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Dreizehntes Kapitel

Der Lyngenmarkt

An der Lyngenkirche wurde zwei Tage darauf der große Herbstmarkt abgehalten. Von allen Sunden, Fjorden und Inseln kamen Quäner, Kolonisten und Fischer, um ihre Wintereinkäufe bei den Kaufleuten, noch mehr aber bei den Lappen zu machen, die mit ganzen Herden fetter Renntiere, mit Pelzwerk, Häuten, Komagern, Taschen und Gürteln von ihren Bergen herunterstiegen. Der Herbstmarkt war für alle diese Menschen von entscheidender Wichtigkeit. All ihr Sinnen und Trachten ging darauf hin, zu sammeln und zu sparen, um auf dem Lyngenmarkt kaufen und verkaufen zu können.

Allein dieser Hauptmarkt war nicht nur dem Handel geweiht, sondern auch zugleich der allgemeine Gerichts- und Steuertag, wo alte Streite geschlichtet, Bußen auferlegt, Urteile gefällt und die Kopfsteuer erhoben wurde. Der Vogt von Tromsö hatte seinen Thron mitten auf dem Platz aufgeschlagen und kam mit seinen Gerichtsdienern und Amtsboten. Der geschworene Schreiber, sein Neffe, sprach Recht im Namen des Königs und hatte das große Gesetzbuch neben sich samt Akten, Papieren und anderem schrecklichen Rechtswerkzeug, das Erstaunen und Ehrfurcht erregte.

Der Markt hatte diesmal ein eigentümliches Ansehen. Lappen waren genug gekommen, doch wenige Frauen und Kinder, und lange in dem Maße nicht wie sonst hatten sie Renntiere und andere Waren mitgebracht. Mit ihren langen Stäben, zuweilen auch die kurze Büchse keck auf der Schulter, sah man sie auf- und abziehen, in Haufen beisammen stehen und neugierig umherschauen, als erwarteten sie etwas Besonderes. Die Kaufleute hatten Zelte vor ihren Kirchenhäuschen aufgeschlagen und den ganzen Reichtum ihrer Waren verlockend zur Schau gestellt, allein es wurde wenig gehandelt. Das Meer lag voll Jachten und großer Boote, und die Unzufriedenheit wurde, je länger es dauerte, desto allgemeiner. Niemand wußte recht, was die wahre Ursache dieses schlechten Marktes sei.

Viele schoben es auf das Wetter, denn in der Nacht hatte ein fürchterlicher Sturm getobt, der Helgestads Zelt umgeworfen hatte. Schwere Wolken trieben noch jetzt über den Himmel und schickten dann und wann einen dichten Regenschauer herunter.

In Helgestads Häuschen war eine zahlreiche Gesellschaft um Ilda beisammen, und trotz allen Ungemachs ging es dort lustig genug her.

»Es ist eine Schande!« rief einer der Kaufleute, der eben hereintrat, »ein solcher Tag ist noch nicht dagewesen, wo man kein Schreien, kein Lachen, keine Lustigkeit hört und sieht, und bald ist es Mittag. Im vorigen Jahre kaufte mancher von den armen Inselleuten ein fettes Tier für einen Species, einen Pelz für die Hälfte und ein paar prächtige Komager für einen tüchtigen Schluck. Heute stehen die Kerle da und verschlingen unsere Waren mit ihren Augen, mögen aber ihre eigenen Artikel nur für bares Geld und hohen Preis hergeben.«

Jetzt trat auch Helgestad herein, aber er hatte mehr Hohn in seinem Gesicht als Ärger. »Müssen Geduld haben mit ihnen«, lachte er höhnisch, »werden zum Einsehen kommen, ehe es Abend wird. Geht jetzt hinaus, ihr Mädchen«, fuhr er fort, indem er sich zu der Gesellschaft wandte. »Helft den Markt lebendig machen und begleitet Ilda, die Paul Petersen erwartet. Will ihr ein Hochzeitsgeschenk kaufen, das beste, was er finden kann. Helft suchen, wo das schönste Mäntelchen von Federn zu haben ist.« Die Mädchen gehorchten gern und liefen hinaus, nach dem prächtigsten Federschmuck zu suchen.

Helgestad ging vor der Tür ein paar Mal auf und ab, seine Ungeduld bekämpfend, bis Paul Petersen herzutrat, der lustig lachte und nach Ilda fragte.

»Sie ist eben gegangen, dich aufzusuchen«, sagte Helgestad.

»Wart einen Augenblick, Paul. Bin doch in Sorgen um die Dinge, die kommen sollen. Wollte, Gustav wäre hier, wollte, hätten den Hexenmeister erst beim Schopf.«

»Seid doch ohne Sorge«, erwiderte der Schreiber. »Weshalb zaudern die Lappen und stecken die Köpfe zusammen? Sie warten auf ihren Herrn und Meister und denken, daß der Tanz dann losgehen soll.«

»Habt das Lappenmädchen also an den Maursund geschafft?«

»Sie ist sicher aufgehoben.«

»Waren wilde Nächte«, murmelte der Alte. »Wird kein Unglück geschehen sein?«

»Wo soll Unglück herkommen? Alle Vorsichtsmaßregeln sind getroffen. Überlaßt alles mir.«

Nach diesen Trostesworten begab sich der Schreiber auf den Markt zurück, der etwas an Lebendigkeit zugenommen hatte. Die Lappen schienen nicht zu wissen, wie sie sich das Ausbleiben Mortunos und Afrajas erklären sollten, und verloren nach und nach den Glauben, daß jene noch kommen würden.

Es entwickelte sich daher an vielen Orten Geschrei und Gelächter bei vollen Gläsern und Flaschen, nur ein kleiner Trupp junger Männer hielt sich noch lauernd beisammen, und diese trugen fast alle Gewehre und scharfe Messer an der Seite.

Als die Mädchen auf den Platz traten, war der Handel schon im Gange, und mitten in der Beschäftigung, unter den vorhandenen Herrlichkeiten zu wählen, traf Petersen, der heute in seiner Amtstracht war, mit Ilda und ihren Freundinnen zusammen. Man handelte eben um ein schönes Federmäntelchen, denn der junge Lappe, der es feilbot, forderte einen ziemlich hohen Preis. Paul betrachtete den Kragen, legte ihn um Ildas Schultern und sagte dann:

»Das Ding gefällt mir nicht. Ist keine geschicktere Hand in Euren Gammen, die eine prächtigere Arbeit liefern kann?«

Ehe jedoch der Verkäufer antworten konnte, ließ der Schreiber den Kragen fallen und blickte nach der nahen Kirche hin, denn von dorther kam ein Geschrei und ein seltsamer Zug. Ein Haufen Menschen – Lappen, die eine Art Bahre trugen. Paul sah weniger darauf als auf die Männer, die an der Spitze des Zuges gingen, und eine wilde Freude blitzte in seinen Augen auf, als er Afraja und Henrik Sture erkannte. Er stieß zurück, wer ihm im Weg stand, und eilte nach dem Gerichtsplatz.

Die Ankunft des gefährlichen Lappen ging bald von Mund zu Mund, und alles Volk drängte nach der Amtshalle, alle Blicke richteten sich auf den hinfälligen Greis, der von dem dänischen Junker gestützt wurde.

