Saadi
Bostan
Saadi

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Zweite Pforte.

Wohlthätigkeit.

(46.)

    1   Wenn du verständig bist, komm, an den Sinn dich halt;
Denn was ausdauert, ist der Sinn, nicht die Gestalt.
2   Wer weder Einsicht hat, noch Frömmigkeit, noch Milde,
Dem fehlt der innre Sinn im äußeren Gebilde.
3   Derjenige wird sanft einst unterm Boden ruhn,
Der hier nicht unterließ Bedrängten wohlzuthun.
4   Sei auf dich selbst bedacht im Leben, weil, versenkt
In eigne Lust und Not, kein Freund des Toten denkt.
5   Gib jetzt dein Geld und Gut, da du es nennest dein;
Denn nach dir wird es nicht dir zu Gebote sein.
6   Wenn herzbekümmert selbst du gehn nicht willst von hinnen,
Laß die Bekümmerten nicht aus Gemüt und Sinnen.
7   Erschließ am heut'gen Tag dein Schatzhaus ohne Sorgen;
Denn in den Händen hast du nicht den Schlüssel morgen.
8   Nimm einen Proviant für dich mit dir davon;
Denn sorgen wird für dich dein Weib nicht noch dein Sohn.
9   Der hat den Ball des Glücks aus dieser Welt getragen,
Der mit sich bringt sein Teil in jenes Zelt getragen.
11   Geh, lege was du hast auf deine flache Hand,
Sonst morgen mit dem Zahn nagst du den Fingerrand,
12   Den Armen halt in Schirm und laß ihn nicht beschämen,
Daß Gottes Schirm dich selbst in Obhut möge nehmen. 76
13   Vom Thore weise nicht den Fremdling ohne Gabe;
Du könntest selbst einst gehn als Fremdling ohne Habe.
14   Ein Edler wird sein Gut Begehrenden gewähren,
Weil er bedenkt, daß er einst könne selbst begehren.
15   Daß du kein Bettler bist an fremder Thür, dafür
Sei dankbar, weise nicht den Bettler von der Thür.

 
(47.)

    1   Dem, dessen Vater starb, streu Schatten auf das Haupt,
Und zieh den Dorn ihm aus, und schüttl' ihm ab den Staub.
2 (3)   Siehst du ein Waisenkind, das läßt sein Köpfchen hangen,
O küsse nicht vor ihm dem eignen Kind die Wangen!
3 (2)   Weißt du nicht, was ihm fehlt mit seinen Kummermienen?
Kann wol ein Baum, wenn ihm die Wurzel fehlet, grünen?
4 (8)   Einst trug ich eine Kron' auf meinem Haupte hie,
Als dieses Haupt ich legt' auf meines Vaters Knie.
5 (9)   Hätt' eine Fliege sich auf meinen Leib gesetzt,
Wie viele hätte das damals bestürzt! und jetzt,
6 (10)   Wenn ins Gefängnis mich die Feinde wollten führen,
Nicht eine Freundeshand würde für mich sich rühren.
7 (4)   Wenn der Verwaiste weint, wer wird danach wol fragen?
Und wenn er zürnen will, wer wird's von ihm vertragen?
8 (5)   O mach, daß er nicht weint! Denn droben Gottes Thron
Erzittert, wenn hier weint ein vaterloser Sohn.
9 (6)   Mach aus Barmherzigkeit sein Aug' von Wasser trocken,
Und schüttl' aus Mitleid ihm den Staub aus seinen Locken.
10 (7)   Und wenn hinweg vom Haupt ihm wich der eigne Schatten,
In deinem Schatten woll' Erquickung ihm gestatten.
11   Ich selber weiß ums Leid verlaßner Kinder hier,
Denn in der Kindheit schied der Vater weg von mir. 77

 
(48.)

    1   Im Traum sah einen Mann der Heil'ge von Chodschand,
Der einen Dorn einst grub aus eines Waisen Hand.
2   Der sprach, indem er sacht durch Gärten kam gegangen:
O wieviel Rosen mir aus jenem Dorn entsprangen! –
3   O, dem Erbarmen zeig dich ja nicht abgeneigt!
Erbarmen zeigt man dir, wenn du es hast erzeigt.
4   Wenn du Wohlthaten übst, denk nicht in eitlem Wahn:
Ich bin ein hoher Fürst, er ist ein Unterthan.
5   Wenn ihn des Schicksals Schwert danieder hat gedrückt;
O, ist nicht immer noch des Schicksals Schwert gezückt?
6   Wenn tausende den Thron dir mit Gebet umringen,
Hast du dem Herren Dank der Wohlthat darzubringen,
7   Daß alles Volk von dir erwartet allerhand,
Und du erwartest nichts von eines andern Hand.
8   Wenn wir Mildthätigkeit der Fürsten Tugend nannten,
So irrten wir; sie ist der Schmuck der Gottgesandten.

 
(49.)

    1   Ich hörte, daß einmal in einer ganzen Wochen
Kein Gast in Abrahams Gezelten eingesprochen.
2   Sein hoher Sinn litt nicht, daß er ein Frühstück nähme,
Wo nicht ein Dürftiger dran Teil zu nehmen käme.
3   Er ging hinaus vors Zelt, umschauend hier und da,
Er richtete den Blick zur Seit' im Thal und sah:
4   Dort stand ein Mann allein, alswie ein Weidenbaum,
Sein Haupt von Alters Schnee bestreut mit weißem Flaum.
5   Ein menschenfreundliches Willkommen rief er ihm,
Zum gastlichen Empfang zu kommen rief er ihm: 78
6   »Stern meines Auges, komm, nimm an das Gastgebot,
Verschmähen mögest du bei mir nicht Salz und Brot.«
7   Er sagte Ja, und hob zum Wandern seine Schritte,
Es war im wohl bekannt des Gottgeliebten Sitte.
8   Die Diener, die er ließ sein Gastgezelt verwalten,
Empfingen ehrenvoll den kümmerlichen Alten.
9   Er selbst gebot alsbald den Gasttisch zu bereiten,
Und alle setzten sich umher an dessen Seiten.
10   Als man das Tischgebet zu sprechen nun begann,
Vernahm man keinen Laut dabei vom alten Mann.
11   Zu ihm sprach Gottes Freund: »Betagter Mann, ich finde,
Daß minder Andacht dich, als Greisen ziemt, entzünde.
12   Ist es nicht billig, wenn die Speise du verzehrst,
Daß du den Namen auch des Speisegebers ehrst?«
13   Er sprach: »Zu keinem Brauch bequem' ich Mund und Hand,
Den bei des Feuerdiensts Hochmeistern ich nicht fand.«
14   Da merkte Gottes Freund, den alle Welt lobpreise,
Der Gebern einer sei der glückverlaßne Greise.
15   Da trieb er ihn mit Schmach als einen Fremden aus;
Denn ein Ungläubiger ist Schmutz im reinen Haus.
16   Der Engel aber kam vom Herrn der Majestät,
Um ihn mit Nachdruck auszuschelten: Ei Prophet!
17   Ich hab' ihm hundert Jahr Leibunterhalt verliehn,
Und keinen Augenblick willst du ertragen ihn?
18   Wenn seine Andacht er dem Feuer zugewandt,
Was wendest du darum von ihm der Milde Hand?

 
(50.)

    1   Dein Wohlthun stell nicht ein, weil du dir sagst: dies ist
Nur Heuchelei und Schein, und jenes Trug und List. 79
2   Sich selber schadet nur der schriftgelehrte Mann,
Der Kunst und Wissenschaft für Brot feilhalten kann;
2   Wie gäbe die Vernunft gesetzlich den Bescheid,
Daß einer Ewiges hingeb' um Zeitlichkeit?
2   Du aber nimm es nur, weil ein Vernünft'ger eben
Von denen gerne kauft, die etwas wolfeil geben.

 
(51.)

