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Mendelssohn-Bartholdy

Felix Mendelssohn-Bartholdy.

Geboren am 3. Februar 1809 zu Berlin.
Gestorben am 4. November 1847 zu Leipzig.


»Kurz war dein Pfad,
Doch trug er Blum' an Blume –.«

Emanuel Geibel.

Endlich einmal ein Sonnenkind, ein Künstlerleben ohne Leid und Noth, ein Götterliebling, eine Erscheinung voll Daseinsfreude, auf deren Wegen nur Rosen blühten ohne Dornen, – ein Menschenkind, von dem der Freund Goethe's, der alte Zelter, nach Weimar an diesen seinen Herrn und Meister unter dem 8. Februar des Jahres 1824 Folgendes berichtete:

»Gestern Abend ist Felixens vierte Oper vollständig, nebst Dialog, unter uns aufgeführt worden. Es sind drei Acte, die nebst zwei Balleten etwa drittehalb Stunden füllen. Das Werk hat seinen hübschen Beifall gefunden. Von meiner schwachen Seite kann ich der Bewunderung kaum Herr werden, wie ein Knabe, der soeben 15 Jahre alt geworden, mit so großen Schritten fortgeht. Neues, Schönes, Eigenes, Ganzeigenes ist überall zu finden. Geist, Fluß, Ruhe, Wohlklang, Ganzheit, Dramatisches. Das Massenhafte wie von erfahrenen Händen. Orchester interessant, nicht erdrückend, ermüdend, blos begleitend. Die Musici spielen es gern und ist doch eben nicht leicht. Das Bekannte kommt und geht vorüber, nicht wie genommen, vielmehr an seiner Stelle willkommen und zugehörig. Munterkeit, Jubel ohne Hast, Zärtlichkeit, Zierlichkeit, Liebe, Leidenschaft, Unschuld. Die Ouvertüre ist ein sonderbares Ding. Du denkst dir einen Maler, der einen Klecks Farbe auf die Leinwand schmeißt, die Masse mit Finger und Pinsel austreibt, woraus zuletzt eine Gruppe an den Tag kommt, daß man fort und fort überrascht sich nach einer Begebenheit umsieht, weil ja geschehen sein muß, was wahr ist. Freilich spreche ich wie ein Großvater, der seinen Enkel verzieht. Ich weiß wohl, was ich sage, und will nichts gesagt haben, als was ich zu beweisen wüßte. Zuerst durch Beifall in Menge, den man am aufrichtigsten durch Orchester-Leute und Sänger einholt, denen man bald abmerkt, ob Kälte oder Widerwille, oder Gunst und Liebe die Finger und Kehle bewegt. Du mußt ja so was wissen. Wie der Mund gefällt, der dem andern zum Munde redet, so der Componist, welcher dem Ausführenden vorlegt, was ihm gelingen kann, und dieser mitgenießend weiter vertheilt. Das allein will schon alles sagen.«

Im Herbst desselben Jahres gab Ignaz Moscheles in Berlin zum ersten Mal ein Concert. Er kam aus London, wo man ihn auf Händen getragen und zu fesseln gewußt hatte. Ein großer Ruf ging dem kaum dreißigjährigen Virtuosen und Componisten voran, man war sehr gespannt, ihn zu hören, und die Blüthe der eleganten und musikliebenden Gesellschaft füllte den Saal. Moscheles spielte Bach, Beethoven, Mozart, und zuletzt ein Clavierconcert in Es-dur, eigener Composition. Der gefeierte Künstler erregte durch die wunderbare Elasticität seines Anschlags, durch seine vollendete Technik und edelste Vortragsweise eine außerordentliche Sensation. Unter seinen Zuhörern befand sich auch ein fünfzehnjähriger Knabe, der mit athemloser Spannung jede Passage, jeden Ton verfolgte. Das schöne Gesicht glühte, die dunkeln Augen leuchteten vor Begeisterung. Es war Felix Mendelssohn-Bartholdy.

Er warf zuweilen, trotz aller Aufmerksamkeit, einen strahlenden Blick auf einen hochgewachsenen Mann mit einer echten Musikerstirn, der es dann nie unterließ, jene Augenfrage mit einem Lächeln und Nicken des Einverständnisses zu erwidern. Offenbar ein Fremder, schien derselbe doch der Gegenstand vielfacher Aufmerksamkeit zu sein. Auch Moscheles eilte nach beendigtem Spiel auf ihn zu, reichte ihm die Hand und fragte in herzlichem Ton: »Sind Sie zufrieden, Herr Capellmeister?« »Zufrieden?! Mein Freund! Lassen sie sich umarmen. Sie haben herrlich gespielt!« Der berühmte Hummel aus Petersburg, auf einer Reise nach Paris begriffen, war es, der diese Worte sprach und seinen jungen Collegen hier aus voller Seele bewunderte. Nach dem Concert versammelte sich ein enger Kreis von Auserwählten im Mendelssohn'schen Hause zu einem heitern Souper, Hummel und Moscheles zu Ehren, und es war sicher eine nicht minder stattliche Tafelrunde als die des weiland König Artus, die nun dort ihr Mahl hielt. Die Ehrengäste saßen zwischen dem würdigen Hausherrn und der geistvollen Hausfrau, ihnen gegenüber Berühmtheiten wie Zelter, Berger, Bernhard Klein, Robert – die beiden Letztern mit ihren jungen, schönen Frauen – und dann die blühenden Kinder: Fanny, Felix, Rebekka und Paul. Während des Soupers ging es denn auch so heiter und lebendig her, daß selbst das feine melancholische Gesicht Ludwig Berger's sich erhellte. Hummel selber war unter Menschen, die seiner Natur sympathisch, der heiterste und witzigste Gesellschafter, und hier eben mußte er sich besonders wohl fühlen, denn wie blendende Funken flog es beim Glase goldenen Weines herüber und hinüber. Lustige Künstlergeschichten und Reiseabenteuer wurden aufgetischt, herzliches Lachen ertönte, es war das zwangloseste Geplauder von der Welt. Da erhob sich plötzlich Felix und schlüpfte um den Tisch herum zum Vater, ihm ein paar Worte in's Ohr flüsternd. Der nickte zustimmend und freundlich, und an seinen Platz zurückgekehrt, mitten in der allgemeinen Heiterkeit, erhob der Knabe sein Glas und rief mit erregter Stimme: »Hoch lebe der Componist des Es-dur-Concerts!«

Spät, sehr spät ging man wieder hinüber ins Musikzimmer; wer hätte wohl müde sein können in solcher Gesellschaft! Den einen erregte die Gegenwart des andern. Dem Flügel und den kleinen Musikpulten gegenüber nahmen die Gespräche nun einen höheren Flug. Die bedeutendsten Fragen der Kunst, die geliebte Musik, bildeten fortan das alleinige Thema. Bernhard Klein, eben von seiner Reise nach Italien zurückgekehrt, erzählte begeistert von dem Lande des Gesanges und von den musikalischen Schätzen der Archive, die ihm der päpstliche Capellmeister gezeigt. Dazwischen sang Zelter mit seinem rauhen Baß zum allgemeinen Ergötzen sein: »Sanct Paulus war ein Medicus«; Ludwig Berger, der seelenvolle Spieler, versuchte einer fast gelähmten Linken zum Trotz einen Satz seiner neuen F-dur-Sonate; Moscheles ließ noch ein staunenswerthes Bravourstück hören, und zuletzt phantasirte Hummel über ein Mozart'sches Thema. Ludwig Tieck sagt: »Der Abend löst und schmilzt die Gefühle, er weckt Ahnungen und unerklärliche Empfindungen in dem Künstler auf, er fühlt dann näher, daß jenseits dieses Lebens ein anderes, kunstreicheres in ihm liege, und sein innerer Genius schlägt oft vor Sehnsucht mit den Flügeln, um sich frei zu machen und hin zu schwärmen in das Land, das hinter den goldenen Abendwolken liegt.«

Es war eben der Flügelschlag einer großen, sehnenden Künstlerseele, der an jenem Abend wohl das Spiel Hummel's durchzitterte!

Während all dieser wunderbaren wechselvollen Vorträge stand der schöne Knabe im kurzen Jäckchen bescheiden und regungslos neben dem Flügel, ein lohnender Studienkopf für einen Maler. Das feine Gesicht war wie in Begeisterung getaucht, mit brennenden Wangen lauschte er und seine Augen verließen die Hände der Spielenden nicht.

Und nach jener hinreißenden Hummel'schen Phantasie war es, als der alte Zelter, die weiche Stimmung, die sich der Gesellschaft bemächtigt hatte, gewaltsam unterbrechend, seine Hand auf die Schulter seines jungen Schülers legte und scherzend sagte: »Komm Felix, jetzt zeige, was du gelernt hast, und mache uns, deinen Lehrern, keine Schande. Setze dich hin und spiele, was dir eben einfällt!«

Mit großer Lebhaftigkeit stimmten die fremden Gäste diesem Vorschlage bei, man drang von allen Seiten in den Knaben. Blaß und immer blässer wurde aber Felix und mit einem flehenden Blick erklärte er endlich fest und bestimmt, nicht spielen zu wollen. Eine derartige Weigerung war unerhört und erregte großes Erstaunen. »Was fällt dir in aller Welt ein, Junge«, rief Zelter in seiner derben Weise, »packt dich hier das Kanonenfieber und hast schon doch in großen Concerten und vor unserm Goethe in Weimar ohne Furcht gespielt?! Was soll ich ihm nun über dich schreiben? Etwa, daß du ein Hasenfuß geworden?«

»Ach, damals wußte ich noch nicht recht, was ich that«, antwortete Felix mit unsicherer Stimme, »heut' weiß ich nur, daß ich nach den Beiden da« – und die schwimmenden Augen wanderten von Hummel zu Moscheles – »nicht spielen kann und darf.«

Und in ein heftiges Weinen ausbrechend, wandte er sich und lief hinaus. –

Am nächsten Morgen erhielt Moscheles ein liebenswürdiges Billet der Frau Mendelssohn, worin sie ihn auf das innigste bat, ihren beiden ältesten Kindern Fanny und Felix während seines Aufenthalts zu Berlin Clavierunterricht zu geben und somit die heißeste Sehnsucht ihres Knaben zu erfüllen, der seit dem gestrigen Abend fortwährend von dem Es-Dur-Concert träume. »Felix läßt Sie durch mich inständigst ersuchen, ihm nur einmal jene Composition auf Noten zu zeigen,« fügte sie hinzu, »er möchte sich so gern die Gewißheit verschaffen, ob und wie wohl die Schwierigkeiten, die ihn in Staunen versetzt, auszuführen seien.«

Moscheles sandte sofort das Manuscript seinem jugendlichen Bewunderer mit einigen freundlichen Worten zu und zugleich die Anzeige, daß er mit ganz besonderer Freude sich musikalisch mit ihm und seiner Schwester beschäftigen werde. Auch bestimmte er eine Stunde am nächsten Tage, an welchem man gemeinschaftlich das Es-Dur-Concert durchnehmen wollte.

