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Vierzehntes Kapitel.
Romeo und Julia

Helene sagte keine Silbe mehr. Sie ging. Sie ging auf ihr Zimmer. Und hier schob sie zornig und mit trotzig aufgeworfener Lippe den Riegel vor die Thür und ging ans Fenster, das sie aufriß, um in Ludwig's Hof hinüberzuschauen und ihm einige Zeichen zu machen. Aber Ludwig war nicht sichtbar. Er war da auf seinem Arbeitshofe, sie hörte ihn arbeiten, sie hörte unter seinem Meißel die Steinstücke fliegen aber es war unter seinem Arbeitsschuppen, und er kam keinen Augenblick unter dem überhangenden Dache, das ihn unsichtbar machte, hervor.

Der abscheuliche Mensch, sagte Helene sich in Verzweiflung, nun denkt er gar nicht an mich – er denkt mehr an seinen albernen Steinblock als an mich – und ich muß ihn doch sehen, ich muß ihm doch sagen, daß er da im Hofe bleibt, bis ich kommen kann! Wenn der Vater nur nicht gleich nach Leuten sendet, welche die Thür zumauern – ach nein, ich soll ihm ja erst den Brief verschaffen, und so lange muß ich doch hinüberkönnen! Ob der Vater es wol ernstlich meinte, als er sagte, er könne es dem Briefe von außen ansehen, ob etwas Rechtes darin stehe? Kann man das den Briefen von außen ansehen? Ich muß es mit Ludwig überlegen. Nein, dieser abscheuliche Kunstjünger! Er hämmert noch immer an seiner garstigen Bildsäule! Es ist empörend, es ist schändlich – Schwester Ulrike soll ihn holen!

Helene lachte trotz all ihrer innern Empörung und all ihres Aergers über den schändlichen Ludwig; dann sagte sie wieder sehr zornig:

Aber das sag' ich dem Vater, so lasse ich mich nicht wieder von ihm behandeln, und Drohungen mit dem Kloster zum guten Hirten – die lass' ich mir nicht gefallen – viel eher geh' ich ihm durch, in die weite Welt hinein, und er sieht mich nie wieder!

Helene setzte sich und begann wieder, ein wenig zu weinen.

Es ist doch auch gar zu entsetzlich, wenn Kinder so unvernünftige und eigensinnige Aeltern haben! Wo in der Welt kann sich der Vater nur einbilden, einen Mann für mich zu finden, der so gut ist und der mir so gefiele wie Ludwig! Aber der Vater ist so fürchterlich eigensinnig ich seh' es kommen, es wird ganz unmöglich sein, ihn auf den richtigen Weg zu bringen, und ich würde …

Plötzlich hielt Helene in diesem Selbstgespräche inne; sie fuhr auf, zog die Schnur an dem Fensterrouleau, und das Rouleau sank bis auf die Mitte des Fensters nieder.

Die Liebe, ist oft gesagt, gibt allen Dingen einen Inhalt, eine tiefere Bedeutung; für sie bekommen die Blumen, die Wolken, die Sterne, die Vögel, die Farben und die Töne eine Sprache. Selbst die Fensterrouleaux. Helenens Fensterrouleau, so halb herabgelassen, sprach: Ich muß mit dir reden.

Ludwig, der aus seinem Arbeitsschuppen eben endlich hervorgetreten war und jetzt, in der Mitte des Hofs stehend, zu Helene hinüberschaute, legte die Hand aufs Herz.

Auch diese einfache Bewegung hatte ihre tiefere symbolische Bedeutung; sie sagte: Ich harre dein – komm!

Helene zog nun das Rouleau auf, bis es mit dem Querholze des Fensterkreuzes gleich hing.

Ludwig verstand auch jetzt, was das beredsame Rouleau sagen wollte; es wollte sagen: Nach Tisch, wenn der Papa seine Siesta hält.

So sprach das Rouleau. Zwar hielt der Papa heute keine Siesta; er ließ vielmehr den Einspänner kommen, in welchem er gewöhnlich seine kleinen Geschäftsreisen über Land machte, und fuhr darin gleich nach Tisch zum Thore hinaus zu dem Thore, welches nach Haus Edern führte. Das Fensterrouleau wurde aber dadurch nicht Lügen gestraft; es hatte kaum zwei Uhr geschlagen, als Helene scheu, mit dem drückenden Gedanken, daß es vielleicht das letzte mal sei, durch die verborgene Thür in Ludwig's Arbeitshof trat.

Sie warf sich bewegt an seine Brust.

Ludwig, sagte sie schluchzend, es ist etwas ganz, ganz Schreckliches geschehen! Der Vater weiß alles …

Dein Vater? Wie ist das möglich?

