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Der Bekenntnisse zweites Stück.

Gilles von Retz hat einmal einen wundervollen Ausspruch getan: »Ich bin,« sagte er zu dem Italiener Francesco Prälati, den er selber zu seinem Hausbischof ernannt hatte, »ich bin unter einem derartigen Stern geboren, daß ich Dinge getan habe, die nie ein Mensch vermocht hat, noch je vermögen wird.« Und ich darf Euch gestehen, schöne Freundin, daß es Augenblicke in meinem Leben gab, wo ich kaum zweifelte, dieses Wort eines Tages auf mich selber anwenden zu können.

Zunächst und während unseres Aufenthaltes zu Machecoul und auf Schloß Tiffauges vergaß ich über dem Interesse an dem Ahnherrn des Geschlechts nicht die Präokkupation für die späteren Nachkommen dieses selben Geschlechts und traf im geheimen alle Anstalten, da ich keinen andern Ausweg sah, meine schöne und reiche Base nach Holland zu entführen. Das war von Machecoul, als welches nur eine halbe Meile vom Meer und dem kleinen Hafen von Beauvoir entfernt liegt, leicht auszuführen.

Nur eine Kleinigkeit fehlte mir noch dazu: das nötige Geld. Mir solches zu verschaffen, mußte meine nächste Sorge sein. In dieser Absicht gab ich meinem Vater zu erkennen, daß ich die Einkünfte meiner Abteien ergiebiger zu gestalten gedachte, indem ich sie verpachtete. Mein Vater willigte nicht gerade gern in den Vorschlag ein, aber es freute ihn doch, mich persönlich um meine kirchlichen Benefizien besorgt zu sehen, da er daraus folgerte, daß ich mir dieselben zu erhalten wünschte und mich also ein für allemal mit meiner kirchlichen Laufbahn abgefunden hätte.

Ich begab mich dann nach Nantes, wo ich einen Kaufmann namens Jucatières aufsuchte, mit dem ich zunächst wegen der Abtei Bussy verhandelte. Dieser Halunke machte sich meine Lage zunutze und zahlte mir eine Abfindungssumme von viertausend Talern bar. Der Handel machte ihn zu einem reichen Manne. Ich aber kehrte nach Machecoul zurück mit einem Gefühl, als ob ich vier Millionen in der Tasche hätte. Ich versicherte mich eines holländischen Proviantschiffes, deren immer einige in dem Hafen von Retz-Beauvoir anzutreffen waren, und setzte alles zu unserer Flucht in Bereitschaft. Aber wie wir dergestalt sozusagen auf dem Sprung standen, überraschte mich mein Vater plötzlich mit einer Mitteilung, die meine so sein angesponnenen Fäden mit einem Ruck zerriß.

Die Staffette vom Abend, sagte er mir, habe ihm wichtige Depeschen gebracht, er sehe sich infolgedessen gezwungen, unverzüglich nach Paris zurückzukehren und rechne darauf, daß ich die Güte haben werde, ihn zu begleiten. Wir verabschiedeten uns kurz von den Damen und stiegen zu Pferd. Meine ohnmächtige heimliche Wut gegen dies Mißgeschick war nicht zu beschreiben.

Lange blieb ich ohne jeden Verdacht und glaubte harmlos an die Tücke des Zufalls. Als sich aber zu Tours mein Vater der Kassette bemächtigte, die mein Geld enthielt, um mir jede Möglichkeit zur Flucht zu entziehen – bereits zu Orleans hatte er meine dahingehende Absicht zu vereiteln gewußt – da blieb mir kein Zweifel mehr, daß ich durchschaut und die Reise nach Paris nur ein Vorwand sei.

Aus einem heimlichen Brief meines verliebten Bäschens erfuhr ich, wie alles zusammenhing.

Das Fräulein von Retz, denn so nannte sich meine Base seit der Verheiratung ihrer älteren Schwester, hatte unaussprechlich schöne Augen, die aber noch einen ganz besonderen Zauber gewannen, wenn sie mich mit einem gewissen schmachtenden Ausdruck ansah, den sie sich allerdings erst in meiner Lehre erworben hatte. Nun war's am Abend vor unserer geplanten Flucht, daß sie mir, während sie sich einen Moment unbeachtet glaubte, durch den Spiegel einen solchen verräterischen Blick zuwarf. Sie wurde darüber ertappt. Graf Palluau, der spätere Marschall von Clérambault, höchlichst betroffen von diesem schmachtenden Lideraufschlag zweier tränenfeuchten Augen, vermutete nicht mit Unrecht in mir den Urheber eines solchen Phänomens und hatte nichts eiligeres zu tun, als die gestrenge Frau Mama von dem Vorfall in Kenntnis zu setzen. Ein geheimer Familienrat folgte dieser Entdeckung, und am andern Morgen geschah was ich erzählt habe.

In einem Zustand verzweiflungsvoller Wut kam ich mit meinem Vater in Paris an. Doch gab ich meine Sache keineswegs für verloren. Nach reiflicher Überlegung entdeckte ich mich dem Grafen Equilly, einem leiblichen Vetter mütterlicherseits. Er war zwanzig Jahre älter als ich und galt für den rechtschaffensten Mann seines Jahrhunderts. Dieser respektable Verwandte billigte meine Absichten in jeder Weise, nicht nur, weil das Unternehmen mir selber ungeheure Vorteile versprach, sondern noch mehr im Interesse der Familie, die er durch eine derartige zwiefache Allianz erst endgültig in ihrem Bestand für gesichert hielt. Und wie heute die Sachen stehen, so daß nun nach meinem Tode unser alter Name in eine fremde Familie übergehen wird, ist der Beweis geliefert, wie sehr der Mann recht hatte. Equilly sagte mir darum jede Unterstützung zu, die nur in seinen Kräften stünde. Er lieh mir zwölfhundert Taler, mehr vermochte er im Augenblick nicht, und dreitausend Taler verschaffte er mir durch den Präsidenten Barillon.

