Alexander Moszkowski
Das Geheimnis der Sprache
Alexander Moszkowski

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Der Vorkämpfer

Ich entwerfe das Bild eines Mannes, der als wirkende Persönlichkeit den hervorragendsten Platz im Felde der neuen Sprachbewegung einnimmt. Er ist Vorkämpfer mit zahlreichem Gefolge und würde auch ohne Troß eine Armee für sich darstellen. Nimmt man die Bewegung als eine Reformation, so ist er ein Ulrich von Hutten, nach seinem Temperament und nach der Quersumme seines Wissens. Wäre er es auch nach der Weite der Anschauung, dann besäßen wir in ihm eine der bedeutendsten Figuren des Schrifttums überhaupt. Aber schon hier versagt die Parallele, und weiterhin ergibt sich sogar schroffe Gegensätzlichkeit. Suchen wir einen anderen Vergleich. Und da fügt es sich, daß der Name selbst uns auf eine gute Fährte leitet. Unser Vorkämpfer heißt Doktor Engel, was, in scholastisches Latein gebracht, Doktor Angelicus lauten würde. Mit diesem Titel wurde einst ein anderer Vielwissender geschmückt, auch ein Vorkämpfer, ein Streiter, ein Dogmenbekenner: Thomas von Aquino. Eine päpstliche Enzyklika aus unseren Zeiten hat diesen glaubensstarken Thomas zum Universalschulmeister, zum Patron und Schutzheiligen aller Lehranstalten erhoben. Und unser neuer Doktor Angelicus steht im Begriff, dieselbe Würde aus eigener Machtherrlichkeit zu gewinnen. Es ist der Geist des Doktor Engel, der das Kampfgelände der neuesten Zeit durchweht und durchbraust.

Eine Analyse seiner geistigen Persönlichkeit führt zu unlösbaren Schwierigkeiten, und eben das macht ihn so interessant. Er ist eine komplexe Natur mit offen aufgezeigten Widersprüchen, das Musterbeispiel einer Rechnung, die niemals aufgeht und bei jeder Behandlung andere unlösbare Reste ergibt. Und es kommt ihm nicht darauf an, sich selbst zu verleugnen. Denn er fühlt sich als Reformer, ein Reformator muß einseitig sein, und in dieser Einseitigkeit fegt er durch seine eigenen Werke, die ehedem den Glanz der Vielseitigkeit hatten. Um nur ein Beispiel vorweg zu nehmen: er verkündet heute:

Kein fremdwörtelndes Buch überlebt seinen Verfasser nur um ein Menschengeschlecht, nicht das wissenschaftlich wertvollste, nicht das geistreichste, nicht das sittlich schönste. Nennet mir eine einzige Ausnahme, und ich bekenne mich für besiegt;

eine einzige? Nun es wäre nicht schwer, sie zu Hunderten zu nennen, und wenn man sie nicht wüßte, so brauchte man bloß Engels große Deutsche Literaturgeschichte aufzuschlagen, um sie dort zu finden, zum Teil trefflich erörtert und geschichtlich so behandelt, wie es Unsterblichkeiten zukommt. Wäre seine heutige Meinung rechtskräftig, so bestände der Weltbau der deutschen Literatur aus Stümpfen und verwesten Resten, und Engels vormaliges Werk wäre die Beschreibung einer ungeheuren Leichenkammer.

Das ist es aber keineswegs; und wie es Lebendiges behandelte, so zeugte es auch von dem lebendigen Geist seines Verfassers, dessen Temperament sich noch zu zügeln wußte und nicht in den Sturmeifer eines Savonarola überschlug.

Engels literarisches Gepäck ist außerordentlich umfangreich, inhaltsschwer und um das Ding mit richtigem Namen zu nennen: unübersehbar. Er selbst erklärt im Vorwort seiner Geschichte der englischen Literatur, er habe der fast übermenschlichen Pflicht gehorcht, »nur über selbstgelesene Werke zu schreiben«. Ich hege keinen Zweifel an der vollen Wahrheit dieses Bekenntnisses und beziehe es ohne weiteres auch auf Engels Geschichtswerke der deutschen und französischen Literatur. Das ergibt – selbst wenn man die sehr beträchtlichen anderen Werke Engels außer Ansatz läßt –, ein Gesamtmaß des Wissens von unvorstellbarer Ausdehnung. Man könnte es im Sinne neuester Wissenschaft als »unvollendbar« bezeichnen, wenn es nicht auf tausenden von Druckseiten abgeschlossen und vollendet vor uns läge. Diesem Maß entspricht die Vielfältigkeit seiner Sprachkenntnisse. Von Mithridates, Mezzofanti, Friedrich Müller, Jakob Grimm werden uns Unglaublichkeiten erzählt. Professor Remward Brandstetter in Luzern hat in unseren Tagen eine Studie herausgegeben, die sich auf die Kenntnis von annähernd hundert Sprachen stützt. Ich nehme an, daß Professor Eduard Engel diesen Sprachwundern nahesteht. Und vermöge seiner Herrschaft in so vielen Sprachen müßte er eigentlich auch der sinnreichste Beurteiler und Führer geworden sein, wenn das Wort »soviel Sprachen, soviel Sinne« durchgreifende Geltung besäße. Das aber muß durchaus bestritten werden.

Wir erleben hier das nämliche wie in der Naturkunde bei den Wellenbewegungen. Schall auf Schall gesetzt braucht nicht verstärkten Schall zu liefern, sondern kann Tonlosigkeit ergeben, Licht auf Licht Dunkelheit. Man nennt dies Interferenz, ein unübersetzbares Fremdwort, das auch in Engels Verdeutschungsbuch nicht vorkommt. Es hat aber nicht nur einen bedeutsamen allgemeinen, sondern hier auch einen besonderen Sinn: bei Engel interferieren die Kenntnisse, die Urteile, alle Schwingungen seines so reichen, so lebhaften Geistes. Helltönend und blendend im einzelnen, überdecken sie sich oft an entscheidenden Punkten derart, daß sie einander auslöschen. Und hierauf beruht ein Teil der Widersprüche, die uns überfallen, wenn uns der Sturm seiner Gedankenflüge ergreift.

Ich möchte ihn nicht missen, und ich kehre oft zu ihm zurück, um all die widerspruchsvollen Erregungen durchzukosten, zu denen er Hörer und Leser aufpeitscht. Er reißt mich fort, und ich lasse mich fortreißen, weil ich die Wucht seines Vortrages als etwas Seltenes und Gewaltiges empfinde. Wie ich mich auch vom Vortrag eines alten Kirchenvaters, ja sogar eines genialen Ketzerrichters ergreifen ließe, um Sturm zu genießen. Man braucht nicht vom Inhalt überzeugt zu sein, wenn man nur überzeugt ist, daß da Einer mit der Gewalt seiner eigenen Überzeugung redet. Fast durchweg weiß ich: hier stimmt's nicht, hier wird's brüchig, hier vollkommen falsch und verkehrt. Und trotzdem will ich weiter hören aus Lust an der Beredsamkeit; aus eigenem Widerspruch an so vielen platten Richtigkeiten, die in Legionen talentloser Vertreter ihre Anwälte finden. Bei unserem Doktor Angelicus bleibe ich in Bewunderung, ich ärgere mich rechtschaffen, aber ich langweile mich nicht eine Sekunde in all den Monaten, die ich ihm widme. In mein Handexemplar seiner »Deutschen Stilkunst« schrieb ich nach erster Lesung den Vermerk: Groß und falsch wie die Bibel. Der Vergleich ist gewagt, aber nicht ganz unstimmig. Denn auf das Buch wird geschworen, und dem Ungläubigen droht die Gefahr eines geistlichen Gerichtes.

Zu den Leitsätzen dieser »Stilkunst« gehört eine schrille Fanfare gegen den Humanismus. Schon in der »Geschichte der Deutschen Literatur« setzt sie präludierend ein, hier entwickelt sie sich zu voller, kampffroher Stärke. Mit Hussa und Horridoh geht es gegen den alten Drachen Humanismus, der die reine Jungfrau, die deutsche Sprache, seit Jahrhunderten in Schimpf und Qual gefangen hält:

Bis zum Wagnis des Thomasius, 1687, »war die deutsche Gelehrsamkeit die Hauptfeindin der deutschen Sprache«.