    1   Es kam ein Zungenheld zu einem Mann von Sinn:
»O wisse, daß ich stark in Schlamm geraten bin.
2   Zehn Dirhem schuldig bin ich einem schlechten Wicht,
Von dem ein einz'ger Gran mir ist ein Pfundgewicht.
3   Die ganze Nacht bin ich um ihn in Ungemach,
Den ganzen Tag geht er mir wie mein Schatten nach.
4   Mit seines kränkenden Zudringens Ungebühr
Verwundet er mein Herz wie meines Hauses Thür.
5   Gott hat ihm wol, seit ihm die Mutter gab das Leben,
Nichts auf der Welt als die zehn Dirheme gegeben.
6   Gelernt hat er im Buch des Glaubens nicht das A,
Und das Kapitel nur gelesen ›Er bleibt da‹.
7   Die Sonn' ist keinen Tag am Berg empor geschlagen,
Wo mir der Schwengel nicht den Ring am Thor geschlagen.
8   In Sorgen bin ich nun, wo ich den Edlen finde,
Der vom Steinherz'gen mich mit Silbers Hülf' entbinde.«
9   Das hörte nun der Mann von Sinnesart so nobel,
Und in den Ärmel schob er ihm gleich ein paar Nobel.
10   So hatte nun das Gold erhascht der Taugenichts,
Fort ging er gleich dem Gold verklärten Angesichts.
11   Zu jenem sprach ein Scheich: »Kennst du nicht diesen feinen?
Nicht über ihn braucht man, im Fall er stirbt, zu weinen. 80
12   Ein Unverschämter, der den Mann der Löwin schor;
Er gibt dem Abuseid Springer und Kön'gin vor.«
13   Der Fromme kam in Zorn: »Stell deine Reden ein!
Du bist kein Mann der Zung' und hast nur Ohr zu sein.
14   Nicht Menschenfreundlichkeit schien mir's, den armen Wicht
Weggehn zu sehn beschämt von meinem Angesicht.
15   Wann wahr gewesen ist, was mir dafür gegolten,
So wahrt' ich vor der Welt die Ehr' ihm unbescholten.
16   Doch war es Heuchelei und eine freche List,
So denke nicht, daß es mir leid gewesen ist.
17   Denn selber hab' ich dann die Ehre mir bewahrt,
Daß einen windigen Wortmacher los ich ward.« –
18   Verteil an Bös und Gut nur Gold und Silbergab';
Dies wendet Segen zu, und jenes Unrat ab.
19   O Heil dem Manne, der in kluger Männer Kreisen
Beispiele kennen lernt von Denkungsart der Weisen.
20   Wenn Überlegung, Geist und Sinn dein Herz erkor,
Nimmst du den guten Rat von Saadi gern ins Ohr,
21   Des Redemeisterschaft stets in dergleichen war,
Nicht in Ohrläppchen, Aug' und schwarzem Mal und Haar.

 
(52.)

    1   Ein Mann schied, und ihm blieb sein Gut zum Angedenken,
Ein Sohn auch, der den Sinn auf Edlers wollte lenken;
2   Daß er wie Geizige die Hand aufs Gold nicht drücke,
Vielmehr Freigeb'gen gleich desselben Band entstricke.
3   Nie leer war seine Thür von armer Bettler Schwalle,
Und voll von Reisenden stets seine Herbergshalle.
4   Den Angehörigen und Fremden Liebes that er,
Und legte nicht in Haft das Silber, wie sein Vater. 81
5   Ein Tadler sprach zu ihm: »»Ei du mit wind'gen Händen,
Willst du auf einen Zug soviel du hast verschwenden?
6   In einem Jahre kann man einthun Kornvorrat;
Im Nu verbrennen ihn, ist keine Heldenthat.
7   Wohlleben, Geld und Gut hat nirgend Rast erwählt;
Hat diese Neuigkeit noch niemand dir erzählt?
8   In diesen Tagen wollt' ein Klausner Lehre geben
Dem Sohn, und sprach zu ihm: »O deines Vaters Leben!
9   Geh ohne Sack und Pack, und räume Hof und Haus,
Und mit freigeb'ger Hand das Gut der Welt streu aus!«
10   Vorsichtig war der Sohn und im Geschäft erprobt,
Den Vater pries er laut: »O Weiser hochbelobt!
11   Da bei der leeren Hand für dich ist kein Behag,
Nun in der Fülle Zeit denk' an den Rechnungstag.«
12   Zu ihrer Tochter sprach gar schön die Bäuerin:
»Am Tag der Fülle leg ein Blatt für Mangel hin.
13   Den Eimer und den Schlauch gefüllt halt immerdar,
Denn durch das Dorf fließt nicht der Bach das ganze Jahr.«
14   Man kann mit Zeitlichem das Ewige gewinnen,
Man kann mit Gold ein Netz um Löwenklauen spinnen.
15   Auf einmal streue nicht dein Gold den Freunden hin,
Auch die Bedrängnisse von Feinden halt' im Sinn.
16   Wenn leer die Hand dir ist, zu Liebchen nicht dich schwing;
Doch wenn du Silber hast, geschwinde komm und bring.
17   Denn, magst du dein Gesicht zum Staub des Wegs ihm senken,
Es wird bei leerer Hand dir keine Antwort schenken.
18   Mit leeren Händen pflückst du keinen Hoffnungstrauß,
Mit Gold schlägst du das Aug' dem weißen Teufel aus.[Dem weißen Teufel, welchen Rostem im Kampfe besiegte und tötete.]
19   Wenn alles was du hast du auf die Hand willst legen,
So wirst du in der Hand zur Zeit der Not nichts hegen.
20   Die Bettler werden nicht durch dein Bemühen feist,
Ich fürchte, daß du bald geworden mager seist.««
21   Wie der Verpöner nun des Wohlthuns also sprach,
Da ward dem jungen Mann die Zornesader wach.
22   Vom tadelsüchtigen ward so das Herz ihm wund,
Daß er in Eifer kam und rief: »O Lästermund!
23   Dies mein Vermögen, das du siehest um und an,
Mein Vater sagt', es sei geerbt von meinem Ahn.
24   Nun konnten diese nicht von Anfang es bewahren,
Mit Kummer gingen sie davon und ließen's fahren.
25   So ist in meine Hand des Vaters Gut gefallen,
Und wird nach mir in die des Sohns hinüber wallen.
26   Drum mögen lieber es verzehren jetzt die Leute,
Als daß nach meinem Tod es werde Raubmahlbeute.« –
27   Iß und bekleide dich, schenk' und mach ein Vergnügen;
Warum bewahrest du zu anderer Verfügen?
28   Das sind Hochsinnige, die aus der Welt mitnehmen;
Ein Niederträchtiger läßt's an der Statt mit Grämen.
29   Dem kommt zu Statten Gold und Gut, der sich das Haus
Der Ewigkeit damit goldschimmernd stattet aus.
30   Mit Zeitlichem kannst du das Ew'ge dir erkaufen;
Kauf's, liebes Herz, sonst bringt dir Kummer nur dein Haufen.

 
(53.)

    1   Zwei Lehren waren es, die mir der Scheich Schihab,
Der weise Führer, einst am Rand der Fluten gab;
2   Die ein': im eignen Geist selbsichtig nicht zu sein,
Die andr' im Weltverkehr fehlsichtig nicht zu sein.
3   Einst sah ich, wie dem Scheich die bittern Thränen flossen,
Als er die Verse las vom Weh der Glutgenossen.
4   Ich weiß, daß jene Nacht vor Schrecken er nicht schlief;
Und als der Tag aufging, vernahm ich, wie er rief: 83
5   »O möchte doch nur voll von mir die Hölle sein,
Wenn andere dadurch frei blieben von der Pein!«
6   In solcher Art hat er gegessen und geschenkt,
Daß niemand sprach: Er hat sein Seelenheil gekränkt.
7   Er sprach, beschämt sein Haupt bergend in Wüstenein:
Was that ich Guts, daß ich mein Herz Ihm dürfte weihn?
8   Um Heldenmütigkeit wollt' einer einst ihn loben:
Du hast auf Gottes Weg bestanden harte Proben.
9   O sieh, wie mannhaft er darauf die Antwort gab:
»Wozu die großen Lobserhebungen? Laß ab!
10   Die Hoffnung, die ich trag', ist nur aus Gottes Huld;
Auf eigne Thätigkeit vertraun ist große Schuld.
11   Das ist der Weg des Heils: daß die, so recht auftraten,
Stets Gutes thaten und nie selbst genug sich thaten.
12   Die Scheiche sprachen all die Nacht hindurch Gebete,
Und knieten dann beim Hauch der Früh' auf die Tapete.
13   Der aber trug den Ball des Glückes von der Bahn,
Der alles für das Wohl der Menschen hat gethan.«

 
(54.)

    1   Bei ihrem Manne klagt' ein Weib einst: »Künftig lasse
Du den Getraideinkauf beim Melber unsrer Gasse.
2   Bemühe dich zum Markt der Waizenhändler hin;
Denn der beut Waizen aus, doch Gerste führt er drin.
3   Von Käufern nicht, und nur von Fliegen ein Gewimmel
Verbirgt sein Angesicht oft wochenlang dem Himmel.«
4   Da sprach der Mann, der fand an Edelmut Vergnügen,
Zu seinem Weib: »O du mein Licht, laß dir genügen!
5   Er hofft' auf uns, als er die Bude hier bezog;
Nicht freundlich wär's, wenn man die Nahrung ihm entzog.« 84
6   Geh, lerne du im Weg der guten Menschen wallen,
Und, wo du stehest, reich die Hand dem, der gefallen.
7   Sei schonend, rücksichtvoll! ein Mann voll Rücksicht geht
Als Käufer zu dem Kram, wo das Geschäft nicht geht.

 
(55.)