Wie ist das möglich – er weiß es eben! Er ist so schlau – er fing, glaube ich, von Sauerkrautfässern zu reden an, und damit entlockte er mir alles …

Du kannst noch scherzen Helene, ich bin zu Tode erschrocken!

Du sollst auch erschrocken sein, versetzte sie, inniger ihre Arme um seinen Nacken schlingend, erschrocken zu Tode, Ludwig! Du sollst sterben, gleich auf der Stelle sterben bei dem Gedanken, mich nicht mehr zu sehen – du armer, armer Kunstjünger! Aber heute habe ich dich noch – wir haben noch Zeit; bis übermorgen haben wir Zeit – übermorgen Abend soll ich ins Kloster gesteckt werden – und dann, dann sollst du sterben vor Schmerz – wirst du?

Ganz gewiß! Aber ich sehe, du willst mich nur erschrecken! Und das ist ein grausamer Scherz!

Ludwig, es ist kein Scherz. Es ist, wie ich sage. Aber du sollst doch nicht zu sterben brauchen. Eher entführe ich dich. Ich habe vorhin meine Sparbüchse ausgeschüttelt. Ich habe neununddreißig Thaler. Dafür kann ich einen Wagen kommen lassen und dich entführen – kann ich nicht?

Ich weiß wirklich noch immer nicht, ob du im Ernste redest oder nicht?

Komm, versetzte Helene, ihn an der Hand nehmend und zu einer Bank führend, die im Hintergrunde des Schuppens stand. Setze dich zu mir, wir wollen die ganze Angelegenheit vernünftig überlegen.

Helene erzählte, was vorgefallen, und dann überlegten sie. Ludwig war der Ansicht, daß Herr Böhmer ebenso wenig, wie ihm das selber geglückt sei, dem geheimnißvollen Briefe von außen ansehen könne, was darin stehe. Und daß seine Mutter niemals dareinwilligen werde, den Brief zu zeigen, da sie sich nun einmal einbilde, nur wenn sie ihn streng geheimhalte, würden sich die Verheißungen erfüllen, welche ihr in Beziehung auf denselben, als er in ihre Hände gekommen, gemacht worden.

Aber wenn nun deine Mutter bedenkt, daß sie damit vielleicht unser beider Glück macht? fiel Helene ein. – Wenn wir ihr alles sagten?

Ludwig schüttelte traurig den Kopf.

Auch meine Mutter würde gegen uns sein, antwortete er. Sie würde sich gewiß sehr unglücklich fühlen, wenn sie erführe, daß ich dich liebe, Helene. Sie hat einst viel gelitten. Alle solche Verhältnisse, wo Rang und Stand und Reichthum die Liebenden trennen, scheinen ihr so schrecklich. Sie kann, wenn sie davon hört, stundenlang reden. Sie nimmt alles so schwer und ernst. Es wäre um ihre ganze Ruhe geschehen, wenn ich offen mit ihr spräche. Glaubst du, ich hätte es nicht sonst schon längst gethan? Aber ich darf, ich darf nicht! Die gute Mutter!

Aber was sollen wir dann beginnen? sagte Helene. Wir armen, bedrängten Kinder! O, daß die Welt so böse und schlecht ist! Ich hätte Lust, zu fliehen, zu fliehen bis an den Nordpol! Da könntest du eine schöne Figur ganz aus einem Eisblocke hauen, und die schickten wir dann dem Vater, um ihm zu zeigen, wie ein Mann ganz von Eis aussieht! O, laß uns fliehen, Ludwig!

Wohin sollte ich dich bringen, Helene? Hätte ich irgendein Asyl für dich …

Wenn du kein Asyl hast, so schaff' ich mir selber eins, ehe daß ich mich ins Kloster sperren und mir einen Mann von Papa aussuchen lasse! Und ich weiß auch schon ein Asyl!

Du weißt eins?

Ja, ja, ja! rief Helene trotzig aus. Ich gehe zu einem Mädchen, das im Klosterpensionat meine beste Freundin war.

Wird sie dich aufnehmen gegen den Willen deines Vaters?

Sie soll mich auch gar nicht aufnehmen! Jemand ganz anderes soll mich aufnehmen! Eine Frau, die ein Stellenbureau hält, hat ihr von einem Platze als Kammerfrau, – nicht als Kammerjungfer, sondern ganz vornehm, als Kammerfrau – bei einer ganz reichen, jungen Dame gesprochen. Aber sie kann ihn nicht annehmen, weil ihre Mutter krank ist …

Und den wolltest du annehmen?

Weshalb nicht? fragte Helene.

Du, eine Kammerjungfer!

Eine Kammerfrau, wenn du das lieber hörst!

Das macht viel aus! Und wird man nicht bald entdecken …

Bis der erste Juli da ist und du dich als Prinz entpuppst und mit vier Pferden vor dem Schlosse der reichen Dame vorfährst und um die Hand der armen Kammerfrau wirbst – bis zu diesem erhebenden Momente wird man nichts entdecken!

