Peter Rosegger
Die Waldbauern
Peter Rosegger

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Föhn

Wer ohne Christus zur Kommunion geht, der kommt ohne Christus zurück.« – Diese Worte schrieb jener fremde Mann dem kleinen Lenzerl ins Gebetbuch, an dem Morgen, als der Knabe zur ersten Kommunion ging. Der Vater ließ sich den Spruch zweimal vorlesen, und dann noch einmal, und hernach zeigte er ihn dem Bruder Franz. Der Franz las ihn auch, schaute verwundert drein und sagte: »Man kennt sich nicht aus. Wer ohne ihn hingeht, kehrt ohne ihn zurück? Das ist ja nicht. In der Kommunion kommt Christus doch zu uns und bleibt bei uns.«

Der Vater war nachdenklich und fragte seinen Bruder: »Du, wie ist denn das? Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Wie lange bleibt denn eigentlich Christus, der in der Kommunion in uns eingegangen ist – wie lange bleibt er denn in uns?«

»Das ist nicht zu ergründen«, antwortete der Franz. »Im Katechismus steht, er bleibe in der Gestalt so lange, als die Hostie nicht verzehrt ist. Weiter weiß ich nichts, man soll über so was auch nicht nachdenken.«

»Wird eh' am gescheitesten sein«, sagte der Vater, dann gaben sie das Gebetbuch dem kleinen Lenzerl, weil es für diesen Zeit war, in die Kirche zu gehen.

Das Kirchdorf stand weit hinter Berg und Wald, draußen im großen Tale. Stundenlang hatte er zu gehen. Über dem Gebirge lag ein dunkelgrauer Himmel, in den die Alpenspitzen mit ihrem hohen Schnee weiß hineinragten. Auch auf den Waldwegen lag noch weicher Schnee, die Fichtenbäume hatten ihn abgeschüttelt, sie standen schwarz da, und ihre Äste fächelten im lauen Föhn. Es war um die Osterzeit. Wie der Kleine mühsam im klebrig-nassen Schnee dahinstampfte, war in den Wäldern manchmal ein Rollen, als ob ein Gewitter heranzöge; das war der Widerhall der Lawinen, die weiter hinten im Gebirge niedergingen. Er kam in die Hohlgrabenschlucht. Dort, an schattigen Stellen, lagen noch überhängende Schneewuchten, von denen es beständig niederbröckelte. Der Knabe schritt munter über die Brücke, sie war fest gebaut, zitterte aber ein wenig bei dem Toben des angeschwollenen Baches. Jenseits ging er hinan zwischen uralten Baumstämmen, deren starre Wipfel im Winde summten, ohne sich zu biegen. Gestern hatte der Lenzerl denselben Weg gemacht, hin und zurück. Er war in der Pfarrkirche bei der Osterbeichte gewesen, so wie er heute zur Osterkommunion ging. Aber so schlecht war der Weg erst über Nacht geworden. Er bat Gott in Gedanken, daß nicht die Sünde der Ungeduld über ihn komme, damit er reinen Herzens zum Altartisch treten könne. Ein- oder zweimal unterwegs setzte er sich auf einen Baumstrunk, weil ihm heiß war und ein wenig die Beine zitterten. Er war früh aufgestanden und hatte nichts gegessen. Den Herrn Jesus muß man nüchtern empfangen. Nachdem er länger als zwei Stunden an den waldigen Berghängen hingegangen war, kam er ins Tal hinaus. Da war es noch schlimmer; über Feld und Matten rieselten die Wässer des schmelzenden Schnees, und auf der Straße war der Schnee zu Kot geworden. Leute, die wie er der Kirche zugingen, waren hoch hinauf mit Kot bespritzt. Der Knabe kam langsam vorwärts, und doch mußte er trachten, die Stunde der Kommunion nicht zu versäumen. Er freute sich sehr darauf, und heimwärts – so dachte er – wird's schon besser sein, da ist ja der Herr Jesus bei mir.

