Hedwig Schobert
Künstlerblut
Hedwig Schobert

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III.

Gregor hatte bei der Nachricht von Frau von Nordheims Tode eine tiefere Bewegung empfunden, als ihr nur sehr oberflächlicher Verkehr rechtfertigte, und er machte sich sogleich auf den Weg, um mit Viktor über Marthas Zukunft zu beraten. Was die ersten Schritte anbelangte, darüber war er sich schon einig.

Das strahlende Gesicht seines jungen Freundes verblüffte ihn nicht wenig.

»Ich denke, ich komme in ein Trauerhaus,« schalt er grämlich, »und du machst ein Gesicht, als gingest du zur Hochzeit.«

»Geh ich auch – geh ich auch!« rief Viktor, ihm um den Hals fallend. »Ach, Gregor, ich bin der Glücklichste der Menschen! Martha hat eingewilligt, mein zu werden!«

Mit einem Ruck machte der andere sich frei.

»Was sagst du da?«

»Martha ist seit heute morgen meine Braut! – In der Nacht – komm, laß dir erzählen!« –

»Du bildest dir wohl ein, wunder wie klug gehandelt zu haben, und daß ich mit Tränen der Rührung im Auge nun segnend die Hände über euch ausstrecken werde!« rief Gregor zornig und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Dumm hast du gehandelt! Niederträchtig dumm – zum Prügeln dumm! Ja, noch mehr – pflichtwidrig!«

»Ich verstehe dich nicht!« unterbrach Viktor. »Du scheinst von dem Gedanken auszugehen, ich habe Marthas Schicksal an das meine gefesselt, ohne genug realen Boden für uns beide unter den Füßen zu haben, da sie arm ist wie ich. Aber dem ist nicht so! Ich habe gestern meinen neuen Roman verkauft und dafür viertausend Mark bekommen, Geld genug, um glücklich und zufrieden zu leben. Wenn ich jedes Jahr nur einen arbeite, kann ich ihr ein genügendes Auskommen bieten, meinst du nicht auch?«

Gregor lachte ingrimmig auf.

»Hänge dir nur eine Kugel an das Bein, mein Sohn, wenn du fürchtest, einen zu hohen Flug zu tun; mich soll's wahrlich nicht kümmern! Aber bedenke – eine Ehe ist leicht eingegangen, schwer gelöst. Sie bringt in ihrem Verlauf Verpflichtungen mit sich, von denen sich dein Knabengehirn noch nichts träumen läßt. Und wenn sie dich endlich umgarnt haben, und du unter ihnen erstickst, dann balle die Faust über deine Dummheit, und schlage dir selbst den Schädel ein, oder werde zum Schuft an deiner Frau!«

Viktor lachte, laut und herzlich, indem er die Haare in den Nacken schüttelte.

»Du sprichst doch wie ein Blinder von der Farbe,« sagte er nachsichtig. »Was weiß solch ein verknöcherter, alter Junggeselle, wie du, von Liebe und Ehe!«

»Meinst du?« nickte Gregor höhnisch, »du kannst nicht unrecht haben! Aber Liebe, mein Sohn, ist eine Illusion.«

»Wir sprechen von Martha!« rief Viktor mit blitzenden Augen, »du kennst sie eben nicht, sie ist ein Engel, kindlich, zärtlich, voll der besten Anlagen, und meine Sorge laß es sein, das alles zu pflegen und an das Licht zu ziehen. Der Mann ist das Schicksal der Frau.«

Gregor zog eine Grimasse.

»Du bist wahrlich noch sehr jung, Viktor – sehr jung!« sagte er endlich ruhiger. »So jung, daß du in jedem Nähmädchen eine Aphrodite zu sehen berechtigt bist. Mit der Zeit gibt sich das, der Nimbus geht zum Teufel. Ernüchterung bleibt einmal die sicherste Mitgabe der Mutter Natur. Was nun deine Ehe anbelangt, so sind, glaube ich, viertausend Mark nicht ausreichend, daraufhin Hütten zu bauen.«

»Ich sagte dir schon einmal, Martha ist bescheiden! Und wäre sie es auch nicht, Gregor...« Wieder sprangen die Sonnenfunken aus seinen Augen, spannten sich die Muskeln, und jener Zug von Kraftbewußtsein und Energie trat in sein Gesicht, den Gregor an ihm liebte; »Ich habe Mut für uns beide und die Kraft dazu! Jeder Stein, auf den ich trete, erzählt mir eine Geschichte, jeder Lufthauch weht mir Gedanken entgegen. Ich brauche nur festzuhalten, was sich mir bietet, dann verwandelt es sich zu Geld unter meinen Händen, und ich kann Martha geben, was sie verlangt, ohne mehr zu tun, als wohin mich meine eigene Neigung treibt. Ich liebe sie, und ich will glücklich sein, ich und sie! – Ich will – ich will! –«

