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Das zwölfte Capitel.


Ein feiner Plan, gut ausgedacht
Und meisterlich zu End' gebracht!
Gen Ottersleben geht's hinaus,
Durch Schneegestöber, Sturmgebraus.
Zum Feste will die Stadt sich laden,
Der Adel kommt zu schwerem Schaden;
In großen Aengsten schwebt Herr Jürgen,
Die Weiber wollen ihn erwürgen:
»Ungnäd'ger Herr, willkommen mir,
Wir hätten Euch schon längst gern hier.«

Der Winter war mit Macht gekommen. Der Schnee deckte die Dächer und Straßen der Stadt Magdeburg, deckte die Lager, die Schanzen, die Gräben der Feinde vor der Stadt, deckte manchen blutigen Fleck zwischen der Stadt und den Werken des Belagerungsheeres. Mochte aber die Kälte noch so grimmig, der Sturmwind noch so scharf sein, das weiße Gestöber noch so dicht herniederwirbeln, in das schreckliche Spiel des Krieges kam keine Pause. Ausfälle der Städter und Anläufe der Belagerer wechselten wie gewöhnlich miteinander; und hatte der Schnee eine blutige Stelle auf den zertretenen Feldern um die Stadt zugedeckt, so konnte er im nächsten Augenblick an einem andern Ort sein verhüllend Werk beginnen. Die schwarzen Trümmerhaufen der Neustadt, der Sudenburg, der Michaelisvorstadt; die Ruinen der Windmühlen und einzelnen Gebäude ragten recht trostlos aus der winterlichen Landschaft hervor. Kurz, einen traurigern Anblick, als diese belagerte Stadt und ihre Umgebung zu dieser Zeit bot, kann man sich schwer vorstellen.

Am zweiten December, dem Dienstag nach Andreas, versammelten sich Rath, Hundertmannen, Bürger und Landsknechte sammt dem Grafen Albrecht von Mansfeld und seinem Sohn Karl auf dem Stadtmarkt, reckten die Schwurfinger gegen den grauen Himmel auf und schwuren, »bey einander zu stehen, lebendig und todt für einen Mann, und einer bei dem andern auff der Mawren, im Wall, auff dem Lande, auff dem Wasser festzuhalten, unnd wider den Feind biß auff den letzten Blutstropffen zu kempffen.«

Einige wollen gesehen haben, daß der Hauptmann Springer während dieses Schwurs wie durch Zufall sein Schwert habe fallen lassen; dann es aufgehoben und so die Finger nicht mit aufgehoben habe. Viele in seinem Fähnlein, und unter ihnen der »Leutnambt« Schwartze, sollen bei jedem Versprechen ein »nicht« eingeschoben, Andere sollen wieder das Maul ganz gehalten haben.

Am siebenten December, als am zweiten Sonntag des Advents, fielen die Magdeburger aus und nahmen dem Feind zwei Wagen mit Naumburger Bier sammt dreizehn Pferden.

Am Tage Conceptionis Mariä, am achten December, rückte Abends zwischen sieben und acht Uhr der Feind aus seinem Lager in die Neustadt mit gewaltigem Lärm, mit Trommeln und Geschütz bis an den Graben der Alten Stadt und gegen das Krökenthor; ward aber durch das Wallgeschütz mit großem Schaden zurückgetrieben.

Am elften December fuhren die Städter zu Schiff gen Salbke. Es war ihnen Kundschaft gekommen, der Herzog Moritz sei allda auf Ingerslebens Hofe zum Kindelbier. Man gedachte einen guten Fang zu thun; es wies sich aber aus, daß die Kundschaft falsch war. So fing man nur acht Landsknechte, die man aus den Betten im bloßen Hemd nahm, plünderte den Hof und führte die Betten, die Landsknechte und viele gewürgte Schweine als Beute davon.

Am zwölften December fuhr Herzog Moritz in einer »Kutzgen« aus der Neustadt nach Buckau, und die Städter fielen aus einem Hinterhalt auf ihn. Den Wagen und des Fürsten Spießjungen nahmen Die von Magdeburg, doch der Kurfürst entrann zu Pferde.

Der Herr von Heideck war um diese Zeit mit anderen Herren von Magdeburg zu den Seestädten um Hilfe ausgezogen. Da sammelte sich wirklich ein Heer, und über das Meer leuchtet in diese große Magdeburger Tragödie ein heller Schein aus einem andern aber kürzern Trauerspiel hinein; Johanna Grey, die einen Tag lang Königin von England sein wird, gedenkt, ehe sie das schöne unschuldige Haupt auf den Richtblock legt, der bedrängten Glaubensgenossen in Deutschland und sendet Hilfsgelder für dieses Unternehmen, die Canzlei des Herrgotts zu entsetzen.

Am dreizehnten December zog Kurfürst Moritz mit sechs Fähnlein Knechten gen Verden, dem gesammelten Haufen entgegen; es kam aber um diese Zeit in das Lager in der Neustadt Herr Lazarus von Schwendi, des heiligen römischen Reiches Kriegscommissarius in dieser Belagerung.

Am sechzehnten December erließ kaiserliche Majestät von Augsburg aus wiederum ein gar böses Schreiben gegen Die von Magdeburg, und verbot darin mit Ernst allen Ständen des Reiches, sich der geächteten Stadt anzunehmen.

Am siebzehnten December, Mittwoch, wurde über Diesdorf, wo damals Herzog Jürgen von Mecklenburg lag, ein heller glänzender Stern mit einem großen Ringe erblickt. Dieser Stern »hat eine Flamme von sich herausgegeben und die wieder zu sich gezogen, das hat eben lange gewehret, darnach ist er verschwunden.«

Was dies Zeichen bedeutete, das sollte allem christlichen Volk bald klar werden.

Im Abendschimmern des neunzehnten Decembers konnte Regina Lottherin der mütterlichen Freundin, Margaretha Horn, das übervolle Herz nicht länger verschlossen halten und schuf dadurch der alten Frau den ersten lichtvollen Augenblick seit der Heimkehr des Sohnes.

In der Dämmerung saßen die beiden Frauen zusammen im Hause des Rathmanns; nur das Schneeleuchten von der Gasse erhellte ein wenig das Gemach. Es war so recht die Stunde, ein in Schmerz und Wonne beladenes Herz auszuschütten; und allen Segen Gottes rief die Mutter auf das Haupt der Jungfrau herab. Nun wollte sie aber auch Alles wissen, was zwischen Markus und Regina geschehen, gesprochen, gedacht worden war, wie sich die Beiden wiedergefunden hatten. Beredet mußte werden, was nun geschehen sollte, wie man sich gegen die beiden Väter zu verhalten habe. Einen kurzen Augenblick hindurch erschien der entzückten Mutter Alles leicht. Alles geebnet, Alles ausgeglichen und versöhnt. Da ihr einer ihrer theuersten Lebenswünsche jetzt doch noch in Erfüllung gehen zu wollen schien, so kam ihr nun mit einem Male der fast verlorene Glaube an eine ruhige, glückliche Zukunft wieder. Sie sah sich als Großmutter, umgeben von einer Schaar lieblicher Enkel und Enkelinnen; sie sah ihren Markus als den Stolz seines Vaters, sah ihn aufsteigen zu den höchsten Ehren der Stadt. Zwischen Lachen und Weinen immer wieder von Neuem das Nachbartöchterchen in die Arme schließend, that sie verworrene Fragen und erhielt verworrene Antworten.

