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Fünfzehntes Kapitel

Madame Roland (Fortsetzung)

Madame Roland war um diese Zeit, wenn man nach ihren Briefen urteilen soll, viel hitziger, als sie später erschien. Sie sagt mit eigenen Worten: »Der Sturz des Thrones ist im Geschick der Königreiche beschlossen. Man muß den König verurteilen. Es ist grausam, zu denken, daß wir nur durch Blutvergießen erneuert werden können.«

Die Metzelei auf dem Marsfeld (Juli 1791), wo diejenigen, welche die Republik forderten, auf dem Altar erschossen wurden, schien ihr den Tod der Freiheit zu bedeuten. Sie zeigte die rührendste Besorgnis um Robespierre, den man in Gefahr glaubte. Sie ging um elf Uhr abends in die Rue de Saintonge im Marais, wo er wohnte, um ihm eine Zuflucht anzubieten. Aber er war bei dem Tischler Duplay in der Rue Saint-Honoré geblieben. Von da aus gingen Herr und Frau Roland zu Buzot, um ihn zu bitten, Robespierre in der Nationalversammlung zu verteidigen. Buzot weigerte sich, aber Grégoire, der zugegen war, erbot sich dazu.

Sie waren in Geschäften der Stadt Lyon nach Paris gekommen. Als sie erreicht hatten, was sie wollten, kehrten sie in ihre Einsamkeit zurück. Unmittelbar darauf (27. September 1791) schrieb Madame Roland an Robespierre einen sehr schönen Brief, der zugleich spartanisch streng und gefühlvoll, würdig und schmeichelhaft war. Dieser ein wenig umständliche Brief sieht vielleicht nach Berechnung und politischer Absicht aus. Sie war sichtlich betroffen von der erstaunlichen Elastizität, mit der die jakobinische Maschine, die ganz und gar nicht zerbrochen war, damals in ganz Frankreich in Tätigkeit trat, und von der großen politischen Rolle des Mannes, der das Haupt der Partei darstellte. Ich ziehe die folgenden Stellen an:

»Selbst wenn ich die Laufbahn des gesetzgebenden Körpers in den Zeitungen verfolgt hätte, würde ich die kleine Zahl mutiger Männer mit festen Grundsätzen wohl unterschieden haben, und unter diesen Männern den, dessen Energie niemals aufgehört hat, zu .... usw. Diesen Auserwählten hätte ich meine Neigung und Dankbarkeit zugewendet. – (Dann folgen hochtönende Worte: Das Gute tun wie Gott, ohne Anspruch auf Dankbarkeit.) Die wenigen starken Seelen, die zu großen Dingen fähig wären, sind über das Antlitz der Erde verstreut, von den Umständen regiert und können niemals zusammenkommen, um gemeinsam zu handeln. (In anmutiger Weise führt sie ihr Kind, die Natur, eine immerhin trübe Natur, ein. Sie skizziert in Worten die steinige Landschaft, die außergewöhnliche Trockenheit. – Lyon ist aristokratisch. – Auf dem Lande hält man Roland für einen Adeligen! »An den Galgen!« hat man gebrüllt usw.) Sie haben, geehrter Herr, viel getan, um diese Grundsätze zu beweisen und auszubreiten; es ist schön und tröstlich, sich dieses Zeugnis geben zu können in einem Alter, wo so viele andere noch gar nicht wissen, welche Laufbahn ihnen vorbehalten ist. Wenn ich nichts anderes in Betracht gezogen hätte als das, was ich Ihnen mitteilen konnte, so hätte ich es unterlassen, Ihnen zu schreiben; aber auch ohne Ihnen etwas von belang zu melden, vertraute ich dem Interesse, mit dem Sie Nachrichten von zwei Menschen aufnehmen würden, deren Herz fähig ist, Sie zu verstehen, und die Ihnen eine Hochachtung ausdrücken möchten, welche sie nur wenigen Menschen entgegenbringen, und eine Zuneigung, die sie nur für diejenigen bereit haben, welche über alles den Ruhm stellen, gerecht zu sein, und das Glück, ein empfängliches Herz zu besitzen. Roland ist soeben zurückgekommen, er ist ermüdet und bekümmert ...« usw.