    1   Ich hörte, daß ein Mann, der seine Wallfahrt machte,
Auf jedem Schritte zwei Kniebeugungen vollbrachte;
2   So hitzig auf dem Weg der Andacht, daß ihm schien,
Auch einen Dorn dürf' er aus seinem Fuß nicht ziehn.
3   Zuletzt, gestachelt von des Hochmuts Flüsterungen,
Schien ihm Vollkommenheit in hohem Grad errungen.
4   Des Teufels Blendwerk führt' ihn einer Grub' entgegen,
Und zum Verderben war er auf den besten Wegen.
5   Wo Gotts Erbarmen nicht sich seiner angenommen,
Wär' er durch Dünkel ganz vom Heerweg abgekommen.
6   Doch ein Geheimnisbot' erhub an ihn den Ruf:
O guter Mann, den Gott zu edlem Streben schuf!
7   O denke nicht, wenn du hast ein Gebet vollbracht,
Daß du dem Himmel hast ein Gastgeschenk gemacht.
8   Ein Menschenherz erfreun, ist mehr vor Gottes Thron,
Als tausend Beugungen auf jeder Station.

 
(56.)

    1   Die Frau des Schloßhauptmanns sprach früh zu ihrem Mann:
»Auf, Edelster, ans Thor der Tageskost klopf an!
2   Geh, daß vom Tische dir dein Anteil sei gegeben,
Um deine Kinder hier dem Mangel zu entheben.« 85
3   Da sprach er: »Heute wird die Küche kalt erprobt,
Weil unser Sultan Nachts ein Fasten hat gelobt.«
4   Das Weib ließ hoffnungslos den Kopf danieder hängen,
Und sagte bei sich selbst in ihres Notstands Drängen:
5   »Der Sultan, ei wozu schrieb er dies Fasten aus?
Sein Fastenbrechen nur ist meiner Kinder Schmaus.« –
6   Viel besser thut, wer ißt und andern davon giebt,
Als wer sich selbst kasteit, weil er den Mammon liebt.
7   Zuträglich mag allein für jenen sein das Fasten,
Der einem Dürftigen aufthut den Futterkasten.
8   Wozu sonst ist es Not, daß du dich so beschwerest,
Dir selbst es darbest ab und doch es selbst verzehrest?
9   Des Thoren Träumerei, der sich in Klausen setzt,
Vermengt Unheiliges und Heiliges zuletzt.
10   Der Spiegel auch ist klar und klar des Baches Flut;
Zur Klärung aber ist Vernunft dem Menschen gut.

 
(57.)

    1   Ein Mann hatt' hohen Sinn, und Mittel nicht genug,
Es reichte nicht sein Gut für seiner Großmut Flug.
2   O daß ein Niedriger doch reiches Gut nie fände,
Und dem Freigebigen nie wären knapp die Hände!
3   Doch einem, welchem hoch des Geistes Schwingen wallen,
Wird seltener der Wunsch in seine Schlingen fallen,
4   Sowie der Gießbach, der sich im Gebirg entband,
Nicht auf der Höhe dort kann finden festen Stand.
5   Denn seine Milde maß er nicht nach seinem Gut,
Deswegen war er bald verarmt mit hohem Mut.
6   Doch ein bedrängter Freund schrieb ihm zwei Zeilen einst:
»O der du schöne That mit guter Art vereinst!
7   Komm mir mit ein'gem Geld zu Hülf' in der Bedrängnis,
Denn schon seit ein'ger Zeit bin ich im Schuldgefängnis.« –
8   In seinen Augen war wol Geld und Gut nur Tand,
Doch war zum Unglück ihm kein Heller in der Hand.
9   Er sendet' einen Mann des Schuldners Gläubigern,
Denen er sagen ließ: »Ihr hochbelobten Herrn,
10   Zieht ab von seinem Saum ein wenig eure Hand,
Und wenn er euch entflieht, so steh ich euch zu Pfand.«
11   Dann ins Gefängnis ging er grades Wegs: »Nun auf,
Und nimm von hier, soweit der Fuß dich trägt, den Lauf!«
12   Wie seines Käfigs Thür der Sperling offen sah,
Nicht einen Augenblick hat er mehr Ruhe da.
13   Schnell wie ein Frühlingshauch fuhr er aus den Bereichen,
So schnell, daß seinen Staub der Wind nicht konnt' erreichen.
14   Da griffen jene stracks den jungen Ehrenmann:
»Schaff uns zur Stelle nun das Geld, wo nicht den Mann.«
15   Den Vogel fängt man nicht, wenn man ihn ließ entfliegen;
Und hülflos mußt' er sich in das Gefängnis schmiegen.
16   Ich hörte, daß er lang in seiner Haft verblieb,
Und gegen Niemand klagt' und auch an Niemand schrieb.
17   Er hatte Schlaf bei Nacht, und Tags kein Ungemach;
Da kam ein frommer Mann an ihm vorbei und sprach:
18   »Du scheinst ein fremden Guts Verzehrer nicht zu sein;
Was widerfuhr dir, daß du kamest hier hinein?«
19. 20   Er sprach: »Für einen, der im Band sich übel fand,
Wußt' ich nicht andern Rat, als daß ich nahm sein Band.
21   Mit meinem Sinne fand ich es nicht überein,
Daß in Behagen ich, ein andrer wär' in Pein.«
22   Er starb zuletzt, indem er hohen Ruhm erwarb;
Wie herrlich lebt ein Mann, wenn nie sein Name starb!
23   Mehr gilt ein Mann, den so lebendig man begräbt,
Als eine Menge, die mit totem Herzen lebt. 87
24   Nicht ein lebend'ges Herz erliegt dem Todesbann;
Des Herzlebend'gen Leib, stirbt er, was liegt daran?

 
(58.)

    1   Ein Mann fand in der Wüst' einst einen durst'gen Hund;
Nur einen Atem noch hatt' er in seinem Mund.
2   Zum Eimer machte da den Turban er in Eile,
Und seines Turbans Band zu einem Brunnenseile.
3   Zum Dienste schürzt' er sich, die Arme streift' er auf,
Und Wassers einen Trunk zog er dem Hund herauf.
4   Drauf wollte der Prophet des Mannes Loos verkünden:
Der Herr der Allmacht hat vergeben seine Sünden. –
5   Wolan, hast du gefehlt, so denk in Reue nach,
Nimm eine Milde vor, bring eine Treue nach.
6   An einem Hunde ging die Wohlthat nicht verloren;
Wie sollte sie's an dem, der dir ist gleichgeboren?
7   Sei nur, soviel du kannst, zu helfen unverdrossen;
Das Thor des Guten hat für Keinen Gott verschlossen.
8   Wenn in der Wüste du nicht einen Brunnen gründest,
Auch gut, wenn du ein Licht in der Kapell' anzündest.
9   Gold spenden centnerweis aus des Schatzhauses Wand
Kommt nicht dem Quentchen gleich aus saurer Arbeit Hand.
10   Nach seiner Kräfte Maß mag tragen jeglicher;
Denn ein Heuschreckenfuß ist für die Ameis schwer.

 
(59.)

    1   Mach dich, o Glücklicher, den Leuten angenehm,
Daß jenes Tages Gott mit dir nicht streng es nehm. 88
2   Nicht, wenn er strauchelt, wird erliegen in der Not,
Wer den Gefallnen gern die Hand der Hülfe bot.
3   Wenn Ehr' und Ansehn dir fest steht und ohne Wank,
So übe nicht Gewalt am Armen schwach und krank;
4   Denn selbst kommt er vielleicht zu Ehr' und Ansehn hier,
Alswie der Bauer wird im Schachbrett zum Wesir.Wesir, die Königin.
5   Hör' also guten Rat: die Männer einsichtvoll,
Mit Willen pflanzen sie in keinem Herzen Groll.
6   In Schaden hat der Herr der Garben sich verstrickt,
Der mit Unfreundlichkeit auf Ährenleser blickt.
7   Er denkt wol nicht daran, daß wer den armen Mann
Reich machen, auch sein Weh dem Reichen geben kann!wer = Gott.
8   Wie manch Gewaltiger ist schwer aufs Haupt gefallen!
Wie manch Gefallnen hob des Glückes Wohlgefallen!
9   Darum zerbrich das Herz der Niedrigen du nie,
Daß du nicht eines Tags seist niedriger als sie.

 
(60.)