»Gewöhnlich entschuldigt man in Deutschland die schlechte Prosa mit der allgemeinen Redensart vom höheren Formensinn anderer Völker, besonders der romanischen. Ihr widerspricht die Vollendung der Kunstform in der deutschen Lyrik; ihr widerspricht aber auch die Schönheit deutscher Prosa von der mittelhochdeutschen Zeit bis fast zur Mitte des 16. Jahrhunderts, also bis zur Deutschverderbung durch die Humanisterei

»Nicht von den humanistischen Affen der alten Lateiner hat er (Luther) seine Vorbilder fürs Deutsche genommen.«

»Immerhin gewahren wir bei vielen neben Lessing und Goethe das deutliche Bestreben, sich von dem eklen Wust der deutschen Humanisten- und Franzosenzeiten zu befreien.«

»Die Überlieferung dieses (an Gutzkow, Nordau, Lamprecht bewiesenen) scheingelehrten Wortgeschwöges reicht, wie die meisten Grundlaster des Gelehrtenstils, bis in die Humanistenzeit.« – – »Die tiefe, bleibende Deutschverderbung durch das lateinische Blutgift hat erst der Humanismus des 16. Jahrhunderts dem Körper der deutschen Sprache eingeträufelt.«

Aber ist denn nicht unser Doktor Angelicus selbst ein Gelehrter, wohl gar ein Germanist, ein Erbe der strebenden Forschungen, deren Quell wir andern im Humanismus erblicken? Spürt er, der Gelehrte auf einsamem Sprachfloß, nicht, daß eine Strömung ihn trägt, dieselbe Strömung, die er von der Planke des Flosses aus beschimpft? Er selbst gibt uns die Antwort in einem Ausfall gegen die Schar der übrigen Germanisten, die es wagen, noch heute den alten Flußgottheiten zu huldigen:

»Die deutschen Gelehrten unserer Tage, die über altdeutsche Heldenlieder schreiben, benennen ihr Tun mit einem Barbarenwort, zusammengemanscht aus Latein, etlichem Griechisch, einigem Deutsch: Die germanistische Forschung, und schreiben, mit verschwindenden Ausnahmen alle, in ihren Büchern über die deutsche Heldendichtung ein ähnliches Sprachgemansche.«

Und freilich, wenn schon das Wort »Germanist« als unvölkisch verketzert wird, dann muß wohl auch ihre gesamte nach Weltgültigkeit strebende Ausdrucksweise als verdammenswert erscheinen. Aber diesen Männern schweben nicht Kirchtümeleien vor, sondern germanische, weitgerichtete Geistigkeiten. Der Germanist, wenn er nicht bloß am Kleinkram einer Mundartforschung festklebt, ist Humanist, treibt Humaniora, fühlt sich als Erbe der Strebungen aus der Renaissance. Der Grad der Annäherung an die Antike, für Goethe und Burckhardt das Maß künstlerischer Wertschätzung überhaupt, ist für ihn selbst bestimmend, für seine Kultur und seine Künstlerschaft im Ausdruck. Gerade ihm kommt es zu, die Klänge aus der klassischen Vergangenheit aufzunehmen und sie einer Klangsprache der Zukunft anzunähern, welche die letzte Folgerung des Humanismus dereinst verwirklichen wird.

Es gibt eine Folgerichtigkeit auch im Falschen. Und so spürt denn unser Angelicus sehr wohl, daß er, um auf seiner Linie nicht schnurstracks umkehren zu müssen, nicht bei den Germanisten stehen bleiben darf. Die ganze Richtung paßt ihm nicht, die ganze Wissenschaft wird von ihm ad audiendum verbum befohlen und gottsjämmerlich gerüffelt. In den Wintertagen von 1852 rief der berühmte Rückwärtsler Friedrich Julius Stahl sein bis in unsere Zeiten hallendes Donnerwort: Die Wissenschaft muß umkehren! Das aber war ein sanftes Gesäusel gegen die zerschmetternde Standpauke, die von Angelicus' geweihtem Munde losbricht. Also das ganze Sprachunheil der Zeit, die »Fremdwörterseuche«, kommt im Grunde von der Wissenschaft her, die mit ihrer »Kastendünkelsprache, ohne die geringste Begriffsbereicherung durch bloßes Wortgeklingel den Schein einer besonders neuen, besonders tiefen Geheimwissenschaft erzeugen will und bei den Unkundigen leider oft wirklich erzeugt . . . Behörden und Sprachvereine mögen noch soviele schmutzige Zuläufe reinigen und verstopfen, aus immer neuen Schlammgruben und Sielen sickert ununterbrochen neue üble Jauche in den stolzen Strom unserer Sprache.« Der Jauchherd, darüber läßt der Zusammenhang keinen Zweifel, ist die Wissenschaft, deren Schlammgruben und Sielen mithin restlos, das heißt bis zum letzten lateingriechischen Ausdruck, zugeschüttet werden müßten.

Leider aber hat die Göttin der Wissenschaft nur eine einzige Sprache gelernt, die Weltsprache, und kann sich auf andere Weise nicht verständlich machen. Man muß der Pallas Athene also die Zunge ausreißen. Und was aus den Jüngern werden soll, wenn die Meisterin verstummt, das mögen die Götter wissen.

Der Großherr des heiligen Offizes will allerdings einige Ausnahmen zulassen. Gewisse abgelegene Zweige der Wissenschaft, deren Vertreter ganz unter sich arbeiten, sollen von den strengsten Maßnahmen verschont bleiben. Da kommt die Güte zum Vorschein. Leider eine ganz unbrauchbare Huld: Denn es gibt keine abgelegene Zweige, und wer vom Wesen der Wissenschaft nur eine Ahnung besitzt, der kennt ihre Verwebungen, den wunderbaren Kräfteaustausch an ihren fließenden Grenzen, der weiß auch, daß die Wissenschaft das gesamte Leben bis in seine letzten Verästelungen mit Denkstoff und Sprachstoff durchdringt. Alle Befruchtung müßte aufhören, wenn diese Düngung des allgemeinen Ackers – die dem zürnenden Engel als Verjauchung vorkommt – jemals durch die Wasserkünste und Verwässerungen der Wissensfremden fortgespült würden.

Es klingt nun freilich sehr weihevoll, wenn die Schutzheiligen der Sprache als Ursprung des Wassersegens den Kastalischen Quell ausrufen. Durch den Jungbrunnen der Dichtung soll die Sprache hindurch, um ihre antiken Runzeln loszuwerden und ihr vergiftetes Blut aufzufrischen. Gut, ich nehme mir einen Gedichtband vor, nicht einen von den schlechtesten, und entnehme diesem Heilquell einige Tropfen zur Probe; hört sie rieseln:

Exempel, Elemente, Dedizieren, genieren, Pantheist, Obskuranten, Physikus, Pole, Kompaß, Prävenire, Versatilen, Interessen, Maltraitieren, Kompagnie, Firma, Kapital, Falsum, Kontinent, Projekt, in usum Delphini, Kollegen, Heautontimorumenie, Konstitutionell, –

Genügt's noch nicht? dann weitere Proben, immer aus demselben einbändigen kastalischen Quell, aus dem nämlichen unverfälschten, unverwelschten Borne:

Prisma, oval, retardieren, Revolution, geognostisch, Spatium, Probleme, Pyro-Hydrophylacium, fabulieren, Trilogie, Parabolisch, Séance, Rezensent, Dilettant, Neologen, Ornat, Funktionen, Kursus, methodice, Symbole, Mythologeme, Autochthone, Totalität, Katechisation, Enthusiasmus, protestieren, Credo, Panacee, Etymologie, Poetik, Politika, Logos, genieren, Metamorphose, Organ, harmonisch, Aeonen, Atmosphäre, Charakter, Ultimatum, Rhythmen, Antichambre, Transoxan, Kolumne, Sarkophage, Mirakel, Spelunke, sentimentalisch, Influenzen, staffiert, koloriert, passiert, frappiert, Typus, monoton, Sphäre, Qualität, Celebrität, kolossisch, paralysiert, Perfektibilität, – –

Der Leser weiß längst, wessen Dichtungen diese »Welschereien« entnommen sind, wessen poetische Ader mit diesem blutgiftigen Gerinnsel durchseucht waren. Und er entsinnt sich der Ansage unsres Vorkämpfers, »daß kein fremdwörtelndes Buch seinen Verfasser nur um ein Menschenalter überlebt«; er entsinnt sich dessen um so gewisser, als all diese, beliebig zu vermehrenden Proben durchaus nicht aus Goethes wissenschaftlicher Prosa stammen, sondern aus Goethes Gedichtblättern; aus Goethes gereimten, skandierten, lyrischen und spruchweisen Versen und deren Überschriften, die schon als Vorsatzworte das wahre Sprachbekenntnis des größten Dichters verkünden. Und wenn der Leser die kastalische Probe vervollständigt, so findet er in Goethes Reimsprüchen auch ein von Fremdwörtern verschmuddeltes Albumblättchen, das in hundert Jahren noch nichts von seiner Lebenskraft verloren hat:

            Die Sprachreiniger.

