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Zwölftes Capitel.

Mitternacht war längst vorüber, als Charles sich endlich von seinem Großvater trennte und die Wendeltreppe hinaufstieg, um nach den tiefen, bedeutungsreichen Aufregungen dieses Tages die Ruhe zu suchen. Er verweilte einen Augenblick auf den ersten Stufen, um auf Adelens Athem zu horchen. Ob sie wohl schlief? Ob sie wohl seiner im Traume gedachte? Er drückte in knabenhafter Exaltation seine Lippen gegen die kalte, gefühllose Wand und flüsterte ihren Namen. Von der elektrischen Einwirkung seiner Liebeshandlung übermannt eilte er dann selig freudig hinauf in sein Zimmer und legte sich nieder.

Er schief aber nicht fest ein. Unruhige Träume, ängstigende Gebilde störten ihn von Zeit zu Zeit auf, so daß er ungeduldig wurde und den Vorsatz faßte, mit dem Grauen des Morgens sein Lager zu verlassen und durch einen Spaziergang sein wallendes Blut zu beruhigen.

Nachdem er zu diesem Entschlusse gelangt war, schlief er fester ein, um erst nach einem wüsten Traume und zwar durch ein Geräusch, das ihm unerklärlich blieb, zu erwachen. Erschreckt setzte er sich aufrecht und horchte. Alles blieb still. Er ließ seine Uhr repetiren. Sie schlug zwei Uhr.

»Wenn das Glück, wenn die Seligkeit das Menschenherz schon so in Allarm bringt,« murmelte Charles halb verdrießlich, halb lachend, »so möcht' ich es nicht erleben, daß mich Kummer und Sorge heimsuchte, daß ich ein böses Gewissen hätte. Wenn es nur endlich Tag werden wollte –«

Er hielt inne in seinem Monologe und horchte. Ein Geräusch im Hausflure, wie von einer aufgehenden Thür, drang zu ihm herauf.

»Es scheint mir beinahe, als gäbe es noch Jemand im Hause, der auch nicht schlafen kann,« dachte er, mit angestrengten Sinnen lauschend. »Sollte Adele –?«

Das Geräusch wiederholte sich, aber es war jetzt die Thür, die nach dem Hofe führte, welche vorsichtig auf und zu gemacht wurde.

»Ein Dienstbote –« murmelte Charles und war im Begriff sich wieder niederzulegen. Da schlug der große Hofhund an.

Blitzschnell fuhr Charles empor und horchte von Neuem. Der Hund schwieg und ließ dann nur einige Winsellaute hören, wie er zu thun pflegte, wenn Angehörige des Hauses ihm nahe kamen.

»Thorheit, ein Dienstbote!« dachte der junge Mann ärgerlich über sich selbst und wickelte sich fest in seine Decke.

So leichten Kaufes sollte er jedoch nicht davon kommen. Er hörte die Pforte im Thorweg knarren und fuhr abermals in die Höhe. Er hörte dumpf die Tritte eines Pferdes auf dem Steinpflaster des Hofes. Jetzt war er mit beiden Beinen zugleich zum Bette heraus, warf sich die nothwendigen Kleidungsstücke über und eilte zur Thür.

»Es ist etwas geschehen im Hause,« flüsterte er, indem er seine Thür öffnete und wie ein Pfeil zum Cabinete hinschoß, von welchem die Wendeltreppe ins untere Geschoß zu erreichen war. Er fand die Cabinetsthür verschlossen. Nun stürzte er, böser Ahnungen voll an's Fenster, um Den anzurufen, welcher trotz der tiefsten Dunkelheit augenscheinlich unten im Hofe mit dem Pferde beschäftigt war. So wie das Fenster klirrte, schwang sich Jemand übereilt hastig auf den Rücken des unruhigen Thieres, so daß es sich bäumte und daß es schnob. Der Reiter aber wurde seiner Herr, er setzte es in Bewegung, er ritt vorsichtig zum Thorwege und ehe Charles nur ein einziges Wort rufen konnte, hörte er den rasenden Galop des aufgescheuchten Thieres außerhalb des Gehöftes auf der Landstraße verhallen.