»Also an dem Tag, wo die Neustadt überging und ausbrannt', geschah's? Auf dem Wall, auf der Mauer geschah's, daß Ihr Euch wiederfandet, Ihr bösen, lieben Kinder? In so schrecklicher Stund'! Ihr armen Kindlein – solch' schreckliche, solch' glückselige Stund'! Komm, küß' Deine alte Mutter, meine Tochter – und hast so lang' geschwiegen?! Hab' ich das um Dich verdient. Du Böse, Du Liebe?!«

»O Mutter, Mutter, ich bin ja diese ganze Zeit im eigenen Vergessen einhergegangen. Rings um mich her ist Nacht gewesen und nur in mir Licht. Wir haben auch seit jener Stund' auf dem Wall am Krökenthor kaum ein Wörtlein wieder miteinander gewechselt, haben uns nicht die Hand berühren können; haben kaum gewagt, uns anzublicken. Und ich hätt' ihm doch so viel zu sagen gehabt, und er mir gewißlich auch; aber immer ist etwas dazwischen gekommen, oder wir haben es nicht gewagt. Es ist mir, als sei er seit jener Stund' noch häufiger im Feld als sonst; und immer kommt mir ein blutig Grauen, jetzt bringen sie ihn erschlagen oder mit tödtlicher Wund' zurück. Dann aber gedenk' ich wieder, so grausam kann der liebe Gott nicht sein, kann nicht also scheiden zwei Herzen, die er also hat sich zusammen finden lassen, die er also geführet hat. So wechselt Hoffen und große Angst immerfort, und bei Nacht träume ich schlimm süßeste Träume und lieg' wachend und ringe die Hände, und als neulich um Mitternacht wieder zu Sturm geschlagen ward und der Feind gegen die Wälle lief, da bin ich aus dem Bett und in die Kleider gefahren wie eine Unsinnige, und bin mit hellem Schrei auf die Gasse gestürzt – leibhaftig sah ich den Liebsten in seinem Blut liegen im Graben. Auf der Gasse im kalten Schnee erst hab' ich mich besonnen, daß ich geträumt hatte, und Gottlob hat Keiner davon gemerkt, und ich hab' den übrigen Theil der Nacht unter dem Kampflärm und Krachen und Sturmgeläut auf den Knien gelegen und heiß gebetet für den Liebsten und alle bedrängten Seelen.«

»Du armes, armes Kind«, schluchzte die Frau Margaretha. »Hättest ja lang', lang', zu mir kommen können. Doch sei nur still, nun ist's gut, nun mußt Du mir immer Alles sagen, bin ich doch jetzt Dein rechtes Mütterlein worden.«

»Das seid Ihr ja immer gewesen!« rief die Jungfrau. »Hätte mich Euer Schooß geboren, Ihr hättet nicht mehr an mir thun können, als Ihr gethan habt.«

»Still, still«, sagte die Matrone. »Nun sag' aber, Kind, wie ist's denn mit dem Leutnant, dem Adam Schwartze, dem Vetter?«

Regina Lottherin fuhr zurück und hob sich halb von ihrem Sessel.

»Mutter«, rief sie, »Mutter, wenn Ihr wüßtet, wie's mich überläuft, wenn Der mir nahe tritt! Ich kann's nicht mit Worten sagen. Er hat mir ja doch nichts zu Leid' gethan, und bis zum Brand der Neuen Stadt hab' ich mir meinen Abscheu gegen ihn auch vorgeworfen und gedacht, ich braucht' ihn darum noch nicht zu hassen, weil ich ihn nicht liebe. Seit dem Brand, seit dem Tode der armen Kläre aber schäm' ich mich nicht mehr, daß ich ihn im Innersten nicht mehr mag, daß ich ihn hasse. Er stand dabei, als Markus mit Thränen uns von meiner Kläre in der Neustadt erzählte; ich hält' sterben mögen vor Schmerz, und der Vater weinte laut auf; Herr Adam aber stand und hielt auch die Hand über die Augen wie vor Wehmuth, doch einen Blick hab' ich gesehen, der machte mein Blut erstarren in den Adern. Ich weiß jetzt, dieser Adam Schwartze ist ein schlechter Mensch; seinen Mund hat er verzogen und gelächelt, und nicht gedacht, daß Einer von uns im Schmerz um meine Kläre es sehen könnt'. Ist mir aber zu Muth gewesen, als ob der liebe Gott selbst mir dieses Lächeln gezeiget habe.«

»Recht, recht!« rief Frau Margaretha. »Ich hab' ihm schon lang' kein gutes Wörtlein bieten mögen. Längst hab' ich gewußt, daß dieser hergelaufene fremde Landsknechtführer, den Dein Vater nur allzu schnell als Vetter anerkannte, falsch ist, falsch durch und durch. Ein Grauen hab' ich um Dich gehabt, Mädchen, wenn ich gedacht', daß Du sein werden könntest. Hatte doch Dein Vater schier einen Narren an diesem Adam Schwartze gefressen. So sind die Männer, entweder toller, blinder Zorn, oder eben so tolle, leichtfertige Zuneigung. Diesen Leutnant Schwartze ließ mein Ludolf in sein Haus; seinen Sohn verstieß er. Wirst auch Deine Noth einstmalen mit Deinem Markus haben, glaub' mir, Töchterlein!«

»O Mütterlein, so weit laßt uns nicht vorausdenken. Horch, da gehet die Hausthür; der Herr Rathmann wird heimkommen. Ich will schnell das Licht anzünden, daß er nicht schelte. Ach, Mütterlein, redet nicht von mir und dem Markus, weil ich dabei bin; ich müßt' vergehen, wenn ich wieder so böse Worte auf den Liebsten hörte!«

»Sei still, Kind, laß mich machen. Will der Schwefelfaden nicht fangen? So – da haben wir Licht – still, still, Kind, es wirbelt so im Kopf, daß ich keinen Gedanken fassen kann; was braucht's der Mann heut' auch zu erfahren, sein Sohn kümmert ihn ja doch nicht.«

Die Lampe brannte, der Rathmann Ludolf Horn trat ein, nachdem er den schneebedeckten Mantel und Hut vor der Thür abgeschüttelt hatte. Nachdem Gruß und Gegengruß abgethan war, der Mantel an den Nagel gehängt war und der Hut ebenfalls, hatte die Matrone ihren Vorsatz und die scheue, schüchterne Bitte der Jungfrau um Schweigen längst vergessen, das Herz quoll ihr auf die Zunge; Margarethe Horn legte den Arm dem Gatten um die Schulter und flüsterte:

»Ludolf, ich hab' Dir etwas zu sagen; o höre, höre, was Regina –«

Die Jungfrau erhob tief erröthend, flehend die Hände, der Rathmann machte sich sanft los aus den Armen seiner Gattin:

