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Offener Brief an Reichswehrminister Groener

Hochverehrter Herr Minister! Sie haben am 29. November unter dem Titel »Staatsverleumdung« in der ›D.A.Z.‹ einen Artikel veröffentlicht, in dem Sie Ihre alte Forderung nach einem Sondergesetz gegen Pazifisten neu entwickeln. In diesem Artikel erwähnen Sie auch den Weltbühnen-Prozeß, und da Sie Ihr Verlangen nach einem Antipazifisten-Gesetz vornehmlich auf unsern Prozeß stützen, so muß ich Ihre mißlaunige und gereizte und aus diesem Grunde nicht sehr überzeugende Publikation gradezu als Antwort auf die Proteste empfinden, die unsre Verurteilung hervorgerufen hat. Sie werden es daher verstehen, wenn ich Ihnen an dieser Stelle und im Rahmen meiner zurzeit gesetzlich beengten Möglichkeiten entgegne.

Erlauben Sie zunächst, Herr Minister, Ihnen mein Erstaunen auszudrücken, daß Sie als Tribüne ein Blatt gewählt haben, dessen vollfascistischer Charakter auch durch einige Tupfen wirtschaftlichen Liberalismus nicht geschwächt wird. Kurz vorher hatte dies Ihr Publikationsorgan noch versucht, die hessischen Terroristen weißzuwaschen und unter der heitern Überschrift »Der Oberreichsanwalt und Hitler gegen Severing« gegen diejenigen scharf zu machen, die gegen das Arrangement einer deutschen Bartholomäusnacht einige amtliche Einwendungen erhoben haben. In der gleichen Nummer, in der Sie die Staatsverleumder infamieren, macht sich der Hausdichter der Zeitung in Versen, deren Niedertracht nicht durch eine schöne Form artistisch geadelt wird, über die Erregung lustig, die durch die Blutphantasien der politischen Freunde seines Chefredakteurs hervorgerufen wurde.

Wer insgeheim durch faule Zicken
versucht die Menschheit zu beglücken,
der seh' sich seinen Nachbar an,
ob er den Schnabel halten kann.

In der ›D.A.Z.‹ ist man nur unangenehm berührt, daß einer gepetzt hat. Alles andre ist Bagatelle:

Daß sich zwei Jungens anvertrauten,
daß sie den Dritten gern verhauten,
und einer dann die Lust verlor,
das kam schon in der Sexta vor.

Ich fürchte, Herr Reichswehrminister, Ihr Kollege, der Herr Reichsinnenminister, der Hüter der Verfassung und des republikanischen Zeremoniells, wird über Ihre falsch ausgesuchte Plattform recht ungehalten gewesen sein.

Ich weiß nicht, ob Ihr Wunsch, eine »Lex Groener« zu erreichen, inzwischen in Erfüllung gegangen ist. Während diese Zeilen geschrieben werden, sind im Reichsjustizministerium noch einige Widerstände vorhanden, die gesamte Meinungsfreiheit in Deutschland dem diskretionären Ermessen der Militärs zu unterstellen. Diese Widerstände haben Sie sehr verärgert, und nicht zum mindesten daraus erklärt sich der gereizte Ton Ihres Artikels. Sie reden von »sogenannten Pazifisten«, Sie setzen ohne Versuch einer Graduierung »Pazifist« gleich »Denunziant«. Sie nehmen sogar Stresemanns unglückliches Wort von den »Lumpen« wieder auf und gebrauchen es so, daß sich jeder Friedensfreund davon betroffen fühlen kann. Es ist, nach Ihrer Meinung, bisher noch lange nicht oft genug, nicht hart genug bestraft worden. »Und wenn heute einmal eine solche Verleumdungstat ihre Sühne gefunden hat, so zeigt schon die Tatsache, daß es 2 ¾ Jahre gedauert hat, bis sie endlich zur Verhandlung kam, daß die alten Bestimmungen der heutigen Lage nicht mehr entsprechen.« Wenn unser Prozeß beinahe drei Jahre gedauert hat, so lag das nicht an den Angeklagten, die Herren Ihres Ressorts können Ihnen über die Gründe der Verzögerung bündige Auskunft geben. Aber auch sonst scheint mir hier ein ernstes deutsches Manneswort am Platze zu sein, Herr Minister.