Endlich war er ins Kirchdorf gekommen. Alsogleich wollte er in die Kirche, die schon mit hellen Glocken läutete. Aber es war ihm plötzlich so schlecht, daß er sich auf einen schwarzen Schragen niedersetzte, der an der Mauer des Beinhauses stand. Wie ein Leichlein, so blaß kauerte der Kleine da. Die Tafernwirtin sah es und brachte dem Knaben eine Schale Fleischbrühe heraus. Er lehnte ab, er gehe zur Kommunion. Eine Bäuerin traf hin und wollte von einem Fläschchen »Lebensessenz«, das sie im Sack trug, ihm einige Tropfen zu trinken geben. Der Knabe winkte mit der Hand ab, er könne nichts zu sich nehmen, weil er zur Kommunion gehe. Der Gedanke, daß er nur wenige Schritte zur Kirche habe, um am Altare mit dem Herrn Jesus vereinigt zu werden, gab ihm Kraft. Noch suchte er mit seinem blauen Taschentuch das schwarze Höslein von dem angespritzten Straßenkote zu reinigen, und dann betrat er mit Andacht die Kirche. Während der Messe las er in seinem Gebetbuche. Dabei überkam ihn eine große Angst. Er konnte die Gedanken nicht beisammenhalten und der heiligen Handlung nicht strenge folgen, er war zerstreut. Die Angst vor einer unfrommen Zerstreutheit hinderte ihn an der Andacht. Der Katechet hatte gesagt, daß Unaufmerksamkeit beim Gottesdienst eine Sünde sei, und wie soll er dann mit einer Sünde zur Kommunion gehen? Der Kleine kniete vor einem Bilde des gekreuzigten Christus nieder und betete ein Vaterunser um die Gnade der Frömmigkeit. Dann wurde ihm leichter. Und als nach der Messe der Ministrant klingelte und die Leute sich zum Altare drängten, trat auch der kleine Lenzerl vor, wand sich langsam und demütig zwischen durch, kniete an das Altargeländer, nahm das weiße Tuch an den Mund, schloß die Augen, öffnete die Lippen, und der Priester legte ihm die Hostie auf die Zunge. »Das ist der Leib unseres Herrn Jesu Christi. Er bewahre deine Seele zum ewigen Leben!«

Nach der Kommunion kniete er, wie es Sitte ist, noch vor den übrigen Altären, die in der Kirche waren, und betete zu Gott und den Heiligen für sich, für seine Eltern und Geschwister, für Freund und Feind und für die armen Seelen im Fegefeuer um den Himmel. Denn jetzt war Jesus in ihm, jetzt konnte das Gebet erhört werden. Der Kleine hatte ganz rote Wangen bekommen vor Glückseligkeit, mit gefalteten Händen kniete er da, das Blondköpflein geneigt, die Augen geschlossen.

Als er zu sich kam, war er fast allein in der dämmerigen, frostigen Kirche. Nur ein paar alte Frauen siffelten noch über den nassen Steinboden dahin, und am Hochaltare war es still und leblos geworden, die rote Ampel davor kennzeichnete die Stelle, wo vorhin Jesus in den Menschen eingegangen war.

Als er bei dem rückwärtigen Tor ins Freie trat, pfiff es singend um die Ecke, und der Wind entführte ihm den Hut. Den hatte er bald wieder und ging dann ins Tafern-Wirtshaus. Es war ja Mittag geworden. Am Ofentisch nahm er Platz, und nun wollte er sich auch etwas Irdisches gönnen. Er bestellte eine Portion geschmälzte Brezeln und ein Seidel Wein. Da blieb nicht ein Krümchen und nicht ein Tröpfchen davon übrig. Doch als er sich anschickte, fortzugehen, sagte die Wirtin: »Du wirst jetzt doch nicht heimgehen wollen ins Gebirge hinauf! In diesem ungestümen Wetter. Just vorhin hat die Feuerwehr geblasen, es kommt großes Wasser.«