Als Afraja auf den Stufen stand, nahm er seine Mütze ab und hob seinen grauen Kopf zu dem Sitz auf, wo der Vogt saß. Seine trüben Augen erhielten einen plötzlichen Glanz, als er den Schreiber erblickte, und indem er seinen Arm ausstreckte, rief er mit schriller Stimme: »Wo hast du mein Kind, meine Gula? Gib sie heraus. Wohin hast du sie gebracht?«

»Was soll das?« fragte der Vogt, der sein hartes Gesicht grimmig faltete. – »Klagst du? Gut, wir haben auch zu klagen. Kommst du zum Gericht? Das Gericht erwartet dich.«

»Ich klage, Herr, ja, ich klage«, sagte der alte Mann, ohne eingeschüchtert zu sein. »Mein Kind ist mir geraubt, Räuber sind in meine Gamme eingebrochen, und nicht genug damit, Mortuno ...«

Paul Petersen sprang von seinem Sitze auf und schrie mit aller Kraft seiner Stimme: »Halt! Ein Schelm und Verräter wie du verdient weder Glauben, noch daß man ihn anhöre. Ehe du anklagst, vernimm, wie du angeklagt wirst. Seit langer Zeit bist du es, der die Lappen gegen den Frieden dieses Landes aufhetzt. Durch Drohungen bestimmst du deine Landsleute, den Götzendienst fortzusetzen, und hinderst die frommen Bestrebungen zur Verbreitung des christlichen Glaubens. Damit nicht genug, stehst du auch mit dem Teufel in Verbindung als ein Hexenmeister und Zauberer. – Ich klage dich aller dieser schändlichen Verbrechen an und will sie dir beweisen. Ich, der Richter von Tromsö, lege Hand an dich und verhafte dich im Namen des Gesetzes. Nehmt ihn fest und führt ihn fort!«

Ehe jedoch dieser Befehl von der Schar der Amtsboten ausgeführt werden konnte, ertönte die starke und gebietende Stimme des dänischen Junkers.

»Ich protestiere gegen solche Gewalttat!« rief er aus. »Wenn dieser Greis keinen Glauben verdient, so will ich Zeugnis für ihn ablegen. Seht hierher!« fuhr er fort. »Hier liegt das Opfer, und dort sitzt sein Mörder!« – Er tat einen raschen Schritt bis an die Bahre, riß die Hülle ab, und alle Hände sanken nieder. Die Leiche Mortunos mit der Todeswunde an der Stirn lag vor ihnen.

»Vogt von Tromsö«, sagte Henrik inmitten der lautlosen Stille, »ich fordere im Namen des höchsten Richters und im Namen des Königs Gerechtigkeit von Ihnen. Sie sind die erste Magistratsperson in diesem Land, Sie müssen jeden Verbrecher verfolgen, und wenn es Ihr eigener Neffe wäre!«

Der Vogt saß starr auf seinem Sitz, doch bevor ihm sein wütender Zorn zu sprechen erlaubte, war Paul emporgesprungen.

»Das ist eine falsche, verabscheuungswürdige Beschuldigung«, sagte Paul, der seine volle Ruhe wiedererlangt hatte. »Ich hätte nicht nötig, darauf zu antworten, aber ich will es tun, damit meine Mitbürger und Freunde nichts Übles von mir denken. Sie klagen mich an, Henrik Sture, bringen Sie Ihre Beweise vor, damit jeder diese höre.«

»Vor zwei Tagen«, begann der Kläger, »erschienen früh am Morgen in der Nähe der Kilgisjaur drei Männer, die sich den Zelten Afrajas näherten und endlich bei ihm eintraten. Es war der Sorenskriver Paul Petersen, Olaf Veigand von Bodö und Gustav Helgestad. Sie gaben vor, auf einer Jagdpartie gewesen zu sein, wurden freundlich empfangen, bewirtet und verließen nach einer Stunde die Gammen wieder. In der Nacht aber kehrten sie zurück, ohne Zweifel von einem Vierten begleitet, denn man hat die Spuren von verschiedenen Fußpaaren gefunden, und ein zerbrochenes Messer trägt den Namen Egede im Heft.

Diese vier Männer, begleitet von einem Hund, drangen in das kleine versteckte Tal, das am Fuß des Kilgis liegt. Dort schlief in einer Hütte die Tochter Afrajas, die Gula heißt und vielen bekannt ist. Sie überfielen das Mädchen, banden es, wie zerrissene Bänder dies beweisen, verwüsteten die Hütte, zerstörten Eigentum und schleppten die Gefangene fort. Nach einigen Stunden wurden sie verfolgt und eingeholt. Mortuno, der Neffe dieses Greises, scheint zuerst entdeckt zu haben, was geschah. Er wollte die Geraubte befreien, aber eine Kugel streckte ihn nieder, und hat Paul Petersen diese wirklich nicht selbst abgeschossen, so hat es einer seiner Genossen getan. Hier aber ist ein halb verbranntes Papier, der Pfropf eines Gewehrs, aus dem der Schuß gefallen ist, und dies Papier ist das Stück eines Briefes, den Petersen geschrieben hat. Es ist seine Handschrift, mag er es leugnen, wenn er kann.«

»Ich leugne es gar nicht«, sagte Paul verächtlich, als ihm das Stück gereicht wurde, »aber ich leugne bei meiner Ehre, bei meinem Gewissen, daß dieser Lappe von meiner Hand gefallen ist. Ehe ich mich verteidige, will ich zuvörderst einige Fragen an diesen Ankläger richten. – Sie wissen so genau den Hergang zu erzählen. Waren Sie in der Nähe oder waren Sie zugegen, als man den Toten fand?«

Sture schwieg.

»Es ist nicht möglich, daß Afraja an den Balsfjord geschickt hat, um Sie aufzusuchen. Die Zeit war zu kurz dazu, auch weiß man, daß Sie seit mehreren Tagen schon Ihren Gaard verlassen haben, angeblich, um an den Malangerfjord zu reiten. Dort sind Sie nicht gewesen. Sie waren somit am Kilgis bei diesen Lappen, mit denen Sie seit langer Zeit genauen Umgang haben, wie dies nie sonst ein Nordmann tut.«

»Ich habe Ihnen über meinen Umgang keine Rechenschaft abzulegen«, sagte Sture unter dem mißfälligen Gemurmel der Umstehenden.

»Für den Augenblick nein, in der Folge aber gewiß«, rief Paul, »jetzt genügt es zu wissen, daß Sie in den Gammen dieses alten Missetäters steckten. – Ich bekenne freimütig, daß Sie die Wahrheit sagten, daß ich mit meinen Freunden Gustav und Olaf an dem Kilgis war, und ich will vor allen Ohren hinzufügen, was uns dazu antrieb. Dieser Tote war ein Bösewicht der schlimmsten Art. Er war der nahe Verwandte Afrajas und sein Vertrauter bei allen Plänen gegen die Sicherheit dieses Landes. Ich, der ich des Königs Diener bin, mußte auf ein Mittel sinnen, diesen Verrätern beizukommen, und verband mich dazu mit meinen Freunden. Wir kamen an den Kilgis und trafen dort Afraja, den ich durch Schmeichelworte versuchte, worauf er uns ein Götzenbild verkaufte, das uns guten Wind auf dem Meer sichern sollte.

Wir entfernten uns und lagen versteckt in einer Schlucht, wonach wir abends zurückkehrten, das Mädchen fanden und mit uns nahmen. Nichts Übles ist ihr geschehen. Unsere Absicht war allein, diesen alten, schlauen Missetäter von seinen Alpen herunterzulocken, um ihn greifen und strafen zu können. Was aber diesen Toten anbelangt, so weiß ich nicht, wie er sein Ende gefunden hat. Ich trennte mich von meinen Freunden, die das Mädchen an den Quänarnerfjord brachten, um sie dann, wenn ihr Vater in unserer Gewalt sei, an Niels Helgestad, ihren rechtmäßigen Herrn, zurückzuliefern.«

»Du lügst!« sprach Afraja, »und du weißt es. Mein Kind hat keinen Herrn, ich habe es niemals verkauft!«

»Nuh!« antwortete Helgestad vortretend: »Bin auch hier, Afraja, und kann sagen, daß du ein Lügner bist. Habe dein Kind gekauft, kostete Tabak und Branntwein, mehr als es wert ist. Ist alles richtig, was Paul Petersen sagt. Kennt mich alle, wird mein Wort Glauben haben.«

In diesem Augenblicke durchbrach ein Mann den Kreis, vor dessen wilden und entsetzten Mienen der ganze Haufe zurückwich.

»Da kommt Egede! Ein neuer Zeuge!« rief der Schreiber. »Wo ist Gustav! Wo ist das Lappenmädchen?«

Der wilde Quäner faßte nach seinem Haar und krallte es zusammen. Aus der Tiefe seiner Kehle kam ein Stöhnen hervor, als versage ihm die Zunge den Dienst.

