Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Im rechten Augenblick.

Claus to Baben stand gemütlich am Steuer seines Ewers, der vor der Mündung der Elbe kreuzte, um heimzukehren nach der Heimat, das ganze Schiff voll von zappelnder und spaddelnder Fischware, die er da draußen in der Nordsee mit dem Schleppnetz gefangen hatte. Eine tüchtige Brise wehte daher, und Steuermann wie Bestmann mußten gut acht auf Segel und Steuer haben. Aber trotz der schweren Arbeit glitt hin und wieder ein zufriedenes Lächeln über Claus' wettergebräunte Züge; er mochte daran denken, wie diesmal der Fischfang so besonders reichlich gelohnt hatte: Fische waren ins Netz gegangen, – reine Prachtkerle. Dafür würde er einen guten Preis am Hamburger Markte erringen, und namentlich würde er – bei diesem Gedanken wurde des Fischers Miene fast düster – den Eibe Peyck schlagen, den Schurken, der ihm sein ganzes Leben verbittert hatte und obendrein noch beim Fischfang von besonderem Glück begünstigt war. Fast jedesmal war er eher als Claus am Markt gewesen, fast jedesmal, wenn er nach Hamburg aufwärts fuhr, hatte er das verhaßte grüne Fahrzeug schon in Altona liegen sehen. Aber diesmal – ha! ha! ha! er lachte es laut in die Windsbraut hinein – da sollte es mit dem Teufel zugehen, wenn er ihn nicht überholte.

Ein derber Fluch dröhnte von Claus' Lippen, und ein gegen alle Regeln der Schiffahrt verstoßender Ruck am Steuer bekräftigte ihn. »Halloh!« machte der Bestmann und glotzte den Schiffer verwundert an.

Der aber hatte den Fehler schnell gut gemacht, und einen Priemen kunstgerecht in die rechte Mundecke schiebend, träumte er wieder weiter. Dieser Eibe Peyck! Was waren sie in der Jugend für unzertrennliche Freunde gewesen: Keiner konnte es je dulden, wenn dem andern ein Leids geschah. Castor und Pollux hatte sie der Lehrer genannt, so unzertrennlich waren sie erschienen. Sie wuchsen heran, besuchten gemeinschaftlich die Seemannsschule auf Waltershof und bestanden zusammen die Schifferprüfung für kleine Fahrt. Dann aber – kaum hatten die Alten ihnen die Ewer übergeben und sich aufs Altenteil gesetzt – war mit einem Male jener merkwürdige Zwist über sie gekommen, der sie fürs Leben trennte. Anke Dohrmann – des Vollotsen Dohrmann holde Tochter – war es gewesen, die ihre Liebe errang und ihre Freundschaft vernichtete. Sie wählte Eibe Peyck –, kein Wunder, denn er war hoch und schlank gewachsen, ein blonder Vollbart umrahmte sein frisches Gesicht, während Claus to Baben klein und untersetzt war, Pockennarben, tief eingegraben, gaben seinem Antlitz ein entstellendes Äußere. Und wenn sein treues, blaues Auge nicht gewesen wäre, man hätte den Mann häßlich genannt ...

Eine Bö blies in die Segel des Ewers.

»Reff en Strich!« rief Claus dem Bestmann zu und schaute zum Himmel. »Wenn wi man bald binnen wären, wi kriegt sonst en nattes Johr!«

»Mag sein,« antwortete der Bestmann einsilbig.

Die letzte Freundestat, die Claus dem Jugendgespielen erwies, war, daß er freiwillig auf Ankes Hand verzichtete; von dem Augenblick an hatte sich aber in seinem Herzen ein so unbändiger Haß eingenistet, daß er sich vergeblich gegen ihn wehrte. Gute Freunde hatten natürlich dafür bestens gesorgt, daß die Kluft, die die einstigen Jugendfreunde trennte, immer weiter und tiefer wurde; wilder Konkurrenzneid, wie er dem Niedersachsen trotz aller Biederkeit nun einmal eigen ist, hatte sich hinzugesellt, und so war es schließlich dazu gekommen, daß Claus to Baben keinen größeren Feind auf Erden kannte als Eibe Peyck. –

Die Dunkelheit nahte indessen mehr und mehr, und mit ihr nahm der Sturm an Macht zu; es pfiff in den Masten und Segeln, als ob die Windgeister einen Tanz aufführten. Ein letzter fahler Sonnenstrahl glitt über die Wasserfläche dahin, und fast in demselben Augenblick rief Hinrich Behrmann, der Bestmann, aus:

»Dammi, da soll doch gliek de Deibel – – –«

»Wat's los?« frug der Schiffer vom Achterteil.

