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Heinrich Brugsch-Pascha: »Meine Ägyptenreise mit Kronprinz Rudolf«

Während ich mitten in der besten Arbeit war, um meinen Schülern die Pforten der Wissenschaft zu öffnen und sie in den Tempel derselben eintreten zu lassen, traten fast wöchentlich Hindernisse ein, die mich mehr als mir lieb war von der Schule entfernten und mich in das Hofleben hineinwarfen. Ich erhielt Aufträge aller Art, die mit der Schule nicht das Geringste zu schaffen hatten, und in erster Reihe zählten dazu die Pflichten, die ich als offizieller Begleiter fürstlicher Personen auf ihren Reisen nach Oberägypten und Nubien und nicht selten auch der Sinaihalbinsel zu erfüllen hatte. Drei und mehr Wochen, ja selbst Monate lang blieb ich von Kairo entfernt und mußte mich damit begnügen, das Schicksal meiner Schule erprobten deutschen Lehrern anzuvertrauen. Meine Reisen in das Oberland auf vizeköniglichen Dampfern boten mir freilich die Gelegenheit dar, die Denkmälerwelt aufzusuchen und wie alte Bekannte wieder begrüßen zu können, allein die hohen und höchsten Herrschaften, denen ich als wissenschaftlicher Wegweiser diente, konnten nicht mir zuliebe Stunden und Tage an einem und demselben Orte weilen, und so mußte ich mich schon damit zufrieden geben, in stiller Nacht oft bis über die Geisterstunde hinaus den Überresten der Vorzeit meine Besuche abzustatten, um die mit Hilfe von Kerzen erleuchteten Inschriften in meine Kopierbücher einzutragen. Trotzdem war es mir vergönnt, in dieser Verborgenheit manch schönen Fund zu machen und mein bereits im Druck befindliches Wörterbuch seinem Umfange und seinem Inhalte nach wesentlich zu vermehren.

Die fürstlichen Personen, die ich die Ehre hatte zu begleiten, gehörten fast durchweg dem deutschen Stamme an, sodaß ich niemals in die Lage kam, in der Unterhaltung mich einer anderen als meiner Muttersprache zu bedienen. Die Expeditionen, welche ich Gelegenheit hatte zu führen, waren im Laufe der Jahre folgenden fürstlichen Personen zur Verfügung gestellt worden: Dem österreichischen Erzherzog Rainer und seiner Gemahlin Marie, außerdem dem Bruder des Ersteren, dem Erzherzog Ernst; dem regierenden Großherzog von Mecklenburg-Schwerin Franz Friedrich und seiner erlauchten jugendlichen Gemahlin Marie (unter den Begleitern der Herrschaften befand sich damals Baron von Schack, dessen persönliche Bekanntschaft ich hier zu machen das Glück hatte); den Erbgroßherzögen von Mecklenburg-Schwerin und von Oldenburg; dem österreichischen Erzherzog Johann Salvator, dem Kaiser von Brasilien Dom Pedro d'Alcantara und seiner Gemahlin, dem Kronprinzen Rudolf von Österreich usw. Man wird es erklärlich finden, daß der bescheidene Gelehrte im Umgange mit so hohen Persönlichkeiten und ihren vornehmen Begleitern einen Einblick in die große Welt erhielt, wie es nur wenig Sterblichen gestattet ist. Ich habe aus den täglichen Berührungen mit ihnen die Erfahrung gewonnen, daß selbst in den obersten Kreisen der menschlichen Gesellschaft, in denen Stellung und Etikette eine so einflussreiche Rolle spielen und das äußere Auftreten dem Gesetze eines strengen Zeremoniels unterworfen ist, das Herz sich an dem stillen Glück weidet, auf einem fernen schönen Stück Erde menschlich mit allen Übrigen zu fühlen und die Gedanken in ungeschminkter Sprache auszusprechen. Ernst und Scherz treten in ihr volles Recht und äußern sich ungezwungen, ohne Rücksicht auf höfische Formen. Wie glücklich fühlten sich die Großen dieser Welt, dem Parkettboden der Paläste entronnen zu sein und an den schwarzen Ufern des Nilstromes sich frei von allem lästigen Zwange zu wissen!

