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Der schwarze Hans.


Vorwort. Die erste der hier zusammengestellten Erzählungen ist 1867 geschrieben und im Feuilleton der Wiener »Neuen Freien Presse« erschienen. Auf den Rat urteilender Freunde habe ich an dem Ausgang eine Änderung vorgenommen, die ich für glücklich halten muß. Das Gemälde geht jetzt aus dem ländlichen Charakter nirgends mehr heraus und der Schluß entbehrt nicht des versöhnenden Elementes.

In »Georg« hab' ich erlebte Geschicke dargestellt und die Treue gegen die vorliegenden Tatsachen höher geachtet, als eine mögliche Umdichtung, die mir wohl auch gelungen wäre. Nun wird man mir vorhalten, was ich selber weiß. »Die Erzählung ist in ihrem Verlauf mehr Geschichte als Poesie.« Sei es! Die ausgeführte Schilderung der Kämpfe, die ein begabter, strebender, charaktervoller junger Mann zu bestehen hatte, kann sich ein Novellist ebenfalls zur Aufgabe stellen. Sind die Entscheidungen des wirklichen Lebens anders, als der Leser sie zunächst wünscht, so liegt in wirklichen Begebenheiten doch wieder eine eigene Kraft; und wenn die ersten Eindrücke überwunden sind, kann sich das Herz des tiefer Nachdenkenden mit dem dargestellten Lebenslose einverstanden fühlen. Irdische Geschicke haben ihren eigenen Sinn, ja ihren eigenen Tiefsinn! In denen unseres Georg wird mancher, wenn er das Wesentliche im Auge behalten will, die seinen wiederfinden.

Durch die Hauptpersonen der neuen Erzählungen glaube ich die Sammlung meiner Rieser Figuren bereichert zu haben. Der »schwarze Hans« (nach den Mitteilungen eines Geistlichen!) ist eine Art Don Juan auf dem Lande. In »Georg« ist ein junger Mensch dargestellt, der in die Sphäre der Bildung hineinstrebt, ohne daß er aufhörte, Bauer zu sein. Daß mit diesem Beruf eine gewisse Kultur auf eine gesunde, gedeihliche Weise verbunden werden kann, das hat unser Rieser in der Tat gezeigt; und vielleicht wäre er ähnlich Angelegten unter seinen Standesgenossen zur Beachtung und Nachfolge zu empfehlen


I.

Am Anfang der neunziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts standen zur Maienzeit in einem Dorfe, das im Süden des Gaues nahe dem Wald gelegen war, Samstags nach dem »Betläuten« einige junge Burschen auf dem Platz vor der Schmiede in traulicher Unterhaltung. Die Nacht war vom ersten Viertel des Mondes beleuchtet, die laue Luft erquickend, der Boden trocken. Das Behagen, das die Landleute am Ende der Woche zu empfinden pflegen, wo sie die Ruhe und das Vergnügen eines Feiertags vor sich haben, wurde dadurch erhöht, und das Gespräch wendete sich munter hierhin und dorthin. Endlich langte es an einem Gegenstande an, bei dem es zu verweilen pflegt.

»Ja,« fuhr ein braunhaariger, mäßig großer Bursche nach einigen Zügen aus seiner Ulmer Pfeife fort, »ich kann euch sagen, daß ich mich über das Mädchen verwundert hab'! Sie ist nimmer zum Kennen! Voriges Jahr ist sie noch mager gewesen und hat nichts gleichgesehen, jetzt ist sie rund und »g'schlacht« und glänzt im Gesicht! Schön, sag' ich euch!«

»Bei ihrer Bas' ist sie in einer guten Nahrung gewesen!« bemerkte ein Bursche, bei dem eine solche gleichfalls merklich angeschlagen hatte.

»Und den Winter über ist sie g'ruht!« fügte ein schlanker junger Mensch von heiterem Gesichtsausdruck hinzu.

»Die Veränderung ist doch sehr groß!« begann der erste wieder. »Die Kathrine ist jetzt das sauberste Mädchen im ganzen Dorf! – Und vergnügt und lebhaft! – 's ist eine rechte Hex' geworden!«

»Du red'st, als ob du sie gern möchtest!« bemerkte der zweite.

»Tät' mich nichts helfen,« erwiderte jener. »Sie ist schon versorgt! Der Heinrich Bühler ist ihr schon voriges Jahr nachgelaufen, und jetzt läßt er sie gar nimmer aus.«

»Das tät' mich nicht abschrecken,« bemerkte der dritte mit Laune. »Ein Mädchen kann man einem immer noch wegnehmen, wenn man's geschickt angreift!«

»Da geht's nicht, mein lieber Mathes! 's ist ein hübscher Bursch und seine Mutter übergibt ihm den Hof. Wenn die Kathrine Kohlbäuerin werden kann, dann greift der Schreiner mit beiden Händen zu – und das Mädchen auch!«

»Ich tät' doch nicht verzagen!« entgegnete jener. »Die Weibsbilder haben oft wunderliche Sachen im Kopf!«

»Die hat nichts im Kopf als den Heiner!« versetzte der erste.