Vor allem aber berief er den Piloten seiner eigenen Galeere zu La Rochelle nach Retz-Beauvoir und stellte ihn zu meiner Verfügung. Er schilderte mir den Mann als ebenso besonnen wie kühn.

Außer dem Grafen Equilly und einer andern nahen Verwandten, der Gräfin von Séeaux, späteren Herzogin von Lesdiguières, hatte ich mich niemand geoffenbart als der jungen Fürstin Anna von Rohan-Guemené, der ich eine aufrichtige Teilnahme an meinem Geschick zutrauen durfte. Auch hätte meine Seele, als ich mich eines Tages verraten und den sorgfältig vorbereiteten Plan meinem Vater entdeckt sah, gegen diese Fürstin zu allerletzt einen Verdacht geschöpft.

Sie war es dennoch, die alles vereitelt hat. Einige Jahre später, zu einem Zeitpunkt, wo sie allerdings einigen Grund hatte, an eine unbegrenzte und unerschütterliche Liebe auf meiner Seite zu glauben, hat sie mir in einem unbedachten Augenblick alles gestanden; gestanden, wie ich schon früher ihre heimliche Liebe war, wie sie aus Eifersucht den Kopf verloren, doch auch nicht ganz nur aus Eigennutz gehandelt habe, da es immer ihre Überzeugung gewesen, daß ich einzig und allein in der Kirche den nötigen Raum zur Entfaltung meiner Größe finden und meine hohe Bestimmung erfüllen könne.

So schien es in den Sternen geschrieben, daß meine Base von Retz und erste ernstliche Geliebte nicht meine Frau werden, und ich ein Soutanenträger bleiben sollte mein Leben lang. Sie hat bald darauf meinen ergebensten Freund, den Herzog von Brissac, geheiratet.

Und viel später hat sie mir, der ihr wahrlich keinen Grund zur Rache gegeben, einen Streich gespielt, den ich vielleicht eines Tages, wenn mich die Laune treibt, erzählen werde.

Die Fürstin Rohan aber hätte besser daran getan, ihr Geheimnis für ewig in ihrem Busen zu verschließen. Denn damals erfuhr ich, was im Grund die Liebe sei: nichts anderes, von dem leiblich-physischen Bedürfnis abgesehen, als ein ungeheurer Sophismus des Herzens.

Doch zürnte ich der schönen Fürstin wegen ihres zynischen Geständnisses nicht, sondern setzte meinen Stolz darein, ihre Unbedachtsamkeit durch verdoppelte Dienstbereitschaft zu erwidern. Zwar wußte ich sogar zu allem Überfluß, daß ich den früheren Geliebten der Fürstin, den jungen Herzog von Montmorency, nur darum aus ihrem Herzen zu verdrängen berufen war, weil dieser Haudegen immer fern von Paris im Felde lag und sich eben jetzt als Bundesgenosse des ewig mißvergnügten Gaston von Orleans in einen offenen Krieg gegen Richelieu verwickelt sah, der ihn in der Languedoc zurückhielt und später mit seiner Gefangenschaft und schimpflichen Enthauptung endete.

Denn die sozusagen ritterlich-romantische Seite der Liebe war nicht meine Sache. Ich habe nie von dem schwachen Geschlecht mehr verlangt als ich mir selber zutraute, und habe die überspannte Forderung der Ausschließlichkeit in der Liebe niemals als etwas anderes betrachtet als einen lächerlichen Selbstbetrug der männlichen Eitelkeit. Aber der Dame, die mir hold war, mit allem, was in meinen Kräften stand, zu dienen, auch wenn der Dienst Schaden und Gefahr brachte, das habe ich allezeit als eine Pflicht und hohe Ehrensache eines Edelmanns, der diesen Namen verdient, betrachtet, und nie in meinem Leben bin ich davon abgewichen. Immer habe ich die Interessen meiner Geliebten zu den meinigen gemacht. Gegenüber der Fürstin von Guemené ging ich hierin bis zum Äußersten.

Oh, sie war schön in ihrer Jugend. Ihr, beste Freundin, kennt sie nur als die allzu beleibte Matrone mit den verächtlich herabgezogenen Mundwinkeln und den grauen Bartbüscheln in der Nachbarschaft. In ihren Zwanzigern stand ihr der seidenartig flaumige Anflug über der aufgeworfenen Lippe reizend zu Gesicht und gab ihrer eklatanten Schönheit einen höchst pikanten Akzent. Ihr dunkles seidenweiches Haar hatte an Fülle und Glanz nicht ihresgleichen, und die ganz schwarzen und auffallend langen Wimpern machten ihre großen mandelförmigen Augen zu den schönsten der Welt.

Ich war ihr also ergeben, wie man nur einer schönen Frau, die man liebt, ergeben sein kann. Ihre Freunde betrachtete ich als meine Freunde, und wen sie haßte, den haßte ich doppelt.

Unter diesen letzteren befand sich zu meinem Unglück, oder richtiger würde ich vielleicht sagen zu meiner großen inneren Genugtuung, der mächtigste Mann des Königreichs: der Kardinal von Richelieu.

