Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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41.

Ich schrieb also: »Ich höre, daß Sie nicht wohl sind, und dies betrübt mich lebhaft. Von ganzem Herzen wünschte ich, bei Ihnen zu sein, um Ihnen alle Dienste eines Freundes zu erweisen. Ich hoffe, daß Ihr übles Befinden der einzige Beweggrund zu Ihrem Schweigen, das nun schon drei Tage währt, gewesen sei. Mein Billett von vorgestern hat Sie doch nicht etwa beleidigt? Ich schrieb es, das kann ich Sie versichern, ohne das geringste Übelwollen und allein in der Absicht, Sie auf würdigere Gegenstände der Betrachtung zu bringen. Wenn Ihnen das Schreiben Beschwerde macht, so senden Sie mir bloß genauere Nachricht über Ihr Befinden: ich werde Ihnen jeden Tag eine Kleinigkeit schreiben, um Sie zu zerstreuen, und damit Sie nicht vergessen, daß ich es gut mit Ihnen meine.«

Nie hätte ich den Brief erwartet, den er mir als Antwort zurückschrieb. Er begann also: »Ich kündige dir die Freundschaft auf: wenn du mit der meinigen nichts anzufangen weißt, so weiß ich auch mit der deinigen nichts anzufangen. Ich bin nicht der Mann, welcher Beleidigungen vergibt; ich bin nicht der Mann, der einmal zurückgewiesen, wiederkommt. Weil du weißt, daß ich leidend bin, suchst du heuchlerisch dich mir wieder zu nähern, indem du hoffst, daß durch die Krankheit mein Geist geschwächt sei, und daß ich mich verleiten ließe, deine Predigten anzuhören ...« In diesem Tone ging es fort, die heftigsten Vorwürfe machte er mir, verhöhnte mich, zog alles, was ich ihm über Religion und Moral gesagt hatte, ins Lächerliche und beteuerte, daß er stets als derselbe leben und sterben werde, das heißt als der größte Hasser und der größte Verächter jeder Philosophie, die von der seinigen verschieden wäre.

Wie angedonnert stand ich da!

Schöne Bekehrungen, die ich mache! sagte ich voll Schmerz und schaudernd. – Gott ist mein Zeuge, ob meine Absichten nicht rein waren! – Nein, dies Unrecht habe ich nicht verdient! – Doch Geduld; es ist eine Enttäuschung mehr. Möge auch er sie erfahren, wenn er sich Beleidigungen einbildet, um die Wollust zu haben, sie nicht zu verzeihen! Mehr zu tun als ich getan, bin ich nicht verpflichtet.

Dennoch legte sich nach einigen Tagen mein Groll, und ich dachte, dieser eine wütende Brief könne die Folge einer vorübergehenden Überreizung gewesen sein. – Vielleicht schämt er sich dessen schon, sagte ich, ist aber zu stolz, sein Unrecht einzugestehen. Wäre es nicht edelmütig gehandelt, jetzt wo er Zeit gehabt hat, sich zu beruhigen, ihm noch einmal zu schreiben? Es kostete mich viel Überwindung, von meiner Eigenliebe so viel zu opfern. Wer sich ohne gemeine Absichten erniedrigt, der entwürdigt sich nicht, welchen ungerechten Spott er auch dafür erfahre.

Ich erhielt einen weniger heftigen, aber nicht weniger beleidigenden Brief zur Antwort. Der Unversöhnliche sagte mir, daß er meine evangelische Mäßigung bewundere.

»So wollen wir also,« fuhr er fort, »unsere Korrespondenz wieder aufnehmen; aber sprechen wir ohne Umschweife zueinander. Wir lieben uns nicht. Wir wollen uns schreiben, und zwar jeder zu seinem eignen Zeitvertreibe, indem wir ohne Zwang alles, was uns in den Kopf kommt, auf das Papier hinwerfen: Sie Ihre seraphischen Phantasien, ich meine Verwünschungen; Sie Ihre Schwärmereien von der Würde des Mannes und Weibes, ich die offenherzige Erzählung meiner sinnlichen Genüsse, wobei wir, Sie mich und ich Sie, zu bekehren hoffen. Antworten Sie mir, ob Ihnen der Vorschlag gefällt.«

Ich antwortete: »In Ihrem Vorschlage kann ich nichts als einen höhnischen Spott finden. Meine guten Absichten habe ich Ihnen im vollsten Maße zu zeigen gesucht. Mein Gewissen verpflichtet mich zu nichts weiter, als Ihnen alle Glückseligkeit in dieser und jener Welt zu wünschen.«

So endete mein geheimer Briefwechsel mit jenem Manne, der – vielleicht mehr durch das Unglück verbittert und durch Verzweiflung zum Wahnsinn gebracht, als wirklich niederträchtig war.


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