Eduard Trautner
Tagebücher der Henker von Paris - Erster Band
Eduard Trautner

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Der Henker und das Parlament

Das Dessert nach der Jagd; der Prozeß.

Jean Baptiste Sanson war im Monat Januar 1754 von einem Schlaganfalle heimgesucht worden, von dem er nie genas und der lange vor der Zeit einen hinfälligen Greis aus ihm machte.

Aus seiner Ehe mit Madeleine Tronson hatte er zehn Kinder, darunter sieben Knaben, die dem düsteren Handwerk ihres Vaters gewidmet wurden. Der eine kam nach Rheims, der andere nach Orléans, die übrigen nach Meaux, Etampes, Soissons, Montpellier usw.

Der Älteste, Charles Henri Sanson, den man den Herrn von Paris nannte, um ihn von seinen Brüdern zu unterscheiden, war unbestreitbar der moralisch und physisch begabteste unserer Familie. Schön und wohlgebaut, verband er mit diesen Naturgaben einen gewandten Geist, der durch eine vortreffliche Erziehung gebildet worden war. Er besaß viel Eleganz und hatte durch den Luxus seines Kostüms die allgemeine Aufmerksamkeit derartig auf sich gelenkt, daß man sich zu einem Akte der Willkür gegen ihn hinreißen ließ, indem man ihm unter dem Vorwande, es sei die Farbe der Edelleute, die blaue Farbe zu tragen verbot.

Charles Henri Sanson hielt es nicht der Mühe wert, die alten Pergamente des Hauses von Longval auszukramen und die Frage zu stellen, ob das Scharfrichteramt auch den Verlust des Adels nach sich ziehe, sondern er begnügte sich, sich noch reichere Kleider, aber von grüner Farbe machen zu lassen. Er brachte diese Farbe in die Mode, und bald nahmen alle Elegants des Hofes und der Stadt, der glänzende Marquis von Létorières an der Spitze, den Schnitt und die Farbe dieser Kleider an und begannen sich à la Sanson zu tragen.

Mit diesem Charles Henri Sanson, meinem Großvater, beginnt die interessanteste und diesmal ununterbrochene Folge dieser Memoiren. Ehe ich aber die bedeutenden Aufzeichnungen bringe, die er über die Revolution hinterlassen hat, möchte ich ihn noch einmal in einem Abenteuer seiner Jugend auftreten lassen, worüber er einen Bericht aufbewahrt, den ich wörtlich abschreibe:

 

Nach einem langen Jagdtage kam ich zur Mittagsstunde in ein Haus, in dem ich die Frau Marquise von X., die soeben von ihrem Gute nach Paris zurückkehrte, traf. Diese Dame machte mir eine tiefe Verbeugung, bot mir einen Stuhl an, und nachdem wir uns eine halbe Stunde unterhalten hatten, fragte sie mich, welches mein Amt sei. Ich antwortete natürlich, ich sei Beamter des Parlaments. Sogleich befahl sie, ein Kuvert für mich neben das ihrige zu legen, und wir nahmen zusammen ein so belebtes Mahl ein, daß es schien, von beiden Seiten spreche das Herz auch dabei mit.

Nach dem Dessert ließ ich die Pferde vor meine Postchaise legen und zog mich mit vielen Danksagungen gegen diese vornehme Dame für den liebenswürdigen Empfang, den sie mir hatte zuteil werden lassen, zurück. Kaum war ich aber abgefahren, so sagte ein Edelmann von der Bekanntschaft der Marquise, der uns beisammen gesehen hatte:

»Madame, kennen Sie den jungen Mann, mit dem Sie gespeist haben?«

»Nein,« erwiderte sie, »er sagte mir, er sei Beamter des Parlaments.«

»Es ist der Henker von Paris, ich kenne ihn sehr wohl; er hat entweder soeben eine Hinrichtung ausgeführt oder ihr wenigstens beigewohnt, denn er richtet selten mit eigener Hand.«

