Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Zweites Kapitel.

Der Geist des Schauers hielt noch eine Zeit lang die Sprache der Versammelten gefesselt. Nach einer Weile begann endlich der Graf: es ruht ein ungemeiner Zauber in Göthe's Dichtungen, selbst in seinen schwächeren Werken. Mit welcher Klarheit sich die Charaktere herauswickeln! Wie anspruchlos, lebendig und innig ist seine Sprache!

Ich muß es gestehen, versetzte Rudolph, daß ich von Clavigo, so wie überhaupt von Göthe's dramatischen Werken mich mehr abgestoßen, als angezogen fühle. In einem Trauerspiele will ich das Erhabene, das Großartige, welches hinreißt, mit einem Worte, Streben, Schuld und sühnenden Untergang eines Heldenmanns hören und sehen. Clavigo aber ist ein zu erbärmlich schwacher Mensch, als daß man Antheil an ihm und seinem Schicksale nehmen könnte; nur Beaumarchais möchte die einzige Figur sein, welche dieses abgestandene Stück etwas emporhält.

Georg rückte während dieser Rede auf dem Stuhle unruhig hin und her Kaum hielt Rudolph in seiner Rede innen, so versetzte er: eingestanden, daß Clavigo nicht zu, den größten Meisterwerken dieses Dichters gehört! so ist dennoch in diesem Stücke vielleicht das größte Kapitel aus dem Buche der Menschheit, ebensogut, wie in seinem »Faust« klar, ergreifend und überall tüchtig verhandelt.

Der Graf entgegnete lächelnd: die Beweise bleiben sie uns gewiß nicht schuldig! –

Sie liegen im Stücke, fuhr Georg fort. In Clavigo's Charakter schildert sich der Kampf eines unbestimmten Dichertalentes mit der äußeren, bestimmten, prosaischen Welt ab. Wenn ein Genius, als solcher, zum Schöpfer seiner eigenen Welt sich berufen fühlt, so muß er in seiner eigenen Schöpfung frei, gottähnlich über der niederern Außenwelt zu stehen kommen. Zu diesem Zwecks muß er sich von jedem Befangnisse, selbst der Liebe zum Weibe – insofern es das Untergehen des einen Selbstes in einem anderen ist, mit starkem Herzen losreißen. Zu dem Schaffen eines solches Genius fühlt sich Clavigo hingedrängt. Er aber ist ein Unberufener; denn das Talent allein befähigt noch nicht, den Kampf mit dem Gewöhnlichen zu wagen. Clavigo ist, wie ihn der Dichter durch Carlos schildern läßt, nichts, als unternehmend und biegsam, geistvoll und fleißig. In Maria, dem zarten Geschöpfe, mit einem liebenden und beschränkten Herzen erscheint ihm seine Musa, welche ihn zur Liebe und Poesie begeistert. In dieser Liebe beginnt er sein geistiges Leben und Schaffen. Der Beifall, welcher seinem Talente zu Theil wird, betäubt ihn, macht ihn vermessen und seiner Liebe vergessen. Für eitle Erdenzwecke – für den Hofruhm – beginnt er mit der Gemüthswelt einen Kampf, den nur um die Geisterfreiheit der ächte Genius wagen kann und darf. Dieses war Clavigo's Frevel und Verderben zugleich.

Wage Keiner sich von der mütterlichen Brust des gemeinen, engbeschränkten Lebens loszureißen, wenn er nicht die Kraft fühlte, mit göttlicher Ruhe zu allem Erdenglücke sagen zu können: ich bedarf dich nicht! und zu den grimmigsten Seelenleiden der Menschheit: kommt herab auf mich, ich fürchte euch nicht! denn die Wahrheit heischt ein gewaltiges Herz und einen klaren, kräftigen Geist. Wehe dem, der die Gesetze der menschlichen Verhältnisse als ein Unmündiger überschreitet; denn sie wissen sich vielfach zu rächen! Der Vollstrecker ihrer Rache aber an Clavigo war Beaumarchais.

Und wer gewährt einem solchen Genius, erwiederte die Gräfin, die Versicherung, daß er ein solches bevorzugtes Wesen sei, und seines eingebildeten höheren Zweckes wegen das Heiligste des Lebens, Liebe und Treue, und Herzen – edelmüthig genug! – brechen dürfe? Womit vermag ein solcher Halbgott alle die Thränen, welche er einem aufgeopferten Mitwesen auspreßt, all den Kummer verlorener Ruhe, ja! selbst nur eine schlaflose Jammernacht, geschweige denn ein ganzes vernichtetes Leben, zu vergüten? – Georg schwieg.

Wenn eröffnet sich denn wieder unser schönes Privattheater? fragte ein Fräulein den Grafen.

Es ist wahr! begann dieser, wir müssen uns wieder einzurichten suchen. Wenn wir nun gleich mit der Aufführung des Clavigo anfingen? Wir könnten leicht alle Rollen des Stückes besetzen.

Dieser Vorschlag gefiel fast allgemein.

Laßt uns doch einmal die Rollenvertheilung versuchen, fuhr der Graf fort, indem er das Personenverzeichniß vorzulesen begann. Also zuerst: »Clavigo?« Herr Venlot.

Ich stehe zu Dienst, versetzte dieser.

»Carlos?« Wenn sich sonst Niemand zu dieser Rolle meldet, will ich sie auf mich nehmen, bemerkte der Graf.

»Beaumarchais?« Dazu möchte ich mich gern entschließen, antwortete Rudolf.

Jetzt aber zu den Damen! rief der Graf. »Marie Beaumarchais?« Nach einer kurzen Pause sprach Lina vom Fenster her, wohin sie sich mit einer Freundin zurückgezogen hatte: Herr Graf, wenn sie damit zufrieden sind, so übernehme ich diese Rolle, sie ist kurz; denn Marie hat fast nur zu sterben.

Nicht minder fanden die übrigen Rollen bereitwillige Abnehmer.

Einstimmig ward beschlossen, am nahen Michaelisfeste die Bühne mit der Aufführung dieses Stückes wieder einzuweihen.


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