»Es war Karl, der Dämon des Hauses!« flüsterte Charles, mit erleichtertem Herzen zurücktretend. »Er entfernt sich, seinem ganzen Charakter gemäß, als ein Schattenbild der Nacht. Möge sein Fuß nie wieder die Schwelle dieses Hauses überschreiten!«

Mit diesem frommen Wunsche schloß er fröstelnd das Fenster und eilte, sich in sein warmes Bett zu versenken. Als er an der Thür des erwähnten Cabinetes vorüberschritt, faßte er nochmals fest auf den Thürdrücker. Die Thür war wirklich nicht zu öffnen und zwar, wie er sich selbst überzeugte, von innen verriegelt, denn der Schlüssel steckte ein von außen, und ließ sich ohne Erfolg hin und her drehen. Das war jedenfalls wunderbar. Wenn Charles auch in dem Umstande, daß der Flüchtling der Nacht aus dem Wohnzimmer gekommen war, also möglicherweise, von Dankbarkeit geleitet, dem alten Herrn Lebewohl gesagt haben könne, gar nichts Auffallendes gefunden hatte, so erschien ihm dies geflissentliche Absperren seiner Person doch etwas bedenklich und eine unbestimmte Sorge um den alten Herrn überfiel ihn. Ohne Aufenthalt wendete er sich deshalb zur großen Treppe, stieg zum Hausflur hinab und trat in das Wohnzimmer ein.

Hier stand eine brennende Kerze. Sie beleuchtete matt und unsicher eine sehr verrätherische Unordnung. Papiere lagen umhergestreuet. Der Schreibschrank war offen, Kasten waren herausgezogen. Charles wußte auf der Stelle, was hier geschehen war und ein wilder Zorn über die Niederträchtigkeit des Menschen, der die Wohlthaten seines Großvaters schlecht vergalt, erfüllte seine Brust.

Er blieb mitten im Zimmer stehen, gleichsam starr geworden vor Schreck und Bestürzung. Sein Auge haftete fest auf den Ort, der ein Zeugniß menschlicher Entartung gab und er gewahrte nicht, daß in einem Winkel eine Gestalt lag, halb ohnmächtig, von der fürchterlichsten Gemüthsbewegung und von Mißhandlung beinahe getödtet.

Erst ein leichtes Geräusch dieser Gestalt lenkte des jungen Mannes Blick dorthin.

»Großvater!« schrie er auf und stürzte neben dem alten Manne auf's Knie nieder, seinen Kopf hochhebend und ihn mit allen Zeichen des Entsetzens betrachtend.

»Still! Still! Charles, still! Wecke mir mein Mädel nicht durch Deine Stimme. Es würde ihr den Tod geben, erführe sie, was geschehen,« flüsterte Vanpotter mit heiserm Tone.

»Um Gotteswillen. Bist Du verletzt?« fragte Charles leise.

»Nein. Ist er fort? Gott sei gedankt, daß ihn meine Augen nicht mehr sehen. Hebe mich auf, mein guter Charles, sein Schlag vor die Brust warf mich nieder, ich verlor aber die Besinnung nicht, sondern schwieg und schloß die Augen, um ihn an weitern Verbrechen zu hindern. Hebe mich auf!«

Charles leistete, an allen Gliedern zitternd, dem alten Herrn Beistand. Es zeigte sich, daß er in der höchsten Eile, von der Erscheinung des entsetzlichen Menschen aufgeschreckt, das Bett verlassen hatte und sogleich von demselben durch einen Faustschlag nieder gestreckt war, ehe er sich dessen versah.

Als Vanpotter auf den Füßen stand, da fühlte er erst, wie der Schrecken und das Niederstürzen auf die Erde ihn gelähmt hatten. Er schwankte in Charles' Armen zum Sopha und wurde von diesem sogleich mit Betten und Kleidungsstücken bedeckt, um eine fortgesetzte Erkältung zu verhüten.

»Sieh dort,« flüsterte der Greis, auf den Schrank deutend. »Er hat mich beraubt, er hat Den bestohlen, der ihm den Namen Vanpotter gegeben, der ihn bis zur Zeit seiner Verwilderung geliebt hat. Sieh zu, daß Du Alles ordnest, damit Adelens Auge nicht eine Spur davon gewahrt, sie darf das nie erfahren, nie, Charles, nie! Ich kenne das Gemüth meines Mädels, Euer Glück soll durch eine Summe Geldes nicht gestört und der Name meiner Adele nicht geächtet werden. O, warum wartete er nicht! Ich würde ihn glänzend ausgestattet haben!«

Sein Kopf sank matt auf die Brust. Er weinte.