Der Vogt sprang von seinem Sitz und streckte seine Arme aus. »Bist du von Sinnen gekommen?« rief er. »Reden sollst du. Heiliger Gott! Was ist geschehen? – Halt, Niels Helgestad! Halt! Laßt ihn los!«

Helgestad hatte sich seinem Diener genähert und ihn mit solcher Gewalt an der Schulter gepackt, daß Egede auf sein Knie fiel. Zu ihm niedergebeugt stierte Niels ihn an, als wollte er bis in sein tiefstes Herz sehen, und was er sah, schien Grauen über ihn zu bringen. Der eiserne, unerschütterliche Mann zitterte. Und neben ihm stand Ilda, bleich, doch ihren Jammer bezwingend.

Ringsum herrschte das tiefste Schweigen. In atemloser Spannung richteten sich alle Blicke auf den Boten des Unheils. Was er brachte, wußte noch niemand, allein, was konnte das sein, um das ein Mensch wie Egede Wingeborg sein Haar zerraufte und seine Brust zerschlug? –

Endlich richtete sich Helgestad auf und stemmte sich fest, als wolle er dadurch sein Entsetzen bemeistern. »Bin ein Mann«, sprach er eintönig, »der ertragen kann, was ertragen werden muß. Sage an, Egede, was es ist; weiß es beinahe, was kommen muß. – Wo ist mein Sohn?«

Egede ließ den Kopf bis auf die Brust niedersinken, und indem er die Hände krampfhaft verschränkte, sagte er leise: »Tot, Herr!«

Kein Laut wurde gehört. Helgestad stand, die Fäuste geballt, ein grimmiges Lächeln um seine Lippen, seine Augen weit offen, ohne zu zucken. »War ein starkes Leben«, murmelte er vor sich hin. »Und Olaf, wo ist Olaf?« »Alle hin, Herr; alle tot!« heulte Egede.

Helgestad bewegte langsam den Kopf, dann sah er aufwärts in die stummen Wolken, und ein langes schmerzvolles »oh!« rang sich aus seiner Brust. – Seine Blicke irrten über die Gesichter, die um ihn waren. Viele Augen weinten, und in die wildesten Gemüter kam Rührung. »Ihr habt eine Tochter, Niels!« sprach der Vogt.

Helgestad legte seine Hand auf Ilda, die zu ihm aufsah, und es war ein Trost, der aus ihrem starken und ergebenen Herzen in ihn drang. Dann wandte er sich zu Egede. »Erzähle«, sagte er gewaltsam ruhig, »wie ist der Tod an Männer gekommen, die ihm besser trotzen konnten als viele?«

»Du weißt es, Herr«, antwortete der Quäner, »daß wir die Hexe vom Kilgis geholt hatten und nach Loppen bringen wollten.«

»Weiß es«, fiel Niels ein. »Wer hat sie frei gemacht? Wer Gustav erschlagen? Der alte Teufel da hat die Mörder ausgeschickt!«

Er deutete auf Afraja, und Egede sah sich um, erblickte den Lappen und verzerrte sein Gesicht in Wut und Lust. »Habt Ihr ihn, habt ihn?« schrie er, »schickt ihn dahin, wo sie liegen, blaß und kalt, auf dem Meeresgrund!«

»Die wütende See also hat's getan«, murmelte Helgestad, »keines Menschen Hand.«

»Keines Menschen Hand«, antwortete Egede, »konnte keine uns beistehen. Am Quänarner nahmen wir ein Boot. Ich sah die Nebelkappen um die Jökulnfjelden und die langen Schaumstreifen, die sich von Arenöen hereinwarfen, warnte, war aber vergebens. Im Kaagsund faßte uns das Wetter. Wirbelwind nahm unser Boot von den Wellen ab, drehte es um wie einen Halm, hob uns auf und stürzte uns nieder. Schlug Olaf mit dem Kopf an die Klippenwand, hin war er, kam nicht wieder herauf. Ich lag auf dem halb durchbrochenen Boot und hielt es in Todesangst umklammert; sah deinen Sohn, Herr, wie er auftauchte mitten im Gischt, und wie das Mädchen in seinen Armen hing, wollte ihn retten, faßte in sein langes Haar. ›Laßt sie los‹, schrie ich, ›laßt die Hexe los!‹ Er mochte sie nicht lassen. Dreimal rief ich ihm zu, da kam ein wütender Stoß und eine hohe Welle, ich konnte nicht länger halten. – ›Laßt sie los!‹ schrie ich noch einmal. – ›Gott sei mir Sünder gnädig!‹ sprach er, und das waren seine letzten Worte.

Du Schelm! Du Räuber!« fuhr Egede fort, seinen Arm gegen den greisen Hirten schüttelnd, »hast dem Herrn Olaf ein Zaubermittel verkauft, sollte feines Wetter bringen, hast aber deine Höllengeister damit beschworen, daß sie über uns kommen mußten.«

Helgestad blickte Afraja an, der ja auch sein Kind verloren hatte. Der Lappe aber stand aufgerichtet da ohne Furcht, ohne Gram. Ein wildes Entzücken war in seinem haßerfüllten Gesicht und boshafter Triumph in seinen funkelnden Augen.

»Verfluchter Hexenmeister, du hast ihn ins Meer gelockt!« schrie Helgestad, und seine gewaltige Hand aufhebend, sprang er auf seinen Feind. Aber er strauchelte, ehe er ihn erreichte, taumelte zur Seite und fiel in die Arme derer, die zu seiner Unterstützung herbeisprangen.

Wildes Geschrei und verworrene Stimmen erhoben sich jetzt. Um Afraja und Sture sammelte sich eine rachedurstige Schar, die nur durch die strengen Worte des Vogtes von einer augenblicklichen blutigen Vergeltung abgehalten wurde.

»Und jetzt«, sagte Paul, als die erste Verwirrung vorüber war, »jetzt, Herr Sture, wende ich mich zu Ihnen. Ich verhafte Sie als einen Hochverräter, denn Sie haben diesem Lappen bedeutende Quantitäten Pulver und Blei verkauft, und gemeinschaftliche Sache mit ihm gemacht.«

»Ich hoffe«, sagte Sture, indem er ruhig umherblickte, »daß niemand diesen Unsinn glaubt.«

Aber seine Augen trafen auf finstere Gesichter, drohende Worte erreichten sein Ohr. »Recht, Sorenskriver!« tobten viele Stimmen durcheinander. »Fort mit dem Dänen. Schlagt ihn nieder, den Verräter!«

»Wollen Sie gehorchen?« fragte Paul.

»Hier bin ich, ein einzelner Mann, der keine Macht hat«, sagte Henrik, »tun Sie, was Sie verantworten können.«

Eine ganze Schar von jungen bewaffneten Leuten warf sich jetzt auf die Angeschuldigten, indem der kleinere Teil Afraja niederriß und band, und mit dem Junker gemeinschaftlich nach dem Ufer fortführte. Der größte Teil aber stürzte sich in den Haufen der Lappen und ergriff alle diejenigen, die Waffen trugen. Das arme Volk stäubte in wilder Flucht auseinander, und die Quäner und Fischer fielen über die zurückgelassenen Vorräte her, die sie lachend verteilten, worauf man unter Verwünschungen Mortunos Leichnam aufhob und von einem steilen Klippenrand ins Meer stürzte.

»Das ist wahrlich das beste, was geschehen konnte«, sagte Paul für sich, laut jedoch tadelte er die übereilte Handlung und befahl, daß jeder sich ruhig halten solle.

Dann ließ der Vogt die Kirchentür öffnen und trat mit seinen Begleitern in die Vorhalle. Einige dreißig Gefangene waren dort verwahrt, von denen die meisten auf ihren Knien lagen und um Gnade heulten, als sie die strengen, finstern Gesichter sahen.

Afraja saß an der Mauer. Seine Füße waren ihm gebunden, die Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt. Der Vogt blickte ihn an und schüttelte den Arm gegen ihn.