Er hatte die Fürstin im Verdacht, seine amorosen Anschläge auf die junge Königin Anna von Österreich vereitelt zu haben. Ja, er beschuldigte sie ganz grundlos, einen seiner zweideutigen an die Königin gerichteten Briefe der Königinmutter Maria Medici in die Hände gespielt zu haben.

Der große Mann ließ keine Gelegenheit, die Fürstin zu kränken, ungenutzt vorübergehen. Hier nur eine seiner Spitzbübereien. Wie später sein Nachfolger Mazarin, so hat schon Richelieu meisterlich den Kniff gehandhabt, sich mit dem König zu identifizieren und, was gegen den Minister geschah, als gegen den König unternommen darzustellen. Gaston von Orleans, der Bruder des dreizehnten Ludwig, war zusammen mit seinem Anhang doch wahrlich nicht ein Feind des Königs. Er war einzig der Gegner des absolutistischen Ministers. So auch der tapfere Herzog von Montmorency. Nur der Despotismus eines Richelieu konnte den edlen Sprößling eines der ältesten Häuser von Frankreich zum Hochverräter stempeln. Was aber dem erlauchten Herzog, den der König selber geschont wünschte, in Wahrheit den Hals brach, war gar nur die heimliche Liebe der schönen Fürstin von Rohan-Guemené zu dem Gefangenen von Castelnaudary. Der Kardinal wußte nur zu gut, daß er, indem er den Herzog unter dem Beil verbluten ließ, zugleich die Fürstin tödlich traf, die er wegen eines falschen Verdachtes haßte. Und so geschah es auch in diesem Fall, wie so oft in der Weltgeschichte, daß die Handlung eines Ministers und Herrschgewaltigen, die einzig von Gründen der Staatssicherheit diktiert schien, in Wahrheit von einer elenden persönlichen Rachsucht eingegeben war.

Aber nicht damit zufrieden, den unglücklichen Montmorency für seine Anhänglichkeit an den Bruder des Königs unter Beihilfe des von ihm abhängigen Parlaments von Toulouse zum schimpflichen Tod auf dem Schaffott gebracht zu haben, gedachte er auch noch, nachträglich die Fürstin zu verunehren. Er wollte zu diesem Zweck seinen eigenen Schwager, den Marschall von Breze, dem die Briefe der Fürstin an den beschimpften Herzog in die Hände geraten waren, mit Gewalt dahinbringen, die bloßstellenden Dokumente öffentlich bekanntzugeben. Und er konnte es dem Herrn von Breze nie verzeihen, daß er sich bei dieser Gelegenheit als ein Mann von Ehre gezeigt und die ganze Schatulle mit ihrem zärtlichen literarischen Inhalt, um allen fatalen Möglichkeiten vorzubeugen, der Fürstin eigenhändig ausgeliefert hat. Große Männer haben, ach, oft sehr kleinliche Seiten.

Auch die Liebesabenteuer des Kardinals entsprachen keineswegs der Größe seiner politischen Taten, noch dem geradezu königlichen Glanz seines öffentlichen Lebens. Nachdem er vergeblich den Blick bis zur Majestät erhoben, war er bald nur um so tiefer hinuntergestiegen, denn seine nachmalige Geliebte, die vielbeschriene Marion Delorme, galt allgemein für nichts viel besseres als eine Prostituierte. Sie kam einige Monate lang heimlich und bei Nachtzeit zu ihm nach Ruel, wo der Kardinal damals residierte, aber schon nach kurzer Zeit hat sie den allmächtigen Minister einem Parlamentsadvokaten geopfert. Der Kardinal soll den Knicker gespielt haben. Denn so großartig der Mann in öffentlichen Geschäften war, in seinen Privatangelegenheiten konnte er pedantisch sein bis zum lächerlichsten Geiz, eine Schwäche, die er mit andern großen und berühmten Staatsmännern teilte.

Ihr vermutet wohl, teure Freundin, daß ich ebenfalls der berühmten Marion nicht ferngeblieben bin. Nun ja, ich habe sie gekannt, wenn auch nicht in dem Sinn, den die Bibel mit dem Wort verbindet. Denn wenn ich, wie ich schon sagte, die ritterlich romantische Spezies der Liebe stets zu unbequem, auch zu prätentiös gefunden habe, so war mir deswegen die bequemste von allen, die käufliche, doch noch lang nicht gut genug. Sondern, weil ich nur zu gut wußte, wie gern die Männer bereit waren, mich um meiner wenig vorteilhaften Leiblichkeit willen mit ihrem verdammten Mitleid zu beehren, so setzte ich meine Eitelkeit darein, mit Hilfe einer erklecklichen Anzahl schöner Frauen das giftige Mitleid alchimistisch in tröstenden Neid zu verwandeln.

Aber freilich habe ich die Marion gekannt. Zur Zeit, als sie ihr fast fürstliches Haus an der Place Royale bewohnte, nur durch wenige Häuser von dem der Fürstin Guemené getrennt, war ich öfter mit dem großen Condé bei ihr. Sie war in gewissem Sinn dessen Geliebte und war bei allen unsern heimlichen Zusammenkünften in ihrem Hause, ja bei unsern gefährlichsten Beratungen gegenwärtig. Niemand hat damals vermutet, daß die folgenschwersten Unternehmungen gegen die Gewaltherrschaft des Italieners Mazarin in dem Hause der vielbeschrienen Marion Delorme ausgebrütet wurden.

