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Siebentes Buch.
Frühjahr 1855.

Erstes Kapitel.
Der geheime Vertrag.

Paris begann sich bereits mit einer außergewöhnlichen Anzahl von Fremden aus allen Ländern zu füllen, die die bevorstehende Eröffnung der großen Weltausstellung herbeigeführt: jener echt napoleonischen Gaskonade auf den gewaltigen Druck des Krieges, der die Finanzen dreier mächtiger Staaten zu erschüttern begann. Frankreich hatte bereits über 300 Millionen Franken verwendet, eine neue Anleihe war unabweisbar, und der Transport der Truppen allein hatte seit Beginn des letzten Winters über 70 Millionen Franken verschlungen, während England der Unterhalt jedes Mannes im Orient bei der jämmerlichen Verwaltung auf mehr als 200 Pfund Sterling zu stehen kam. Sein Kriegsbudget war in den letzten zwei Jahren von 12 auf 43 Millionen gestiegen. Handel und Gewerbe, die nicht im Kriegsverkehr ihre Quellen hatten, stockten in Frankreich, der gewohnte große Abfluß nach Rußland war gehemmt, die englische Freundschaft wenig einträglich und in Paris unbeliebt, und der Kaufmanns- und Bürgerstand sprach sich ziemlich offen für einen Frieden aus. Die Presse schimpfte im Konzert mit der Times auf Preußen oder illustrierte die ungenügenden Berichte Canroberts, ohne damit die Stimmung zu ändern. Die Lockspeise, welche die Regierung der Bevölkerung von Paris mit jener Ausstellung hingeworfen, gab indes wenigstens Stoff zum Tagesgespräch und zu jenen kleinen Debatten, Prahlereien und Einbildungen, welche der Franzose liebt, und somit jener ernsten Stimmung vorläufig einen Abfluß ... Der Moniteur hatte die Ordonnanz noch nicht gebracht, die die Eröffnung verschob. Um den Industrie-Palast, bei dessen Direktion Prinz Napoleon seine Lorbeeren im orientalischen Kriege vergessen machen sollte, herrschte ein reges Leben und Treiben und im Innern noch die heilloseste Verwirrung, obschon der Tag bereits der 28. April war. Leute aller Stände, Schaulustige, Arbeiter, Aussteller und wichtigtuende Jury-Mitglieder drängten sich nach allen Seiten, und die sonst so luchsäugige Pariser Polizei hatte in dieser Zeit nur eine sehr nachsichtige Kontrolle üben können.

Die Avenue der Champs Elysees entlang, von dem Platz des Ausstellungsgebäudes her kamen zwei Männer, der eine hochgewachsen, alt, mit zwei tiefen, den ehemaligen Soldaten verkündenden Narben über dem Gesicht, in eine alte Militär-Uniform niedern Grades gekleidet; der andere klein, gebückt, mit dichtem, struppigem Haar und stechenden, unruhigen Augen, in gutem bürgerlichen Anzug. Die Männer unterhielten sich in italienischer Sprache, obschon nur wenige der Begegnenden dies bemerken konnten, da sie, ohne aufzufallen, doch so viel wie möglich und abgesondert gingen. – »Sie wissen also gewiß, daß er kommt?« fragte der Kleine. – »Aus derselben Quelle, aus der ich Ihnen vorgestern bereits die entscheidende Nachricht brachte, daß die beschlossene Reise nach der Krim aufgegeben sei. Die Minister hatten eine solche Menge Proteste auf die Beine gebracht, welche das Wohl des Staates an seine Person gefesselt erklären, daß der Rückzug mit Ehren gemacht werden konnte.« – »Man wird bald Gelegenheit haben, sich von der Wahrheit dieser Meinung zu überzeugen!« – »Still,« unterbrach der Ältere diese spöttischen Worte; »die Luft und die Bäume könnten Ohren haben! Sie sind also entschlossen?« – »Wozu jetzt noch ein Zweifel – im letzten Augenblick? Hier, fassen Sie meine Hand und prüfen Sie meinen Puls, ob er wie der eines Mannes geht!« – »Ich meinte nur in betreff der Gelegenheit, Signor Pianori.« – »Nennen Sie mich Liverani, wie ich in meiner Wohnung heiße, es ist sicherer. Die erste Gelegenheit ist die beste, und ich will sie mir nicht entgehen lassen. Wieviel Uhr haben Sie?« – »Es ist ein Viertel über vier – in einer halben Stunde spätestens muß er kommen.« – »Und seine Begleitung?« – »Wahrscheinlich nur ein paar Adjutanten – wie gewöhnlich in kurzer Entfernung einige jener unbeholfenen Dummköpfe von der geheimen korsischen Sicherheitswache, die man gegen die Polizei Pietris eingetauscht. Sie haben also, wenn Sie meinen Rat befolgen, volle Aussicht zu entkommen.« – »Ich trage einen vollständigen hellen Anzug unter diesen dunklen Kleidern, auch eine Kappe.« – »Ihre Droschke wird an der bezeichneten Stelle halten – links vom Chateau des fleurs; die Frau ist entschlossen und wird mit einem weißen Taschentuch aus dem Schlage lehnen. Sie laufen durch die Bosquets. Sind Ihre Waffen in Ordnung?« – »Es ist ein Präzisionspistol mit Doppelläufen übereinander und kostete in London hundertfünfzig Franks. Außerdem habe ich zwei Terzerole in der Tasche und ein Messer im Gürtel – für mich, wenn es mißlingt.«

Ein Arbeiter, in eine Bluse gekleidet, streifte in diesem Augenblick dicht an ihnen vorüber, und der Alte im Soldatenrock winkte seinem Begleiter Schweigen. Erst als der Mann weit genug entfernt war, fuhr er fort: »Dort ist der Triumphbogen und das Chateau – wir wollen scheiden. Im Namen der Unsichtbaren, Bundesbruder, frage ich dich zum letzten Male: bist du entschlossen, deinen Eid zu halten?« – »Ich bin's!« – »So sei der Genius der Freiheit mit dir und führe deine Hand! Leb' wohl, Bruder – was auch dein Los sei, die Krone des Siegers oder des Märtyrers – die Rächer werden dich nicht verlassen!« – Er drückte ihm die Hand und entfernte sich. Sobald er dem Italiener aus den Augen war, wandte er seine Schritte nach der Rue des Challots, erreichte den Boulevard du Banquet und nahm an der Barriere de l'Etoile Platz in einem Kaffeehause, von wo er die Avenue übersehen konnte. – – –