    1   Einst klagte seine Not ein Derwisch matt und schwach
Vor einem Geizhals, dem nicht Geld noch Gut gebrach.
2   Nicht einen Thaler gab er ihm, noch einen Deut,
Und schrie noch obendrein ihn an mit Heftigkeit.
3   Des Bettlers Herz voll Blut ob solcher Schnöde war;
Er hob das Haupt betrübt und sprach: »O wunderbar!
4   Wie kann ein Reicher so unfreundlich sein dem Leid!
Er fürchtet selbst wol nicht des Heischens Bitterkeit!«
5   Doch der Kurzsichtige befahl, die Diener sollten
Ihn werfen aus dem Haus, mißhandelt und gescholten. 89
6   Ich hörte, weil er Gott nicht Dank für Segen gab,
So wendete zuletzt von ihm das Glück sich ab.
7   Sein Hochmut neigte bald sich mit dem Kopf zur Tiefe;
Des Himmels Schreiber schrieb an einem schwarzen Briefe.
8   Das Unglück zog so nackt ihn aus wie Knobelauch;
Es blieb ihm keine Tracht, ihm blieb kein Träger auch.
9   Ihm streute das Geschick aufs Haupt der Armut Asche;
Dem Taschenspieler gleich war nichts in Hand und Tasche.
10   Er war von Kopf zu Fuß verwandelt ganz und gar;
In diesen Dingen ging vorüber manches Jahr.
11   Sein letzter Diener kam in eines Edlen Sold,
Der reich von Herz und Hand und von Gemüt war hold.
12   Wenn in betrübter Lag' er konnte sich erbarmen
Des Armen, freut' ihn das, alswie ein Schatz den Armen.
13   Vor seiner Thüre Nachts um einen Bissen bat
Einst einer, der von Last gedrückt unstät auftrat.
14   Der Mann von Einsicht gab sogleich Befehl dem Knechte,
Daß er Befriedigung dem armen Bettler brächte.
15   Wie er ihm einen Teil nun brachte von dem Schmaus,
Da stieß, wie außer sich, er einen Aufschrei aus.
16   Gebrochnen Herzens kam er zu dem Herren wieder,
Und sein Geheimnis stand im Naß der Augenlider.
17   Den Diener fragte da des edlen Herren Huld:
»Daß dir die Thräne fließt, wer hat davon die Schuld?«
18   Darauf erwidert' er: »Mein Herz ward ganz verstört
Vom Anblick dieses Manns, des Glück ist ganz zerstört.
19   Denn Sklave war ich selbst bei ihm in vor'ger Zeit,
Als er in Reichtum lebt', in Glanz und Herrlichkeit.
20   Die Hand, der jene Pracht und Macht nun ist entgangen,
Streckt er an Thüren aus, Almosen zu empfangen.«
21   Er lächelte: Mein Sohn, kein Leid ist dem geschehn;
Kein Unrecht läßt der Lauf der Welt an wem geschehn. 90
22   Ist das der Geizhals nicht, der reiche Handelsmann,
Der mit des Hauptes Stolz stieß an den Himmel an?
23   Und ich bin jener, den er trieb von seiner Thür;
An meine Stelle setzt' ihn nun das Glück dafür.
24   Der Himmel hat einmal mich angeblickt mit Licht,
Und mir des Kummers Staub gewaschen vom Gesicht.
25   Nie schloß Gott eine Thür in seiner Weisheit Rat,
Daß er in seiner Huld nicht eine andr' aufthat.
26   Wie mancher dürftige Brotlose wurde satt,
Und mancher Üppige verdarb an Laub und Blatt.

 
(61.)

    1   Von guter Menschen Art laß dir ein Beispiel sagen,
Wenn du, ein guter Mensch, dich menschlich willst betragen:
2   Wie Schebli ging und trug von Waizenhändlers Haus
Auf seinen Schultern einst den Waizenbund nach Haus;
3   Da blickt' er hin und sah, wie dort ein Ameislein
Im Äschenbüschel lief, nicht wissend aus noch ein.[Äschenbündel? vermutlich Schreibfehler für Ährenbündel, persisch ghallah.]
4   Aus Mitleid mit dem Thier konnt' er die Nacht nicht ruhn;
Er lief, um wieder es ins eigne Nest zu thun.
5   Nicht menschlich thu' ich ja, sprach er, am armen Dinge,
Wenn ich um seine Ruh im eignen Haus es bringe. –
6   Beruhige du nur das Herz Verstörter gern,
Damit Verstörung vom Geschick dir bleibe fern.
7   Wie trefflich hat gesagt Firdosi mängelfrei
(Mit dessen edlem Staub des Herrn Erbarmen sei!):
8   Setz' auf die Ameis, die ein Korn trägt, nicht die Füße!
Denn sie hat Leben, und lieb ist des Lebens Süße.
9   Zuck auf des Schwachen Haupt nicht eine Faust von Eisen;
Du kannst einst untern Fuß ihm fallen, gleich Ameisen. 91
10   Die Kerz' erbarmte nicht der arme Schmetterling:
Sieh, wie sie nun darum in Flammen selbst aufging.
11   Unmächtiger als du ist mancher, geb' ich zu;
Doch mächtiger am End' ist Einer noch als du.

 
(62.)

    1   Entgegen auf dem Weg ein junger Mann mir kam,
Dem auf dem Fuße nach ich laufen sah ein Lamm.
2   Ich sprach zu ihm: »Gewiß ist es des Strickes Macht,
Die auf dem Fuße nach das Lamm dir laufen macht.«
3   Schnell nahm da von ihm Kett' und Halsband weg der Mann,
So daß es rechts und links zu springen frei begann.
4   Doch immer lief es auf dem Weg ihm nach indessen,
Weil es gewohnt war, Gras aus seiner Hand zu fressen.
5   Als es zur Ruh nun kam von Lust und Sprung unbändig,
Blickt' er mich an und sprach: »O edler Mann verständig!
6   Es ist nicht dieser Strick, der zu mir her es bringt;
Die Wohlthat ist die Schnur, die seinen Hals umschlingt.« –
7   Der Güte wegen, die der schnaubend' Elephant
Erfuhr, wird von ihm nicht sein Wärter angerannt.
8   Begegne Bösen sanft, o Guter, unverdrossen;
Denn Wache steht der Hund, wenn er dein Brot genossen;
9   Sowie für jenen stumpf der Zahn des Panthers blieb,
Wer ihm zwei Tage lang die Zung' am Käse rieb.[Ihm die Zunge am Käse rieb, ihn mit Käse fütterte. Der Jagdleopard – und ein solcher ist hier gemeint – soll Käse sehr gerne fressen.]

 
(63.)

    1   Ein Mann sah einen Fuchs an allen Vieren lahm;
Darob ihn Gottes Güt' und Weisheit Wunder nahm, 92
2   Wie er das Leben so zu fristen sei im Stand,
Und wo er Nahrung her nehm' ohne Fuß und Hand.
3   In solche Zweifel war der fromme Mann gefallen;
Da kam ein Löw heran, 'nen Schakal in den Krallen;
4   Den armen Schakal fraß der Leu da an der Statt,
Und übrig blieb ein Teil, wovon der Fuchs ward satt.
5   Und andern Tages sich ein Anderes begab,
Daß seine Nahrung ihm der Nahrungspender gab.
6   Die Wahrheit leuchtete des Mannes Augen ein,
Er ging und setzte sein Vertraun auf Gott allein:
7   Fortan in Zellen will ich wohnen gleich Ameisen,
Weil Elephanten nicht die eigne Kraft kann speisen.
8   Ein Weilchen saß er so, das Kinn zur Brust gesenkt,
Ob durch ein Wunder ihm die Nahrung sei geschenkt.
9   Kein Freund noch Fremder nahm sich seiner an noch schaute
Nach ihm; bald war er Senn' und Bein nur, wie die Laute.
10   Als er von Schwäche schon Geduld und Sinn verlor,
Da scholl's ihm von der Wand des Hochaltars ins Ohr:
11   Geh und der Löwe sei, der reißende, du Wicht!
Weg wirf dich selber gleich dem lahmen Fuchse nicht.
12   Müh dich, daß wie der Leu du selbst was übrig lassest,
Statt daß du wie der Fuchs von Überbleibseln prassest.
13   Wem wie dem Löwen ist der Nacken wohlgenährt,
Duckt er sich wie ein Fuchs, so ist ein Hund mehr wert.
14   Brauch deine Hand, um selbst mit andern zu genießen;
Laß Abfall von der Jagd der andern dich verdrießen.
15   Erhalte möglichst dich mit deinem Arm allein;
Und dein Verdienst wird auch in deiner Wage sein.
16   Arbeite wie ein Mann, um Hülfe zu gewähren;
Ein Unmann mag sich von der Arbeit andrer nähren.
17   Geh und reich' eine Hand, wenn du bist bei Verstand,
Und ruf am Boden nicht: wer reicht mir eine Hand! 93
18   Für jenen Diener sind bereit des Herren Gnaden,
Des Leben andern ist zum Nutzen, nicht zum Schaden.
19   Wer Hirn im Haupte hat, gieß' aus der Großmut Schale;
Wem solcher Hochsinn fehlt, ist ohne Kern nur Schale;
20   Der wird in dieser Welt und jener Gutes sehn,
Von welchem Gutes ist den Lebenden geschehn. –
21   Hast du vernommen, was, als er nach Kesch aufbrach,
Der Treiber des Kamels zu seinem Sohne sprach?
22   »Teil deinen Proviant mit guten Wanderern,
Die auch den ihrigen mit anderm teilen gern.«

 
(64.)