Und diese Stunde kam – und Felix empfing seinen neuen Lehrmeister mit verklärtem Gesicht, setzte sich an den Flügel und spielte zum Staunen seines Zuhörers das Concert in einer so feurigen schwungvollen Weise, daß dem Componisten die Thränen in die Augen traten. Mitten im Spiel unterbrach sich der Knabe zuweilen, und eine oder die andere Passage, die besonders schwierig war, wiederholend, fragte er voll bescheidener Sorge, ob Moscheles auch mit dieser Art seines Spiels zufrieden sei. Der aber konnte nichts als den Spieler in seine Arme schließen, voll innigster Freude.

Das Bündniß dieser beiden Künstlernaturen war nun geschlossen für alle Zeiten. Moscheles fühlte sich so wunderbar von dem Knaben gefesselt, der Unterricht, den er ihm und der genialen Fanny gab, interessirte ihn so mächtig, daß er statt Wochen Monate in Berlin blieb und der tägliche Gast des Mendelssohn'schen Hauses war. Und welch' ein Haus war es! Goethe sagt: »Der ist der Glücklichste, er sei König oder ein Geringer, dem im eigenen Hause Wohl bereitet ist.« Und wenn jemals einem Glücklichen dies »Wohl« so recht im vollsten Maße bereitet wurde, so war es Felix Mendelssohn. In seinem Daheim wehte so recht jene Atmosphäre der Liebe, des Friedens, der höchsten geistigen Bildung, in der eben jeder jungen Seele Flügel wachsen, jedes Talent zur unverkümmerten Blüthe sich entfalten mußte.

Daß Mendelssohn schon in seiner ersten frohen Jugendzeit auffallend viel geschaffen, lag wohl in seinem harmonischen und anregenden Elternhause. Keinerlei Treibhausluft war es, die ihn dort umfing; die Blüthen seines Talents entwickelten sich vollkommen naturgemäß, in wie reicher Fülle sie auch emporsproßten. Es war, als Felix heranwuchs, ein ungemein reiches geistiges und musikalisches Leben in jenem alten Hause in der Leipzigerstraße mit seinem wohlgepflegten, schattigen Garten, die Auserwählten der Wissenschaft, Kunst und Literatur traten über seine gesegnete Schwelle. Gar oft erschienen die Gebrüder Wilhelm und Alexander von Humboldt hier, Varnhagen liebte es, dort zu plaudern, der junge Heinrich Heine ging aus und ein, und an reizenden Frauen, an ihrer Spitze die noch immer wunderschöne Henriette Herz, und an allerliebsten Mädchen fehlte es nie. Die musikalischen Sonntags-Matinéen hatten einen bedeutenden Ruf, es galt für eine besondere Auszeichnung, da mitwirken zu dürfen; wie viele, später hochgefeierte, Künstler aller Art traten in diesen Morgenunterhaltungen zum ersten Mal mit Stolz und Freude auf. Man sang da Chöre, Quartette, führte Trio's und Quintette auf und die Compositionsarbeiten des jungen Felix erschienen eben daselbst in sorgfältiger Ausführung und unter strenger Kritik. Moscheles spielte in einer solchen Zusammenkunft zum ersten Mal sein später so beliebtes » Hommage à Haendel«. Mit sichtlicher Freude musicirten allezeit dieser junge Lehrer und sein genialer Schüler zusammen, sowohl im Musikzimmer allein, wie vor den Freunden des Hauses. Felix schloß sich ihm mit leidenschaftlicher Innigkeit an und bewahrte für Moscheles, so lange er lebte, die dankbarste Freundschaft. Er besaß eben in hohem Maße jene seltene und schöne Tugend der Pietät allen denen gegenüber, die ihm jemals eine Freundlichkeit erwiesen, sowie im geselligen Verkehr mit den Menschen die eben so seltene wie wohlthuende echte Höflichkeit des Herzens. Zeitgenossen haben in Briefen und mündlichen Ueberlieferungen immer wieder eben diese Eigenschaften betont, und nichts soll liebenswürdiger gewesen sein, als die Art seines Umgangs mit seinen Lehrern, dem alten Zelter, dem kränklichen und reizbaren Ludwig Berger und dem heftigen Bernhard Klein. In alle ihre Wunderlichkeiten fügte Felix sich willig, ordnete sich ihnen in der bescheidensten Weise unter, vernichtete ohne jede Empfindlichkeit jede Composition, wenn sie von dem Einen oder dem Andern für unbedeutend erklärt wurde, und hielt, trotz seiner Lebhaftigkeit, stundenlang bei einem Jeden von ihnen aus, der eben einen Vorleser, Vorspieler oder Notencopisten brauchte. War es da ein Wunder, wenn er alle Herzen im Fluge sich zu Eigen machte? –

Es war aber doch der Wunsch des Vaters daß, in Bezug auf die fernere Ausbildung seines genialen Knaben, das Urtheil einer unbestrittenen Autorität eingeholt wurde, und so brachte er, nach reichlichem Hin- und Her-Berathen mit den Freunden, den Sohn endlich nach Paris, zu dem berühmten Cherubini. Kein Geringerer als er sollte Felix eingehend prüfen und entscheiden, ob eine musikalische Laufbahn für ihn die richtige sein würde. – Seine jüngste Composition, sein G-Moll-Quartett, wurde mitgenommen, um es vor dem Componisten der Oper »der Wasserträger«, von deren Partitur Felix so entzückt war, zu spielen. Eine Probeaufführung gleichsam, fand auf der Durchreise in Weimar statt, im Hause Goethe's. Der alte Zelter in Berlin strahlte, als er eines Tages einen Brief des Dichterkönigs in den Händen hielt und die Worte las: »Dein Schüler Felix producirte sein neuestes Quartett zum Erstaunen von Jedermann. Diese hör- und vernehmbare Dedication hat mir sehr wohlgethan.« – –

Und Cherubini in Paris, sowie der gefeierte Geiger Baillot, der dort die Oberstimme in jenem Quartett übernommen, entschieden denn sofort mit dem lebhaftesten Interesse, daß der jugendliche Componist unter allen Umständen die musikalische Laufbahn einschlagen müsse. Der Vater willigte ein, aber nur unter der Bedingung, daß der Sohn eine tüchtige allgemeine Bildung sich aneigne, also die Universität in Berlin besuche. – Das alles geschah, und kein Student konnte wohl fröhlicher und aufmerksamer seine ernsten Collegia besuchen als Felix Mendelssohn. Es geschah ja Alles gleichsam mit Musikbegleitung und die Arbeit aller Art wurde ihm nun einmal leicht, so gewissenhaft er sie auch stets ausführte. Er soll ein unbeschreiblich liebenswürdiger Commilitone gewesen sein, der bei allem Ernst des Strebens doch zur Freude seiner Gefährten noch Zeit und Laune genug behielt, gar manchen akademischen Lehrmeister, dem der Zopf eben hinten hing, in täuschender Weise zu copiren. Und doch hatten ihn alle lieb, selbst die Bezopften. Für das Elternhaus aber war und blieb Felix eben der Sonnenstrahl. – Seit der Pariser Reise blühte und sproßte es mit aller Macht in dem Garten des jungen Musikers. Etüden entstanden, eine Symphonie-Ouvertüre, Liederhefte, Quartette und Sonaten, und als schönste Rose: die Sommernachtstraum-Ouvertüre. Und alle seine Compositionen durften sofort Gestalt annehmen, der Glückliche hörte sie in der denkbar vollkommensten Aufführung, in sympathischer Umgebung im geliebten Heim und zugleich vor ebenso liebevollen wie strengen Richtern. Auch eine kleine heitere Oper entstand damals, die über die Bretter des Familientheaters schritt: »Die Hochzeit des Gamacho«. Dazwischen rief man den jugendlichen Musiker nach Stettin, wo man seine neuesten Compositionen kennen zu lernen wünschte, und auch in der Berliner berühmten Singakademie vertraute man dem kaum Zwanzigjährigen den Tactstab an; er dirigirte die Bach'sche Matthäuspassion mit einer Hingebung und einem so staunenswerthen Erfolg, daß ganz Berlin davon erfüllt war. In demselben Winter, wo dies Dirigentendebut stattfand, ging auch die wunderbare Erscheinung des Geigers Paganini an Felix Mendelssohn vorüber. Dies seltene Kunstphänomen gab in der preußischen Hauptstadt mehrere Concerte, und man muß die Briefe des jugendlichen Enthusiasten an seinen fernen Lehrmeister und Freund Ignaz Moscheles über dieses Ereigniß lesen, um die Empfänglichkeit und Feinfühligkeit seiner Künstlerseele klar zu erkennen. –

Nach Beendigung seiner Universitätsstudien trat Felix die erste selbstständige Reise an, die ihn sogar über den Canal führen sollte, sie war zugleich die Erfüllung eines lange gehegten Herzenswunsches und galt dem Besuch seines geliebten Moscheles. – Nicht ganz ohne Widerstreben wurde ihm von Vater und Mutter diese Künstlerfahrt gestattet, man vertraute ja den allgemeinen Liebling dem trügerischen Meere an und die Phantasie der zärtlichen Mutter sah ihn schon den entsetzlichsten Gefahren preisgegeben. Da trat Felix denn eines Abends in das Wohnzimmer der Seinen mit einem Häuflein Notenblätter in den Händen. »Da habe ich etwas für die Mama zum Trost componirt«, rief er heiter, »damit sie doch das Meer, auf das sich ihr Sohn so freut, nicht immer nur als einen Alles verschlingenden Wütherich sieht. Kommt an den Flügel und hört ein Weilchen zu!« –

Es war seine herrliche Ouvertüre »Meeresstille und glückliche Fahrt«, die er ihnen brachte und spielte. Und wirklich:

»In der ungeheuren Weite
Reget keine Welle sich – – –«

das sah man ganz deutlich in der Musik. – So still war's, daß man für das so langsam dahintreibende Schiff ein Lüftchen, einen Wellenschlag herbeisehnen mußte. Und ein sanfter Wind stand denn auch gar bald auf und Wellen erhoben sich, um es zu tragen, – schneller und immer schneller, bis zu dem Jubelruf:

»Schon seh' ich das Land!«

»Bist du nun beruhigt, Mama?« fragte lächelnd der Spieler, als der Schlußaccord verhallt war.