»Ein andermal, Margareth', ein andermal. Hab' jetzt keine Zeit, auf Weiberwort und Weiberrath zu hören. Geht heim, Jungfer Regina. Frau, meine schweren Schuhe und mein Schwert! Ich muß im Augenblick wieder von dannen. Geht heim, Regina, und haltet Euch nicht auf in der Gasse, die Stunde und das Wetter sind nicht dazu angethan. Mein Schwert, Margareth', es hängt oben im Gemach hinter dem Ofen, meinen andern Mantel bring' auch, aber schnell, ich hab' keine Zeit zu verlieren!«

Die Matrone starrte den Greis mit offenem Munde an, dann ließ sie die Arme sinken und rief:

»Dein Schwert! Deinen Reitmantel, Ludolf? Um Gotteswillen, Ludolf, was willst Du? Wohin willst Du? Was ist im Werke?«

»Soll ich selber gehen, Weib? Thu', was ich Dir sage und frage nicht lange! Betet, Regina, in Eurem Kämmerlein. Redet so wenig, Ihr Weiber, als Euch möglich ist. Es ist keine Zeit zum Reden. Erzählt auch Eurem Vater nicht, Regina, daß der Rathmann Horn heute Abend mit seinem Schwert das Haus verlassen habe. Behüt' Dich Gott, mein Kind.«

Erstaunt und bestürzt küßte Regina dem finstern Greise die Hand und verließ das Haus. Frau Margaretha, von einem mahnenden Blicke des Gatten getrieben, stieg in das obere Gestock des Hauses, den dichtern Mantel und das Schwert des Rathmanns zu holen.

»Will er zu mir nicht sprechen, so soll er auch von mir nichts erfahren!« murmelte sie und fügte kopfschüttelnd und seufzend hinzu: »O diese Männer, diese Männer!«

Eine Viertelstunde später verließ der Rathmann Ludolf Horn sein Haus wieder, nachdem er sich durch Speise und Trank ein wenig gestärkt hatte. Hoch lag der Schnee in den Gassen der Stadt Magdeburg, und unaufhörlich fort schneite es. Sein gewichtiges Schwert, das er einst so leicht geschwungen hatte, welches ihm jetzt aber fast zu schwer war, gebrauchte der Greis als Wanderstab, als er mühsam den Breiten Weg hinab, gegen das Gestöber seinen Weg, dem Domplatz zu, erkämpfte. Den ganzen Tag schier hatte er auf dem Rathhaus zugebracht; seine Kräfte wollten ihn beinahe verlassen; aber die Noth der Vaterstadt, der Gedanke, ein Kämpfer zu sein in unseres Herrn Gottes Canzlei, erhielten ihn aufrecht, und wie ihn manch' andern wackern Greis in der tapfern Alten Stadt Magdeburg. Durch die Gassen und den wehenden Schnee glitt' manch' ein anderer Schatten nach dem Domplatz; allwo in der Capelle des heiligen Gangolf – vom Volk die Caldaunencapelle genannt, weil man daselbst die Eingeweide der abgestorbenen Erzbischöfe beizusetzen pflegte – sich Bürgermeister, Rathmannen, Kriegsoberste und Hauptleute geheimnißvoll zusammenfanden, nicht um zu rathschlagen, sondern um gepflogenen Rath in's Werk zu setzen. Eine uralte Hängelampe erhellte trübe den Raum und die ernsten, bedenklichen Gesichter der Versammelten. Man begrüßte sich stumm, man unterhielt sich nur im Flüsterton; von Waffen erklirrte das kleine Gebäude, denn ein Jeder der Anwesenden trug wenigstens sein Schwert, und Ebeling Alemann, Hans von Kindelbrück und der Ritter Wulffen waren im vollen Harnisch zugegen. Ein Losungswort wurde jedem neu Eintretenden abgefordert, nicht Jedermann sollte Bescheid wissen um das, was im Werke war; eine einzige böse oder unvorsichtige Zunge konnte das Gelingen hindern, konnte die Stadt in's Verderben stürzen. Niemand der Versammelten ahnte, daß in diesem Augenblick ein geheimnißvoller Dolchstoß einen Boten Adam Schwartze's an den Markgrafen von Kulmbach niederwarf.

Auf dem Wall hinter dem Dom hielt, während man sich zu Sanct Gangolf zusammenfand, Markus Horn die Wacht bis Mitternacht. An der Brüstung lehnend, blickte er in die Nacht hinaus; es war gegen elf Uhr und augenblicklich hatte das Schneien aufgehört. Ueber den Lagern des Feindes zu Buckau und zu Diesdorf lag ein rother Feuerschein; geisterhaft schimmerte das weiße Feld, und nur auf der Stelle der verbrannten Sudenburg hoben sich die schwarzen Schattenmassen der Ruinen. In diesen Ruinen hatte auch der äußerste Posten der Belagerer sein Wachtfeuer angezündet, und dunkle Gestalten bewegten sich von Zeit zu Zeit durch den aufflammenden und niedersinkenden Schein dieses Feuers. Wenn auch die Augen des jungen Rottmeisters an dieser Stelle hafteten, seine Gedanken weilten ganz wo anders. Rückwärts schweiften seine Gedanken, schwebten über den schneebedeckten Thürmen, Giebeln und Dächern der Vaterstadt, hin um das dunkle Gemäuer, vorüber an erhellten und dunkeln Fenstern, bis sie das Haus der Geliebten erreicht hatten. Jeder Stein in den Gassen und in dem Mauerwerk von Thurm, Haus und Wall; jede Straße und Straßenecke, jeder Markt und Kirchhof rief dem vorbeieilenden Geist etwas zu. Bilder der Vergangenheit, Mahnungen der Zukunft griff der Geist im blitzschnellen Schweifen auf, trug sie fort und bildete einen Kranz daraus, in welchem die Geliebte in holdseliger Schöne stand und winkte. Was die Steine, was die lebendigen Wesen, die sorgenvollen Greise, die ängstlichen Mütter, die kleinen Kinder, die jungen Mädchen dem Geiste Markus Horn's zuriefen, in dem Gedanken an die Geliebte schloß es sich Alles zusammen. In diesem Gedanken wurde Markus Horn ein anderer, ein besserer Mensch. Die Schlacken, welche die wilde verworrene Zeit auf seinem Herzen und um sein Herz hatte entstehen lassen, fielen ab; er wurde weicher und doch immer stärker in seiner Liebe. Sonst war er nur verwegen gewesen, hatte sein Leben um jeden tollen Einfall auf's Spiel gesetzt; opferfreudig wurde er jetzt. Eine Narbe, die er aus früherer toller Zeit auf der Brust trug, auf welche er einst stolz gewesen war, erschien ihm jetzt fast gleich einem Brandmal. Sein bestes Herzblut hätte er nun verstürzen mögen zum Zeichen seiner Umwandlung, zum Zeichen seiner Liebe; und eine Lebensfreudigkeit, die er sonst nie gekannt hatte, erfüllte ihn zu gleicher Zeit, trotz manchem Druck, der noch auf ihm lag.

