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Ein alter Freund

Das Jahr lief zu Ende, welches dem Ritter von seinen Obern zur orientalischen Reise bestimmt worden war: noch befand er sich in den Gegenden von Niederägypten, wo tausend kleine Umstände seinen Aufenthalt verlängerten. Geschäfte mit dem Statthalter des Sultans von Ägypten hatten ihn lange zu Damiette aufgehalten; die Schiffe, welche zur Überfahrt nach Europa fertig lagen, wurden durch ungünstige Winde gefesselt; alles schien sich vereinigt zu haben, zu Stunden des langen Verweilens noch Stunden, zu Tagen noch Tage hinzu zu tun.

Die Gegenden um Damiette sind schön, lieblich ihre Orangenwälder, entzückend ihre Aussichten durch ewig grünende Gebüsche auf die Wasser des Nils, und die noch schönere spiegelhelle Fläche des Sees Menzaleh zahlreiche Inseln übersäen ihn, alle mit dichten Schatten von Zitronen- und Tamarindenwäldern bekrönt, alle von Wohlgerüchen duftend. Auf einer derselben hatte der Statthalter eine Villa, welche er dem Ritter, den er liebte, und mit dessen Verhandlungen er zufrieden war, zum Aufenthalte verstattete.

Conrad lebte hier wie ein kleiner orientalischer Fürst; nichts gebrach, ihn zu allen Wollüsten einzuladen, deren Genuss ihm das Kreuz, das er trug, versagte, und für welche sich in seinem Herzen wenig Neigung regte: Einsamkeit, Nachdenken, Erinnerung, Sehnsucht, Kummer über fehl geschlagene Erwartungen, schwache Hoffnung zu besserm Glücke, dies beschäftigte ihn hinlänglich, um ihm jeden andern gefährlichern Zeitvertreib entbehrlich zu machen; und da er diesen traurigen Genuss überall haben konnte, so betrauerte er die Gegenden von Damiette nicht sonderlich, die er nun, wie ihm eine Botschaft des Statthalters meldete, morgen verlassen konnte. Der Mann, der ihm dies berichtete, war einer von Ebn Aibecks Sklaven, welchen Conrad, ungeachtet seines langen Aufenthalts zu Damiette, noch nicht gesehen hatte; und wie war es auch möglich, die Herren von Dienern zu kennen, welche den Hofstaat eines Lieblings des Sultans von Ägypten ausmachen; Leute; die, ob sie gleich den Namen von Sklaven führten, doch nichts an sich hatten, das die Kette verriet, und die vielleicht mit den Dienern manches europäischen Königs nicht würden getauscht haben?

Der Abgeschickte des Statthalters war einer von denen, welche den Schimmer ihres Standes besonders sichtbar trugen: er war Ebn Aibecks Liebling, der Aufseher über seine weitläuftigen Besitzungen, der Joseph dieses neuen Potiphars. Conraden besonders zu ehren, hatte er eben ihn zum Abgeschickten gewählt, und er hatte vielleicht noch einige andere Ursachen, sich gern zu diesem Geschäfte wählen zu lassen.

Conrad empfing ihn, wie man ausgezeichnete Diener großer Herren empfängt; empfing ihn mit doppelter Aufmerksamkeit, weil er in seiner Person etwas fand, das dieselbe ganz fesselte.

Nach einer kurzen Unterhaltung über die Ursache seiner Ankunft fragte Conrad nach seinem Namen.

»Welchen verlangt ihr zu wissen«, fragte der Ägyptier, dessen Farbe bei den schönsten ausgebildetsten Zügen, die man bei einem bejahrten Manne finden kann, von seinem heißen Vaterlande zu zeugen schien; »welchen verlangt ihr zu wissen? meinen morgenländischen, oder den, welchen ich in meinem Vaterlande führte?«

»Welches ist euer Vaterlande?«

»Europa.«

»Ziemlich unbestimmt! Welcher Teil von Europa?«

»Beinahe der nämliche, wo ihr das Licht erblicktet.«

»Der nämliche? Kennt ihr mich?«

»Wenn ich euch nicht kennte, würde ich mich so gedrungen haben, Conraden von Feuchtwangen zu sehen?«

»O Gott!«, schrie Conrad; »sollte ich das Glück haben, in diesen Gegenden einen Bekannten zu treffen?«

»Will es der großmütige Feuchtwangen nicht viel lieber Unglück nennen, einen seiner Bekannten einen Sklaven zu sehen? Kehrt Euch nicht an den guten Anschein meines Loses; kehrt euch nicht daran, daß ich selbst euch gestehe, mein Herr ist mein Freund, Ketten lasten allemal, man wünscht sie abzuschütteln.«

»O«, rief der deutsche Ritter, »diese Fesseln sollen bald gebrochen werden, wenn Geld oder Vorspruch Euch lösen kann! Wo mein Vermögen nicht hinreicht, da stehe ich für die Verwendung meines Ordens. Wollt Ihr abwarten, was ich in Europa für Euch tun werde, oder glaubt Ihr daß der Statthalter meine Bürgschaft annehmen wird?«

»Davon hernach!« fiel Ebn Aibecks Diener ein; »wenn Ihr meinen Namen wüßtet, Ihr würdet mir zutrauen, daß das Verlangen, frei zu werden, nicht die Hauptursache meiner Überkunft ist. Meine Loskaufung hat Zeit; ich bin meinem Herrn noch auf zwei Jahre und ein halbes verbunden. Erst dann, wenn ich seine Besitzungen, die er meiner Aufsicht vertraute, ganz nach europäischer Art verschönert habe, erst dann ist mir es erlaubt, an die Freiheit zu denken, die mir vielleicht, ich hoffe es zu der Großmut des Statthalters wohl, unentgeltlich zu teil werden möchte.«

