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Sechste Treppe

Der Chronist möchte hier gern eine Pause machen; er möchte die Feder hinlegen und – unter leichter Verwechselung der Gezeiten – den Leser auffordern, ein gleiches zu tun mit dem schon fertigen Bericht in seiner Hand. Er möchte dann wohl mit ihm einige verständige Worte tauschen, so wie Wettspieler befehdeter Parteien in einem Aufatmen der Kampfhandlung ein paar einfache Worte zusammen wechseln, vielleicht über den Ausgang des Kampfs, vielleicht über diesen oder jenen Spieler, vielleicht über ganz andre Dinge; also sollten ein paar Wechselreden gehört werden über dies Leben, das so sehr anders in Wirklichkeit war, als es aussieht in der Beschreibung. Hat nicht etwa der Leser, der sich immerhin behaglich empfinden mag, die Frage aufgeworfen oder gar schon verneint: Warum erträgt ein Mensch wie dieser ein solches Leben? Warum endet ers nicht? warum macht er sich nicht los auf irgendeine Weise aus der Mißhandlung?

Der Chronist will zur Erwiderung nicht einmal daran erinnern, daß Elli bereits im Anfänge ihrer Bahn an einer Vergiftung schwer krank lag. Er will auch nicht auf ihre Beschaffenheit hinweisen und sagen: Eben weil sie so war … Er will sich eigentlich nur entschuldigen und einmal Hinweisen auf das schon Angemerkte: daß dies nicht das wirkliche Leben war, das der Leser zu sehen bekommt, sondern nur seine Beschreibung. Lese man doch die Beschreibung eines Erdbebens, einer Schlacht, eines Leichenbegängnisses, einer Geburt! Lese man und frage, wieviel enthalten ist im Geschriebenen vom wahrhaftigen Vorgang, und was es denn ist, das da fehlt! Lese man doch eine Beschreibung des Dreißigjährigen Krieges, und man wird sich fragen wie hier: Warum waren die Menschen bloß so? Warum taten, warum ertrugen sie jenes? Suche man doch einmal nach einem Jahrzehnt in einer Beschreibung dieses, im fünften Jahr wütenden Krieges sein eigenes Leben und frage: Warum? oder: Wo ist es?

Nähren und kleiden wir uns nicht, lesen wir nicht unsre Bücher, besorgen unsre Geschäfte, unternehmen unsre Reisen, zeugen unsre Kinder und begraben unsre Toten wie immer? Ist nicht etwas in uns wie ein Sieb, durch das all jenes hindurchgestrichen wird, aber das Gitter des Siebes bleibt, was es ist: Draht. Lagen nicht Millionen von uns die Worte: Irrsinn! und: Unerträglich! hundertmal auf den Lippen, und wir sprachen sie, und siehe da, wie Sesam Tore bewegte, so genügte es, sie gesprochen zu haben; wir gingen wieder vorwärts. Ach, der spricht das Wort unerträglich nicht aus, der es ganz fühlte, denn dann ertrug er nicht mehr.

Unser Leben geht weiter. Wir hoffen immer auf etwas. Wir suchen das Unsre, und immer finden wir noch etwas. Wir gehen zu hundert Malen vorüber an Elli Namenlos, erkennen flüchtig ihre Art und bedauern sie und suchen unseres Weges weiterzukommen. In der uns aufgedrungenen Lebensbeschreibung verachten wir sie wohl ein wenig, schütteln den Kopf und halten uns übrigens an die Beschreibung, denn warum lesen wir?

Weil nicht wirklich ist, weil unwirklich scheint in der immer wieder süßen magischen Weise, was wir lesen. Weil wir glauben, aber nicht für wahr halten das Gelesene. Weil da das angenehme Gemengsel in uns brodelt von Stoff und Form: Stoff, der uns peinigen sollte, und Form, die schon versöhnt. Weil Elli uns Hekuba ist. Weil uns als Gebirgsketten erscheint, so vergrößert durch Darstellung, was in der Wirklichkeit eines Daseins nur kleine und kleinste Anhöhn und Hügelchen einer Ebene sind. Weil wir ein seltsames seelisches Skelett in die Hände bekamen zum Betrachten, anstatt eines fleischlichen Leibes. Weil wir lauter Wichtigkeiten bekamen – für die Chronik, aber vielleicht lauter Belanglosigkeiten für das Leben. Weil ein Tränensturz, in dem eine Elli sich auflöst, anderthalbe Stunden dauern mag und wir ihn lesen in einer halben Sekunde. Weil – haben wir aber nun genügend Atem geschöpft, und giebt der Spielmeister das Zeichen zum Fortgang? An die Plätze!

Kann einer nicht auch sehr gut beschreiben und zugleich völlig falsch? – Der Chronist ist überzeugt von dem ersten, aber kaum ganz vom letzten.

Übrigens ist er seinerseits zufrieden der gehabten Ruhepause und fühlt sich rüstig, die Endstrecke zu durchmessen.


Karneval, wie gesagt, war. Am Nachmittag besuchte Elli ein, ihr kaum bekannt vorkommender junger Mensch, den sie in vergangener Nacht hierzu aufgefordert hatte, wahrscheinlich in einem Gewaltsamkeitsempfinden gegen Ottokar, und sicher als Werkzeug ihres eigenen Schicksals. Denn mit ihm zusammen nahm sie den Lachkrampf, in den sie zuerst ausgebrochen war, wieder auf, um unterzugehen in der Lustbarkeit und ihrer wochenlangen Krampfigkeit von Gelächter.

Ganz aus dieser heraus wand Elli für Jahre sich nicht. Sie tat, was ein Mensch zu tun pflegt, der bei Feuersnot die Wahl hat, aus dem Fenster oder aufs Dach zu springen, wohin vielleicht die Wehr früher gelangt als das Feuer. Wohnlich ist ein Hausdach nicht, aber man kann sich dort aufhalten. Elli schwang sich aufs leichte Dach des gesellschaftlichen Lebens und tanzte daselbst eine Weile.

Zwei Jahre lang. Dem Chronisten entzieht sich die Möglichkeit, von ihnen eine Beschreibung zu liefern, die zu öd ausfallen dürfte. Er bittet, sich auf einige Angaben beschränken zu dürfen.

Elli war in dieser Zeit eine Dirne noch so wenig – oder Kokotte, wie es heißt –, wie eine Frau, die einen Mann, den sie liebt, nimmt, weil er Geld hat. Daß sie es häufiger tat, dürfte keinen erheblichen Unterschied ausmachen. Elli blieb dabei, ihrem Herzen zu folgen; der Goldgrund war selbstverständliches Fordernis, und ihr machte es wenig aus, ob mehr oder weniger dick gestrichen war.

Junge Kaufmannssöhne; feinere Reisende; ab und an ein Student; dann und wann ein alter Adliger; einmal ein Offizier; einmal ein sogenannter Strohwitwer; im ganzen nicht allzu viele, und an jedem saugte Elli sich ein wenig fest, so daß es schmerzte, wenn losgerissen ward, und sie weinte. – Ferner: manche schöne Reise, in ein Seebad, an die Riviera, in Deutschland hin und her. Ferner: Rennplätze aller Art, Feste, Operetten und Possen, Bars und Kaffeehäuser und Weinstuben, – alles irgendwie Öffentliche, nur kein Zimmer.