Gott Dank! daß uns so wohl geschah,
Der Tyrann sitzt auf Helena!
Doch ließ sich nur der eine bannen,
Wir haben jetzo hundert Tyrannen,
Die schmieden, uns gar unbequem,
Ein neues Continentalsystem.
Deutschland soll rein sich isolieren,
Einen Pestcordon um die Grenze führen,
Daß nicht einschleiche fort und fort
Kopf, Körper und Schwanz vom fremden Wort.

Hundert Tyrannen damals, – wieviel sind es heute? und wie wenig wiegen die Tyrännchen von damals gegen den einen Großen, der keines lebenden Goethe Trotz zu befürchten hat; der Odem jener war Zephyr, der schnaubende Trotz des Heutigen ist ein Taifun!

Und in diesem Wettersturm trat ein Werk zutage, das in seiner Stoßkraft tatsächlich Unerhörtes leistet; dem wir also mit der Achtung zu begegnen haben, welche jeder Elementarkraft gebührt, sei sie gerichtet wie sie wolle. Es heißt: »Entwelschung – Verdeutschungswörterbuch«; ein tosender Widerspruch, in sich selbst widerspruchsvoll, ausgerüstet mit den Waffen einer Heilsschrift und den Werkzeugen des Hexenhammers; der alte Hexenhammer, Malleus maleficarum, hatte zwei Verfasser: Sprenger und Institor. Der Urheber des neuen ist Sprenger und Institor zugleich; er sprengt die Brücken zwischen Deutsch und Welsch als ein Institor eloquentiae, was nach Quintilian soviel bedeutet wie Austräger der Wortkunst.

Ich denke von solchem Titel nicht gering; und obschon ich viele der zu Unrecht verklagten maleficarum ins Herz geschlossen habe, muß ich doch gestehen, daß Meister Institor, eben unser Engel, den Prozeß gegen sie mit fabelhaftem Geschick führt. Zunächst widerlegt sein Buch die alte Weisheit des Rabbi Ben Akiba: ein spannendes Wörterbuch, – das ist wirklich noch nicht dagewesen!

So viele ihrer auch existieren mögen, haften sie doch, die andern alle, an der Langweiligkeit der Buchstabenfolge, haspeln sie sich mit selbstverständlichem Gleichmaß am alphabetischen Leitseil vom trocknen A zum dürren Z; – Engels Fremdwörterbuch kämpft! es beißt sich durch 15 000 Worte hindurch, und ein Blutbad bezeichnet den Weg. In keinem Ritterroman der Welt gibt es soviele Leichen wie in diesem Buche.

Räumen wir es getrost ein, daß mehrere Tausende der dahingemetzelten Welschworte kein besseres Schicksal verdienten. Sie verbluteten sich zu Ehren eines Temperamentes und einer Begabung. Denn auch das muß anerkannt werden: Engel ist wirklich ein Verdeutschungskünstler ersten Ranges und wird als solcher vielleicht dereinst neben Zesen, Opitz und Campe genannt werden. Eine große Anzahl der auf seine Rechnung kommenden neuen Deutschworte wollen wir nicht wieder verlieren; nämlich als bereichernde Zutaten, nicht aber als Mittel zu einer Zwangsveräußerung erworbenen Sprachgutes.

Und da meldet sich schon wieder eine Unstimmigkeit: Dieses Buch mit seiner deutschfördernden Absicht und seinen zahlreichen gelungenen Deutschformungen ist zugleich der stärkste Beweis gegen die Grundüberzeugung des Vorkämpfers. Würde restlos in Sprachübung übergeführt, was das Buch fordert, so wäre das Ergebnis ein deutschklingender Jargon, ausreichend zur oberflächlichen Verständigung, aber unfähig, geistige Feinheiten zu erfassen. Dieses volkstümliche, völkische, vielfach auch verrüpelte Deutsch wäre fortan nicht nur entwelscht, sondern auch entbildet.

Nehmen wir Stichproben, vorwiegend in Ausdrücken, die an anderen Stellen meiner Schrift nicht ausführlicher behandelt werden. Vergegenwärtigen wir uns dabei die Behauptung, daß alles übersetzbar sei, daß »jedes fremde, nicht vollkommen eingedeutschte Wort sprachwidrig, gemein, unkünstlerisch, unvölkisch, würdelos klinge«! Einige Erläuterungen werden bei gewissen Stichproben nicht überflüssig erscheinen. Wo ich sie unterdrücke, wird sich der Leser, wie zu hoffen, selbst den geeigneten Vers dazu machen.

Orient: Ost, = land, = welt (A. von Humboldt), Morgenland.

Diese Ausdrücke waren Goethe bekannt und geläufig. Warum schrieb er:

Wer sich selbst und andre kennt,
Wird auch hier erkennen:
Orient und Occident
Sind nicht mehr zu trennen.
– – –
Gottes ist der Orient!
Gottes ist der Occident!

klang ihm das nicht sprachwidrig und gemein? klingt es unseren Ohren unkünstlerisch und würdelos? Ach, hier steckt wohl noch ein Geheimnis, und das will ich dem Doctor Angelicus verraten, ihm, der immer nur bis zum Vorletzten oder Drittletzten dringt, aber niemals bis zum Letzten. Im Grunde steckt nämlich hier sol oriens, die aufgehende Sonne, die als Gottheit mitklingen soll im Ausdruck. Im klassischen Latein ist oriens vollkommen gleichbedeutend mit Sonnengott, Tagesgott; diese Beziehung festzuhalten mag dem Unvölkischen von Weimar wohl wesentlicher erschienen sein, als einen Reim auf Ost oder Morgenland zu finden. Und diese Beziehung schwingt noch heute hinüber in den Worten sich orientieren, Orientierung, selbst in dem Wort Neuorientierung, das dem Professor Engel so unsagbar albern erscheint. War es doch wesentlich dieser Ausdruck, der ihm den Aufenthalt in Spree-Athen vergällte und ihn veranlaßte, sich in Bornim bei Potsdam anzusiedeln, wo so fatale Anklänge an den klassischen Schund die Rede nicht verunzieren. Heißt es doch nunmehr in jenem Wörterbuch bei

orientieren: . . . sich zurechtfinden, = einstellen, . . . morgenländern (scherzhaft feldgrau, das ernst zu werden verdient).

Daß es dem Entwelscher selbst mit solchen komisch gemeinten und nur im Ulk zu verstehenden Ausdrücken völlig ernst ist, ersehen wir aus zahllosen Empfehlungen; wir finden z. B. beim Lehnwort

Torpedo: Zwiebelfisch (fg. = feldgrau),

nichts weiter; nicht einmal den Versuch, den unter Wasser wirkenden Sprengkörper irgendwie mit dem Torpedo der Zoologie, dem Zitterrochen, in Sprachvergleich zu setzen. Wir haben nunmehr die Wahl, Zwiebelfisch als den allein gültigen Ausdruck hinzunehmen oder Torpedo als eingedeutscht zu betrachten; dann aber wollen wir den nämlichen Vorzug auch tausend anderen Fremdworten zusprechen, gegen welche der Vorläufer anstürmt; z. B. der

Explosion: Entladung, Schuß, Spreng-, Zündschlag . . . Lospuff, Schlagwetter; Plotze (neu). – Warum nicht: Die Sprenge?