»Man mag wollen, hundertmal wollen, und alles kommt doch, wie es einmal kommen soll. Mit dem Willen allein erreicht man nichts,« sagte Gregor seufzend. »Und nun kann ich ja wohl Martha beglückwünschen!«

Sie saß im Zimmer der Verstorbenen auf dem Fußboden vor einer Kommode, deren Fächer halb herausgezogen waren, und deren Inhalt zum Teil auf dem Boden lag. Die Schreckgespenster der Nacht hatte der helle Tag verjagt. Sie hörte auch nicht, daß Gregor eintrat. Mit gesenktem Kopf und glühenden Wangen schaute sie starr in einen ziemlich großen, flachen, eckigen Kasten hinein, der auf ihren Knien stand. Erst, als er ihren Namen rief, fuhr sie erschrocken zusammen, der Kasten verlor das Gleichgewicht und stürzte polternd zur Erde.

»Martha!« sagte er vorwurfsvoll und streifte mit den Augen den verstreuten Kram und dann die zugedeckte Tote, »hätte das nicht Zeit gehabt bis später?«

Sie biß mit den Zähnen in die schwellende Unterlippe, etwas Dunkles, Feindseliges lag in dem Ausdruck ihrer Augen, als sie den seinigen folgten. Sie schwieg.

Er sah ihr an, daß sie nicht geweint hatte und ihre Herzlosigkeit dem Andenken der Toten gegenüber, die doch für sie gesorgt hatte, als sie schwach und hilflos gewesen, erzürnte ihn.

Mit seiner schmalen blassen Hand ergriff er die ihrige und zog die nicht Widerstrebende an das einfache Totenbett.

»Sie hat es gut mit Ihnen gemeint, Martha!« sagte er, mit einem Gemisch von Rührung und Hochachtung auf die Tote blickend, »Sie müssen ihr ein gutes Andenken bewahren.«

»Nein!« rief das sechzehnjährige Kind hart und drehte den Kopf zur Seite.

Gregor sah sie an, war das das Kind, das er bisher mitsamt seinen kleinen Schwächen und Fehlern so gut zu kennen glaubte? Diesen Ton hatte er ihr gewiß nicht zugetraut.

»Warum nicht?« fragte er kurz. »Hat Ihre Großmutter nicht alles getan, was sie Ihnen nur schuldig war? Ist das nicht ein gutes Andenken wert?«

Sie zuckte die Achseln und sah halb zweifelnd, halb überlegend zu ihm auf, dann aber schwoll all das plötzlich empor, was sie so lange mit sich herum getragen, und brach sich gewaltsam Bahn im Angesicht der Toten.

»Wie kann ich trauern,« rief sie ungestüm, »da ich doch nichts weiter von ihr erfahren habe als Strenge und harte Worte! Nicht eine Liebkosung, nicht ein Zeichen der Zärtlichkeit, so weit ich auch zurückdenke! Was war ich ihr denn! Die Tochter meiner Mutter; nichts anderes! Glauben Sie, ich hätte die Ungerechtigkeit nicht gefühlt, die sie mir damit antat? Was konnte ich dafür, daß sie meine Mutter haßte, wie war denn ich dafür verantwortlich, daß ihr meine Mutter nicht gefiel? – Ich kann nicht weinen um die Großmutter, vor der ich nur immer in Schrecken lebte, ich müßte sonst heucheln, aber um meine Mutter will ich weinen, die ich niemals gekannt habe, von der ich nicht einmal weiß, ob sie tot ist, – die mich lieber verließ, ehe sie es ertragen konnte, mit der Großmutter zusammenzuleben – um meine Mutter weine ich jetzt!«

Tränen stürzten aus ihren Augen, und sie preßte die flachen Hände vor das Gesicht.

»Wie kommen Sie in diesem Augenblick auf Ihre Mutter, Martha?« fragte Gregor verwirrt.

Sie zog die Hände herab und deutete auf den Kasten. »Dort –« schluchzte sie – »ich fand etwas von ihr dort drinnen.« Sie ging hin, hob den Kasten auf, zog einen welken Lorbeerkranz darunter hervor und eine zerrissene Photographie, der der Kopf fehlte, und hielt ihm beides stumm entgegen.