»Hat er Dir viel genommen, mein Großvater?« fragte Charles, bedenklich die Papiere ordnend.

»Ich glaube wohl,« murmelte Vanpotter. »Frage nicht danach. Ich will nicht, daß Du es wissen sollst, damit Dich nie der Gedanke an diese That erbittert. Meine arme Adele! Sie würde sterben, erführe sie davon.«

»Kannst Du nicht etwas retten? Hat er einlösbare Papiere mitgenommen?«

»Frage nicht. Ich werde nichts gegen ihn thun. Er wird keinen Segen davon haben, denn die große Summe wird in seinen Händen vergehen, wie frischgefallener Schnee. Bist Du fertig, Lieber? So, nun schließ zu und lege den Schlüssel dahin, wo er immer liegt. So, nun sage mir, wovon Du erwacht bist?«

Charles umfaßte den Kopf seines Großvaters und legte ihn an seine Brust. Er berichtete das, was wir schon wissen. Dann erzählte der alte Mann, wie er mit einem heißen Segensspruche für seine geliebten Kinder, die durch das Band der Liebe vereinigt waren, entschlummert sei.

»Ich erwachte plötzlich, wie Einer, der gerufen wird. Mein Her; klopfte und ich richtete mich auf, um besser hören und sehen zu können. Ein Lichtstrahl drang durch die schmale Spalte der angelehnten Thür und in demselben Augenblicke schloß Jemand die Klappe des Schreibschrankes auf. Wie ich aus dem Bette gekommen bin, weiß ich nicht, aber ich stand schneller als ein Gedanke neben dem Schranke und neben dem, welchem ich den Namen Karl Vanpotter verliehen hatte. Frevler, was suchst Du? fragte ich ihn. Statt aller Antwort schob er mich mit beiden Händen gewaltsam zurück und als ich widerstrebte, schlug er mit der Faust gegen meine Brust, so daß ich taumelte und niederstürzte. Ich sah, daß der Mensch besser Bescheid wußte, als ich ahnen konnte. Er suchte das, was ihm am gelegensten war, er fand es wirklich nach hastigem Suchen, warf achtlos Alles bei Seite, was er nicht gebrauchen konnte, und rief endlich höhnisch: ›So alter Mann! Jetzt thu', was Du willst. Ich betrachte das als ein Darlehn. Wenn ich Glück habe, bekömmst Du es wieder!‹ Gleich darauf hörte ich ihn wegreiten und Deinen Schritt die Treppe hinab.«

»Eine einfache Geschichte,« entgegnete Charles düster, »und doch so furchtbar, so entsetzlich, wenn man bedenkt, wie viel erst in ihm verloren gegangen sein muß, um dahin zu gelangen. Glaubst Du, Adele habe nichts gehört?«

»Gewiß nicht, sonst wäre sie längst bei uns. Nur still, daß sie nicht erwacht. Ich will zu Bett gehen. Morgen werde ich zu unserm Landesfürsten fahren, um die Erlaubniß zu Eurer Trauung ohne Aufgebot zu erlangen. Am Freitag mag Euch der Pfarrer copuliren und dann, mein Lieber, dann eilst Du, Deine Mutter zu holen. Ich werde diese letzte bittere Erfahrung am leichtesten in ihrer Gesellschaft verschmerzen.«

»Aber ich habe Adele versprochen –« schaltete Charles ein.

»Ja, ja! Mögt Ihr hinreisen zu Dem, der Vaterrechte an Adele hat. Wie ich die Sache beurtheile, so habt Ihr nur die schnödeste Abweisung zu fürchten. Wovon sollte denn Der, welchen ich Karl Vanpotter nannte, seine bösen Eigenschaften, seine fürchterliche Herzenskälte, seinen entsetzlichen Egoismus haben, wenn nicht von seinem Vater! Wir können es Adelen nicht ersparen, daß sie selbst hört und sieht, wie es ist, daher ist es am gerathensten, sie erfährt es in der Zeit, wo die Liebe sie trösten wird.«