Das Zimmer war das Grauen. Es erschien – nicht nachts, wo es magisch beleuchtete Umhöhlung war für das Bett –, es erschien gegen Mittag, wo nach öfterem halben Erwachen das Ganze sich nicht mehr hinausschieben ließ, und es übte seine elektrische Kraftstrahlung durch den Nachmittag, wo Elli allein gelassen, ihre Freunde durch Beruf oder andere Pflichten vielfach ferngehalten wurden. Dann spann es sein Gespinst, wie wenn Elli innerhalb einer nach innen spinnenden Spinne säße, deren immer dichter sich kreuzende Fäden bald an ihr rieselten, am Kinn haftend, an der Stirn, an der Hand. Sie entfloh, aber seltsam, das Zimmer kam nach. Auch beim Spaziergang, im Kaffeegarten übte es seine grauenhafte Gewalt: da zu sein, wenn auch nur in dem drückenden Brustempfinden, daß es hätte da sein müssen, Elli in ihm sein zu dieser Stunde; nicht in ihm –, in einem andern, einem – oh, was denn für einem? Einem kostbareren als diesem mit seiner eleganten Einrichtung, seinen Plüschmöbeln und mächtigem Sofaaufbau, seinen Spiegeln und roten Tapeten, seinem Florüberhang um das Bett? Kein Zimmer, das vorgestellt werden durfte, es zeigte sich überhaupt keines, aber es war da, und unablässig bildete an seiner magischen Unwirklichkeit das gepeinigte Empfinden.

Du lieber Gott, um ein weniges weiter reicht wohl des ärmlichsten Menschen Dasein und Wesen als seine Haut; reicht bis zu Wänden und Decke eines Zimmers, von denen es ihm zurückrieselt in unmerklich erquickendem Regen. So brauchte auch Elli zu keinem Samojeden zu gehn, um sich zeigen zu lassen, was eine rußbeschlagene Erdhöhle wert ist im Schnee.

Und was ist schlimmer als Nichthaben? Nicht-haben-dürfen. Elli zum Beispiel durfte damals nur Gegenwart haben; nicht Vergangenheit, nicht Zukunft. Elli konnte, wenn sie einmal darauf verfallen wäre, sich anfühlen, so dünn wie eine bemalte Wand von Papier, ausgespannt zwischen Nichts und Nichts, ein Transparent, das auf keine Wand sein triumphierendes Farbenbild warf, wie sonst der Mensch das Bild seiner Seele wirft auf die Wandung des ewigen Himmels. Wo war Ludwig? Wo war selbst Philipp und ein Dachgarten in Wilmersdorf? Und an wen denken Zukunft und Vergangenheit, wenn nicht an ihn, der ihrer mit Trauern und Hoffen gedenkt? Wer denn schöpft Nahrung aus dem Fleck Erde unter seinen Füßen, und wer schläft in nicht mehr als in Schlaf? Warum auch macht sie sich los, die allzeit gebundene Seele, und schwärmt hin in das Land ohne Himmelsrand, in den Raum, wo Vergangenheit und Zukunft sich vermischen wie zwei Bestandteile seiner Luft, und führt alles aus allda, wozu sie sich wachend nicht getraute? Elli –, nun, wenn sie auch träumen mußte, so hatte sie doch so viel Gewalt über das Geträumte, daß es aus und weg war im Augenblick des Erwachens; aber danach war auch dann das Erwachen!

Elli beschränkte sich nunmehr darauf, zu empfinden; ihre Gedankenkraft schmolz wie das Blei überm Feuer mit ihrer ganzen weiblichen Geschwindigkeit. Selten einmal gab das Geschmolzene, aus dem Löffel ins Wasser rutschend mit Gezisch, ein Phantasiegebild her, einen übertürmten Glücksbau von ruhig genossenem Reichtum, von Ehe, von Kindheit, von Mutterschaft, – selten, immer seltener. Elli lernte sich betäuben. Nicht daß sie sich grade betrank; sie trank genug, und sie trank immerzu; trank langsam auch immer mehr infolge von Gewohnheit, hier und da auch berauscht, aber gelinde. Wir haben uns bestimmt, zu dauern, Elli war vorsichtig.

Elli verödete so schnell wie ein Zimmer in einer geleerten Wohnung, dem keiner ansieht, was für Möbel zu diesen verblichenen Tapeten gepaßt haben mögen, was für Bilder in die hellen Rechtecke auf ihnen, was für Vorhänge an die verstaubten Fenster. Sie wurde so geistlos wie Papier. Sie lachte viel und weinte mitunter. Wenig war sie allein, immer mit Menschen, fast nur im Bette allein mit einem Einzelnen, sonst stets mit Mehreren, – jenen, die nicht miteinander sprechen, sondern sich Brocken zuwerfen, Witzeleien, Fragen nach dem und jenem, Antworten und: So so. Jene, die nur über gemeinsame Bekannte reden können und sonst noch über ein paar Vorfälle, zu denen sie Anmerkungen geben: was sie gestern taten, und wie das war; was sie morgen tun werden, und wie das sein wird.

Ihren Verstand beschränkte Elli auf den Umgang mit ihrer äußern Gestalt. Hübsch zu sein, auch leidlich bei Kraft, war Erfordernis und machte Behagen, und Elli aß immer viel und gut, ohne, ihrer Anlage gemäß, Fett anzusetzen. Die Schneiderin, oh dies wohltätige Wesen, das in stundenlangen Verhandlungen die Einbildung so täuschend zu erregen verstand, sie sei einer richtigen Dame zu Diensten! Ja, es ist zu vermuten, daß die Stunden des Prüfens von Stoffen, Moden und Schnittmustern, das Auswählen von Hüten und Blusen, das unendliche Anproben tiefere Zauber enthielten als die Nachtbäder in Wein, Tabaksqualm, Musik, Geschrei und Gelächter.

Nicht umsonst litt in Elli eine Seele, das seltsame Geschöpf, das zauberhafte, das an den äußersten Rändern eines Wesens sich wieder zu bilden vermag, wenn es ausgetrieben ward aus seiner eigentlichen Behausung im Kern. Und so wie noch Palmen und Lilien stehn im Eisbelage des Fensters, wenn längst der Ofen erlosch, dessen Warmhauch sie bildete, so bildete sich um Ellis Profil ein Duftrand, ein so zarter und feiner, wie der Umriß einer ganz jungen Rose. Ein Hauch von Puder, Waschen mit Kleie, ein wenig Creme – die einfachsten Mittel genügten, sie zu einer ›ätherischen‹ Erscheinung zu machen; und wenn Elli in Kleidung auch keine Erfindungsgabe besaß, so verstand sie doch, ihren Straßenanzug, sonder Auffälligkeiten in Hut und Schuhwerk, zu jener Art vornehmer Anständigkeit zu gestalten, in der nur das geübteste Auge die ›hetärische‹ Erscheinung zu erkennen vermag.

Noch mehr von diesem? Da keinerlei Seele darin sich betätigte, lohnt es sich kaum, sofern nur bedacht wird: die Seele war da, nur eben nicht in diesem.