»Davor ist man eh' auf dem Berg sicherer als im Tal«, antwortete der Lenzerl, bezahlte seine Sache und ging davon. – Weshalb sollte er sich heute fürchten? Es konnte ihm nichts geschehen, und wenn Sturm und Wasser kommt, da ist man doch am liebsten daheim bei Vater und Mutter. Solange der Mensch noch nicht zehn Jahre alt ist, findet er's am sichersten bei Vater und Mutter. Der Knabe war nun stark, und mit möglichst langen Schritten setzte er über allerlei Wasser, die auf dem Wege wie neben dem Wege rieselten und gurgelten. Der Wind war lau, als komme er aus Öfen, und war so heftig, daß die blattlosen Wipfel und Äste der Eschen und Ahorne zischend und tosend beständig nach einer Seite hinstrebten, ohne zurückzuschnellen. Aus dem schweren Wolkenhimmel kamen Tropfen quer durch die Lüfte gejagt und schlugen dem Knaben weich ins Gesicht. Auf dem Waldwege schlugen links und rechts die hohen Fichten hin und her und peitschten einander mit ihren buschigen Ästen. Der Knabe ging wohlgemut dahin, er hatte den starken Kameraden bei sich – da konnte ihm nichts widerfahren. Auf dem Wege, wo am Morgen noch der patzige Schnee gelegen, schoß jetzt in den beiden Rinnen der Radleisten das braune Wasser heran, mit seinen großen und kleinen quirlenden Augen, und wälzte dürre Baumnadeln, Holzsplitter und Erdwerk mit sich. Stellenweise war der Weg mit Schneehaufen gesperrt, die von den Hängen niedergerutscht waren; da kreiste das Wasser in Tümpeln und bohrte und grub, bis es sich Bahn gebrochen hatte, über den Abhang stürzte oder auf dem Wege weiterschoß. Als der Knabe sich über eine solche Schneewucht mühsam weiterhalf, fuhr plötzlich aus der brausenden Luft ein Baumwipfel nieder und schlug breit und schwer auf den Weg. Eine Wolke von Schnee und Schmutz hatte den Lenzerl über und über besudelt, weiter war ihm nichts geschehen. Jetzt machte er keine größeren Schritte mehr als sonst, es war ja ganz gleich; mitten durch Wasser und Morast ging er gleichmäßig voran, immer in der Zuversicht: Mir kann nichts geschehen. An der Lichtung mußte er einmal stehenbleiben, mit beiden Fäusten den Hut haltend, nach der Leeseite gekehrt, um Atem holen zu können. Wäre er hier nicht eine halbe Minute stehengeblieben, so hätte ihn die Schneelawine begraben, die mit dumpfem Donnern zwanzig Schritte vor ihm herabkam und einen Berg von Schnee und Schutt auf den Weg warf.

Der Schneeberg wurde freilich überstiegen, aber der Knabe mußte doch wieder stehenbleiben und schauen. Denn dort drüben ging ein ganzes Stück Berg nieder. Es zitterte der Boden, langsam glitt der schneeige Berghang in die Tiefe, dort böschte er sich breit aus und lag bewegungslos, ein starrer Hügel für die Ewigkeit. Oben klaffte breit die schwarze Scharte.

Der Knabe ging nun niederwärts gegen den Hohlgraben. Da war der Weg mit Hunderten von gebrochenen Bäumen verrammelt. Uralte Bestände in Riesensplittern. Spechte, Raben und Dohlen flatterten, nestlos geworden, kreischend darüber hin und her. Der Lenzerl brauchte mehr als zwei Stunden Zeit, um diese zehn Minuten lange Wegstrecke zu überwinden. Er kletterte, hüpfte und kroch, immer vom Sturmwind umbraust, vorsichtig voran. Den Hut hatte er lassen müssen, und sein Haar flatterte ihm über Stirn und Augen. An einem der gebrochenen Stämme hatte sich ein Eichhörnchen festgekrallt. Aber es war tot. Bei dem Tiere hielt der Knabe sich auf und wurde traurig. Der Kopf war zerquetscht. Wenn dieses flinke Wesen der Gefahr nicht entkommen konnte, dann war sie groß. Freilich, das arme Tier hatte keinen Beschützer gehabt. Er eilte weiter und kam hinab zum Hohlgrabenbach. Hier war die Brücke abgebrochen und davongeschwemmt. Und so gründlich, daß nicht zu erkennen gewesen wäre, wo sie gelegen, wenn nicht der ein- und ausmündende Fahrweg die Stelle gezeigt hätte. Der Bach war mit seinen braunen, dicken Fluten weit aus den Ufern getreten, er war rasend. Er donnerte und brauste, und an jedem Stein, an jedem Baumstamm sprang er ellenhoch auf und schleuderte sein Gischten an den Hang empor. Und vor diesem Ungetüm stand das Bauernknäblein. Es mußte hinüber, weil es heim wollte zu Vater und Mutter.