Charles brachte den alten Herrn auf sein Lager, denn er war der Ruhe benöthigt. Darauf schlich er, wie ein Verbrecher so vorsichtig und leise, die Wendeltreppe abermals hinauf, entriegelte die Thür, die Karl, vorsichtigerweise einen Ueberfall von dieser Seite her deckend, verriegelt hatte und begab sich auch zur Ruhe. Mit welchen Empfindungen, das wäre wohl schwer zu beschreiben. Nicht der Verlust des Geldes war es, der ihn schmerzte, obwohl es ihn empörte, daß sein Großvater den Erwerb eines langen thätigen Lebens durch diesen Verschwender einbüßte, sondern die raffinirte Niederträchtigkeit, womit ein sorgfältig gebildeter Mann allen menschlichen Tugenden Hohn sprach. Und dieser Mann war der leibliche Bruder des Wesens, das er für das edelste, reinste und lieblichste auf Gottes Erdboden erkannt hatte. Welch' ein greller Abstand zwischen zweien Menschen, die aus einem Blut stammten! Aber nicht ein Gedanke von Mißtrauen trübte den schönen Liebesquell, der aus seinem Herzen für Adele strömte. Er empfand nur, wie auch sein Großvater, daß verdoppelte Aufmerksamkeit und Liebe das herrliche Mädchen entschädigen müßte, denn sie hatte ihren Bruder auf ewig verloren.

Der Morgen sah den alten Herrn, Charles und Adele am Kaffeetische, als wäre nichts, gar nichts vorgefallen, was ihre Laune hätte trüben können.

Adele hörte ohne Argwohn von der nächtlichen Abreise ihres Bruders. Sie wunderte sich kaum darüber, denn sie war gewohnt, ihn nach bizarren Launen handeln zu sehen. Das junge Mädchen glühte im ersten Strahlenglanze ihres Liebesglückes wie eine Rose. Keine Sorge trübte ihren Sinn und sie fügte sich mit süßem Lächeln den Befehlen, die ihr von dem Großvater gegeben wurden. Sie sollte also mit Sturmeseile das Eigenthum des geliebten Mannes werden? Es kam ihr vor, als träume sie, in einem Traume von dem, was Glück ihres Daseins ausmachte.

Nach der vollführten Trauung sollte sich das junge Ehepaar nach Schallenburg begeben, um den Herrn v. Pforten aufzusuchen und erst dann, wenn Adele dem Vater ihr Kindesherz dargeboten, wenn sie seines Segens gewiß war, erst dann wollte Charles sie seiner Mutter in die Arme führen.

Der alte Herr aber blieb im Thale, um Vorbereitungen zu einem Empfange zu machen, der sich um 20 Jahre und mehr noch vertagt hatte.

Wir überlassen den alten Vanpotter seiner stillen Thätigkeit und folgen neugierig dem Paare, das sich, wie von Feenhand geleitet, auf dem Gipfelpunkte alles irdischen Glückes fand, bevor es eigentlich mit klarem Selbstbewußtsein den Weg dazu erkannt hatte. Es schlug aber in Charles' Fach, »auszuführen ohne Vorbereitungen.« Er fühlte seinem Temperamente gemäß sein Glück doppelt, weil es eben unerwartet gekommen war, und um seiner Mutter ein gleiches Glück zu bereiten, so hatte er es kluger Weise unterlassen, ihr das Geringste darüber zu melden.

Was das junge Ehepaar in Schallenburg erlebte? Es ist zu traurig, um darüber speciell zu referiren. Der Vater glich in vielen Stücken seinem entarteten Sohne. Er hatte durch eigene Schuld seine Vermögensverhältnisse verschlimmert und bis zur hülflosen Armuth hinabgedrückt, glaubte jedoch deshalb nicht mit sich selbst, sondern mit allen bessern und glücklichern Menschen hadern zu müssen. Seine Stellung in der kleinen Stadt war eine untergrabene. Jeder blickte mit Grauen und Verachtung auf das verwitterte Haus, an dessen schmutzigen Fenstern bisweilen der zottige Kopf eines Hundes die Vorübergehenden in panische Furcht versetzte. Wollte man eine recht niedrige Armuth bezeichnen, so gebrauchte man den Namen und das Haus des Herrn v. Pforten. Die kleine Andeutung wird genügen, um das maßlose Erstaunen sämmtlicher Schallenburger ins rechte Licht zu stellen, als eines Tages im Spätherbste eine Postkutsche die Straßen durchjagte und dicht vor dem großen, schmutzigen Hause eines Mannes stillhielt, der nichts besaß, als dieses verfallende Haus.