»Steht und gebt's Wort!« schrie Jochen Lorleberg, auf seinem Posten den Spieß fällend. Vom Sudenburgerthor marschirte der Rottmeister, welcher die Wachen abzulösen hatte, mit seiner Rotte heran. Markus Horn wurde emporgerissen aus Traum und Sinnen; die harte Gegenwart trat wieder in ihr Recht. Der Dienst des Abgelösten war noch nicht zu Ende; geheimen Befehl hatte Markus erhalten, um Mitternacht von seinem Posten seine Schaar nach dem Domplatz zu führen, und diesem Befehl kam er jetzt nach. Ein anderes wunderliches Gebot: beim Abmarsch vom Wall ein Hemd über Harnisch und Wamms zu werfen, erfüllte man mit Verwunderung und geheimem Lachen, und zog nun daher weiß im weißen Schnee gleich einer Gespensterschaar. Auf dem Domplatz oder Neuen Markt fand man bereits das Fähnlein des Hauptmanns Kindelbrück fast vollständig zusammen und die letzten Rotten rückten eben von ihren Sammelplätzen heran. Auch die Reiter hielten vor der Domprobstei; – Reisige und Knechte mit übergeworfenen Hemden.

Noch wußten Wenige, um was es sich handle, und mancherlei Vermuthungen wurden aufgestellt, bis gegen ein Uhr gerufen wurde, daß man den Ring bilden solle. Solches geschah, und neugierig reckte Reiter und Knecht den Hals und spitzte das Ohr, als Ebeling Alemann und Hans Kindelbrück, Ritter Wulffen und Christof Alemann in den Kreis ritten und die andern Hauptleute sammt dem Rath von der Caldaunencapelle her ebenfalls hereintraten.

Nun hob sich der Stadtoberste, Herr Ebeling, im Sattel, und redete die versammelten Kriegsleute an. Erst strich er weidlich ihre Tapferkeit und Verdienste um die Stadt heraus; dann sprach er von dem geleisteten Schwur, miteinander auszuhalten bis in den Tod; dann redete er von Belohnungen, großer Beute und dergleichen, und zuletzt rückte er mit dem Hauptpunkt heraus, als zustimmendes Gemurmel und verhaltenes Vivatrufen ihm die Stimmung günstig erscheinen ließ. Jetzt sei der Augenblick gekommen, sprach er, wo man Manneskraft und Mannesmuth beweisen und ewige Glorie und die reichste Beute gewinnen könne. Erfahren habe man, wie in Großottersleben die Stiftsjunker mit ihren Dienstleuten sorglos in ihrem Lager lägen, nichts fürchteten, Tag und Nacht toll und voll wären und leichtlich ohne große Gefahr aufgehoben werden möchten. Beschlossen habe man, nach eingeholtem Rath aller versuchten Kriegsleute in der Stadt, Solches zu unternehmen. Alles sei vorbereitet, günstig sei das Wetter, ein Ausfall auf die Neustadt solle den Feind täuschen und abziehen, – nun frage es sich, ob der Stadt Kriegsvolk mit den Bürgern Herz und Hand daran setzen wolle? Gezwungen solle Niemand werden, wer nicht mit ausziehen möge, der könne zurücktreten; man verhoffe aber, daß Niemand also feiglich hinter den Ofen kriechen werde, während die Genossen die Hand auf die reiche Beute, auf die Ritter und die Dompfaffen legten. Frei sei der Weg; ziehen werde man zwar zwischen zween feindlichen Lagern, zwischen Buckau und Diesdorf, aber das sei nur ein Spaß. Wer mit dabei gewesen sei, wer das Pfaffen- und Adelsnest mit aufgehoben haben werde, der möge künftig kühnlich sich überall oben an den Tisch setzen. Ein Stücklein werde es sein, wie die tapfersten Kriegsleute es nimmer noch ausgeführt hätten.

Da gegen Schluß dieser vortrefflichen Rede ein allgemeines begeistertes Geschrei auszubrechen drohte, so fügte Herr Ebeling Alemann noch hinzu:

Brüllen solle man nicht, daß der Feind nicht Unrath merke; wenn man mit den Waffen klirre und die Spieße aneinanderschlage, so wolle er das zum Zeichen nehmen, daß man einverstanden sei, daß man den Einsatz wagen und die an der Ohre aufgenommene Schuld abzahlen wolle.

Ein nicht zu Ende kommen wollendes Rasseln und Klirren erhob sich nun; man stampfte und sprang im Schnee umher und biß sich fast die Zunge ab, um nicht doch noch seinen Muth, seinen Jubel laut hinauszuschreien.

Nach dem Stadtobersten redeten noch der alte Graf von Mansfeld und der Bürgermeister Hans Alemann. Ersterer meinte, wenn gute Kundschaft halber Krieg sei, so könne es diesem Unternehmen gewiß nicht fehlen – und Letzterer schwur, während des Zuges auf den Knieen liegen zu wollen wie Moses in der Schlacht der Amalekiter, und Gott werde mit seiner Stadt Magdeburg und seinen Streitern sein und die Stolzen und die Verächter seines heiligen Namens in ihre Hände geben.

Auch auf solche Worte schlug man die Wehren wieder klirrend zusammen, und Jeder festigte sich nach seiner Art zu dem großen Werk. Um zwei Uhr wurde der Feind in der Neustadt auf das Jäheste geweckt. Auf dem Wall vom Krökenthor bis zur Hohen Pforte donnerten die städtischen Geschütze, Mauerbrecher und Serpentinen ohne Aufhören gegen seine Werke. Ausfall auf Ausfall hatte er zurückzuschlagen. Der Schneesturm brach mit doppelter Gewalt los; er und der Stadt Feuer verblendeten, verwirrten den Feind auf's Trefflichste und halfen den Auszug auf's Herrlichste zu verbergen. Zwischen dem Krökenthor und der Hohen Pforte, im Aufleuchten der Geschütze, im wirbelnden Gestöber lagen auf den Knieen der alte Hans Alemann, der Rathmann Horn und viele, viele andere Bürger, Gott um Hilfe und Beistand und Gelingen anrufend. Aus dem Sudenburgerthor ging im tiefsten Schweigen der Zug der zum Ueberfall des Stiftsadels ausziehenden Reiter und Knechte. Im wehenden Schnee wand er sich vorsichtig dahin, und die übergeworfenen Hemden thaten das Ihrige dazu, daß keine feindliche Wacht die Hakenbüchse abschoß und den Alarmruf gab. Ein Theil der Posten war erblindet im Schnee und Sturm; ein anderer Theil glaubte Gespenster und Teufelsspuk vorbeischweben zu sehen und sprach zitternd sein Stoßgebetlein; aber hielt sonst das Maul. – Ein Zeichen soll diesem Zuge vorangegangen sein, gleich wie der Schlacht vor Hillersleben. In dem Augenblick, wo die Zugbrücke des Sudenburgerthors fallen sollte, hat man drei Schläge davor gehört, als stoße Jemand mit aller Kraft das Stabende eines Spießes dagegen, daß es fast klang wie eine Aufforderung zu diesem Zuge. Als die Zugbrücke über dem Graben lag, und die Spitze des Zuges drüber hinschritt und um sich schaute, erblickte man jedoch nicht das Geringste. Viel wurde darüber gesprochen und wir lesen seltsamerweise in einer Chronik:

»Etliche haben wollen außgeben, als habe solches Hertzog Moritz selber gethan.«

Die Volksmeinung über die politische Stellung des Mannes liegt nirgends besser als in dieser wunderlichen Notiz zu Tage. Freilich wollten die Meisten meinen, nicht der Kurfürst Moritz von Sachsen, sondern der heilige Herr und Ritter Mauritius habe dergestalt der Stadt die Anmahnung und Vertröstung zu dieser trefflichen That zukommen lassen.