Aber es war keine Möglichkeit, hinüberzukommen. Sollte er nun den weiten, wüsten Weg wieder zurückmachen müssen bis in das Kirchdorf? Sollte er in dieser Schlucht übernachten und warten, bis das Wasser fällt? Sollte er, am Bachesrand hinkletternd, eine Stelle suchen, wo die Möglichkeit, hinüberzukommen, eine größere ist? Es war der Abend nicht mehr fern, der Leib zitterte dem Knaben vor Erschöpfung, und der braune Strom brüllte und lechzte nach einem Opfer. Der Lenzerl verlor nicht den Mut, er dachte: Ich werde wohl hinüberkommen. Er legte seine kleinen Hände aneinander und sagte laut: »Herr Jesu Christ, was soll ich jetzt tun?«

In den Gründen das Wasser, in den Wipfeln der Wind. Aufgeschreckte Krähen flogen wirr umher, und an den hohen Stämmen eilten schwarze Eichhörnchen und hüpften von Wipfel zu Wipfel.

Als der Knabe am steinigen Hang eine Strecke hingegangen war, um einen Steg zu suchen über den wilden Bach, sah er einen großen, halbentwurzelten Baumstamm. Der war über den Bach hingesunken und drüben mit dem Wipfel an der Krone eines verknorrten Tannenbaumes hängengeblieben. Das ist der Steg, den mir der Herr Jesus gelegt hat, dachte der Knabe und begann ohne weiteres an dem hängenden Stamm hinanzuklettern. Das dichte Geäste an dem lehnenden Baume war selbst wie ein Wald, durch den er sich mühevoll weiterarbeiten mußte, immer sich sorgfältig festklammernd. Denn unter ihm brandete die rote Flut, und so sehr er sein Auge hütete, daß es zwischen den Ästen nicht hinabschaue in das Wallen und Wirbeln, so hub doch alles um ihn an zu kreisen. Jetzt ist der Schwindel da! konnte er noch denken, dann verflocht er sich hastig mit Händen und Beinen ins Geäste und schloß die Augen. Er wollte in solcher Stellung nur warten, bis der Schwindelanfall vorüber sei, aber siehe, der Wind schaukelte so sanft den Baum, und die Wasser sangen so schön . . .

Hoch an dem querüberhängenden Baumstamme, über dem tobenden Wildbach, war der Lenzerl eingeschlafen. –

Oben im Bergbauernhofe hatten sie müssen das Herdfeuer auslöschen. Der Wind hatte durch den Schornstein den Rauch zurückgestoßen, daß in Küche und Stube kein Mensch atmen konnte. Und wollte man Fenster öffnen, so wirbelte der Sturm herein und sprühte auf dem Herd die Funken auseinander und an die Holzwand hin. Wer sich ins Freie wagte: die Luft unter dem schweren grauen Himmel war so klar, daß die fernsten Berge deutlich wie die nächsten dastanden, aber ein Stoßen und Stöhnen war in dieser Luft, daß der Bruder Franz vom »wilden Gjaid« sprach. »Seht ihr, wie er schlittenfahren tut, der wilde Jäger!« Denn dort an den gegenüberliegenden kahlen Berghängen ging eine Schneelahn um die andere nieder, auf dem weißen Schneefelde dunkle Striemen zurücklassend, von der Höhe bis tief ins Engtal. Man sah, wie klein es oben anhub, ein dünner, schwarzer Faden, an dessen unterem Ende ein weißer Knäuel hing, der den Faden in die Länge zog, rasch und immer rascher – größer, breiter, bis der Riesenknäuel in der Tiefe verschwand und ein langes Donnern hinging in den Bergen.

»Wenn ich nur heut den Buben nicht hätte fortgehen lassen!« rief die Bäuerin immer wieder aus.

Ihr Mann, der Bauer, tröstete sie: »Am Morgen ist's noch nicht so wüst gewesen. Er wird gut ins Kirchdorf gekommen sein. Und wird er wohl so gescheit sein, daß er dort bleibt.«

»Der bleibt nit dort, wie ich ihn kenn'!« sagte sie. »Er hängt allzuviel an daheim.«

»Na, na, die Tafern-Wirtin hat ihn nicht fortgelassen. Die gibt ihm schon zu essen und ein gutes Bett, bei der fehlt ihm nichts. Morgen kommt er heim. So was Wildes kann nicht lang anhalten.«

Die Mutter hat nichts mehr gesagt, hat ihre häuslichen Arbeiten verrichtet, hat den Leuten das Nachtmahl bereitet. Und während sie es verzehrten, ist sie davongegangen. Im lodenen Wettermantel ihres Mannes, in seinen Stiefeln und mit seinem Bergstecken hat sie sich auf den Weg gemacht, um ihrem Lenzerl entgegenzugehen. Denn, daß er auf dem Wege war, das galt ihr sicher, und daß er noch nicht daheim war, obschon es schon zum Abend ging, sagte ihr: Er ist in Gefahr!