Ich sehe nirgendwo, daß er auf diese Annäherungsversuche geantwortet hat. Zwischen Girondisten und Jakobinern gab es eine Verschiedenheit, keine zufällige, sondern eine natürliche, angeborene, eine Verschiedenheit der Art, einen instinktiven Haß, wie zwischen Wolf und Hund. Madame Roland besonders schreckte Robespierre durch ihre glänzenden und männlichen Eigenschaften ab. Alle beide besaßen etwas, was scheinbar die Menschen einander näher bringen könnte, und was im Gegenteil die lebhaftesten Abneigungen zwischen ihnen hervorruft: den gleichen Fehler. Unter dem Heldenmut der einen, unter der bewundernswerten Standhaftigkeit des anderen barg sich ein gemeinsamer, um es deutlich zu sagen: ein lächerlicher Fehler. Alle beide schrieben fortwährend, sie waren geborene Schreiber. Eben so besorgt, wie man sehen wird, um ihren Stil wie um die Geschäfte, schrieben sie Tag und Nacht, im Leben und im Sterben; in den furchtbarsten Krisen und beinahe noch unter dem Beil waren Schreiben und Stil für sie der Gegenstand unablässigen Denkens. Als echte Kinder des achtzehnten Jahrhunderts, dieses so eminent literarischen und – wie die Deutschen zu sagen pflegen – belletristischen Jahrhunderts bewahrten sie diesen Wesenszug auch in den Tragödien einer neuen Zeit. Madame Roland schreibt ruhigen Herzens ihre wundervollen Lebensbilder, füllt sie aus und versenkt sich mit großer Liebe in sie, während schon die Schreier vor ihren Fenstern: »Tod der Frau Roland!« brüllen. Am Vorabend des 9. Thermidor, zwischen den Gedanken an Mord und Schafott, rundet Robespierre seine Perioden ab, wie es scheint, weniger darauf bedacht, zu leben, als ein guter Schriftsteller zu bleiben.

Als Politiker und Literaten waren sie sich von da an nur wenig zugetan. Robespierre übrigens hatte einen allzu geraden Sinn, ein allzu tiefes Verständnis für die Einheitlichkeit des Lebens, die großen Arbeitern notwendig ist, um sich dieser Frau, dieser Königin gern zu nähern. In Madame Rolands Nähe konnte das Leben eines Freundes nur Unterwerfung oder Sturm bedeuten.

Herr und Frau Roland kamen erst im Jahre 1792 nach Paris zurück, als die Macht der Ereignisse, der drohende Sturz des Thrones, die Gironde in die Leitung der Geschäfte brachte. Madame Roland blieb in den vergoldeten Salons des Ministeriums des Innern, was sie in ihrer ländlichen Einsamkeit gewesen war. Nur erschien das, was von Natur ernst, stark, männlich, gesetzt in ihr war, oft als Hochmut und schuf ihr viele Feinde. Es ist falsch, daß sie Stellungen vergab, im Gegenteil vermerkte sie viel eher die Bittgesuche mit strengen Worten, welche die Bittsteller verscheuchten.