Gegen 5 Uhr kam der Kaiser der Franzosen die breite Allee dahergeritten, nur begleitet von einem seiner Adjutanten, dem Grafen Edgar Ney, und seinem Stallmeister, dem Oberleutnant Valabrègue. Das Gesicht des Mannes, der, wenn auch nicht an Ruhm, so doch unzweifelhaft an Klugheit und Glück noch über seinem großen Oheim steht, war ernst und nachdenklich, denn ein Ministerwechsel stand bevor, und der Abend war zu verschiedenen wichtigen Konferenzen bestimmt. In einiger Entfernung folgte den beiden Reitknechten ein Wagen, in welchem der Chef jener geheimen korsischen Sicherheitswache, Hirevoy, saß, die wie bereits erwähnt, der Kaiser sich selbst gebildet hatte, nebst einem ihrer Mitglieder, Allessandrini. Auf der Höhe des Chateau des fleurs, wo augenblicklich verhältnismäßig wenige Spaziergänger verweilten und nur zwei Arbeiter in der Nähe wie zufällig umherschlenderten, erhob sich von einer der Steinbänke beim Nahen der Reiter plötzlich ein gut gekleideter Mann – derselbe, den wir vorhin mit dem alten Soldaten haben sprechen sehen – und trat mit einer Verbeugung dem Reitweg näher, die Hand in der Brusttasche, gleich als wolle er eine Bittschrift überreichen ... Dies schien auch der Kaiser zu glauben, denn, sein Pferd etwa sechs oder sieben Schritt von dem Mann anhaltend, neigte er sich über den Sattel und streckte die Hand aus, als jener plötzlich ein vierläufiges Pistol aus dem Rock zog und auf den Monarchen feuerte. Die Kugel flog unschädlich vorbei, und der Kaiser fuhr mit der Hand wie schützend nach dem Kopf. Diese Bewegung rettete wahrscheinlich sein Leben; denn der Mörder feuerte das zweitemal – das Pistol über den linken Arm gelegt – zu hoch, und die Kugel streifte nur den Hut des Bedrohten. In diesem Augenblick, ehe der dritte Lauf der Mordwaffe gebraucht werden konnte, warf sich der nächste der beiden Arbeiter, derselbe, der eine halbe Stunde vorher an dem verbrecherischen Paar vorübergegangen war und einige unbestimmte Worte aufgefangen hatte, auf den Italiener und versetzte ihm einen Dolchstich in den Arm. Das Pistol entfiel der Hand. Ein kurzes Ringen entstand, während dessen der Korse Allessandrini aus dem Wagen springen, herbeieilen und die Festnahme des Mörders bewirken konnte. Als dieser sah, daß seine Flucht unmöglich geworden, ergab er sich trotzig in sein Schicksal und ließ sich, von einer schnell sich sammelnden Menschenmenge umringt, binden und von den als Arbeiter verkleidet gewesenen Polizeiagenten in eine Droschke werfen.

Der Kaiser, etwas bleich, sonst aber gefaßt und ruhig, hatte den Männern, die sich auf den Mörder geworfen, zugerufen, den Elenden zu schonen, dann aber ruhig seinen Weg nach dem Boulogner Wäldchen fortgesetzt, wo er die Kaiserin treffen wollte. Erst als die erregte Volksmenge sich um ihn drängte, setzte er sein Pferd in Galopp ... Plötzlich am Triumphbogen hielt er es an und fixierte einen Mann, der an einem Pfeiler der Kettenbarriere stand. Die Nachricht des Attentats war noch nicht bis hierher gelangt, obgleich man in der Ferne den Auflauf in der Avenue deutlich bemerken konnte; dennoch starrte der Unbekannte mit einem gewissen Entsetzen auf den Kaiser, und die tiefe Narbe, die von der linken Schläfe des greisen Gesichts quer über den Schädel lief, glänzte weiß in der Röte der Aufregung, die das Gesicht bedeckte.

Der Kaiser hatte sich zu dem Obersten Ney gewandt und ihm, auf den Mann, der in eine alte Soldaten-Uniform gekleidet war, deutend, einige Worte gesagt, dann aber rasch seinen Weg fortgesetzt. Der Fremde, sobald er bemerkt, daß die Rede von ihm war, kreuzte die Arme und erwartete ruhig die Annäherung des Offiziers, der vom Pferde gestiegen war. – »Ich habe einen Auftrag an Sie, mein Herr,« sagte er artig zu dem Greise, »und bitte Sie, mir einige Schritte zur Seite zu folgen, um die Aufregung nicht zu vermehren.« – »Ich stehe zu Diensten, doch ersuche ich Sie, mir zuvor zu sagen, was jener Auflauf in den Champs Elysees zu bedeuten hat?« – »Es ist soeben ein nichtswürdiges Attentat auf den Kaiser verübt worden, dem Seine Majestät jedoch mit Gottes Hilfe und durch die Wachsamkeit der Polizei des Herrn Balestrino glücklich entgangen ist.« – »Ah! Balestrino,« sagte der Alte mit finsterem Spott, »er ist ein anderer Mann, als diese Korsen. Und was ist aus dem Mörder geworden?« – »Man hat ihn ergriffen und er befindet sich in diesem Augenblick wahrscheinlich auf dem Wege zur Conciergerie.«

Der Greis schwieg einige Augenblicke. »Was – wollen Sie von mir?« – »Der Kaiser, der Sie zu kennen scheint, wünscht Sie zu sprechen.« – »Er hat Sie beauftragt, mich zu verhaften?« – »Nein – er befahl mir bloß, Ihr Ehrenwort als Soldat zu fordern, daß Sie sich heute abend um 10 Uhr bei dem Gouverneur des Invalidenhotels einfinden wollen, von wo man Sie abholen wird.« – »Und wenn ich mich weigere?« – »Dann – allerdings – glaube ich auf meine eigene Verantwortung – aber Seine Majestät haben einen solchen Fall gar nicht vorausgesehen und mir nur aufgetragen, sein kaiserliches Wort für Ihr ungefährdetes Kommen und Gehen zu verbürgen.« – »Ich werde kommen!« – »Ihr Ehrenwort?« – Der alte Soldat sah ihn unmutig an. – »Ihr Vater, der Marschall, hätte an meinem bloßen Ja nicht gezweifelt! – Auf mein Ehrenwort denn als Soldat eines Größern – ich werde zur Stelle sein.« – Er wandte dem Obersten, ohne zu grüßen, den Rücken und entfernte sich langsam. – –

*

Ganz Paris war in Aufregung über das Attentat, die Polizei in Bewegung; das diplomatische Korps, die Minister, die hohen Korporationen mit der Familie des Kaisers waren schon vor seiner Rückkehr in den Tuilerien versammelt, um Glück zu wünschen – bis 10 Uhr dauerte die Flut der Audienzen, ehe der Kaiser zur Ruhe kommen konnte. Der Justizminister hatte noch am Abend seine Aussage aufgenommen ... Im Arbeitszimmer des Kaisers, demselben, worin vor Jahresfrist Kredit, Krieg und Revolution so wichtige Beschlüsse erfuhren, saß der Gebieter Frankreichs, bequem hingestreckt auf einer Chaiselongue, zur Seite einen vergoldeten Gueridon, auf dem mehrere Papiere ihm zur Hand lagen. Der Kaiser rauchte eine Zigarre; zwei Herren mit hohen Ordensauszeichnungen auf dem Frack standen an dem großen Arbeitstisch: Graf Walewski, bisher Gesandter in England, und Persigny, der frühere Minister des Innern. Sie waren bestimmt, ihre Rollen in dem neuen Ministerium zu tauschen.

