Ludwig Preller
Griechische Mythologie II - Heroen
Ludwig Preller

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a. Europa.

Schon die Ilias kennt Europa, die Tochter des weitberühmten Phoenix, welche vom Zeus den Minos und den göttlichen Rhadamanthys geboren (14, 321). Nachmals haben Hesiod, Eumelos, manche Lyriker und die Logographen diese Sage ausführlicher 116 besprochenSchol. Il. 12, 292. Ausführlichere Erzählungen b. Moschos id. 2, Ovid M. 2, 833–875, F. 5, 605 ff., vgl. Höck Kreta 1, 83 ff.. Europa heißt bei diesen späteren Dichtern und Schriftstellern eine Tochter des Agenor, des mythischen Repräsentanten der Macht von Sidon, der Metropole aller älteren Colonieen und Ansiedelungen der Phoeniker und ihnen verwandter BevölkerungselementeFür Sidon nennen Herodot, Euripides u. A. das bei Homer noch nicht erwähnte Tyros. Φοίνιξ wird als Heros genannt in dem Eide der Stadt Dreros, eines von Knosos abhängigen Ortes, Philol. 9, 694 ff.. Seit Hesiod galt Europa nicht blos für die Mutter des Minos und Rhadamanthys, sondern auch für die des Sarpedon, des mythischen Stammhelden von Lykien, dessen Cultur gewöhnlich von einer Einwanderung aus Kreta abgeleitet wurdeHesych Καρνεῖος kennt auch einen Κάρνος als Sohn des Zeus und der Europa, höchst wahrscheinlich nach kretischer Ueberlieferung..

Phoenikische Sagen und Münzen zeigen das Bild der Astarte auf dem Stier, wobei ein altes Cultusbild von Sidon zu Grunde lagLukian de dea Syria 4. Ein Gemälde der Entführung im T. der Astarte zu Sidon beschreibt Achill. Tat. 1, 1. Beide, Astarte und Zeus Asterios, waren als himmlische Mächte zugleich Gottheiten der See, Hes. ϑαλάσσιος Ζεὺς ἐν Σιδῶνι τιμᾶται. Europa auf dem Stiere auf sidonischen, kilikischen und kyprischen Münzen, Höck Kreta 1, 98, De Luynes num. de Chypres t. 5, 1. 2, Bullet. Arch. 1854 p. XXVII. Nach Malal. Chron. p. 31 feierten die Tyrier noch zu seiner Zeit die Entführung der Europa unter dem Namen der κακὴ ὀψινή d. h. des bösen Abends.. Es ist die Himmelskönigin in der Gestalt der wandernden Mondgöttin, die vom Himmelskönige Zeus in der Gestalt des Sonnenstiers getragen und über das Meer entführt wird, aus den Gegenden des Aufgangs in die des Untergangs, weil von einer Verdunkelung des Mondes die Rede ist. Denn Εὐρώπη ist die Dunkle, die VerdunkelteHesych εὐρωπόν, σκοτεινόν, πλατύ. Εὐρώπη χώρα τῆς δύσεως ἢ σκοτεινή vgl. Eustath. z. Dion. P. 270 und Demeter Εὐρώπη zu Lebadeia Paus. 9, 39, 3, Εὐρωπία ἡ Ἥρα Hes., χάσμα εὐρωπὸν πέτρας Eurip. Iph. T. 626. Andre halten das Wort für ein semitisches, vgl. hebr. ereb Abend, z. B. Buttmann Mythol. 2, 176. Noch Andre erklären Εὐρώπη durch εὐρύωψ in dem Sinne von Vollmond, Welcker kret. Col. 17., daher in Kreta und Boeotien von ihrem Versteck in einer Höhle erzählt wurdeDie Teumesische Höhle b. Theben, Paus. 9, 19, 1 Εὐρώπην δὲ ὑπὸ Διὸς κρυφϑῆναί φασιν ἐνταῦϑα s. oben S. 29, [Anmerkung 71].. Und damit scheint auch die Benennung des östlichen und westlichen Ländercomplexes am Mittelmeere durch Asien und Europa zusammenzuhängen, welche wahrscheinlich nicht von den Griechen, sondern von der früheren Bevölkerung Kleinasiens und der 117 Inseln ausgegangen ist. Liegt nehmlich bei dem Namen Asien ein Sprachgebrauch von Sardes, dem Mittelpunkte des lydischen Reiches zu Grunde, welcher mit der Zeit in immer größerem Umfange angewendet wurdeἌσιος λειμὼν am Kayster, die lydische Phyle Asias und ein gleichnamiger Eponym, Il. 2, 461, Herod. 4, 45, Str. 14, 650, ἅπασα Ἀσὶς μηλοτρόφος als Gebiet der Perserherrschaft b. Aesch. Pers. 763. Ἀσία die Gemahlin des Iapetos oder Prometheus, Herod. l. c, Lykophr. 1283 Tzetz. Asia und Europa unter den Okeaninen b. Hesiod th. 357. 359 vgl. Bd. 1, 432. Asia und Hellas als Heroinen auf der Dareiosvase., so scheint die Ursache der Benennung von Europa eben das Nächtliche, dem Westen und Norden Zugewendete der Lage dieser damals noch wenig bekannten Gegenden zu seinEuropa heißt zuerst das nördliche Festland zum Unterschiede vom Peloponnes und den Inseln, Hom. H. in Apoll. P. 73. 113. Daher man später den Namen auch wohl speciell auf Thrakien bezog, Schol. Eur. Rhes. 28, Et. Gud. Εὐρώπη..