Die beiden Ministerien Roland gehören mehr der Geschichte als der Biographie an [ * ] Als in den ersten Monaten 1792 der Krieg gegen Österreich zur Beratung stand, berief der König ein girondistisches Ministerium, Roland bekam das Innere, und Madame Roland war der einflußreichste »Mann« im Ministerium. Unter der neuen Regierung begann der Krieg. Im Juni 1792 wurde dieses »Ministerium der Sansculotten« entlassen, da es der feuillantistischen Nationalversammlung nicht mehr genehm war. Der »Spaziergang in den Tuilerien« vom 20. Juni sollte den König zur Rückberufung der girondistischen Minister – vor allem Rolands – veranlassen. Doch mußte zuerst das Blut des 10. August geflossen sein, bevor die Portefeuilles wieder in die Hände der Gironde kamen. Diesmal wurde auch Danton Minister, er bekam die Justiz. Von Roland ging nun am 24. August nach dem Falle Longwys der großen Anstoß erregende Vorschlag aus, Regierung und Nationalversammlung mußten nach Blois oder in den Süden fliehen und Paris der Invasion überlassen. Der zweite Fehler Rolands war seine unentschiedene Haltung in den Septembertagen und seine Feindseligkeit gegen die Kommune. Man vermutete sogar damals, Roland konspiriere mit den Royalisten, und nahm eine Haussuchung bei ihm vor, die übrigens resultatlos blieb. Es nutzte nicht viel, daß er öffentlich bekannt gab, infolge realistischer Umtriebe sei der Lebensmittelverkehr unterbunden, und daß er dieser Bekanntmachung eine aufreizende Form gab: Roland und mit ihm die Gironde hatte den Kontakt mit dem Volke verloren, und der ließ sich auch in der Folge nicht wieder herstellen. – Nach der Hinrichtung des Königs trat Roland von seinem Ministerposten zurück. R. K. . Hier stehe nur ein Wort über den berühmten Brief an den König, auf Grund dessen man, sicherlich mit Unrecht, die Ehrenhaftigkeit des Ministers und seiner Frau angezweifelt hat.

Roland, der republikanische Minister eines Königs, der sich in den Tuilerien von Tag zu Tag mehr am falschen Platze fühlte, hatte seinen Fuß nur unter der ausdrücklichen Bedingung an diesen verhängnisvollen Ort gesetzt, daß ein eigens hierzu ernannter Sekretär jeden Tag wörtlich die Entscheidungen und Abstimmungen niederschriebe, damit Belege dafür vorhanden blieben, und damit man im Falle einer Treulosigkeit nach jeder Richtung genau abmessen und feststellen konnte, welcher Anteil an der Verantwortung jedem Beteiligten zukam.

Das Versprechen wurde nicht gehalten; der König wollte es nicht. Da wählte Roland zwei Mittel, die ihn decken sollten. Überzeugt, daß die Öffentlichkeit die Seele eines freien Staates ist, veröffentlichte er jeden Tag in einer Zeitung, »Das Thermometer«, alles was von den Entscheidungen des Kronrates bekannt zu geben nützlich sein konnte; zweitens entwarf er mit Hilfe seiner Frau einen offenen, freimütigen und energischen Brief, der dem König und später vielleicht der Öffentlichkeit übergeben werden sollte, wenn der König sich darüber aufhielt.

Dieser Brief war durchaus nicht vertraulich, er versprach keineswegs, daß er geheim bleiben solle, was man auch gesagt hat. Er wandte sich offensichtlich ebenso an Frankreich wie an den König und sagte ausdrücklich, daß Roland nur darum zu diesem Mittel gegriffen habe, weil der Sekretär und das Protokollbuch, die für ihn hätten zeugen können, ausgeblieben waren. Der Brief wurde am 10. Juni von Roland übergeben, am gleichen Tage, an dem der Hof eine neue Mine gegen die Nationalversammlung springen ließ, eine drohende Eingabe, worin man hinterlistigerweise, angeblich im Namen von achttausend Nationalgardisten, behauptete, daß die Einberufung der zwanzigtausend Föderierten aus den Departements eine Beleidigung für die Pariser Nationalgarde sei.

Als der König am 11. oder 12. den Brief unerwähnt ließ, faßte Roland den Entschluß, ihn im Kronrat laut vorzulesen. Dieses wahrhaft beredte Schriftstück ist der äußerste Protest einer echt republikanischen Gesinnung, die dennoch dem König einen letzten Ausweg zeigt. Harte Worte stehen darin, auch vornehme und zarte; das Folgende ist erhaben: »Nein, das Vaterland ist kein bloßes Wort; es ist ein lebendiges Etwas, dem man Opfer gebracht hat; dem man sich jeden Tag enger verbindet durch die Sorgen, die es verursacht, das man mit großen Anstrengungen geschaffen hat, das sich mitten in den Unruhen der Zeit erhebt, und das man gerade um dessentwillen liebt, was es kostet und was man erhofft ...« Dann folgen ernste Warnungen, allzu wahre Prophezeiungen über die furchtbaren Gefahren des Widerstandes, der die Republik zwingen würde, sich im Blut zu vollenden.