»Ick heff mi woll versehn, ober Peyk sin »Emmeline« –

Wie ein Ruck ging es durch Claus to Baben.

»Loot dat Reff wedder ut!« schrie er.

»Ober Claus ...«

»Watt heff ick seggt?«

Behrmann gehorchte. Pfeilschnell glitt der Ewer dahin; sein Mast neigte sich manchmal bedenklich der Wasserfläche zu, die Segel blähten sich und die Spieren knarrten. Wie aus Erz gegossen stand Claus am Steuer, mit den Augen die Nacht zu durchdringen versuchend, ob irgend das Licht eines Ewers zu entdecken war. Nichts zu sehen weit und breit ...

»Gott sei Dank,« murmelte Behrmann einmal, »daß die Fische nicht seekrank werden, sonst wäre es bei der Fahrt verdammt leicht möglich!«

Helgoland war passiert; allmählich kam der Ewer auf- und niederkreuzend auch aus dem Lichtkreis des Leuchtturmes dieses Eilandes. Bald darauf stellte sich Regen ein, dadurch wurden die Lichter der beiden ersten Elbleuchtschiffe schwer erkenntlich. Endlich war das dritte Feuerschiff sichtbar, rechts davon mußten die beiden Neuwerker Türme ihr Licht ausstrahlen. Lange suchte Claus vergeblich darnach, endlich erblickte er es und sofort legte er Ruder und Segel um, um darauf los zu halten.

»Nun sind wir bald bei Cuxhaven!« jubelte er, und nirgends war ein Licht zu erblicken, das auf die Fahrt eines anderen Ewers schließen ließ.

»Mie kommt dat Licht so lütt vor,« meinte Behrmann.

»De Luft is diesig,« erwiderte Claus und hielt stramm auf das Licht los. »Bie dat Warck (Neuwerk) leggt wi wedder um.«

Behrmann, gewohnt dem kühnen Segler zu gehorchen, beugte sich auch diesmal der anscheinend besseren Einsicht.

Der Ewer kam nun, vor dem Winde segelnd, in eine mächtige Fahrt; das schwere Schiff flog dahin, als ob die Windsbraut in seinen Segeln säße. Claus, nur darauf bedacht, seinem Konkurrenten den Rang abzulaufen, achtete nicht des Sturmes und ließ alles Segelzeug stehen.

»Claus,« meinte da plötzlich Behrmann, »ich seh' zur Linken noch zwei Lichter –«

Der Schiffer sah nach der Richtung und mußte seinem Bestmann Recht geben, aber ehe er sich die Situation klar machen konnte, nahm der Ewer, tief in ein Wellental hinabtauchend, eine Sturzsee über, die Claus das Steuer aus der Hand riß; gegen die Reling geschleudert, suchte der Schiffer einen Gegenstand, um sich festzuklammern, – aber in demselben Augenblick erfolgte ein Krach, der das Tosen des Sturmes zu übertönen schien, das Schiff zitterte als ob es bersten wollte, und gleich darauf stand der Ewer still. Durch den plötzlichen Ruck war der Schiffer wieder gegen die Reling geschleudert, und bald darauf fühlte er, wie sich in dem eisigen Regen, der sein Antlitz benetzte, warme Tropfen mischten, – langsam rieselte Blut aus einer Kopfwunde über seine Stirn.

»Aufgelaufen! Gestrandet!« Das war das einzige, was er denken konnte, und dann kam eine ohnmächtige Wut über ihn, daß nun abermals Eibe Peyck den Sieg davon trug.

Er raffte sich auf und rief nach dem Bestmann.

»Hinrich! Hinrich!«

Keine Antwort erfolgte; der Ewer schlängelte in den vom Sturm gepeitschten Wellen hin und her, daß es Claus schwer wurde, nach der Deckluke zu gelangen, um auch dort nach Hinrich Behrmann zu rufen.

Auch aus dem Logis kam keine Antwort, und so stieg denn Claus hinab, um seine Wunde zu verbinden, ehe er das Schiff verließ; denn darüber, daß der Ewer verloren sei, war dem erfahrenen Seemann kein Zweifel mehr; über das tief im Wattensand ruhende Schiff, das mit gewaltiger Fahrt aufgelaufen war, brausten der Wogendrang und der Sturm hinweg, bei jedem neuen Anlauf mehr Segel, Deckgegenstände, Teile des Mastes hinfort reißend. In wenig Stunden würde der Mast brechen und sein Sturz den Rest des Decks zertrümmern; ein Glück, wenn es ihm noch gelang das Boot zu bergen, und in ihm den Standpunkt des Lichtes, das er für das des Neuwerker Leuchtturms hielt, zu erreichen.