»Ich denke,« antwortete sie und küßte ihn. Seitdem sprach sie wenigstens kein Wort mehr zu ihm von ihrer Angst. – –

Das war wohl eine entzückende Zeit im Hause des Freundes in London. Die schöne, damals kaum 16jährige Frau Moscheles empfing den Liebling ihres Mannes mit der Wärme einer Schwester. Felix wurde in die englischen Freundeskreise eingeführt und überall mit Jubel empfangen. Seine Erscheinung und sein Wesen waren so recht danach angethan, die Menschen jeder Art zu gewinnen. Heiter und dankbar für jede Freude die ihm wurde, empfänglich für Alles was ihm Neues und Schönes in dem fremden Lande entgegentrat, mit einem warmen, offenen Herzen für die Gefühle der Freundschaft und von einer unendlich anziehenden, echten Künstlerbescheidenheit, die neidlos den Größeren bewundert, und im Hinblick auf das hohe, sich selbst gesteckte Ziel, das doch noch in weiter Ferne lag, mußte er überall als Sieger in den Herzen einziehen. In einem überfüllten Concert führte man seine Sommernachtstraum-Ouvertüre auf, Moscheles spielte mit Mendelssohn sein neues Concert für zwei Claviere. An demselben Abend sang die bezaubernde Henriette Sonntag. Das Publicum war wie berauscht, es war wirklich ein – Sommernachtstraum, den Niemand vergaß, der ihn hatte träumen dürfen. –

Damals erneuerte Mendelssohn auch seine flüchtige Berliner Bekanntschaft mit dem sinnigen Dichter Klingemann, dessen liebliche Verse er mit besonderem Glück, und besonderer Freude componirte. Wie oft nennt er ihn in seinen Briefen mit besonderem zärtlichen Accent: »Du, mein einer Freund!«

Alle Freundschaftsbeziehungen, an denen das Leben Mendelssohns auffallend reich war, behielten bis zu seinem frühen Tode die volle Innigkeit. Wen er einmal in sein Herz geschlossen, der konnte auf ihn zählen zu allen Stunden und Zeiten. Es war eben ein selten warmes, goldtreues Künstlerherz. Klingemann wurde sein Gefährte auf einer Reise in die herrlichen schottischen Hochlande, von deren Schönheit sich Felix kaum zu trennen vermochte. Einen Theil ihres Zaubers versuchte er den Seinen zu schildern in jenem duftigen Märchen, das er die: »Hebriden-Ouvertüre« nannte.

In die Jahre 1830-32 fällt eine Reise des Glückskindes nach Italien. Die Eindrücke, die Felix dort empfing, sind in herzerquickendster Weise in seinen, nach seinem Heimgang veröffentlichten Briefen, geschildert. Sie gewähren zugleich einen Einblick in eine selten reiche Künstlernatur und schöne Menschenseele, der wie ein Frühlingstag wirkt. Otto Gumprecht hat ein eben so wahres wie tief empfundenes Wort gesprochen in Bezug auf die köstliche Hinterlassenschaft dieser Briefe Felix Mendelssohn's:

»Die Bedeutung der Mendelssohn'schen Briefe, durch die sie unter den Denkwürdigkeiten auserwählter Geister eine hervorragende Stelle einnehmen, liegt keineswegs in dem Umstande begründet, daß sie uns auf's Lebendigste den Tondichter im Verhältniß zum Musikleben seiner Zeit, wie zur gesammten kunstgeschichtlichen Entwicklung vergegenwärtigen, auch nicht blos in der Fülle der Gedanken, der Weite und Mannichfaltigkeit der Perspectiven, die sich uns auf Tritt und Schritt darbieten; noch höher ist der sittliche Adel anzuschlagen, der jedem dieser Bekenntnisse den Stempel aufdrückt. Das Lebens- und Characterbild, welches sich hier entfaltet, würde uns selbst dann noch die wärmste Theilnahme abfordern, wenn der, um welchen es sich dabei handelt, auch nicht der Schöpfer der Musik zum »Sommernachtstraum«, der »ersten Walpurgisnacht« und des »Elias« gewesen. In dem Schreiber der Briefe enthüllt sich uns eine jener begnadigten Naturen, der gegenüber wir das reine Wohlgefühl, den erhebenden Eindruck völliger Uebereinstimmung zwischen Idee und Erscheinung empfinden, wie sie sonst nur die Beschauung eines Kunstwerkes in der Seele wachruft. Wir stehen hier unter dem Zauber einer ebenso schönen als gediegenen Individualität, die alle Seiten des menschlichen Wesens in reichster Entwickelung, harmonischem Gleichgewicht und lebendiger Wechselwirkung zeigt.«

Was mich betrifft, so möchte ich die verschiedenen Mendelssohn'schen Briefe geradezu als einen Hausschatz bezeichnen. Da offenbart sich ein goldreines Herz, ein Sohn in seinen innigen und zugleich ehrfurchtsvollen Beziehungen zu den Eltern, ein Bruder zu seinen Geschwistern, ein Freund zum Freunde, ein Schüler zum Lehrmeister. Der Mensch und der Künstler verschmelzen und sind für uns nur eine einzige Erscheinung. Liebenswürdiger und jugendfroher ist vielleicht nie über Italien geschrieben worden, als in Mendelssohn's Reisebriefen. Mit Kinder- und Künstleraugen zugleich sieht er uns, den Leser an. Der verstorbene Maler Theodor Hildebrandt, der Reisebegleiter des glücklichen Felix, war ein älterer Herr, als ich ihm begegnete und ihm lauschen durfte, wenn er von dem Sonnenkinde erzählte. Wie Vieles gab es in diesen schlichten und doch so begeisterten Berichten, was man noch aufzeichnen möchte, weil es die Gestalt des Frühverstorbenen in immer neuer, wärmster Beleuchtung erscheinen läßt. Inmitten der Wunderwelt, die sie Beide in Amalfi und Sorrent umfing, saßen die beiden Deutschen eng aneinander gedrängt und lasen aus einem Exemplar, das Felix mitgeschleppt hatte, Jean Pauls »Flegeljahre« und fielen sich um den Hals, wie Walt und Wult und tranken Thee, nur um sich, wie jene, lachend zu fragen: »Thee?! Wir sind ja nicht krank?!« – Und dann der Saltarello bei Mondenschein vor dem Wirthshause Santa Lucia in Amalfi und wie sie mit Leib und Seele tanzten, Felix und die fröhlichen Maler, mit den bildhübschen, dunkeläugigen Mädchen – und wie mitten im Tanze der junge Musiker seinem Hildebrandt zurief: »Höre nur die Musik! O dieses Motiv! Gieb Acht! Du sollst es einmal in irgend welcher Form bei mir wiederfinden, das werde ich festhalten!« Und es klang denn auch später wieder, in der schönen vierten Symphonie, die der italienische Mond durchleuchtet, und wo wir die lebensfrohen Mädchen von Amalfi tanzen sehen. –

In einem Album Hildebrandt's, das er nur Auserwählten zeigte, – befand sich auch eine Aquarellskizze des Wirthshauses Santa Lucia, von Mendelssohn's Hand. Wer sie sah, schwor darauf, daß nur eine Künstlerhand sie gefertigt haben könne. Auch hier verrieth sich eine große Begabung, aber auch zugleich ebenso der Ernst seines Strebens. Alles, was er trieb, wurde für ihn zu einem gewissenhaften Studium. Der alte Zelter äußerte einmal im Gespräche mit Hildebrandt, diesem treuen und zärtlichen Freunde aus der Seele sprechend: »Nicht sein Genie, denn das hat er von Gott und das hat auch mancher Andere, ist es, was mich staunen läßt und mir Bewunderung abnöthigt, nein, es ist sein unablässiges Arbeiten, sein bienenhafter Fleiß, seine strenge Gewissenhaftigkeit, seine Unerbittlichkeit gegen sich selber und seine wahrhaftige Anbetung der Kunst in allen Gestalten. Er wird in allen Dingen, die er anfaßt, von sich reden machen.« Das war ein Zeugniß, auf das der größte aller Künstler, dem ein ähnliches werden dürfte, stolz sein müßte. –

Auf der italienischen Reise entstanden viele Lieder, auch ein ergreifender Frauenchor, zu welchem die singenden Nonnen in Rom den jungen Componisten begeistert hatten. – Das volle fröhliche Dur dieses Herz und Sinn erquickenden Künstlerfluges ging aber doch am Schlusse in ein wehmüthiges Moll über, – die Reisenden wurden von drei Todesnachrichten erreicht, die Felix tief und nachhaltig erschütterten: Goethe ging heim und bald darauf sein treuer Zelter, und ihnen folgte der jugendliche, hochbegabte Geigenspieler Rietz, ein Jugendgefährte Mendelssohn's. Sein Herz litt und in seinen Briefen findet sich die Stelle: »An dem Tage, an welchem ich die Nachricht von Zelter's Tode empfing, glaubte ich, ich würde sehr krank davon werden, habe mich auch die ganze vorige Woche nicht erheben können.«

Selbst eine reiche Saison in London, wohin Moscheles seinen ehemaligen Schüler von Italien aus berief und wo Mendelssohn, neben Paganini, mit beispiellosem Erfolg auftrat, vermochte nicht die Schatten dieser Trauer zu verwischen. Erst nach der Rückkehr in's geliebte Elternhaus wurde Felix allmählig wieder das fröhliche Sonnenkind, besonders als ein längerer Besuch des Ehepaares Moscheles eine entzückende Zeit gemeinsamen Arbeitens und köstlichster Hausmusik brachte. Das war ein Singen und Klingen ohne Ende, an dem sich alle Kinder des Mendelssohn'schen Hauses in hervorragendster Weise betheiligten, Fanny mit ihrem herrlichen Clavierspiel und ihren Compositionsversuchen, Paul und Rebekka abwechselnd am Cello. Dieser »Reihe von schönen Tagen«, die aber alle Betheiligten, dem Goetheschen Wort entgegen, durchaus leicht ertrugen, folgte, als die lieben Gäste geschieden, für Felix eine Zeit der Ungewißheit und leisen Enttäuschung. Die Stelle an der Singakademie in Berlin war durch Zelter's Tod frei geworden, und als auch Bernhard Klein, als der Berufenste aller seiner Nachfolger, heimging, – war es ein begreiflicher Wunsch der Mendelssohn'schen Familie, den geliebten Sohn in der Heimath gefesselt zu sehen. Auch in dem Herzen dieses Sohnes lebte das Verlangen, auf einem derartigen Ehrenposten stehen zu dürfen. Nach langem Zögern und Schwanken jedoch entschied sich, nicht ohne lebhafte Debatten und Kämpfe, die Partei der »Alten« für den ernsthaften Componisten des Oratoriums: »Abels Tod«, den Musikdirector Rungenhagen, geboren 1778. Das war für Felix und die Seinen sowohl, wie auch für den großen Freundeskreis der Familie Mendelssohn ein schmerzlicher Schlag. Aber eine Frohnatur, wie die seine, überwand ihn bald und ohne Bitterkeit. So schrieb er denn eines Tages an Moscheles:

»Wenn Du an mich denkst, so denke wieder an einen lustigen Musikanten, der mancherlei macht, noch viel machen will und Alles machen möchte.« –


Schon in den Pfingsttagen im Juni 1833 erschien Felix Mendelssohn als Dirigent des Musikfestes in Düsseldorf, dessen Programm damals lautete:

»Ouvertüre in C-dur von Mendelssohn.
Haendel's Israel in Aegypten.
Die große Leonoren-Ouvertüre in C.
Beethoven's Pastoral-Symphonie.
Ostercantate von Wolf.
Die Macht der Töne von Winter«.