Noch wollen wir anführen, wie Herr Georg Rollenhagen ungefähr fünfzig Jahre später diesen Zug gegen das Reiterlager zu Ottersleben poetisch und humoristisch verwerthete. In seinem Froschmeuseler erscheint vor Beginn der grausamen Schlacht zwischen den Mäusen und Fröschen, auf Seiten der erstem der Hauptmann Friedlieb »vom Magdeburger Sachsen Stamme«, der Repräsentant der bedächtigen Tapferkeit, die so lange als möglich vom Krieg abräth, todtgeredet und verspottet wird von den Eisenfressern und der heißblütigen Jugend, und zuletzt doch das Beste thun muß, wenn alle Andern zu Schanden geworden sind. Des Fürsten Friedlieb und seiner Schaaren Fahn' und Aufzug wird beschrieben:

»Eine Roteburgk war jhr' Heubtfahn',
Darauf sahe man erhoben stahn,
Ein' Jungfrau in eim grünem Kleid,
Die zeigt ein Krentzlein wol bereit'
Von Blümlein je lenger je lieber,
Bringen manchem ein heimlich Fieber;
Es ward mit Buchstab'n auch bedeut':
Umb Diese Meyd Ist All' Erbeit.

– – – – – –

Damit man auch an allem End'
Seine Krieger für ander kent,
Bey Finsternacht in sonderheyt,
Wenn die erreicht der spethe Streit,
Fürst Friedlieb in sonderheyt wollt,
Das jeder ein Hembt führen sollt'
Ueber die Rüstung angethan,
Daß sie all' wurden weiße Mann.«

Nun müssen diese weiß angethanen tapfern Kriegsleute viel Lachen und Höhnen und großen Spott anhören, und man ruft:

»Siehe die Jungfrawe Knecht, sind nur zu Tanz und Bett gerecht.« Herr Friedlieb aber und seine Schaaren halten es unter ihrer Würde, dem zu antworten, ziehen ruhig weiter und denken:

»– ihr sollt erfahren recht,
Ob wir sein Mägdlein oder Knecht.« –

Glücklich langte der Stadt muthiges Kriegsvolk vor dem Dorf Großottersleben an und fand hier gar keine Wachen ausgestellt. Die Junker hatten bis Mitternacht nach ihrer Art wieder herrlich bankettirt und lagen jetzt schnarchend auf dem Stroh. Ihre Dienstmannen waren ihrem Beispiel treulich gefolgt, und Niemand im ganzen Reiterlager merkte, wie die Magdeburger das Dorf umstellten.

»Heut' Nacht gilt's für Hillersleben, Markus!« flüsterte Christof Alemann dem Rottmeister Horn zu, und dieser ermahnte seine Leute, sich wacker zu halten: man wolle diesmal anders heimkommen als aus der Schlacht an der Ohre.

»Laßt uns nur los, Rottmeister«, brummte der lange Heinz Bickling, »Ihr sollt Eure Freude an uns haben; ich wünsch' mir weiter nichts, als solch' einen fetten Dompfaffen beim Wickel zu fassen.«

»Laßt uns nur dran!« flüsterte Jochen Lorleberg. »Wir wollen sie schon kitzeln. Da ist ein Fricke von Veltheim – hat mir vor Braunschweig einen Tritt geben, als ich ihm in der Trunkenheit in den Weg kam – o heiliger Strohsack, den möcht' ich im Bett fassen, wollt' ihm schon die Deck' vom Leibe ziehen!«

»Laßt's gehen! Laßt's los! Laßt uns dran!« grollte es im Heer, und die Reitertrompete klang zum Angriff. Hui drauf und dran mit gellem Schlachtruf und Weckruf. Berannt und erbrochen war im selbigen Augenblick das Thor des ummauerten Dorfes. Vollständig gelang die Ueberrumpelung der Stiftsjunker. Von ihren Lagern fuhren die so jach, so schrecklich Geweckten; hin und wider liefen sie sammt ihren Dienstleuten; Manche halb nackt und ohne Wehr, Alle sinnlos, rathlos, verzweifelnd. Wer sich wehrte, ward ohne Gnade niedergestochen; in Flammen gingen mehrere Gehöfte auf, und manch' guter Ritter und manch' gutes Roß ging elend darin zu Grunde. In allen Häusern floß das Blut stromweise; in die Keller flüchteten viele stolze Herren; aber auch dahin drang man ihnen nach, erschlug sie oder fing sie. An Herrn Fricke von Veltheim legte Jochen Lorleberg wirklich die Hand und riß ihn gefangen auf die Dorfgasse. Gefangen wurden Asche von Kramme, Busso und Kaspar von der Schulenburg, Balthasar von Warstedt, zwei Edle von Platen, zwei Herren von Arnim, Christof von Schleinitz, sammt dreiundzwanzig Andern vom Adel und hundertdreiundneunzig Dienstmannen. Siebenundzwanzig andere Edelleute hatten sich im Dorfe befunden, davon retteten nur Wenige ihr Leben durch die Flucht, und zogen somit die am meisten Begünstigten gar schlechten Lohn aus der Pfaffen Dienst. Im Hemd floh Herr Johann von der Asseburg, der Rittmeister, über die Dorfmauern und das Schneefeld.

Zweihundertdreiundsechzig Pferde erbeutete das Magdeburger Kriegsvolk, und wie Herr Sebastian Besselmeier sagt: »Kam dißmals mancher Landsknecht wieder in die Stadt geritten, welcher vor zu Fuß hinausgegangen war!« Manch' armes Knechtlein stülpte in dieser Nacht einen ritterlichen Helm auf das Haupt und vertauschte seinen schlechten Harnisch mit einem köstlich ausgelegten und geätzten. Des Erzstiftes Hauptfahne, das uralte Banner des heiligen Mauritius, welches der heilige Kriegsmann selbst vom Himmel herabgeschickt haben sollte, riß Meister Balzer Grünenberg von Salza, seines Zeichens ein Kleinschmied, aus ritterlicher Hand und trug es im Triumphe heim zur Stadt.