»Wenn es dieses nicht ist«, schrie Conrad voll Ungeduld über die Weitschweifigkeit des Alten, »was treibt Euch denn, mich aufzusuchen?«

»O daß Jahre meine Gesichtszüge so ganz geändert, oder mein Andenken so ganz aus eurer Seele verlöscht haben! O daß ihr in mir nicht den Einsiedler von Ödweiler erkennen, und aus meinem Namen euch mein Geschäft bei euch erklären könnt«

»Der Einsiedler?«, schrie Feuchtwangen; »der edle, von mir als tot beweinte Arnold von Winkelried? Unmöglich! wie könnte der, welcher in Billahs Armen verschied, noch leben? wie könnte der, den die Hand des hohen Alters bereits zur Erde gebeugt haben müsste, hier noch in der Stärke des fünfzigjährigen Mannes vor mir stehen?«

»Conrad!«, antwortete Arnold nach einer gedankenvollen Pause; »mein Leben ist voll der sonderbarsten Schicksale; wie ich jemals vom Tode errettet wurde, auf was Art sich meine gesunkenen Kräfte wieder verjüngten, dies bedürfte wohl einer eigenen, stundenlangen Erzählung: doch euch diese zu geben, kam ich nicht hieher. Mich zog die Begierde, euch Nachrichten zu erteilen, welche eurem Herzen wohl näher sind, als die Geschichte des vergessenen Winkelried.«

Die Augen des deutschen Ritters füllten sich mit Tränen. – »O«, rief er, »Hermanns Freund und Adelheids Retter! wär's möglich, daß ich von dem Einzigen, was mir auf dieser Welt teuer ist, von einem verlornen Bruder durch euch Nachricht erhalten, sie in dem Augenblicke erhalten könnte, da ich schon alles aufgegeben hatte?«

»Ihr erratet das Glück, das ich euch bringe. Nicht so bald erfuhr ich gestern bei meiner Rückkunft aus Oberägypten, wohin mich die Geschäfte meines Herrn getrieben hatten, daß hier ein Herr von Feuchtwangen sei, der nach einem verlornen Bruder frage; nicht so bald erfuhr ich all die Mühe, die sich Ebn Aibeck, euch zu Liebe, dieserhalb umsonst gegeben hat, als ich ihn, diesen guten Herrn, um Erlaubnis bat, euch Trost zu bringen, ehe Meere sich zwischen euch und den Einzigen legen, der ihn euch erteilen kann, ja, Conrad von Feuchtwangen, ich weiß alle Schicksale eures Bruders, weiß, wo er gegenwärtig lebt, weiß die Mittel, ihn wieder in eure Arme zu bringen; aber ich verzage, daß ihr im Stande sein werdet, sie zu brauchen. Hermann ist weit von hier; ihn aufzusuchen; würde eine zweite Reise nötig machen; die euch bestimmte Zeit ist verlaufen, und ich kenne die strengen Gesetze eures Ordens.«

Wer jemals erfuhr, wie demjenigen zu Mute ist, der nach fruchtloser Mühe mehrerer Monate endlich alle Hoffnung verlor, jemals den Zweck seines Bestrebens zu erreichen; wie demjenigen zu Mute ist, der es sieht, daß nur ein Schritt zwischen ihm und der gänzlichen Vernichtung derselben lag, und dem in dem Augenblicke, da er es am wenigsten meinte, noch Hoffnung zu besserm Geschicke aufgeht, der denke sich Feuchtwangens Zustand, und schildre es besser, als ich es können würde, was er tat und sagte, gegen Arnolden Freude, Dank, Verwunderung, Ungeduld, und tausend namenlose Gefühle zu äußern, die in diesem Augenblicke sein Herz überströmten.

Das Ende von Arnolds Rede, welche wohl im Stande gewesen wäre, seine Freude zu mäßigen, ward gar nicht von ihm beachtet. Er wusste, Hermann lebte, lebte an einem bestimmten Orte, wo er nicht, wie bisher, ihn vergebens zu suchen fürchten musste, lebte seines Namens und seiner Verwandtschaft nicht unwert; dies war ihm genug! Zeit, Mühe, Versäumnis und Verantwortung, welche er bei Aufsuchung des geliebten Bruders nicht achten durfte, kamen gar nicht in Anschlag; er überflog in dem ersten Entzücken, mit dem Feuer eines fünfzehnjährigen Jünglings, in wenig Augenblicken die ganze Weite, die ihn und den Geliebten trennte, und sah ihn schon in seinen Armen.

Seine Ungeduld zu mäßigen, gab ihm Arnold die Geschichte von den Schicksalen des Verlornen, die wir unsern Lesern, so wie sie Conrad von ihm erhielt, mitzuteilen verbunden sind.

Conrads und Arnolds Abreise durfte nicht verzögert werden: der letzte trieb zur Abfahrt, und der erste glaubte mit jedem Schritte, der ihn von seinem gegenwärtigen Aufenthalte entfernte, dem Ziele seiner Wünsche näher gebracht zu werden.

Sie schifften auf den grünlichen Fluten des Menzaleh zwischen seinen blumigen Inseln hindurch: der Einsiedler von Ödweiler erzählte, und Conrad schenkte dem, was er von ihm erfuhr, einen Grad von entzückter Aufmerksamkeit, den wir freilich von unsern Lesern nicht hoffen dürfen.


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