Zu meinem Bedauern kann ich nicht verhehlen, daß Ihre Bezugnahme auf unsern Prozeß von herzlich wenig Noblesse zeugt. Ein kämpfender Skribent meiner Sorte hat ein sehr ausgeprägtes Ehrgefühl, das dem eines alten Soldaten nicht nachsteht. Der leipziger Prozeß hat im Dunkeln stattgefunden. Deshalb nicht zum geringsten die Sensation, die er überall erregt hat. Die Öffentlichkeit weiß nur das Faktum der Verurteilung, die Begründung bleibt ihr vorenthalten, von dem Gegenstand des Verfahrens kennt sie kaum verschwommene Umrisse. Und diesen in der Dunkelkammer exekutierten Prozeß nehmen Sie zum besondern Anlaß, nicht nur um ein Gesetz zu fordern, das die gesamte Presse unter Kuratel bringt, sondern auch um die Verurteilten, die schweigen müssen, die kaum mit der linken Hand fechten können, als höchst dubiose Figuren hinzustellen. Sehen Sie, Herr Minister, ich bin im Laufe dieser Woche auf verschiedene Ihnen gesinnungsmäßig Nahestehende gestoßen, die sich beim Lesen Ihres Artikels aufrichtig für Sie geschämt haben. Ist schon dieser hochnotpeinliche Geheimprozeß kein politisch wichtiges Argument, sondern ein Mißtrauen erregendes Kunstgebilde aus Juristerei und Politik, so wird vollends in einem unpolitischen Bezirk kein gerecht Denkender Ihren öffentlichen Fingerzeig auf die Verurteilten, denen selbst der IV. Strafsenat nicht die Ehre der Überzeugungstäterschaft abzusprechen gewagt hat, als gentlemanlike empfinden. Ich beklage es, Herr Minister, mich hier bei solchen Selbstverständlichkeiten aufhalten zu müssen. Ich beklage es, daß man grade einen alten Offizier, also einen traditionellen Spezialisten des point d'honneur, erst am Portepee fassen muß, um ihn auf ein so natürliches Gebot menschlichen Zusammenlebens aufmerksam zu machen.

Ihre Art der Polemik ist überhaupt etwas zu primitiv. Um Ihre pazifistischen Gegner zu kennzeichnen, zitieren Sie selbst Ihre Reichstagsrede vom 19. März, worin Sie behaupten, daß das Ausland sein Material zum größten Teil von Deutschen bezieht, »deren Triebfeder entweder fanatischer Haß gegen alles Militärische oder Gewinnsucht ist«. Was mich angeht, so bin ich weder fanatisch noch gewinnsüchtig und nenne den einen schlechten Friedensfreund, der einem fremden Militarismus einen Gefallen tut. Aber, generell gesprochen, ich habe noch keinen Antimilitaristen gesehn, der dabei fett geworden wäre. Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede. Ich habe noch niemanden gekannt, der sich zur Stillung seiner Geldgier auf Erhaltung und Förderung des Friedens geworfen hätte. Die beutegierige Canaille hat von eh und je auf Krieg spekuliert.

Sie haben es sich zu einfach gemacht, Herr Minister, Sie setzen Pazifismus gleich Vaterlandsverrat. Aber etwas andres als der Pazifismus steht hier zur Debatte, nämlich die Frage, ob die Deutsche Republik bürgerlich oder militärisch regiert werden soll. In den engen Kreis seiner beschworenen Pflichten gebannt zu sein, das ist das besondere berufliche Schicksal des Soldaten, der Verzicht auf bestimmte bürgerliche Betätigung seine besondere Ehre. Bricht er dagegen aus diesem Kreise, dringt er selbst Subordination heischend in das zivile Regiment ein, erklärt er seine Kasteninteressen für die vornehmsten der ganzen Nation, so sieht es allemal um einen Staat übel aus. Es gibt kein größeres Unglück für die Allgemeinheit als den politisierenden Militär.