Nur einen Aerger hatten die Magdeburger bei diesem Sieg; ihre beiden Hauptfeinde, die Domherren Albrecht von Eracht und Johann von Walwitz, entgingen ihnen. Gezecht hatten sie zwar mit den Rittern zu Ottersleben, waren dann aber, um die »Ungelegenheit« des Lagers zu vermeiden, nach Wanzleben heimgekehrt. Hätte man diese beiden Herren auch gefangen, so wäre das der Stadt »sonderlich nütz und gut gewesen.«

Innerhalb dreier Stunden war das treffliche Unternehmen angefangen, in's Werk gesetzt und glücklich zu Ende geführt, ohne daß ein Schuß gefallen wäre aus den Lagern zu Buckau und Diesdorf. Es kam der siegreiche Heereszug gegen fünf Uhr Morgens wieder vor dem Sudenburgerthore an.

Das war eine andere Heimkehr als die nach der Schlacht an der Ohre!

Jauchzen und Frohlocken erfüllte unseres Herrn Gottes Canzlei; denn das Gerücht von dem Unternehmen hatte sich zuletzt doch ausgebreitet, und alle Gassen am Sudenburgerthor waren dicht gedrängt voll von ängstlich harrendem Volk. Man hatte den Feuerschein des brennenden Ottersleben gesehen; in Hoffen und Bangen waren die Stunden vergangen. Mißlang dieses Unternehmen, so konnte leichtlich die ganze Stadt mit in das Verderben gerathen. –

Sieg! Sieg! Sieg!

Wir treffen hier am Sudenburgerthor zu dieser Stunde alle unsere alten Bekannten wartend, im Schnee bis an die Knie. Da war der Magister Flacius Illyricus, da war der Doctor Alberus, da war der Buchdrucker Lotther, gestützt auf den Arm seines Factors Cornelius. Der ganze Rath war am Thor versammelt, es fehlte nicht Herr Albrecht von Mansfeld, es fehlte nicht der Gassenprediger, Magister Rhodius. Die ganze Geistlichkeit außer einigen hochbetagten Greisen war vorhanden. Herr Hans Springer mit seinem Leutnant Adam Schwartze stand unter der Thür der Wachtstube, und mit ängstlichem Grimm zerbrach sich Letzterer den Kopf über die Frage, was aus seinem Boten geworden sei?! Ein wunderlicher Unstern schwebte über allen seinen Sendungen dieser Art; überall fand der Leutnant eine geheimnißvolle hindernde Macht auf seinen dunkeln Wegen.

Alle nahen und fernen Fenster den ganzen Breiten Weg entlang waren hell erleuchtet, Pechpfannen waren am Thor aufgepflanzt und warfen ihr flackernd Licht über die Harrenden und färbten den Schnee blutigroth. Frauen waren an diesem Morgen nicht so viel unter der Menge, wie am Morgen des Tages der Schlacht an der Ohre. Viel Bürgerinnen erwarteten diesmal nicht Bruder, nicht Ehemann und Vater aus dem Felde zurück; nur die Söldnerweiber drängten sich diesmal eben so wie an jenem Septembermorgen heran, unruhig, aber doch nicht außer sich vor Angst. Ihr Leben brachte einmal diese Aufregungen mit sich, und sie mußten sie nehmen, wie sie kamen.

Es war eine gehobene, doch nicht laute Stimmung im Volke. Den Magister Rhodius, welcher den Versuch machte, sich auf einen Eckstein zu schwingen, die Macht seiner Rede zu zeigen, zog der alte Graf von Mansfeld eigenhändig wieder herunter und sprach zu ihm:

»Meisterlein, gebet Euch keine Mühe. 'S ist noch allzufrüh am Tag und auch zu kalt. Die Kinder schlafen noch in ihren Bettlein und 's thut nicht noth, daß Ihr sie erwecket durch Euer Geschrei. Herr Prädikante, ein Schnabel gleich dem Eurigen ist mir in meinem ganzen Leben nicht vorgekommen.«

»Es stehet geschrieben und passet auf Euch, Herr Graf: Dein Maul lässest Du Böses reden und Deine Zunge treibet Falschheit!« rief ärgerlich der Gassenprediger.

»Und es stehet auch geschrieben: Ihren Rachen sperren sie wieder mich auf!« sprach gelassen der alte Graf.

»Und geschrieben stehet: Siehe, sie sollen zu Spott und Schanden werden. Alle, die Dir gram sind, sie sollen werden als nichts, und die Leute, so mit Dir hadern, sollen umkommen!« citirte kreischend der Magister.

»Geschrieben stehet aber auch: Die Narren haben ihr Herz im Maul; aber die Weisen haben ihren Mund im Herzen!« lächelte der Graf und fügte hinzu: »Geschrieben stehet auch: Des Narren Herz ist wie ein Topf, der da rinnt und kann keine Lehren halten.«

Es war ein Glück, daß die beiden bibelfesten Herren im Gedränge voneinander kamen, sie würden mit ihren Citaten aus dem Psalmisten, dem Jesaias und dem Jesus Sirach sonst so bald nicht zu Ende gekommen sein.

Gewonnen! Gewonnen! Heran wogte es schattenhaft – Rosseshufe und Männertritte – und nun, nachdem glücklich das feindliche Lager zu Buckau passirt war, ein Jubelgeschrei im kommenden Heer, ein Lustgebrüll von vierzehnhundert Landsknechtkehlen! Und nun – eben so wild jauchzend der Antwortruf der Canzlei unseres Herrn Gottes:

»Gewonnen! Gewonnen!«

Von der Spitze des nahenden Heerzuges lösten sich einzelne Reiter ab und sprengten im Galopp vorauf. Heran jagte der Rittmeister Wulffen:

»Victoria, Victoria! Gelungen, gewonnen, Ihr Herren von der Stadt!«

»Dank Gott! Gott sei die Ehre!« rief der alte Bürgermeister Hans Alemann, die Hände in die Höhe reckend.

Näher und näher schmetterten die Trompeter der Reiter ihren lustigen Marsch, näher und näher wirbelten die Trommeln des Fußvolks, näher und näher klang das Jauchzen und Singen der sieghaften Männer. Unter dem Stadtthor aber hob sich in der Menge Herr Nikolaus Hahn, der Pfarrherr von Sanct Ulrich, und stimmte klangvoll an:

Herr Gott! Dich loben wir!
Herr Gott! Wir danken Dir!

Und ein fiel das Volk, und ein fiel das Heer; unter dem Fallgatter des Sudenburgerthores neigte sich in den Händen Balthasar Grünenberg's von Salza das gewonnene heilige Banner des Erzstiftes, die Fahne des heiligen Moritz.