Die Verhandlung hatte bereits einige Zeit gedauert. – »Eine Ihrer letzten Amtshandlungen, lieber Graf,« sagte fortfahrend der Kaiser, »soll es sein, die Korsen unter Balestrinos Leitung zu stellen. Ich habe mich überzeugt, daß er der geschickteste und tätigste ist.« – »Wann glauben Eure Majestät, daß die Veröffentlichung der Ernennungen erfolgen soll?« – »In fünf oder sechs Tagen. Die Demission Drouin de L'Huys muß erst im Publikum ihre Wirkung tun – augenblicklich verdrängt sie der heutige Vorfall. Die Ernennung Thouvenels für Konstantinopel soll den Anfang machen. Lassen Sie einstweilen nur Layard und Roebuck mit ihrem Sebastopol-Komitee für uns arbeiten. Lord Bourgoyens Zeugnis ist noch kompromittierender als das des Herzogs von Newcastle, und das Spiel wird binnen kurzem in unsrer Hand sein.« – »Oberst Sibthorp,« sagte Graf Walewski spottend, »beabsichtigt Lord Russell über Spezifizierung seiner Wirtshausrechnungen für die Mission nach Berlin und Wien zu interpellieren. Er meint, die Ausgaben für die weibliche Begleitung müßten gestrichen werden.«

Der Kaiser lachte herzlich. – »Diese Sucht unserer geliebten Alliierten, sich zu kompromittieren, kommt uns sehr zu statten. Palmerstons Eigensinn ist die beste Chance, die wir uns wünschen konnten, und ich prophezeie Ihnen, die Friedenskonferenzen werden ihrer Zeit nur in Paris stattfinden. Wann glauben Sie, Graf, daß der neue Schlüssel für die Chiffern in London eintreffen kann?« – »Nicht vor dem 6. oder 7. Mai.« – »Das paßt zu dem Botschafterwechsel. Es ist eine kostbare Idee dieser Engländer – ein einziges Exemplar zurückzuhalten und – so glücklich eskamotieren zu lassen.« – »Und was beschließen Eure Majestät in bezug auf die dadurch bekanntgewordene Absicht der Expedition nach Kertsch?« – »Meine Instruktionen werden zur selben Zeit in der Krim sein, wo Raglans Bericht in London gelesen werden kann. Canrobert oder –« er schwieg einen Augenblick und überging das Wort, »wird demnach vollkommen Zeit haben, seine Maßregeln zu treffen. Lieber will ich die Russen wahrhaftig am Bosporus dulden, als eine englische Festung am Eingange des Asowschen Meeres. Bei der Gelegenheit fällt mir ein: die Anordnungen wegen der ausschließlichen Beförderung der Briefe nach und aus der Krim durch die Post sind doch wiederholt und werden streng beobachtet? Wir sind nicht solche Narren wie die Engländer, uns selbst zu kompromittieren, und die gestrigen Listen unserer Verluste und der Gefangenen, die wir seit Beginn des neuen Bombardements erfahren und gemacht, lauten wenig günstig.« – »Die Lagerpolizei ist sehr aufmerksam, und die Kapitäne aller Transportschiffe haben strenge Instruktionen, Sire ... Man täuscht sich übrigens im Publikum wenig über den Zweck der Anordnung, und die Post hat manchen Spott zu erleiden. Die alte Herzogin von Beaufrémont z. B. gibt alle ihre Briefe nur mit einer Nadel zugesteckt auf die Post und schreibt darunter: Remettez l'épingle, s'il vous plait!« Bitte, gefälligst die Nadel wieder anzustecken. – »Lassen Sie dem Faubourg Saint-Germain den Spaß! dergleichen Beschäftigungen unterhalten dort und schaden mir herzlich wenig. Wirken Sie nur für Beschleunigung des Besuches der Königin Viktoria, Persigny; ich will den Parisern für die 750 Millionen Franken der neuen Anleihe wenigstens ein Schauspiel geben, während die Regierung Ihrer Majestät für 16 Millionen Pfund nichts tut, als Stoff für Blamagen aus der Krim zu liefern.« – »Sire, Sie sind heute bei Humor!«

Der Kaiser lächelte mit feinem Spott ... »Bah! glaubst du, die Affäre aus den Champs Elysees habe mir den Appetit verdorben? Frankreich muß heute empfunden haben, wieviel an meiner Person liegt – und dieser Bericht Pietris über des Nichtswürdigen Vergangenheit und Herkunft beruhigt mich über die einzige Besorgnis, die ich aus dem seltsamen Zusammentreffen hätte ziehen können.« – »Ich verstehe Eure Majestät nicht?« – »Der Botschafter muß seine Wißbegierde schon für London aufsparen, wo sie mir hoffentlich recht gute Dienste leisten wird; für heut genug, meine Herren! Sie, lieber Graf, habe ich noch um einen vertraulichen Dienst zu bitten ... Bleiben Sie nur, Persigny, es ist kein Geheimnis! Wissen Sie, wen ich heute am Triumphbogen wiedererkannt habe?« – »Ich bin begierig, Sire!« – »Unsern Bekannten aus dem Invalidendom – vor zwei Jahren.« – »Dem die ganze Polizei so lange vergebens nachspürte? Und Eure Majestät ließen ihn nicht verhaften, zumal sein Erscheinen offenbar in Rapport zu dem Mordanfall steht?« – »Lieber Freund,« sagte der Kaiser mit dem vorigen geheimnisvollen Lächeln, »es sind wahrscheinlich gegenwärtig viele merkwürdige Fremde in Paris, ohne daß sie gerade mit Herrn Pianori in Verbindung stehen. Doch ist meine Absicht eben, mich in dem vorliegenden Falle davon zu überzeugen, auch ohne daß ich in die Funktionen meiner Polizei eingegriffen habe. Ich bitte Sie, von hier sich zu dem Gouverneur der Invaliden zu begeben; Sie werden den Mann, von dem wir eben gesprochen, dort finden, sofern ich seinen Charakter recht beurteile, ihm dieses Papier geben« – er warf rasch einige Worte auf ein Blatt – »und ihn hierher führen. Ney ist anderweitig beschäftigt, und Sie sind ihm bekannt.« – »Und was soll ich mit ihm tun?« – »Sie führen ihn hierher – durch die Terrasse du Bord und den Pavillon Marsan. André wird Sie dort abholen. Sie bleiben dann im blauen Salon im Bereich meiner Stimme. Adieu bis dahin!«