Und warum denn trotz Sorgenlosigkeit, trotz lauter Vergnüglichkeit, trotz der niemals schal werdenden leiblichen Lustbarkeiten bei Nacht, – warum war dieser Elli so dumpf die Brust und das Leben so unselig? Ja, wer erst Baumwolle feilhielt und nachher Syrup und Heringe, der dürfte sich kaum beklagen über den Unterschied, wenn er nur satt hat durch diese wie durch jene, denn das ist bei beiden der Zweck. Wie aber verhält es sich mit dem, der ein König war und nun tanzen muß? König, der vielleicht gar nicht zu tanzen brauchte, der aber lieber tanzt, als etwas andres zu tun, als König sein? Das freilich, das sind die uralten Trauerspiele, bei denen Götter die Zuschauer machen – Schauspiele für Götter, wie es heißt –, und darum beschreibt sie der Mensch und liest sie beschrieben.


Wie schon gesagt, währte dieses Leben zwei Jahre und wenig mehr. Wenn dann ein Ende früher für Elli kam als für die Mehrzahl ihrer Schwestern, so lag das durchaus an Elli.

Oh, die Nacht des Grauens, sie kam! Letzten Grauens für Elli, mit dem schon alles noch Kommende seinen ersten Ansturm erschöpfte.

Am Tage vor dieser Nacht hatte Elli eine Entdeckung an sich gemacht; Entdeckung, die zu sehr Entsetzen erregte, so daß es hinausfuhr über sie und über ihr hangend, nicht mehr in ihr, auf die Stunde wartete, um herabzufallen und zu würgen. – Elli verschwieg sich, was sie sah. Sie sagte: es ist nicht das.

Sie war eben allein in jener Zeit, – bedeutsamerweise vielleicht, zum ersten Male in einem Zwischenraum, da sie bisher noch immer die Hand, aus einer andern gezogen, noch warm in eine dritte gelegt hatte. Ja, vielleicht war sie doch schon im Niedergang gewesen, und brauchte sie auch noch nicht auf die Straße zu gehn, so stand doch die Zeit des Sitzens mit einer Gefährtin im Kaffeehaus am Abend, in der Bar, im Konzertgarten, bevor, wartend auf einen Mann, – noch nicht nur für die nächste Nacht, sondern für ein paar Wochen, einen Monat, ein halbes Jahr. Aber allein war sie schon.

In der Nacht erschien das Gespenst. Das Weltungetüm richtete sich über ihr auf, aus einem Abgrund aufsteigend, gebildet wie ein riesenhaftes Kreuz, so hoch wie ein Dom, eine Vogelscheuche auch, da die Kreuzgestalt umhangen war mit Gewand, einem rot- und gelbfleckigen, und kein Gesicht oben war, sondern eine Art metallenen Helms, doch nicht Metall, auch nicht Helm, sondern Kopf mit einem breiten Augenschlitz statt Augen, und besät wie gepunztes Kupfer mit unzählbaren kleinen Buckeln, rostrot und gelbköpfig. Die Falten des Kleides aber bewegten sich; Gewimmel von Lebendigkeit schien sich darunter zu regen, wie wenn ein Tuch hinge an einer Wand voll kriechender Fledermäuse, und dann kamen die Gesichter hervor. Gesichter der Pest, blutunterlaufen, Augen, zugeschwollen von faustgroßen Beulen, abgefressene Nasen, Zungen wie Keulen, dazwischen Armstümpfe, verfaulte Beine, Brüste wie Skelette, dazwischen Kinder mit riesigen Köpfen wie weiße Blasen, idiotische Gesichter, Haare wie Silber aus Grind, die Nasen von Säufern, die Augen von Irren, zerblätternde Hände und Hinterköpfe aus Eiterflecken. Und dies im Getümmel durcheinander, sich vordrängend, jedes bläkend das seine, sich hervorlallend, war überwölkt von einem Abgrundsgestank, von einem Verwesungssturm, der in Strudeln hinjagte durch die schnaufenden Nüstern derer, die es sah.

Als endlich der Kreuzgestaltige einen Arm hob, mit der Hand nach dem Kopfe griff und die Haarsträhne, die an den Fingern hastete, gegen Elli warf, stieß sie die ganze Erscheinung mit einem rasenden Schrei in die Nacht zurück und lag wach, schlotternd, strömend von eiskaltem Schweiß, erlegen.


Tagelang, ja zwei volle Wochen lang ging Elli so umher … Die Übermacht des Gespenstes war schuld; sie hatte jede alltägliche Möglichkeit ausgerottet –, so auch den Weg zum Arzt. In diesen Wochen gab es nur eins: Warten. – Worauf? Daß sich zeigte, was sich zeigen mußte: ›es‹ war ein Irrtum gewesen. – Als bei einem Gang außerhalb der Stadt – es war in Altenrepen – der Fluß sich zeigte, der ›Schnelle Graben‹ im Wiesenland neben der Allee von Krüppelweiden auf dem Damm, der Fluß mit Mahnung und Lockung, richtete ein Letztes in Elli sich furchtsam auf und sagte: Zu unrein.

Am dreizehnten Tag dieses Zustandes begegnete Elli irgendwo in der Stadt einem Bekannten der flüchtigen Art, der stehen blieb und sie begrüßte. In einem sandfarbenen Mäntelchen, sehr schlank und beweglich, den Kragen hochgeschlagen, da es eben tröpfelte, den Stock unterm Arm, Strohhut schief in der Stirn, weiße Gamaschen an den Füßen: der Schauspieler Bodo Ronsky, – der Name fiel Elli ein, als sie mitsammen weitergingen. Schauspieler, ja – und auch Doktor – Elli zuckte, aber ob Arzt? Sein kleines, dunkeläugiges, hübsches, offenes Gesicht, in dem besonders der Mund sich angenehm machte durch seine Art, sich mit liebenswürdigem Lächeln unterm Sprechen schief zu ziehn –, es bewegte sich beim unaufhaltsamen Reden, in das er sofort verfiel, unter beständigen Wellen der Freundlichkeit. Irgendwie anziehend wirkte auch eine Gewohnheit, im Ausschreiten – er warf sich leicht schaukelnd dabei hin und her – die rechte Schulter mit einer ausholenden Bewegung vorzuheben, und danach vielleicht den Mantel vorn straff zu ziehn. Ja, da war schon außerordentlich viel Beruhigendes in dieser Sicherheit, in dieser scheinbar grenzenlosen Ungefährdetheit eines männlichen Daseins für die angsttrunkene Elli, – ähnlich als tauche sie die verdurstende glühende Hand am heißesten Tage in einen munter in Kaskaden sprudelnden Brunnen.

Er seinerseits fand Elli – und sagte es gleich – blendend aussehend, ganz großartig konserviert, ein bißchen miesepetrig, aber sonst wie gesagt glänzend in Form; fragte bei wegelang, ob sie eben frei sei, erkundigte sich nach diesem und jenem gemeinsamen Bekannten, etwa:

»Wer war doch das noch? Emmel – Emmerich – hieß er nicht so? – Emmerer? – »Ja, so'n kleiner, dicker?« – Nein, groß und schwarz! – »Nein, dann mein' ich 'n Andern!« – plauderte unablässig. Elli gelangte unversehens mit ihm ins Freie, in den Georgengarien, und machte zugleich die Entdeckung, daß es ein sonniger Tag war, – die Bäume waren kahl, die Jahreszeit ihr völlig unbekannt. Sie saßen auf eine Bank nieder, er war nun dabei, von sich zu erzählen.