    1   Wir hörten, daß ein Mann von engelreiner Sitte
Und Gotteswandel lebt fern in Rumili's Mitte.
2   So brachen wir, ich und ein paar Landfahrer, auf
Und nahmen grades Wegs zum Heil'gen unsern Lauf.
3   Er küßte Stirn und Aug' und Hand uns männiglich;
In Ehr' und Würde setzt' er uns und setzt' er sich.
4   Wir sahn sein Gold und Gut, Gesind und Saatgefilde;
Doch er, wie ohne Frucht ein Baum, war ohne Milde.
5   An Artigkeit erwies er sich ausnehmend warm,
Doch war sein Herd für uns gewaltig feuerarm.
6   Die ganze Nacht hindurch ließ keine Ruh zum Schlummer
Ihm Psalm und Litanei, uns keine Ruh der Hunger.
7   Frühmorgens schürzt' er sich und öffnet' uns das Thor,
Doch seine Artigkeit war wie des Tags zuvor.
8   Nun, einen Freund voll Scherz und Laune hatten wir,
Der mit uns zugebracht die Nacht in dem Quartier;
9   Der sprach: »Mit einem Kuß ersparst du dir die Kosten;
Gib einen Käse mir, den werd' ich lieber kosten. 94
10   Was küssest du den Schuh mir höflich? Fülle du
Den Mund mir, und meinthalb schlag mir ums Ohr den Schuh.« –
11   Durch Thätigkeit wird auf der Bahn der Preis ersiegt,
Nicht durch Nachtwach', indes der Geist in Schlummer liegt.
12   Denn dieses hab' ich auch wol an Tatarn gesehn,
Die mit entschlafnem Geist die Nacht durch Wache stehn.
13   Brotspend' und milde Hand steht einem Edlen wohl;
Gottseliges Geschwätz ist eine Trommel hohl.
14   Am Auferstehungstag siehst du im Paradies,
Wer die Bedeutung sucht' und Ansprüch' unterließ.
15   Denn durch Bedeutung nur kann sich der Anspruch schützen;
Doch große Worte leer an That sind schwache Stützen.

 
(65.)

    1   So hab' ich aus der Zeit von Hatem Tai gelesen,
In seiner Herde sei ein Hengst wie Sturm gewesen,
2   Ein zephyrflüchtiger, ein donnerschnaubender
Braunschimmel, ein dem Blitz den Vorsprung raubender:
3   Im Rennen ließ er Thau auf Berg und Ebne sprühn;
Du glaubtest ein Aprilgewölk vorüberziehn;
4   Der wie ein Gießbach stürzt' und das Gefild verschlang;
Der Wind, sowie der Staub blieb hinter seinem Gang.
5   Da sagten Männer einst, die sich darauf verstanden,
Die Kunde Hatem Tai's vorm Schah in Griechenlanden:
6   Daß sich kein andrer Mann mit ihm an Großmut mißt,
Und nichts gleich seinem Roß in Kampf und Rennbahn ist;
7   Das, wie ein Schiff die Flut, die Wüste furcht im Trabe,
Mit dessen Lauf den Flug nicht halten kann der Rabe.
8   Zu seinem weisen Rat der König also sprach:
»Ein Anspruch, den man nicht beweisen kann, bringt Schmach. 95
9   Ich will von Hatem Tai den Hengst arab'schen Blutes
Begehren, wenn er ist der Mann des Edelmutes.
10   Ich will erproben, ob so echt ist sein Metall;
Und weigert er's, so ist's der hohlen Trommel Schall.«
11   Und ein Gesandter klug und weise ward nach Tai
Gesendet, welchem man gab zehn Gefährten bei.
12   Es war die Jahreszeit, wo sich der Sommer wendet,
Und seiner Glut wird Flut zum Löschen nachgesendet.
13   Die Erd' erstorben war, die Wolke weint' auf sie,
Und neuen Lebenshauch der Ostwind ihr verlieh.
14   Bei Hatem kehrten ein die Gäste wohlgemut,
Alswie ein Durstiger sich labt am Sinderud.
15   Den Gasttisch breitet' er und schlachtet' auch ein Roß;
Von Gold macht' er die Hand, von Perlen voll den Schoß.
16   Sie weilten dort die Nacht, am andern Morgen dann
Hielt seinen Vortrag, wie's gebührt, der kluge Mann.
17   Doch Hatem, der sich wie verstört von Rausch empfand,
Mit des Verdrusses Zahn benagt' er sich die Hand:
18   »Warum, o trefflicher namhaftester Mobede,
Hast du nicht früher kund gethan mir diese Rede?[Mobed, Weiser.]
19   Den Sturmwindschreiter, der es that dem Duldul gleich,
Gebraten hab' ich ihn zur Mahlzeit gestern euch;[Duldul, das Maulthier des Ali.]
20   Weil von dem Regen, der in Strömen war ergangen,
Nicht war zum Weideplatz der Rosse zu gelangen,
21   Und sonst kein andrer Weg des Rates offen stand,
Weil außer ihm kein Thier bei meinem Zelt sich fand.
22   Denn Unrecht schien es mir in meiner Sinnesweise,
Daß schlafen sollt' ein Gast, des Herz nicht froh von Speise.
23   Doch meines Namens Ruhm soll laut die Welt erzählen,
Mag ein berühmtes Roß auch meiner Herde fehlen.« 96

 
(66.)

    1   Ich weiß nicht, wer mir hat dies Abenteur verkündet:
Einst eines Herrschers Thron in Jemen war gegründet,
2   Der allen Königen voran im Ruhme trat,
Weil in Freigebigkeit es gleich ihm keiner that.
3   Ihn nennen konnte man wol ein Gewölk der Milde,
Denn Silber goß er aus wie Regen im Gefilde.
4   Doch mochte man vor ihn nie Hatem's Namen bringen,
Daß er nicht Eifersucht ins Hirn sich fühlte dringen:
5   »Von diesem Windigen wozu soll all der Schwatz?
Er hat kein Königreich, kein Heer und keinen Schatz.«
6   Man sagt, er hielt einmal ein königliches Mahl,
Und als der Lauten Ton erklungen war im Saal,
7   Erscholl von Hatem auch der Name wiederum,
Und alle stimmten ein in seinen Preis und Ruhm.
8   Da riß der Neid den Sinn des Manns zur Blutgier hin,
Und einem Treuen trug er auf zu morden ihn:
9   »Denn allsolang sich mir entgegen Hatem stellt,
Gelangt meine Name nicht zu Ehren in der Welt.«
10   Der Mörder macht' alsbald sich auf zur tai'schen Flur,
Und war den edlen Mann zu töten auf der Spur.
11   Da kam ein Jüngling ihm entgegen auf den Wegen,
Von dem ihm weht' ein Duft der Freundlichkeit entgegen;
12   Schön von Gesicht, und hold von Sinn, und süß von Wort:
Der nahm ihn für die Nacht als seinen Gast mit fort,
13   Verpflegt' ihn sorgsam, bat die Mängel zu verzeihn,
Das Herz des Feindlichen nahm er durch Güte ein.
14   Früh morgens drückt' er dann ihm Küss' auf Fuß und Hand:
»O hieltest du bei uns noch ein'ge Tage Stand!«
15   Er sprach: »Ich wage nicht hier länger zu verweilen,
Weil mich ein wichtiges Geschäfte drängt zu eilen.« 97
16   Er sprach: »Dafern du es mir wolltest anvertraun,
Du solltest mich bereit zu Freundeshülfe schaun.«
17   »So leih,« sprach jener, »mir dein Ohr, o edler Mann,
Ich weiß, daß auf Verrat niemals ein Edler sann.
18   Es ist in diesem Land dir Hatem wol bekannt,
Vom Ruhm erlauchten Sinns und tugendreich genannt.
19   Desselben Kopf verlangt der Padischah von Jemen;
Ich weiß nicht, was er ihm so sehr mag übel nehmen.
20   Wenn du mir nun den Weg willst zeigen ihn zu finden,
Durch diese Güte wirst du freundlich mich verbinden.«
21   Der Jüngling lächelte: »Du siehest Hatem hier;
Da ist mein Kopf, nimm ihn mit deinem Schwerte mir,
22   Schnell, eh des Morgens Glanz die Dämmerung erheitert,
Und dich ein Unfall trifft, und deine Hoffnung scheitert!«
23   Wie Hatem seinen Kopf darbot in Edelmut,
Geriet in lauten Sturm des jungen Mannes Blut.
24   Er warf sich in den Staub, dann sprang er auf und stand;
Bald küßt' er ihm den Staub, bald wieder Fuß und Hand.
25   Von sich warf er sein Schwert, ablegt' er sein Gerüste,
Und legte flehendlich die Hände vor die Brüste:
26   »Nicht mit 'nem Rosenblatt verwund' ich deinen Leib;
Sonst heiß' ich nicht ein Mann bei Männern, sondern Weib!«
27   Die Augen küßt' er ihm, und drückt' ihn an sein Herz,
Und auf den Weg macht' er von da sich jemenwärts.
28   Der König sah's ihm an in Mitte seiner Brauen:
Daß nichts der Mann gethan, war deutlich da zu schauen.
29   Er sprach zu ihm: »Wol her! Was bringest du für Kunden?
Warum ist nicht der Kopf am Sattelriem gebunden?
30   Hat ein namhafter Held dich etwan angerannt,
Und warest du zu schwach zu seinem Widerstand?«
31   Der junge Raufebold, dem Boden gab er Kuß,
Dem König sprach er Preis, und bracht' ihm Ehrengruß; 98
32   Er sprach: »Den Hatem fand ich wol, des Ruhmes Licht,
Tugendlich, wohlgestalt, und schön von Angesicht;
33   Voll hohen Sinns und Hochgemüte fand ich ihn,
Selbst über seinen Ruhm an Güte fand ich ihn.
34   Er hat mit Last der Huld mir krumm gemacht den Rücken,
Und mit der Milde Schwert mein Fell gehaun zu Stücken.«
35   Darauf erzählt' er, was ihm dort begegnet sei;
Da rief der Schahinschah Lobpreis dem Stamme Tai.
36   'nen Beutel gab er ihm von Silber schwer, gesiegelt:
Mit Hatem's Namen wird Großmütigkeit besiegelt.
37   Ihm kommt es zu, wenn man der Zeugen Chor vernimmt,
Daß seine Würdigkeit mit seinem Rufe stimmt.