Die beiden Minister zogen sich zurück. Der Kaiser blieb einige Zeit allein, bloß mit seinen Gedanken beschäftigt und mit den Augen den Zeiger der großen Uhr auf dem Kamine, ein Meisterwerk Delacours, verfolgend. Mit dem Schlage halb elf hörte man ein Kratzen an der mittlern, durch eine schwere Portiere bedeckten Seitentür, die der Kaiser sogleich selbst aufschloß ... Zwei Männer traten herein: der eine war Graf Ney, der andere ein zierlich gebauter Mann von etwa 28 bis 30 Jahren in einem einfachen Zivilanzug. – Der Kaiser erwiderte die Verbeugung des Unbekannten und sagte dann zu seinem Begleiter: »Verlassen Sie uns, lieber Graf, und verhindern Sie jede Störung, bis ich Sie rufe.« – Der Adjutant verließ das Gemach, der Kaiser selbst schloß hinter ihm die Tür und ließ die Portiere fallen. Dann wandte er sich zu dem Fremden und sagte einfach: »Wir sind allein, mein Herr!«

Einige Augenblicke betrachteten beide Männer einander mit offenbarem Interesse. Der Fremde war, wie gesagt, fein gewachsen und jung, seine Gesichtsbildung hatte den tatarischen Ausdruck in edleren Formen; das durch eine Brille bedeckte feurige Auge verkündete Mut und Energie und eine Falte zwischen den Brauen einen gewissen Zwang, den er sich antat. Seine Manieren gehörten sichtbar der besten Gesellschaft, doch war seine Haltung frei von jenem Zwange und jener Devotion, die gewöhnlich die Nähe des Trägers einer Krone auferlegt.

Indem der Kaiser nach seinem früheren Platze zurückging, nahm er zwei kleine, in englische Leinwand gebundene Bücher aus seiner Handbibliothek und legte sie neben sich auf die Causeuse. Sein Benehmen gegen den Fremden war übrigens artig, wie das eines feingebildeten Privatmanns bei einer Konversation, nicht wie die Haltung des mächtigen Monarchen bei Erteilung einer Audienz. Mit einer Handbewegung nach einem danebenstehenden Lehnsessel einladend, sagte er höflich: »Ich bitte, nehmen Sie Platz, unsere Unterhaltung kann vielleicht lange dauern. Hoffentlich haben Sie alle Anordnungen für die Geheimhaltung dieser Audienz Ihren Wünschen entsprechend gefunden?« – Der Fremde verneigte sich ... »Eure Majestät sind meiner – Bitte auf das freundlichste entgegengekommen, und ich danke dafür, Majestät!« ... Das Wort »Majestät« schien wie durch Zwang unwillig über diese stolz aufgeworfenen Lippen zu kommen, und ein dunkles Rot überschoß das Gesicht des Sprechenden, als er den leisen Triumph bemerkte, der einen Augenblick lang um den Mund des Napoleoniden zuckte.

»Sie haben den Auftrag,« sagte der Kaiser, »die vertraulichen Unterhandlungen zu Ende zu bringen, die nach dem Tode des Kaisers Nikolaus, meines Herrn Bruders Liebden in Petersburg wegen des künftigen Friedensschlusses mit mir im geheimen eröffnet hat. Sie werden höchst wahrscheinlich – da mir die Bürgschaft Ihrer unbekannten Person fehlt – eine Vollmacht besitzen?« – Der seltsame Unterhändler überreichte ein Blatt, das der Kaiser auseinander schlug. Es enthielt nur die Worte:

» Pleins pouvoirs!
Alexandre.
«

Der Herrscher der Franzosen machte eine zustimmende Bewegung mit dem Kopfe, gab das Blatt zurück und sagte: »Dies genügt vollständig. Kommen wir zur Sache.« – »Die Chancen des Krieges in der Krim stehen in diesem Augenblick günstiger für uns als bei Beginn des Feldzugs. Wir haben eine starke Festung und eine zahlreiche, entschlossene Besatzung, wo wir früher nur eine unvollständige Verteidigung hatten. Ihre Armee, Sire, hat bei allem militärischen Ruhm, mit dem sie sich durch ihre Ausdauer bedeckt, doch während des Winters viel gelitten. Ihre Belagerungsarbeiten haben nur geringe Fortschritte gemacht.« – »Ich täusche mich nicht darüber, doch habe ich einen mächtigen Verbündeten!« – »Welchen, Sire? ... England? ... Sardinien?« Die Frage klang voll bittern Hohnes. – »Nein, mein Herr! aber das Frühjahr und nötigenfalls noch den Sommer!« »Wir haben die gleiche Chance, obschon ich zugeben will, daß der Winter unser besserer Alliierter war. Die Werke Sebastopols – – –«

Der Kaiser, der mit den Almanachs spielte und sie wie zufällig durchblätterte, unterbrach ihn lächelnd: »Lassen wir das alles! Das war Sache der Präliminarien, und wir haben Wichtigeres. Ich will mit Offenheit Ihnen vorangehen und aussprechen, daß ich den Frieden so gut brauchen kann, wie Rußland.« – »Sire, Sie erklärten den Krieg!« – »Ich habe dem Kaiser Nikolaus den Krieg erklärt, nicht dem Kaiser Alexander. Ich brauchte damals den Krieg, denn es galt, meinen jungen Thron zu befestigen. Jetzt gilt es, meiner Nachkommenschaft diesen Thron auch zu sichern. Das kann die Diplomatie besser als der Krieg. Sie sehen, ich bin aufrichtig.« – »Euer Majestät danke ich dafür. Was Rußland dazu tun kann ...« »Nein, mein Herr, das sind vage Versprechungen. Ich muß die ganz bestimmte Erklärung haben, daß Rußland die Bourbonen für alle Zeit fallen läßt. Mit den Orleanisten und den Republikanern werde ich schon allein fertig. Das einzige, was meiner Familie entgegenstehen kann, ist die Tradition – und mit dieser muß Rußland freiwillig – merken Sie wohl – freiwillig und offen brechen, wenn ich meinerseits Opfer bringen soll.«