Ludwig schaute sehr beklommen darein.

Aber bevor du etwas so Verzweifeltes thust, sagte er, müßte ich doch eigentlich erst zu deinem Vater gehen und ernstlich mit ihm reden und ihm vorstellen, daß es doch abscheulich von ihm wäre, dich in ein solches Klosterpensionat zurückzuschicken, wo du dich als eine vollständige Gefangene fühlen würdest.

Das, erwiderte Helene, wäre völlig unnütz; es würde nur dazu führen, daß mein Papa dir sehr, sehr viel böse Dinge sagte, welche du ihm nicht verzeihen könntest – in Ewigkeit nicht. Es ist eine ganz unpraktische Idee, lieber junger Künstler. Meine Idee ist viel praktischer – meinst du nicht, daß ich eine vortreffliche Kammerfrau abgäbe? O, ich will meine Gräfin, oder Fürstin, oder was sie ist, so schön frisiren, daß sie selbst sich nicht wiedererkennt, und will sie dabei unterhalten, daß sie bald ganz vernarrt in mich ist und gar nicht ohne mich sein kann, und dann, dann will ich ihr sagen, daß, wenn man so reich ist, man vor allem viel, sehr viel für die Kunst thun muß und daß ihr schönes Schloß doch sehr langweilig aussehe, weil gar keine schönen Marmorfiguren darin seien, und daß in diese Ecke ein großer Apoll und in jene eine schöne Diana gehöre, und in die dritte eine Flora, und in den Garten die vier Jahreszeiten, und daß sie dies alles einem jungen Manne in Auftrag geben müsse, der mir als recht geschickter und vielversprechender Arbeiter empfohlen worden – was sagst du dazu, du unpraktischer Kunstjünger? Man kann nicht wissen, wie die Dinge sich gestalten, und wenn es mit dem Prinzenthum nichts ist, dann müssen wir uns doch ans Bildhauen halten!

Helene hatte sich in ihren abenteuerlichen Plan so vertieft, daß ein großer Theil ihrer Heiterkeit und Sorglosigkeit wieder bei ihr eingekehrt war, was sie dadurch an den Tag legte, daß sie bei den letzten Worten dem unpraktischen Kunstjünger einen leisen Backenstreich gab.

Und dann fuhr sie zu plaudern fort, ohne doch Ludwig's Widerstreben ganz zu besiegen. Aber freilich, etwas Besseres wußte auch er nicht vorzuschlagen – und als die beiden jungen Leute sich trennten, war kein anderer Entschluß gefaßt, als daß Helene noch heute, wo die Abwesenheit des Vaters ihr die Freiheit ließ, zu der Freundin gehen wollte, um von ihr Näheres über jene Stelle zu hören, und die Mittel zu berathen, wie Helene sich dieselbe unter irgendeinem erborgten Namen verschaffen könne. Bisjetzt wußte sie nur, daß die Dame auf einem schönen Schlosse auf dem Lande, ziemlich weit von der Stadt, wohne. Dann wollte Helene noch einmal mit ihrem Vater reden und ihm sagen, daß er den Brief der Frau Randheim nicht erhalten werde, und wenn er dann Helene wirklich ins Kloster sperren wollte, so wollte sie ihren Entschluß ausführen.

Lieber sterben, sagte sie, als im Kloster sitzen, bis mir der Vater einen Mann ausgesucht hat!

Helene führte in derselben Stunde, worin sie Ludwig verließ, ihren Vorsatz aus. Sie suchte ihre Freundin auf und suchte die Frau mit dem Stellenbureau auf und danach suchte sie eine dritte Dame auf, an welche die Frau mit dem Stellenbureau sie gewiesen hatte. Diese dritte Dame wohnte inmitten der Stadt in einem sehr alten Hause mit einem sehr großen Flur, in welchem ein sehr grimmig aussehender Löwe auf dem Treppenpfosten vor Helene die blutdürstige Zunge ausstreckte, als sie die hölzernen Stufen betrat, um ins obere Stockwerk hinaufzusteigen.

Wollte der grimmige hölzerne Löwe sie damit vor der Entdeckungsfahrt in die obern Regionen des alten, düstern und wie ausgestorbenen Hauses zurückschrecken, so war er ein gutmüthigeres Thier, als es den Anschein hatte. Aber Helene fürchtete weder den Löwen noch das Dunkel, welches sie oben erwartete, als sie die Treppe erstiegen hatte.