Von Hinrich Behrmann war nirgends eine Spur zu entdecken, wahrscheinlich hatte ihn schon die erste Sturzsee über Bord geschleudert; mit dem den Seeleuten eigenen Fatalismus überließ er ihn seinem Geschick und verband seine Wunde, so gut es in der völligen Finsternis möglich war. Dann eilte er wieder an Deck und sah sich nach dem Boot um; es war noch da – schnell sprang Claus hinein und die Riemen ergreifend, hielt er auf das ferne Licht zu.

Wilde Gedanken durchwirbelten das Hirn des dahinrudernden Mannes. Nun war auch das verloren – das letzte, was das Leben noch lebenswert machte, sein vom Vater ererbtes, im Orkan und in der Brandung erprobtes Schiff. Mochte es darum sein! Zwar war es versichert, und er würde sich für das von der Assekuranz ausgezahlte Geld einen neuen Ewer bauen lassen können – aber in der Zwischenzeit? Das Warten und Herumlungern auf dem Lande – mochten die Sorgen des Lebens denn so über ihn zusammenschlagen wie jetzt die Wellen des erregten Wattenmeeres, – es sollte ihm gleichgültig bleiben. Was hatte er noch zu verlieren!

Ja, warum machte er denn nicht gleich ein Ende? Warum steuerte er seine Nußschale denn mit schon ermattender Kraft noch dem rettenden Lichtort zu? War es noch ein letzter Lebensdrang – Torheit, nur um sich nachher daheim über die Achsel ansehen zu lassen, der Schiffer ohne Schiff, der Fischer ohne Fische! Dann besser gleich, wenigstens würden die dunklen Wogen ihm die brennende Stirnwunde kühlen – drum – da hob ihn ein Wellenberg plötzlich in die Höhe. Was war das? Dicht vor sich sah er ein kleineres Licht und links davon noch zwei, die er nun deutlich als die des großen und des kleinen Leuchtturms der kleinen hamburgischen Insel Neuwerk erkannte. Wenn das aber so war, dann befand er sich ja unmittelbar an der Scharhörn-Bake und sein Ewer war auf dem Scharhörn-Riff gestrandet. Blitzschnell kamen ihm diese Gedanken – wie aber kam das Licht auf die Bake hinauf, die sonst nie belichtet war?

Die lebensmüden Gedanken waren vergessen, mit letzter Kraft legte sich Claus to Baben in die Riemen, und wenige Ruderschläge später schürrte sein Boot auch schon über Strand. Der Schiffer sprang ins Wasser und zog sein Boot durch die Brandung an das Balkenwerk heran, es dort befestigend. Schweren Schrittes ging er dann die teergetränkten Eichenstufen hinan und riß die zu den kleinen für Schiffbrüchige bestimmten Rettungshäuschen führende Tür auf, – aber mit einem heiseren Aufschrei prallte er zurück. Das Blut schoß ihm in die frische Wunde, und das Tuch, das er um die Stirn trug, färbte sich dunkelrot. Fester drückte er den Verband auf die Wunde, denn gerade jetzt durfte er nicht schwach werden, gerade jetzt durfte der Lebenssaft nicht hinausströmen, seine letzte Kraft mit sich nehmend –, denn dort in der Ecke, das blasse Antlitz vom Scheine der Stearinkerze am Fenster matt beleuchtet, ruhte Claus to Babens Todfeind – Eibe Peyck.

Ein Schwindel faßte den Eintretenden: Er war es also gewesen, der das Licht an das Fenster gesetzt hatte, ohne, wie männiglich den Wasseranwohnern bekannt, die Schotten anzuschieben, und der so mittelbar Ursache des Untergangs von Claus' Ewer gewesen war! Überall ein und derselbe Feind, der ihn überall verfolgte, der ihm jedesmal, wenn das Glück seinen Weg kreuzen wollte, hindernd entgegentrat! Alles, was Claus in den letzten Jahren gelitten hatte, trat lebendig vor seine Seele und trieb ihm eine Blutwelle ins Gehirn, die all' sein Denken mit einem roten Schleier umhüllte. Er vergaß völlig, daß auch Eibe Peyck ein Elender sein mußte, der Schiffbruch gelitten hatte, denn Glückliche fanden sich auf dieser letzten Zufluchtsstätte vor Sturm und Wogendrang nicht zusammen, – er sah nur den Todfeind vor sich, der ihm auch das Letzte genommen hatte, was ihm noch Freude machte, – seinen stolzen Ewer. Seine Hand suchte in der Tasche nach dem Messer, – ein Stoß damit, kampflos war er hinüber und dann hinaus mit ihm ins Wattenmeer. Mochten Seeschwalben und Möwen ihm die Totenwacht halten. – –

Also frisch ans Werk! »Schön Anke, sag dem Liebsten für ewig Gute Nacht, schön Anke ...«

Fast laut hatte er es gerufen. »Anke!« Daß auch gerade in diesem Augenblick ihr Name ihm ins Gedächtnis kommen mußte – wie ein kühler Hauch wehte es ihm von hinten an, die schon mit dem Messer erhobene Faust sank unwillkürlich herab – und – –

»So is recht, Claus, lot dat nich sin'n letzten Sloap sien,« sagte eine rauhe Stimme hinter ihm, indem sich gleichzeitig eine feuchte Hand schwer und eindringlich auf den zum Todesstoß erhobenen Arm legte.