Der junge Unterhändler schwieg. Auf seiner kräftigen Stirn lagen schwere Wolken. – »Die Romanows,« fuhr der Kaiser streng fort, »haben ebensogut ihren Anfang gehabt wie die Bonapartes. Ich bin nicht einmal der erste, sondern bereits das dritte Glied meines Hauses auf dem Throne. Sie werden mir zugestehen, daß die Bourbonen ihre Glanzzeit überlebt und ihre Restauration nicht haben aufrecht halten können. Dies würde auch künftig der Fall sein. Die Orleans sind ein Geschlecht von Unruhestiftern und Gelegenheits-Spekulanten. Sie haben also keine Bürgschaft für die Zukunft, als in mir; und wenn je ein Mann das Wort wahr gemacht, daß er mit der Revolution gebrochen, so bin ich es!« – »Eure Majestät legen, ich erkenne es im Namen meines Gebieters an, die Notwendigkeit klar dar, aber nicht die Mittel.«

»Hören Sie mich an! Ich fordere keine Erniedrigung der legitimen Höfe von Europa, wie es mein Onkel törichterweise, um seinem Stolze zu schmeicheln, tat; aber ich fordere anerkennendes Entgegenkommen. Ich wiederhole Ihnen, die Person des Kaisers Nikolaus war dasjenige Element, welches meinen Ansprüchen in Europa bisher entgegenstand. Er war es, der den Weg, den ich zur Einbürgerung meiner Rechte versuchte, abschnitt. So lange er lebte und unbesiegt war, blieb ich ein geduldeter Emporkömmling und in zweiter Reihe. Gott selbst hat entschieden und Rußland die neue Auffassung der Zeit leicht gemacht. Ich bin kein Eroberer, wie mein Onkel, ich will nicht in Europa gefürchtet, aber ich will gesucht und nötig sein. Wir werden den Frieden schließen unter Bedingungen, die für unsere beiderseitige Stellung notwendig und nützlich sind. Dann wird die Zeit neuer Bündnisse und diplomatischer Konjekturen eintreten. Die erste Notwendigkeit hierzu war die Sprengung der sogenannten heiligen Allianz.« – »Sie ist faktisch bereits tot – durch Österreichs Dankbarkeit.« – »Ja, aber Rußland muß sich verpflichten, auch nicht einmal für die Herstellung des Scheines etwas zu tun.« – »Unsere Staatsmänner haben die erste Forderung Eurer Majestät erkannt, und Rußland verpflichtet sich dazu.« – »Das ist mir lieb. Es wird, um der allgemeinen Stimme willen, notwendig sein, daß bei dem Friedensschluß Rußland einige Konzessionen am Schwarzen Meere macht, vielleicht die Abtretung einer unwesentlichen Landesstrecke zur sogenannten Regulierung der Grenze und der Donaumündung. Wir sind die letztere Österreich schuldig für seine Rolle, werden aber dafür sorgen, daß es keinen festen Fuß am Schwarzen Meere faßt. Das Protektorat der Donau-Fürstentümer wird unter die gemeinsame Diplomatie gestellt.« – »Das ist ein wichtiger Verlust für Rußland.« – »Eine bloße verführerische Gelegenheitsmacherei. Nach dem Verlust Ihrer Flotte und Arsenale im Süden ist Ihnen die Sache ohnehin nutzlos.« – »Aber unsere Flotte ist noch nicht verloren!« Das Auge des Russen blitzte stolz und feurig. – »Sie ist es; – wir können natürlich nicht über den Bosporus wieder zurückgehen, bevor die russische Flotte zu existieren aufgehört. Übrigens ist sie ja zur Hälfte bereits vernichtet. Doch das wollen wir später erörtern.«

Der junge Diplomat sagte langsam und feierlich: »Wir sind bereit, unsere Angriffsstellung im Süden zu opfern, natürlich unter Vorbehalt unserer Rechte bei einer künftigen Regulierung der türkischen Frage – aber unter der Bedingung, daß England keine weiteren Erwerbungen am Mittelmeere macht und nicht am Schwarzen Meere festen Fuß faßt.« – »Ach, dafür lassen Sie mich sorgen; Sie werden in kurzem ein Pröbchen davon hören, wie ich meinen spekulierenden Verbündeten in Ihrem Interesse auf die Finger sehe! Möge Rußland zusehen, wie es sich den Weg nach Indien bahnt und sich nach China ausdehnt; ich werde gar nichts dawider haben. Asien ist das Land der nächsten fünfzig Jahre.« – »Sire! Ich will Ihre Offenheit erwidern ... Sie wünschen das Mittelmeer?« – »So ist es! und es ist nicht mehr als billig, daß Frankreich dort herrscht. Seine natürliche Lage berechtigt es dazu, und ich hoffe es noch zu erleben, daß jeder kecke Eindringling auf sein natürliches Gebiet zurückgewiesen wird. Sie taten recht, mein Herr, geradezu auf den Hauptpunkt unserer Verständigung loszugehen. Hier ist das Bündnis für Rußland und Frankreich. Vorläufig verlange ich nur, daß Sie meine Politik und meine Festsetzung in Italien nicht beschränken, ich werde dafür mit Ihnen in der dänischen Frage Hand in Hand gehen. Dies sprengt das österreichisch-englische Bündnis, und Preußen in Schach zu halten ist Ihre Sache.« – »Wir sind einverstanden. Preußen ist ein Staat, dessen Hauptaufgabe seine innere Entwickelung und seine Verteidigung gegen Österreich bleibt.« – »Dies erkenne ich an und wünsche dringend mit ihm ein freundliches Verhältnis. Weiter können wir uns nicht viel nutzen, doch muß ich darauf bestehen und dafür sorgen, daß es nach dem Frieden sich der Anerkennung meiner Berechtigungen anschließt. Die öffentlichen Friedensverhandlungen müssen natürlich in Paris stattfinden.« – »Sollte nicht Brüssel oder Berlin ...« – »Nein, mein Herr ... keinen Rückzug! Das ist das erste und natürlichste Zeichen jener Anerkennung und Sicherung, die eben unser Hauptbedingnis ist.« – »Wir überlassen Euer Majestät die Wahl.« – »Und nun, da wir mit der Zukunft fertig sind, lassen Sie uns zur Regelung der Nebenfragen übergehen: ich meine die ehrenvolle Beendigung des Krieges und die Entscheidung über Sebastopol.« – »Sire, Sie werden nichts verlangen, was die Waffenehre Rußlands beleidigt! Wir wünschen den Frieden, aber wir sind nicht besiegt, und – ich muß es wiederholen, – Sebastopol ist fester denn je!«