Sie sah einen Gang vor sich, dem alles Licht fehlte. Und die Bohlen des Fußbodens hatten sich in der Verzweiflung über die Monotonie ihres Daseins in dem frostigen alten Gange das Wort gegeben, einige Bewegung in dieses Dasein zu bringen; sie hatten sich gelöst und geworfen, bis sie den Wellen eines windgepeitschten Teiches glichen – man trat bald in eine Tiefe, bald auf einen Kamm dieser Wellen und weckte dabei das Echo des langen Ganges durch ein spukhaft lautendes Geklapper. Dunkle Thüren zeigten sich rechts und links – Helene schaute sich vergebens nach einer Klingel um oder nach einem andern Mittel, sich Auskunft zu verschaffen, wo sie die ihr bezeichnete Dame, welche eine Treppe hoch in diesem Hause wohnen sollte, finden könne.

Die Dame wohnte aber allerdings in diesem Hause und auch auf diesem Gange. Hinter der letzten Thür links. Und eine recht hübsche, recht zierliche, recht liebenswürdige Dame war es, die hinter dieser Thür in dem großen, aber sehr niedern Zimmer mit zwei auf den Hof hinausgehenden Fenstern wohnte. Sie war mittler Größe, fein und schlank gebaut, hatte lichtbraunes Haar, lustige, braune Augen mit schön gezeichneten scharfen Brauen darüber, ein Stumpfnäschen und einen hübschen Mund, der sich an den Winkeln ein wenig in die Höhe zog, als wäre er mehr an Lachen gewöhnt als daran, sich ernst oder trübsinnig herabzusenken.

Obwol es spät nachmittags war, bestand ihr Anzug doch noch aus einem bequemen Morgenrocke, und einige Papilloten über den Schläfen zeigten, daß sie entweder nicht Zeit oder nicht Lust gehabt, sich mit ihrer Toilette zu beschäftigen. Doch war sie sehr beweglich und bald in der einen Ecke ihres Zimmers, bald in der andern beschäftigt, um aus verschiedenen Möbeln Sachen zusammenzuholen, welche sie in einen mitten in dem Raume auf zwei Stühlen stehenden eleganten neuen Reisekoffer packte. Auf den Tischen, auf den Stühlen, auf dem Boden lagen eine Menge Gegenstände umher, welche anscheinend auf den Augenblick warteten, in welchem auch sie in dem großen Koffer verschwinden sollten.

Die junge Dame war bei diesem Geschäfte nicht allein. Unter dem einen der Fenster saß ein blasser, junger Herr, mit vorquellenden blauen Augen und blondem Haar, verkehrt rittlings auf einem Strohstuhle, sodaß er die Arme auf der Lehne gestützt hielt und, während die eine Hand seine Schläfe stützte, die andere die Cigarre hielt, welcher er langsam und apathisch kleine Rauchwölkchen entlockte.

Wenn man dich anhört, sagte die junge Dame eben lachend, so müßte man eigentlich vor Rührung über so viel Liebe und Treue zerfließen du bist krank gewesen, du Aermster, bist in einem Duell verwundet – worüber dieses Duell entstanden, ist in ein gewisses Dunkel gehüllt – wahrscheinlich hat dein Gegner sich eine unehrerbietige Aeußerung über eine gewisse verehrungswürdige Theatersoubrette außer Dienst erlaubt und du bist als ihr Champion für ihre Tugend in die Schranken getreten – und die Wunde, welche dir dein Rittersinn eingetragen, hat dich ans Krankenlager gefesselt – in diesen Stunden des Leidens und der trüben Haft ist dir die unbezwingliche Sehnsucht nach deiner armen, verlassenen Fanny gekommen – sobald du halb genesen, hast du wie ein Heros alle Fesseln durchbrochen, um zu ihr zu eilen …

Wahrhaftig, Fanny, so ist es! sagte der junge Mann mit einem spöttischen Zuge um die Mundwinkel. Ich habe meinem Prinzen und seinem fesselnden Kreise, nicht ohne tiefen Seelenschmerz und einen erschütternden Abschied, Lebewohl gesagt, in dem übermächtigen Drange, der mich zurück zu deinen Füßen zog!

Es ist doch wundervoll, einen so romantischen Liebhaber zu haben! versetzte Fanny. Ich könnte mir beinahe etwas einbilden darauf, eine solche Leidenschaft eingeflößt zu haben!

Du kannst dir wirklich etwas darauf einbilden, Fanny … versetzte ihr Liebhaber.

Denn nie war eine Leidenschaft so groß
Als die der Julia und Romeo's –

fiel Fanny ein, und dann trällerte sie:

A bisserl Lieb' und a bisserl Treu'
Und a bisserl Falschheit ist allzeit dabei!

Und hierbei ist viel, viel Falschheit! Soll ich dir erklären, Beltram, wie es zusammenhängt, daß du dich so übermächtig zu meinen Füßen zurückgezogen fühlst …

Nun, ich bin neugierig!

