mit einem Lippenkräuseln der Verachtung.

Ja. Ich habe den Traum gehegt, geliebt zu werden. In diesem Traume war mein ganzes Sein, alles Leben meines Herzens, meines Geistes und meiner Seele aufgegangen. Der Traum ist entschwunden. Was geschehen ist, was ich an diesem Morgen erfahren habe, hat ihn verflüchtigt für immer. Aber ich sehe ihn gefaßt schwinden, in das Unvermeidliche ergeben wie ein Mann. Thun Sie das Gleiche. Seien Sie nicht kleiner, elender, verächtlicher als Ihr Feind!

Jauffroi sah ihn aufhorchend mit stechendem, forschendem Blicke an.

Sie haben die Hoffnung verloren, sagte er dann lebhaft, Sie haben gesehen, daß Sie nicht geliebt werden – und deshalb soll ich die Hoffnung aufgeben? Könnten Sie mir Besseres verkünden? Sie haben sich verrathen, Herr von Gohr!

Ich habe die Hoffnung verloren, nicht, weil ich Sie geliebt sah, sondern weil, wenn Eugenie mich geliebt hätte, es aller Ihrer Willensstärke nicht gelungen wäre, Eugenie zu unterjochen. Ist denn Ihre Leidenschaft so unausrottbar, daß sie immer zu ihren falschen Schlüssen zurückkehrt? Nun wohl, so lesen Sie. Dieses Blatt hier ist ein bitteres Heilmittel – aber ich denke, ein sicheres.

Dankmar reichte Jauffroi Eugeniens Billet. Dieser las es mit zusammengezogenen Brauen und steckte es dann zerknittert in seine Brusttasche. Er schwieg.

Ist Ihr Entschluß gefaßt, nachdem Sie dies gelesen? fragte Dankmar.

Jauffroi sah ihm mit einem wilden Aufglühen seiner Augen ins Gesicht. Wohl Ihnen, sagte er dann halblaut, daß auf Ihren Zügen kein Ausdruck des Hohns oder der Schadenfreude liegt!

Ich hege weder das eine noch das andere. Ich leide selbst zu sehr, um nicht Theilnahme mit Ihnen zu empfinden. Und mit dieser Theilnahme frage ich Sie: werden Sie jetzt endlich sich zu dem entschließen, was diese Theilnahme verlangt, daß Sie thun?

Ich habe mehr solch zorniger Billetdoux von Eugeniens Hand, sagte Jauffroi achselzuckend nach einer Pause. Ich habe mich nie dadurch irremachen lassen.

Daran thaten Sie unrecht, besonders wenn diese Billetdoux offen durch die Hand eines andern Mannes Ihnen überbracht wurden.

Jauffroi sah ihn wieder wie fragend an; dann erwiderte er, das Auge senkend, mit einem tiefschmerzlichen Aufseufzen:

Es mag wahr sein!

Es ist wahr, Baron Jauffroi von Montenglaut; und nun fordere ich Sie zum letzten mal auf, Ihre Lage zu erkennen. Sie haben den Grafen Boto Edern ermordet; Sie können, wie auch die Dinge stehen, nicht wollen, daß Eugenie einem Mörder auf seiner Flucht folge; wäre Ihre Leidenschaft eines solchen rücksichtslosen Egoismus fähig, so wäre sie das abscheulichste, verächtlichste Gefühl, das je in der Brust eines Menschen geherrscht hat! Stehen Sie auf und folgen Sie mir. Ich werde Sie zu einer Stätte führen, wo Sie gegen Verfolgung noch sicherer sind wie in meinem Hause. Ich werde dann den besten Weg zu Ihrer Flucht überdenken und Ihnen vor Nacht die Mittel dazu bringen. Und in der Nacht werden Sie fliehen!

Jauffroi schien überwunden. Er erhob sich wie mühsam; dann stützte er den Arm wider den Baumstamm, unter dem er geruht hatte, und sagte, die Stirn auf den Arm legend und mit der andern Hand mechanisch eine Flechte zerzupfend:

Wohl denn – ich lege mein Schicksal in Ihre Hand!

Legen Sie es in die Hand Gottes! antwortete Dankmar ernst.