»Du alter Bösewicht sollst diesmal der Gerechtigkeit nicht entgehen«, sagte er. »Seit vielen Jahren hast du dein Hexen- und Zauberwesen getrieben, endlich haben wir dich. Alles Unheil auf deinen Kopf! Du sollst keinen Schaden mehr anrichten, nicht mehr schmähen und spotten und an Aufruhr und Verbrechen denken. – Was euch aber betrifft«, fuhr er fort, »so will ich euch schonen, wenn ihr die Wahrheit bekennt. Die Wahrheit will ich aus euren spitzbübischen Köpfen herausbringen, dessen seid gewiß. Denkt darüber nach, bis ihr in Tromsö seid. Dahin müßt ihr, sollt dort Zeugnis ablegen. Vorwärts mit euch! Und wer einen Laut tut, wer einen Versuch zum Entwischen macht, der soll es büßen. Nehmt den alten Bösewicht auf und schleppt ihn fort.«

Vom Entwischen war keine Rede. Die Hände waren ihnen allen gebunden. Einigen wurde diese jetzt gelöst, um Afraja auf den Kutter des Vogts zu tragen, der eben seine Segel fertig machte. Der greise Mann sprach kein Wort, kein Zug in seinem Gesicht drückte Unruhe oder Schmerzen aus, obwohl er unmenschlich behandelt und mit grausamer Gewalt zusammengeschnürt war.

Vogt Paulsen ging nun in die Haupthalle, wo Sture auf einem Stuhl saß. Man hatte ihn von den Lappen abgesondert, und an der Tür stand ein Bewaffneter, der verhindern sollte, daß er mit Afraja spräche. – Schwermütig nachsinnend hatte er Zeit gehabt, sein Schicksal zu bedenken, doch was ihn selbst betraf, hielt er für weit geringer, als was er um sich her geschehen sah.

Der jähe Tod Gustavs, Olafs und der armen Gula hatte ihn aufs Äußerste erschüttert. Er dachte an Ilda, an Helgestads Leid und an den unglücklichen Greis, der in die Hände erbarmungsloser Feinde gefallen war. Was sollte aus ihm werden? Was hatten sie mit ihm vor? – Auf mehr als hundert Meilen gab es keine Macht, die ihrer Grausamkeit Einhalt tun konnte. Er fürchtete nicht das Ärgste, aber doch Arges und Schreckliches genug, und was konnte er dagegen ausrichten? Sein einziger Freund, der einzige Schützer des unglücklichen Afraja, war Klaus Hornemann. Wo war dieser jetzt? Warum war er nicht hier? – War er krank, war er tot? Wer wußte es! Doch daß er kommen würde, wenn er lebte, war gewiß, und dieser Gedanke blieb die einzige Hoffnung, die ihren tröstenden Strahl in sein wirres, verdüstertes Denken schickte.

Als der Vogt mit seinen Begleitern hereintrat, wandte sich Sture vor dessen rotem, lasterhaften Gesicht unwillig fort.

»Stehen Sie auf, Herr«, sagte Paulsen mit voller Amtsstrenge.

»Mit welchem Recht bin ich mißhandelt und gefangen worden?« fragte er dagegen:

»Das werden Sie in Tromsö erfahren«, entgegnete der Vogt, »wo Ihr Prozeß betrieben werden soll.«

»Ich verlange mein Verbrechen zu wissen.«

»Sie haben es gehört, Sie sind des Hochverrats angeklagt.«

»Wenn das ist«, rief der Gefangene, »wenn man wirklich so toll ist, mich so schwer zu beschuldigen, so kann niemand hier mein Richter sein. Ich bin ein Edelmann des Reichs und gehöre vor das Reichsgericht. Ich bin Offizier, und schon als solcher muß der Spruch dem Gouverneur von Norwegen verbleiben.«

»Sie irren in allem«, antwortete der Vogt. »Sie leben und sind ansässig in den Finmarken, die ihren eigenen höchsten Gerichtshof über Leben und Tod haben. Davon ist niemand ausgenommen, auch kein Edelmann. Das Gericht in Tromsö ergänzt sich in besonders schweren Fällen durch sechs Beisitzer aus den achtbarsten Männern im Lande, und gegen seinen Spruch ist keine Berufung zulässig.«

Die Bestürzung in Stures Gesicht rief ein triumphierendes Grinsen des Vogts hervor. – »Ich habe Befehl gegeben, Sie nach Tromsö zu bringen«, fuhr er fort. »Sie waren Edelmann und Offizier, auch ich habe den Degen getragen. Ich will Sie nach Ihrem ehemaligen Stand behandeln, wenn Sie mir Ihr Wort geben wollen, sich geduldig zu fügen und keinen Fluchtversuch zu machen.«

»Und wenn ich das nicht tue?«

»Dann muß ich alle Mittel ergreifen, Ihr Entkommen zu hindern. Alle Ihre Mitschuldigen liegen gebunden im Schiffsraum.«

»Bei Gott!« schrie der Junker auf, indem er die Faust ballte, aber er ließ seinen Arm schnell sinken und sagte gelassen: »Ich werde mich geduldig in alles fügen, was Sie bestimmen, glauben Sie aber nicht, daß, was Sie tun, ohne Richter und Rächer bleibt.«

»Schweigen Sie!« sagte der Vogt, »das sind unnütze Worte. Ihnen wird nichts geschehen, was Sie nicht verdienen. Wir haben einen Gerichtshof und haben Gesetze. Was diese nach Gewissen und Buchstaben über Sie verhängen, müssen Sie tragen. Niemand, und wäre es der König selbst, kann darüber mit uns rechten.«

In seiner Erklärung lag eine fürchterliche Wahrheit, deren Bedeutung Sture vollkommen erkannte. Nicht durch einen Willkürstreich, sondern durch ein legales Rechtsverfahren sollte er vernichtet werden, und sobald es gelang, nur einige Beweisgründe gegen ihn zu sammeln, war er verloren.

»Folgen Sie mir«, sagte der Vogt. – Er ging voran, zu beiden Seiten des Gefangenen stellten sich Bewaffnete. Paul Petersen sah ihn vorübergehen und bestrebte sich, ein ernstes betrübtes Gesicht zu machen, das Sture mit einem Blick der Verachtung lohnte.

»Wie geht es Helgestad?« fragte der Vogt.

»Er liegt von Sinnen«, antwortete Paulsen, »Sie haben schweres Unglück über ihn gebracht.«

»Nicht ich! – Oh, nicht ich! Andere haben dies getan, die es verantworten müssen.«

Der Vogt erwiderte nichts darauf, denn auf dem Platz wurde der Zug von Geschrei, Flüchen und Verwünschungen empfangen. Die bewaffneten Amtsdiener des Schreibers drängten sich mit den finstersten feindlichsten Gesichtern um den Gefangenen, ihn vor denen zu schützen, die den falschen Dänen aus ihren Reihen reißen und Rache an ihm nehmen wollten. Die wilde Masse halbtrunkener, roher Menschen, denen Afraja und seine Leidensgenossen entgangen waren, hatte sich zu einem Grad von Wut erhitzt, daß Sture den Augenblick kommen sah, wo ein Messer oder ein wohlgezielter Stein ihn erreichen und niederstrecken würde. Er zitterte nicht vor einem solchem Ende, ruhig blickte er in den tobenden Haufen, aber eine Entmutigung kam doch über ihn. Da war mehr als einer, dem er Gutes getan hatte. Er sah sich mit Schimpf und Schande überschüttet, und keine Stimme erhob sich für ihn, keine Hand regte sich. Ja, es kam ihm vor, als hätten manche der Gaardherrn und Kaufleute nicht übel Lust, ihn den wütenden Quänern und Inselleuten preiszugeben.

Plötzlich aber stand Paul Petersen vor ihm, denn der Vogt kam mit seiner heiseren Stimme nicht mehr durch, und offenbar wurde sein Ansehen mißachtet. Petersen legte seine Hand auf die Schulter des Gefangenen, seine Rechte hob er hoch auf und rief mit voller Gewalt: »Gehorcht und laßt ab, oder es soll euch gereuen! Dieser Mann ist dem Gesetz verfallen, das Gesetz wird über ihn richten. Seiner Strafe soll er nicht entgehen. Auf offenem Gerichtstag in Tromsö soll er von seinen Richtern sein Urteil empfangen. Ihr aber packt euch fort, wenn ihr nicht festgenommen und hart bestraft sein wollt.«

Diese Worte wirkten mehr als alles, was der Vogt getan hatte. Sie fürchteten den Schreiber, denn sie kannten ihn. Die Fäuste mit den Messern fielen nieder, es bildete sich ein offener Raum, und Paul sagte mit dem Ausdruck der Teilnahme: »Das Leben habe ich Ihnen diesmal gerettet, möge Gott mir helfen, Herr Sture, daß ich als Richter Sie freisprechen kann.«

Er winkte seinen Gefährten, die den Junker rasch die Stufen hinunter und in die Jolle des Regierungskutters brachten. Dieser hob dann sogleich seine Segel und lief rasch durch die Wellen.