Der erste Schritt zur Selbstständigkeit war gethan, die Malerstadt am Rhein war es, die einen Felix Mendelssohn zuerst für einige Jahre festzuhalten versuchte.

Die Erscheinung des jungen Komponisten damals in den Festproben, die wenigen ruhigen, bescheidenen Worte, mit denen er sich einführte, die liebenswürdige, heitere und doch so bestimmte Art, mit der er mit den Sängerinnen und Sängern, sowie mit den Musikern des Orchesters verkehrte, erweckten das denkbar günstigste Vorurtheil für ihn. Die Aufführung selbst war geradezu ein Ereigniß. Die leicht erregbaren Rheinländer waren von ihrem neuen Dirigenten geradezu berauscht. Jubel, Tusch, Blumen, Lorbeerkränze, Dank von leuchtenden Augen und blühenden Lippen, das Alles war von diesem Debüt zu verzeichnen.

»Ach es war wohl schöne Zeit!« Dies Dichtermotto, das Felix in Musik gesetzt, darf mit vollstem Recht über dieser Düsseldorfer Zeit stehen, und doch zogen dort gar mancherlei Wolken auf, die den blauen Himmel trübten und den neuen städtischen Musikdirector veranlaßten früher, als er selber geträumt, diese seine erste Stelle niederzulegen, trotz der vielen Freunde, die er sich erworben, wie eben diese Individualität sie sich überall erwerben mußte.

Gumprecht sagt von Felix Mendelssohns Künstler-Erscheinung:

»Eine fast weibliche Weichheit des Gefühls und eine vielbewegliche, jeden äußeren Eindruck rasch und feurig auffassende Phantasie, sind hervortretende Eigenthümlichkeiten in Mendelssohn's Wesen. Zu diesen, an sich zweideutigen, Geschenken der Götter trat indessen läuternd und kräftigend ein unbestechlicher Verstand und, was das Wichtigste ist, ein fest auf sich beruhender Charakter.«

Das Alles fühlte Jeder, der mit diesem seltenen Künstler in Berührung kam. Die Maler in Düsseldorf empfingen ihn wie einen von ihrer Zunft und freuten sich seines feinen Kunstsinnes, seiner zeichnenden und malenden Hand und seiner bestrickenden persönlichen Liebenswürdigkeit, – er zeigte sich ja keinen Moment als ein einseitiger Musiker. Der dortige Dichterkreis aber, der damals in der Rheinstadt viel von sich reden machte, weil ein Immermann an seiner Spitze stand, erkannte in ihm einen Ebenbürtigen, dessen musikalische Schöpfungen die poetische Seele in jedem Tact offenbarten.

Mit welchen Hoffnungen blickte Felix damals in die Zukunft! Wie schön gestaltete sich im Anfang sein Verhältniß zu Immermann und dessen dichtenden Freunden! Man träumte von einem ruhmvollen Zusammenwirken des großen Dichters mit dem jungen Musiker für die Düsseldorfer Bühne: Ersterer sollte das Drama, der Letztere die Oper leiten. Unter einem wahren Jubel wurde das Theater mit einem Festspiel Immermann's und Kleist's Prinzen von Homburg am 28. October 1834 eröffnet, und ein fast noch größerer Enthusiasmus begrüßte die Opernaufführungen des jugendlichen Musikdirektors, Mozart, Cherubini, so wie Beethoven's Musik zum Goethe'schen Egmont.

War der Anfang dieses seltenen Zusammenwirkens ein glanzvoller, so wurde leider die Fortsetzung von einer Reihe von größeren und kleineren Aergernissen und Täuschungen begleitet. Die beiden Repräsentanten der Dichtkunst und Musik lebten sich nicht ineinander ein, sondern vielmehr nur zu bald auseinander. In dem Bestreben, dem Drama den ersten Platz zu sichern, zeigte sich Immermann tyrannisch, ein unbeikömmlicher Selbstherrscher, und der enthusiastische Musiker, der seine geliebte Kunst um keinen Preis zurückdrängen ließ, vertheidigte das gewonnene Terrain mit aller Energie Schritt für Schritt. Der Kampf wurde mithin immer erbitterter, die Verhältnisse immer unerquicklicher, sie trieben unaufhaltsam der Lösung der beiderseitigen Beziehungen zu.

Und trotzalledem wuchs eine herrliche Schöpfung in jener Zeit unbeirrt empor: Mendelssohn componirte seinen Paulus.

Die Begeisterung, mit welcher dies edle Werk noch vor seiner Vollendung in seinen einzelnen Theilen in Düsseldorf aufgenommen und einstudiert wurde, wie der große Freundeskreis Mendelssohn's stolz war, daß er unter seinen Augen entstanden war, läßt sich nicht beschreiben. Unsere Zeit kennt wie es scheint einen derartigen Rausch nicht mehr. Vollendet wurde aber der Paulus erst in Leipzig, wohin man den Componisten berief, als er seine Stellung in der Malerstadt aufgab, und unter jenem tiefen Weh, das sein ganzes Wesen erschütterte, dem Eindruck des Todes des geliebten und verehrten Vaters. Wer jenen Chor hört:

»Siehe – wir preisen selig, die erduldet« – – in seiner wundervollen Ergebung, der fühlt, daß er empfunden und niedergeschrieben wurde in einem gleichsam verklärten Schmerze und daß wohl manche heiße Thräne niedergefallen ist auf die Notenblätter. –

Viele Monate – bis in die tröstende Frühlingsherrlichkeit hinein, lag es wie ein schwerer Druck auf dem Herzen des treuesten Sohnes. »Mir geht's wie Einem der schläfrig aufwacht«, schrieb Felix damals an einen Freund. »Ich kann mich noch nicht so recht in die Gegenwart finden und es geht zwischen meiner lange gewohnten Lustigkeit und der innersten tiefen Betrübniß hin und her und will zu keiner Ruhe und Stimmung werden. Indessen bin ich so fleißig, wie ich nur kann, und das ist das Einzige, was mir wohlthut. Meine Stellung ist hier der allerangenehmsten Art. Willige Leute, ein gutes Orchester, das empfänglichste, dankbarste musikalische Publicum, dabei gerade so viel zu thun, als mir lieb ist, Gelegenheit, meine neuen Sachen sogleich zu hören, das ist wohl sehr wünschenswerth. Auch hübschen Umgang habe ich vollauf und das wäre wohl alles, was man zum Glück brauchte, wenn das nicht tiefer säße«. Dem Textdichter des Paulus, dem Prediger Schubring in Dessau, klagte er: »Es ist das größte Unglück, das mir widerfahren konnte, und eine Prüfung, die ich nun entweder bestehen oder daran erliegen muß. Ich sage mir dies jetzt ohne jenen scharfen Schmerz der ersten Zeit, aber ich fühle desto sicherer: es muß für mich ein neues Leben anfangen oder Alles aufhören, – das alte ist nun abgeschnitten.

Ich weiß nicht, ob du wußtest, lieber Freund, wie besonders seit einigen Jahren mein Vater gegen mich so gütig, so wie ein Freund war, daß meine ganze Seele an ihm hing und ich während meiner langen Abwesenheit fast keine Stunde lebte, ohne seiner zu gedenken, aber da Du ihn in seinem Hause mit uns Allen und in seiner ganzen Liebenswürdigkeit gekannt hast, so wirst Du Dir denken können, wie mir zu Muthe ist. Das Einzige bleibt da, die Pflicht zu thun, und dahin suche ich mich zu bringen mit allen Kräften, denn er würde es so verlangen, wenn er noch gegenwärtig wäre, und ich will nicht aufhören, so wie sonst auch, nach seiner Zufriedenheit zu streben, wenn ich sie auch nicht mehr genießen kann.« –

Wie ein heller Freudenstrahl durchbrach die Aufführung des Paulus in Leipzig die Wolken der Schwermuth. – Man trug den Componisten auf Händen und er feierte Triumphe in der Lindenstadt, die sein krankes Herz wieder aufblühen ließen. –

Nach dieser Freudenfeier nahm Mendelssohn für einige Monate Urlaub und ging nach Frankfurt am Main, um seinen erkrankten Freund, den hochverdienten Gründer und Leiter des Cäcilienvereins, Johann Schelble, zu vertreten, der dringend einer Erholung bedurfte und dessen Gesundheitszustand seinen Freunden und Schülern große Sorgen bereitete. – Man empfing den Gast wie einen berühmten Mann und in kurzer Frist fühlte er sich dort zu Hause. –

Seine Musik war in der alten Kaiserstadt am Main bereits bekannt und wurde viel bewundert: »Die Melusinen-Ouvertüre und die Hebriden sind ihnen so geläufig«, schrieb Felix scherzend seinen Lieben, »wie bei uns zu Haus, d. h. in der Leipziger-Straße Nr. 3«. –

An seinem ersten Dirigentenabend im Cäcilienverein ließ Felix Chöre aus dem Samson singen und Einiges aus Bach's G-moll-Messe. –