Dieser Brief hatte den besten Erfolg, den der Verfasser erhoffen konnte. Er wurde der Grund für seine Entlassung.

An anderer Stelle haben wir die Fehler des zweiten Ministeriums Roland verzeichnet, das Schwanken, ob man in Paris bleiben oder es beim Nahen der Invasion verlassen solle, die Ungeschicklichkeit, mit der man Robespierre durch einen so leichtsinnigen Menschen wie Louvet angreifen ließ, die unpolitische Strenge, mit der man das Entgegenkommen Dantons zurückwies. Was den Vorwurf angeht, man habe den Verkauf der nationalen Güter durchaus nicht beschleunigt, man habe Frankreich in einer solchen Gefahr ohne Geld gelassen, so machte Roland große Anstrengungen, ihn nicht zu verdienen; aber die girondistischen Verwaltungen der Departements blieben den schärfsten Befehlen, den dringendsten Aufforderungen gegenüber taub.

Im September 1792 gerieten Herr und Frau Roland in die größte Gefahr, Leben und Ehre zu verlieren. Man wagte es nicht, mit dem Dolch zu arbeiten; man benutzte die grausameren Waffen der Verleumdung. Im Dezember 1792 suchte ein Intrigant namens Viard Chabot und Marat auf und machte sich anheischig, ihnen die Fäden einer großen girondistischen Verschwörung zu zeigen; Roland sei dabei und seine Frau. Marat biß gierig wie ein Hai an; ob man dem gefräßigen Fisch Holz, Steine oder Eisen hinwirft, er verschlingt es unterschiedslos. Chabot war sehr leichtsinnig, ein Tropf mit Geist – wenn es das gibt – mit wenig Verstand und noch weniger Zartgefühl; er beeilte sich, die Mitteilung zu glauben, und hütete sich wohl, sie nachzuprüfen. Der Konvent verlor einen ganzen Tag damit, selbst zu prüfen, sich zu zanken, sich zu beschimpfen. Man erwies Viard die Ehre, ihn kommen zu lassen, und man sah sofort ein, daß der biedere, von Chabot und Marat beigebrachte Zeuge ein Spion war, der wahrscheinlich für alle Parteien arbeitete. Man ließ Madame Roland rufen und verhörte sie; sie rührte die ganze Versammlung durch ihre Anmut und Vernunft, ihre verständigen, bescheidenen und taktvollen Worte. Chabot wurde ganz kleinlaut. Marat schrieb abends wütend in sein Blatt, daß das Ganze von den Anhängern Rolands ins Werk gesetzt worden sei, um die Patrioten irre zu führen und sie lächerlich zu machen.

Am 2. Juni, als die meisten Girondisten die Stadt verließen oder sich verbargen, waren die unvergleichlich tapfersten die Rolands, die es standhaft verschmähten, außerhalb des Hauses zu schlafen oder ihren Zufluchtsort zu wechseln. Madame Roland fürchtete weder Gefängnis noch Tod; sie hatte nur Angst um persönlichen Schimpf, und um immer Herrin ihres Schicksals zu bleiben, schlief sie niemals ein, ohne eine Pistole unter ihr Kopfkissen zu legen. Auf das Gerücht, daß die Kommune einen Haftbefehl gegen Roland erlassen habe, eilte sie in die Tuilerien, in dem mehr heldenmütigen als vernünftigen Gedanken, die Ankläger niederzuwerfen und die Montagne durch ihre Beredsamkeit und ihren Mut zu zerschmettern, der Nationalversammlung die Freiheit ihres Gatten abzunötigen. Sie wurde selbst in der Nacht verhaftet. Man muß den ganzen Vorgang in ihren wundervollen Memoiren lesen, die oft weniger von der Feder einer Frau als von Catos Dolche herzurühren scheinen. Aber dann läßt doch irgendein Wort, das aus dem Herzen der Mutter kommt, irgendeine rührende Anspielung auf die Unantastbarkeit der Freundschaft, allzu sehr merken, daß dieser große Mensch ein Weib ist, daß diese Seele leider ebenso zart wie stark war.