Ja, er sei eben hier, um einen alten Prozeß mit seinem Vater zu Ende zu bringen, wegen zweier Häuser, mütterliches Erbe, – und er zog gleich einen Packen Schriftstücke und Briefe mit Namen und Titeln von Anwälten aus der Tasche. Gewiß, das Ende stand nun bevor, das Recht sei ja klar, man sei immer nur zu pietätvoll gegen solch alte Gauner –, er lachte leicht stoßend mit freundlichstem Ausdruck, als sei ›alter Gauner‹ ein Kosewort. – Er hatte eben kein Engagement – welches häufig wiederkehrende Wort er mit so schönem Nasen- und bauschigem Sch-laut sprach, daß es an Schlagsahne erinnerte –, war zuletzt in Hamburg, eine glänzende Stellung, ausgezeichnetes Publikum, konnte sich aber mit dem Direktor nicht vertragen, ein kleinlicher Idiot. Aber er hatte Verbindungen und Aussichten in der ganzen Windrose und zog die Brieftasche hervor, in der lauter alte Verträge lagen. Einen gab er Elli zu lesen, – es standen erkleckliche Summen darin. Eine Besuchskarte fiel heraus, er reichte sie Elli, darauf stand:

 

Dr. med. Bodo Rommelpott-Ronsky

Regisseur und künstlerischer Leiter
der Freitagsgesellschaft.

 

Dies viele Dorzeigen hatte Elli zu andrer Zeit vielleicht stutzig gemacht, obwohl es nur nach Offenheit aussah und Vertrautheit; auch war ihren dafür geübten Augen nicht entgangen, daß die sahnegelben Schwedenhandschuh an seinen Händen nicht aus Leder waren, wie sie Vorgaben, sondern aus Baumwolle, was freilich auf Geldmangel deuten konnte, da eine derartige Unkenntnis echter Eleganz nicht eigentlich anzunehmen war. Wie gesagt, unter andern Umständen hätte sie sich gewarnt empfunden; jetzt hatte sie einesteils genug zu tun, die zu scheinen, die sie war, das heißt, die sie während der letzten zwei Jahre war; und andrerseits schwoll sie im Wohlbehagen dieser Vertraulichkeit, dieser sonnenhaften Nähe, als liefen ihr Johanniskäfer über die Hand mitten im November.

Und Dr. med. stand da! War das ein Wink? Sollte sie diesem sich anvertraun? – Elli fragte fürs erste, um etwas zu fragen, was das bedeute: ›Freitagsgesellschaft‹?

Das war eine ungezwungene Vereinigung von jungen, nicht allzujungen Leuten mit literarischen Neigungen; ein, zwei Schriftsteller, ein paar Privatdozenten, ein Anwalt, ein paar Kaufleute, ein Buchhändler, ein Hauptmann und so weiter, die sich an Freitagabenden im Hinterzimmer einer vornehmen Weinstube zu treffen pflegten, um über literarische Dinge zu plaudern und dies und jenes vorlesen zu hören. Ein alter Freund Bodos, der Dichter Edmund La Chevère, hatte ihn da eingeführt; es war ganz reizend, entzückende Menschen, und vor kurzem war beschlossen worden, und zwar auf seine, Bodos, Anregung hin, ein Stück, ein Trauerspiel von Edmund, das er vorgelesen hatte, aufzuführen, – sehr vornehm, vor geladenen Gästen, an einem Sonntagvormittag in der Oper und mit ersten Kräften verschiedener Theater. Die gesamte Leitung lag in seinen Händen, eine angenehme Beschäftigung in der Muße. Die Kosten waren durch eine Subskription in der ersten Gesellschaft zusammengebracht.

Er hatte längst seine Brieftasche wieder in der Hand und eine Liste der Gesellschaft in Händen, unter deren zwölf oder fünfzehn gut klingenden Namen Elli auch den Adalberts von Tautphöus fand.

Sich beherrschend – was ihr leicht fiel, denn wer und wann war das gewesen? –, und um auch ihrerseits etwas vorzuweisen, tippte sie auf den Namen und sagte: »Den kenn ich!« worauf Bodo gleich in leicht fragender Weise, so tuend, als ob sie natürlich alles von dem Freiherrn wisse, hinplauderte: »Er ist erst seit kurzem verheiratet, nicht wahr? Ja, er lebt ja nur winters in der Stadt, im Sommer auf seinen Gütern. Ein lieber Kerl, vornehm, belesen – « und so weiter.

»Na, was ist Ihnen denn, Kindchen?« hörte Elli sich plötzlich gefragt, sah feine Hand um ihr Handgelenk geschlossen und traf, aufblickend aus der Verlorenheit, seine gutherzig lächelnden und aufmunternden Augen. »Was ist denn bloß? Hab ich 'ne Saite berührt? Tuts immer noch weh? Ja, die Männer, die Männer, ich sags ja immer!«

Was dann die Not nicht vermocht hatte, das brachte diese kleine Verwirrung durch Adalbert zuwege, und sie gestand auf sein eindringliches Fragen, nachdem sie den Kopf geschüttelt und gesagt hatte, es sei nicht das, was er meine, – und nach einer Vorfrage, ob er wirklich Arzt sei – »Ei freilich Kindchen, was glauben Sie denn? Ich wollte eben anfangen, zu praktizieren, da brach das Unheil los!« – sie gestand, daß sie krank zu sein glaube. – Krank? Ja, was ihr denn fehle?

»Ach – – Sie wissen doch!« Elli hielt das Gesicht gesenkt unterm Hut und hörte ihn leise pfeifen.

»Ach du mein Je! Na das ist bös! Aber Kindchen, wie kann man so unvorsichtig sein! Na, nun bloß nicht gleich weinen, das haben wir ja alle durchgemacht, ei freilich, das kommt doch in den feinsten Familien vor …« Elli entging alles folgende, sie stillte sich etwas am Weinen, hörte fern ein plätscherndes Wirrsal von Fachausdrücken, lateinischen Namen, Heilmitteln, Tröstungen, Fragen, Erklärungen und wieder Beschwichtigungen, zu denen sie eifrig nickte, konnte ihn endlich mit tränenden Augen ansehn und leidlich glauben, daß vermutlich alles dummes Zeug, Einbildung oder wer weiß was sei, und wenn schon, daß es im Hui wieder vorüber sein würde. Beim Zurückgeleiten in die Stadt war er fein und auch geschickt genug, durch eine leise Zurückhaltung und Verwandlung von Sprechton und Miene zu zeigen, daß er jetzt nur der Arzt sei. Leider war es nun höchste Zeit für ihn zu einer Verabredung, aber am nächsten Vormittag würde er kommen.


Elli saß auf der Galeere.

Wie wenn ein Mensch sagte: Jetzt werde ich meinen Atem anhalten, solange das Blatt an dem Baum sich nicht bewegt, und bewegt es sich erst in dem Augenblick, wo ich ihn nicht mehr halten kann, dann – wird alles gut, – so hielt Elli – nicht den Atem, sondern ihr ganzes Wesen und Leben an; hielt es an und um sich gezogen in Odem- und Sinnlosigkeit, bis – so sagte sie – sie nicht mehr können und zugleich heil sein würde; oder – ? Kein Oder. Es gab kein Leben bis zu jenem Augenblick. Nichts gab es außer noch Schlafen. Was einst rein war in ihr, reinlich geblieben, dehnte sich aus in diesem letzten Verlangen: wieder rein zu sein, das ihr Bewußtsein ausmachte. Hernach? Hernach alles oder nichts. Bewußtsein – manchmal hob es dennoch das Auge des Folterknechts und die Armbrust; der Bolzen traf und schlitzte die dünne gespannte Haut auf über Atemlosigkeit, Angst und Ersticken, das Blut quoll und redete, an ihr rinnend: Hernach wirst du ja noch einmal von vorn anfangen! Du bist ja noch ganz jung! Dies ist ja die letzte Marterung! Dann hast du ja deine heiligsten Kräfte gewonnen! – Das Blut quoll nicht mehr, es gerann, Elli erstickte den letzten Tropfen.