Dieser Gewissensfrage diene zur Antwort: Weil »Explosion« in allen fünf Erdteilen verstanden wird, »Die Sprenge« aber nur in Bornim bei Potsdam.

Funktion (17. Jahrhundert; Schwammwort): Aufgabe, Amt, Dienst, Obliegenheit, Geschäft, Betätigung, Befugnis, Verpflichtung . . .

und noch mehr als 20 andere Verdeutschungen; alle gut, richtig und an geeigneter Stelle brauchbar; und nicht eine einzige, die dem wissenschaftlichen Begriff der Funktion gerecht wird. Nur von Amt und Leistung ist die Rede, nicht von der Verknüpfung veränderlicher Größen, die heute eine Grundform gebildeten Denkens darstellt. Mehr und mehr verdrängt die Funktion, die funktionelle Abhängigkeit, den alten Kausalbegriff, indem sie über die Klüfte zwischen Ursache und Wirkung, Grund und Folge betretbare Brücken schlägt. Die Funktionsarbeit der strengen Wissenschaft ist heute schon jedem Schreiber dienstbar, der nicht bloß berichten, sondern Zusammenhänge darstellen will. Und wo ist dafür die Übersetzung? sie steht nicht da, kann nicht aufkommen, weil man zuvor die Funktion aus der Wissenschaft herausreißen müßte. Und das kann selbst Er nicht, der Allwelschzermalmer; messe er sich mit Roethe, Sombart, Lamprecht, Wilamowitz, Simmel, aber pralle er zurück vor Leibniz, Johann Bernoulli und der nachgeborenen Phalanx der Algebra-Meister, die das Wort schirmen.

Algebra? brauchen wir das Wort überhaupt? Ich halte es für unentbehrlich, selbst dort, wo nicht nur von algebraischen Dingen geredet wird, also im übertragenen Sinne als den höchsten Ausdruck für alles in Gleichungen Vorstellbare. Und zu meiner Freude finde ich in besagtem Wörterbuch:

Algebra: Buchstabenrechnung, Zeichenrechnung;

kurz und bündig. Aber wenigstens das Wort ist vorhanden. Es steht da in nackter Selbstherrlichkeit. Denn die beiden Übersetzungen sind nichtssagend, da die Buchstaben- und Zeichenrechnung nur Hilfsmittel der Algebra sind. Es ist ungefähr so, als wollte man Maschinentechnik durch Hebekran, Physik durch Luftpumpe, Chemie durch Glaubersalz verdeutschen. Gewiß, diese Hilfsworte gehören dazu, aber sie deuten nur an, sie erschöpfen nicht. Findet man etwa den Vergleich übertrieben, so lese man im Wörterbuch:

Kollodium: Schießbaumwolle;

woraus der Chemiker ein vereinfachtes Verfahren lernen kann.

Infinitiv: Nennform, Akkusativ: Wenfall, vierter Fall;

Ist das nötig, deutlich, bringt es frisches Sprachgut, dem gegenüber wir die Altworte als Bestandteile einer Ekel- und Schwindelsprache zu verwerfen haben? Engel hat hier nichts neues erfunden, nur Zweckwidriges weitergegeben und mit seinem Ansehen gedeckt. Der Infinitiv ist nicht die Nennform, sondern eine unter vielen Nennformen, die substantivisch gewordene Nennform des Zeitwortes. Das Wichtigste am Infinitiv, das Verbale, fällt auf der Übersetzungsfähre über die Kante ins Wasser. Johannes Scherr hat den Gemahl der Luise nach seiner abgerissenen Redeweise sehr witzig den »König Infinitiv« genannt. Scherr war als Geschichtsmensch natürlich ein widerlicher Welscher; er hätte den Monarchen »König Nennform« benamsen sollen; das wäre zwar nicht geistreich, vielmehr blödsinnig gewesen, aber vor dem Richterstuhl des Gestrengen hätte Scherr eine bessere Note bekommen.

Zum Glück bleibt der Humor beim Akkusativ erhalten. Der »Wenfall« und seine fallenden Genossen haben mich schon seit längerer Zeit als Köstlichkeiten des völkischen Ziergartens angeblickt. Sie entstehen aus dem Wenfall wie die grammatischen Formen in einem niedlichen Galgengedicht von Christian Morgenstern. Der läßt einen Werwolf von einem toten Schulmeister abwandeln:

»Der Werwolf« – sprach der gute Mann –:
»Des Weswolfs«, Genitiv sodann,
»Dem Wemwolf«, Dativ, wie man's nennt,
»Den Wenwolf«, – damit hat's ein End'.

Der lebende Schulmeister wird mir vorhalten, daß Wolf und Fall nicht dasselbe ist. Ich entgegne ihm, daß auch zwischen Deklination und Konjugation ein Unterschied besteht, den er auswischt:

Deklinieren: beugen,
Konjugieren: abwandeln, biegen, beugen,

und solchen verallgemeinernden und unscharfen Gleichsetzungen begegnen wir zu Hunderten. Wo bleibt da der Vorsatz, die »Schwammworte« loszuwerden? Interesse – »das formelhafteste aller welschen Schwammwörter«; seine Ableitungen – »eine Wortschwammsippe«; Element – »schwammiges Allerweltswort«; Pathos – »Schwammwort der ›Ästheten‹ für alles Mögliche«; Privat – »echtes Schwammwort«, Idee – »schwammiges Allerweltswort«, usw. ins Unabsehbare. Also Krieg allen weitmaschigen, vielporigen Worten! Nur daß sich im Kriegsplan selbst falsche Voraussetzungen und falsche Folgerungen verfilzen. Alles weitgespannte ist Schwamm gegen alles begrenzte. Welt ist Schwamm gegen Kristall, Pflanze Schwamm gegen Lilie, Kultur Schwamm gegen Pflug, Zahl Schwamm gegen Einzelzahl. Will er die Schwämme auch im Deutschen abschaffen? dann adjö Sprache überhaupt. Oder bloß die fremdländischen? dann zeige er mir die Schärfe in der Übersetzung. Im vorgenannten Fall sind Deklinieren und Konjugieren die schärferen Ausdrücke, biegen und beugen die loseren; aber sie werden zum Schwammdienst gepreßt, damit doch nur eine Übersetzung zustande kommt. Für den Schwamm »Interesse« werden sieben- oder neunhundert Einzel-Ersätze geboten. Das ist sprachlicher Sportbetrieb, aber keine Sprachförderung. Wo neunhundert passen sollen, paßt ganz selbstverständlich nicht ein einziger. Es wird immerfort nur aufgedröselt, nicht erfaßt. Es geht immer ums Zuviel oder ums Zuwenig, wobei der unausgleichbare Überschuß abwechselnd links beim Weltwort liegt oder rechts beim Heimwort. So werden auf jeder Seite künstliche Schwammplantagen gezüchtet:

      Tenor       Hochstimme
Sopran Hochstimme
Diskant Hochstimme

Wo sitzt der Schwamm? links oder rechts an der Wand?

      Sanguinisch       heißblütig
Cholerisch heißblütig
Technik Fertigkeit
Virtuosität Fertigkeit
Bravour Fertigkeit
Routine Fertigkeit
Rokoko Schnörkelstil
Barockstil Schnörkelstil
Fiktion Unterstellung, Annahme

begrifflich grundverschieden von

      Hypothese       Unterstellung, Annahme
Travestie Verulkdichtung
Parodie Verulkdichtung
Gigantisch riesig
Immens riesig
Pyramidal riesig
Herkulisch riesig
Enorm riesig
Kyklopisch riesig
Homolog entsprechend
Adäquat entsprechend
Konform entsprechend
Kongruent entsprechend
Analog entsprechend

und so in beliebiger Auswahl, natürlich mit anderen Ausdrücken daneben, die sich wiederum in großer Zahl wiederholen. Wer Lust und Zeit hat, die Rechnung durchzuführen, der würde feststellen, daß sich die Schwämme hüben und drüben zu Null aufheben, somit die ganze Theorie als das erkennen, was sie wirklich ist: eine Blenderei.