»Bach ging tadellos«, berichtete er entzückt, »und ich hatte von Neuem Gelegenheit, Schelbles Werk zu bewundern, der mit seiner herrlichen Hartnäckigkeit seinen Willen durchgesetzt hat. – – Und schön ist's hier, dieser Reichthum an Grün, Gärten und Feldern, und das schöne blaue Gebirge im Hintergrund. Und dann ist drüben ein Wald; wenn man in dem Abends spazieren geht, unter den prachtvollen Buchen und den unzähligen Kräutern und Blumen und Brombeeren, da geht einem das Herz auf.«

Und seine blaue Blume hat er denn auf einer dieser Wald-Wanderungen gefunden, – –

»wie Sternlein blinkend die Aeuglein schön«,

die er, – wie jener Goethe'sche träumerische Wanderer – sofort mit »allen Würzelein« ausgrub und nach Hause trug; – seine geliebte, künftige Lebensgefährtin, die schöne Tochter des Predigers der französisch-reformirten Kirche – Cäcilie Jeanrenaud. – Wie viele Lieder blühten da empor in der Seele des Musikers, der eben, wie jeder andere Sterbliche, jene Zeit des »Hangens und Bangens in schwebender Pein« durchkämpfte, als er um diese Mädchenrose warb. – –

Bei ihm aber war der Liebessturm, der plötzlich über ihn dahinzog, ein so heftiger, daß der Arzt ihn ohne Verzug nach Scheveningen schickte, da seine zarte Gesundheit ernstlich zu leiden begann. – Als er aber gekräftigt zurückkehrte, da fand er in eben seinem lieben Walde, bei dem reizenden Bade Kronthal, bei Gelegenheit einer fröhlichen Landparthie, seine irdische Cäcilia. Das entscheidende Wort wurde unter den alten Buchen gesprochen. Aus dem Walde trat ein glückseliges Brautpaar in den Freundeskreis – jubelnd begrüßt.

»Im Walde steht geschrieben
Ein stilles, ernstes Wort – –
Vom rechten Thun und Lieben« – –

sangen frische Stimmen. –

Als der glückliche Bräutigam nach Leipzig zurückgekehrt war, du flog ein heißer Sehnsuchtsseufzer aus der Arbeitszelle zur geliebten Braut, das schöne Lied:

»Ach, um Deine feuchten Schwingen,
West, wie sehr ich Dich beneide!«

dem noch viele andere folgten. – Ein strahlender Brautstrauß wurde daraus, den der Componist der Erwählten am Hochzeitstage im »wunderschönen Monat Mai« an's Herz legte. – Felix Mendelssohn wurde mit Cäcilie Jeanrenaud in der Wallonischen Kirche in Frankfurt getraut von dem Vater der schönen Braut, der so lange und segensreich in seiner Gemeinde gewirkt.

Es mag seltsam erscheinen, daß sich in all den gedruckten Briefen Mendelssohn's in Bezug auf sein Herzensglück und sein Hausglück kein Wort, keinerlei Andeutung findet, und doch ist dies bei der Eigenart seines Wesens so begreiflich. – Von dem Tiefsten und Heiligsten zu reden, was ihn erfüllte, widerstrebte ihm stets, und Cäcilie Mendelssohn selbst, in ihrem, jedem Heraustreten in die Oeffentlichkeit so abholden, Sinn, hat alle an sie gerichteten Briefe ihres Mannes in ihrer letzten Krankheit eigenhändig den Flammen übergeben. Ein Schatz von Liebe und Zärtlichkeit mag da den profanen Blicken der Welt entzogen worden sein, aber leider auch den Freunden und Bewunderern des Sonnenkindes. –

Ehe Mendelssohn seine junge Frau nach Leipzig brachte, stellte er sie den Düsseldorfer Freunden vor. Sein Hildebrandt hatte ihm früher so oft scherzend gerathen, wenn Felix in nervöser Unruhe seine Umgebung aufregte und wohl gar seine Taschentücher zerriß und zerbiß, zur Beruhigung sich das Rauchen anzugewöhnen oder – eine Frau zu nehmen. »Nun, war ich nicht klug, mir lieber diese Frau zu nehmen?« fragte er den Getreuen, nach der ersten Begrüßung und Umarmung. Und die Künstleraugen des berühmten Malers antworteten ebenso freudig, wie der Mund: »Ja!«

Leipzig empfing das junge Paar mit offenen Armen und Felix nahm das ganze dortige Musikleben freudig und mit glänzendem Erfolg in seine jungen Künstlerhände. – Gar manche Musikergestalt aus vergangenen Tagen, die nun um seinetwillen naturgemäß in den Hintergrund geschoben wurde, erfuhr es voll dankbarer Freude, daß der neue Dirigent voll Pietät und bezaubernder Liebenswürdigkeit ihr entgegentrat. – Er war zwar ein Sohn einer neuen Zeit nach allen Richtungen hin und vermittelte in seiner Weise den Uebergang der altclassischen Musik zur sogenannten modernen, aber er sprach es immer wieder mit freudiger Ueberzeugung aus, daß alles neue musikalische Schaffen doch nur in den Traditionen gleichsam Wurzel schlagen könne und in dem Untergrund der Vergangenheit festen Fuß zu fassen vermöge. Es war sein Glaubensbekenntniß in dieser Beziehung, als er an seinen Hildebrandt von einem alten Leipziger Musiker, der früher in der Lindenstadt viel gegolten, schrieb: »Diese Erscheinung rührte mich schon, weil sie der Vergangenheit angehörte, wie denn Zopf und Perrücke für mich nie etwas Lächerliches, vielmehr etwas Wehmüthig-Feierliches haben«. Er konnte nie und nimmer einen alten, ausgedienten Collegen über die Schulter anschauen. – Eine der hervorragendsten Eigenschaften Mendelssohn's war die neidlose, freudige Anerkennung aller musikalischen Leistungen – in dieser Beziehung ähnelt ihm der großherzige Meister Liszt am meisten. – Wie entzückt lauschte Felix bei einem Besuche Chopin's in Leipzig diesem wunderbaren Spiel und mit welchem Eifer mühte er sich um die Einführung und Verbreitung Schumannscher Compositionen und Lieder. Wer jemals diese geflügelte Künstlerseele einer so niedrigen Empfindung, wie eben des Neides, fähig zu halten vermag, dem mangelt eben jedwedes Verständniß einer durch und durch edlen, wahrhaft vornehmen Menschennatur. –

Mendelssohn hatte eine unbegrenzte Verehrung für den großen Vater der deutschen Kirchenmusik, den alten Leipziger Cantor der Thomasschule, Johann Sebastian Bach, und er war es denn auch, der zuerst den Gedanken aussprach, daß es doch für die Lindenstadt eine Ehrenpflicht sei, dem wunderbaren Meister ein Denkmal zu setzen. Ohne Verzug veranstaltete er eine Reihe von Orgelconcerten, deren Ertrag zur Ausführung eines Bach-Denkmals verwendet werden sollte. – Mendelssohn, der Bach-Spieler par excellence, nahm selber den Platz an der Orgel ein, in jener Kirche, die so oft Johann Sebastian Bach mit seinen brausenden Fugen und erhebenden Präludien erfüllt hatte. – In den Annalen der neueren Musikgeschichte Leipzig's steht unter dem 6. August des Jahres 1840 ein Kirchenconcert verzeichnet, das Mendelssohn veranstaltete mit lauter Compositionen Bach's und das mit einer freien Phantasie schloß über dessen erhabenen Choral:

»O Haupt, voll Blut und Wunden.« –

Das Gotteshaus war bis auf den letzten Platz gefüllt und alle Hörer waren erschüttert. Der alte, hochangesehene Hofrath Rochlitz, der an eben dieser Stelle den berühmten Cantor Schicht die Orgel spielen gehört, schloß nach beendigtem Concert den jungen Meister begeistert in die Arme und rief unter Thränen: »Nun kann ich ruhig heimgehen zu meinen Vätern, Herrlicheres werde ich nie hienieden hören als dieses Orgelspiel.« –

In gleicher Weise vollendet war auch Mendelssohn's Clavierspiel. Sein Anschlag war von einem Zauber ohne Gleichen, seine Technik selbst den Anforderungen unserer Tage gewachsen, und die unbedingte Hingabe an das, was der Componist, dessen Schöpfung seine Hände eben vorführten, gewollt und geträumt, drückten jeder seiner Leistungen den Stempel höchster Vollendung auf. Nichts Eigenes versuchte er zu geben, nur dem Werke selbst wurde er gerecht, er ließ den fremden Geist leuchten und strahlen. – Was seine eigenen Clavier-Compositionen betrifft, so hat gewiß Niemand bis auf den heutigen Tag sein großes, tausendmal gespieltes Clavier-Concert und sein elfenhaftes Capriccio berückender vorgetragen – auch poesievoller seine poetischen Lieder ohne Worte zu Gehör gebracht als eben er. – Solche Töne bleiben haften und vergessen sich nicht, so jung ich noch war, als ich das Glück hatte, ihn zu sehen und zu hören. – –

Das Jahr, in das die Anregung zur Errichtung des Bachdenkmals fiel, brachte von größeren Mendelssohn'schen Arbeiten eine Gelegenheitscomposition: das »Gutenberglied« und seinen edlen »Lobgesang«, den ein Hauch von Frömmigkeit durchzieht, wie der Weihrauchduft einen Gottestempel. Als Mendelssohn dies Werk in Leipzig dirigirte, war der Erfolg ein großer. Von wahrhaft ergreifender Wirkung aber war der Einsatz der hellen Frauenstimme nach der bangen Frage:

»Hüter – ist die Nacht bald hin?«

die wie ein herrlicher Sonnenstrahl hereinbricht mit der Antwort:

»Die Nacht ist vergangen« – – –

einem Ruf, den ein großartiger Doppelchor nachjubelt mit den Worten:

»Die Nacht ist vergangen, der Tag ist gekommen!«

In Birmingham in England mußte Mendelssohn, gleich nach der Leipziger Aufführung, sein Werk wiederholen, – und als er gefeiert zurückkehrte, da zog auch der 4. Psalm zum ersten Mal daher. In demselben Winter studirte Mendelssohn voll Hingabe und Begeisterung mit Chor, Orchester und Solisten das Riesenwerk der Bach'schen Passionsmusik (Matthäus-Passion) ein, das am Palmsonntag 1841 eine herrliche Aufführung erlebte, zur vollen Genugthuung dessen, der sie dirigirte. – An derselben Stelle, wo einst am Charfreitag des Jahres 1728 der alte Bach gestanden und diese seine ernste Schöpfung dem Volke gezeigt, flutheten die großartigen Chöre nieder und erschütterten die Seelen. Ein gläubiges Künstlerherz und ein starker künstlerischer Wille hatten sich also mehr als 100 Jahre später vereinigt und jene That einer Wiedervorführung glänzend vollbracht. –