Schlaf noch war. Wie wenn jemand schlecht in einem Eisenbahnabteil schliefe, selber nur eine dünne Decke Schlummers über allen Erschütterungen und Geräuschen des Fahrens, des Haltens und der Stille, des wieder Schüttelns und Stoßens der Achsen, von denen sein Schlaf durchdrungen ist und ganz löchrig. Elli lag unendliche Stunden schlafend in dieser Zeit, niemals tief, immer so leicht wie ein Wind auf dem Hügel; immer wieder erwachend von der Erschütterung, vom inneren Frieren, schlafunbedürftig sich zwingend, zählend die Stunden.

Vielleicht kannst du gar nicht wieder gesund werden, Elli? – Wieder ein Bolzen. – Erinnere dich doch an was du früher gelesen hast über diese Krankheit! Weißt du nicht, daß sie kein Räuber ist, der zuschlägt und packt, kein Tier, das beißt, kein Henker, der foltert, kein Strick, der erdrosselt, nichts, was schnell macht und endet, sondern Gift? Ein einziger Tropfen, in den alle Macht der Entfaltung gegeben ist, zauberhafter als der Same des Menschen, sich auszufalten zu mächtiger Gestalt, wandelbarer als Gott Protheus? Daß es umschleicht in dir und nach einer Stelle sucht, wo es ausbrechen kann zu beliebiger Zeit? Daß es einen funkelnden Mantel von Aussatz über dich werfen kann, wenn es ihm gefällt? Daß es unsichtbar werden kann für Jahre, und plötzlich setzt es sich als Säge an deine Stimmbänder, und sie sind hin? Daß es dir das Rückgrat so langsam biegend zerbrechen kann wie eine Weidenrute? Daß es – Endlich stand das Blut. Elli schlief ein.

Elli träumte einen alten Schauder ihrer Kindheit wieder: Auf einem Gartenwege ein Regenwurm, den die Hand eines Knaben kunstvoll zu einem lebendigen Knoten geschlungen hatte; die Enden bewegten sich in tastenden Wellen nach beiden Selten.


Es wäre nun das Tatsächliche aus Ellis Tages- und Wochenverlauf zu berichten; Dinge, die nicht sie vornahm, sondern nur durch sie vorgenommen wurden, wie sie sich aus den Umständen ergaben, wobei sich aber doch zeigen wird, daß ihr Dasein nicht vollkommen ausgefüllt war mit Unseligkeit und Seelenfoltern, daß vielmehr der freundlichen, ja der beglückenden Stunden eine nicht so geringe Zahl hindurchfloß, wenn auch flüchtig genug und etwas kraftlos gegen den immerschwarzen Grund. – Von dem, was sie vorzunehmen hatte, insbesondere die Behandlung ihres Körpers, tat sie das Meiste mit einer krampfhaften Bewußtheit, die in Widerspruch zu stehen schien mit der entseelten Dumpfheit ihres Wesens; doch war es so, daß bei allem keinerlei Übersicht und Zusammenhang mehr von ihr hergestellt wurde; jedes blieb ein Einzelnes, unter Anspannung, unter ganzer Teilnahme zu Erledigendes; danach ein andres und wieder eines, deren jedes das frühere spurlos verlöschte, – ganz wie wenn im Dunkeln einer lauter Streichhölzchen, immer eines am andern, entzündete, unter angestrengtestem Aufpassen, daß jedes die ganze Helligkeit seiner Flamme entfaltet und nicht erlischt, eh nicht das nächste entbrannte, und immer ist da nur das eine, krampfhaft behütete Flämmchen.

Die Untersuchung hatte ergeben, was zu erwarten gewesen war. Von Einreibungen und eingenommenen Tränken braucht nicht geredet zu werden, da sie in Handbüchern nachgelesen werden können. Ronsky kam fast an jedem Nachmittag, und alle Abende verbrachten sie gemeinsam in diesem oder jenem Kaffeehaus, möglichst unter Musik, und vielfach mit Bekannten Ronskys, deren er bei Hundert hatte, Mimen und Miminnen zumeist. Sein Wesen gegen Elli veränderte sich nie; immer war er nett, herzlich, lustig, aufmunternd, zuvorkommend, ja ritterlich; brachte zum Beispiel häufig Blumen oder kaufte kleine Sträußchen von den Straßenhändlerinnen unterwegs. Elli liebte ihn als Abgott, Schöpfer des Lebens, sicher schaukelnd an seinen Sprüchen über dem Abgrund. Oh sicherlich: Wenn er eines Tages gesagt haben würde: Du bist gesund, Elli, und nun bleiben wir zusammen, nichts hätte sie tiefer beglücken können; allein leider – hierzu kam es nicht. So bereitete es ihr immerhin Lust genug, ihm aus seinen kleinen Geldverlegenheiten heraushelfen zu können. Dies kam so, daß er zuerst einige Wochen nach begonnener Behandlung eine Bitte um Erstattung der Kosten für Heilmittel und dergleichen getan hatte; später mit einer größeren kam, scherzhaft, eine Anleihe natürlich nur in Form von Honorierung, nur eben weil er in augenblicklicher Verlegenheit sei, – oh nein, er bestand darauf, einen Wechsel auszustellen, und schrieb ihn, gleichsam mit Behagen, auf das gewandteste – wie alle spätern. Elli war unglücklich, daß er sie umsonst kurieren wollte. Bald war es dann so, daß er alle paar Tage mit einer kleinen, jede Woche mit einer größeren Forderung kam, wobei er die kleinen stets sauber zu den Wechseln der größeren schlug. Der Prozeß, der verdammte Prozeß, er kam noch immer zu keinem Ende; der Rechtsanwalt war auch eine Kanaille, die ihn mit ihren Versicherungen angelockt hatte, das beste Engagement auszuschlagen und hierherzukommen, – und so weiter in endlosen Abwandlungen, deren jede Elli vergaß im Augenblick, wo sie endeten. Um das Geld hatte sie keine Sorge, vergnügte sich eher ein wenig, ähnlich Bodo, beim Ausstellen der Schecks auf ihr Bankguthaben – ihr zusammengeschmolzenes Erbe nebst Philipps Lebensversicherung, – und war unfähig, sonst irgend etwas zu bedenken.

Ein Monat etwa war in sausender Hurtigkeit hingeschwunden, als Bodo ihr vorschlug, bei jener Theateraufführung, von der er häufig erzählte, mitzuwirken, als Statistin, in der kleinen Rolle einer Dienerin, die ein paar Verse zu sprechen habe, was Elli natürlich fertig bringe, wie jede Frau. Und wenn es auch nichts einbrächte, ein winziges Honorar, das er ihr auswerfen könnte, so würde sie doch viel Spaß an den Proben haben, das Stück sei entzückend, und übrigens würde sie ihm geradezu eine Gefälligkeit erweisen, da eine Schauspielerin plötzlich abgesagt habe. Ja, vielleicht – immer weiter plätschernd in unhaltbarer Geschwätzigkeit – finde sie Lust am Ganzen, hätte Talent, ließe sich ausbilden, von ihm, ei freilich, gratis und franko …

Dies war schon ganz gut für Elli. Das verstopfte Denken an die Zukunft bekam ein gegenständliches Loch zum Durchtröpfeln, und wenn auch späterhin vom Schauspielunterricht nie mehr die Rede war, so genügte es doch vorderhand. Elli willigte in alles und gewann in der Tat ein gut Teil Erquickung durch die Teilnahme an der Aufführung.