Schau, bester Romeo, deine Wunde hast du dir irgendwo in einem höchst unrühmlichen Gefechte mit Bauernjungen auf einer Dorftänzerei geholt, wo sie dich haben lehren wollen, ihren Dirnen nachzustellen! Darauf hat dir dein Prinz, dem dieser Rückfall in deine alten, löblichen Gewohnheiten zu stark gewesen ist, gesagt, du seiest selbst für seine Gesellschaft von Sumpfhühnern ein zu ruppiger Vogel und hat dir den Laufpaß gegeben! Da du nun zu den Deinigen nicht zurückzukehren wagst oder nicht magst, kommst du zu deiner alten Flamme Fanny, um zu sehen, ob die alte Flamme bei ihr noch ein wenig in der Asche fortglimmt – wenn nur noch ein winziges Köhlchen am Glimmen sein sollte, so traust du deiner Liebenswürdigkeit zu, es wieder zur Flamme anzublasen mit dem Winde, den du ihr von deiner Sehnsucht und deiner Leidenschaft vormachst! Nicht wahr, so ist's?

Ich sehe, wenn die alte Flamme auch ausgegangen ist, lachte Baron Beltram, die alte Bosheit ist dir nicht ausgegangen …

Und weshalb sollte sie das? fiel Fanny ein. Das, mein Romeo, ist gerade dein Glück, dein fabelhaftes Glück! Das Glück, weißt du, verfolgt immer am meisten die, welche es am wenigsten verdienen, wie uns zwei …

Uns das Glück – das Glück, sagst du?

Lass' mich ausreden, Sumpfhuhn, ich weiß, was ich sage! Das Glück, sage ich. Dein Glück ist, daß ich meine alte Bosheit noch habe; denn hätte ich sie nicht mehr, so hätte ich auch nicht das Bedürfniß mehr, jemand zu besitzen, an dem ich sie auslassen kann, und hätte ich dieses Bedürfniß nicht, so würde ich dich auch nicht mit so viel Entzücken wieder vor mir auftauchen gesehen und mit offenen Armen gerufen haben: »Mein Romeo!« Und was mein Glück betrifft, so besteht es darin, daß der heilige Nikolaus bei mir gewesen ist und mir einen großen, großen Beutel mit Gold in den Schoß geworfen hat, damit ich nun auf immer die gefährliche und für meine Tugend so klippenreiche Theaterlaufbahn verlassen kann …

Der heilige Nikolaus – das versteh' ich nicht!

Als ob ich's verstände! Versteht unsereins die Heiligen, weshalb sie so wunderlich sind? Wenn sie uns aber eine ganz entsetzliche Menge Gold schenken, so wäre es nicht schön, ihnen nicht den Willen zu thun und nicht so tugendhaft zu werden, wie es sich mit dem Gelde bestreiten läßt!

Aber wovon redest du eigentlich?

Wovon ich eigentlich rede? Eigentlich rede ich von deiner neuesten Eroberung und ihrer königlichen Freigebigkeit. Du mußt diesmal ganz ausnahmsweise deine Eroberungen in einer Sphäre gesucht haben, in welche du dich sonst nicht versteigst, bei den Prinzessinnen, und die von dir eroberte Prinzessin muß das zweifelhafte Glück deines ausschließlichen Besitzes zum Preise von dreißigtausend Francs angeschlagen haben; denn gerade so viel hat sie mir geschickt in einem guten Wechsel –, und das doch sicherlich nur um mich, meine gefährliche Person, aus deiner Nähe fort in das Land zu senden, wo der Pfeffer wächst – sie nennt das »das Land des ewigen Sonnenscheins, der goldenen Früchte, winkend zwischen dunkelm Laub« – es lautet freundlicher, und man versteht es schon!

Höre, Fanny, fiel hier Beltram ein, ich habe dich schon oft tolles Zeug durcheinanderschwatzen hören, aber solchen Unsinn wie diesen noch nicht! Das Einzige, was ich daraus verstehe, ist, daß du behauptest, Geld geschenkt erhalten zu haben – ist das wahr?

Nun gewiß! So wahr, wie das Unwahrscheinlichste je gewesen ist! Hat dir deine Prinzessin nichts davon gesagt? Nun, ich kann's mir denken! Aber sag mir, wer ist sie, erzähle mir von ihr und wenn du sie je wiedersiehst, »sag', ich lass' sie grüßen«!

Meine Prinzessin!

Nun ja!

Aber ums Himmels willen, sag' mir endlich, wovon redest du?