Der Kaiser sann eine Weile nach ... »Die Verständigung ist vom militärischen Standpunkt aus schwieriger als vom politischen. Sie sind wahrscheinlich selbst Offizier oder haben doch gedient?« – »Ja.« – »So werden Sie desto leichter einsehen, daß ich die Armee schonen muß. Sie kann ohne einen Erfolg oder eine große Niederlage nicht zurückkehren, und die letztere würde alle unsere diplomatischen Pläne vernichten oder in weite Ferne schieben. Der Franzose lebt von der gloire, und ich darf die Armee nicht verletzen. Vielleicht eine ehrenvolle Kapitulation?« – »Sire, Sie haben die britische und türkische Armee zu Alliierten!« – »Ei! die könnte man sich vom Halse schaffen – geben Sie den Burschen in Kleinasien eine Lektion! Dort ist mir Ihr Sieg ganz recht. Doch machen Sie selbst einen Vorschlag! Sie werden ohne einen solchen nicht hierher gekommen sein.« – »Lassen Eure Majestät uns den Kampf um Sebastopol gleich einem Turnier des Mittelalters betrachten! Welches dann auch der Ausgang sei, die politischen Folgen sind durch die eben erfolgte Verständigung über die Zukunft geregelt; – unsere Armeen kämpfen nur noch um die Ehre. Eure Majestät mögen selbst den Zeitpunkt bestimmen, bis zu welchem Tage dies Turnier dauern soll. Jeder tue das mögliche für den Ruhm seiner Waffen. Die Einnahme der Südseite oder der von Ihnen festgesetzte Termin endet den Kampf und läßt einen Waffenstillstand eintreten, währenddessen der Friede geschlossen wird. Auch im Fall das Glück uns begünstigt, wird Sebastopol ein Schutthaufen und – ich gestehe es zu – unsere militärische Herrschaft auf dem Schwarzen Meere für längere Zeit vernichtet sein. Man stampft weder Arsenale, noch eine Flotte, noch ihre Equipage aus den Gräbern.«

Das Auge des jungen Mannes mit dem stolzen ernsten Gesicht schaute finster und voll Schmerz – es war, als läge diese stolze Flotte, diese Riesenschöpfung nicht auf dem Grunde des Meeres, sondern in der Tiefe seines Herzens begraben ... Es folgte eine Pause. Endlich schrieb der Kaiser einige Worte auf ein Blatt und reichte es dem Unterhändler ... »Ist Ihnen dieses Datum genehm?« – »Ja, Sire, obgleich alle Chancen dann für Sie sind. Überlebt Sebastopol diesen Tag, so wäre es – ja, es wäre Wahnsinn, Ihre brave Armee noch einem Winter, wie der vorige war, auszusetzen. Der Waffenstillstand beginnt demnach auf jeden Fall von diesem Tage an?« – »Ich bin es zufrieden! Wenn Sebastopol fällt, selbst im Sturm, sollen sich Ihre Truppen unangefochten zurückziehen dürfen. Wir werden den Sieg nicht verfolgen.« – »Ich danke Ihnen, Sire, obgleich ich hoffe, daß er auf unserer Seite sein wird. Die Einschiffung der Franzosen wird von uns durch keine Feindseligkeit gefährdet werden.«

Beide Parteien lächelten unwillkürlich bei diesem Wettstreit des Nationalstolzes ... »Ihr Turnier, mein Herr, wird Ströme von Blut kosten. Können wir auch die Menschenleben verantworten?« – Der Russe sah ihn erstaunt an ... »Elihu Burritt, Sire, ist ein Narr. Fürsten können keine Philanthropen sein, wie teilnehmend auch ihr Herz dem einzelnen Leiden schlägt. Die Armeen der Könige sind die Aderlaßmesser der menschlichen Gesellschaft. Wir Russen machen Politik mit den Soldaten, nicht um der Soldaten willen.« – »Sie sprechen kühn,« sagte der Kaiser, indem er sich erhob, »und sind überhaupt ein seltsamer Unterhändler, mit dem man sehr rasch zu Ende kommt. Walewski und Nesselrode hätten sicher zu dem, was wir in einer halben Stunde erreicht, Monate gebraucht, was allerdings wahrscheinlich noch mehr Blut gekostet hätte. Doch – wir haben bei alledem einen Hauptfaktor ganz außer Spiel gelassen – Seine Herrlichkeit Lord Palmerston und meine intimen Verbündeten!« – »Eurer Majestät Flotte – ich mache Ihnen mein Kompliment über Ihre Marine – und die russische hätte vereint England vom Erdball peitschen können! Eure Majestät mögen es mit England einrichten nach Ihrem Belieben. Wir unterhandeln mit Frankreich.«

Ein selbstzufriedenes, stolzes Lächeln lag auf dem Gesicht des französischen Herrschers ... »So wären denn alle Punkte geordnet! Aber in welcher Form wünscht Seine Majestät Kaiser Alexander einen Austausch unserer Stipulationen?« – »Sire, mein – der verewigte Kaiser hat uns die Lehre von dem blauen Buch hinterlassen. Mein Souverän ist zufrieden mit dem Versprechen Euer Majestät, das ich die Ehre habe, hiermit anzunehmen. Ich habe Ihnen freilich dagegen nichts zu bieten, als eben diese Vollmacht.« – »Ihr Wort genügt mir gleichfalls,« sagte sein Gegner artig. »Es soll mich freuen, Eure Kaiserliche Hoheit nach geschlossenem Frieden offiziell in Paris zu empfangen und das bewiesene Vertrauen dann zu vergelten.« – »Sire – –«

Der Herrscher Frankreichs überreichte dem überraschten Gast das kleine Buch, in welchem er mehrfach geblättert, aufgeschlagen an einer der ersten Seiten, indem er zugleich die Feder der Glocke drückte. Es war der Gothaische Almanach vom Jahre 1850. – Die Tür hinter der Portiere öffnete sich augenblicklich, und Oberst Ney trat ein ... »Leben Sie wohl,« sagte der Kaiser, indem er seinem Besuch die Hand reichte, »und reisen Sie glücklich. Ich hoffe, das Turnier fällt zu unserer beiderseitigen Zufriedenheit aus, und wir sehen uns recht bald wieder. Lieber Graf, Sie werden die Gefälligkeit haben, sich ganz zur Disposition – dieses Herrn zu stellen.« – Er geleitete den Besuch, der seit jener Anrede ein bedeutsames Schweigen beobachtet hatte, mit auffallender Artigkeit bis an die Schwelle des Gemachs. Als er zurückkam, warf er sich auf die Ottomane und bedeckte, tief aufatmend, das Gesicht einige Augenblicke mit der Hand. Als er sie zurückzog und wie an jenem Abend – vor Jahresfrist – vor das Porträt seines Oheims trat, war sein Antlitz marmorfest in den stolzen Zügen, und das Auge ruhte mit einem gewissen selbstzufriedenen Hohn auf dem Bilde. – »Die Sühne ist gebracht, – meine Schuld an dich abgetragen, die Beleidigung, die mir selbst geworden, getilgt ... Jetzt kommt die Zeit, die mein allein ist!«