Zuerst bekam sie den Dichter und mit ihm die Trägerin der Titelrolle seines Stückes – ›Theodosis‹ hieß es, ein Trauerspiel in antikischer Zeit – zu sehn und zu kennen, bei einer abendlichen Verabredung Bodos mit den Beiden, zu der er Elli mitnahm. Vorbereitend schilderte er ihr den Dichter als den entzückendsten Menschen von der Welt, die blanke Unschuld, an Lebenskenntnis ein Kind, ein Lamm. Von der Severin, der Tragödin, sagte er nur, sie konnte ein bißchen was, hätte sich aber, als ob sie die Duse und Triesch zusammen wäre, und für jene Rolle sei sie immerhin passabel.

Elli fand die zwei stillsten Menschen, die sie seit Jahren gesehn, ja, die sie sich hätte vorstellen können, in einer Nische des lärm- und musikvollen Saales so fremdartig aussehend wie zwei große ernste Vögel, übers Meer gebracht von einer sonnenstillen Küste. Elli war nicht in der Lage, sich selber beobachten zu können, und konnte also nicht bemerken, daß diese, ihr jetzt wie Gebilde fremden Wesen ihr vor Jahren einmal natürlich und ihresgleichen geschienen wären. Der Dichter, fast klein, zart rosigen Gesichtes mit überaus guten und blauen, etwas vorstehenden Augen, einem sehr kleinen, eingezogenen Mund, blondhaarig und mit sehr steiler Stirn, hielt sich bescheiden, ja schüchtern. Seine Gefährtin – Elli roch, daß sie sich liebten, im ersten Augenblick – sah befremdend aus. Ein dunkelrot herzförmiger kleiner Mund, weich eingeschnitten in volles Fleisch der Wangen – weißlichgrau wie das ganze, runde Gesicht – verbreitete eine Süßigkeit um sich her wie aus Honig. Sie hatte das dunkelbraune, mit der Schere geschnittene Haar in die Stirn gekämmt, die Augen lagen tief, und das Ganze schien, da sie kaum sprach noch sich bewegte, erstarrt in einem unnatürlichen Hochmut, der traurig machte beim Ansehn. Wenn sie einmal, um ein paar Worte des dicht neben ihr sitzenden Dichters besser zu verstehn unter dem Musiklärm, sich vorneigte und dabei das Haar über der Stirn leicht anhob und wieder herabstrich, sah Elli sie ganz umschlossen und innerst erzitternd von schwerer Liebe.

Elli, nachdem die Beiden frühzeitig gegangen waren, fand sich in einer Traurigkeit, die beklemmte und doch ihr Angenehmes hatte, – wie eben wehmütiges Erinnern an ein Schönes, das ohne Umrisse ist, ohne Gestalt, nur eben schön gewesen und vergangen.

Wenige Tage danach, bei ihrer ersten Probe, sah Elli die Beiden wieder, den Dichter still im dämmrigen und verödeten Saal – eines Sommertheaters –, die Severin auf der Bühne im streifig von oben fallenden kalten Wintertaglicht, die ihre Verse mit eintönig belanglosem Tonfall aufsagte, unbeweglich stehend, und nur an dieser und jener Stelle mit einem geheimnisvollen Erschwellen und Aufglühn, das Elli seltsam erschaudern machte. Übrigens wurde sie fürs erste, verwirrt von dem Ganzen, wie sie war, völlig in Anspruch genommen durch die Bewunderung Bodos, der die Regie hatte. Seine Kunstfertigkeit, nach jeden drei Versen jedes Darstellers einzuspringen und ihm das Seine vorzumachen, dabei im Augenblick jede Figur zu sein und nicht durch Nachahmung mit Haltung und Gebärde, sondern nur innerlich gleichsam, durch die Sprache seiner sonst hellen und einförmigen Stimme, die er nun zu biegen wußte und zu schwellen, die er tönen, aufjammern, hinjubeln ließ, wie immer es erforderlich war; sein Geschick, die Verse, die Wendungen aufblühen zu lassen wie große Sträuße, so daß jeder Sinn, jede Regung und jedes Empfinden hervortrat in erstaunlicher Deutlichkeit und gleichwohl der süßen Umdunkelung durch Klang und Farbe, – diese Kunstfertigkeit erschien Elli staunenswert, Bodo ihr ein Genie, sein Verwandlungsgeschick ungeheuer. Das hatte sie doch nicht gedacht. Ja, wenn je Mißtraun in Elli gewesen wäre – aber längst kein geringstes mehr! – heut wäre der letzte Funke erloschen.

Und wie schon gesagt: wenn man es von andrer Seite betrachtet, so war Elli nahezu glücklich zu nennen in dieser Zeit. Hatte sie nicht, was sie wollte, was immer sie brauchte? Konnte sie nicht lieben, bewundern, dankbar sein, anbeten, ergriffen sein von höherer Wesenheit? Freilich, der Bodo war nur auf der Bühne gewaltiger Bannerträger, und auch den Eisberg der Angst, in den Elli eingeschlossen war, schmolz keinerlei Erglühen. Alle Wärme war erloschen in seinem Hauch mit dem Augenblick des Alleinseins, und um so mehr hing sie von Bodos gefälliger Gegenwart ab. Ach, Wonne genug, nicht denken zu müssen! zu denken etwa, daß sie nun wieder in den Dunstkreis eines Genius eingetreten war und nur ferne zu stehn hatte am Rand; daß Fittiche Verse über sie rauschten, daß sie sogar tätig Anteil haben konnte an einem Werk von Lichtheit, Adel, Blüte, und daß sie nicht mehr darin galt als die schlechtgemalte, verstaubte Soffitte. Dies dachte sie nicht, so wenig sie Ludwigs gedachte, und so wenig die Seele auf ihrer Wanderung – gesetzt, sie ist darauf begriffen – sich an das erinnert, was war, vor dieser Gestalt, vor diesem Leben.

Aber gut ging es ihr in diesen Stunden, wo sie hinter der Kulisse dem blütenbedeckten Wallen der Verse lauschte und die Gestalt Bodos behende und schmal hin und her eilen sah, unermüdlich im Unterbrechen, im Zuspruch, km Bessern, im Wiederholen und Vormachen. – Ihre eigene Rolle füllte sie zur Zufriedenheit aus, nachdem an einem Nachmittage zuhaus Bodo ihr Kopf und Glieder, Stimme, Haltung und Gebärde, alle zehn oder zwanzig Dinge, die nötig waren, angepaßt, eingerenkt und festgeprägt hatte.


Vier Monate im ganzen vergingen so. An einem Märztage empfing Elli unvermutet den Besuch des Dichters.