Der Fürst, wie auch wir anderen Verschworenen der Fronde, hatten keinerlei Geheimnis vor ihr. Sie war eine außerordentliche Person; man konnte ihr in politischen Dingen vollkommen vertrauen. Weniger lebhaft, weniger sprühend von Geist in ihrer Rede als die nachmals so berühmte Ninon de Lenclos, übertraf Marion ihre sozusagen Nachfolgerin im Amt und Würde nicht nur durch eine solidere Schönheit des Körpers – ihre Haut war von untadelhaftestem Weiß, ihr Karnat bedurfte nirgends der Schminke – sondern noch mehr durch Schärfe des Verstandes. Ihr wißt vielleicht nicht, schöne Freundin, daß auch diese Art Damen ihre besondere Standesheilige und Patronin haben, nämlich die heilige Maria von Ägypten, wie die einen wollen, oder die Maria von Magdala, genannt die Hl. Magdalena, wie andere behaupten. Marion Delorme aber hatte sich ihr Vorbild weiter zurück im Alten Testament genommen, an jenem Weibe, von dem geschrieben steht im Buche Josua im 6. Kapitel, im 24. Vers: »Und sie verbrannten die Stadt mit Feuer und erwürgten darinnen alles Lebendige mit der Schärfe des Schwertes, beide, Mann und Weib, Jung und Alt, Ochsen, Schafe und Esel. Nur Rahab, die Hure, samt dem Hause ihres Vaters, und alles was sie hatte, ließ Josua leben. Und sie wohnt in Israel bis auf diesen Tag, darum, daß sie die Botschafter verborgen hatte.« Auch die Dame Delorme soll ja in Israel, pardon, in Frankreich wohnen bis auf den heutigen Tag, obwohl sie bereits am 2. Juli 1650 gestorben ist, just an dem Tage, an dem sie auf Befehl des siegreich aus den Ardennen zurückgekehrten Mazarin verhaftet werden sollte ... Darum will das Volk, daß sie noch lebt, daß sie sich bloß tot gestellt habe, um dem Kerker zu entgehen, daß man nur ihren leeren Sarg begraben, sie aber nach England entflohen, später aber nach Frankreich zurückgekehrt sei und, wie gesagt, bis auf den heutigen Tag als Gemahlin eines Räuberhauptmanns in den Pyrenäen ein unvergängliches Leben führe. Ihr seht, verehrte Freundin, es knüpfen sich fromme Legenden, d. h. ebenso unglaubliche als gern geglaubte Fabeln, wie an die großen Heiligen, so an die großen H... Ob also die schöne Marion noch heute lebt, mag bezweifelt werden, sicher dagegen ist, daß sie den »Botschaftern« nicht weniger gefällig war als jene Rahab. Sie hat der patriotischen Sache (denn niemand kann heute mehr daran zweifeln, daß die Frondisten königstreue Patrioten waren), mindestens ebenso große Dienste erwiesen als der Orleans, der Condé oder irgendeiner von uns.

Ihr Haus war unser sicherster Versammlungsort. Gerade ihr eigentümliches Gewerbe bewahrte sie vor jedem Verdacht in Sachen der höheren Politik. Der Fürst Condé selbst, der Sieger von Lens, schien dem Kardinal und der Königin kaum mehr eine Gefahr, seitdem man von seinem eklatanten Verkehr bei der Marion wußte. Wem eine Marion gefährlich zu werden droht, mochten sie sich sagen, der kann es für uns kaum sein. Und es ist war, dem Scheine nach trieb es der Fürst toll in dem Hause dieser Tochter eines Seifensieders aus Blois. Dreimal jede Woche spielte seine Kapelle in deren Haus auf dem Königsplatz. Hunderte von Gästen waren dann geladen, Fürsten und Literaten, Herzöge und Komödianten, Parlamentsräte und Landsknechte. Die Gesellschaft war mehr als gemischt. Und drunter und drüber ging es mit Schmausen und Bankettieren, mit Komödienspiel und Tanz, und der Schlechteste fühlte sich wie zu Hause, denn es herrschte hier Narrenfreiheit das ganze Jahr. Aber nur wenige kannten das geheime Schlafzimmer der Dame des Hauses, das geheimste von allen (denn sie hatte verschiedene zu verschiedenem Gebrauch), wo die Eingeweihten, wenn die ausgelassene Lustigkeit in den zahlreichen offenen Gemächern ihren Höhepunkt erreicht hatte, sich unvermerkt zu den ernstesten und gefährlichsten Geschäften zurückzogen ...

Verzeiht, geliebte Freundin, ich habe mich hinreißen lassen und der Zeit und den Ereignissen weit vorgegriffen. Ich komme auf die Fürstin Rohan zurück. Ihr zuliebe also haßte ich den Kardinal, aber das hinderte mich nicht, ihm in gewissen Stücken nachzuahmen.

Richelieu hatte als erster unter unsern Großen sich in seiner Jugend um die Würdengrade der Sorbonne beworben. Ich wußte, daß er gerade deswegen hart getadelt worden, da man den sorbonnistischen Firlefanz wohl für gut genug hielt, den kleinlichen Ehrgeiz einiger schulmeisterlichen Gelehrten in Bewegung zu setzen, in deren Reihen sich zu stellen aber einem Großen des Königreichs nicht erlaubt sei. Ich konnte diese Denkweise meiner Stammesgenossen nicht billigen. Denn ich fand es nicht nur ehrenhaft, ich fand es auch politisch klug, sich die Zugehörigkeit zu einer Körperschaft zu erwerben, die, von König und Parlament fast ganz unabhängig, zwischen Staat und Kirche gleich einer souveränen Macht dastand.