Eine Stunde später wurde Helgestad denselben Weg hinab in sein großes Boot getragen, aufweiche Kissen gelegt und nach Örenäes gebracht. Er war wieder bei Besinnung, aber er konnte nicht sprechen.

»Das ist ein trauriger Markt«, seufzte Paul, indem er Ildas Hand drückte. »Sorge für deinen Vater! Sobald ich hier fort kann, komme ich nach.«

»Gottes Wille wird geschehen!« antwortete die Jungfrau gefaßt. – –

Eine Woche war vergangen und in Tromsö alles zum Abhalten des Gerichtes eingeleitet. Die Prozedur wurde eilig betrieben, große Vorbereitungen und Weitläufigkeiten waren nicht nötig. Die Missetäter, auf welche es abgesehen war, befanden sich im festen Gewahrsam, Zeugen genug waren vorhanden, die sechs Gerichtsbeisitzer ließen sich schnell finden, und die Stimmung der Bevölkerung war so vortrefflich, wie man sie wünschen konnte. Der Gerichtstag, nach alter Sitte der Freitag, wurde mit Ungeduld erwartet. Erbitterung und Rachelust hatten eher noch zugenommen, und die Kunde von den Ereignissen auf dem Lyngenmarkt verbreitete sich durch das ganze Land mit Zusätzen, die wohl gemacht waren, um die nordländische Bevölkerung aufs äußerste zu reizen.

Die Lappen sollten in großen Scharen bewaffnet erschienen sein, um alle Kaufleute zu ermorden. Was Afrajas Gehirn mit sich umhergetragen, wozu er geheime, langjährige Vorbereitungen gemacht hatte, wurde schon als halb ausgeführt erzählt.

Die Verhöre der Gefangenen hatten alles klar und gewiß gemacht, was man wollte. Zitternd vor Angst und Schreck gestanden sie, was der Schreiber wünschte. Afraja hatte Zusammenkünfte abgehalten, hatte Haß und Verachtung gegen die fremden Eindringlinge ausgestreut, hatte die Lappen zu Widersetzlichkeiten verleitet, und endlich war die große Verschwörung dahin gelangt, daß sie auf dem Lyngenmarkt ausbrechen sollte.

Zu allen diesen Plänen war Mortuno ein tätiger Gehilfe gewesen, und nur sein jäher Tod hatte den Erfolg verhindert. Paul Petersen, der mit eigener größter Gefahr die Verschwörung aufdeckte und den gefährlichen Lappen fing, erschien überall im Lichte eines kühnen, entschlossenen Mannes, der seinen Mitbürgern die größten Dienste geleistet hatte. Seiner Klugheit allein verdankte man die Rettung aus schweren Gefahren, seiner unerschrockenen Vaterlandsliebe die Verhaftung des dänischen Junkers, der mit den Verrätern gemeinsame Sache gemacht hatte.

Was den letzten Punkt betraf, so gab es allerdings auch einzelne Ungläubige. Daß ein Edelmann, ein Offizier der Garde sich gegen König und Krone erheben, sich mit einem elenden Volk auf ein Unternehmen einlassen sollte, das jeder Verständige Unsinn und Wahnsinn nennen mußte, schien doch manchem unmöglich zu sein. Aber dieser Junker hatte, so lange er im Lande war, für die Lappen gesprochen. Er war jedenfalls ihr Freund und Beschützer. Er war, was die Verhöre als gewiß herausstellten, bei Afraja in der Kilgisjaur gewesen, als der kühne Sorenskriver dort erschien.

Über seine Verhältnisse zu Helgestad und von seinem Treiben am Balsfjord wurde das Abschreckendste erzählt. Der schändlichste Undank und die größte Tollheit wurden ihm vorgeworfen. Mit Verrat hatte er die Freundschaft belohnt, die ihm entgegenkam.

Helgestads Unglück gab dabei ein neues Feld von Anklagen, die hauptsächlich wieder auf Sture fielen, und wie viele Neider und geheime Widersacher der schlaue Kaufmann auch hatte, als er stolz auf seinen Füßen stand, jetzt kam allein der Schmerz und Jammer des Vaters in Betracht, der krank und tiefgebeugt darniederlag.

Gegen den Schluß der folgenden Woche waren in Tromsö die Akten fertig, die Beisitzer einberufen, der nächste Tag war der Tag des Gerichts. Paul Petersen saß am Abend noch in seiner Schreibstube im Amtshaus und ordnete Hefte und Schriften. Dann und wann hielt er inne, horchte auf den Wind und fiel mit einem leisen Stöhnen in den Armsessel zurück, aber er unterdrückte dies sogleich und fuhr fort zu arbeiten, selbst als draußen vor dem Hause bekannte Stimmen erschallten, und als dann Schritte dicht an seiner Tür vorübergingen, denen er mit einem düstern Lächeln nachhorchte.

Endlich wurde die Tür geöffnet, und als er sich umblickte, stand sein Oheim vor ihm, der noch die Reisemütze auf dem Kopfe trug.

»Friede sei mit dir, Paul«, sagte er. »Sie sind alle hier. Komme vom Lyngenfjord mit Helgestad und Ilda. Aber wie siehst du aus«, fuhr er besorgt fort, »bist du krank?«

»Nein!« antwortete Petersen lachend. »Ich habe viel gearbeitet, dazu die größte Plage mit den Angeklagten. Wie geht es Helgestad?«

»Leidlich gut«, meinte der Vogt. »Er spricht mit Ruhe über Gustavs Tod, und hat eine feste Stütze an deiner Braut.«

»Nun«, lachte Paul, »diese Stütze wird er nur noch eine Woche bis zu meiner Hochzeit haben. – Wie sich doch alles gut fügt, Onkel!«

Onkel und Neffe sahen sich leise lachend an. »Gib nur Obacht, daß du munter bleibst«, flüsterte der Vogt, »denke, Helgestad wird es nicht ewig mehr treiben. Das Sprechen wird ihm sauer, ist ein Schlag gewesen, von dem er sich nicht erholt. Bald muß er dir alles lassen.«

Paul hörte gleichgültig zu.

»Wie benimmt sich Afraja?« fragte sein Onkel.

»Es ist kein Wort aus ihm herauszubringen«, sagte Paul.

»Aber was habt Ihr am Balsfjord gefunden?«

»Nichts. Keinerlei Schrift oder was uns dienen könnte. Nur die Urkunde über den Besitz und ein paar Säcke mit Geld.«

»Die können doch als ein Beweis gelten«, murmelte der Schreiber. »Der stolze Junker verweigerte jede Antwort; wir wollen ihm zeigen, daß wir die nicht brauchen. Gebt die Urkunde her, Oheim. So« – er legte seine Hand darauf, betrachtete sie, und seine Augen glänzten voll Hohn und Lust. »Bei Gott! Der Narr soll sie niemals wiederbekommen.«

»Denke nein!« sagte der Vogt leise, »aber was willst du mit ihm machen?«

Paul sah vor sich hin, bis er nach einiger Zeit antwortete: »Am besten wäre es gewesen, ich hätte mich an der Lyngenkirche nicht eingemischt, als die Quäner und Fischer ihre Messer aus den Scheiden zogen. Indes, wer weiß, was sich noch mit ihm machen läßt!«

»Und der Zauberer?« flüsterte der Vogt.

»Still!« sagte der Schreiber, »ich höre sprechen. Geht hinüber zu unseren Gästen, Oheim, ich komme nach.«

Als der Vogt fort war, stand er auf, nahm das Licht und stellte sich vor den Spiegel. Sein Gesicht war hohl, und obwohl mehr gerötet als sonst, sah es verzerrt und krank aus. Er warf seinen Rock ab und entblößte seine Seite, wo er die Wunde erhalten hatte. Diese war nicht geheilt, sondern geschwollen, dunkel entzündet und bot einen widerlichen Anblick.