Möge der Leser sich immerhin eine Vorstellung machen von dem Raum, in dem diese Unterredung vor sich ging. Das Zimmer, eines von jenen, die trotz reichster Einrichtung so unbewohnt aussehen wie ein Wartesaal, deren Möbel nie benutzt scheinen, ja, nie verrückt, nur zum Ansehen hingestellt, – dies allzuhelle Zimmer im Hochparterre mit zwei Fenstern und einer Verandatür zwischen dunkelroten Vorhängen, verhangen von kostbar scheinenden gelben Stores, wurde noch dadurch vergrößert, daß die breite Schiebetür zum Schlafzimmer wett offen stand. Fast in sie hinein ragte das Fußende des breiten Bettes, das also sichtbar die ganze thronende Glorie seines Himmels in reichen Stürzen von rosarotem und weißem Mull entfaltete. – Der Möbel, der Plüschsessel und Lederstühle, Tische und Tischchen, Gestelle, Vertikows waren eine Unzahl; einen Diwan gab es, ein riesiges Sofa mit Mahagoniumbau, Konsolen und Spiegel, dazu mehrere Teppiche in denselben roten oder grünlichen und braunen Farben gemustert wie die Plüsche. Die blutrote Tapete endlich zeigte ein großes Granatapfelmuster, das dem Traum eines Irrsinnigen entsprungen schien, so wie die Formen der dünnsten aller dreiarmigen Messingkronen mit hohen schleimgrünlichen Tulpen dem Hirn eines Wasserkopfes entstiegen sein mußten. Zwischen den vielen Bildern von einem Reznicek oder Konsorten gab es zwei mächtige Öldrucke – Kaiser und Kaiserin, er strenge, sie freundlich wie immer – und noch eine gewaltige Darstellung auf einer Staffelei: Othello, der Mohr, wie er der weißen Desdemona und ihrem greisen Vater seine Abenteuer erzählt. Und natürlich war jeder wagrechte Platz, den es gab, beladen mit Photographien und Nippes, als da sind: Porzellanschweine und kleine Büsten von Tirolern, Aschenbecher in Form von Zwanzigmarkscheinen, Vasen und Väschen … genug. Übrigens: auch das Zimmer Ludwig Studassohns hatte eine rote Tapete gehabt.

Der zarte kleine Mensch befand sich in so unendlicher Verwirrtheit, daß er über den Anfang – er komme wegen einer Erkundigung nach Ronsky – nicht hinausfand. Elli derweil, in die schaurigsten Ahnungen untergetaucht, verhärtete ihr Herz gegen den hülflos und preisgegeben Dasitzenden, entschlossen, für den Geliebten einzustehn bis zum Äußersten. – Endlich begann der Dichter in seinem Zartgefühl, nichts zu erbitten, bevor er nicht den letzten seiner Gründe dafür dargelegt hatte, die weitschweifigsten und wirrsten Erklärungen.

Wie schon gesagt, handle es sich um Bodo, das heißt eigentlich um die Aufführung, die gefährdet erscheine, gefährdet sei, wenn etwa sich als wahr herausstelle, was – nun was zu hoffen er natürlich nicht denke. Die Gesellschaft nämlich, die Freitagsgesellschaft, sei eigentlich nicht mehr vorhanden, und zwar wegen Bodos. Einem der Herren war zu Ohren gekommen, daß Bodo sich in einer andern Stadt gewisse Dinge hatte zuschulden kommen lassen –, Genaues sei nicht zu ermitteln gewesen –, nichtbezahlte Hotelrechnungen, Pfändung von Koffern, die sich hernach als leer herausstellten, – aber all das übrigens schon Jahre zurück … Nun aber – – eine Besuchskarte … Bodo hatte Besuchskarten anfertigen lassen – Elli kenne sie zweifelsohne –, auf denen er sich als Regisseur und künstlerischer Leiter der Gesellschaft bezeichne. Natürlich, das habe ja seine Richtigkeit, insofern als er der Leiter dieser Aufführung sei, aber … die Gesellschaft sei eine völlig zwanglose, private Bereinigung, habe keine Leiter und Regisseure, und – kurz und gut, einige der Herren hätten es eine Schiebung genannt und wären der Meinung, Ronsky habe die Karten nur anfertigen lassen, um sie zur Kreditverschaffung zu benutzen, – genug: ihrer zehn waren ausgetreten, da sie an ihrem bürgerlichen Dasein durch Bodo zu Schaden zu kommen befürchteten. Nur seine, des Dichters, nächste Freunde und einige Andre von vornehmer Gesinnung waren geblieben, um die Aufführung zu halten …

Nun, Elli hatte inzwischen genug gehört, um einen ganzen Köcher voll Wutgeschosse beisammen zu haben, also daß sie jetzt, alles Gelernte in der Fertigkeit des Empörtseins und Darauflosplapperns an sich raffend, ausbrach:

Was denn das alles heißen solle? Was das für eine gemeine, niederträchtige Art sei, einen Menschen auf derartige Gerüchte hin schlecht zu machen und zu verurteilen! Eine solche Gemeinheit von den Herren gegen Herrn Ronsky und – nun den Spieß, wie sie gelernt hatte, gegen den Dichter selbst kehrend – gegen ihn! Ihn so im Stich zu lassen wegen einer Lappalie! Oh, sie kannte diese Gesellschaft, diese Bürger, dies feige Gelichter. »Aber,« sagte sie funkelnd in ihrer Hülflosigkeit, »das ist dieser Freiherr, dieser Tautphöus, ich warne Sie vor dem, ich hätte Sie gleich gewarnt –.« Elli hielt endlich ein, nachdem schon bei dem Namen ein verwundertes Aufblicken des Dichters sie hätte stutzig machen sollen, der nun erst dazu kam, leise zu sagen: »Herr von Tautphöus ist mein bester Freund.« Elli schluckte hastig hinunter, begriff sich und feuerte weiter:

Eine Besuchskarte! Hat der Mensch kein Recht mehr, auf seine Karten zu schreiben, was er will? Natürlich kannte sie die Karte, aber niemals hätte er sie zu etwas benutzt, was nicht jeder … Elli konnte das einesteils nicht wissen, da sie Einkäufen Bodos nicht beizuwohnen pflegte, und hatte andrerseits im Kaffeehaus oft genug ihn eine der Karten im Brief benutzen sehn oder dem Kellner geben. – Und wenn er doch die Leitung des Stückes habe, so sei er doch künstlerischer Leiter, das sei ja eine eklige Verdrehung und bloß Mißgunst und Neid und Gehässigkeit, weil er Talent habe und sie nicht, die ihm, Bodo, seine Leistungen, und ihm, dem Dichter, den Erfolg seines Stückes nicht gönnten. In acht nehmen sollte er sich, wie gesagt, und froh sein, aus dieser Gesellschaft herausgekommen –

Die längst aufgesprungene und hin und her gelaufene Elli hatte beinah schon vergessen, welche Wirkung der Name Tautphöus soeben ausgeübt hatte; schlaff wie sie war, brach sie nunmehr in Tränen der Ratlosigkeit aus. Indes, kaum beruhigt, zeterte sie von neuem los: das wäre gewiß nicht alles, ach so eine Gemeinheit, aber nun wollte sie alles wissen, er komme ihr nicht davon …

Der kleine Dichter versicherte höchst unglücklich, daß es alles sei, – obwohl … Also da wars ja! Nun schon heraus damit! ›Obwohl‹ hatte er gesagt! Sie hatte es deutlich gehört, sie konnte bezeugen, daß er ›obwohl‹ gesagt hatte! – Elli war bereit, die Zimmerwirtin zu holen, um sich bezeugen zu lassen, daß er ›obwohl‹ gesagt hatte. – Der Dichter wand sich.