Ich glaube nicht, daß Sie mich belügen wollen in diesem Augenblicke, sagte Jauffroi leise. Sagen Sie mir so ernst, wie ich Sie frage: ist Ihnen das Wort mehr als ein Schall, ein Hauch?

Das Wort: die Hand Gottes? Ja, es ist mir mehr als das. Möchte es auch Ihnen mehr als das sein!

Und Sie vertrauen auf Gott? Was nennen Sie Gott?

Ich nenne den Geist so, der über uns wartet und der unsere Lebenswanderung an den unsichtbaren Fäden lenkt, welche wir nur zu oft zerreißen, um Wege einzuschlagen, die wir selber wählten. Den ewigen, unendlichen Geist, der bleibt, wie die Sonne bleibt, über all den wechselnden Formen, welche die Menschheit den Altären gibt, auf denen sie dem lichte Opfer bringt. Ja, da oben leuchtet die Sonne. Sie sehen und den großen, unendlichen, über uns wachenden Geist erkennen, der sie hält, ist Eins! Sie mögen ein so großer Philosoph sein, wie Sie wollen, Sie mögen Höhen der Speculation erklimmen, wo im eisigen, zum Nichts verdünnten Hauche der Luft die warme Menschenbrust zu athmen aufhört, das Menschenherz seinen Schlag einstellt – es bleibt doch immer tief zu Ihren Füßen unter Ihnen ausgebreitet die Welt, das Leben, das Sein, und den Sprung aus dem Nichts in das Sein können Sie nicht machen ohne einen Gott! Gehen Sie zum Berge Athos, Baron Jauffroi von Montenglaut!

Zum Berge Athos! sagte Jauffroi – es klang halb wie ein Seufzer, halb wie Spott; aber es klang wie das Wort eines gebrochenen Mannes. Und von Ihnen geführt, setzte er dann hinzu von Ihnen! Kommen Sie, ich will mich führen lassen von Ihnen. Auch zum Berge Athos. Ich will dort nachdenken über Ihren Gott. Für jetzt weiß ich nur von ihm, daß ein Mann ihn nicht suchen soll in der Brust eines Weibes, seinen Gott! Er ist nicht darin. Es ist nichts Göttliches, nichts Gutes darin. Es ist das Urnichts darin – da liegt es. Vorwärts, führen Sie mich – zu Ihrem Asyl oder in den Kerker, oder wohin Sie wollen – es ist nicht gerade das, was mir am Herzen liegt. Ich bin in der Stimmung, Ihnen zu folgen. Das ist das Einzige, was ich noch von mir sagen kann. Es ist alles! Mir ist, als wüßte ich von mir selber nicht mehr als von Ihrem Gotte! Ihr Gott –, ich kann ihn mir am Ende gefallen lassen! Ich habe nichts zu fürchten von ihm. Habe ich gethan, was man schlecht nennt? – Wahrhaftig, es ist mir nicht wohl dabei gewesen. Wo ist Ihre große Wagschale? Schütten Sie alles hinein, was ich gethan; ich werde auf die andere Seite alles werfen, was ich gelitten – es wird keine schwerere Last niedergefallen sein, seit Polyphem seinen Felsen ins Meer schleuderte! Und nun fort, fort! Wohin sollen wir gehen?

Hierher! antwortete Dankmar, indem er mitten in das Gebüsch hineinschritt.

Jauffroi folgte ihm. Sie hatten nicht funfzig Schritte gemacht, als sie an das Ufer des hier unter dem Laubgewölbe dichter Wipfel sacht hinabgleitenden Flusses gelangten.

Warten Sie hier einige Augenblicke auf mich, sagte Dankmar. Ich werde gleich wieder bei Ihnen sein.

Dankmar verschwand hinter dem Gesträuche in der Richtung von Haus Gohr. Nach fünf Minuten vernahm Jauffroi den Schlag von Rudern. Er bückte sich über dem Wasser vor, um flußaufwärts zu spähen – es war Dankmar, der in einem Nachen zurückkam.

Als dieser Jauffroi erreicht hatte, hieß er ihn in den Kahn steigen. Nachdem es geschehen, ruderte er weiter auf der stillen, dunkeln Wasserbahn dahin, eine geraume Strecke weit. Endlich verbreiterte sich der Fluß, er schoß in zwei Armen auseinander – Dankmar bog in den zur Linken ein, und nachdem er noch eine kurze Weile gerudert, ließ er die Spitze des Nachens an eine offene, grasbewachsene Stelle des Ufers anlaufen.