Eine ansehnliche Hilfe ist dem Vorkämpfer aus der Feldgrau-Sprache erwachsen. Zudem richtete sich vor dem Doctor Angelicus das Vorbild des Doctor Luther auf, mit seinem unsterblichen Befehl: . . . »man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen, so verstehen sie es denn und merken, daß man deutsch mit ihnen redet!« Aber der Sprachreformer von heute geht in seiner unfehlbaren Einseitigkeit mit dem Prinzip durch, überrennt alle literarischen Bedenken und wird aus lauter Volksverständlichkeit zu einem begeisterten Anwalt des Jargon.

Was in schwerer Zeit aus Gefahr und Anstrengung, aus Blut und Morast als humoristische Blüte entkeimte, bleibe Eigentum der Truppe. Kräftig und urwüchsig klingt es, wenn im Schützengraben-Deutsch der Ballon umgetauft wird zu Wasserblase, Preßkopf, graue Leberwurst, Himmelswurst, Strohsack, Luftgurke, Schwartemagen. Das soll man in besonderen Schatzkästlein buchen, nicht aber als Sprachmuster in der Richtlinie der Entwelschung ausgeben. Engel indes macht auch hier ganze Arbeit, und wo die Feinkunst des Verdeutschers reden sollte, läßt er die Sprachgewalt der Handgranaten böllern. Dafür zwei unverkürzte Stichproben:

Artillerist: (fg) Bumskopf, Bombenschmeißer, Bimser (österreichisch) = Pulversack.
Infanterie: (17. Jahrh.) Fußvolk (Fachausdruck z. B. 1917 Ausbildungsvorschriften (früher Exerzierreglement) für das F., = truppe; (fg): Fußlappen, Sandhase, -laatscher, Stoppelhopser, Dreckstampfer, Kilometerschwein,

in einem Wörterbuch, das nach seinem Vorspruch auf Seite eins den Schreiber zu »reiner edler Ausdrucksform« emporzuläutern verspricht!

Er kann aber auch anders, der in sich so Widerspruchsvolle, und das beste kann er, wo er nicht dem gemeinen Mann aufs Maul sieht, sondern selbst daran geht, Neuworte zu formen. Fehlschläge, Entgleisungen, unbeabsichtigte Drolligkeiten ereignen sich dabei oft genug, und manches Gebilde zerbricht ihm unter der Hand, wenn er mit dem Grobschmiedehammer dreinfährt, wo Filigranarbeit zu leisten ist. Zum Glück kann auch der Temperamentvollste nicht durch 15 000 Artikel in Weißglut des Zornes verharren. Und in Pausen der Abkühlung verschwindet der Berserker, um den Künstler ans Werk zu lassen.

Ich kann und mag nicht untersuchen, ob nachstehende Wortbildungen sämtlich auf seine Rechnung kommen. Viele gehören ihm sicherlich, und wäre es auch nur ein einziges, so würde das genügen, um uns zu einem Preislied für seine Erfindung zu stimmen. Denn es gibt nichts selteneres als ein neues, brauchbares, wohlgeformtes Wort. Es stellt einen Gewinn der Sprache dar, so zu verstehen, daß wir uns des Zuwachses freuen, ohne auf den Altbesitz zu verzichten. Auf die Mehrung kommt es an, nicht auf die Beseitigung. Als Bereicherung seien genannt: bei differenzieren: feingliedern; bei Induktion: Stufenbeweis; bei aktuell: zeitwirksam; bei Panik: Schreckflucht; bei Frondeur: Stürzer; bei Boudoir: das Trautzimmer, die Lausche; bei appetitlich: mundwässernd; bei korrekt: fadengrade; bei Emanzipation: Entjochung; bei fraternisieren: brüderschafteln; bei arrogant: dünkelfrech; bei ironisch: hohnwitzig; bei Facette: Schliffraute; bei hygroskopisch: feuchtempfänglich; bei Falsifikat: das Gefälsch; bei Phantasie: Innenschöpfung; bei Futurist: Zukunftspinsler; bei Feminismus: Weibserei; bei Schikane: Argwille; bei Esprit: Sprühgeist; bei Tautologie: Wortgedoppel; und wenn Engel für Sauce Soubise vorschlägt: Roßbach-Soße, so können wir gleich in Nutzanwendung jener Neuworte den Ersatz als Erzeugnis eines »hohnwitzigen Sprühgeistes« bezeichnen.

Zahlreiche Proben stehen auf der Grenze zwischen Scharfsinn und Schrulle; so bei Optiker »der Briller«, der hier zuerst als befremdender, aber nicht ganz aussichtsloser Gast auftritt; da ja auch vereinzelte Ingenieure angefangen haben, sich »Ingner« zu nennen. »Hundrig« sollen wir sagen statt des rackerlateinischen prozentual. Wird sich's durchsetzen? Ich wage zu zweifeln, denn selbst im Rackerlatein kommt man bei centum eher auf Hundert als auf den Hund. Die »Monade« soll verschwinden, um dem »Einchen« Platz zu machen. Das klingt sehr reizend und eröffnet Ausblicke auf eine verniedlichende Wissenschaft, in der Atome bereits als »die Etwase« vorgemerkt sind.

Auf Engels Rechnung kommen sicherlich auch die prächtigen Schlagworte, die über seinem ganzen Werk als die klangfarbigen Obertöne schweben: »Kunstschmockwort, Heimpariserei, Stallknechtenglisch, Leierkastenitalienisch, Wissenschaftelei, Berlinfranzösisch, Blödlingswort, Engländernde Affenschande, Schwammverwandt, Neumodische Schmockerei usw.«; oft und gründlich mißbraucht, wenn ihm der Rotkoller des Amokläufers zu Kopf steigt, sind sie doch Eigenprägung, trutzige Wahrzeichen seines Stils und seiner Persönlichkeit. Er fühlt sich im Recht, und er hat auch bisweilen Recht auf gewissem nicht allzuweitem Gebiet der Selbstverständlichkeit, wo der Purist gute und lohnende Arbeit zu leisten vermag. Beschränkt er sich auf dieses Gebiet, ohne sich und uns sein Wirken als eine Reformation an Haupt und Gliedern der deutschen Sprache aufzureden, so soll er uns willkommen sein.

Ich habe es in vorliegender Schrift nicht für notwendig gehalten, dieses Feld besonders zu beackern; weil es mir widerstrebt, Selbstverständlichkeiten zu beweisen oder auch nur ausführlich zu erörtern. Aber im Zuge dieses Kapitels mag es hingestellt werden, daß die landläufige Rede und Schreibe viel Entbehrliches und manches Schädliche aufgenommen hatte, Fremdbrocken, die ohne Verlust für das Große und Ganze abgestoßen werden können. Ein Wort wie Perron wäre uns nicht zum Verhängnis geworden, und das Wort Bahnsteig beglückt uns nicht. Aber es lohnt nicht, darum zu streiten. Mit rekommandiert und poste restante kommt man in der Welt weiter, als mit eingeschrieben und postlagernd, Portier ist weltverständlicher als Pförtner, aber es kostet mich keine Überwindung, rekommandiert, poste restante und Portier als Entbehrlichkeiten anzuerkennen; und ich kann mich in ein Amtsgewissen hineindenken, dem sie als schädlich erscheinen. Nur daß die Frage, ob so oder so, nicht in das höhere Schrifttum hinüberreicht. Daß mit Fremdwörtern in übermäßiger Häufung und verkehrter Verwendung gesündigt werden kann, braucht nicht erst bewiesen zu werden; ebensowenig, daß die ärgsten Sünder ebensooft beim Frevel mit Deutschworten ertappt werden können. Beim sinnlosen Kauderwelscher liegt die Sinnlosigkeit durchaus nicht nur im Vokabular; entzieht es ihm, trichtert ihm dafür ein blitzsauberes ein, an seiner Sinnlosigkeit wird sich nichts ändern.