Sie tat nichts, um sich der Haft zu entziehen, und wurde ihrerseits in der Conciergerie, in der Nähe des Gefängnisses der Königin, untergebracht, in den Gewölben, die kaum erst von Vergniaud, von Brissot verlassen waren, und in denen noch ihre Schatten lebten. Heldenmütig wie eine Königin kam sie, sie hatte wie Vergniaud das Gift, das sie besaß, weggeworfen und wollte im hellen Tageslicht sterben. Sie glaubte, die Republik durch ihren Mut vor dem Gericht und durch ihren standhaften Tod zu ehren. Die sie in der Conciergerie sahen, erzählen, sie sei immer noch schön und reizvoll gewesen, jung trotz ihrer neununddreißig Jahre; eine volle, mächtige Jugend, ein Schatz bewahrten Lebens strahlte aus ihren schönen Augen. Ihre Stärke erschien besonders in ihrer verständigen Milde, in der unantastbaren Harmonie ihres Wesens und ihres Wortes.

Sie hatte sich im Gefängnis die Zeit damit vertrieben, an Robespierre zu schreiben, nicht um ihn um etwas zu bitten, sondern um ihm die Meinung zu sagen. Und die sagte sie auch dem Gericht, als man ihr den Mund verschloß. Der achte November, an dem sie starb, war ein kalter Tag. Die entlaubte, trübe Natur entsprach dem Zustande der Herzen; auch die Revolution versank in den Winter, in den Tod der Illusionen. – Zwischen den beiden blätterlosen Gärten kam sie bei sinkender Nacht (halb sechs Uhr abends) am Fuße der kolossalen Freiheitsstatue an, nahe beim Schafott, auf dem Platz, auf dem heute der Obelisk steht; sie stieg leichten Schritts die Stufen hinan, wandte sich der Statue zu und sprach mit ernster Milde, ohne Vorwurf, die Worte: »O Freiheit! Wieviel Verbrechen sind in deinem Namen begangen!«

Sie hatte den Ruhm ihrer Partei, ihres Gatten geschaffen und nicht wenig dazu beigetragen, sie zu vernichten. Sie hat in Zukunft Roland unfreiwillig in Schatten gestellt. Aber sie ließ ihm Gerechtigkeit widerfahren, sie hatte für diese antike, begeisterte und strenge Seele eine Art religiöser Verehrung. Als sie einen Augenblick lang die Absicht hatte, sich zu vergiften, schrieb sie ihm, um ihn um Verzeihung zu bitten, daß sie ohne seine Zustimmung über ihr Leben verfüge. Sie wußte, daß Roland nur eine Schwäche besaß, seine glühende Liebe zu ihr, die um so tiefer war, als er sie zurückhielt.

Als man sie verurteilte, sagte sie: »Roland wird sich töten.« Man konnte ihm ihren Tod nicht verbergen. Er hatte sich in die Nähe von Rouen zurückgezogen und lebte bei sehr zuverlässigen Freundinnen; heimlich stahl er sich fort und wollte, um seine Spur zu verwischen, ganz aus der Gegend. Der Greis wäre um diese Jahreszeit nicht weit gekommen. Er fand eine schlechte Kutsche, die nur im Schritt vorwärts kam; die Wege im Jahre 1793 waren nur Pfützen. Erst abends kam er an den Grenzen von Eure an. Da jede Ordnung aufgehoben war, so machten Diebe die Wege unsicher und griffen die Höfe an; Gendarmen verfolgten sie. Das beunruhigte Roland, er schob seinen Entschluß nicht weiter auf. Er stieg ab, verließ den Weg und folgte einer Allee, die in einer Biegung zu einem Schlosse führte; am Fuße einer Eiche machte er halt, zog seinen Stachelstock und durchbohrte sich völlig. Man fand bei ihm einen Zettel mit seinem Namen und den Worten: »Habt Ehrfurcht vor den Überresten eines tugendhaften Mannes.« Die Zukunft hat ihn nicht Lügen gestraft. Er hat die Achtung seiner Gegner mit sich genommen, besonders diejenige Robert Lindets.