 
(67.)

    1   Ich hörte, daß in Tai zu des Propheten Tagen
Dem Glaubensbriefe ward die Aufnahm' abgeschlagen.
2   Er sandt' ein Heer und ließ einladen und bedrohn;
Gefangen führte man bald eine Schar davon.
3   Hingeben hieß er sie dem Racheschwert zum Raube,
Denn scheulos waren sie, und treulos war ihr Glaube.
4   Da sprach ein Weib: »Ich bin das Kind von Hatem Tai;
Vom Volksgebieter hier geht und begehrt mich frei!
5   Erzeige Großmut mir, o hochansehnlicher,
Denn von Großmütigen leit' ich den Ursprung her.«
6   Der Gottgesandte gab Befehl mit Wohlverstand,
Daß sie ihr löseten die Kett' an Fuß und Hand.
7   Die andre Menge ward dem Schwerte zugewiesen,
Um schonungslos den Strom des Blutes zu vergießen.
8   Doch den Scharfrichter rief sie an mit scharfer Klage:
»Mich gleich den übrigen mit Schwertesschärfen schlage. 99
9   Unedel mir erscheint Befreiung aus den Spangen
Allein, indes die Freund' im Netze sind gefangen.«
10   So sprach und weinte sie um das Geschick von Tai,
Zu des Propheten Ohr gelangt' ihr Klageschrei.
11   Durch seine Gnade ward auch jene Schar verschont;
Denn Adel des Geschlechts ließ er nie unbelohnt.

 
(68.)

    1   Aus Hatem's Vorratshaus begehrt' ein alter Mann
Soviel man Zucker für zehn Dirhem haben kann.
2   Doch der, von dem ich's hört' erzählen, setzt hinzu:
Von Zucker sendet' er ihm eine Saumlast zu.
3   Sein Weib rief aus dem Zelt: »Was ist das für ein Rat,
Da für zehn Dirhem nur der Alte nötig hat?«
4   Als der es hörte, der Tai's Namen aufrecht hält,
Da lächelt' er und sprach: »O Freudenlicht im Zelt!
5   Wenn er gefordert hat nach seiner Notdurft Maß,
Nicht für den Edelmut von Hatem's Haus gilt das.« –
6   Kein andrer, der in Huld und Adel hoch den Hals
Wie Hatem trüge, kam seitdem zur Welt mehr, als
7   Saad Abubeker, der die Finger des Gewährs
Mit Großmut leget an die Lippen des Begehrs.
8   O Unterthanenhort, dein Herz sei lustbethaut,
Durch dein Bemühn das Land des Islams angebaut.
9   Durch dein gerecht Gericht erhebt der Ehrendom
Von diesem Reiche sich ob Griechenland und Rom;
10   Wie Hatem einst – gesetzt daß nicht sein Name sei,
So nennte niemand auf der Welt den Namen Tai.
11   Ihm blieb in Büchern Preis und Lob in lautem Ton,
Dir aber bleibt so Preis und Lob wie Gotteslohn. 100
12   Denn Hatem suchte Lob und Ruhm auf solchen Wegen,
Du aber übest Müh und Fleiß von Gottes wegen.
13   Aufwand der Rede ziemt dem armen Derwisch nicht,
Darum er nur ein Wort zu Rat und mehr nicht spricht:
14   Soweit die Kraft reicht, wirk' im Guten fort und fort!
Von dir bleibt gutes Werk, von Saadi gutes Wort.

 
(69.)

    1   Im Kote stecken blieb der Esel einem Mann,
Darob vor Ärger ihm des Herzens Blut gerann.
2   Ringsum die Wüste, Kält' und Regengusses Mengen,
Ihr Schleppkleid auf die Welt die Finsternis ließ hängen.
3   Er blieb in dieser Qual die Nacht durch bis zum Tage,
Verwünschung, Lästrung, Fluch mischt' er mit seiner Klage.
4   Nicht blieb da Freund noch Feind von seiner Zunge frei,
Noch auch der Sultan, dem gehört' die Wüstenei.
5   Der Zufall wollte, daß der Herr der Wüstenei
In solcher üblen Lag' an jenem kam vorbei.
6   Er hörte, wie der Mann unnütze Reden führte,
Nicht Rede stand und nicht gab Antwort, wie's gebührte.
7   Der Fürst sah Haupt um Haupt auf seine Diener alle:
Woher kommt gegen mich dem Manne solche Galle?
8   Und einer sprach: »O Schah, mit deinem Schwert ihn hau!
Denn keinem schonet er die Tochter noch die Frau.«
9   Da blickte hin der Herr von hohem Machtgebote:
Der arme selbst in Not, sein Esel in dem Kote.
10   Des Mannes schlimme Lag' erwog er großmutvoll
Und schluckte nieder um ein barsches Wort den Groll.
11   Er gab ihm Geld und Roß, dazu ein Pelzgewand;
Wie schön ist Güte, wann die Seele Zorn empfand! 101
12   Zum Mann sprach einer da: »Ei, unvernünft'ger Greise,
Ein Wunder, daß du lebst!« Doch jener sprach: »Nur leise!
13   Wenn Klagen ich geführt nach meiner Ungeduld,
Begnadiget er mich dafür nach seiner Huld.«
14   Fürs Böse Böses heimzugeben ist gar leicht;
Bist du ein Mann, gib Guts dem, der dir Böses reicht.

 
(70.)

    1   Ich hörte, daß ein Mann, den Hochmutsrausch umfloß,
Einst einem Bittenden des Hauses Thür verschloß.
2   Der arme ging, daß er betrübt im Winkel sitze,
Und kalten Odem haucht' er aus der Brust voll Hitze.
3   Ihn hört' ein Mann, dem war das Augenlicht verhüllt,
Und fragt' ihn, was ihn so mit Groll und Zorn erfüllt.
4   Da sprach er vor sich hin, indem zum Staub der Gasse
Er niederweinte, was er litt von jenes Hasse.
5   Der Blinde sprach: »Gut Freund, wirf ab des Kummers Lasten,
Und brich für diese Nacht in meinem Haus die Fasten.«
6   Mit Artigkeit und List erwischt' er ihn beim Kragen,
Zog ihn fort in sein Haus und ließ den Tisch auftragen.
7   Der Derwisch ruhte da mit frohem Angesicht,
Und sprach: »Es schenke dir der Herr sein Freudenlicht!«
8   Der Blinde fühlte Nachts sein Aug' ein wenig thauen,
Am Morgen that sich's auf und ließ die Welt ihn schauen.
9   Darauf die Sage mit Geräusch die Stadt durchrann:
Ein Blinder gestern hat die Augen aufgethan.
10   Das hörte jener Mann mit liebeleerem Herzen,Besagt nichts anderes als: Der Weltgutgierige erlangt nicht höhere Güter.
Von dem der Derwisch jüngst wegging mit schwerem Herzen.
11   Er ging zu jenem hin: »O Glücklicher, sag an,
Wie ward so leicht an dir das Schwierige gethan? 102
12   Wer hat dir aufgesteckt die Welterleuchtungskerze?«
Er sprach: »O Frevler, dem das Tagslicht wird zur Schwärze!
13   Kurzsichtig warest du genug und unbesonnen,
Eulen zu fahn, indes der Königsaar entronnen.
14   Derselbige hat mir der Augen Thor erschlossen,
Vor welchem du das Thor des Hauses hast verschlossen.
15   Wenn Gotterleuchteten du nahest und die Stelle
Der Füße küssest, wird, bei Gott! dir eine Helle.
16   Doch solche, welche blind sind an des Geistes Auge,
Die wissen, scheint es, nicht, wozu die Salbe tauge.«
17   Als der Verblendete das Scheltewort vernahm,
Begann die Finger ihm zu nagen Reu und Scham:
18   »So ward mein Federspiel die Beute deiner Schling',
Auf deinen Namen fiel das Loos, das mir entging.« –
19   Den Edelfalken wird nicht locken in sein Haus,
Wer den Begierdezahn einhauet wie die Maus.