Dreihundert Reiter hatte die Stadt ausgesandt; nun ritten über die Zugbrücke wohl sechshundert zurück. Auf den Spitzen der Spieße trug man manch' schönes Beutestück, manch' kostbaren Panzer, manch' anderes werthvolles Harnischstück heim. Treffliche Büchsen und Reiterschwerter waren in Menge aufgegriffen worden. Trübselig schleppten sich die gefangenen Ritter im Siegeszug einher, ließen mit verhaltenem Geseufz die Köpfe hängen, und beneideten vom Herzen die Itzenplitz, die Bismarck, die Gevettern von der Schulenburg, die Möllendorf, die Alvensleben, die Marenholtz, die Lossow, die Bülow, welche erschlagen in den Gassen oder Häusern von Ottersleben lagen. Trübselig genug trottelten auch die Dienstleute daher, obgleich dies Mißgeschick ihnen nicht so an die Ehre griff, wie ihren Herren. Bei Mannesgedenken war »der Adel nicht in solchen Schaden gerathen.« –

Als Markus Horn an der Spitze seiner Rotte, die ebenfalls manchen guten Griff gethan hatte, unter dem Thor vormarschirte, erblickte er seinen Vater in der vordersten Reihe des Volkes. Dicht schritt der Sohn an ihm vorüber, nahm demüthig das Barrett ab und beugte sich tief; da neigte auch der Alte das Haupt, und Markus nahm's für ein glücklich Zeichen, obgleich der Vater die vorgestreckte Hand nicht zu sehen schien. Sein Te deum laudamus unterbrach aber der Buchdrucker Michael Lotther, als der Rottmeister vorüberzog.

»Vivat, Markus!« schrie er. »Vivat, das ist ein Streich! Vivat, Markus, das wiegt das Feld an der Ohre doppelt auf!«

»Eine kühne, männliche That habt Ihr allgesammt vollbracht, Herr Rottmeister!« rief der Doctor Erasmus Alberus, welcher in das: Herr Gott, Dich loben wir, nicht einstimmte, da er sich erkältet hatte und an Heiserkeit litt. »Man mag Euch aus vollem Herzen Glück dazu wünschen, Herr Horn!«

»Wenn Ihr mich heut' auf einen Becher Anisbieres besuchen wollt, so sollt Ihr hoch willkommen sein, Herr Rottmeister!« rief der Magister Flacius. »Auf eine gute That gehört ein guter Trunk.«

»Brr!« machte der Doctor Alberus, und schüttelte sich und lachte, und Herr Flacius Illyricus zuckte, bedauernd den Doctor anblickend, die Achseln.

Wir lassen jetzt die Stadt Magdeburg in ihrem Jubel und werfen einen Blick in die Lager des Belagerungsheeres. Da jubelt und jauchzt man nicht; aufgejagt durch die Nachricht von dem Geschehenen, stand man anfangs betäubt, als habe man einen Schlag vor die Stirn erhalten. Dann brach die helle Wuth aus, sowohl bei dem höchsten Befehlshaber, wie beim geringsten Troßknecht'; beim Reichskriegscommissarius Lazarus von Schwendi, wie beim Sudler Martin Pust. Dem wilden Markgrafen von Kulmbach, dem heißblütigen Jürg von Mecklenburg schossen helle Zornesthränen in die Augen, die Haare rauften sie, zerschlugen in ihren Quartieren Alles, was ihnen zuerst in die Hände fiel. Nach ihren Gäulen schrieen sie, nach ihrer Rüstung, nach ihren Schwertern.

Ueberall ein Rennen und Laufen, ein Fluchen und Toben; – dazwischen die Trompeten, die Lärmtrommeln, die zu den Waffen riefen – es war ein heilloser Morgen für des heiligen römischen Reiches Belagerungsheer!

»In Weiberröcken, auf Eseln, einen Federwedel in der Hand müßten wir ausziehen, das haben wir verdient!« schrie der Kulmbacher im Lager zu Buckau.

»Aller Welt zum Kinderspott sind wir worden in dieser Nacht!« heulte zu Diesdorf Herr Jürgen von Mecklenburg.

»Heraus, Ihr Hunde, auf die Gäule!« schrie er einige Reisige an, die ihm nicht schnell genug in den Sattel kamen.

»O Herr von Kotze, wenn wir das nicht rächen, ehe es Mittag worden ist, so verdienen wir, daß uns die Bürgerweiber mit Kochlöffeln aus unsern Schanzen schlagen. O Herr Levin von Winterfeld, hinaus, hinaus auf die Hunde, die schäbigen Hunde. O hört nur, wie sie Triumph schreien bis hier herüber; o könnt' ich ihr Geschrei doch ersticken in ihrem Blute!«

»Sie schreien nicht bloß, gnädiger Herr«, sprach Kaspar Flans; »sehet nur, sehet nur, da fallen sie schon wieder vor aus der Stadt. Ist denen der Kamm geschwollen!«

»Herunter mit ihnen! Gottes Tod, herunter mit ihnen! Auf die Gäule, Ihr Herren. Einen blutigen Thomasabend wollen wir ihnen heut' machen; rothen Schnee soll's heut' geben. Hinaus! hinaus auf sie!«

Rasselnd schwangen sich die edeln Herren, den Tod, die Gefangenschaft, die Schmach der ritterlichen Genossen zu rächen, auf die gepanzerten Rosse. Die jauchzenden Schaaren der Städter schwärmten bereits gegen die Schanzen bei Diesdorf heran. Es war sieben Uhr; das Schneien hatte ganz aufgehört, es wurde ein klarer, frischer Wintermorgen.

Aufeinander stießen die Haufen. Wacker tummelten sich die städtischen Reisigen und Knechte und die Bürger, angespornt durch das herrliche Gelingen des nächtlichen Ueberfalls, mit den Reisigen des Mecklenburgers. Hin und her wogte der Kampf, und mancher Streiter färbte den Schnee mit seinem Blute roth. Am Siechenhof kam das Gefecht zum Stehen. In drei Haufen theilte sich der Feind, die Magdeburger einzuschließen, und auf den Wällen und Mauern der Stadt hatte das Volk einen Augenblick durch große Angst und sah, daß der »Feind es gar böse im Sinne« hatte. Um den Siechenhof her »sommete es im Felde, wie ein Schwarm Bienen«; aber die Bürger und städtischen Hakenschützen pfefferten tapfer in die ansprengenden Reisigen, so daß diese erst sich in sich selbst wandten, dann zurückwichen und unter das große Geschütz der Wälle geriethen. Sechs grobe Stücke wurden im richtigen Augenblick von Thürmen und Mauern auf den erschreckten Feind, der nicht wußte, »wo er bekehret war«, losgebrannt, und jeder Schuß erhöhte die Verwirrung. Vom Siechenhof stürzten im vollen Lauf Bürger und Hakenschützen vor, »truckten mit Gewalt hinter dem Feind her und jagten ihn mit ihren halben Hacken biß auff's hohe Feld hinan, trieben den Feind für ihnen hin und schoßen in jhn gleichsam in eine Herde Viehes.«

Wie ein Rasender tobte Herr Georg von Mecklenburg im Feld; »warlich mit hefftigen Zorn« kam er eilends, die Seinigen zum Stehen zu bringen. Der Schaum stand ihm vor dem Mund, und sechsmal sprengte er mit aller Macht gegen die Magdeburger an. Diese aber standen fester als in der Schlacht an der Ohre. Mit Spießen und Büchsen, mit Schwertern und Faustkolben stach, schoß und schlug man aufeinander ein. Ein übel Weihnachtsfest sollte dem Herrn Jürgen und den Seinen bereitet werden. Wiederum wichen die Reiter des Belagerungsheeres; umringt wurde der Herzog von den ergrimmten Städtern. Er bekam einen Schuß in den linken Arm und in das rechte Bein, mit einem »Dreiecker« wurde er in die Lende gestoßen; aber gleich einem Wahnsinnigen schlug er immerfort um sich, und sein bissiger Gaul, eben so toll wie der Reiter, biß, schäumte und schlug aus und kämpfte eben so tapfer.