»Verwünscht!« murmelte er, »ich muß etwas tun. Ich leide Schmerzen und mag mich doch niemand anvertrauen.« Er strich eine Salbe auf die Wunde, wickelte eine Binde um, und kleidete sich sorgfältig an.

Als er in das Gastzimmer trat, saß Helgestad in dem großen Stuhl am Feuer, Ilda und der Vogt zu seinen Seiten. Helgestad hielt ein Glas in seinen Fingern, aber er war nicht wie sonst lustig dabei, es zu leeren. Vorgebeugt starrte er auf das dampfende Getränk, hob langsam dann den Kopf in die Höhe, als er des Schreibers Stimme hörte, und streckte seine mager gewordene Hand aus.

»Herzlich willkommen«, sagte Paul, »und dir, Ilda, meinen besonderen Gruß.«

Auch Ilda sah anders aus. Trotz ihres ernsten Charakters lachte sie sonst wohl einmal, und dann wurde ihr Gesicht wunderbar hell und schön, nun aber hatten sich ihre Lippen dicht geschlossen, und der Blick ihrer Augen war so starr, daß Paul ihn nicht aushalten konnte. Er bemühte sich froh zu sein, doch es wollte ihm auf die Dauer nicht glücken. Er sah recht gut, wie alle ihn betrachteten, und Helgestad schüttelte den Kopf und sagte mit seiner schweren Zunge: »War anders, Paul, als Gustav noch lebte. Schaff ihn wieder, wird dir auch wohltun.«

»Wollte Gott! Ich könnte es«, antwortete der Schreiber, »allein ich kann nur die strafen, die an dem Unheil schuld sind.«

»Schon gut!« murmelte Helgestad, »wäre aber doch besser, Gustav wäre hier.«

»Spricht er immer so?« flüsterte der Schreiber Ilda zu.

»Zuweilen scheint sein Gedächtnis zu leiden«, sagte diese, »aber oft ist alles wieder klar und fest.«

»So wird es auch wieder ganz gut mit ihm werden«, sprach der Vogt. – »Trink dein Glas aus, Helgestad, ich gebe dir einen andern guten Sohn, und wenn der Gerichtstag vorbei ist, feiern wir ganz in der Stille unserer Kinder Verbindung.«

»Ist richtig«, sagte Helgestad, »erst muß der Gerichtstag vorbei sein. Habt den Afraja doch fest, daß er nicht los kann?«

»Seid ohne Sorge, der sitzt hier unten im festen Keller.«

»Und wo ist Henrik Sture?« fragte Ilda.

»Fein säuberlich unter dem Dach, wie es sich für eine Standesperson geziemt«, antwortete der Vogt.

»Was wird man mit den beiden Angeklagten machen?« fragte Ilda.

»Der Lappe wird einen guten Teil Holzkohlen und Teer kosten«, sagte der Vogt. »Hat der Junker Unglück, kann er leicht mit auf den Scheiterhaufen steigen.«

Bei diesen fürchterlichen Worten richtete sich Ilda starr von ihrem Stuhl auf. Sie war noch bleicher geworden, aber Paul öffnete eben die Seitentür und sagte freundlich: »Komm, meine Herzens-Ilda. Sitz zum erstenmal an deinem Tisch in deinem Hause und laß uns froh sein, so viel wir es vermögen.«

Wie sollte aber Frohsinn an diesem Mahl teilnehmen? Helgestad war munterer geworden, der Genuß starker Getränke brachte sein Blut in Bewegung und riß ihn aus seiner Schweigsamkeit. Es war natürlich, daß der bevorstehende Tag den meisten Stoff zu den Gesprächen bot, und manche besondere Umstände kamen zur Sprache.

Es war Nachricht an den Lyngenfjord gekommen, daß Klaus Hornemann am Altenfjord krank danieder läge, und der Vogt meinte spottend, daß dies so gefügt sei, weil der Priester sich sonst eingemischt hätte.

»Ich beklage es dennoch«, antwortete Paul, »und wünsche, er wäre zugegen, damit er selbst sich überzeugen könnte, daß alles, was geschieht, nach Gesetz und Recht verläuft. Er hat auch einen Brief an mich geschrieben, worin er Aufschub und Bericht an den Gouverneur vorschlägt. Leider bin ich nicht imstande, darauf einzugehen, wie gern ich es auch möchte.«

»Und warum bist du nicht imstande?« fragte Ilda.

»Frag meinen Oheim«, sagte er. »Das ganze Land fordert Gerechtigkeit, jeder weiß, um was es sich handelt. Die Finmarken haben ihren Gerichtshof, eine Appellation an den Gouverneur würde überall verdammt und verneint werden. Die Aufregung ist so groß, daß man uns als Verräter an des Landes Rechten und Sache betrachten würde.«

»Aber wie kann ein gerechtes Urteil gefällt werden«, rief Ilda, »wo, wie du sagst, die Aufregung so groß und die Erbitterung so allgemein ist?«

Paul zuckte die Achseln. »Ich würde es aufrichtig bedauern«, sagte er, »wenn ich glauben könnte, daß ein ungerechtes Urteil zum Vorschein käme. Afrajas Verbrechen sind jedoch so klar erwiesen, daß kein Gericht in der Welt sie bezweifeln könnte.«

»Verrat, Aufruhr, Mord und dabei Hexerei und heidnische Greuel!« rief der Vogt. Helgestad riß seine Augen auf und grinste wie in früheren Zeiten. »Nuh!« sagte er, »kommt besonders darauf an, daß der Höllenkerl bekennt, wo seine Schätze sind. Kommt darauf an, aus ihm herauszupressen, was wir wissen wollen. Denke, du weißt, Paul, was wir ausmachten. Kalkuliere, wird mein Trost sein für alles Weh, das die Schelme mir angetan.«

Dem Schreiber war diese Eröffnung unlieb. Er winkte Helgestad zu schweigen und sagte zugleich: »Wenn er wirklich Schätze besitzt, so wird er bekennen müssen, damit sein Eigentum Ersatz für den Schaden leistet. Von seinen Genossen ist ohnehin nichts zu bekommen.«

Helgestad sah ihn lange und hämisch an. »Bist ein kluger Bursche«, sprach er, »wirst festhalten, was du hast. Hast Loppen haben wollen, nimmst den Balsfjord jetzt dazu. Aber halt richtige Rechnung, Paul, richtige Rechnung.« Mitten in seiner Rede schien er den Faden seiner Gedanken zu verlieren, und indem er sich in seinen Stuhl zurücklegte, murmelte er vor sich hin: »Wollte aber doch, Gustav wäre hier, möchte hören, was er dazu sagte.«

Paul beeilte sich, diese Szene zu beenden. Er sprach sanft und beruhigend, hoffte, daß ein guter, ruhiger Schlaf helfen und stärken werde, und überließ Helgestad endlich der Sorge seines Onkels und Ilda.

Als er dann allein in seinem Zimmer war, ging er ruhelos auf und ab, warf sich in seinen Lehnsessel und sprang wieder auf, dann nahm er ein Licht und ging in die Kanzlei. Dort öffnete er einen großen düsteren Schrank, der schwarz vor Alter war und leuchtete hinein. Allerlei schreckliche Instrumente lagen auf den Brettern. Schrauben und eiserne Keile, rostige Ketten und verstaubte Schnüre. Endlich nahm er eins davon heraus, ein breites Eisenband, das durch ein Gewinde eng zusammengepreßt werden konnte.

»Wie der menschliche Geist erfinderisch ist«, murmelte er, »wenn es darauf ankommt, sich im Dienst der Wahrheit anzustrengen.«

Er hörte ein Geräusch, und als er umblickte, erschrak er. Ilda stand vor ihm.

»Was hast du da?« fragte sie, ehe er reden konnte.

»Ein probates Mittel gegen Falschheit und Verrat.«

»Das wäre, was du brauchst?« antwortete sie.

»Morgen kann es geschehen«, sagte er.

Sie faltete die Hände wie in großer Angst und sah ihn starr an.