Gibt es überhaupt so ein ganz sauberes Vokabular? ich glaube, kein Mensch vermag es aufzustellen, auch nicht der Großreformator. Er bleibt von Lehnwörtern abhängig, deren Güte und Gültigkeit bestritten wird, vom wechselnden Grade der »Eingedeutschtheit«, ja er selbst erliegt nicht selten mitten in der besten Deutscharbeit den fremdländischen Sirenenklängen.

In seinem Wörterbuch steht »preziös« dreizehnmal übersetzt, wird damit als entbehrlich nachgewiesen. Er selbst aber spricht und schreibt »preziös« an entscheidender Stelle und zeigt es dadurch als unentbehrlich. Er wettert gegen die berühmte Erklärung der Einundvierzig in Sachen der Sprachvereine und ballt seinen ganzen Zorn gegen den Hauptmann jener Erklärung in die Worte zusammen: Verfaßt war sie von Erich Schmidt,

einem hochgeschätzten Gelehrten, zugleich aber einem Schriftsteller mit dem allerschlechtesten Stil, dem preziös verschnörkelten.

Recht so! aber wenn am wichtigsten Punkte plötzlich das eine Welschwort als unvermeidlich, einzigbrauchbar hervortritt, weshalb soll ich dann nicht den Beweis Engel contra Engel bei tausend anderen vermeintlich überflüssigen Worten verwerten? Und wenn in der nämlichen, zornsprühenden Abhandlung der auf jeder Zeile welschende Bismarck als einer der »sprachreinsten Schriftsteller« ausgerufen wird, weshalb werden mir dann die Einzelworte aus Bismarcks Vokabular als Zeichen der Sprachbarbarei, der Verluderung, der Verschmuddelung, ja des Gemauschels verfemt?

Jene Erklärung der Einundvierzig in den Preußischen Jahrbüchern von 1889, ein Seitenstück zum Protest der Göttinger Sieben, gehört längst der Geschichte an, kann aber bei Sprachgefahr wieder lebendig und zeitwirksam werden. Ihr eindringlicher Schluß lautet:

Sie kennen und wollen keine Reichssprachämter und Reichssprachmeister mit der Autorität zu bestimmen, was Rechtens sei. Unsere durch die Freiheit gedeihende Sprache hat nach jeder Hochflut von Fremdwörtern allmählich das ihrem Geist Fremde wieder ausgeschieden, aber die Wortbilder neuer Begriffe als bereichernden Gewinn festgehalten. Darin soll sie nicht verarmen.

Den maßvollen Satzungen des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins laufen zahlreiche Beiträge in den Vereinsorganen und der übergroße Eifer vieler Vertreter zuwider, welche das Heil der Sprache im Vernichtungskriege gegen das Fremdwort suchen und durch sprach- und sinnwidrige Schnellprägung von Ersatzwörtern Schaden anrichten und Unwillen herausfordern.

Die Unterzeichneten wollen in diesen Fragen da stehen, wo die freien Meister der Sprache, unsere Klassiker standen. Darum verwahren sie sich gegen die Anrufung staatlicher Autorität und gegen die bestehende Geschäftigkeit der Puristen, die nach Jakob Grimms Wort an der Oberfläche der Sprache herumreuten und wühlen.

Zu den Unterzeichnern gehörten: Gustav Freytag, Fontane, Paul Heyse, Hopfen, Jordan, Spielhagen, Wildenbruch, Curtius, Gneist, Haeckel, Harnack, Mommsen, Schmoller, Delbrück, Sybel, Virchow, Wilamowitz, Zeller, – und ungeschrieben neben ihren Namen, aber doch für Geisteraugen erkennbar, stehen Schiller, Goethe, Herder, Wieland, stehen Schopenhauer, Nietzsche und Vischer, steht Bismarck, der nicht besonders zu unterschreiben brauchte, was in der Sprachfülle seines ganzen Lebens längst unterschrieben war.

Aber unser Vorkämpfer hadert noch heute mit den Unterzeichnern. In seiner Stilkunst rückt er ihnen die »Dreistigkeit« vor, sich für die ärgsten eigenen Sprachsünden auf unsere Klassiker zu berufen und sich ausdrücklich auf deren Seite zu stellen. Wo standen denn diese Klassiker? fragt Engel: »Mitten im 18. Jahrhundert, der deutschen Franzosenzeit unserer Sprache.« Eine Gegenfrage, Meister Angelicus: wann schrieb wohl Goethe sein Abwehrgedicht gegen die hundert Sprachtyrannen? mitten im 18. Jahrhundert? und da wußte er schon von Napoleon auf Helena? ahnte aber nicht das Muster der Sprachreinheit in Fichtes Reden von 1808? Seltsame Verknotung der geschichtlichen Folgen; da werden wir wohl umlernen müssen!

Mir will es übrigens scheinen, daß der Sprachverein seit den Zeiten jener Erklärung seine eigenen Wege gegangen ist, mit Vorsätzen, die sich von denen des Kämpen Engel merklich unterscheiden. Nach mancherlei Irrungen und Wirrungen hat sich der Verein zu Methoden emporgeläutert, denen wir zwar Vorbehalte, aber nicht mehr unbedingte Ablehnung entgegenstellen dürfen. Er ist eine Macht geworden, mit der wir zu rechnen haben, und er konnte diese Machtstellung nur dadurch erringen, daß er nicht bloß verbot und einschränkte, sondern auch bereicherte.

Traten ehedem offen oder versteckt Strebungen hervor, die auf Strafparagraphen abzielten und die freien Schriftsteller früher oder später unter Staatsaufsicht und Kuratel gestellt hätten, so hat sich allmählich ein freies Spiel der Kräfte mit vielfach ersprießlichen Ergebnissen entwickelt. Diese hat ihre Bedeutung für die Gegenwart, für weitere Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte, denen es obliegt, die Nationalkultur des Deutschen zu vollenden. In der sehr fernen Zukunft unsrer Sprache, deren Feld die Welt sein wird, müssen Kräfte zum Ausdruck kommen, die von Vereins wegen nicht zu berechnen sind und außerhalb aller Satzungen wirken. Aber bis zur Morgendämmerung dieser fernen Zukunft, im Gehege des Einstweiligen, mag noch viel vereinsrührige, gärtnerische Arbeit notwendig sein, in Beseitigung von Unkraut und in Züchtung sprachlicher Blumen. Das Feld dieser Arbeit ist nicht die Welt, sondern die Heimat, und es reicht bis zu den Abhängen des deutschen Parnaß; nicht in dessen Schroffen oder gar bis zur Bergspitze. Die Wenigen, die mit ihrer Kunst- und Wissenschaftssprache den Gipfel erreichen wollen, finden ihn ohne Vereinshilfe, brauchen keinen Führer und sind schon dankbar, wenn ihnen auf dem Wege durch Verordnungen und Bevormundungen keine Stacheldrähte gespannt werden. Der Vorkämpfer mag noch so oft versichern, daß derartige Maßnahmen ihm fernlägen, – das Werkzeug in seinen Händen deutet auf Zwang; seine Schriften sind stacheldrähtig und harren nur der Gelegenheit, um den freien Könnern beim Vorwärtsschreiten ins Fleisch zu stechen.

Die mit stetig erhöhter Umsicht verwaltete Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins legt es nicht mehr darauf an, die Mommsen und Heyse von heute in Notwehr zu drängen. Sie hält Abstand; sie untersucht, vergleicht, erörtert, stellt zahlreiche interessante Angelegenheiten zur öffentlichen Aussprache, erledigt nicht alles mit Ja und Nein und gebärdet sich nicht als letzte Instanz. Der Vorkämpfer entscheidet, unfehlbar, rechtsgültig und mit rückwirkender Kraft. Als Rex tremendae majestatis schreitet er einher, mit Sprühfeuer im Blick, vor dem der freie Schriftsteller zusammensinken soll mit dem bangen Ruf: »quid sum miser tunc dicturus?« Jeder Tag ein dies irae!

Trösten wir uns damit, daß wir in dem Strudel der Verdammten gute Gesellschaft antreffen werden, die beste, die wir uns wünschen können: die Ritterschaft der Ganzgroßen sitzt dort fast vollzählig. Das Schmoren in der Hölle der Auserwählten mag immer noch erträglicher sein, als das ewige Psalmensingen im Paradies der Sprachheiligen. Und vielleicht erleben wir dort noch, daß unser Angelicus selbst eines Tages hereinspaziert kommt, um die fürtreffliche Gesellschaft der Edelsünder zu vervollständigen.