Und so hatte ich mir in den Kopf gesetzt, allen Vorstellungen der Familie und allen alteingewurzelten Standesbegriffen der Meinigen zum Trotz, mir gerade in diesem Punkt die Kühnheit des Kardinals zum Muster zu nehmen. Ohne Zögern ließ ich mich als Kandidat für die höheren Grade bei der Sorbonne einschreiben und beteiligte mich bei den öffentlichen Disputationen dieser gelehrten Körperschaft mit einem Fleiß und Eifer, daß ich die eingetrockensten Mumien der zeitgenössischen theologischen Gelehrsamkeit in Erstaunen setzte.

Von dem allen fühlte sich Kardinal Richelieu sehr geschmeichelt, und wirklich war mein Verhalten in dieser Angelegenheit gleichsam eine persönliche Huldigung für ihn. Er äußerte wiederholt sein Befremden darüber, daß ich ihm nicht den Hof machen wolle, ja, er gab dem Bischof von Lavaur, der damals sein Geheimschreiber war, den ausdrücklichen Befehl, mich zu ihm zu bringen. Auch durch seinen Vetter, den Marschall von La Meilleraye, ließ er mir die verbindlichsten Aufforderungen zugehn. Ich antwortete jedesmal ausweichend, und Ihr mögt Euch denken, schöne Freundin, mit welchen Gefühlen der Kardinal meine Rücksichtslosigkeiten aufnahm.

Mein Erfolg bei jenen Disputationen erweckte in mir den weiteren Ehrgeiz, mich ebenso auf der Kanzel auszuzeichnen. Die Fürstin von Rohan-Guemené bestärkte mich hierin. Sie brannte förmlich darauf, mich auf der Kanzel zu sehen. Und noch einige vornehme Damen äußerten wiederholt den gleichen sehnlichen Wunsch.

Die Freundinnen rieten mir, in irgendeinem kleinen obskuren Kloster den Anfang zu machen und mir so die nötige Sicherheit zu erwerben. Ich tat genau das Gegenteil und predigte am Himmelfahrtstage, an Pfingsten und an Fronleichnam bei den Karmeliterinnen in Gegenwart der Königin und des ganzen Hofes.

Diese Kühnheit gewann mir die Gunst der Schönen in noch höherem Grad: sie erwarb mir auch in der Öffentlichkeit und beim großen Publikum viel Lob und Bewunderung.

Nur der Kardinal war nicht der allgemeinen Meinung. »Man muß einen jungen Menschen«, sagte er zu seiner Umgebung, »nicht nach seinen ersten Anfängen beurteilen. Dieser junge Mann scheint sich auf seinen Erfolg allzuviel einzubilden.«

Eine andere schmeichelhafte Erwähnung des Kardinals folgte. Um jene Zeit machte die Verschwörung des Fiesko, Grafen von Lavagna, in ganz Europa von sich reden, und ich verfaßte eine Schrift über das kühne Unternehmen, das zuletzt durch den plumpsten aller Zufälle in seiner Wirkung vereitelt worden. Die Indiskretion eines Freundes spielte mein Manuskript, das keineswegs für die Öffentlichkeit bestimmt war, dem Kardinal in die Hände, der meinem Vater sagen ließ: »sein jüngerer Sohn sei ja ein verdammt gefährlicher Kopf, von dem man sich alles versehen müsse«.

Also hatte ich zu dem Haß, den ich mir von der Fürstin Rohan hatte einimpfen lassen, nun auch meine eigenen kleinen Beweggründe, dem Kardinal jede Art von Mißtrauen entgegenzubringen.

Nicht will ich leugnen, daß ich in jener Schrift dem alten Verrina, dem Freunde Fieskos, einige Sätze in den Mund legte, die weniger ihm als mir selber aus der Seele geschrieben waren.

»Ich begreife,« lasse ich den Verrina zu seinem Freunde sprechen, »daß ein zartsinniges und hochherziges Gemüt wie das Eure, sich nur schwer entschließen mag, seine Handlungen einem unrühmlichen Verdacht auszusetzen. Der Name eines Rebellen, eines Empörers, eines Verräters schreckt Euch. Aber die häßlichen und infamen Wörter, die man erfunden hat, um gemeine und schwache Menschen damit einzuschüchtern, vermögen einem Mann nichts anzuhaben, dessen Sinn auf große und kühne Taten gerichtet ist. Sie verlieren auch sofort ihre schlimme Farbe, sobald nur der Erfolg ein Unternehmen krönt. Gewissenhaftigkeit und weltliche Größe waren zu allen Zeiten unvereinbar. Eine ängstliche Moral, die dem Volke so notwendig wie nützlich sein mag, muß jedem großen Unternehmen zum Hemmschuh werden. Das Verbrechen, sich mit Mitteln der Gewalt einer Krone zu bemächtigen, strahlt so viel Glanz aus, daß es dadurch fast zur Tugend wird. Jeder menschliche Stand hat seine besondere Moral. Die Tugenden der Kleinen und Geringen sind Mäßigung und Bescheidenheit; Unerschrockenheit und höchster Ehrgeiz müssen die Großen auszeichnen.«

Und, nicht wahr, schöne Freundin, man kann sich leicht vorstellen, daß solche Worte in der Feder eines achtzehnjährigen Schülers der Theologie dem Kardinal zu denken gaben, um so mehr, als sie Wahrheiten enthielten, zu denen der allmächtige Minister sich heimlich im Herzen selber bekannte.