Im Sommer des Jahres 1841 berief der kunstsinnige König Friedrich Wilhelm IV. Felix Mendelssohn nach Berlin an seinen Musenhof, als Vertreter der edlen Tonkunst. Man wollte ihm eine Stellung schaffen als Director der Musik mit 3000 Thalern Gehalt an einer zu errichtenden Kunst-Akademie für Musik, Architectur, Malerei und Sculptur. Das erste Conservatorium sollte errichtet werden und der königliche Protektor wünschte eine Reihe von auserlesenen Concerten zu hören. Der Plan gefiel aber dem Berufenen, nach dem Leipziger Leben, wo er sich gewissermaßen als König gefühlt, sehr wenig, das Scheiden aus dem Freundeskreise fiel ihm unendlich schwer, das sagt eine Stelle in einem Mendelssohn'schen Briefe an den liebsten der Freunde, den genialen Geiger Ferdinand David in Leipzig. Sie lautet:

»Daß ich nun also ein Privatleben wieder anfangen soll, aber dabei etwa ein Conservatorien-Schulmeister werden, dazu kann ich mich nach meinem guten, frischen Orchester nicht verstehen: ich könnte es allenfalls, wenn es eben ein reines Privatleben sein sollte; da würde bloß componirt und in Stille gelebt. – Aber da kommt ja schon wieder das Berlinische Zwitterwesen, die großen Pläne, die winzige Ausführung, die großen Anforderungen, die winzigen Leistungen, die vollkommene Kritik, die mittelmäßigen Musikanten, die liberalen Ideen, die Hofbedienten auf der Straße, das Museum und die Akademie und der Sand! Ich zweifle, daß länger als das eine Probejahr dort meines Bleibens sein wird, indeß werde ich natürlich alles thun, um dieses eine Jahr weder für mich noch für die Anderen ungenutzt vergehen zu lassen!« – –

Und er hielt es denn auch nicht in dem vergoldeten Käfig aus, jener Vogel mit den leichten Schwingen, trotz der Vereinigung mit den Seinen, zu denen Mendelssohn mit Frau und Kindern zog. – Das alte Haus in der nun Leipziger-Straße Nr. 3, aus dem er vor zwölf Jahren mit schwerem Herzen geschieden, nahm ihn wieder auf. Aber das anregende und beglückende Zusammensein mit Mutter und Geschwistern und allerlei lieben und bedeutenden Menschen, wie der gefeierten Sängerin Pauline von Schätzel-Decker, Meyerbeer, Humboldt, Bunsen, Geibel, der eben einige Wochen in Berlin verbrachte, Professor Wichmann, Magnus, Bettina und ihre schönen Töchter, vermochte nicht das Heimweh nach der alten Lindenstadt und seiner dortigen befriedigenden Thätigkeit zu ersticken. Die Gnade des Königs offenbarte sich zwar ihm gegenüber immer von neuem in allerlei liebenswürdigen Zügen – man feierte ihn in jeder Weise, aber er fühlte sich eben als gefangener Vogel. »Der Grund«, so berichtete Mendelssohn dem Präsidenten Berkenius in Köln, »mag darin liegen, daß alle Ursachen, welche es mir damals vor Jahren unmöglich machten, meine Laufbahn hier zu erweitern, welche mich also von hier forttrieben, nach wie vor noch bestehen und leider wohl auch für ewige Zeiten bestehen werden. Dieselbe Zersplitterung aller Kräfte und aller Leute, dasselbe unpoetische Streben nach äußerlichen Resultaten, derselbe Ueberfluß an Erkenntniß, derselbe Mangel an Production und Mangel an Natur, dasselbe ungroßmüthige Zurückbleiben in Fortschritt und Entwicklung, wodurch beide freilich viel sicherer und gefahrloser werden, wodurch ihnen aber auch alles verdienstliche Belebende geraubt wird. Ich glaube, daß sich diese Eigenschaften in allen Dingen hier wiederholen werden, in den musikalischen ist es ohne Zweifel der Fall. Der König hat den besten Willen, dies Alles zu verändern und zu verbessern, wenn er aber auch diesen Willen unerschütterlich eine Reihe von Jahren festhielte, wenn er lauter Leute fände, die denselben Willen hätten und unermüdlich daran arbeiteten, auch dann wären Resultate, erfreuliche Erscheinungen erst nach dieser Reihe von Jahren zu erwarten, wie mir scheint, und beide verlangt man hier zu allererst. Die Musiker sind hier jeder für sich, nicht je zwei miteinander übereinstimmend; die Liebhaber in tausend kleinen Kreisen vertheilt und verschwunden, dabei ist alle Musik, die man hört, allerhöchstens mittelmäßig und die Kritik scharf, genau und wohl ausgebildet. Das scheinen mir für die nächste Zeit keine guten Aussichten und jenes von Grund aus Aufrichten ist meine Sache nicht, denn mir fehlt es an Talent und Lust dazu. So erwarte ich, was man von mir verlangt, und das beschränkt sich wahrscheinlich blos auf eine Anzahl Concerte, die die Akademie der Künste im kommenden Winter geben und die ich dann dirigiren soll.« –

Und so wurde es. Alle schönen Pläne wurden von irgend welchen Händen allmählig zurückgeschoben und von Woche zu Woche schwand die Aussicht auf eine erfolgreiche, befriedigende Thätigkeit – und diese Erkenntniß hätte ihn geradezu krank gemacht, wenn er nicht durch häufige längere Ausflüge nach Leipzig und England sich an Leib und Seele erfrischt haben wurde. – In London spielte er in Exeter Hall vor 3000 Menschen – begleitete der Königin verschiedene Lieder, dirigirte seine Ouvertüren, überall und immer von Bewunderung eingehüllt – musicirte bei seinem Moscheles schöner als irgendwo – – hörte voll Entzücken die berühmte Fanny Kemble Shakespeare lesen, saß im Atelier des berühmten Frauenmalers Winterhalter und freute sich an den eleganten schönen Frauenbildern auf der Staffelei und las in dem bescheidenen Arbeitszimmer seines Dichterfreundes Klingemann Goethe's Wilhelm Meister wieder einmal und – vergaß Alles, was ihn gedrückt. Eine Reise in die Schweiz, wo ihn die Seinigen erwarteten, vollendete diese wohlthätige Cur – und Mendelssohn kehrte leichteren Herzens nach Berlin zurück. –

Nur zu bald legte sich aber der schwere Druck wieder auf sein Herz – die Berliner Musikverhältnisse zeigten nach keiner Richtung hin eine Aenderung, es war nur ein Ruheposten, der für diesen in voller Kraft stehenden, schaffensfreudigen Künstler in Aussicht stand, und so bat er in einer Audienz seinen Königlichen Schützer selbst um seine Entlassung, die ihm in der huldvollsten Weise gewährt wurde. Der König nahm ihm nur das Versprechen ab, eine Reihe größerer Compositionen, welche Mendelssohn selber bestimmen sollte, für den König in Angriff zu nehmen.

Die Erfüllung jenes Versprechens zeigen uns die Musik zum Sommernachtstraum, die Musik zur Athalia, Antigone, Oedipus auf Kolonos und eine Reihe liturgischer Gesänge. –

Die Fesseln waren endlich gelöst worden – der Befreite kehrte nach Leipzig zurück mit dem Titel eines preußischen Generalmusikdirectors und der, in Form eines Documents niedergelegten, Bestimmung: »zur Disposition des preußischen Cultusministeriums.« – –

Nach dieser Befreiung, der bald darauf die Ernennung Mendelssohn's zum Capellmeister des Königs von Sachsen folgte, fiel wieder der hellste Sonnenschein auf seinen Weg, – jeden seiner Schritte begleiteten Ehren und Erfolge, Orden schmückten seine Brust – und überall, wo es eine gewaltige Aufführung galt, wollte man ihn und nur ihn haben. – Er muß sich stets als ein wunderbarer Festordner bewährt haben, der die widerstrebendsten Massen zu beseelen und zu einem organischen Ganzen zusammenzuhalten verstand. Seine sich nie verleugnende Herzenshöflichkeit, sein liebenswürdiger Witz, sein, bei jeder Gelegenheit hervortretender, Reichthum an Sachkenntniß vermochten selbst den Trägsten zu hellem Eifer anzuspornen und zwangen Alle ohne Ausnahme zum feurigsten Gehorsam und zur unbedingten Hingabe an die zu lösende Aufgabe. – –

Aber wie es auch um ihn her wogte und wie man ihn auch feierte, am glücklichsten fühlte sich Mendelssohn doch in seinem Leipziger Arbeitszimmer in der Königstraße und im Zusammensein mit seinen intimsten Freunden David, Hauptmann und Schleinitz. – Immer neue reiche Schöpfungen entstanden fort und fort in der Werkstatt und unter den Augen der Getreuen. – Wie schön klingen die der innersten Künstlerseele entströmten Worte, die ein Briefblatt zu Klingemann trug:

»Ich empfinde wieder recht lebhaft, welch himmlischer Beruf eigentlich die Kunst ist. Verdanke ich auch den nur den Eltern! Eben, wenn alles Andere, was einen abziehen soll, so widerwärtig, leer und schaal erscheint, so ergreift einen schon die kleinste wirkliche Thätigkeit der Kunst gleich so im Innern, führt so weit, weit von der Stadt, vom Lande, von der Erde weg, daß es ein wahrer Gottessegen ist.« – –

So kann nur ein Künstler von Gottesgnaden empfinden. –

Ein weittragendes Ereigniß für die Lindenstadt war die Errichtung eines Conservatoriums durch Mendelssohn. Zu den Lehrmeistern, deren Namen alle gleichsam in Goldschrift erglänzten, trat bald auch Moscheles. –

Das Institut, an dem auch ein Robert Schumann thätig war, neben dem gelehrten Contrapunktisten Moritz Hauptmann, nahm den schönsten Fortgang und ist bis auf den heutigen Tag eine segensreich wirkende Pflegestätte für die holde Kunst und viele bedeutende Künstlerinnen und Künstler sind aus ihr hervorgegangen. –