 
(71.)

    1   Auf, wenn du für dein Herz den Herzensmann willst finden,
Kein Weilchen darfst du dich der Dienstbarkeit entbinden.
2   Streu' Futter hin für Spatz, Waldtaub' und wildes Huhn,
So wird sich einst bei dir ein Königsaar einthun.
3   Wenn du der Wünsche Pfeil' auf jede Seit' ergießest,
Ist Hoffnung, daß ein Wild du unversehens schießest.
4   Wol Eine Perle kommt aus Muscheln also viel,
Und unter hunderten kommt Ein Geschoß ans Ziel.

 
(72.)

    1   Sein Kind kam einem Mann abhanden auf der Reise,
Da kreist' er Nachts umher im Karawanenkreise. 103
2   Er fragt' an jedem Zelt und lief in jeder Richte,
Bis in der Finsternis er kam zu seinem Lichte.
3   Und als er wiederum war bei der Karawan,
Ich hörte, daß er sprach also zum Sarawan:[Sarawan, Aufseher über die Kamele einer Karawane.]
4   »Weißt du, wie ich mein Lieb fand in der Finsternis?
Wer mir begegnen mocht', ich dacht: Er ist's gewiß.« –
5   Drum gehn Herzinnige nach Menschen allerwärts,
Daß ihnen in den Weg einst komm' ein Mannesherz.
6   Sie halten für Ein Herz viel Mühe für Gewinn,
Und nehmen manchen Dorn für Eine Rose hin.

 
(73.)

    1   Aus eines Königsohns Kopfbund war ein Saphir
Ins Steingerölle Nachts gerollet im Quartier.
2   Sein Vater sprach zu ihm: Im Finstern ohne Schein,
Wie unterscheidest du den Edelstein vom Stein?
3   Darum bewahre du jedweden Stein, o Sohn,
Daß dir darunter nicht geh der Saphir davon.
4   Unter Gemeinen wol des Edlen Glanz erlischt,
So wie die Finsternis Stein und Saphir vermischt.
5   Ertrage wohlgemut die Last vom Thorenschwalle,
Damit ein Mann von Herz einst in die Hand dir falle.
6   Der eines Freundes Lieb' in vollem Herzen trägt,
O siehst du nicht, wie er die Feinde gern erträgt?
7   Er läßt in Dornes Hand wie Rosen sein Gewand,
Daß aus dem Herzblut ihm blüh' auf Granatenbrand.
8   Um eines Einz'gen Lieb' erzeige Liebes allen,
Und schmeichle hunderten, um Einem zu gefallen.
9   Da die Hochsinnigen und Edlen reingeboren
An allen Orten nur sind untermengt den Thoren; 104
10   Darum, wenn von den staubgetretnen hauptbeklommen
Dir irgend einer ist verächtlich vorgekommen,
11   O blick auf solche wohlgefällig nicht herab,
Weil oftmals ihnen Gott sein Wohlgefallen gab.
12   Wer deiner Meinung nach gering und schadhaft ist,
Was weißt du, ob er selbst nicht Erb' der Herrschaft ist?
13   Wie manchem stehen weit Erkenntnisthüren offen,
Der rings bei jedem Haus verschloßne Thür getroffen.
14   Und manche, denen eng das Leben und der Gaum
War bitter, ziehen stolz lustwandelnd nach den Saum.
15   Du wirst, wenn du Verstand und Urteil hast, die Hand
Küssen dem Königssohn in enger Kerkerwand;
16   Denn eines Tags wird aufs der Haft hervor er gehn,
Und wie erhöht er ist, so wird er dich erhöhn.
17   Verbrenne nicht im Herbst den welken Rosenbaum,
Durch den neu prangen wird im Lenz dein Gartenraum.

 
(74.)

    1   Ein Mann der hatte nicht den Mut was auszugeben,
Er hatte Gold, doch wagt' er nicht davon zu leben.
2   Er selbst verzehrt' es nicht, um froh hier zu ersatten,
Noch spendet' er's, daß ihm es käme dort zu Statten.
3   Sein Gold und Silber hielt ihn Tag und Nacht im Band,
Wie es gebunden selbst war in des Filzes Hand.
4   Einst auf der Lauer stand der Sohn und nahm da wahr,
Wohin vom Geizigen sein Gold vergraben war.
5   Er nahm es aus der Erd' und schlug es in die Luft,
Selbst legt' er einen Stein statt dessen in die Gruft.
6   Beim jungen Manne hielt das Gold nicht lange Stand;
Was in die eine kam, verthat die andre Hand. 105
7   In seinem Leichtsinn kam soweit der Schrankenlose:
Sein Turban auf dem Markt, im Pfandhaus seine Hose.
8   Laut schrie der Greis und war von lauter Kummer krank,
Der Sohn bei Lautenspiel vergnügt und Lautertrank.
9   Die Nachtruh hatte nicht vor lauter Weh und Ach
Der Vater, und der Sohn am Morgen lacht' und sprach:
10   »Das Gold, o Vater, ist dazu, daß man's genieße,
Und eins ist's, ob man Gold, ob einen Stein verschließe.« –
11   Das Gold muß aus dem Schacht dazu sich lassen heben,
Damit man möge froh mit werten Freunden leben;
12   Doch Gold in geiz'ger Hand, die es zum Mammon macht,
O Bruder, das ist noch wie erst es war im Schacht.
13   Hältst du schlecht deine Leut' in deinen Lebenstagen,
Hast du, wenn deinen Tod sie wünschen, nicht zu klagen.
14   Denn dann erst essen satt bei dir sich die Gesellen,
Wenn du vom Söller bist gefallen funfzig Ellen.
15   Ein reicher Geizhals ist mit Gold und Silberstücken
Ein Talisman, der liegt und läßt den Schatz nicht rücken.
16   Nach soviel Jahren kommt sein Gold zum Vorschein dann,
Wenn man ihm selbst aufs Herz gelegt den Talisman.
17   Ein Steinwurf des Geschicks traf ihn, da war nicht Heilung,
Und wohlgemut geht man an seines Schatzes Teilung.
18   Darum, nachdem du hast gespeichert wie Ameisen,
So speise selbst, eh dich des Grabes Würmer speisen.
19   Die Rede Saadi's ist Gleichnis und guter Rat;
Zu Statten kommt sie dir, gibst du ihr gute Statt.
20   Unratsam ist es, von der Seit' hinweg zu sehn,
Auf welcher ist allein des Heiles Weg zu sehn.

 
(75.)

    1   Mit einem Dirhem hatt' ein gutes Werk vollbracht
Ein Jüngling, glücklich hatt' er einen Greis gemacht. 106
2   Der Himmel unversehns straft' ihn um ein Vergehn,
Und auf den Richteplatz ließ ihn der Sultan gehn.
3   Die Türkenwache ritt, das Volk lärmt' auf der Straße,
Zuschauer drängten sich auf Söller und Terrasse.
4   Der alte Bettelmann, wie er bei dem Gedränge
Den Jüngling also sah in der Gewalt der Menge,
5   Brach ihm das Herz um ihn, den armen mild und gütig,
Der ihm einmal das Herz verbunden edelmütig.
6   Er hob ein Wehgeschrei: »der Sultan ist gestorben!
Geblieben ist die Welt, doch ihre Lust verdorben.«
7   Und seine Hände schlug der jammernde zusammen;
Die Türken hörten es, gezückt der Schwerter Flammen.
8   Da ward von ihnen ein Getümmel hulter pulter,
Sie schlugen heulend sich auf Antlitz, Kopf und Schulter.
9   Und über Hals und Kopf den Weg zum Schloß hinan
Sie rannten, wo den Schah auf seinem Thron sie sahn.
10   Der Jüngling hatt' indes sich aus dem Staub gemacht,
Der Greis in Fesseln ward zum Thron des Schah's gebracht.
11   Der fragte furchtbar ihn und zeigte strenge Mienen:
»Weswegen ist mein Tod dir wünschenswert erschienen?
12   Da mein Gebot gerecht und freundlich ist mein Sinn,
Weswegen wünschest du des Volkes Ungewinn?«
13   Darauf eröffnete der mut'ge Greis den Mund:
»O du, dem dienstbar sei mit Lust das Erdenrund!
14   Vom falschen Ruf »tot ist der Sultan« starbst du nicht,
Das Leben aber trug davon ein armer Wicht.«
15   Der Sultan war so sehr erstaunt von dem Bericht,
Daß er dem Mann was schenkt' und fragt' ihn weiter nicht.
16   Von andrer Seite war mit atemlosem Schnaufen
Stets zwischen Fall und Sprung der Jüngling fortgelaufen.
17   Da fragt' ihn einer: »Was hast Großes du gethan,
Daß Lebensrettung auf dem Richtplatz du empfahn?« 107
18   Dem sagt' er leis' ins Ohr: »O Mann von klugem Sinn,
Um einen Dirhem ward ein Leben mein Gewinn.« –
19   Deswegen legt ein Mann ein Körnlein in die Erde,
Daß es zur Zeit der Not ihm Früchte bringen werde.
20   Ein kleines Körnchen wehrt ein großes Unheil ab;
Du hörtest: einen Og erschlug einmal ein Stab.
21   Und vom Propheten sagt der Überliefrung Wort:
Wohlthat und Gutesthun weist alles Unglück fort.