»Ich will mit dir sprechen«, begann sie leise, »es muß sein.«

»Wie gern, Ilda, plaudere ich mit dir«, erwiderte Paul zuvorkommend. »Oder hast du etwas Besonderes?«

»Ja, ich habe eine Bitte an dich.«

»Die ich dir gewiß gern erfüllen werde, wenn es in meiner Macht steht.«

Ilda holte tief Atem, ihr Kopf schien einen Augenblick unter der Last niederzusinken, dann richtete sie ihn hoch empor.

»Rette ihn«, flüsterte sie, »rette Henrik Sture vor der Schmach, die ihm droht, und ich will dich segnen!«

»Wie kann ich ihn retten, teure Ilda?«

»Du weißt, daß er unschuldig ist«, fuhr sie fort. »Bei Gottes ewiger Gnade, tu dieses falsche Lächeln ab und heuchle nicht.«

»Du fällst ein hartes Urteil über mich«, sagte Paul.

»Nein«, sagte sie, indem sie seine Hand faßte, »ich will bei dir stehen, was auch kommen mag. Dienen will ich dir wie deine Magd, keine Klage sollst du hören. Aber rette den unschuldigen Mann, auf meinen Knien bitte ich dich darum!«

Wie sie vor ihm kniete, flog ein Ausdruck des Hohns über seine Züge, doch hob er die Jungfrau liebreich empor, und erwiderte herzlich:

»Deine erste Bitte an mich, du edle Seele, ist mir heilig, und was ich tun kann, deinen Schützling zu retten, soll geschehen, wenn er selbst«, setzte er arglistig hinzu, »mir durch seine Aussagen im Verhör das Rettungswerk nicht unmöglich macht. – Jetzt aber geh, teures Mädchen, du könntest deinem Vater notwendig sein. Gewiß bedarf er der Ruhe.«

Mit einem aufmunternden Händedruck begleitete er seine nur wenig getröstete Verlobte bis zur Tür, während er sich selbst in seine Schreibstube begab. »Das fehlte mir gerade, mich durch die Bitten dieser Närrin erweichen zu lassen«, murmelte er auf dem Weg dahin in sich hinein.

Er nahm das Licht, nahm Schlüssel aus einem Wandschrank und trat auf den Flur hinaus. In einer Seitenkammer saß ein Gerichtsdiener, die Arme auf den Tisch gestützt, den Kopf in die Hände. Als der strenge Sorenskriver eintrat, sprang er auf.

»Öffne die Tür«, sagte Petersen, und der Mann schob die schweren Riegel zurück und ließ seinen Vorgesetzten in einen Gang treten, zu dem ein halbes Dutzend Stufen hinabführten. Das Amtshaus war ein Balkengebäude wie alle hier, aber es ruhte auf mächtigen Felsenbruchstücken, die ein festes Gewölbe bildeten.

Der Sorenskriver ging den Gang hinab, links und rechts waren Verschlage aus dicken Bohlen. Einer war mit einem großen Schloß verwahrt. Als er dies losgemacht hatte, trat er hinein.

Da saß ein gespenstisches Wesen in dem engen, niedrigen Raum, in dem Paul sich nicht aufrichten konnte. Er hielt das Licht hoch und ließ den Schein auf den unförmigen Körper in der Ecke fallen, der sich nicht regte. Ein großer Stein lag dort, eine Kette war in der Wand befestigt und hing an einem Eisenring, der den Hals des unglücklichen Gefangenen umschloß, dessen Kopf und Gesicht unter langen, abgemagerten Händen und wilden strähnigen Haaren verborgen war.

Der Sorenskriver setzte sich auf einen anderen Stein an der Tür, stellte die Leuchte vor sich an den Boden und sagte dann in mildem Ton: »Das ist ein schlechter Aufenthalt, Afraja, für einen Mann, der in der frischen Luft der Gamme alt geworden ist. Morgen ist Gerichtstag, und Gott erbarme sich deiner! Du hast bis jetzt jede Antwort verweigert, hast hartnäckig alle Ermahnungen verachtet, ich komme zum letztenmal zu dir, um zu fragen, ob du bereust und demütig bist?

Sieh«, fuhr er fort, als er keine Antwort erhielt, »es könnte doch sein, daß ich Mittel wüßte, dir Gutes zu tun. Lebendig verbrennen ist ein fürchterlicher Tod, und jetzt ist der Herbst da, wo deine Tiere auf die Alpen wollen, wo der Wind kalt über die Heide streicht und sieben Sterne über dem Kilgis funkeln.«

Ein langes dumpfes Stöhnen kam aus der düsteren Ecke. Petersen lächelte. »Besser ist es zu leben«, sprach er, »als zu Asche zu verkohlen, besser um Gnade zu bitten, als wie ein Tier stumpfsinnig sein Schicksal zu erwarten. Du bist ein Mann, der nachzudenken weiß. Du wirst nicht töricht träumen, daß jemals dein Fuß wieder frei über die Fjelden geht, daß deine Augen die braune Herde wiedersehen.« – Er hielt inne und sagte dann leiser flüsternd: »Ich kann dich dahin bringen. Ich allein bin imstande, dir die Freiheit wieder zu verschaffen, und ich will es tun, wenn du klug bist.«

»Du willst es tun?« fragte Afraja, der nun erst den Kopf aufhob und das Haar von seinem gelben, verfallenen Gesicht strich.

»Armer alter Bursche«, sagte Petersen, »du bist blaß geworden, doch die feuchte Luft hat deinen Augen wohlgetan, sie sehen so groß und klar aus wie niemals. – Ja, ich will es tun, ich wiederhole es. Du sollst frei werden, sollst deine Gamme und deine Tiere wiederhaben, sollst beliebig im frischen Schnee statt in Flammen dein Haupt betten. Nur klug mußt du sein und deine Ohren aufmachen.

Daß ich das, was ich tun will, nicht umsonst tue«, fuhr er fort, indem er damit Afrajas starren Blick beantwortete, »versteht sich von selbst. Mein Wort darauf, du sollst nicht brennen, wenn du morgen reumütig auf deinen Knien liegst, deine Zaubereien für Aberglauben und Lügen erklärst, deinen Jubinal samt allen deinen übrigen Götzen verfluchst, um die heilige Taufe bittest und wegen aller deiner begangenen Frevel um Erbarmen flehst. Du wirst eingesperrt werden und eine Tracht Hiebe bekommen, aber dein Rücken wird heil werden, und diese Tür werde ich selbst dir öffnen.«

»Und du?« fragte der alte Mann.

»Ich – ich komme zuletzt. Ich fordere nur eines von dir. Du bist alt, hast keine Kinder. Mortuno, der wackere Bursche, ist tot, Gula liegt begraben – ich will dein Erbe sein, deine Dankbarkeit soll mich dazu machen. Das ist alles, was ich von dir verlange, und gewiß sehr wenig. Du hast Geld, wo soll es bleiben? Öffne dein Herz, Afraja, und vertraue mir. Bei Gott! Du sollst es nicht bereuen. Sei aufrichtig, alter Schelm. Ich weiß, daß du Geheimnisse bewahrst, weiß, daß du verborgene Minen und Plätze, Silberadern, Höhlen kennst, wo das gediegene Erz funkelt. Lüge nicht, ich habe Beweise! Ist es so?«

»Ja, Herr«, sagte Afraja, »wer es dir sagte, hat recht gesagt. Es gibt Silber dort so viel, wie alle Renntiere der Finmarken nicht fortschaffen würden. Da hängen lange Trauben klingend, glänzend von den Decken, da springt es eckig aus allen Wänden, schiebt blitzende Stücke aus allen Fugen, steigt aus der Tiefe auf und senkt sich von oben. Jubinal sitzt in seinem Hause nicht besser, und im Meeresgrund, wo, wie ihr sagt, die Wassertrollen in ihren Grotten liegen aus glitzerndem Stein und goldenen Netzen, haben sie nimmer das, was ich habe.«

Der Schreiber hörte lauernd zu. Seine Augen öffneten sich gierig, er streckte den Kopf vor, seine Hände zitterten, glühend heißes Verlangen erfüllte ihn. – »Und mehr als eine solche Höhle weißt du?« fragte er, scheu umblickend, ob auch niemand lausche.