Der Lehrmeister Felix Mendelssohn muß ein wunderbar anregender gewesen sein, seine Schüler hingen ohne Ausnahme mit leidenschaftlicher Liebe an ihm. Seine Geduld und Herzensgüte, im Verkehr mit ihnen, erschien unerschöpflich und seine Nachsicht und Hülfsbereitschaft, wo sich Fleiß und redlicher Wille zeigten, waren rührend. Dagegen trat er jeder Nachlässigkeit und Anmaßung durchaus streng entgegen und der Unwahrheit gegenüber, in welcher Gestalt sie auch auftreten mochte, war Mendelssohn, selber der lauterste Character, unerbittlich und einer Versöhnung fast unzugänglich. – Seine Winke bei der Durchsicht von Compositionen waren unschätzbar, er trat als ein scharfer, unbestechlicher Richter auf und doch blieben Tadel wie Lob immer in jener liebenswürdigen Form, die nun einmal unzertrennlich von seinem Wesen war und blieb. Die Zaghaftesten wußte er zu ermuthigen, – die Selbstbewußten fürchteten ihn und jedes wahre, noch so verborgene Talent entfaltete sich unter den klaren Augen dieses treuen Gärtners wie ein Veilchen im Sonnenschein. Es gab keine noch so verschlossene Knospe, die sich in dem Zauber seiner Nähe nicht zur vollen Blüthe entfaltete. –

Das Jahr 1844 brachte die Aufführung der Walpurgisnacht, dies Tonbild von so glühenden Farben, und eine große Zahl der verschiedenartigsten Compositionen, Psalmen für Chor und Orchester, einzelne Chöre, Sonaten für Orgel und Clavier, Quartette, Duette, Lieder und sein Violinconcert in E-moll, – das er für seinen theuren Freund Ferdinand David schrieb. Im Sommer ruhte er von der Arbeit und der Musik einige Wochen mit den Seinen im Bade Soden bei Frankfurt aus, wo damals noch idyllische Zustände geherrscht haben mögen, – denn Felix berichtet von den Apfelbäumen und großen Eichen, allwo er unbehelligt stundenlang gelegen und nur den Schweinehirten gebeten habe, seine muntere Heerde etwas weiter zu treiben, um ihn im wonnigen dolce far niente nicht zu stören. Dort besuchten ihn auch oft, wie Mendelssohn berichtet, Lenau, Hoffmann von Fallersleben und Freiligrath gegen Abend. »Ich bringe sie dann eine Viertelstunde weit über's Feld nach Haus und wir finden Fehler in der Weltordnung«, schreibt er, »prophezeihen Wetter voraus und wissen nicht, was England in der Zukunft anfangen soll, ferner zeichne ich fleißig und componire noch fleißiger. – – Könnte ich nur ein halbes Jahr so fortleben, wie diese vierzehn Tage jetzt hier, was brächte ich nicht alles fertig! Aber das viele Concertanordnen, Dirigiren und Ausgehen, es macht mir gar keinen Spaß und kommt so gar nichts dabei heraus!« –

Freilich wurde diese süße Stille doch auch zuweilen von Ovationen aller Art unterbrochen, auch ein Musikfest in der Pfalz wurde von Mendelssohn dirigirt, dringende Einladungen aus Frankfurt ließen sich nicht immer abwehren, – aber mit welcher Kinderfreude kehrte er dann wieder nach Soden, unter seine geliebten Bäume zurück, wo die Vögel in allen Tonarten durcheinander sangen und doch nie aus dem Tact kamen. Wehmüthig klang wohl der Abschied:

»Lebewohl – du schöner Wald!« –

Aus der Leipziger reichen Zeit sind weiter zu verzeichnen, neben der Musik zum Oedipus, dem Festgesang an die Künstler, einem Lande Sion, Streichquartetten, vier achtstimmigen Liedern und Sprüchen, Liedern ohne Worte und Liedern mit Worten, – das Oratorium Elias. –

Gumprecht's Urtheil über diese letzte große Schöpfung Mendelssohn's lautete so warm und schön folgendermaßen:

»Der ›Paulus‹ war das Werk eines 25jährigen Jünglings, im ›Elias‹, den ein ganzes Decennium von jenem trennte, steht der fertige Mann vor uns, der völlig gereifte Geist, für den es sich nur noch darum handeln konnte, in künstlerischen Thaten der Welt und dem Leben zurückzuerstatten, was sie ihm an inneren und äußeren Eindrücken und Erfahrungen gewährt. Die Stimme des Propheten ist in der That: ›ein Hammer, der Felsen zerschlägt.‹ Den machtvollsten Widerhall hat hier Händel's siegesgewaltige Weise gefunden und nicht minder rauscht der Geist des alten Meisters in dem stolzen Adlerflügelschlag der Chöre.« –

In den letzten Winter der Thätigkeit Mendelssohn's in den Leipziger Gewandhausconcerten fiel auch wie ein Lichtstrahl in die bunte Welt der Erscheinungen das Auftreten der schwedischen Nachtigall – Jenny Lind.

Am 4. December 1845 erschien sie zum ersten Mal auf dem Concertpodium in der alten Lindenstadt, eine Begeisterung erweckend, die geradezu unerhört genannt zu werden verdient. – Aber wie sang sie auch! – – wie eben bis zur Stunde Keine ihr nachzusingen vermochte. – Nicht die Technik war es, die hier blendete, nicht der eigenthümliche Reiz der süßen, leicht verschleierten Stimme, eine, einzig jene Seele, die da sang und klang und jeden Ton durchleuchtete und verklärte. Wer sie jemals hören durfte, dem ward ein Glücksgeschenk zu Theil, für das er dankbar bleiben mußte bis an sein Lebensende. – – Und das Vollendetste waren eben bei ihr – einfache Lieder ihrer schwedischen Heimath und – die Lieder Mendelssohn's, wenn er am Flügel saß und begleitete. –

In Berlin, wo sich Jenny Lind längere Zeit aufhielt, suchte Mendelssohn sie öfter auf, um mit ihr stundenlang vor einem kleinen Kreise von Auserwählten zu musiciren. Dann sang sie ihm alle seine Lieblingsarien und Lieder und zum Danke phantasirte er dann auf dem Flügel. – Wer da hätte zuhören dürfen! – Diese beiden Künstlerseelen waren einander vollkommen ebenbürtig und ergänzten einander in seltenster Weise, – es war ein beneidenswerthes Begegnen und Verschmelzen zweier innig verwandten Naturen.

Die Erscheinung der Lind auf der Bühne, wo sie ja die höchsten Triumphe feierte, erweckte in der Seele ihres Freundes den brennenden Wunsch, eine Oper zu schreiben, deren Trägerin eben ihre poetische Gestalt sein sollte. Der Dichter Geibel, zur selben Zeit in Berlin, sollte einen Text schreiben, am liebsten einen »deutschen volksthümlichen Stoff«, wie Mendelssohn betonte. »Aber auch das Märchenhafte würde mir willkommen sein«, äußerte er, »denn es hat seinen eigenen Reiz, wenn die Leute da vorn auf der Scene handeln und singen und aus dem Hintergrunde die elementaren Mächte, Wald, Wind und Wasser ihr Wort mitreden.« –

Voll Feuer und Flamme entwarfen der Poet und Musiker im nächsten Sommer, wo sie sich in dem schönen alten St. Goar am Rhein ein Rendezvous gaben, den Plan zu einer Oper »Loreley«. – Aber erst im nächsten Frühling hatten sich beide so weit geeinigt, daß der eigentliche poetische Aufbau begonnen werden konnte. Unzählige Briefblätter flogen hin und her, ehe die ersten Tacte niedergeschrieben wurden, das Finale. Leider sollte das schöne Werk nur Fragment bleiben. – Anderes drängte sich in den Vordergrund, es gab so viel zu wirken und zu schaffen! – – Der Elias sollte in Wien aufgeführt werden und Jenny Lind die Sopranparthie singen, – – das war eine strahlende Aussicht für den Componisten. Mittlerweile waren verschiedene Musikfeste zu dirigiren und im Frühling 1847 dirigirte Mendelssohn seinen Elias in Birmingham. »Wärst Du nur dabei gewesen!« schrieb er aus England an seinen Bruder Paul. »Die ganzen drittehalb Stunden, die es dauerte, war der große Saal mit seinen 2000 Menschen und das große Orchester alles so vollkommen auf den einen Punkt, um den es sich handelte, gespannt, daß von den Zuhörern nicht das leiseste Geräusch zu hören war und daß ich mit den ungeheuren Orchester-, Chor- und Orgelmassen vorwärts und zurück gehen konnte, wie ich nur wollte. Wie oft dachte ich da an Dich!« –

Wenige Tage später hielt der Elias unter dem Tactstab des Componisten seinen Einzug in London mit demselben jubelnden Erfolg und dem Ausdruck höchster Begeisterung der Hörer. Die Königin von England, damals noch eine glückliche Frau im Besitz des edelsten, feinfühligsten Mannes, empfing wiederholt damals den Componisten des Elias im vertrautesten Kreise und wetteiferte mit dem Prinz-Gemahl in Aufmerksamkeiten für ihn. – Da mußte er stundenlang spielen und die Hörer wurden nicht müde zu lauschen. –

Als er nach Leipzig zurückgekehrt war, gab es noch allerlei umzuarbeiten in dem Elias; »Stellen, die ich ändern muß und die machen mir unsägliches Kreuz,« klagte er. – Dabei war sein Herz schwer um seinen alten todtkranken Diener Johann, den die Mendelssohn'schen Kinder zärtlich liebten, der stets der Reisebegleiter gewesen war, wenn Felix mit den Seinen ausflog. »Die rechte Stimmung habe ich alle die Tage nicht, weil der arme Johann uns wirklich Sorge macht. Gott gebe bald Besserung dem armen, tüchtigen Menschen!«

So strahlte dies Herz Wärme aus nach allen Seiten und da war Niemand, der dieser edlen Menschennatur näher trat, der nicht die Güte ihres Wesens wie einen belebenden Sonnenschein empfunden hätte. – Der alte Johann starb, aber er legte in die Hände seines geliebten Herrn seinen letzten Willen, – von dem Mendelssohn an Klingemann schreibt: »Den muß ich Dir zeigen, weil den kein Mensch, kein Dichter so wahr, so ernsthaft, so rührend erfinden kann.« –

Es war das Ehepaar Klingemann, in deren einfach behaglichem Heim in London Mendelssohn stets mit besonderer Vorliebe verweilte, das ihn im Mai 1847 – nach einer glanzvollen Saison – wieder nach dem Continent begleitete, und am Ziele eben dieser Reise in Frankfurt, wo ihn Weib und Kinder ungeduldig erwarteten, erreichte den zärtlichsten Bruder die trostlose Nachricht von dem Tode seiner genialen Schwester Fanny Hensel, mit der er stets in innigster Seelengemeinschaft gelebt. – Es war dies ein furchtbarer Schlag, der Mendelssohn's Herz traf – – und nicht nur sein Herz, – auch sein Leben. – Mendelssohn selber war schon vom Hauche des Todes berührt, als er von der so plötzlich Heimgeschiedenen schrieb: »Wer sie einmal gekannt hat, der vergißt sie nimmermehr im Leben.« – –