Wir sind am Ziele, sagte er. Verlassen Sie den Kahn hier, und Sie sind fürs erste in Sicherheit. Sie sind auf einer rings umflossenen, überall so dicht wie hier bewachsenen Insel. Sie sehen die alte Kapelle im Gebüsche dort – Sie finden in dem alten Bauwerke nöthigenfalls mehr als einen Versteck. Aber niemand wird Sie hier suchen. Niemand weder in Edern noch in Gohr wird heute Lust bekommen, eine Fahrt nach der Kapelleninsel zu machen; und Ihre Verfolger würden nur auf den Gedanken kommen, wenn sie einen Nachen am Ufer sähen.

Jauffroi war ausgestiegen.

Auf Wiedersehen! endete Dankmar. Ich werde am Nachmittage Ihnen Lebensmittel bringen, und wir werden dann das Weitere bereden.

Er wollte seinen Kahn abstoßen, als Jauffroi ihm sagte:

Noch ein Wort, Herr von Gohr; mir fällt ein, daß ich Ihnen noch ein Wort zu sagen habe!

Und welches?

Sie haben mich durch Ihren freundlichen Wunsch, mich auf dem Berge Athos zu wissen, daran erinnert.

Reden Sie!

Sie weigerten sich in Neapel, mir die Briefe Eugeniens gegen das Testament des Freiherrn von Nesselbrook auszuliefern.

Und Sie verbrannten das letztere darauf – wenigstens drohten Sie es!

Ja – aber ich verbrannte es nicht. Man verbrennt solche Documente nicht – ich behielt es bei mir; ich rechnete hier darauf, einen Hebel darin zu haben, ein Mittel, Gundobald Burghaus, wenn ich seiner bedurfte, und durch ihn Ihre Schwester von mir abhängig zu machen. Jetzt bedarf ich seiner nicht mehr. Ich habe keinen Grund, es ihm vorzuenthalten.

Damit zog Jauffroi ein Papier aus seiner Brusttasche und überreichte es Dankmar – es war ein aus mehrern Bogen bestehendes, zusammengefaltetes Actenstück.

Nehmen Sie es, sagte er dabei, und lesen Sie es, wie ich es oft und vielfältig gelesen habe. Es wäre schade, wenn es untergegangen wäre. Schade schon deshalb, weil ich es dann in dieser Stunde nicht gehabt hätte und Ihnen nicht zeigen könnte, daß ich – mich zwingen will, Ihnen dankbar zu sein!

Dankmar steckte das Document, welches er begierig ergriffen, zu sich.

Wenn ich auf Dank Anspruch machte, wäre er damit allerdings abgetragen, sagte er. Ich werde Burghaus dieses Document übergeben, verlassen Sie sich darauf – daß ich es ihm übergeben kann, macht mich unendlich froh, denn es wälzt eine Last von meiner Brust, die seit der Versuchung, womit Sie in Neapel an mich traten, darauf lag. Also auf Wiedersehen! noch einmal.

Er stieß seinen Kahn ab, und Jauffroi blickte, am Ufer stehend, ihm schweigend nach, wie er mit raschen Ruderschlägen das kleine Fahrzeug jetzt der Strömung entgegen aufwärts trieb.

Nach kurzer Frist hatte er sein Ziel, den Landeplatz unter dem Thurme von Haus Gohr, erreicht. Nachdem er den Nachen verlassen und festgelegt und den Hofplatz betreten, sah er Eugenie an Herminens Arm eben in das Innere seines Hauses gehen und darin verschwinden.

Im ersten Augenblicke wollte er rascher zuschreiten, um ihr die Nachricht, daß Jauffroi das Dach, unter welches sie trat, bereits verlassen habe, zu bringen. Dann aber hemmte er wieder den Schritt; er konnte es ihr ja durch Hermine sagen lassen; wie die Sachen standen, war er entschlossen, Eugeniens Gegenwart zu meiden, soviel er immer konnte.

Er begab sich in sein Zimmer, um nach all den heftigen und schmerzlichen Erregungen dieses Tages die volle Fassung wiederzugewinnen, sich Ruhe zu gewähren – und das Testament des Freiherrn von Nesselbrook zu lesen.


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