»Viele! viele!« sagte Afraja, »so weit und groß, daß kein Fuß sie ausmißt, so gefüllt mit Silberblumen und Bäumen, daß es ein Garten ist, wie ihn kein Auge jemals sah.«

»Gut«, murmelte Petersen hastig, »du sollst mich dahin führen, nichts darfst du mir verschweigen. Schwöre bei deinem Jubinal, daß du mich führen willst, und ich will dir beistehen.«

»Willst du wirklich?« flüsterte der Gefangene.

»Verlaß dich darauf. Du sollst keinen bessern Freund haben.«

»Du, mein Freund?«

»Ich sage dir, daß ich dich schützen will bis an dein Ende. Sieh hier, da ist eine Flasche Nektar für dich. Morgen sollst du aus diesem Loch, es soll dir wohl gehen. Täglich sollst du Speise und Trank bekommen, wie es dir gefällt, und keine zwei Wochen sollen vergehen, so bist du auf deinen Bergen.«

Afraja hatte sich aufgerichtet, die Kette klirrte an seinem Halseisen, sein greiser magerer Körper schwankte, aber seinen Kopf hielt er stolz in die Höhe, und aus seinen Augen strömte ein wildes Entzücken.

»Nimm und freu dich«, sagte Petersen, »aber erst schwöre bei Jubinal, denn solchen Schwur hältst du.«

»Sorenskriver«, sprach der alte Mann, indem er seinen Arm ausstreckte, »ich weiß Silber – Silberberge, niemand weiß sie, aber könnte ich leben, bis Jubinals Reich kommt, müßte ich brennen, bis Pekel die Welt vernichtet, du solltest nichts davon erfahren!«

»Besinne dich, du Narr!« antwortete Paul finster lachend, »besinne dich, Feuer tut weh.«

»Wohl tut es, wohl tut es mir!« schrie Afraja, »denn ich sehe, wie du dich krümmst. Wolf, der du bist, dein blutiger Rachen macht mir keine Furcht. Feuer ist in deinen Augen, brennend Feuer in deinen Adern. Heulen wirst du wie ein wildes Tier, ich lache dazu, ich lache!« – Er lachte wie ein Besessener.

Der Schreiber stand eine Minute lang, er suchte mühsam seinen Zorn zu bezwingen. Dann sagte er: »Warte bis morgen, dann sieh zu, ob du noch lachst, elendes Geschöpf. Willst du vernünftig sein?«

»Sei verflucht!« schrie Afraja, und solch ein langer schrecklicher Fluch hallte in dem Kerker wider, daß Paul in seiner ausbrechenden Wut mit dem Fuß den Lappen stieß, daß er niederstürzte.

»Bis morgen!« rief er, die Faust schüttelnd und mit unterdrückter Stimme, »bis morgen, sonst ist es vorbei mit dir«, und die Tür zuschlagend und schließend, ging er fort. Afrajas gellendes Hohngelächter folgte ihm nach. Oben im Hause stand Paul Petersen still. Sein Kopf war voll Fieberglut, sein Gehirn wollte sich ausdehnen und drückte gegen die Knochenwände. Es drehte sich mit ihm um, aber in seinem Herzen wühlte eine Angst, eine Gier, eine grimmige Wut, zu wissen und zu haben, was er nicht wußte und nicht hatte, die noch weit stärker war, als das Gefühl, daß er krank war.

Er stieg die Treppe hinauf, dann noch eine und horchte an einer wohlverwahrten Kammer. Leise schob er die Riegel zurück, öffnete das Schloß und trat hinein. Es war auch ein Gefängnis, aber ein besseres als das, welches er eben verlassen hatte. Ein kleines vergittertes Fenster ließ Licht und Luft ein, und auf dem Bette in der Ecke lag Sture ruhig atmend.

»Da schläft er!« murmelte Paul. »Er kann schlafen, fest schlafen!«

Er trat an das Lager, der Lichtschein fiel in Stures Gesicht; ein Lächeln war darin, und plötzlich sagte er vernehmlich laut: »Du bist es, Ilda, du kommst zu mir.«

»Wachen Sie auf! Wachen Sie auf!« rief Petersen, indem er den Schläfer beim Arm schüttelte. »Ich habe mit Ihnen zu reden!«

Sture ermunterte sich. »Warum stören Sie mich mitten in der Nacht?« fragte er unmutig.

»Wenn jemand einen, dessen Haus einstürzt, herausziehen will, ehe die Balken fallen, fragt er nicht nach Zeit und Stunde«, antwortete der Schreiber.

»Ihre Hand, Herr Petersen, würde doch dabei jedenfalls die letzte sein«, sagte Sture.

»Ich denke«, antwortete Paul, »wir haben beide keine Zeit, uns deswegen zu streiten. Beantworten Sie mir eine Frage, von der vieles für Sie abhängt. Afraja hat Ihnen, um Sie für seine nichtswürdigen Pläne zu gewinnen, entdeckt, wo die Silberschätze sind, die er kennt.«

Sture antwortete nicht.

»Herr Sture«, begann Petersen von neuem, »mancherlei kann sich ändern, wenn Sie wollen. Ich beklage Ihr Schicksal, ich möchte gern etwas für Sie tun. Es gibt jemand«, fuhr er leiser fort, »dem ich gelobt habe, Sie zu schützen.«

»Ich bedarf Ihres Schutzes nicht!« rief der Gefangene, indem er hastig aufstand.

Petersen achtete nicht darauf. – »Wir könnten uns verständigen«, sagte er freundlich, »selbst der Balsfjord könnte Ihnen wieder gehören.«

»Der ist mein und soll es bleiben!«

»Wenn Sie es nicht vorziehen, einen besseren Aufenthalt zu wählen. Gott weiß es, wohin mich mein Mitgefühl bringen könnte. Es ist nicht angenehm, vor ein offenes Gericht zu treten, umringt von einem fanatischen Volk. Besser ist es vielleicht, sich zu entfernen und in einem stillen Haus abzuwarten, bis der Sturm sich gelegt hat.«

»Ich würde nicht gehen, auch wenn alle Türen offen stünden«, sagte Sture.

»Gut, so bleiben Sie. Ich hoffe, daß bei einer geschickten Verteidigung Ihre ehrenvolle Freisprechung nicht ausbleibt.«

»Ich hoffe, daß Lüge und Bosheit zuschanden werden.«

»Nehmen Sie meinen Rat und meine Hilfe an, und was ich immer vermag, soll geschehen. Hätten wir uns doch eher besser kennengelernt, so würde es anders mit uns stehen.«

»Fort mit allem Schein«, sagte der Junker, »ich denke, wir kennen uns genau genug. Gerade heraus, Herr Petersen. Was wollen Sie?«

»Meine Frage wiederholen«, erwiderte Paul. »Wo ist die Silberhöhle, wohin Afraja Sie geführt hat?«

»Ich weiß von keiner Silberhöhle.«

»Sie wissen nichts?« fragte Paul, indem er in seine Tasche faßte. »Sehen Sie hier, dies Silberstück ist in Ihrem Rock gefunden worden. Es ist von den Steinen losgerissen, an denen es festsaß, und sieht auf ein Haar so aus wie die Silberblumen, die zuweilen in reichen Schachten wachsen. Ist Ihr Gedächtnis jetzt stärker geworden?«

Der Gefangene sann einen Augenblick nach, dann sagte er: »Nein, ich weiß nichts! Was ich weiß, könnte Ihnen nichts helfen, und wenn ich wüßte, was Sie wünschen, würde ich doch nimmermehr in Ihre Zumutungen einwilligen.«

»Nicht?« –

»Nein, niemals!«

»Bedenken Sie, was Sie tun.«

»Betrug und nichts als Betrug«, sagte Sture verächtlich. »Ränke und gewissenloses Tun ohne Ende. Sie werden nichts von mir erfahren.«

»Wollen Sie meine Hand nicht annehmen? Soll Ilda mich vergebens auf Knien um Ihre Rettung angefleht haben?«

»Elender!« schrie Sture; »auf Knien vor dir? Du lügst!«

Er stieß ihn von sich, und eilig zog sich der Schreiber zurück.

»Nun ist es aus!« murmelte er, als er die Treppe hinunterging. »Er soll sterben, und wenn der König selbst sein Vetter wäre!«


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