Das hab' ich dir ja gesagt von der gütigen Dame, Fee, Prinzessin, die meinen Brief an dich dadurch beantwortet hat, daß sie meiner Noth mit einem Geschenke von dreißigtausend Francs ein Ende machte! Deinen Brief an mich? Den hat eine Dame beantwortet, die …

So ist es, theurer Freund! Eine Dame, die du sehr genau kennen mußt, weil du ihr meinen Brief an dich zu lesen gabst, was an und für sich nicht sehr edel war, denn ich hatte ihn für dich geschrieben und nicht für deine hohen oder niedern Freundinnen – eine solche Dame, sag' ich, hat meinen Brief beantwortet und mir dabei eine solche Menge Geld an den Kopf geworfen. Es scheint in der That, du weißt nichts davon?

So wenig, daß ich noch immer nicht im Klaren darüber hin, ob du im Ernste sprichst oder mich zum besten haben willst!

Fanny kniete vor ihrem Koffer nieder und holte eine schon eingepackte alte Mappe hervor; aus den Blättern derselben nahm sie ein Billet, das sie Beltram reichte.

Da, lies selbst! sagte sie.

Beltram starrte das Blatt höchst verwundert an. Es war der Brief Anna Morell's an Fanny.

Das ist, rief er aus, in der That eine Antwort auf deinen Brief – es kamen die Worte »Land des ewigen Sonnenscheins, der goldenen Früchte« und so weiter, die hier wiederholt werden, darin vor …

Ich sehe, du fängst an zu begreifen, lachte Fanny auf, und zu gleicher Zeit kann ich mir deine innere Zerknirschung malen! Du wärst wol nicht zu mir gekommen, wenn du dich mit dieser Dame nicht überworfen hättest? Und nun siehst du, wie großartig sie deine Schändlichkeit, der armen Fanny nicht einmal zu antworten, gut gemacht hat! Du siehst, wie viel sie geopfert hat, um ihre Nebenbuhlerin fortzuschaffen, um sicher zu sein, dein Schmetterlingsherz nicht länger von mir bedroht zu sehen; du siehst, was sie für dieses Schmetterlingsherz gegeben, und die furchtbarste Reue überströmt dich ob dessen, was du gethan, als du dich mit ihr überwarfst!…

Ich versichere dich, fiel Beltram, dem die Sache immer räthselhafter geworden, ein, du kannst dir die Mühe sparen, diesen Roman, den du dir ausgesonnen, weiter zu spinnen! Alles, was ich dir sagen kann, ist, daß, wie mir jetzt einfällt, mein Taschenbuch mir einmal auf Haus Edern abhanden gekommen ist; ich merkte den Verlust nicht eher, als bis ein Diener mir es wiederbrachte mit der Bemerkung, es sei in den Anlagen gefunden worden. Ich setzte voraus, es sei der Diener selbst, der es gefunden, und habe weiter nicht nachgeforscht, wer es in Händen gehabt, bis es in die meinen zurückkam – ich habe gar kein Gewicht darauf gelegt …

Und mein Brief war in dem Taschenbuche?

Allerdings!

Fanny blickte Beltram forschend an; dann entgegnete sie:

Und ich glaube, es ist doch so, wie ich sage; die Sache hat ja sonst gar keinen Schlüssel! So viel ist jedenfalls gewiß, dir, deiner gnädigen Verwendung für mich habe ich mein Glück nicht zu danken! Und wenn ich dennoch in meines Herzens unergründlichem Edelmuthe meine Schätze mit dir theile, so siehst du, daß es eben der reine Edelmuth ist! Ein Drittheil der Summe habe ich zum Verjubeln bestimmt – wir werden reisen, blauäugiger Romeo, wir werden das Land …

Fanny's Geplauder wurde in diesem Augenblicke durch ein leises Pochen an der Thür unterbrochen.

Sieh doch, wer da sein kann! sagte sie. Ich höre schon lange jemand draußen auf dem dunkeln Gange umherstolpern …

Beltram öffnete die Thür. Vor der Schwelle derselben stand Helene. Sie hatte, den Gang herunterschreitend, den Stimmenwechsel gehört und auf gut Glück an die Thür geklopft, hinter welcher sie ihn vernahm.

Was wünschen Sie? rief Fanny ihr, überrascht durch die ganz fremde Erscheinung, entgegen.

Helene blickte ein wenig zaghaft in die unordentliche Wirthschaft, welche das Zimmer zeigte, hinein und sagte dann mit fragendem Tone: Fräulein Fanny …

Ja; ja, die bin ich, unterbrach die Angeredete sie rasch, und Sie? Treten Sie ein!

Die Frau in dem Stellenbureau sendet mich zu Ihnen. Sie haben sich vor mehrern Wochen an dieselbe um eine Stelle als Vorleserin, Reisebegleiterin oder Kammerfrau bei irgendeiner vornehmen Dame gewendet … Sie hat Ihnen darauf vor etwa vierzehn Tagen den Brief einer Dame geschickt, welche eine Kammerfrau für sich engagirt zu sehen wünscht …

Nun ja, ja, versetzte mit einem verächtlichen Aufwerfen der Lippen Fanny; aber ich habe die gute Frau Lehmann ja längst wissen lassen, daß ich den Gedanken nicht im geringsten mehr habe.