Brauche ich Sie an den Dreyfus-Prozeß zu erinnern? Oder an Zabern? Oder an die Tragikomödie des Generals Ludendorff? Oder an Primo de Rivera, den Totengräber der spanischen Monarchie? Ich wähle ein Beispiel, das näher liegt. Ich verweise Sie nur auf den mürrisch und neidisch hinter den Ereignissen herjagenden Greis, der noch gestern der überlegene, der sphinxhaft lächelnde General von Seeckt gewesen ist, um Ihnen nahezurücken, wieweit Politik einen begabten Soldaten demolieren kann. In all den Jahren, wo ich mich mit der Reichswehr kritisch befassen mußte, hat mich nicht nur ein pazifistisches Motiv geleitet, sondern mehr noch die staatsbürgerliche Einsicht, daß nichts verheerender für unser Land ist als ein dilettantisches Militärregiment, als die Omnipotenz der Generalität. Sehr gemäßigte Politiker haben nicht anders gedacht und gehandelt. Graf Bernstorff, zum Beispiel, hat einmal im Reichstag eine bittere Rede gehalten gegen die »unselige Soldatenspielerei«, die den deutschen Diplomaten die Arbeit so erschwere. Und als Stresemann in Locarno verhandelte, da tat sich in Berlin eine kleine militärische Nebenregierung auf, die auf eigne Faust Außenpolitik trieb und die Schritte der verantwortlichen Regierung zu konterkarieren suchte. Stresemann ist wiederholt aufs härteste der Generalität über Pläne und Mundwerk gefahren. Wie wäre es mit einem Landesverratsverfahren post mortem?

»Staatsverleumdung!« rufen Sie, Herr Minister, und dieser Begriff ist so weit gefaßt, daß jede Kritik damit getroffen werden kann, jede Bemühung, eine Dummheit subalterner Wichtigmacher und blindwütiger Organisierhengste zu bremsen. Sogar die Wahrheit kann als »Verleumdung« verfolgt werden, wenn sie militärischen Ressortgeheimnissen widerspricht, deren Aufdeckung der außenpolitischen Vernunft dienlicher sein kann als ihre Vertuschung. Und was schließlich die alljährlichen Schlägereien um das Reichswehr-Budget anbelangt – – L'etat c'est moi! sagen Sie und übersetzen das, vom Brauch etwas abweichend: Der Etat bin ich! Was diese kleine Abweichung bedeutet, hat unser Prozeß gezeigt.

»Staatsverleumdung –«? Es ließe sich darüber mit Ihnen diskutieren, Herr Minister, wenn nicht unglücklicherweise der Staat für Sie und Ihre Herren identisch wäre mit den Interessen Ihres Ressorts. Sie schreiben: »Der Gesetzgeber, der vor Jahren den strafrechtlichen Schutz des Staates gegen Angriffe auf seine Stellung nach außen zu schaffen hatte, konnte noch nicht die Bedeutung kennen, die die öffentliche Propaganda für die außenpolitische Stellung eines Staates erlangen würde, und er konnte allerdings auch nicht glauben, daß eines Tages ein organisiertes Denunziantentum einen so unheilvollen Einfluß auf die Entwicklung wichtiger politischer Fragen nehmen würde.« Und diese fürchterliche Charakteristik soll auf die armen versprengten Haufen der Pazifisten zutreffen? Wie sind Sie schlecht unterrichtet, Herr Minister! Wenn Sie eine Ahnung etwa von der Deutschen Friedensgesellschaft hätten, so würden Sie wissen, daß in Deutschland Organisation und Pazifismus diametrale Gegensätze sind. Nein, es gibt ein andres organisiertes Denunziantentum, das nichts mit den Friedensfreunden zu tun hat. Seit zwölf Jahren treiben die Rechtsparteien nichts andres als Staatsverleumdung. Seit zwölf Jahren lassen sie keine Gelegenheit vorübergehen, ohne in der ganzen Welt die Deutsche Republik als korrupt, als verlottert, als einen Staat, in dem die Arbeiterschaft auf Kosten der Gesamtheit faulenzt, zu denunzieren. Hat nicht Herr Schacht in Harzburg die deutsche Währung ruinieren wollen? Hat nicht der hypernationalistische Industriemagnat Fritz Thyssen vor Wochen erst mit falschen Zahlen die amerikanische Öffentlichkeit über den wirklichen Stand der deutschen Sozialpolitik zu dupieren versucht? Hat nicht Herr Hugenberg einmal in Amerika einen gewissen Brief verbreitet, der auch von Leuten, die ihm politisch nahestehen, als landesverräterisch bezeichnet wurde? Und muß ich Ihnen wirklich ins Gedächtnis zurückrufen, unter was für einem Trommelfeuer von Verleumdung alle deutschen Außenminister, von Simons bis Curtius, zu leiden hatten, wenn sie Deutschland draußen zu vertreten hatten? Auch das war Staatsverleumdung tausendfach und hat trotzdem nicht die bescheidenste Kanzlistenfeder bei der Reichsanwaltschaft in Bewegung gebracht.