Freilich, das Mißtrauen war schon einige Zelt wach. So hatte Bodo, von dem eigentlich die ganze Sache ausgegangen war, und der auch den ersten Kostenanschlag gemacht hatte, diesen immer verändert und erhöht, und freilich – der erste war zu gering gewesen, das sah jeder ein, die Honorarsätze … und das ursprünglich in Aussicht genommene Sommertheater genügte natürlich nicht, aber … Warum hatte er den ersten Anschlag so niedrig gemacht? Mußte er nicht wissen, was die Darsteller verlangen würden? Allerdings, er hatte gemeint, es würden sich stellungslose Schauspieler finden, die es in Mengen gäbe, und die besten darunter, aber – ja, es war eben alles anders gekommen, und die Kosten – nun freilich, immerhin, das Geld war da, die Subskription hatte doch genug eingebracht, aber die Kosten hatten sich mit der Zeit beinah vervierfacht, was kaufmännisch betrachtet wohl kaum als ganz ehrenhaft …

Elli war sprachlos. (Sie sagte, sie sei es.)

Ja, was in aller Welt denn er, Bodo, dafür könne? Sei er ein Kaufmann, ein Händler? Könnten sie nicht froh sein, die Herren, und sollten ihrem Schöpfer auf den Knien danken, daß sie ein solches Genie gefunden hätten, das sich herbeiließe und sich plagte und schindete für sie und natürlich nur Undank ernte! Ob er noch nicht genug getan hätte? Nachdem er sich fast Arme und Beine ausgerissen hätte, um die Sache in Gang zu bringen, von Pontius zu Pilatus gelaufen sei, und ob er die Rollenbücher – der Dichter hatte Rollenbücher erwähnt, die Bodo unbefugt hatte ausschreiben lassen – vielleicht selbst habe schreiben sollen? – O, Elli Logik war aufs sicherste eingerichtet.

Der Dichter schämte sich furchtbar. Er versicherte, ja nichts von dem allem geglaubt zu haben. Er müsse nur zugeben, daß Verdachtsmomente … und sie möge doch bedenken, es handle sich um sein Stück, er sei in Not, er wisse nicht … und dann vor allem Fräulein Severin, die ihr lebenlang auf das schwerste zu kämpfen gehabt und hier einmal Gelegenheit habe, zu zeigen, was in ihr sei … Er stockte und brachte dann zaudernd hervor, ob er eine Frage tun dürfe. Auf Ellis ergrimmtes Nicken wagte er die Frage, ob er, Bodo, vielleicht jemals Geld – von ihr … und verwickelte sich gleich in Erklärungen: er selber habe ihm mehrmals Summen vorgestreckt, erst kleinere, und in Form von Vorschuß auf sein Spielhonorar, nachdem er anfänglich unentgeltlich hatte spielen wollen … Elli schwindelte der Kopf, sie verstand es aber noch, die wieder Entflammte zu scheinen: Umsonst! ja immer alles umsonst! – Dann, fuhr der Dichter fort, wie gesagt, größere Beträge, im ganzen ein paar hundert Mark, und stets gegen Wechsel, und – er müsse es gestehn, er selber habe so viel Geld ja nicht … er habe es, übrigens mit Bodos Einverständnis, auf dessen Versicherungen, auf seine Veranlassung gewissermaßen, der Kasse entnommen, dem Aufführungsfonds, – und allerdings, wenn es dazu komme … die Zahlungen stünden nun bevor, Schauspieler verlangten Vorschüsse, er habe freilich Freunde, aber es sei doch furchtbar, wenn … Ja, die Häuser … der Prozeß … ja, also ob Elli …

Elli, alles an sich gezogen, was sie noch hatte, hatte ihn reden lassen. Nun lehnte sie es ab, auf diese Frage zu antworten. Kalt, steif und vornehm sagte sie, daß sie natürlich nicht annehme, daß er sie beleidigen wollte, aber – derartige Fragen müsse sie allerdings als Luft betrachten.

Der Dichter ging. Am Nachmittag, als Bodo kam – sie hatte die Stunden bis dahin mit verkrampftem hin und her Laufen verbracht, in immer neue Wut sich hineinhetzend, um sich nur aufrecht halten zu können – hatte sie dann Gelegenheit, die ganze Szene vorzuführen, so oft sie wollte, unter unzählbaren Ausbrüchen, Hohnreden und: Ich habs ihm aber gesagt! und: Da riß mir denn doch die Geduld! in unzähligen, immer wiederholten Bruchstücken, verbessert, mit Zusätzen; und mit dem armen Bodo zusammen sich zu entrüsten über die Niedertracht und Mißgunst der Menschen; schließlich immer wieder an seinem Wortschwall sich zu beruhigen über jeden eignen Verdacht. Zum ersten Mal in dieser Stunde vergaß Elli ihre Krankheit, umarmte Bodo, küßte und drückte ihn und empfing seine Küsse mit Inbrunst. Fast hielt sie sich schon für gesund.


Nicht ganz ein Monat verging noch bis zu dem Vormittag, wo Elli unter den anderen Darstellern auf der Bühne herumstand und auf Bodo, die Severin und den Dichter wartete, die alle Drei ausblieben. Statt ihrer erschien Adalbert von Tautphöus, unveränderter Gestalt gegen früher, nur von erschreckendem Ernst.

Er sagte, daß weder Herr Ronsky noch einer der anderen Zwei zu erwarten sei. Alle möchten auseinandergehn und denken, daß die Gesellschaft sich ihrer Pflichten gegen sie bewußt sein werde. Aufklärungen könne er nur über Herrn Bodo Ronsky geben, der am Morgen verhaftet worden sei wegen einer Wechselfälschung.

Er erkannte Elli während dieser Worte, trat auf sie zu und begrüßte sie, scheinbar ohne bei der Sache zu sein, kaum imstand, die Härte seines Gesichts zum Lächeln zu bringen. Da Elli etwas von »Beziehungen zu Herrn Ronsky« stammelte, so stieß er hervor: »So. Ja, das tut mir sehr leid für Sie. Ein Halunke, der den Tod – den Tod –« Er brachte weiter nichts heraus, Tränen standen ihm in den Augen. Elli, trotz tödlicher Ängste noch weiter fragend, bekam so viel heraus, daß er einen Brief von seinem Freunde bekommen hatte, daß dieser verschwunden und wohl nicht mehr am Leben sei. Sich sammelnd, setzte er hinzu, daß es zuviel heiße, Ronsky dies in die Schuhe zu schieben. Er erwähnte den Namen der Severin, übrigens nicht anklagend, und schloß: die Niederträchtigkeit des Schauspielers habe jedenfalls die Umnachtung vertiefen helfen, in der die Tat, die zu vermutende Tat, geschehen sei.

Elli war inzwischen mit ihm auf die Straße gelangt, und sie gingen ein Stück zusammen. Der Freiherr bedauerte noch die unglücklichen Umstände dieses Wiedersehens, und unbewußt war Elli zufrieden, daß er sie kaum zu gewahren schien. – Dann war sie allein, schlich heim und fand in ihrem Zimmer einen Beamten der Polizei, der sich nach Bodo erkundigen wollte und bald Ellis Scheckbuch hervorzog, das sie erkennen mußte. Der ganze Betrag ihres Kontos war abgehoben. Noch ging es Elli durch den Kopf, zu sagen, sie selber habe, oder er habe auf ihre Veranlassung die Summe behoben. Der Beamte fing sie auf.


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