Freilich, aber den Brief haben Sie der Frau Lehmann nicht zurückgeschickt, und da alle Bedingungen genau darin mitgetheilt sind, soll ich mir den Brief von Ihnen holen.

Den Brief hätte ich nicht zurückgeschickt? Nun, es mag sein, und wenn ich ihn noch besitze, können Sie ihn bekommen. Wollen Sie etwa um die Stelle sich bewerben?

Ich habe mich darum beworben, und die Frau Lehmann hat mir sie zugesagt – das Nähere solle ich selber aus dem Briefe sehen.

Fanny maß das junge Mädchen mit dem nicht besonders wohlwollenden Blicke, den weibliche Beobachtungsgabe auf ein Wesen desselben Geschlechts zu werfen pflegt. Dann begann sie noch einmal ihre Mappe zu durchblättern und fand den gesuchten Brief auch sehr bald darin.

Helene nahm ihn entgegen und verbeugte sich leicht; dann eilte sie davon mit dem Gedanken, welche lustige Schilderung sie Ludwig werde machen können von dem häuslichen Dasein einer Theatersoubrette.

Als sie draußen auf der Straße den Brief auseinanderschlug und überblickte, fand sie als Unterschrift einen französischen Namen, der ihr bekannt vorkam, und das Schloß, wo der Brief geschrieben, hieß Dornegge.

Dornegge … auch den Namen kannte sie; der Vater hatte ihn oft genannt, wenn er von seinen Knabenjahren erzählte; aber er hatte jetzt, das glaubte Helene zu wissen, keine Verbindung mehr nach der Gegend hin … es lag weit von der Stadt … just so weit, wie sich Helene getraute, allein in die Welt zu gehen … es war gut, es war ganz das, was sie verlangte, und kecken Muths und beflügelten Schritts wanderte sie zu ihrer Frau Lehmann zurück.

 

Als Helene sie verlassen hatte, nahmen Fanny und ihr zurückgekehrter Freund ihre Unterhaltung wieder auf. Beltram war von dem Prinzen Günther natürlich fortgeschickt und einer Krankenanstalt in der Stadt übergeben, sobald er von seiner Wunde halbwegs genesen war. Prinz Günther hatte den tiefsten Kummer seines Lebens empfunden, als er vernommen, was Anna Morell dem Staatsanwalt über das Ereigniß auf der Kapellen-Insel mitgetheilt. Er war untröstlich über diesen alle Hoffnung für immer zerstörenden »Rückfall« seines Schutzbefohlenen; und daß er gerade Anna Morell gegenüber sich so abscheulich betragen, verdoppelte den Schmerz des guten Prinzen.

Beltram aber hatte, so ohne Umstände fortgesandt, nicht den Muth gehabt, zu den Seinigen heimzukehren. Das Stück: »Die Heimkehr des verlorenen Sohnes«, war bereits mehr als einmal von ihm unter dem väterlichen Dache in Scene gesetzt, er mußte zweifeln, ob eine weitere Wiederholung Anklang finde. So war er in die Stadt gekommen, um seine alte Freundin aufzusuchen. Hatte er einen so gütigen Empfang erwartet? Gewiß nicht … der Empfang übertraf seine Voraussetzungen weit, und was ihm nun Fanny erzählt, das war vollends überraschend, märchenhaft, traumartig!

Wer in aller Welt konnte die Dame sein, die sein Taschenbuch in ihre Hände bekommen, die Fanny's Brief gelesen, die ihn beantwortet hatte mit einer solchen Sendung … mit dreißigtausend Francs, einer schweren Summe, einem ganzen Vermögen – Beltram hatte nie in seinem Leben so viel auf einem Haufen gesehen, Fanny nicht so viel besessen, wenn sie auch alles zusammenrechnete, was sie je gehabt. Wer konnte diese großmüthige Wohlthäterin sein?