Wenige Monate waren seit dem Tode Mariettes verflossen, als auf telegraphischem Wege Kronprinz Rudolf von Österreich die Anfrage nach Kairo an mich richtete, ob ich zusagen wolle, ihn auf seiner bevorstehenden Nilreise nach Oberägypten zu begleiten. Eine solche Ehre auszuschlagen konnte mir um so weniger beifallen, als mir die Erinnerung an den Aufenthalt seines Vaters in Ägypten und an meine schwachen Dienste während desselben die schuldige Pflicht wärmster Dankbarkeit auferlegte. Der Ruf der hohen geistigen Begabung und der Liebe für die Wissenschaft, der sich an die Person des Kronprinzen knüpfte, konnte nur meine eigenen Wünsche steigern, dem jungen Fürsten näher zu treten, dessen erste Bekanntschaft ich das Glück hatte bereits in der Zeit der Wiener Weltausstellung zu machen. Unvergeßlich war mir die letzte Stunde geblieben, in welcher Kronprinz Rudolf und der junge Prinz Wilhelm, mein jetziger kaiserlicher Herr und Gebieter, auf dem Hofe meiner ägyptischen Bauten mit den Worten herzlichster Freundschaft voneinander Abschied nahmen mit dem gegenseitigen Versprechen eines häufigen Briefwechsels in Zukunft.

Die ägyptische Reise des Kronprinzen ist von ihm eigenhändig niedergeschrieben und im Druck veröffentlicht worden. Sie bildet den ersten Band seines lebendig und in edler Sprache abgefaßten Werkes »Eine Orientreise«, das in Wien im Jahre 1881 veröffentlicht wurde. Die Worte, die der Kronprinz auf das erste Blatt des für mich bestimmten Exemplars eigenhändig niederschrieb: »Dem treuen Wegweiser und Lehrer im Lande der Pharaonen, dem hilfreichen Mitarbeiter in dankbarer Freundschaft! Rudolf« liefern den sprechendsten Beweis, mit welcher Güte und Nachsicht der liebenswürdige Fürst meine geringen Dienste anzuerkennen verstand. Eine Reihe von Briefen, welche er später an mich richtete und die ich, besonders nach seinem Abscheiden von dieser Erde, nicht ohne die tiefste Rührung lese und immer wieder lese, bestätigen den bescheidenen Sinn und die nüchterne Weltanschauung ihres fürstlichen Urhebers, der nur in dem rein Menschlichen seine höchste Befriedigung und in der geistigen Arbeit den reichsten Genuß fand.

Für die Reise nach Oberägypten bis zu ihrem Endpunkte, der Insel Philä, an der südlichen Grenze hin, war dem kaiserlichen Prinzen ein vizeköniglicher Dampfer zur Verfügung gestellt worden. Zu den Begleitern des hohen Herrn gehörten sein Oheim, der Großherzog von Toskana, der General Graf Waldburg, einem württembergischen Geschlecht angehörend, der Burgpfarrer Abt Mayer, der Major von Eschenbach, ein bildschöner Kavalier, ferner der ungarische Graf Josef Hoyos und der Maler Pausinger aus Salzburg. Sämtliche Mitglieder der Expedition, nur meine Wenigkeit davon ausgeschlossen, waren vorzügliche Jäger, und der Kronprinz selbst erfreute sich des Rufes, als einer der glücklichsten Schützen zu gelten.