»Hinrich! du –« rang es sich von Claus' Lippen, und wie ein Verbrecher stand er mit schlotternden Knien vor dem so plötzlich Erschienenen.

»Jo, ick,« sagte der Bestmann und nahm dem willenlosen Schiffer das Messer aus der Hand, »un grod to'r rechten Tid!«

Nun trat bei Claus die Reaktion nach all dem Erlebten ein, und willenlos ließ er alles mit sich geschehen, was sein Bestmann tat; der packte ihn auf eine Bank, flößte ihm von dem stets auf der Scharhörn-Bake vorhandenen Portwein ein, wusch und verband die Wunde, schüttete etwas Stroh unter den Kopf seines Schiffers, – aber – er war noch nicht mit seinen Hantierungen fertig, da schlief Claus schon tief und fest.

»De wokt nich vor de Sünn op,« murmelte der Alte, schob die Schotten an die Fenster, löschte das Licht aus und blickte noch einmal zur Tür hinaus. »Et kloart op!«

Dann warf er sich auf eine Schütte Stroh zwischen den beiden Schläfern, und bald war er in dem Reich, wo es Haß und Neid nicht gibt.

*

Hell schien die Sonne am nächsten Morgen, als Hinrich Behrmann die Tür des Bakenhauses öffnete und Ausschau nach dem Wetter hielt. Von dem Ewer auf dem Riff war nur wenig noch zu sehen, und hoch gingen die Wogen darüber hinweg. Weiterhin nach Südwesten sah man ein zweites, etwa gleich großes Wrack, – Behrmanns geübtes Auge erkannte darin sofort Peycks »Emmeline«.

»So wrack wär'n de beeden dor binnen ook,« sagte er leise, »har mi de Watertünn von uns' Ewer nich an dat Stackwark brocht ...«

Er stieg die Stufen hinab, um zu sehen, ob die Tonne sich noch im Boote befand, in das er sie geworfen hatte, nachdem sie ihn nach der Bake gebracht hatte. Alles war in bester Ordnung; Behrmann zog das Boot vor die Treppe, damit es gleich bereit sei, wenn man mit der Fluttide nach Neuwerk rudern wollte.

Als Hinrich wieder in das Bakenhaus hinaufstieg, war Eibe Peyck bereits erwacht; ein lauter Fluch entrang sich seinen Lippen, als er to Babens Bestmann erkannte. Aber dann, sich eines bessern besinnend, fragte er:

»Und Claus?«

Hinrich Behrmann legte den Finger auf den Mund, schob die Halme der Strohschütte auf der Bank ein wenig auseinander und wies auf den Schlafenden. Dann nahm er den Staunenden bei der Hand, zog ihn an die Tür und zeigte nach Westen.

»Armer Kerl!« sagte Peyck. »Auch das noch!«

Und dann erzählte der Alte die Geschichte der Strandung, wie Claus durch das am Fenster des Bakenhauses verbotswidrig aufgestellte Licht sein Schiff habe auflaufen lassen, er verschwieg ihm aber, in welcher Situation er den Fischer und seinen Feind angetroffen hatte, sondern stellte die Sache so dar, als ob sie sich beide im Boote hierher gerettet hätten und er, Hinrich, den durch seine Kopfwunde Erschöpften hinaufgeschleppt und im Stroh gebettet habe.

»So bin ich denn an eurem Unglück schuldig?!« sagte Eibe Peyck am Ende.

»Ja!« erwiderte der Bestmann einfach.

Als Claus to Baben dann erwachte, trat Eibe an sein Lager heran, bot ihm die Hand und sprach:

»Claus, es tut mir leid – ich war so müde – und hab' das Licht brennen lassen –«

Weiter kam er nicht. Claus war aufgesprungen und fast rauh stieß er hervor:

»Loat man sien! Wie beeden sind quitt!«

Behrmann verstand, was er damit meinte.

Dann stiegen sie ins Boot und ruderten aufs sonnbeglänzte Meer hinaus – Neuwerk zu, wo ihnen Rettung winkte.


 << zurück weiter >>