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In Kamatipura – Japanische Freudenmädchen – Inderinnen und Europäerinnen – Auf dem Stadtplan

Bombay, Viktoria-Dock.

Ich hab' mich mit meiner Schreibtasche und mit einem Päckchen Tagebücher, die aus früheren Jahren stammen, aufs luftige Achterdeck unseres Dampfers zurückgezogen. Ein Tagebuch, dem ich vor Jahren die Eindrücke meiner ersten Bombay-Reise anvertraut habe, erzählt mir folgenden Bericht über meinen ersten Besuch in Kamatipura, in dem Bezirk von Bombay, der die Freudenmädchen beherbergt:

Bombay, .. Februar 19..

Gestern abend waren wir im Stadtteil der Hetären, in Kamatipura.

Herr S. fungierte als Führer.

Er brachte uns in eine Gasse des Eingeborenen-Quartiers, welche gewissermaßen die Zentrale des Freuden-Distriktes ist.

Am Anfang der Gasse steigen wir aus dem Wagen und promenieren gemächlichen Schrittes, nach rechts und links mit Interesse auslugend, zwischen den beiden Häuserreihen dahin. Mich mag die Sache stärker interessieren als Herrn S.; er kennt diese Gasse seit Jahr und Tag, ich bin zum erstenmal hier.

Es fallen drei Hauptgruppen von Freudenmädchen auf: Inderinnen, Japanerinnen und Europäerinnen.

Die Inderinnen als solche zu identifizieren war nicht schwierig, da ich ja dieser Tage den Typus der Hindu-Frau oft und oft in den Straßen von Bombay gesehen habe, hingegen hatte ich gestern keinen rechten Anhaltspunkt, um mit Bestimmtheit feststellen zu können: die Mädchen dort sind Japanerinnen!

Ich bin einstweilen noch nicht in Japan gewesen, die Japanerin kannte ich nur aus bildlichen Darstellungen, die Kleidung und Haartracht der Japanerin überdies aus – europäisch-heimatlichen Fasching-Kostümfesten; und aus sonstigen Gelegenheiten der Maskerade und des Rampenlichtes.

Mir war's also gestern abend ein sensationelles Erlebnis, als Herr S. zu den Fenstern eines Häuschens hinauf deutete und sagte: »Da haben Sie japanische Mädchen.«

Zum erstenmal im Leben wirkliche, echte Japanerinnen!

Sie sitzen an den Fenstern im ersten Stockwerk und warten auf irgend einen, der willens wäre, ihre Liebesdienste entgegenzunehmen.

Die Gesichter der Japanerinnen erscheinen, von der Gasse aus gesehen, jugendlich und kindlichen Ausdruckes. Ich frage meinen Geschmack, wie ihm diese japanischen Mädchenköpfe gefallen; er antwortet: Sie sind eher unhübsch als schön. En face nehmen sie sich besser aus, als wenn das Profil sichtbar ist. Einzelne, die sich der europäischen Gesichtsbildung nähern, sind ganz sympathisch. – – – Diese letzte Bemerkung macht mich ein bißchen mißtrauisch gegen die Aussagen meines Geschmackes. Im Banne der Gewohnheit hält er offenbar die Europäerin für das feststehende Schönheitsideal, für den ästhetischen Maßstab, an dem alle Töchter der Erde abzuschätzen sind.

Etliche Japanerinnen sind ausgiebig weißgepudert, vermutlich um dem Geschmack europäischer Männer ein Zugeständnis zu machen. Koloristische Annäherungsversuche an den hellen Teint der Europäerin.

Die Japanerinnen winken und locken mit lauten Zurufen: »Come here! – Come inside! – Come here!«

Da wir hier in Bombay auf englischem Kolonialgebiete sind und da in großen Gebieten Asiens die englische Sprache den Eingeborenen als das wichtigste europäische Idiom gilt, so übermitteln uns die Japanerinnen den Lockruf: »Komm' her! – Komm' herein! – Komm' her!« in englischen Worten.

Ein japanisches Mädchen ruft in hohen dringlichen Tönen: »I speak! – I speak!« – Mit diesem »Ich spreche! – Ich spreche!« will sie uns offenbar andeuten,« daß sie der englischen Sprache kundig ist; also ein anpreisender Hinweis auf eine Tugend, welche die Möglichkeit bietet, daß der Gast durch eine Konversation auch ein bißchen in seelischen Kontakt mit dem Mädchen komme. – – Ich spreche, – ich bin nicht bloß stummes Werkzeug der Liebe, – das soll mich dir begehrenswert machen!