Gregor blickte auf diese Zeugen einer bewegten Vergangenheit und dann auf die Tote. – »Martha! Was wissen Sie von der Schwere und Grausamkeit eines menschlichen Lebens! Seien Sie nicht ungerecht, Kind!«

Sie wischte mit der umgekehrten Hand die Tränen von den Wangen. »Großmutter war ungerecht gegen mich,« widersprach sie, »ich habe sie nicht lieb gehabt und sie mich auch nicht – aber –«

Sie blickte auf Alten, der eben eintrat, da er Gregors Sprechen und Marthas Schluchzen drinnen gehört hatte. »Dich habe ich lieb!« schrie sie plötzlich auf und flog ihm an den Hals. »Ja, dich habe ich lieb, Viktor – sehr lieb!«

Eng schmiegte sie sich an seine Brust, und über ihren blonden Kopf hinweg flog sein triumphierender Blick zu Gregor.

»Mein Lieb, – mein süßes Lieb,« flüsterte er beschwichtigend, »sei nicht so traurig, ich bin immer da – immer und ewig!«

Er hatte noch kaum ausgesprochen, da streifte sie schon seine Arme von sich ab und trat etwas von ihm fort.

»Lene kommt,« sagte sie, nach der Türe hinhorchend, »wir wollen mein Bett hinübertragen zu Dallmanns, denn ich muß vorläufig da wohnen. Ich freue mich darauf!« Sie verschwand hinter der Küchentür, und wenige Augenblicke hörte man sie auflachen, mit dem silberhellen Ton, der ihr eigen.

Gregor schüttelte den Kopf.

»Sie ist ein Kind, ein liebes, reizendes Kind,« sagte Viktor mit Begeisterung. »Alles an ihr wird durch das Herz bestimmt! Ich hätte nicht gedacht, daß sie um die alte Frau weinen würde. Sie war doch recht hart und unfreundlich zu ihr.«

Wieder schüttelte Gregor sein graues Haupt.

»Weißt du, weshalb Frau von Nordheim so strenge mit ihrer Enkelin verfuhr?« fragte er leichthin.

»Vermutlich weil sie eine nörgelnde alte Frau war, die die Tage der eigenen Jugend vergessen hatte.«

»Nein. – Weil sie in Marthas Charakter die Keime zu ersticken suchte, die nach ihrer Ansicht die schlechte Rasse der Mutter dort hinterlassen hatte. – Ganz folgerichtig, mein Sohn!«

»Eine furchtbare Ungerechtigkeit,« brauste Viktor auf. »Sollen unschuldige Geschöpfe unter den Fehlern ihrer Vorfahren leiden? – Was war Marthas Mutter?«

»Schauspielerin!«

»Nun, ich werde dir zeigen, daß die Tochter der Schauspielerin die beste, edelste, geliebteste Frau der Erde sein wird. – In der Ehe ist der Mann der überlegenere Teil, von ihm allein hängt es ab, was aus einer Frau werden soll.«

Gregor schwieg. Was sollte er auch sagen? –

Am Abend desselben Tages saß Martha in Frau Dallmanns Stube am Tisch und hatte den Kasten vor sich stehen. Neugierig blickte ihr Lene über die Schulter und auch die Aufwärterin nahm in ihrer Weise regen Anteil an allem.

»Das glaube ich ja wohl, daß es Ihre Mutter nicht ausgehalten hat bei der Alten,« sagte sie jetzt in weisem Ton, die Hand nach dem kopflosen Bild ausstreckend. »Eine Schauspielerin ist eben ein anderes Leben gewöhnt! Mein Fräulein – na, ich sage bloß – mein Fräulein hätte sich mit der Alten gekratzt.«

Sie blickte auf das Bild, dem mit scharfem Ruck das Stück, das den Kopf enthielt, abgerissen schien. Das Papier war im Zickzack ausgefranst, aber ein schwellender Hals, prächtige Arme und eine jetzt unmoderne, aber damals gewiß hochelegante Toilette waren als Rest zurückgeblieben.

»Schade, daß der Kopf fehlt,« meinte Lene und wühlte in dem Kasten herum, »ob er nicht noch irgendwo steckt? Vielleicht sah sie so aus wie du, Martha!«

Die antwortete nicht; sie hatte ein vergilbtes, in seinen Falten brüchiges Zeitungsblatt gefunden und entfaltet. Auch dieses war halb durchgerissen, wie in heftigem Kampf, der Name des Blattes und der Stadt, in der es erschienen, fehlte, aber die unruhigen Augen derjenigen, die es jetzt lasen, fanden trotzdem genug.