Fanny, sahen wir, behauptete, es sei niemand anders als eine sehr reiche Dame, welche sich in Beltram in einem Grade verliebt hatte, daß sie seinetwegen solche Thorheiten beging, daß sie solche Opfer brachte, um ein Geschöpf, in dem sie eine Nebenbuhlerin fürchtete, zu entfernen. Beltram betheuerte, das sei nicht möglich – er blieb dabei, eine solche reiche Dame existire nicht … wenn nicht am Ende, sagte er sich im stillen, diese merkwürdige, diese hochfahrende Anna Morell es war … es lag etwas Geheimnißvolles um dieses Mädchen … daß sie Gundobald Burghaus eine große Summe Geldes gebracht, hatte er in Edern vernommen! …

Er ließ sich den Brief noch einmal geben. Nach dem Poststempel war er in den ersten Tagen von Beltram's Aufenthalt in Edern geschrieben … vor jenem verwünschten dummen Streiche, den er auf der Kapellen-Insel begangen … von Boto verführt … ja, verführt … es kam wie eine blitzartige Erleuchtung über Beltram … vielleicht hatte Fanny recht mit ihrer Auslegung; vielleicht … und warum sollte es nicht sein?… hatte er einen tiefen Eindruck auf Anna Morell gemacht; vielleicht hatte Boto dies bemerkt und um ihn bei Anna zu verderben, ihn verführt, jenen grenzenlos dummen Streich zu machen – o gewiß, er hatte eine ganz entsetzliche Dummheit begangen; es war kein Zweifel mehr; hätte er des fremden schönen jungen Mädchens Stolz nicht so frech und brutal verletzt, so war sie ihm gewonnen, und Boto, dieser abscheuliche ruchlose Intriguant, der sich ohne Zweifel im stillen um sie bewarb, hatte ihn für immer bei ihr ruinirt!

Es war um sich todtzuschießen vor Reue und Verzweiflung! Oder besser, um diesen Boto todtzuschießen … Beltram hätte ihn vergiftet in diesem Augenblicke, wenn er gekonnt, er wünschte ihm tausend Tode anthun zu können, er lechzte nach irgendeiner Rache an diesem Boto, an diesem Dankmar, an diesem Prinzen Günther – an aller Welt.

Nun, sagte Fanny, du bist ja plötzlich verstummt, und siehst drein, als wärst du nicht Romeo, sondern Tybald oder besser noch Jago, so tückisch und giftig. Es ist kein Wunder, freilich, ich sagt' es schon, du überlegst, welcher Thor du warst, dieser goldspendenden Fee den Rücken zu wenden und zu der armen Fanny zu kommen!

Es gibt keine Feen! sagte Beltram verdrossen.

Dann, lachte Fanny auf, und da du auch die Prinzessin leugnest, so bleibt uns nichts übrig, als anzunehmen, deine Königin Godiva ist gekommen, ihren Sänger vor der Schmach zu retten, den Brief seiner Fanny nicht einmal beantwortet zu haben! Gut, also Godiva ist es gewesen, nehmen wir das an, bis uns vielleicht einmal der Zufall, oder die Handschrift dieses Briefes, den ich sorgfältig aufbewahre, verräth, daß es doch eine andere war. Sie soll leben, diese andere! Gott segne ihre großmüthige Hand! Aber weshalb den Kopf darüber zerbrechen? Reden wir lieber von anderm. Machen wir unsere Pläne.

Mir ist alles recht, was du willst! antwortete Beltram zerstreut.

Das setze ich freilich voraus, liebenswürdiger Romeo, lachte Fanny. Es stände dir schön an, etwas anderes zu wollen als ich! Also, ein Drittel des Geldes ist zum Verjubeln bestimmt – das andere halte ich für mich als Reservefonds, als Nahrungsstoff für meine zukünftige Tugend als die goldene Flut, worauf die träumerische Lotosblüte meiner keuschen Seele schwimmen wird – ohne solche Flut, weißt du, verwelken die Lotosblüten. Wir jubeln dem Süden zu … wir ziehen über die Berge, »dahin, dahin«, weißt du – du wirst dich dort gegen mich betragen, daß niemand, der uns begegnet, verleitet wird, deine Mignon zu fragen:

Was hat man dir, du armes Kind, gethan?

So lange erlaube ich dir, mich zu begleiten … die warme milde ausonische Luft wird dir gut thun, du verwundeter armer Ritter … also ins Land der Ruinen … ich glaube, ich bringe eine Ruine mehr dahin … doch das thut nichts … solange du liebenswürdig, bleibst, heißt das, denn sonst, sonst entlaufe ich dir, sonst jage ich dich fort, sonst setze ich dich vor die Thür – wie's im Volkslied heißt:

Und nun ist's aus, nun ist's aus, nun ist aus alles Weh –
Das Mädchen geht heimwärts, der Knab' auf die See!

Bist du's zufrieden?

Beltram hatte Fanny's Geplauder nur sehr zerstreut zugehört … er war noch immer in seine Gedanken vertieft … jetzt blickte er auf und sagte mit einem Seufzer:

Ich bin mit allem zufrieden, das sag ich dir ja – vorausgesetzt, daß du mich in eine andere Luft bringst – nur fort, nur weit, weit fort – hier liegt mir's plötzlich schwer auf der Seele … und wenn ich diesem Boto oder diesem Dankmar begegnete, fügte er für sich hinzu – so gäb's ein Unglück! –


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