Fußnote, aus technischen Gründen im Text wiedergegeben. Re. Ich kann mir das Vergnügen nicht versagen, das Porträt abzuschreiben, das Lémontey von Madame Roland entwirft:

»Ich habe,« so erzählt er, »Madame Roland einige Male vor 1789 gesehen: ihre Augen, ihre Gestalt und ihr Haar waren von bemerkenswerter Schönheit, ihr zarter Teint besaß eine Frische und ein Kolorit, das sie in Verbindung mit ihrem zurückhaltenden und keuschen Wesen merkwürdig verjüngte. Ich fand bei ihr nicht die leichte Eleganz einer Pariserin, die sie sich in ihren Memoiren zuschreibt; damit will ich keineswegs sagen, daß sie linkisch war; denn das, was einfach und natürlich ist, wird niemals ohne Anmut sein. Ich erinnere mich, daß sie, als ich sie zum ersten Male sah, dem Bilde entsprach, das ich mir von der Enkelin Vevays gemacht hatte, die so viele Köpfe verdreht hat, und von der Julie J. J. Rousseaus; und als ich sie sprechen hörte, war die Illusion noch vollkommener. Madame Roland sprach gut, zu gut. Die Eigenliebe hätte gern eine besondere Vorbereitung in ihren Worten gefunden; aber das war nicht möglich: sie war einfach eine allzu vollkommene Natur. Geist, Verstand, treffende Ausdruckweise, klare Vernunft, naive Anmut, all das kam mühelos zwischen ihren Elfenbeinzähnen und ihren rosigen Lippen hervor; man mußte sich damit abfinden. Im Verlauf der Revolution habe ich Madame Roland nur ein einziges Mal wiedergesehen; das war im Anfang des ersten Ministeriums ihres Gatten. Sie hatte nichts von ihrem frischen, jugendlichen und einfachen Aussehen verloren; ihr Gatte, dessen Tochter sie hätte sein können, glich einem Quäker, ihr Kind mit schönen, bis zum Gürtel wallenden Haaren sprang um sie herum; man glaubte, Bewohner Pensylvaniens zu sehen, die in den Salon des Herrn de Calame versetzt waren. Madame Roland sprach nur noch von öffentlichen Angelegenheiten, und ich konnte erkennen, daß meine Mäßigung ihr ein wenig Mitleid einflößte. Ihre Seele war überspannt, aber ihr Herz blieb milde und harmlos. Obgleich die großen Wirrnisse in der Monarchie noch nicht begonnen hatten, verhehlte sie sich nicht, daß Anzeichen von Anarchie sichtbar zu werden begannen, und versprach, sie bis zum Tode zu bekämpfen. Ich entsinne mich des mutigen und entschlossenen Tones, in dem sie mir ankündigte, daß sie, wenn nötig, ihr Haupt auf das Schafott legen würde; und ich gestehe, daß die Vorstellung, diesen reizenden Kopf dem Beil des Henkers überliefert zu sehen, mir einen Eindruck machte, der sich niemals verwischt hat; denn die Wut der Parteien hatte uns noch nicht an diese entsetzlichen Vorstellungen gewöhnt. Daher überraschten mich in der Folge die Wunder der Standhaftigkeit Madame Rolands und ihr heldenmütiger Tod garnicht. Alles war aus einem Guß und nichts war gespielt bei dieser berühmten Frau; sie war nicht nur der stärkste, sondern auch der wahrste Charakter unserer Revolution; die Geschichte wird sie in Ehren halten, und andere Nationen werden uns um sie beneiden.«


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