Die Jagd auf Raubzeug allein schien ihm eines wirklichen Jägers würdig, da sie dazu beitrage, schädliche Tiere auszurotten und vor allen Dingen die bebauten Felder des Landmannes und seine Viehherden zu schützen. Er versicherte mich, auch nicht das geringste Vergnügen bei den Jagden auf Rotwild und Gemsen zu empfinden, da ihm das Töten, am allermeisten aber ein Massenmord unschuldiger Tiere geradezu einen Widerwillen bereite. Seine Neigung für das Studium der Tierwelt, besonders der geflügelten Bewohner der Lüfte, hatte eine reiche Nahrung durch seine Bekanntschaft mit dem Tier-Brehm gewonnen. Der rühmlichst bekannte Gelehrte dieses Namens, dessen zoologische Arbeiten und Bücher sich noch heutzutage eines Weltrufes erfreuen, war bereits seit mehreren Jahren der Person des Kronprinzen Rudolf näher getreten. Er hatte dazu beigetragen, in dem jungen Fürsten eine kaum glaubliche Neigung für seine eigenen Untersuchungen zu erwecken, und ich selber kann es bezeugen, mit welchem Eifer der gelehrige Schüler es sich angelegen sein ließ, nach einem vollendeten Jagdzuge die heimgebrachte Beute nach Dr. Brehms Tafeln wissenschaftlich zu untersuchen. Weder Müdigkeit noch Hunger und Durst konnten für ihn einen Grund abgeben, seine Beute auch nur auf einen Augenblick liegen zu lassen. Er maß die Körper- und Fügellängen der geschossenen Geier, Adler und Falken, er trug die Zahlen in sein Jagdbuch ein, fügte sonstige Eigentümlichkeiten in dem Körperbau oder in der Färbung des Geflügels bei und hielt ein so genaues Register, als ob der Kronprinz von Österreich das Muster eines grundgelehrten Zoologen abgäbe.

Auf der anderen Seite offenbarte sich sein Sinn für die Wissenschaft in dem Eifer, mit dem er meinen täglichen Vorträgen über altägyptische Geschichte, Geographie, Mythologie, Baukunst usw. lauschte. Seine Bemerkungen, die er hier und da einstreute, hatten, wie man zu sagen pflegt, Hand und Fuß, und Vergleichungen mit anderen Gebieten der Geschichte der Völker des Altertums oder der Neuzeit zeigten den Kenner, der seines Gegenstandes sicher war. Ein besonderer Zug, den ich mit wahrer Freude in dem Charakter des Kronprinzen entdeckte und täglich bestätigt fand, war die Einfachheit seiner Sitten und eine wahre Bedürfnislosigkeit, die nur selten eine Eigenschaft der Großen dieser Erde bildet. Fern von dem Hofparkett des Palastes bot ihm der Aufenthalt in Ägypten einen unglaublichen Genuß dar, da ihm auf Schritt und Tritt einfachsten Menschen gegenübertraten, mit denen er sich durch meine Vermittlung in der gemütvollsten Weise unterhielt und stets freundliche Antworten und Auskünfte auf ihre Fragen gab. Sein schlanker Körper war gestählt und die größten Anstrengungen vermochte er mit Leichtigkeit zu ertragen. Stundenlange Jagdzüge im Sande der Wüste oder auf den vegetationsleeren, mit Geröll bedeckten, steilen Wegen der Felsgebirge, meist in der brennendsten Sonne, bereiteten ihm nicht die geringste Mühe, während mir selber der Atem ausging, sodaß ich ihm häufig die Bitte ausdrückte, ein langsameres Tempo einschlagen zu wollen.

In der mündlichen Unterhaltung offenbarte der Kronprinz Verstand, Scharfsinn und Witz. Dabei behauptete er eine Ruhe, die selbst dem älteren Manne imponieren mußte. Befand er sich in offizieller Gesellschaft, so wandelte sich sein Wesen wie durch Zauber plötzlich um, seine ganze Haltung zeigte eine steife Förmlichkeit, die ihm sonst durchaus nicht eigentümlich war. Vom Scheitel bis zur Sohle verriet er den Kronprinzen, den künftigen Kaiser, und seine Unterhaltungen waren gemessen und kurz in ihren Wendungen.

Als er Ägypten verließ, mußte ich ihm das Versprechen geben, bei meiner Anwesenheit in Europa ihm jedes Mal einen Besuch abzustatten und längere Zeit als Gast bei ihm zu verweilen. Die erste Gelegenheit dazu bot sich dar, als ich im Jahre 1881 in der Frühjahrszeit nach meiner Heimat zurückgekehrt war und in meinen Briefen ihm die Mitteilung machte, daß ich bereit sei, ihm bei der Veröffentlichung seines Reisewerkes von ihm gewünschte Beiträge zu liefern. Auch die kleinsten Mitteilungen wissenschaftlichen Inhalts, die auf unsere gemeinschaftliche Wanderung Bezug hatten, wurden vom Kronprinzen wörtlich und mit Anführung ihres Urhebers abgedruckt, und er fand dies so selbstverständlich, daß auch nicht eine Stelle in seinem Werke zu finden wäre, in der er stillschweigend meine eigenen Kenntnisse ausgenutzt hätte.