Der Kaiser schritt gedankenvoll einige Male auf und nieder ... »Ich bin müde von all dem,« sagte er endlich, »und muß zu Ende kommen. Sehen wir, ob Walewski meinen Mann gefunden hat.« Er klatschte in die Hände, und sein vertrauter Kammerdiener Andrée trat sogleich durch die entgegengesetzte Tür ein. – »Ist der Graf im Salon – allein oder in Begleitung?« – »Seine Exzellenz harren seit einer Viertelstunde. Es ist ein alter Herr bei ihm.« – »Laß beide eintreten!«

Der Gebieter hatte wieder auf der Causeuse Platz genommen, der große Arbeitstisch trennte ihn von den Eintretenden, die keine andern waren – als Graf Walewski und der Mann, den der Kaiser am Triumphbogen getroffen, diesmal in einer seinem Alter entsprechenden vornehmen Zivilkleidung, mit dem Kreuz der Ehrenlegion geschmückt.

»Ich danke Ihnen, mein Herr, daß Sie Wort gehalten haben,« sagte der Kaiser. »Es ist lange her, daß wir uns nicht gesehen. Dennoch erkannte ich Sie sogleich – trotz der Verkleidung. Beabsichtigen Sie auch jetzt noch, Ihr Inkognito beizubehalten?« – »Sire – ich bin Graf Lubomirski, Eskadronchef der polnischen Lanciers unter Ihrem Oheim, zuletzt Oberst in der Armee der polnischen Republik.« – »Ah! ich kenne den Namen, einer der Helden von Somosierra mit Niegolewski – wenn ich nicht irre?« – Der Greis verbeugte sich ... »Mein Herr,« fuhr jener fort, »unsere Bekanntschaft ist seltsamer Art, und ich gestehe Ihnen offen, daß ich es bedaure, einen Mann Ihres Namens in Verhältnissen und Verbindungen zu treffen, deren Natur nur geheimnisvoll und verbrecherisch sein kann. Dennoch habe ich Vertrauen zu Ihnen und habe Sie unter Verpfändung meines Ehrenwortes zu dieser zweiten Zusammenkunft eingeladen, um einige Fragen und eine Mitteilung an Sie zu richten.« – »Sire – meine Anwesenheit zeigt Ihnen, daß ich Ihnen antworten werde – so weit es mich betrifft – aber nur, – wenn ich die Ehre einer geheimen Audienz habe.« – »Ich bat Sie schon früher, lieber Walewski – –« »Eure Majestät verzeihen – aber ich muß mich weigern, Sie mit einem Manne allein zu lassen, der zu dem Bunde Ihrer gefährlichsten Feinde gehört.« – »Der Herr war Offizier meines Oheims,« sagte der Kaiser ruhig, »Sie hörten es selbst, lieber Graf; ich entbinde Sie aller Verantwortung und nehme diese auf mich. Bleiben Sie im Nebenzimmer!«

Der Minister entfernte sich schweigend, nicht ohne noch einen besorgten Blick auf den Polen geworfen zu haben ... Der Gebieter Frankreichs und der Sektionschef der revolutionären Propaganda waren allein. Erst nach einigen Augenblicken brach der erstere des Schweigen ... »Sie sind ein Mitglied der sogenannten Marianne oder vielmehr des Bundes der Unsichtbaren?«

Ein spöttisches Lächeln zuckte unter dem grauen Schnurrbart des Polen ... »Euer Majestät sind gut unterrichtet durch den Baron Riepéra.« – »Sie haben das unbedingte Versprechen Ihrer eigenen Sicherheit in der Hand. Wollen Sie mir deshalb aufrichtig eine sonst gefährliche Frage beantworten?« – »Ich erklärte mich schon bereit dazu – da es ohnehin wohl die letzte Unterredung sein wird, mit der Eure Majestät mich beehren.« – »Das wird von Ihnen abhängen,« bemerkte der Kaiser, ohne auf den Doppelsinn zu achten. »Sagen Sie mir offen und ohne Besorgnis: wußten Sie um den heutigen Mordanfall gegen mich?« – »Ja, Sire!« – »Also doch – ein politisches, wohlüberlegtes Attentat, nicht der Wahnsinn eines einzelnen! Das ist abscheulich!« – »Sire – Sie sind uns im Wege – Sie haben sich aus unserer Stütze zu unserm Herrn gemacht! Sie, der Republikaner auf dem Throne, sind der bitterste Feind der sozialen Republik geworden – Sie müssen sterben, Sire!« – »Alter Tor! wissen Sie nicht, daß das Leben der Männer, die Gott auf einen Thron gesetzt, vor allen andern unter seinem Schutz steht?« – »Aber die Königsmörder, Sire, sind oft die Rächer in der Hand Gottes.« – »Das ist Blasphemie! Hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe, und hinterbringen Sie es den Häuptern Ihrer Verbindung, wenn Sie nicht, wie ich vermute, selbst eines – bitte,« unterbrach er sich, denn der Graf war dem breiten Tisch einen Schritt näher getreten – »bleiben Sie an Ihrem Platz! ich wünsche nicht eine allzu große Nähe. Also hören Sie oder berichten Sie jenen meinen festen Entschluß! Ich habe nicht Lust, meine Person politischen Fanatikern oder Schurken länger zur Zielscheibe dienen zu lassen, weil ich ihren Plänen unbequem geworden bin. Ich erkenne an, daß die revolutionäre Propaganda so gut eine bestehende Macht ist, wie die legitimen Throne oder die Throne de facto, mit der man unterhandeln kann. Möge sie daher England, Italien, Ungarn – meinetwegen auch die Türkei zum Schauplatz ihrer Tätigkeit machen – ich werde sie gewähren lassen und bewillige ihr ausdrücklich dies Feld. In Frankreich aber dulde ich sie nicht mehr, in Frankreich bin ich Herr, ich allein! Ich habe sie mit offenen Waffen bisher bekämpft, aber ich schwöre Ihnen, bei dem geringsten Versuch von Meuchelmord, der noch einmal gegen mein Leben oder ein Leben der Familie Napoleon gemacht wird, soll Cayenne ein Eldorado sein, und ich will sie verfolgen wie giftiges Gewürm bis in die geheimsten Schlupfwinkel. Also persönliche Sicherheit bei allem Prinzipienkampf, oder ein Vertilgungskrieg aufs äußerste!«