Bald war sie unten in der Hohlgrabenschlucht, und da konnte sie nicht weiter. Die Brücke ist fort! »Mein Gott! Da kann er freilich nicht heimkommen!« Daß er gerade auf der Brücke gewesen sein konnte, als sie brach, das fiel ihr nicht ein. »Er ist eben wieder umgekehrt; er kann nicht her, und ich kann nicht hin. Da ist nichts zu machen. Gott wird ihn beschützen!« – Sie blickte in den reißenden Strom, und je länger sie hinschaute, je größer und wilder schien er zu werden.

Etwas weiter unten sah sie Baumgefälle über dem Wasser liegen. So finster schwarz an beiden Seiten die steilen Waldberge aufragten, so grau lag der Abendhimmel und legte sein blasses Licht nieder auf die Holzbrüche. Davor stand ein großer Mann, der Holzknecht Wendelin. Er hatte in seine Waldhütte gehen wollen den Bach entlang und hatte die Verheerung gesehen. Die Bäuerin fragte den Mann gleich nach ihrem Knaben, ob er nichts von ihm gesehen hätte?

»Still sei!« sagte er und schaute gespannt auf einen Baumstamm, der quer über dem Bach lehnte und mit dem Wipfel hier an einer Tanne hängengeblieben war. »Dort oben ist was«, sagte er und zog die Bäuerin an der Hand der Stelle näher. »Ich hab' das Ding schon eine Weil' betrachtet, es kommt mir nicht recht für. Als ob was Lebendiges im Astwerk wär', gar ein Mensch. Aber es rührt sich nichts. Da hat gewiß einer herüberkrauchen wollen und ist hängengeblieben.«

»Jeß Maria! Nachher ist's mein Lenzerl!« schrie die Bäuerin hellauf.

»Schrei nit so, Weibmensch! Daß er jäh erschrickt und ins Wasser patschen kunnt!«

Aber das Rauschen des Wildbaches sorgte dafür, daß keine menschliche Stimme hinaufdrang. Der Holzknecht war auf die Tanne geklettert, spähte nach dem Wesen im hängenden Stamm und bedeutete der Bäuerin herab, sie solle ruhig sein, er sehe schon, was es sei, er wolle den Vogel bald haben. – Es währte nicht länger als drei Minuten, aber sie waren die qualvollste Zeit, die das Weib je erlebt hatte. Sie sah ihr Kind hundertmal ins Wasser stürzen und davonrinnen und ertrinken. – Ein Holzknecht weiß sich zu helfen bei den Bäumen. Seine Joppe hatte er herabgeworfen, dann stieg er, immer vom Sturme umbraust, von Ast zu Ast die Tanne höher hinan, schwang sich oben auf den herübergefallenen Baum, kletterte an dem schwankenden Stamme hinaus, erfaßte mit fester Hand den Knaben am Arm. Der erwachte und schrie. Seine ins Astwerk verklemmten Glieder loszulösen war nicht leicht – doch es gelang, der Holzknecht brachte den Lenzerl herab und stellte ihn neben seiner Mutter fest auf den Erdboden.

Dieweilen war auch der Bergbauer gekommen, seinem Weibe nach, und war der Franz gekommen, seinem Bruder nach, zu helfen, wenn wo zu helfen wäre. Wo die Brücke abgebrochen war, kamen sie alle zusammen. Und haben unter Dankgebeten den Knaben heimgetragen.

Dann sind sie sehr glücklich beisammengesessen im Bergbauernhause.

»O mein Kind!« sagte die Mutter, »wenn du nicht den Herrn Jesus von der heiligen Kommunion bei dir gehabt hättest, da wär's wohl nicht so gut ausgegangen. Er hat dich heimgeführt. – Und jetzt, Lenzerl, denke ich, du gehst in Gottes Namen schlafen.«

Ehe der Kleine das tat, kniete er in den Wandwinkel hin, faltete die Hände, schloß die Augen und sah vor sich stehen den lieben Herrn Jesus, der in der Kommunion zu ihm gekommen war.

Bald hernach war es im einschichtigen Bauernhause dunkel geworden. Über das Dach dahin brauste der wilde Föhn, der Urwaldstämme bricht und Berge stürzt, aber an dem frommgläubigen Kindesherzen vergeblich rüttelt.

 


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