Der Schlanke machte eine Bewegung des Bedauerns. »Dann tust du mir leid, Kasper! Von Herzen!«

»Bah,« entgegnete jener mit einem Nachdruck, der den Scherz zurückweisen sollte. »Mich geht sie nichts an! – Man red't nur davon!«

Nahende Tritte machten sie aufschauen. Von einer Seitengasse kam ein hochgewachsener, stattlicher Bursch gelassen auf sie zu und sagte Guten Abend. Die jungen Leute erwiderten den Gruß auf eine Weise, die etwas Eigentümliches hatte. Der Ton verriet eine gewisse Zurückhaltung, drückte jedoch keine Geringschätzung, sondern eher eine Art Scheu, jedenfalls Respekt aus. – Der Ankömmling war der »schwarze Hans«.

Auch im Scheine des Mondes konnte man noch sehen, warum er so genannt wurde. Er hatte schwarze Augen und Haare und eine dunkle Gesichtsfarbe. In seiner ganzen Erscheinung lag etwas nicht Gewöhnliches, man konnte sagen Fremdartiges. Er war sehr gut gebaut; schlank von Wuchs, breit von Schultern. Seine Züge waren nicht nur schön, sondern fein, und sein Benehmen ungezwungen, sicher – fast wie das eines Herrn, der zu Untergebenen tritt.

»Ich hab' euch eifrig reden hören,« begann er. »Gibt's was Neues?«

»Nichts Besonderes!« erwiderte Kasper.

Mathes schüttelte mit Laune den Kopf. »Da müßt' ich doch bitten!« rief er. Und zu Hans fuhr er fort: »Der Kasper hat uns eben verzählt, daß er sich in die älteste Tochter des Schreiners, in die Kathrine, verliebt habe!«

»Lüg' in deinen Hals hinein!« rief der Angeschuldigte.

Hans betrachtete diesen. »Nun,« versetzte er, »häßlich ist sie nicht, aber dürr wie ein Zaunstecken – nimm mir's nicht übel, Kasper!«

Dieser lächelte. »Du hast sie auch noch nicht gesehen, wie ich merk'! Seit vierzehn Tag' ist sie von ihrer Bas' im obern Ries heimkommen – und wie? Schau sie dir erst an!«

»Du mußt natürlich so reden!« bemerkte Hans mit Humor.

»Ich red' so, weil's so ist!« erwiderte Kasper. »Wenn du sie gesehen hast, wirst du mir recht geben! – Du verstehst dich ja drauf!«

Die letzten Worte hatten einen etwas spöttischen Klang; Hans lächelte wie zu einer Schmeichelei. – »Du machst mich neugierig,« sagte er.

Kasper wollte seine Meinung ganz darlegen und fuhr fort: »Bild' dir nicht ein, daß sie auf einmal gar zu stark geworden ist. Sie ist nur »vollkommen«, wie's ein Mädchen sein soll. Alles ist wie man's wünscht! Ein Gesicht weiß wie Milch und rot wie eine Ros' – wunderschön!«

»Und der will nicht verliebt sein!« rief Mathes.

»Ich hab' nur Augen!« versetzte Kasper.

»Aber keine Courage!« entgegnete jener. »Er leugnet nur,« fuhr er zu Hans fort, »weil er sich nichts zutraut. Nämlich der Kathrine läuft schon der junge Kohlbauer nach, und gegen den, meint er, kommt er nicht auf!«

Hans richtete sein Auge auf Kasper und rief mit offener Geringschätzung: »Gegen den Heiner? Bah!«

Kasper sah ihn verwundert an. »Ist der so schlecht?« versetzte er.

»Ein Milchgesicht,« entgegnete Hans. »Wenn den ein Mädchen mag, dann ist nichts hinter ihr!«

»Das sind Ansichten,« versetzte Kasper. »Von deinem Schlag ist er freilich nicht!«

»Nicht einmal von deinem,« erwiderte Hans ungezwungen. – »Wenn ich du wär', in drei Tagen gehörte sie mir!«

»Und wenn ich du wär',« versetzte Kasper, »ich hätt' keine Aussichten!«

Hans zuckte die Achsel. »Da sieht man schon,« sagte er, »daß du mich nicht kennst!«

»Nun,« entgegnete Kasper, »das hätt' ich denn doch geglaubt!« (Und sein Blick schien zu sagen: Dich kennt man nur gar zu gut!) »Aber,« fuhr er fort, »es gibt halt Mädchen, die zu g'scheit sind, und zu diesen gehört die Kathrine. Die wird Kohlbäuerin!«

Hans mit einem Lächeln der Gleichgültigkeit sagte: »Wenn's ihr Freud' macht – meinetwegen!«

Kasper hatte nach der Seite gesehen und erhob den Kopf. »Da kommt einer,« sagte er, »der uns berichten kann! – Michel,« fuhr er zu einem untersetzten Burschen fort, der eben zu der Gruppe trat, »du kannst unserm Streit ein End' machen! Nicht wahr, dein Vetter Bühler hat ein Aug' auf die Schreiners Kathrine und will sie heiraten?«

»Soviel ich weiß,« versetzte der Bursch, »ist man einig.«

»Da!« rief jener. »Das ist mehr, als ich gewußt hab'!«

Hans machte ein Gesicht wie einer, der genug hat.