Das durch Cultus und Sage geweihte Local der Fabel war auf Kreta die Gegend von Gortys und Phaestos an der südlichen Küste. Auf dem Flusse Lethaeos, dessen Name in Karien wiederkehrt und wahrscheinlich wie der der Leda zu erklären ist (oben S. 90), leitet Zeus seine schöne Beute nach Gortys, um hier der Liebe mit ihr zu pflegen, unter einer Platane welche, so behauptete man, niemals ihre Blätter verlorTheophr. hist. pl. 1, 10, 5, Varro r. r. 1, 7, Plin. 12, 11, Solin 11.. Zeus Asterios d. i. der Herr des gestirnten Himmels und der Sonne, dessen Symbol der schimmernd weiße Stier warἀργιμήτας ταῦρος ταχύμητις ἢ λευκὸς – ἐπὶ τοῦ διακομίσαντος τὴν Εὐρώπην Hesych cf. Didymi fr. p. 88 ed. M. Schmidt, Ovid M. 2, 852 color nivis est. Ζεὺς Ἀστέριος in Gortys Cedren. 1 p. 217, Tzetz. Chil. 1, 473, Antehom. 99–101. Es ist der Βεελσάμην d. h. der Sonnengott als Herr des Himmels bei den Phoeniken, Euseb. Praep. Ev. 1, 10, 5. Auf einer M. von Gortys ist der Stier mit der von ihm getragenen Europa von einem großen Strahlenkreis umgeben, Stephani Nimb. u. Strahlenkr. 15, 1., neben ihm Europa unter dem Beinamen Hellotis d. i. der Mond unter dem gewöhnlichen Bilde eines schönen Mädchens, endlich Atymnos d. i. vermuthlich der Abendstern, dieses waren die wichtigsten Religionen von Gortys und Phaestos, welche letztere Stadt auch den Cult der Aphrodite kannte. Die Münzen beider Städte sind reich an Beziehungen auf die alte Cultussage vom Raube der Europa, indem sie bald den Stier allein, bald Europa auf dem Stiere, bald Europa auf dem Stamme der heiligen Platane d. h. als Neuvermählte 118 zeigenS. die M. von Gortys b. O. Müller D. A. K. 1, 186. Bei Lukian D. Mar. D. 15, 4 führt Zeus die Europa in die Diktaeische Höhle, vgl. Lykophr. 1300.. Man feierte sie an den Hellotien mit einem Myrtenkranze der zwanzig Ellen lang war und in Procession herumgetragen wurdeDas Fest hieß Ἑλλώτια, der Kranz ἑλλωτίς, s. Hesych s. v., Athen. 15, 22. Vgl. Athena Ἑλλωτὶς in Korinth Bd. 1, 155, [402]..

Nach der gewöhnlichen Sage sah Zeus die Europa, da sie bei Sidon auf der Frühlingswiese Blumen las, worauf er von Liebe entzündet sich in einen Stier verwandelt und die Schöne erst auf seinen Rücken lockt, darauf mit ihr das Meer bis nach Kreta durchschneidet. In Gortys gebiert sie von ihm die drei herrlichen Söhne Minos, Rhadamanthys und Sarpedon, die unter der Obhut des kretischen Königs Asterion aufwachsen, dem Zeus die Europa überlassen hat und welcher eigentlich derselbe Zeus Asterios, der Vater des Minos, in anderer Gestalt, nehmlich als örtlicher König ist. Nicht blos die Dichter, sondern auch die Künstler haben sich mit dieser Entführungsgeschichte immer viel beschäftigt, die letzteren indem sie bald die der Entführung vorangehende Blumenlese auf der Frühlingswiese bald die Entführung durch das jubelnde Meer mit allen seinen phantastischen Gestalten und Geschöpfen vergegenwärtigtenMosch, id. 2, 115 ff., Achill. Tat. l. c. Alterthümliche Vasenbilder b. Gerhard A. V. t. 90, ein jüngeres El. céramogr. 1, 27. 28, ein schönes apulisches b. Gerhard t. 7. Der Stier mit der Europa in Erz von Pythagoras Varro l. l. 5, 31. Vgl. Höck Kreta 1, 94 ff..

Alte historische Episoden dieser Sage sind die Erzählungen von den Brüdern der Europa, die von dem Vater sie zu suchen ausgesendet werden und darüber im Auslande bleiben (oben S. 24) und die von der Entzweiung und Zerstreuung der Söhne der Europa, namentlich des Minos und des Sarpedon, auf den wir zurückkommen werden.


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