Denn über jeden Ultra kommt immer noch ein Über-Ultra, und kein Großinquisitor ist vor dem Größtinquisitor sicher. Der mag sich zum stürmischen Engel etwa verhalten, wie dieser zu dem besonnenen und wundermilden Weisen Sarrazin. Dieser, noch nicht vorhandene, Größtinquisitor wird da einsetzen, wo Engel aufgehört hat und zunächst einmal diesen selbst der Welscherei überführen.

Was wir ihm heut als Vorzug anrechnen, wird dann Todfrevel geworden sein. Engel schreibt tatsächlich: Konfusion, Stilasthmatiker, Rhythmus, Phrase, Zitätlein, Tragödie, Parabel, Humor, Ironie, Rebus, stilistisch, Genie, preziös hin und preziös her, er wirkte für »Zonentarif«, er schuf sogar zur Kennzeichnung des Bahnbürokraten das welschlateinische Neuwort »rabies complicatoria«, er hat auf den Titeln seiner Werke »Literatur«, »Stil« stehen lassen –, fort mit diesen Lehnwörtern, fort mit ihren Verwendern, wir müssen den Engel überwinden; er ist uns nicht völkisch genug –, so wird der Größtinquisitor urteilen.

Quid est miser tunc dicturus, was wird er sagen, wenn der Schärfere über den Scharfen kommt? O, ich wüßte für ihn eine glänzende Verteidigungsrede, er braucht nur zu wiederholen, was ein großer Kampfmeister unserer Tage ausgesprochen hat:

»Um Himmelswillen keine bloße Schulmeisterei in Fragen der Sprache und des Stils! . . . Gemeinsam ist allen Sprachmeistern die Blindheit gegen das ewig fließende, ewig sich wandelnde Leben der Sprache im Munde lebendiger redender Menschen . . . Wieviel Schaden durch solche Splitterrichterei gestiftet wird, wie diese gerade die einflußreichsten Schriftsteller erbittert und verstockt, das ahnen die Sprachbenörgler nicht, obschon ihnen die Beispiele aus unserer Literaturgeschichte bekannt sein müßten.«

Wuchtige Sätze! – woher wohl? aus der »Deutschen Stilkunst« des nämlichen Proteus Engel, der hier den ewig fließenden Strom der Sprache rauschen hört, dort ganz genau die Kanäle anweist, in denen sie zu fließen hat.

*

Den stärksten Trumpf hat Engel mit seinem Werk »Deutsche Sprachschöpfer« hingeworfen, und man muß ihm zugeben, daß er hier mit meisterlichem Geschick alle Kräfte der Überrumpelung spielen läßt. Er steht in diesem Buche auf ganz gesichertem Wissensgrund, und man soll ihm dahin folgen, um eine Menge von Tatsachen kennen zu lernen, die in diesem scheinbar zwingenden Zusammenhang noch nirgends geboten worden sind. Wer dem gegenüber nicht die in noch tieferer Bildung verankerte Überzeugung aufzubringen hat, wird die Waffen strecken müssen.

Dieses Buch liefert einen erneuten Beweis dafür, daß man aus ganz richtigen Voraussetzungen durch scheinrichtige Schlüsse zu ganz falschen Ergebnissen gelangen kann. Scheinrichtig sind die Schlüsse deshalb, weil sie zwar Wahrheit, aber nicht die volle Wahrheit erfassen. Sie verfehlen die Wahrheiten, die außerhalb eines engbegrenzten Horizontes liegen. Auch die blitzende Begeisterung, mit der sie vorgetragen werden, sind hier die Anzeichen einer Engnis, vergleichbar den Spannungszuständen auf einer elektrischen Fläche. Die elektrische Spannung wächst, je mehr sich die Oberfläche verengt. Bei Engel erreicht sie einen Höchstgrad der Wucht, allein man darf nicht vergessen, daß diese auf Überzeugung gestellte Stärke von der Kleinheit der Oberfläche abhängig bleibt, auf der er operiert. Und so behält er im kleinen Recht, während ihm das andere, größere, wichtigere Beweisfeld gar nicht zum Bewußtsein kommt.

Soeben schrieb ich die Ausdrücke »Oberfläche« und »Bewußtsein«, und der Gegenpart wird nicht verfehlen, mich darauf festzunageln. Denn beide zum besten deutschen Sprachgut gehörigen Wörter sind einmal von bestimmten Wortformern zur Verdrängung fremdländischer Ausdrücke erfunden worden, und aus dem Buche »Sprachschöpfer« kann man lernen, daß diese Erfindungen hoch in die Hunderte, vielleicht bis ins zweite Tausend gehen. Das Wort »Oberfläche«, statt superficies, stammt aus dem Jahre 1648, Philipp von Zesen ist sein Erzeuger, es erscheint uns heute kerndeutsch, und man würde es zum ältesten Sprachbestand rechnen, wenn man nicht wüßte oder aus der vorliegenden Quelle erführe, wie sich die Sache wirklich verhält. Neben Zesen treten als Neuschöpfer auf: Schottel, Opitz, Harsdörfer, vor allem Campe, dazu einige Ganzgroße des Schrifttums, Luther, Lessing, Goethe, Wieland usw., wobei schon im ersten Anlauf ein besonderer Umstand stutzig machen müßte: daß nämlich das sprachschöpferische Genie der Neuformung ganz überwiegend bei den Männern getroffen wird, die sonst als Zierden der Literatur kaum in Betracht kommen;Bei Campe verrät sich die Weite des geistigen Horizontes durch seinen Ausspruch: Er hätte lieber die Braunschweiger Mumme erfinden mögen, als sämtliche Tragödien von Äschylos bis auf Shakespeare. des weiteren der Umstand, daß dieses Neuformungsgenie mehr und mehr ausstirbt und heutzutage trotz zahlloser Versuche zur Neuwortbildung sich in keiner hervorragenden Persönlichkeit des Schrifttums klar zu erkennen gibt.

Aber sie waren doch vorhanden, und Engels Buch gibt in einem auf bewunderungswerten Studien errichteten Register die genaue Aufstellung ihrer Leistungen. Gar nicht zu leugnen: damit hat sich der Vorkämpfer eine Treppe gebaut, die von unten gesehen bis in die Unsterblichkeit hinaufreicht.

Es ist jedoch zu unterscheiden zwischen der sprachwissenschaftlichen Arbeit, die ich als großartig anerkenne, und dem Beweis, der darauf gegründet werden soll. Dieser Beweis bleibt Null, ja man kann sogar behaupten, daß er das Gegenteil dessen beweist, was er darzutun unternimmt.

Denn es handelt sich gar nicht darum, zu untersuchen, ob irgend eine Menge von Fremdbrocken durch gut Neudeutsch ersetzt werden kann oder muß, sondern darum, ob das Gesamt-Ausdrucksmittel unserer Sprache durch solche Übung gewinnt oder verliert. Was sich dabei herausstellt, ist nur das eine: daß jede Bereicherung durch ein gutes neues Deutschwort als preiswerter und festzuhaltender Gewinn zu gelten hat –, daß aber die Sprache an sich tausendmal mehr anderer Gewinne bedarf, die nicht in dieser Linie liegen und die uns abgesperrt werden, wenn man diese Linie als die alleingültige eigensinnig verfolgt.