Adele stieg zitternd aus und begab sich zitternd, am Arme ihres jungen Gatten, in das Haus, worin sie einen Vater zu finden hoffte. Sie täuschte sich. Sie fand einen halb irrsinnigen, brutalen Mann, der sich kaum herabließ, auf ihre Worte zu hören, und der ihr in der allerunliebenswürdigsten Laune erklärte, daß sie sehr wohl daran thäte, wenn sie ihn, nachdem er beinahe ein Vierteljahrhundert vergeblich auf ihr Wiederkommen gewartet, jetzt schleunig wieder verließe. Sie genire ihn mit ihrer Gegenwart. Es gehe ihr gut, ihm aber gehe es schlecht und er wolle in Frieden vor ihren lügenfertigen Betheurungen bleiben, daß sie nicht gewußt habe, wie sie heiße.

Eine ganze Weile sah Charles, dem es unheimlich in der großen, schwarz geräucherten Stube wurde, der Bemühung Adelens ruhig zu. Er überließ es ihr geflissentlich allein, sich einen Weg zu dem Vaterherzen zu bahnen. Endlich aber, als Adele hülfesuchend ihr thränenerfülltes Auge auf ihn heftete, mischte er sich mit männlicher Entschiedenheit ein. Er erklärte dem Herrn von Pforten, daß er seiner jungen Gattin gern gewillfahrt hätte, als sie, von Kindesliebe getrieben, eine Reise zu ihm gewünscht, allein er ließ ganz deutlich merken, daß er nach der Schilderung des Invaliden Kohnert, dem die unglückliche Verwechselung zur Last fiele, gar nichts davon gehofft hätte und jetzt seine Vermuthung bestätigt sähe.

»Hören Sie meinen Vorschlag, geehrter Herr Schwiegervater,« sprach Charles, indem er Adelen fest umschlang und dicht an sein Herz zog. »Wollen Sie mit uns ziehen?«

»Nein!« antwortete der Herr v. Pforten barsch und sein Pudel knurrte dazu.

»Gut, so bleiben Sie hier und versauern Sie! Mein Großvater wird Ihnen jährlich und zwar in monatlichen Raten von zwanzig Thalern, eine Rente aussetzen –«

»Das nehme ich an,« unterbrach ihn Pforten eiligst. »Ihr Großvater ist mir das schuldig. Er ist verbunden, mir eine Entschädigung für meine Kinder zu geben!«

Adele, entsetzt über diese gemeine Denkungsart, verbarg schamroth ihr Gesicht an des Gatten Schulter, der erfreut ausrief:

»Gut, so sind wir einig und empfehlen uns Ihrer fernern Gewogenheit. Sollten Sie uns zu besuchen Lust haben, so haben Sie hier unsere Adresse. Und nun, mein lieb Weibchen, nimm Abschied, denn mir graut es in diesen Mauern!«

Adele reichte ihrem Vater schüchtern die Lippen dar. Er verweigerte ihr den Kuß.

»Laß gut sein, Magdalena« sprach er hart. »Sorg' nur dafür, daß ich pünktlich mein Geld kriege. Ich brauche es.«

Charles legte eine Rolle Ducaten auf den Tisch. Adele sah sich still im Zimmer um. »Was würde wohl aus mir geworden sein, wenn ich hier erzogen wäre?« dachte sie, unwillkürlich schaudernd. Sie verließen das Zimmer, ohne daß ein Blick des Interesses aus Pforten's Augen ihnen gefolgt wäre. Er hatte kaum die Geldrolle erblickt, so griff er gierig nach derselben, enthüllte sie und flüsterte mit unheimlichem Lachen: »Gottlob, nun kann ich wieder spielen!«

Während dessen war das junge Paar im Hausflure von der alten Wärterin angehalten und auf das Freudigste begrüßt. Von ihr erfuhr Adele nun Alles, was sich auf ihre frühern Verhältnisse bezog und von ihr wurde bestätigt, was man längst geahnet hatte, daß Paul von Pforten nicht zwei Jahre jünger, sondern zwei Jahre älter als Magdalene von Pforten sei.

»Ich werde Dich nie Magdalene nennen,« flüsterte Charles mit eigenthümlichem Tone.

»Es würde mich auch an den traurigsten Theil meiner Lebenserfahrungen erinnern,« entgegnete Adele sehr niedergeschlagen.

Es gab noch einen traurigern Theil in ihrer Lebensgeschichte, den aber erfuhr sie nie!