Eine andere Japanerin hält ein Saiteninstrument in den Händen, ohne zu spielen; das Musikgerät ist wohl nur ein Zierat, der dem Mädchen eine poetische Verklärung geben soll.

Die Beleuchtung empfangen die am Fenster sitzenden japanischen Freudenmädchen von großen Laternen, die außen an der Hauswand vor den Fenstern angebracht sind, und einigermaßen kommt auch Beleuchtung von den Lampen ihrer gut erhellten Zimmer.

Ich sage: »Fenster«; es sind aber nur leere, scheibenlose Fensteröffnungen. Die Abwesenheit der Glasscheiben, die unter anderem durch die klimatischen Verhältnisse erklärt wird, ist dem Fremden, der an die Gebäude Mittel-Europas gewöhnt ist, etwas Auffallendes.

Manche Japanerinnen blicken wie teilnahmslos, sozusagen »verträumt« auf die Straße hinab, sie lächeln nicht, winken nicht; gemahnen an aufgeputzte Puppen in Verkaufsauslagen.

Wir sehen, während wir durch die Gasse wandeln, daß Japanerinnen sowohl in den ersten Stockwerken, als auch im Parterre weilen, winken und werbend rufen.

Unter den Nicht-Europäerinnen machen die japanischen Mädchen den verhältnismäßig günstigsten Eindruck, vermutlich wegen ihrer sorgfältig geordneten Haartracht und wahrscheinlich auch vermöge ihrer Kleidung, deren Einzelheiten gestern meiner Aufmerksamkeit zwar entgangen sind, aber eine Gesamt-Erinnerung an nette Gewähltheit der Toilette hinterlassen haben.

Und als empfehlender Hintergrund wirkt das Zimmer der Japanerin; die Räume erscheinen dem durch die Gasse Promenierenden wohnlich und sauber, – sehr im Gegensatze zu den Behausungen der indischen Freudenmädchen.

Die meisten Inderinnen, welche hier ihr Freudengewerbe ausüben, tun dies in Häuschen, in Hütten, die nur aus dem Erdgeschoß bestehen und außen und innen recht ärmlich und von zweifelhafter Sauberkeit sind.

In einem zellen-ähnlichen kleinen Raum, hinter einer primitiven Gittertür, sitzen diese dunkelfarbigen Töchter Indiens, wie in einem Käfig. Mit ihren dunkeln Augen spähen sie zwischen den Gitterstäben auf die Gasse hinaus und locken durch Wink und Wort die vorübergehenden Männer. Wie Gefangene, die gleichwohl jemanden fangen wollen.

Sie verwenden gelegentlich die gleichen englischen Lockrufe wie die Japanerinnen.

Wenn man in eine solche trübselige Freuden-Zelle indischer Mädchen durch die Gittertür hineinschaut, empfindet man ein Unlustgefühl, das nicht eben geeignet ist, die Zwecke, denen die Zelle dienen will, begehrenswert erscheinen zu lassen. Schon die Vorstellung, man müßte mit irgend einem Gegenstande der Hütten-Ausstattung in Berührung kommen, erweckt eine Regung des Widerwillens. –

Die Europäerinnen sehen mir danach aus, als wären sie die Abfälle abendländischen Hetärentums, die sich in gar vielen Venusbergen des Okzidents und des Morgenlandes herumgetrieben haben, ehe sie hieher an den Strand Indiens verschlagen worden.

– – – Ich habe gestern abend während des kurzen Spaziergangs den Sehenswürdigkeiten der Gasse keine gründliche Aufmerksamkeit gewidmet, zumal da ich vermutete, daß dies vielleicht nicht mein letzter Besuch in Kamatipura sein werde, meine gestrigen Eindrücke haben also wohl nur eine vorläufige Giltigkeit.

*

Mit Hilfe der Karte, des Stadtplans von Bombay, habe ich mich heute über die Lage des Freudenmädchen-Quartiers, das wir gestern besucht haben, zu unterrichten gesucht.

Wenn unsere Schiffs-Angehörigen von diesem Quartier sprechen, so gebrauchen sie den Namen »Kamatipura« oder »Grant-Road«.

Auch die Verballhornung »Kamapura« oder »Kamatapura« hört man.

Die Grant-Road ist, wie ich aus der Karte ersehe, eine große Straße, die sich in west-östlicher Richtung durch die Eingeborenen-Stadt von Bombay, durch die »Black-town«, zieht. Ein Stadtteil nordöstlich von der Grant-Road ist als Kamatipura auf dem Stadtplan bezeichnet. – Da bin ich also an der richtigen Schmiede. Hier dürfte die Gasse liegen, die wir gestern durchstreift haben.


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