Hochgerechnet bleiben in jenem Register zwei- bis dreihundert Wörter bestehen, die als wirklicher, restloser Ersatz der entsprechenden Fremd- oder Internationalformen auftreten können. Das ist immer noch sehr erheblich, sehr ermutigend zu weiteren Anstrengungen, aber doch verschwindend im Verhältnis zu den hunderttausenden von Ausdrücken, die der Sprache noch fehlen und die sie wird erobern müssen, um im Wettbewerb mit den Gedanken durchzuhalten. Und was die Restlosigkeit der Lösung betrifft, so hapert es damit bedenklich, selbst bei vielen Musterbeispielen, etwa bei der von Goethe geformten »Auflebung« für Renaissance. Lassen wir den erlaubten Anspruch des Deutschwortes ganz außer Betracht, so wird man es getrost anwenden können, wo sich kein Gegengrund erhebt, und wir haben dann ein schönes Deutschwort mehr, also sicherlich einen Gewinn. Aber die Gegengründe sind vorhanden. Denn bei Frühauflebung, Spätauflebung, Hochauflebung tritt sofort ein physiologischer Doppelsinn hinzu, der – im Gegensatz zu Früh-, Spät- und Hochrenaissance – eine bedenkliche Unklarheit hineinträgt. Ganz abgesehen davon, daß wir, um diesen Sinn von »Auflebung« zu verstehen, zuvor erfahren müssen, daß überhaupt von Künsten und Wissenschaften die Rede ist. Weil ja auch ein einzelner Mensch, ein politisches Bekenntnis, ein Irrtum und eine verschollene Brutalität wieder aufleben kann, weil renaissance durchaus nicht gleichbedeutend mit resurrection, während die Renaissance ohne erklärende Zutat die Eindeutigkeit bewahrt. Hier besteht also der Gewinn nicht in der Verdrängung, sondern in dem Doppelt für Einfach.

Der Ausdruck »Satzbruch« (von Engel 1917 selbst erfunden) ist vortrefflich und eine Freude für jeden, der das Wort »Anakoluth« vermeiden will. Als Gegenstück bietet er den »Satzdreh« für »Inversion«. Aber macht diese an sich beifallswerte Form die »Inversion« überflüssig oder entbehrlich? Man befrage darüber die Gelehrten, die in der Kombinations- und Funktionentheorie mit »inversen« Dingen arbeiten. In jenem Register steht die Bemerkung: Uhland sagte schwäbisch: »Hinterfür.« Nun soll aber das nämliche »Hinterfür« auch die Übersetzung für »Palindrom« werden, und schon daraus folgt, daß mindestens die eine Verdeutschung auf Hinkefüßen läuft.

Die Ausdehnung eines ganzen Buches müßte man zur vollständigen Analyse des Registers in Anspruch nehmen, aber wenige Seiten würden genügen für die Aufzählung der bedingungslos gültigen Sprachschöpfungen, die Bereicherung waren und zugleich das entsprechende Auslandswort ohne Rückstand ausmerzten oder beseitigen dürften. Genannt seien nach der vorliegenden Quelle: Bildhauer für Skulptor, Brennpunkt (Harsdörfer 1651) für Focus, Menschenrecht (Schiller), Kupferstich für Gravure, Mitwirkung (Campe) für Cooperation, Mundart (Zesen, Schottel, von Campe erneuert) für Dialekt, Idiom, Lohndiener (Campe) für Lakai, Liebesbrief (Zesen) für Billet doux, Leidenschaft (Zesen) für Passion, Königtum (Wieland 1792), Kernspruch (Zesen), herkömmlich (Campe) für traditionell, Heldentum (Wieland) für Heroismus, usw.

Viele sogenannte Lehnwörter mit Fremdklang fehlen mit gutem Grunde, denn durch ihre Übersetzung wäre verraten worden, daß sie sich nicht übersetzen lassen. Wie steht es z. B. mit »Magnet«? Man hat dafür »Segelstein« oder »Nordstein« vorgeschlagen; nur daß er bis auf verschwindende Ausnahmen kein Stein ist, mit dem Segeln nur sehr oberflächlich zusammenhängt und daß seine sonstigen physikalischen Äußerungen bedeutsamer sind, als seine Einstellung in die Nordlinie. Aber viel richtiger ist es ja auch nicht, wenn uns hier statt »Pogrom« »Raubmord« und statt »Bolschewismus« »Umsturz« angeboten wird. Und soll man es für Ernst nehmen, daß unser Autor aus der erfolgreichen Umbildung Campes »Stelldichein für Rendezvous« die Berechtigung für die Neuform »Fragmichwas« statt Konversationslexikon herleitet?

Tatsächlich, durch solche sprachliche Purzelbäume wird die von ihm vertretene Sache nur kompromittiert, und das verdient sie nicht, denn sie ist vom Standpunkt der Ehrlichkeit betrachtet grundgut. Ihre Brüchigkeit wird erst klar, wenn man sie mit den scharfen Mitteln der Erkenntnis prüft, wobei dann herauskommt, daß die knappen Formeln Deutsch–Undeutsch, Freund–Feind nicht ausreichen, um das Geheimnis der Sprache aufzuspüren, geschweige denn den Grad ihrer Geltung im Weltverkehr zu fördern und ihren Gang dem Fluge der Gedanken anzupassen. Im Grunde genommen wendet sich auch das »Sprachschöpfer«-Werk seiner Absicht nach an das Gefühl der Vielzuvielen, welche die völkische Grenze mit der Sprachgrenze und die Güte des hier vorgetragenen Lehrstoffes mit der Güte der daraus abgeleiteten Forderung verwechseln. Und wenn es bei diesen Recht behält, so bleibt nur noch die Zuflucht zu einem Wort des Malebranche: »Vulgi assensus et approbatio circa materiam difficilem est certum argumentum falsitatis istius opinionis, cui assentitur –, die Zustimmung der Masse betreffs eines schwierigen Stoffes ist der sichere Beweis für die Falschheit eben der Meinung, der sie beipflichtet.« Und schwer genug ist die Materie, obschon sie in völkischen Schlagworten dargestellt so leicht aussieht. Was hier von Volkstribunen auf die Gefühlsbank geschoben wird, gehört im Kern der Angelegenheit zur Gerichtsbarkeit des Verstandes, und der »ist stets bei wenigen nur gewesen!«

Von Gottsched bis Engel, oder von Adelung bis Engel hätte dieses Kapitel heißen können, das lang geworden ist und doch viel zu kurz, um der Bedeutung des Gegenstandes gerecht zu werden. Wir haben den lebenden Vorkämpfer in den Vordergrund gestellt, als den deutlichsten Ausdruck der Spracherschütterungen, die uns umwirbeln. Faßt man diese Wirbel als eine Naturerscheinung, so wird in ihr erkennbar, was der Chemiker als »Katalyse« bezeichnet; wieder so ein verdammtes Welschwort, das sich nicht übersetzen lassen will. Es bedeutet das Auftreten oder die Beschleunigung eines Vorganges durch die bloße Gegenwart eines Körpers, welcher selbst anscheinend keine Veränderung darin erleidet. So ist Engel in den Sprachwandlungen unserer Zeit zwar nicht die größte wirkende Kraft, aber sicherlich der stärkste Katalysator. Alles gärt und explodiert um ihn, in widerstreitenden Gewalten, die, aus ganz anderm Ursprung hervorbrechend, sich an ihm entzünden. Eine Betrachtung der gegenwärtigen Bewegung kann eher an einem schöpferischen Genie vorbeisehen, als an ihm. Er ist durchaus Vordergrunds-Erscheinung und steht in der Beleuchtung ununterbrochenen Sprühfeuers. Immerhin ein fesselnder, mit nichts anderem zu vergleichender Anblick; denn wo ward es erlebt, daß eine Pedanterie mit funkelnden Reizen auftrat?

Diese Reize anzuerkennen wird auch dem ein Bedürfnis sein, der an die Notwendigkeit einer Sturmreform im Ausdruck nicht glaubt. Die deutsche Sprache ist an Haupt und Gliedern gesund. Hält sie sich nicht sauber genug? gut, so verordne man ihr kosmetische Mittel, aber nicht stündliche Purganzen, zur Blutentgiftung. Sie müßte in Entkräftung verfallen, wenn die Kritik bei diesem Verfahren beharren würde. Vergegenwärtigen wir uns dabei, daß der größte Sprachkritiker der Neuzeit, Fritz Mauthner, Wunder des Denkens und des Ausdrucks zu leisten vermochte mit Worten und Sätzen dieser so schönen, von gesunden Säften strotzenden Sprache; und warten wir ab, ob die Sturmkritiker der Folgezeit mit ihrer entwelschten, entseuchten Sprache bessere Kunstwerke zustande bringen werden.

 


 


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