»Auf ihn! Auf ihn! 'S ist der Mecklenburger!« schrie ein städtischer Rottmeister, dem Pferde des Herzogs in die Nüstern greifend, und es mit gewaltiger Kraft niederreißend auf die Vorderknie. Dieser Rottmeister war Markus Horn, und neben ihm führte Sebastian Besselmeier einen neuen Streich gegen den Fürsten, rufend:

»'S ist Herzog Georg! Haltet ihn fest! Herzog Georg, der Rechtschuldige! Haltet ihn, verwahret ihn wohl!«

Und wieder griffen alle Fäuste der Bürger und städtischen Knechte zu und rissen den Herrn von Mecklenburg zu Boden; aber gefangen wollte er sich nicht geben, er sperrte und spreizte sich, wollte sich auch nicht heben und tragen lassen; – ließ »sich also wohl Gassen lang schleppen und trecken«; und Pfüffe, Stöße und Knüffe regnete es im Ueberfluß auf ihn herab. Schwert, Büchse und Wehr ward ihm eins nach dem andern entrissen.

»Schlage todt! schlage todt!« schrieen die wüthenden Bürger. »Das für Hillersleben! Das für meinen Bruder! Schlage todt! schlage todt!«

Vergeblich suchte Markus Horn diesen Mißhandlungen Einhalt zu thun; da der Fürst sich nicht gefangen geben wollte und immer noch der Meinung war, die Seinen könnten ihn noch befreien, so war auch nicht viel zu machen gegen die Wuth der Leute. Die Rüstung, das Sammetkoller, das Wamms wurden dem Gefangenen in Stücken vom Leibe gerissen.

»Schlage todt den Hund! schlage todt!« schrie man immer wilder, und eine spottende Stimme kreischte gellend im schrecklichen Spott:

»Schlage Ritter und Fürsten todt; laß Bauer und Bürger leben!«

So ward das böse Wort aus der Schlacht an der Ohre dem Herzog von Mecklenburg schrecklich, aber wohlverdient heimgegeben, und ein neuer Schlag, den er mit einem Haken in's Gesicht erhielt, brachte ihn endlich doch dazu, um Gnade zu bitten. Dem Reiter Kilian von Altenburg, welcher ihn zuerst durch den Schuß in's rechte Bein verwundet hatte, gab er sich gefangen.

Da wurde er aus dem zertretenen Schnee und dem Blut aufgehoben, und betäubt und halb von Sinnen auf ein weißes Roß gesetzt und unter Triumphgeschrei der Stadt zugeführt, ein Bild des Jammers und Elends. Die wilden drohenden Augen ringsumher, die immerfort noch bedenklich gegen ihn gerichteten Waffen brachen seinen Muth gänzlich, und flehentlich bat er die ihn umgebenden Landsknechte, ihn doch vor den Bürgern zu schützen.

Durch das Sudenburgerthor wurde der Herzog in die Stadt geführt, wohin schon Nachricht von dem neuen herrlichen Fang gekommen war. Und als er unter der Thorwölbung hervorreiten mußte, da brach der letzte Rest seiner Standhaftigkeit zusammen. Ihm schwindelte, es schwamm vor seinen Augen; auf ein wogend, drohend Meer von Gesichtern blickte er wirr herab, und es war ihm zu Muthe, als müsse er darin untergehen.

»Ungnädiger Herr, willkommen!« rief der Oberste Ebeling Alemann, dem Gefangenen entgegentretend: »Euer Ungnaden soll uns ein lieber Gast sein, wir hätten Euch dergestalt gern längst bei uns gesehen!«

Aber der Herzog vernahm diese Worte kaum; er griff in die Mähne seines Schimmels, um sich aufrecht zu erhalten. Auf ihn ein drangen in hellen Haufen mit kreischendem Geschrei die Weiber, deren Verwandte in der Schlacht an der Ohre gefallen waren. Mit Aexten, mit Stangen, mit Schwertern und Spießen, die sie den Männern entrissen, wollten sie Rache an dem Gefangenen nehmen, und unzweifelhaft wäre er ihrer Wuth auch zum Opfer gefallen, wenn die Bürgermeister ihn nicht errettet und die Begleiter einen Wall um ihn her gebildet hätten. Halb ohnmächtig wurde der Gefangene in Peter Märten's Haus geführt; daselbst seine Wunden nothdürftig verbunden und ihm würziger Wein zur Stärkung gegeben. Eine Wache hielt das Volk vom Hause ab, denn immer von Neuem suchte die erbitterte Menge den Eingang zu erzwingen, und das schreckliche: Schlage todt! schlage todt! tönte immer fort.

Nachdem der Gefangene sich ein wenig erholt hatte, führte man ihn den Breiten Weg hinunter über den Alten Markt zum Rathhaus, und mit matter, kläglicher Stimme hat der Herzog auf diesem schweren Gange mehr als einmal gerufen:

»Wo kommt solch' Volk all' her? Meint' ich doch, sie wären all' umkommen in der Schlacht vor Hillersleben! Welch' Volk! welch' Volk!« – –

Die Frau Margaretha Horn und Jungfrau Regina Lottherin waren nicht, gleich den andern Frauen und Mädchen, in die Gassen gestürzt, den Einzug des unglücklichen Feindes zu schauen. Aber Jubel und Hoffnung war auch in ihren Herzen. Zum ersten Mal seit Beginn der Belagerung ließ der Rath die Thurmuhren wieder schlagen, zum ersten Mal seit der Schlacht an der Ohre riefen die Glocken etwas Anderes als Sturm. Auch die große Domglocke, die man seit drei Jahren nicht angezogen hatte, ließ ihre feierliche Stimme erklingen zum Zeichen, daß Freude sei in unseres Herrn Gottes Canzlei, in der Alten, treuen, tapfern und so schwerbedrängten Stadt Magdeburg.

Vom Rathhause wurde der Herzog Georg in Moritz Alemann's Haus auf dem Breiten Weg, zum Lindwurm genannt, geführt und daselbst zwar fürstlich gehalten, aber doch von bewaffneten Bürgern in einem mit eisernen Stangen und Thüren wohl verwahrten Gemach bei Tag und Nacht bewacht, und wurde er dieser Haft erst mit Ende der Belagerung ledig. Mit dem Herzog geriethen in der Magdeburger Hände Herr Hans von Kotze, Herr Levin von Winterfeld, Herr Kaspar Flans, Herr Dietrich von Trotha, Herr Albrecht von der Schulenburg. Jeder Bürger der Alten Stadt zog in seinem Kalender einen rothen Strich unter dem neunzehnten und zwanzigsten December. Ein vollgerüttelt Maaß hatte der Feind für seinen Sieg an der Ohre wieder erhalten:

»Ach Gott desselben nicht vergiß,
Der dieses Elends Ursach' ist!«


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