Stanislaw Przybyszewski
Vigilien
Stanislaw Przybyszewski

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IX.

Und nun still, so still, daß jeder Ton in der Luft hängen bleibt, daß jeder Lichtstrahl in der Atmosphäre taub wird.

Kein Ton und kein Licht ...

Ich liege da, so weich gebettet, so still um mich herum, so weich und still.

Und dieses melancholische Dunkel, dieses lustmüde, kranke Dunkel mit den fieberheißen, pochenden Schläfen.

Die Rosen ganz welk. Wie sie zittern in dem düstern Flor des Dunkels, und in den Urnen ihrer Kelche ruht der Tod, und die Blätter fallen ab wie Töne einer berührten Saite ...

Und wieder seh ich dich wie einst, in deiner nackten Gliederpracht; doch du bist mir fern, und ich sehe dich an mit dem kalten Blick gestillter Brünste.

Mein großes Auge, die Weltensonne, hat dich aus der Dunkelheit herausgehoben. Mein kosmischer Wille hat in dir die Ewigkeit besucht. Du warst das lächerliche Spielzeug, das unter meinen Händen zum Fetisch, zum heiligen Idol wurde. Ich habe in dir die Lüste geweckt und dir ewig neue Reize angedichtet – doch jetzt ist mein Blick für dich erloschen, nicht mehr schlägt das Herz in den Rhythmen deiner Lust.

Nein, nein!

Du nicht, mit deines Leibes lockenden Lüsten.

Du nicht, mit deines Schoßes tierischer Brut.

Dich brauch ich nicht, und gleichgültig ist mir mein blonder Knabe, dies lächerliche Stück Unsterblichkeit ...

Doch Du in mir, Du meines Hirnes ewige Gefährtin, Du meines Herzens uferlose Macht –

Du nur, Du zerlegt in tausend Flächen, Du zerstäubt in tausende Stäubchen Duftreiz –

Du in Milliarden Lichtfunken –

Du, zersiebt, zerflockt, zerfasert in tausend Stimmungen, in tausend träufelnde Gefühle –

Du, die Abendröte über dem herbstlichen Feld –

Du, der mystische Reiz der Religionen, Du warst und bist meine Unsterblichkeit:

Du meine große, heilige Kunst!

Verschwunden ist mir deines Leibes Pracht und vergessen; doch Du in Mir bist der Aufgang einer neuen Welt. Neue Instinkte habe ich geschaffen, tausend schlummernde Organe zum Genuß erweckt, tausend neue Verbindungen in hundert Gehirnen gestiftet, und das alles seh' ich zeugen fort und fort, und das alles seh ich sich durch kommende Geschlechter mehren, und sehe neue Kulturen wachsen, und feinere Zuchtwahl seh ich tätig – in die Unendlichkeit des Menschengeschlechtes lebe Ich durch Dich ...

Und eine lange, weiche Hand seh' ich sich zu mir herüberschieben, wie Sternenlicht im Nebel dämmert sie aus der Dunkelheit.

Licht im Zimmer, – eine Gestalt in sonnenhafter Herrlichkeit:

Abel!

Wie bist du auferstanden von der Bahre? Habe ich dich nicht getötet?

Komm, komm, mein Herzensbruder – ein tiefes Geheimnis!

An den Brüsten Einer Mutter haben wir gesogen, von derselben Muttermilch sind wir stark geworden, wir Kinder des Sündenfalls.

Verstehst du, daß ich dich töten mußte? Herzensbruder, weißt du's?

Du warst das starke, jungfräuliche Ja in mir, die zeugungskräftige Sehnsucht, die wie das heilige Werde ein neues Chaos brauchte, sich zu offenbaren.

Ja, ich mußte dich töten; denn die Macht meiner Lüste, die nach neuen Brünsten ihre Hände ringen, war zu groß für die gesättigte Ruhe deines Urwillens.

Bruder, komm nahe; ganz, ganz nahe ...

Ich Kain, ich der große Geheimnisse geschaut, ich der Geist der Erkenntnis und des Bösen, ich älter als du, weil ich Sünde und Verbrechen bin, ich weiß es:

Wir Beide sind Fehlgeburten, unsre Mutter eine Afteroffenbarung, und er selber, der die Mutter gezeugt hat, ist der Hohn Eines, der da über ihm ist.

Ja: ER ist da, und in einen neuen Geschlechtswillen wird ER sich kleiden, bis du und ich Eines werden.

Abel, Abel, Du wirst Ich!

Doch jetzt still – still ...

Die Rosen so welk, und die pochende, fieberheiße Stille um mich ...

Komm, mein blonder Sohn du; komm, du mein winziges Stück Unsterblichkeit! Wir beide in der Grandiosität unserer Nichtigkeit, wir armen Erdenwürmer.

Du, ich, und das weiße, rotäugige Kaninchen ...

 
13. Nov. 93.


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