Ich verstehe nicht, daß ein so erfahrener Politiker wie Sie sich selbst zu so viel Simplizität verurteilen kann, ganz Deutschland in zwei Gruppen zu teilen: in die Guten, das sind die »Wehrfreudigen«, die alles bewilligen, was der Herr Kriegsminister wünscht, und die Andern, die Bösen, die zu seinen Wünschen nein sagen. Der aktuelle Schnitt durch Deutschland läuft anders!

Es hat eine Zeit gegeben, Herr Minister, wo Sie bei den Leuten, die Ihnen heute verdächtig laut zujubeln, noch nicht so beliebt gewesen sind. Sie haben seit 1918 wiederholt in das deutsche Schicksal entscheidend eingegriffen. Nicht immer glücklich, aber sie haben zweimal in tragischen Situationen die Partei der Vernunft gegen die Partei eines sinnlosen Militarismus zum Siege geführt. Sie haben 1918 als Nachfolger Ludendorffs dessen Kurs liquidiert, Sie haben das zu einer Zeit getan, als der Pazifist Rathenau noch hoffnungslos verwirrt das verhungerte und ausgeblutete Land zur levée en masse aufrief. Und Sie haben im Juni 1919, als die Nationalversammlung zögerte, die Zustimmung zur Unterzeichnung des Versailler Vertrags zu erteilen, als Offiziere des alten Heeres stürmisch den letzten Verzweiflungskampf forderten, mit Aufgebot aller Überzeugungskraft den Herren deutlich gemacht, warum es ein Wahnsinn sei, zur angeblichen Rettung der Waffenehre einen hoffnungslosen Gang zu wagen. Das war in jenen Tagen, als Scheidemanns Hand verdorren wollte, als altgediente Pazifisten Widerstand bis zum Letzten predigten. Es ist das historische Verdienst des Generals Groener, in diesen Schicksalsstunden »Defaitist« gewesen zu sein. Sie blieben mitten in allgemeiner Kopflosigkeit Realist, Sie wurden damals und später von der militaristischen Reaktion mit Ausdrücken bedacht, die sich nicht viel von jenen unterscheiden, mit denen Sie heute die Pazifisten bedenken, deren Nero oder Diocletian Sie leider werden möchten. Es ist keine schöne Aussicht, als Vater einer Zuchthausvorlage in die Geschichte einzugehen, als Unterdrücker des freien Worts der Presse. Ich bin Ihr Gegner, aber kein ungerechter, und deshalb drängt es mich, angesichts der gefährlichen Entscheidung, die Sie auf sich genommen haben, ein Stück aus Ihrer Vergangenheit lebendig zu machen, das Ihren Namen freundlicher strahlen läßt als Ihre neuern Taten es vermögen.

Es ist eine etwas komische Vorstellung, daß in dieser Zeit, wo in Deutschland alles mit Messer oder Knüppel gemacht wird, die paar Männer, die noch eine Ehre darin sehen, mit der Feder zu kämpfen, zuerst unschädlich gemacht werden sollen. »Epargnez la tête!«, rief jener pariser Aristokrat, der den jungen Voltaire von seinem Lakaien verbleuen ließ. Schont den Kopf! In Deutschland gibt es nur auf den Kopf, das scheint hierzulande Gesetz zu sein, und es stimmt nicht tröstlicher, daß diesmal das Gesetz von einem Manne verhängt wird, der sich als guter Republikaner vorstellt. »Die Freiheit, die wir besingen und erstreben, ist Opfer wert.« So schreiben Sie. Wir sind beide Republikaner, Herr Minister, aber ich fürchte, wir meinen nicht die gleiche Freiheit, und wir singen auch nicht in der gleichen Stimmlage. Wahrscheinlich singen wir auch alle beide nicht sehr schön, wobei Sie allerdings den Vorzug haben, von einem Militärorchester begleitet zu sein.

Ich glaube nicht, daß wir uns leicht einigen werden, Herr Reichswehrminister. Als loyaler Gegner möchte ich Ihnen indessen anbieten, auf diesen offenen Brief ebenso offen an dieser Stelle zu antworten. Da Sie die Vollblutfascisten der ›D.A.Z.‹ nicht gestört haben, dort Ihre Meinung zu vertreten, glaube ich hoffen zu dürfen, daß Sie auch an den liebenswürdigen Petroleuren der ›Weltbühne‹ keinen Anstoß nehmen werden.

Genehmigen Sie, Herr Minister, den Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung ...

Die Weltbühne, 8. Dezember 1931


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