Unterdessen rückte der Zeitpunkt der Promotionen in der Sorbonne heran, die nach altem Herkommen mit großen Zeremonien und Feierlichkeiten ins Werk gesetzt wurden. Unter den vierundzwanzig Kandidaten befand sich auch der Abbé von Lamothe-Houdancourt, heute Erzbischof von Auch, der mir zweimal in den Disputationen unterlegen war.

Diesem Abbé tat der Kardinal Richelieu die Ehre an, ihn als seinen Verwandten anzuerkennen. Ja, er ließ ihn durch seinen Onkel La Porte, damaligen Großprior von Frankreich, den Herren der Sorbonne ganz besonders empfehlen. Ich betrug mich in dieser Angelegenheit mit einer Mäßigung und Besonnenheit, die man meiner Jugend wohl nicht zugetraut hatte. Ich besuchte den Bischof von Lavaur, den Vertrauten des Kardinals, und bat ihn, Seiner Eminenz von mir aus zu sagen, daß ich zugunsten von dero Schützling freiwillig von meinen Ansprüchen zurückstehen wolle. Durch diesen nämlichen Bischof ließ mir der Kardinal antworten, das sei nicht seine Meinung, und der Abbé von Lamothe denke im geringsten nicht daran, seinen Rang meiner Großmut zu danken. Empört über die schamlose Heuchelei, antwortete ich dem Bischof nur mit einem höhnischen Lächeln und einer tiefen Verbeugung. Im übrigen ließ ich der Sache ihren Lauf, und am Tage der Entscheidung wurde mir durch vierundachtzig Stimmen von hundert der erste Grad zuerkannt. Richelieu, der in allem und jedem Herr sein wollte, geriet darüber in solche Wut, daß er eine Deputation dieser gelehrten Körperschaft mit der Drohung entließ, er habe nicht übel Lust, die Neubauten, die man gerade für die Sorbonne begonnen, wieder niederreißen zu lassen. Mir aber riefen meine Verwandten und Freunde, denen sich sogar die Fürstin anschloß, mich für einige Zeit der Aufmerksamkeit des Kardinals zu entziehen.

Nach langem Widerstreben fügte ich mich und machte eine Reise nach Venedig, wo mir auch gleich die Tollheit beikam, mich in die Dogaresse zu verlieben. So wenig kannte ich den gefährlichen Boden dieser aristokratischen Republick. Der Gesandte unseres Königs warnte mich noch gerade zur rechen Zeit, und ich entkam mit heiler Haut nach Rom. Hier gab mir unser Botschafter, Marschall d'Estrées, einige Winke über mein Auftreten, die ich weise und der Beachtung wert fand.

Denn wenn es auch immer noch nicht in meiner Absicht lag, mein Leben der Kirche zu widmen, wollte ich mich doch am päpstlichen Hof meines geistlichen Gewandes, das ich einstweilen trug, nicht unwürdig zeigen. Ich vermied also allen Schein von Ausschweifung, ging jeder Art Liebeshändel mit Ostentation aus dem Wege und gestattete mir kein anderes Kleid als das des einfachsten und ärmsten Priesters. Und diese Bescheidenheit an meiner eigenen Person wußte ich durch meine Umgebung erst recht in Relief zu setzen. Ich spendete öffentliche Almosen mit der Freigebigkeit eines Königs, kaufte in auffallender Weise die seltensten und teuersten Bücher, und ging nie aus ohne ein Gefolge von sieben bis acht reichgekleideten Edelleuten, darunter vier Malteserritter. Fast wöchentlich beteiligte ich mich an den öffentlichen Disputationen der Sapientia, dieser berühmtesten der gelehrten Anstalten von Rom, deren hoheitsvoller und wahrhaft königlicher Palast die alten winkeligen Baracken unserer Pariser Universität sehr beschämte, die aber in theologischer und philosophischer Gelehrsamkeit sich mit unserer Sorbonne nicht messen kann.

Ein glücklicher Zufall kam mir außerdem zu Hilfe und bewirkte, daß ich die Aufmerksamkeit von ganz Rom auf mich lenkte.

Man hatte zu jener Zeit die Thermen des Kaisers Antonin für das Maillespiel eingerichtet, und als ich mich daselbst eines Tages im Kreise der Meinigen mit Ballschlagen vergnügte, ließ mir der Fürst von Schomberg, der Botschafter Kaiserlicher Majestät, der mit unglaublichem Gefolge vor den Thermen anhielt, die Weisung zukommen, den Platz für ihn freizumachen. Ich ließ Seiner Exzellenz antworten, daß ich ihr auf ein höfliches Ansuchen hin gerne zu Gefallen gewesen wäre, daß ich aber Befehle nur von dem Botschafter meines Königs anzunehmen willens sei. Der Fürst von Schomberg wiederholte nichtsdestoweniger seine Aufforderung, und ich setzte mich mit den Meinigen in Verteidigung. Doch ließen es die Deutschen, wohl mehr aus Verachtung für unsere geringe Zahl, als aus andern Rücksichten, nicht zum Äußersten kommen. Dieses Auftreten eines dem Anschein nach so bescheidnen »Abate« gegen den stolzen kaiserlichen Botschafter, der sich niemals anders sehen ließ als mit einem Zug von zweihundert reitenden Musketieren hinter sich her, machte mich bei dem römischen Volk mit einem Schlag zum Helden des Tages.