Wie man weiß, fand unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Ägypten in die Heimat seine Vermählung mit der Prinzessin Stephanie , der Tochter des Königs der Belgier, statt. Das kronprinzliche Paar siedelte bald nach der Hochzeit nach Prag, der Hauptstadt des Königreichs Böhmen über, um hier in dem alten Schlosse des Hradschin für einige Zeit seine bleibende Residenz aufzuschlagen. Einer eigenhändigen Einladung meines fürstlichen Gönners folgend, nahm ich auf ein paar Wochen meinen Aufenthalt in dem Prager Schlosse, wobei ich die Ehre hatte, täglich mit dem hohen Fürstenpaare zu verkehren. Ich hatte dadurch die Gelegenheit gewonnen, beide in ihrer Häuslichkeit kennen zu lernen und die Herzlichkeit ihres gegenseitigen Verkehres zu bewundern. Die damals erst siebzehnjährige kronprinzliche Gemahlin entzückte nicht nur durch die Anmut ihrer vornehmen jugendlichen Erscheinung, sondern noch vielmehr durch die Bescheidenheit, fast Schüchternheit ihres Wesens, eine Folge ihrer klösterlichen Erziehung im elterlichen Hause, fern von dem rauschenden Vergnügen der großen Welt. In den gemeinschaftlich zu Wagen oder auf der Eisenbahn zurückgelegten Ausflügen war es weder Dorf noch Stadt, weder Wald noch Berg, die meine Aufmerksamkeit fesselten, als vielmehr der traute Umgang des jungen kronprinzlichen Paares, dem ich beizuwohnen das Glück hatte.

Im Prager Schlosse wurden die Stunden der Arbeit und der geselligen Zusammenkünfte streng voneinander geschieden. Jede freie Zeit benutzte der Kronprinz, sich seinen wissenschaftlichen Studien und seiner schriftstellerischen Tätigkeit mit ganzem Eifer hinzugeben. Es ist allgemein bekannt, daß seine Leistungen ebenso fruchtbar ihrem Inhalte nach als in ihrer Form geschmackvoll und gefällig gewesen sind. Das großartig angelegte Werk über die Völker Österreichs ist unter seiner Ägide entstanden und manche Beiträge aus seiner Feder haben demselben einen hervorragenden Schmuck verliehen.

Nicht selten geschah es, daß der Kronprinz noch gegen Mitternacht in meinem Zimmer erschien und oft an meinem Bette niedersaß, um bei dem Genusse einer guten Zigarre – er rauchte nämlich viel und gern – stundenlang von den ernstesten Dingen zu reden und meine eigene Meinung über die schwierigsten Fragen einzuholen. Wissenschaft und Kunst, Politik und Religion gaben den Stoff dazu her und ich war erstaunt, bei dem unter strengster Obhut aufgewachsenen Prinzen den freisinnigsten Ansichten zu begegnen, die er in seinen »akademischen« Zwiegesprächen mit aller Wärme vertrat.

Die Erinnerungen an die Tage unseres Zusammenseins rufen mir manche unvergesslichen Stunden zurück, von denen ich keine als eine verlorene bezeichnen könnte. Selbst das gewöhnliche Leben und Treiben der Menschen und ihre soziale Lage entlockte dem Kronprinzen Urteile, die den scharfen und guten Beobachter erkennen ließen und seinen Blick in die Weite bezeugten.

Meine späteren Beziehungen zum Kronprinzen Rudolf erloschen bei meiner Versetzung nach Persien. Als ich wieder der Heimat zurückgegeben, den im Jahre 1889 erfolgten Tod des unglücklichen Fürsten aus den Zeitungen erfuhr, fühlte ich es wie einen Stich ins Herz hinein. Welches auch immer die Ursachen seines tragischen Endes gewesen sein mochten, er starb jedenfalls als Opfer eines unseligen Verhängnisses, dessen Geheimnis niemals gelüftet werden wird. Es erfüllt mich bis zur Stunde mit tiefster Trauer, in dem Kronprinzen einen aufrichtigen Gönner und Freund verloren zu haben, trotzdem die Unterschiede der Stellung und des Lebensalters eine unüberbrückbare Kluft zwischen uns geschaffen zu haben schienen.

Anhang B


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