Von Frankfurt aus flüchtete er sich nun mit all seinen Lieben in die großartige Alpenwelt; Interlaken nahm die Mendelssohn'sche Familie auf. Dort lebten sie in tiefster Zurückgezogenheit. – Die Geschwister aus Berlin trafen gleichfalls dort ein. Der Schmerz um die heißgeliebte Verklärte milderte sich nur in der heiligen und großartigen Natur – – und der Zauber der Kinderaugen und die sanfte Zärtlichkeit der treuen Gefährtin wurden zum Balsam für den schwer Leidenden. Fremde Menschen zu sehen, war ihm unerträglich. – Mit den Geschwistern von der Heimgegangenen zu reden, – mit den Kindern stundenlang umherzustreifen, an einsamen, schönen Stellen wortlos zu träumen, – – das allein that ihm wohl. – Und nur den Kindern gegenüber zeigte er sich nicht reizbar und ungeduldig, – er saß vielmehr still bei ihnen, sah zu, wie sie arbeiteten, und schrieb von ihnen den fernen Freunden, die sich um ihn sorgten, daß sie immer tausend Fragen thäten, »die kein Dummer beantworten kann, die Leute sagen es gewöhnlich umgekehrt, aber es ist so. Die Hauptantwort bleibt ›das verstehst du nicht‹, wie sie mir noch von der Mutter in den Ohren klingt, und wie sie den Kindern bald wieder von mir in den Ohren klingen wird, wenn sie ihren Kindern dieselbe Antwort geben. Und so fortan.« –

Eine andere Briefstelle aus diesem schönen Versteck lautet: »Ich habe endlich angefangen, Noten zu schreiben, – die drei ältesten Kinder arbeiten bei mir Vormittags. Wenn es das Wetter erlaubt, machen wir alle zusammen einen Spaziergang, und auch einige wüthende Skizzen habe ich getuscht. – Meine Lieben sind, Gottlob, wohl, Cecile malt Alpenrosen, – die Tage vergehen einförmig und schnell.« – –

Das Jahr l847 brachte an gedruckten Compositionen Mendelssohn's drei Motetten, Recitativ und Chöre aus dem unvollendet gebliebenen Oratorium Christus, – Finale des ersten Acts aus der entstehenden Oper, Loreley, Quartette für Streichinstrumente, Lieder, das kleine reizende Duett »Aehrenfeld« für zwei Frauenstimmen und sein tief melancholisches, altdeutsches, Frühlingslied:

»Der trübe Winter ist vorbei,
Die Schwalben wiederkehren. –«

Die Rückkehr nach Leipzig, das erste Wiedersehen der treuen Freunde nach Fanny's Tode, ließ alle Wunden wieder bluten und erregte den Trauernden unsagbar. Man fand ihn selber sehr angegriffen und mühte sich in jeder Weise, ihn wohlthuend zu zerstreuen. Aber keiner der liebevollen Versuche, von welcher Seite er auch kommen mochte, hatte den ersehnten Erfolg. – Mendelssohn klagte nur häufig und immer häufiger: »die Leipziger Luft drückt mich, – es ist mir hier Alles zu eng!« – Ein Ausflug nach Berlin zu den Geschwistern erregte ihn nur noch tiefer, – – sie, die geliebte Kunstgenossin fehlte ja in der gewohnten Umgebung! Nur ein Gedanke war da, der ihn aufzurichten vermochte und etwas Licht in die umdüsterte Seele eines Sonnenkindes warf, das so wenig an Schmerz gewohnt war, in selten einem harmonischen Künstler- und Menschenleben, es war die bevorstehende Aufführung seines Elias in Wien, mit Jenny Lind. – Mit Hast und Eifer betrieb Mendelssohn die Vorbereitungen zu dieser Reise und fing auch neue Arbeiten an, trotz immer qualvoller auftretenden Kopfschmerzen und zeitweisen Ohnmachtsanwandlungen. Immer dringender wurden nun die Bitten seiner geängstigten Frau, sich zu schonen. »Laß mich nur jetzt noch arbeiten«, antwortete er dann, »es wird auch für mich ein Ausruhen kommen!« Auch die mahnenden Freunde wies er mit den bestimmt ausgesprochenen Worten ab: »Ich muß noch schaffen, so lange es Tag ist; wer weiß, wie bald die Glocke schallt!« –

Am 7. October 1847 wurde das schwermüthige Frühlingskind niedergeschrieben – und das wunderbare ahnungsvolle Nachtlied:

»Vergangen ist der lichte Tag,
Von ferne kommt der Glockenschlag,
So reist die Zeit die ganze Nacht,
Nimmt Manchen mit, – der's nicht gedacht!«

Nach dem letzten Tacte schob er das feuchte Blatt von sich und sagte: »Nun ist's genug, sorge dich nicht länger, Cecile, jetzt will ich wirklich nicht mehr schreiben und eine Weile ausruhen!« –

Zwei Tage später brachte er sein neuestes Liedermanuscript seiner musikalischen Freundin, der meisterhaften Liedersängerin Frau Livia Frege. Sie sollte diesmal ihm sein Nachtlied zuerst singen. Mendelssohn hatte am Morgen sehr viel und mit gewohntem Feuereifer mit Moscheles und David musicirt. Seine große Nervenreizbarkeit äußerte sich damals zum geheimen Schrecken der Freunde in einer auffallenden Blässe des feinen Gesichts und einem seltsam veränderten Ausdruck, sobald er Musik hörte. Der Arzt hatte deshalb jede größere Musikaufführung für ihn untersagt, – eine Botschaft, die den Leidenden durchaus nicht beunruhigte. »Die höchste Freude und der höchste Genuß«, äußerte er damals wiederholt, »ist doch eigentlich das Musiciren mit wenigen Freunden. Höchstens ein Quartett Gleichgesinnter, mehr brauche ich jetzt nicht!« –

Als ihm nun die seelenvolle Stimme der Freundin in seinem »Nachtlied« die Stelle sang:

»Wo ist nun hin die bunte Lust,
Des Freundes Trost, die treue Brust,
Der Liebsten süßer Augenschein,
Will Keiner mit mir munter sein?! – –«

da ließ er die Hände von den Tasten gleiten mit den Worten: »Hu, das klingt traurig! Aber es ist mir noch so zu Muthe!« – Dann stand er leichenblaß auf, klagte über Eiseskälte in den Händen und ging unruhig auf und nieder. – Die Bitte der erschreckten Sängerin, ihren Wagen ihm zur Verfügung stellen zu dürfen, damit er ihn nach Hause fahre, lehnte Mendelssohn lächelnd ab und meinte, ein tüchtiger Spaziergang würde die beste Heilung dieses Schwächezustandes sein. Er kehrte aber doch direct nach Hause zurück und da am Abend sich ein ähnlicher Zufall wiederholte, befahl ihm der Arzt, für einige Tage das Bett zu hüten. Am 28. October machte er an der Seite seiner Frau einen kleinen Spaziergang, – erschien ziemlich wohl und heiter bei Tisch, – mit Nachmittag aber überfiel ihn eine tiefe Ohnmacht. Der treue Hausarzt konnte seine Trauer nicht verbergen: der Zustand des kranken erwies sich als hoffnungslos. – Ein Nervenschlag war eingetreten. – Sieben Tage währte der Kampf mit größeren oder geringeren Veränderungen, – das Bewußtsein kehrte nur in kurzen Momenten wieder, – und selbst dann erschien der Leidende apathisch oder über unerträglichen Kopfschmerz klagend. –

Die Nachricht von der Gefahr, in der Mendelssohn schwebte, bewies in ihrer Wirkung die volle Größe der Liebe und Verehrung, die er in allen Berufsklassen genoß. Es war, als ob ein geliebter Herrscher erkrankt sei, Schaaren von Bekümmerten aus allen Ständen umlagerten stundenlang Tag für Tag das Haus in der Königstraße und erhofften bessere Kunde.

Alle ärztlichen Autoritäten waren um dies Sterbelager versammelt. – – Aber alles Mühen, alles Hoffen war umsonst, – – das letzte Ausruhen bereitete sich unabwendbar vor. –

In der neunten Abendstunde des 4. November 1847 war der schwere Kampf erst ausgekämpft und die Hand des Todesengels schrieb unter das Lebensbuch des selig Entschlafenen sein heiliges: Fine.

Eine große und reine Künstlerseele war zum Urquell des Lichts zurückgekehrt, von dem sie ausgegangen: das Sonnenkind hatte seine wahre Heimath gefunden.


»Wir hatten dich und haben dich geehrt,
Und das sei unser Trost, – daß wir dich hatten!«

Dies schöne Wort Geibels gilt auch noch heute. – Wenn es auch in unseren Tagen leider in gewissen Kreisen eine Art Mode geworden zu sein scheint, von Felix Mendelssohn als von einem in dem Reiche der Musik längst Ueberwundenen zu reden und zu schreiben, – er bleibt doch für alle Zeiten, was er ist: ein musikalischer Lyriker par excellence, die lyrisch-romantische Composition ist seine unbestrittene Domäne. Musikalische Phantasie, Wahrheit der Empfindung und eine Tonfülle, die doch nie zur Ueberfülle wurde unter seiner schaffenden Künstlerhand, dazu bezaubernde Grazie und eine vornehme Form des Ausdrucks und der Mittel, wer könnte ihm diesen Ruhm jemals rauben? – Er war zudem ein wunderbar correcter Zeichner in der Musik, – in den Farben selbst erschien er wohl meist als ein Aquarellmaler, – aber da von einer Vollendung ohne Gleichen. –

Und als Mensch, der hier von dem Künstler in seltener Weise unzertrennlich ist, – dürfte er stets als ein leuchtendes Beispiel aufgestellt werden. Wie unverwelklicher Veilchenduft umzieht es seinen Namen. Der Zauber der Herzensliebenswürdigkeit, Pflichttreue, Reinheit und unerschöpfliche Güte, – das waren die unbestrittenen verklärenden Eigenschaften jenes echten Sonnenkindes, dessen Erdenpfad nur kurz sein durfte:

»Doch trug er Blum' – an Blume!«


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