Bei diesen Worten wäre die Marquise beinahe in Ohnmacht gefallen, sie war so bestürzt, daß sie nichts zu erwidern vermochte. Abscheu ergriff sie, und sie vergoß Tränen, wenn sie sich daran erinnerte, daß ich ihr die Hand gegeben hatte, um ihr über die Schwelle, die schwer zu übersteigen war, zu helfen; sie befahl sogleich, ihr Wasser zum Händewaschen zu bringen. Als ihre erste Bewegung vorüber war, stieg sie ganz erregt in ihre Equipage und dachte unterwegs über die Mittel nach, sich rächen zu können.

Wirklich war die Marquise kaum in Paris angekommen, als sie dem Parlament ein Gesuch einreichte, in dem sie nach Erzählung des ihr Geschehenen beantragte, daß ich verurteilt würde, mit dem Stricke um den Hals sie um Verzeihung zu bitten wegen der vermeintlichen Beleidigung, die ich ihr angetan habe, und daß mir der Sicherheit des Publikums wegen befohlen würde, ein Abzeichen, das mich der ganzen Welt kenntlich machte, an meiner Person und meiner Equipage zu tragen.

Der Gerichtshof forderte beide Parteien vor; ich suchte also überall nach einem Advokaten, der meine Sache verteidigen solle; mochte es aber das Ansehen der Frau Marquise, das nicht gering war, oder die Abneigung sein, die man gewöhnlich vor meinem Stande hat, niemand wollte sich mit meiner Sache befassen, und ich war genötigt, mich selbst zu verteidigen.

Der Advokat der Gegenpartei vergaß nichts, um den Schimpf, den seiner Ansicht nach die Frau Marquise erlitten hatte, recht fühlbar zu machen. Er malte mit viel Beredsamkeit die traurige Lage dieser armen Dame, nachdem sie von dem Stande des Gastes, mit dem zu speisen sie das Unglück gehabt hatte, Kenntnis erhielt; er sagte, daß mein infames Amt mir nicht erlaube, mit einem einfachen Bürger zu speisen, viel weniger mit einer Standesperson, wie die Marquise von X. sei, und nach einem langen Plädoyer zog er denselben Schluß wie die Frau Marquise in ihrem Klagegesuche.

Ich antwortete folgendermaßen:

»Es ist ein Glück für mich, meine Herren, daß man, während man mich vor Ihnen als Verbrecher anklagt, mir nichts über meine Sitten oder meine Rechtschaffenheit vorwerfen kann.

Die Ausübung meines Amtes ist kein Verbrechen, im Gegenteil, sie ist ein Akt der Gerechtigkeit; und dasselbe Prinzip der Gerechtigkeit, das Sie veranlaßt, die Strafe auszusprechen, beseelt mich, wenn der Schuldige sie zu erleiden hat. Meine Gegenpartei hat nicht überlegt, als sie mich vor Ihr Tribunal berief: wenn ich Ihre Gerechtigkeit forderte, so könnte sie sich beklagen und Sie verdächtigen. Unsere Ämter stehen in so enger Verbindung, daß Sie das meinige nicht verdächtig behandeln können, ohne dem Ihrigen einen tödlichen Stoß zu geben. Ich handle nur auf Ihre Befehle, und wenn es etwas Tadelnswertes an meinem Amte gäbe, so würden Sie es nicht verdammen können, weil nach dem Geist der Gesetze der, welcher das Verbrechen befiehlt, schuldiger als der, welcher es ausführt, und unter dieselbe Kategorie zu stellen ist.