Als über ein halbes Menschenalter später, da ich mich noch nicht offen mit ihm verfeindet hatte, der Kardinal Mazarin bei einem jovialen Frühstück in seinem neuen Pariser Palast auf dieses Abenteuer zu sprechen kam – er war zur Zeit des erzählten Vorfalls noch ein einfacher Kleriker zu Rom –, fühlte ich noch einmal recht deutlich, wie sehr ich damals die Hauptstadt der Welt durch mein Betragen fasziniert hatte. Der Kardinal gestand mir, daß ihm bei der Gelegenheit mein Name zum erstenmal zu Ohr gekommen und daß er in seinem Leben keinen Menschen so beneidet wie mich in jenen Tagen.

Gegen Ende des Jahres kehrte ich nach Paris zurück, wo es sich zeigte, daß mein Onkel Franz von Gondy, der Erzbischof von Paris, in seiner Gesundheit dergestalt zurückging, daß das erzbischöfliche Kapitel sich ernstlich mit der Ernennung eines Koadjutors trug. Mein Vater gab mir zu verstehen, daß es jetzt nur von meinem Betragen abhinge, über kurz oder lang Koadjutor von Paris und prädestinierter Nachfolger meines Onkels auf den erzbischöflichen Stuhl zu werden.

Es schien in der Tat ganz unwahrscheinlich, daß die Sachen nicht also verlaufen sollten. Seit bald einem Jahrhundert befand sich der Stuhl von Paris, man könnte fast sagen erblich in unserer Familie. Durch den Einfluß unseres Hauses ist sogar die Kirche der französischen Hauptstadt erst zum Erzbistum erhoben worden. Das Gedächtnis der Menschen aber ist unglaublich schwach, und so kommt es, daß man heutzutage oft, auch wenn von der ältesten Zeit die Rede ist, von Erzbischöfen von Paris reden hört. In der Tat und Wahrheit aber hat mein Onkel Franz von Gondy im Jahr 1622 als erster Erzbischof diesen Stuhl bestiegen, den ich, als zweiter in der Reihe, einzunehmen nun bald die Ehre haben sollte.

Und noch andere verlockende Aussichten winkten mir.

Prinz Ludwig von Bourbon, Graf von Soisson, war bekanntlich wegen einer Hofkabale Ungnade gefallen und hatte sich nach Sedan zurückgezogen, das damals noch unter der Souveränität des Herzogs von Bouillon stand. In seiner Verbannung bekam es der Graf plötzlich mit der Frömmigkeit. Und er fing an, sich ein Gewissen daraus zu machen, daß er unter dem prekären Titel des custodi nos nicht weniger als hundertundzwanzigtausend Livres aus geistlichen Pfründen bezog. Nun gedachte er damit ein gutes Werk zu tun, indem er mich mit der Aussicht auf seine Nachfolgerschaft in diesen Benefizien endgültig für den Dienst der Kirche zu gewinnen suchte. Er hatte bereits die hierzu erforderliche Einwilligung des Königs sich als letzte und einzige Gnade von Seiner Majestät erbeten und auch erhalten.

Diese nicht ganz unwürdigen Perspektiven bestimmten mich zu dem Vorsatz, hinfort in Angelegenheit meiner Standesänderung keinen leichtfertigen und unüberlegten Schritt mehr zu tun.

Entschlossen war ich noch immer, der Kirche den Rücken zu kehren, aber ich sagte mir zugleich, daß dies jetzt nur noch um einer ganz großen Sache willen geschehen dürfe.

So entschied ich mich einstweilen für eine Lebensführung, die meinem Gewand nach außen Ehre machte und mir den Aufstieg zu den höheren und höchsten Gipfeln der kirchlichen Hierarchie, wenn dies mein letztes Ziel sein sollte, nicht unnötig erschwerte. Ja, ich tat mit bewunderungswürdiger Geduld und Ausdauer tausend Dinge, die auch nur von weitem diesen Aufstieg begünstigen konnten. – Denn ich war früh von der Wahrheit überzeugt, daß ein noch unsicheres Ziel nur von dem erreicht wird, der alle dahinführende Wege im Auge behält, und daß, wer aus einem Kampf als Sieger hervorgehen will, seine Strategie von lang her, da noch niemand daran denkt, vorbereiten und auch die unscheinbarsten und geringfügigsten Hilfsmittel in Rechnung ziehen muß. Ich befleißigte mich also, wenigstens dem Scheine nach, einer bescheideneren und zurückgezogeneren Lebensführung und vertiefte mich von neuem ostentativ, aber dazwischen auch mit wirklichem Ernst, in das Studium der kanonischen Wissenschaften.

Ich betrieb noch andere Geschäfte, die mehr Selbstüberwindung erforderten.