Es war eine Theaterkritik. In schwülstigem Stil, Gott weiß, welchem Krähwinkel entstammend, pries es die Leistungen der »gottbegnadeten« Schauspielerin Martha Coralin, als Lorle in Dorf und Stadt. Und hinterher folgte ein Passus, der ihre Schönheit rühmte.

»Wenn Fortuna die Gaben aus ihrem Füllhorn schüttet,« hieß es, »so geschieht es wohl, daß einer mitten darunter steht und alles erhält, während andere darben müssen ihr lebenlang. Zu diesen Glücklichen, die kaum selber wissen, was sie alles besitzen und deshalb verschwenderisch mit ihren Gaben umgehen dürfen, gehört Frau Martha Coralin. Ihre Augen sind wie zwei Sonnen, ihr Haar flüssiges Gold« – wieder ein Riß – und dann zum Schluß: »Glücklich preisen wir denjenigen, dem dieses Kleinod, diese berühmte, begabte Schönheit zuteil geworden ist – den Träger eines vornehmen Namens.«

»Das war meine Mutter!« sagte Martha, mit tiefem Aufseufzen das Blatt beiseite legend, aus dem sie laut vorgelesen. »Meine Mutter!«

Frau Dallmann wischte sich die Augen.

»Ich sag es ja immer, das Theater! – Lene, daß du mir zum Theater gehst, oder du kriegst es mit mir zu tun!«

»Na freilich, Mutter, darüber sind wir doch einig, Und wenn die Martha nicht heiraten wollte, dann wäre sie mitgegangen, nicht Martha? Die Alte ist ja jetzt tot, du könntest nun tun, was du wolltest!«

Mit verlorenen Augen hatte diese in die Lampe gestarrt, sie beschäftigte nur die Erinnerung an die Mutter; bei Lenes Worten fuhr sie auf:

»Ja!« rief sie aus. »Ja!« und dann setzte sie kleinlaut hinzu: »Aber nun wird es Viktor nicht leiden.«

»Ach, Gott bewahre!« meinte Frau Dallmann kopfschüttelnd, »die Männer, daß Gott erbarm – die sind ein eigenes Volk! Und wenn Sie klug sind, dann sagen Sie ihm gar nichts davon. Ja, wissen Sie, Marthchen, es ist ja auch eine ganz gute Versorgung für Sie, wenn er soviel Geld verdient, wie Ihnen Herr Gregor gesagt hat. Heiraten wollen wir am Ende alle!«

Sie klopfte Martha auf die Wange. »Gut wird er schon zu Ihnen sein. Sie sind ja hübsch genug, um noch zehn für einen zu kriegen.«

»Natürlich ist er gut zu mir,« sagte Martha etwas ungeduldig. »Er hat mich schrecklich lieb, Frau Dallmann.«

»Und Sie, Marthchen?«

»Ich ihn auch – das ist doch selbstverständlich!« Sie runzelte ein wenig die Stirn, ihre Wangen brannten, und die morschen Blätter des Lorbeerkranzes zerbrachen unter ihren ungeduldigen Fingern. Sie hatte das wunderliche Gefühl, als müsse sie Dallmanns um jeden Preis verheimlichen, daß der Gedanke an das Leben ihrer Mutter, von dem sie bisher nichts weiter erfahren hatte, als die stete mit verächtlichem Nachdruck gesprochenen Worte der Großmutter: »Sie war eine Schauspielerin – nichts weiter!« sie mit unwiderstehlicher Macht gepackt hatte.

»Wenn Sie nur ein paar Jahre älter wären, Marthchen,« meinte die Dallmann mütterlich, »aber so – kaum sechzehn – es ist gar so blutjung, um sich schon fürs ganze Leben einzupökeln.«

Martha lachte. »Was Sie sich nur denken!« rief sie und warf das blonde Haar in den Nacken. »Viktor verdient viel Geld, ich kann mich putzen, in das Theater gehen und alles haben, was ich will. Wenn ich erst verheiratet sein werde, besuchen Sie mich mit der Lene und sehen selber, wie hübsch alles um mich sein wird, nicht wahr?«

»Hm! Ja!« brummte Frau Dallmann nachdenklich. Widersprechen wollte sie nicht, doch kam ihr die Sache nicht so zweifellos vor, wie dem sechzehnjährigen Blondkopf, der so rosig und schön dasaß. Für den wollte sie eigentlich mehr von der Zukunft.


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