Das Gesicht des Herrschers war dunkel geworden bei den heftigen, entschlossenen Worten – der alte Propagandist aber hatte ihnen anscheinend unbewegt zugehört ... »Jetzt, mein Herr,« fuhr der Kaiser fort, »ist der Zweck erledigt, weshalb ich Sie hierher bemühte. Ich wollte sicher sein, daß meine Worte, mein Entschluß zuverlässig zu den Leitern jener Bündnisse kämen, und benutzte den Zufall, der mich Ihnen endlich wieder begegnen ließ. Gehen Sie also zurück nach England, woher Sie mit dem feigen Meuchler gekommen und wo Lord Palmerston Ihren Freunden seinen Schutz gewährt. Sie haben mein Geleit, und niemand wird Ihre Abreise hindern. Aber hüten Sie sich, zurückzukehren nach Frankreich, – um der Erinnerungen von Somosierra willen wünsche ich dies, Herr Graf!« – »Sire, ich komme nicht aus England!« – »Woher sonst? – Diese Ermittelungen der Polizei« – er zeigte auf ein Papier – »ergeben bereits, daß der Mörder, ein Italiener, ein ehemaliger Genosse Garibaldis, erst vor acht Tagen aus England gekommen ist.« – »Ich widerspreche dem nicht – ich jedoch, Sire – komme direkt aus Rußland.«

Der Kaiser fuhr empor. – »Aus Rußland, sagen Sie? – das ist seltsam! wäre es möglich?« – »Sire – es wird Ihnen beweisen, daß Sie mit einigen Präsumtionen unrecht haben. Von wem Pianori ausgeschickt ist, mögen Ihre Gerichte ermitteln – wenn sie es im stande sind. Ich aber kann Ihren Auftrag an die Häupter der freien Verbindungen nicht ausführen, sondern lege den Schutz, den mir Ihr eigenhändiger Schutz gewährt, in Ihre Hände zurück. Sie werden mich auch nicht wiedersehen; denn, Sire, es gibt noch einen andern wichtigen Grund, weshalb – –« er legte das Papier, das Graf Walewski ihm übergeben, auf den Tisch – plötzlich fuhr er zurück – der entschlossene, finstere Ausdruck des narbigen Gesichts verschwand in einer unendlichen Angst. –

Der Kaiser hatte sich halb erhoben und die Linke an die Feder der Glocke gelegt, während die rechte Hand einen Gegenstand zwischen den Kissen der Causense erfaßte. – »Was beabsichtigen Sie, mein Herr? – hüten Sie sich!« – »Halten Sie ein, Sire – um Gottes willen – verzeihen Sie diese Indiskretion, aber – ich sehe hier einen Namen – ich beschwöre Sie, wie kommt der Name dieses Knaben in Ihr Kabinett?« – Er hatte ein Papier, auf das neben der Stelle, an die er jenes Blatt niedergelegt, zufällig sein Auge gefallen war, aufgerafft und hielt es zitternd dem Kaiser hin – große Schweißtropfen brachen aus seiner Stirn. – »Es ist die letzte Liste der russischen Offiziere,« sagte dieser kalt, »die in den nächtlichen Gefechten seit Wiederbeginn des Bombardements vor Sebastopol zu Gefangenen gemacht wurden. Interessiert es Sie, so lesen Sie immerhin.« – »Sire« – der Greis taumelte nach der Lehne eines Sessels und stützte sich darauf, noch immer das Papier fest in der Hand – »erlauben Sie – aber ich bin ein alter Mann, und was mir soeben begegnet, hat mich überwältigt.«

Er unterlag sichtbar der höchsten Aufregung. Der Kaiser war freundlich näher getreten und nötigte ihn zum Sitzen. – »Nehmen Sie Platz, Herr Graf! Vielleicht haben Sie auf der Liste einen Ihnen bekannten Namen gefunden?« – »Es ist der Name meines Enkels Michael Lasaroff – Fähnrich; – Sie – Sie sagten vorhin mit Recht, Gott bewahre das Leben derer, die er auf einen Thron gesetzt! Der Name dieses Knaben hat Ihr Leben gerettet – denn in diesem Augenblicke schon hätte Frankreich keinen Herrn gehabt!« – Der so seltsam bedrohte Monarch konnte allerdings ein Gefühl des Schauders und Widerwillens nicht unterdrücken, doch gewann er sogleich die Fassung wieder und entgegnete: »Sie fiebern, Herr Graf – und schreiben sich eine Absicht zu, an die ich zu Ihrer eigenen Ehre nicht glauben kann.«

»Nein, Sire,« sagte mit festem Tone der alte Propagandist, »was ich sage, ist Wahrheit; nicht die Beschlüsse der republikanischen Gesellschaften allein drohten Ihnen den Tod – Ihr Leben war einem entschlossenen Manne notwendig, um das Teuerste zu retten, was er besitzt. Ihr Tod hätte die Belagerung von Sebastopol beendigt, auf dessen Wällen mein Enkel als Verteidiger stand. Gott hat es anders gewollt; als Gefangener der Franzosen ist sein Leben gesichert – machen Sie also mit mir, was Sie wollen!« – Der Kaiser ging einige Male in dem Kabinett auf und ab und schien einen Entschluß zu überlegen. Dann blieb er vor dem Polen stehen und sagte: »Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, daß mein Wort gültig bleibt. Wollen Sie jetzt meinen Auftrag an die Führer Ihrer Verbindungen ausrichten? – ich biete Ihnen Leben für Leben.« – »Wenn ich Eure Majestät recht verstehe,« sprach erschüttert der Greis, »so bin ich überwunden. Gott hat zu mir gesprochen! Ich stehe zu Ihrer Verfügung, wie ich einst der Soldat Ihres großen Onkels war. Sie werden nichts von mir fordern, was nur ein Riepéra leisten konnte.« – »Ich bin damit einverstanden und freue mich dieses Resultats. Der Auftrag, den ich Ihnen gegeben, muß von Ihnen persönlich ausgeführt werden; ich verlange nicht zu wissen, wo und wie, aber die Sache selbst ist für mich zu wichtig. Sobald dies geschehen, mögen Sie nach der Krim abreisen; ich brauche eine Person für die Ausrichtung von Aufträgen dort, die ich keinem Offizier meiner Armee anvertrauen will. Eine offene Order wird Sie ermächtigen, über die weitere Gefangenschaft und das Schicksal Ihres Enkels selbst zu verfügen.« – »Sire, zählen Sie auf mich! eine Festung für ihn, bis der Krieg zu Ende ist!« – »Arrangieren Sie das, ganz wie Sie wollen, Herr Graf ... Gehen Sie jetzt, denn ich bedarf der Ruhe – ich behalte ein Pfand, daß ich Sie bald wiedersehe. Wenn Sie eine geheime Audienz wünschen, so wenden Sie sich an meinen Kammerdiener Andrée.«

Er gab das Zeichen, und der Minister, der es mit Besorgnis längst erwartet hatte, öffnete sogleich die Tür.


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