Der Gott der Waffen hat das Schwert in die Hände des Königs gelegt, um das Verbrechen zu strafen und die Unschuld zu beschützen. Da er selbst es nicht tun kann, hat er mir die Ehre angetan, es mir anzuvertrauen; ich bin der Verwalter dieses Schatzes, der von seinem Königtum und von dem Titel eines Herrschers untrennbar ist. Nicht Ihnen hat er es eigentlich anvertraut, nicht Ihre Urteilssprüche machen den Schuldigen des Todes würdig, sondern sein Verbrechen oder, besser gesagt, das Gesetz, welches die Strafe bestimmt. Sie erklären nur, daß er des Verbrechens schuldig und folglich in dem Falle ist, für den das Gesetz den Tod befiehlt, und ich als öffentlicher Diener des Staates gebrauche das Schwert, welches mir anvertraut worden, ich strafe das Verbrechen und räche die beleidigte Tugend. Das ist es, was meinem Amte den Vorzug gibt, es ist eine Stufe, die mich näher zum Throne hebt.

Der Advokat meiner Gegenpartei hat, da er in der Ausübung meines Berufes nichts Verächtliches finden konnte, um ihn herabzusetzen, die Unwürdigkeit einiger Personen, denen es hin und wieder anvertraut worden, an das Licht gezogen. Des Todes schuldige Leute, sagte er, die zur Hinrichtung verurteilt gewesen, haben ihr Leben dadurch erkauft, daß sie dieses abscheuliche Amt, das niemand ausüben wollte, übernahmen. Das ist wohl hin und wieder vorgekommen, man muß es zugeben, und darin muß man eben die wunderbare Verblendung der Menschen beklagen. Viele gute Untertanen, welche der Gesellschaft in der Ausübung dieses wichtigen Amtes hätten nützlich werden können, haben sich, durch das Vorurteil verblendet, davon ferngehalten und dadurch herbeigeführt, daß es Unwürdigen überlassen werden mußte. Was beweist das aber? Wie ein hohes Amt dem Narren, der damit bekleidet worden, kein besonderes Verdienst verleiht, so kann auch die Unwürdigkeit eines einzelnen Subjekts nicht das Amt erniedrigen. Wenn ich auf dieselbe Weise in das meinige getreten wäre, so würde sein Räsonnement auf mich passen, das gebe ich zu, aber es ist ganz anders. Ich habe die Ehre, in einer Familie zu sein, die das Amt vom Vater auf den Sohn vererbt, und hätte man, wie man es hätte tun sollen, ihm den erblichen Adel beigelegt, so könnte ich jetzt wohl mit der Frau Marquise um den Vortritt streiten.

Ich glaube genug gesagt zu haben, um mit der Versicherung schließen zu können, daß die Frau Marquise mit ihren Gründen abgewiesen werden muß. Ich würde ein Recht haben, gegen sie zu klagen, aber ich glaube, daß sie genug dadurch gestraft worden, daß sie so unvernünftige Anklagen vorgebracht hat; diese sind entehrender für sie als für mich. Ich beantrage schließlich nicht, daß man die behauptete Infamie meines Amtes aufhebe, denn eine solche hat es nie gegeben, sondern daß man in dem Urteil erkläre, ich sei nicht allein Mitglied des souveränen Gerichtshofes, sondern auch Chef in meinem Departement, ferner, daß mein Amt Ähnlichkeit mit dem der Waffen habe, und daß ich also die Vorrechte der Justiz und des Militärs genieße und infolge dieses doppelten Titels für adlig erklärt werde, ich und meine Nachkommenschaft. Ich zweifle nicht, daß alle Stimmen sich vereinigen werden, diese meine gerechten Forderungen zu bewilligen.«

Der Gerichtshof schritt zur Abstimmung und befahl endlich, die Akten beiseite zu legen, was so viel hieß, als daß kein Urteil erlassen werden solle.

Nach Verlauf fast eines Jahrhunderts veröffentliche ich dies sonderbare Plädoyer meines Ahnen, der eine Ehrenrettung, ja sogar eine Verherrlichung unseres Berufes, woran ich noch nicht gedacht habe, versuchte.


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