»Nun geht es aber nach Schallen berg, mein Liebchen!« jubelte Charles, als sie wieder in ihrem Coupé saßen und von frischen Postpferden schleunigst aus Schallen burg expedirt wurden. »Was wird meine Mutter für Augen machen und wie wird sie Dich lieben.«

Die junge Frau lächelte sanft und schmiegte sich an ihren Gatten an.

»Wie danke ich es Dir, daß Du mich dem Schmerze der Enttäuschung nicht allein und verlassen aussetzen wolltest. Du hast mich vor dem Elende behütet, meinen Vater hassen zu müssen.«

»Ich konnte mir's denken, wie Du es finden würdest, Liebchen, seitdem ich Kohnert gesprochen und Deinen Bruder kennen gelernt hatte. Dein Bruder ist der richtige, aber vielleicht nicht verbesserte, sondern verschlechterte Abdruck Deines Vaters. Laß die Erinnerung ruhen und sei heiter!«

Und Adele wurde heiter, noch ehe sie Schallenberg mit seinen grünen Hügeln und mit seinen freundlichen Häusern erreicht hatte. Wie hatte sie anders gekonnt? Sie blickte durch des fröhlichen Gatten Augen ins Leben hinaus und bekleidete, geleitet durch seinen Humor, die Ereignisse der Welt nicht mit dem traurigen Schwarz und Grau, sondern mit dem Glanze der Liebe und der Zufriedenheit.

In dieser Stimmung erreichte das junge Paar Schallenberg an einem Tage, wo es winterlich kalt war. Der Postillon blies so lustig die Straßen hinab, als wolle er die ganze Welt zusammenblasen. Das war aber nicht nöthig. Die lieben Leutchen der Stadt zeigten sich außerdem schon so neugierig, daß sie beinahe die Fenster mit ihren Köpfen einrannten. Selbst die Sonne schien von dem Lärm in der Stadt erbaut zu sein, denn sie steckte eiligst ihr strahlendes Haupt durch einen dunkeln Damm von Schneewolken, die den Herbst zum Winter machen sollten.

Eben so, wie damals, als Charles mündig geworden war und sich zum Herrscher seines Geschicks aufgeschwungen hatte, eben so hell durchleuchtete das Sonnenlicht nun das hübsche Zimmer, worin Frau Vanpotter, mit einer Stickerei beschäftigt, am Fenster saß. Der Postillon blies, was er blasen konnte, und Frau Vanpotter war gescheut genug, sich selbst sogleich als die einzige Person zu erkennen, die Extrapostbesuch erwarten konnte.

»Margot!« rief sie freudezitternd ihrer alten Dienerin zu, »ich glaube, mein Schwiegervater und mein Sohn kommen. Mon Dieu, welche Ueberraschung!«

Die Ueberraschung war jedoch noch größer, als sie fälschlicherweise annahm. Der Wagen hielt. Charles sprang heraus, hob blitzgeschwind eine schlanke, feine Frauengestalt von den Wagentritten und trug sie die Freitreppe hinauf bis ins Haus, wo seine Mutter voller Erwartung weilte.

»Maman, falle mir nur um Gotteswillen nicht nach französischer Weise in Ohnmacht!« rief er ihr neckend zu, als er sah, daß sie bleich vor innerer Aufregung war und zitterte. »Sieh, das ist meine Frau, Maman! Was sagst Du nun? Habe ich nicht Wort gehalten! Sieh nur, das ist Adele Vanpotter Junior und Du avancirst nun zur Adele Vanpotter Senior. Ist das nicht prächtig!«

»O ciel! Du bist und bleibst doch unverbesserlich, mon petit!« flüsterte die kleine Dame verlegen und suchte die Betisen, die nach ihrer Meinung ihr lustiger Sohn sich erlaubte, durch einige außerordentlich gut gelungene Knixe wieder auszugleichen. Adele lächelte sie unbeschreiblich zärtlich an, ergriff ihre Hände und küßte sie wiederholt.

»Ah, Mademoiselle, wen habe ich die Ehre –«

Charles unterbrach sie laut lachend.

»Umarme sie doch! Umarme meine Frau, ich befehle es Dir!«

»O sagen Sie mir,« flüsterte Frau Vanpotter zu Adelen hinauf. »Sind Sie –?«

Adele nickte.