Der Graf von Soisson hatte mir aus den Erträgnissen seiner geistlichen Benefizien einstweilen die Summe von vierzigtausend Livres zukommen lassen. Mit diesem Geld ging ich zu der guten Dame von Maignelaye, meiner Tante, deren ganzes Leben nur den einen Sinn und Zweck zu haben schien, in der Wohltätigkeit gegen andere aufzugehen. Ich traf sie in ihrer bescheidenen Wohnung bei St. Paul damit beschäftigt, einer Anzahl ungewaschener Rangen aus der Vorstadt von St. Anton den Katechismus beizubringen. Das erste war, daß ich ihr – sie fragte nicht, ob es mir auch Vergnügen mache, – eine gute Zeitlang in ihrem Katechisieren beistehen mußte. Doch endlich entließ sie die Bande, und ich konnte mit meinem Anliegen herausrücken. Ein Sterbender habe mir, so erzählte ich, in der Gewissensnot seiner letzten Stunde eine große Summe anvertraut, mit dem Auftrag, das Geld zur Unterstützung von verschämten Armen anzuwenden. Ich habe dem Mann auf das heilige Evangelium versprochen, sein Geld nach bestem Dafürhalten persönlich zu verteilen; so befände ich mich nun in großer Verlegenheit, da ich jeder Erfahrung in einem derartigen Geschäft ermangle, und sei darum gekommen, sie um ihren Beistand zu bitten. Sie versprach mir ihren Beistand, nur drang sie darauf, daß ich mich auch wirklich bis ins kleinste hinein persönlich dabei beteilige, nicht nur des gegebenen Versprechens wegen, sondern noch mehr, um mich für die Ausübung der christlichen Wohltätigkeit allmählich geschickt zu machen. Das war, was ich wollte. Ich sah hier den besten Weg vor mir, in kürzester Zeit allen Bedrängten der Hauptstadt als ihr Wohltäter bekannt zu werden.

Und ich ließ mich Tag für Tag von der frommen Marquise in Dutzende von feuchten Gewölben, Armeleutehäusern und Speicherwohnungen schleppen, ohne je eine Spur von Ekel oder Mißvergnügen zu verraten. Auch in der Wohnung meiner Tante lernte ich ein ganzes Volk von Notdürftigen kennen, oft wohlgekleidete Menschen, oft sogar solche von Namen, die dennoch im geheimen auf Almosen angewiesen waren. Und die fromme Marquise verfehlte nie, ihrer Gabe die Mahnung hinzuzufügen: »Vergesset nicht, fleißig für meinen Neffen zu beten; denn er ist es, dessen sich Gott bedienen wollte, um euch zu helfen.«

Der ungeheure Vorteil, den ich so gewann, springt in die Augen. Ich wurde mit einem Schlag ein populärer Mann bei der großen Masse derer, die, ohne das Betteln gewerbsmäßig zu treiben, doch im wesentlichen von Wohltaten leben. Ihre Anhängerschaft wurde mir später unendlich wichtig.

Denn bei einer Volksbewegung geben sie den Ausschlag. Alle Wohlhabenden machen eine Revolution nur mit aus äußerem Zwang. Das Lumpenpack aber schadet dabei mehr, als es nützt, durch seine Neigung zur Plünderung und jeder Art Ausschreitung. Die bei anständigem Leben Notleidenden sind allein die Verläßlichen. Ich gewann also damals mehr als ich wußte. Mit eine nützliche Volkstümlichkeit als geistlichen Oberhirten von Paris vorzubereiten, war alles, was ich anstrebte; daß ich mir die Anhänglichkeit des Volkes eines Tages als Haupt einer großen politischen Bewegung dienstbar machen durfte, war mir noch verborgen. So geschieht es oft, daß das Große sich ahnungslos vorbereitet.

Und das Kleine lief nebenbei mit. Indem ich nämlich mit der guten Marquise Monate hindurch alle Hinterhäuser von Paris durchstöberte, verfehlte ich nicht, wo ich ein hübsches Kind bei seinem Nähkorb oder Stickrahmen antraf, jeweils ein besonderes kleines Geschenk heimlich anzubringen, wofür sich mir denn von all den zierlichen Nanetten, Nikoletten und Babetten mehr als eine auf rührende Art erkenntlich zeigte. Der heilige Schleier meiner Tante, recht ein Symbol vom Schleier der christlichen Liebe, mußte alles decken.

Ich besuchte außerdem mit auffallendem Eifer die Vorträge meines ehemaligen Lehrers Vinzenz von Paul zu St. Lazarus, kurz, ich nahm jede erdenkliche Mühe und Langweile auf mich, dem Publikum das Schauspiel eines erbaulichen Lebens zu geben.

Einzig meine Beziehungen zu schönen Frauen mochte ich dem Götzen Leumund nicht opfern; auch durfte ich mir sagen, daß das Pariser Publikum, selbst die Heiligen darunter nicht ausgenommen, in diesem Artikel einige Nachsicht üben.

Doch um ein Haar hätte ich in diesen Tagen durch einen lächerlichen, aber deswegen nicht weniger gefährlichen Nebenbuhler sogar die geliebte Fürstin verloren: durch keinen geringeren nämlich als den vielbeschrienen Herrn Arnauld von Port-Royal, genannt von Andilly zum Unterschied von andern seines Namens, dem es zwar, wie ich gern annehmen will, nicht um den Leib, um so ernstlicher aber um die Seele der schönen Fürstin zu tun war.

Ein so guter Zweck wie dieser fromme Seelenfang, heiligte natürlich jedes Mittel, und so war sogar Satan in selbsteigner Person als Spießgeselle willkommen. Einer Evokation des Herrn Arnauld gehorchend, mußte der leidige Höllenpatron in leibhaftiger Gestalt, mit Hörnern und Klauen, und in nichts eingehüllt als in seinen eigenen berühmten Gestank, der guten Fürstin erscheinen und sie dergestalt erschrecken, daß sie fast den Verstand darüber verlor und wahrhaftig bereits im Begriffe stand, sich kopfüber in den Orden zu werfen. Zum Glück bekam ich noch rechtzeitig Witterung von der Sache – ihr Geruch war ja penetrant genug – und schleunigst sorgte ich dafür, daß eine erneuerte aber von mir evozierte und erfreulichere Erscheinung die Fürstin einstweilen wieder auf vernünftigere Gedanken brachte.


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