 
(76.)

    1   Der Anferstehung Feld erblickt' ein Mann im Traum,
Der Erden Antlitz war geschmolznen Erzes Schaum.
2   Der Menschen Angstgeschrei stieg zu des Himmels Stirn,
Und in den Schädeln sott von Fieberglut das Hirn.
3   Da sah er einen dort im Schatten einer Wiese,
Um dessen Nacken war ein Schmuck vom Paradiese;
4   Und fragt' ihn: »O du Zier in der Gesellschaft dort,
In dieser Herberg hier, o sprich, was war dein Hort?«
5   »Ein Weinstock«, sprach er, »wuchs an meines Hauses Thor,
Den einst ein guter Mann zur Schlafstatt sich erkor.
6   In dieser Zeit der Angst ist für mich aufgetreten
Der Fromme, meine Schuld hat er von Gott erbeten:
7   Herr, winke diesem Knecht nun ein Erbarmen zu,
Weil mir zu Teile ward von ihm einst eine Ruh.« –
8   Wie rief ich aus, als ich dies Gottgeheimnis las:
Ein Gruß des Heils vom Herrn dem Herrscher von Schiras!
9   Die Volksgemeinde ruht in seiner Größe Schatten,
Und sitzt um seinen Tisch der Mild', um zu ersatten.
10   Er ist ein Gartenbaum an edlen Früchten reich;
O Brennholz vom Gebirg, ihm stelle dich nicht gleich! 108
11   Dem wilden Waldbaum wird vom Stamm die Glieder haun
Die Axt; wer aber darf den Fruchtbaum niederhaun?
12   Hab lange festen Fuß, du aller Tugend Baum,
Denn reich ist deine Frucht und weit dein Schattenraum.

 
(77.)

    1   Viel haben wir vom Baum der Milde nun gesprochen;
Doch nicht für jeden sei davon die Frucht gebrochen.
2   Verschone weder Gut noch Blut am Menschenpresser;
Dem bösen Vogel ist gestutzt die Schwinge besser.
3   Wer gegen deinen Freund nur wird feindselig sein,
Wie magst du in die Hand ihm geben Stock und Stein?
4   Die Wurzel reiß' nur aus, die Dorngezüchte trägt,
Und pfleg' dafür den Baum, der gute Früchte trägt.
5   Demselbigen allein verleih' den Rang der Großen,
Der nicht mit schwerem Kopf die Kleinen pflegt zu stoßen.
6   Und schone nirgend, wo ein Frevler sich verhält;
Denn Gnade gegen ihn ist Unrecht an der Welt.
7   Dem Weltanzünder bläst man besser aus das Licht;
Ehr einer in das Feu'r, und alle brandwund nicht!
8   Wen die Barmherzigkeit den Dieb zu strafen hindert,
Der hat mit eignem Arm die Karawan geplündert.
9   Den Übelthätern schlag ihr Leben in den Wind;
Gewalt Gewaltthätern! das ist recht und gelind.

 
(78.)

    1   In Sorgen war ein Mann einst um sein Wohngemach,
Als sich ein Wespenschwarm sein Nest gemacht am Dach. 109
2   Da sprach sein Weib: »Was thun sie dir? treib sie nicht aus;
Sie würden arm und irr verlieren Hof und Haus.«
3   Drauf ging der kluge Mann seinen Geschäften nach;
Bis eines Tags das Weib ein scharfer Stachel stach.
4   Das unvernünft'ge Weib erhob auf dem Altan,
Am Thor und auf der Gass' ein Schrei'n; da sprach der Mann:
5   »Mach nun den Leuten, Weib, kein finsteres Gesicht!
Du hast gesagt: vertreib die armen Wespen nicht!« –
6   Wenn du mit Bösen gut es nur willst immer machen,
So wird die Nachsicht nur die Bösen schlimmer machen.
7   Wenn du in einem Kopf das Unheil siehst von vielen,
Magst du mit scharfem Schwert nach seiner Kehle zielen.
8   Das Rohr der Lanze, das du schwingen kannst im Chore
Des Kampfes, ist mehr wert als tausend Zuckerrohre.
9   Des Dorfes Ältester riet nicht zu deinem Schaden:
Den Gaul, der ausschlägt, mußt du schwerer nur beladen.
10   Wer ist denn auch der Hund, daß man den Tisch ihm decke?
Heiß einen Knochen nur ihm werfen in die Ecke.
11   Wenn du die Katze pflegst, wird sie die Taube beißen;
Und mästest du den Wolf, wird er dein Kind zerreißen.
12   Wenn einen guten Mann nur der Nachtwächter macht,
Traut Niemand sich vorm Dieb zu schlafen in der Nacht.
13   Nicht wert des Schillings ist ein jeglicher Geselle;
Wenn der den Schilling braucht, braucht jener eine Schelle.
14   Den Bau, an dem nicht fest die Grundlag' ist, erhebe
Nicht hoch; und willst du doch es thun, so thu's und bebe!

 
(79.)

    1   Wie schön sprach Behram einst, als er im Felde saß,
Wo ihn der Hengst Jekran geworfen ab ins Gras: 110
2   »Man soll ein ander Roß mir aus der Herde zäumen,
Das man auch bänd'gen kann, wenn's ihm einfällt zu bäumen.« –
3   Den Tigris überbrück', o Sohn, wo er ist seicht;
Denn wo geschwollen ist der Strom, ist es nicht leicht.
4   Wenn dir der böse Wolf gekommen in die Falle,
So töt' ihn, oder gib die Schaf' auf in dem Stalle.
5   Verbeugung zum Gebet wird von des Teufels Knie
Nie kommen, und vom Schelm im Leben Gutes nie.
6   Gib Acht, daß unbehut kein Feind dich überrasche;
Der Feind ist gut im Brunn, der Kobold in der Flasche.[Der Kobold in der Flasche; Anspielung auf die bekannte Geschichte in der 1001 Nacht.]
7   Sag nicht, die Schlange will ich mit dem Stock schon töten!
Hast du den Stein zur Hand, was ist ein Stock von Nöten?
8   Dem Schreiber, der den Kiel, das Volk zu zwacken, nutzt,
Frommt's, wenn das Schwert die Hand gleich einem Kiel ihm stutzt.
9   Der Ohrenbläser, der dein Herz zu bösen Dingen
Anfeuert, will gewiß dich selbst ins Feuer bringen.
10   Sag nicht: zur Herrschaft taugt mir solch ein Rat wie der!
Nenn' ihn nicht einen Rat, nur ein Unrat ist er.
11   Wo Saadi's Rat man hört, da sprießt des Heiles Saat;
Denn eines Reichs Gedeihn ist Einsicht nur und Rat.
——
12   Der edelmüt'ge Mann ist in sich selbst vollkommen;
Ob Gold und Silber fehlt, es ist ihm nichts benommen.Dieser Abschnitt kehrt unten als Nr. 176 wieder.
13   Undenkbar aber ist's, ob er ein Karun werde,
Daß seine Niedrigkeit ein Niedrer abthun werde.ein Karun = ein Krösus.
14   Doch der Freigebige, fehl' auch das Brot ihm gleich,
In seinem Kern ist er nichtsdestominder reich.
15   Bist du ein Edelstein von Wert, hab' keine Wehn!
Die Zeit wird niemals dich verloren lassen gehn. 111
16   Ja, wenn ein Silberspan fällt aus der Schere Zahn,
So zündet man, um ihn zu suchen, Lichter an.Die Bedeutung ist unzweifelhaft. Nicht blos große Verdienste gehen nicht verloren, auch nicht das kleinste.
17   Man holt den glänzenden Krystall aus Stein hervor.
Was will ein Spiegel, der im Rost den Glanz verlor?
18   Tugend und Adel hab' und Glück und eignen Wert;
Denn Gut und Ansehn ist, was wechselnd kommt und fährt.Glück = göttliche Gnade.

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