»Freilich! Freilich! Maman! Ich habe Dir's ja vorausgesagt –«

»Wird meines Charles' Mutter auch meine Mutter sein wollen?« fragte Adele, ihr zauberhaft strahlendes Augenpaar auf die hübsche alte Dame senkend.

»Ist's denn wahr? Du bist seine Frau? O Margot, komm und sieh! Eine Schwiegertochter!« rief nun die Dame entzückt.

Margot, die alte Dienerin, stand schon längst da und sah.

»Ja, ja, alte Margot!« scherzte Charles. »Eine Schwiegertochter, fix und fertigt«

Der Freudentaumel dauerte noch eine geraume Zeit. Erst als man die Geschichte haarklein erzählt und danach begriffen hatte, legte sich das tumultuarische Fragen und Verwundern. Was sich an französischen Interjektionen nur noch im Gedächtnisse der beiden Französinnen, der Herrin sowohl, als der Dienerin vorfand, das wurde im Laufe dieser Stunden verschwendet, um ihr freudiges Erstaunen auszudrücken. Dann, als eine gewisse Ruhe eintrat, legte Charles der Mutter sein Verlangen vor, daß sie sich unverzüglich zur Abreise rüste; der Großvater warte sehnlich auf sie.

Madame Vanpotter weigerte sich nicht. In wenigen Tagen war Alles geordnet, das Häuschen verkauft, wie es da lag und stand, die nothwendigen Gegenstände verpackt und die Familie Vanpotter sagte dem hübschen Städtchen auf ewig Lebewohl.

Von der Begrüßung zwischen dem alten Herrn und der Gattin seines Sohnes reden wir nicht weiter. Jeder Leser kann sich das am besten selbst ausmalen. Auch von dem weitern Leben dieser beiden Menschen, so wie von dem Glücke des jungen Paares ist nichts zu sagen, was nicht Jedermann sich selbst denken kann. Allein das Schicksal des unseligen, jungen Mannes, der von da an den Namen Paul von Pforten führte, müssen wir noch flüchtig berühren, ehe wir zum Schlusse eilen.

Es vergingen Jahre, ohne daß man von ihm hörte, und die erste Nachricht, die man im Vanpotter'schen Hanse von ihm erhielt, theilte der Baron Bruno mit, der inzwischen der Gatte der blonden, hübschen Rosa geworden war.

Paul von Pforten war mit seinem Vater an einer Spielbank zusammengetroffen und sie hatten sich als Vater und Sohn erkannt. Seitdem sah man sie öfter bei einander, bis die Saison im Bade zu Ende war und Jeder seinen eigenen Weg verfolgte.

Im zweiten Jahre gaben sie sich abermals ein Rendezvous in demselben Bade. Der Sohn spielte mit entschiedenem Glücke, der Vater nicht. Im dritten Jahre wendete sich das Blatt. Herr Paul von Pforten verlor große Summen. Man flüsterte und zog sich von ihm zurück. Eines Tages schien er die Glücksgöttin zwingen zu wollen. Er pointirte entsetzlich hoch, verlor und sagte endlich zu einem Nebenstehenden:

»Nun ist's Zeit!«

In demselben Augenblicke knallte es, Paul von Pforten sank am Spieltisch nieder und war todt.

»Va banque!« hatte gleichzeitig eine heisere, dumpfe Stimme gerufen, der ältere Herr von Pforten sprengte die Bank und hatte einen Haufen Goldstücke vor sich, den er nicht zu tragen vermochte.

»Der Thor!« sagte er verächtlich, als man die Leiche seines Sohnes aufhob und er, beladen mit seinem gewonnenen Gelde, daran vorüberschritt.

Die Geschichte machte Aufsehen. Sie stand in allen Blättern und der Baron beeilte sich, sie Denen schonend mitzutheilen, die Paul von Pforten schon längst als todt betrachtet hatten.

Adele sah ihren Vater nie wieder. Sie sehnte sich nicht danach und er war zufrieden, wenn er monatlich seine zwanzig Thaler erhielt.

Der alte Herr Vanpotter wurde ein sehr alter Mann; rüstig und glücklich bis an seines Lebens Ende, bewies er seiner Schwiegertochter stets die ritterlichste Aufmerksamkeit.

Kohnert, der deus ex machina im Vanpotter'schen Lebensdrama, blieb bis zu seinem Tode bei der Behauptung, »daß Niemand die Geschichte glauben würde, wenn sie in einem Buche stände!«

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