»Unter diesen Umständen,« sagte er zu Kasper, »müssen wir uns eben nach einer andern umsehen! Nicht den Mut verloren – es gibt schon noch Mädchen im Ries! – Guten Abend beieinander!«

Mit diesen Worten ging er seines Wegs.

Die Burschen schwiegen eine Weile. Dann sagte Jakob, der Wohlbeleibte: »Der ist aber heute gesprächig gewesen! Sonst geht er an einem vorüber, als könnt' er gar nicht Deutsch!«

»Er ist heut' guter Laune,« sagte Kasper. »Aber was sich der Mensch für ein Ansehen gibt!« fuhr er fort, als Hans hinter der Schmiede verschwunden war. »Er benimmt sich grad, als ob er der Herr vom Dorf wär'! Ein Söldnerssohn und Maurer! So viel sind wir doch ungefähr auch!«

»'s ist ein aparter Mensch,« bemerkte Mathes. »Aber wenn er sich was rausnimmt, schlecht steht's ihm nicht an, und wer weiß, von wem er herkommt! Seine Mutter hat ihn ledigsweis gehabt – wer weiß, wer sein Vater ist!«

Kasper schüttelte den Kopf. »Wenn's ein Herr wär',« entgegnete er, »dann wär' besser für ihn gesorgt worden!«

»Ist nicht immer nötig, mein guter Kasper! Die sind nicht immer so gewissenhaft! – Nun, am Ende, der Hans verschafft sich selber, was er braucht!«

Kasper nickte mit Bedeutung. »Aber nicht bloß mit der Kelle!« bemerkte er.

Der andere sah ihn an und lächelte. »Man sagt ihm nach, daß er auch eine Büchs hat!«

»Man sagt's ihm nach!« wiederholte Kasper foppend. »Bis jetzt hat man ihn noch nicht erwischt; aber er mag sich in acht nehmen!«

»Wenn ihn einmal ein Jäger trifft,« entgegnete Mathes, »dann mag sich der Jäger in acht nehmen!«

»Dann hätt's auch für den Hans ein End'!« versetzte Kasper.

»Was wär's?« erwiderte der andere. »Dann ging' er halt über die Grenze! Aber den kriegt schon keiner! Dem geht alles durch! Die Hirsch' und die Reh' und die Mädchen gehören sein – und wer ihm dazwischen kommt, der kann sich vorsehen. Sein Vater mag gewesen sein, wer er will – Schand' macht ihm der Hans keine!«

»Buben,« rief hierauf der dicke Jakob, »jetzt spür' ich aber einen Durst, daß ich's nimmer länger aushalten kann! Gehen wir ins Wirtshaus!«

Der Vorschlag wurde angenommen, und langsamen Schrittes wandelte man ins »grüne Bäumle«, wo man einen Tisch besetzte, Bier und Branntwein kommen ließ und sich dann mit dem üblichen Kartenspiel unterhielt.


II.

Den anderen Morgen stieg die Sonne am wolkenlosen Himmel empor und brachte einen jener festlichen Vormittage, die man nur auf dem Lande in ihrer ganzen Schönheit fühlen kann. Es kommt da mit dem Schimmer zugleich eine Stille über die Welt und eine Gelassenheit, eine Ruhe in die Gemüter, daß die Leute träumend umhergehen, wie im Paradiese. Und ein Paradies ist in dieser Zeit auch das Dorf – mit seinen blühenden Gärten und Gärtchen, mit den Wohlgerüchen des Wonnemonds, mit der leise fächelnden, köstlichen Luft. Die jungen Gesichter lächeln, ohne zu wissen warum, und die alten sind von einem Behagen erfüllt, dem eine gewisse Feierlichkeit einen höheren, man kann wohl sagen poetischen Ausdruck gibt.

Es sind die Stunden, wo sich die Landleute innerlich am glücklichsten fühlen. Der Gedanke an den Gottesdienst weckt einen Ernst in den Seelen, der unter anderem dazu dient, die Sorgen vergessen und die Herzen empfänglicher zu machen für angenehme Regungen. Man ist am Sonntag allerdings frömmer als an Werkeltagen, hauptsächlich aber auch verlangender nach Wohlgefühl und geeigneter, Freude zu empfinden. Und daß Menschen, die ohnehin in eine schöne Zukunft sehen, in dieser Zeit lauter Licht und Vergnügen sind, das ist natürlich.

Die Tochter des Schreiners, die schöne Kathrine, war in der großen unteren Kammer, welche dazu mehr Bequemlichkeit bot, als ihr eigenes, nach hinten gelegenes Dachkämmerchen, eben beschäftigt, sich zu waschen und sich für den Feiertag anzuziehen. Sie hatte die Arbeiten getan, die ihr für das Hauswesen oblagen, jetzt konnte sie mit gutem Fug die Sorge auf ihre Person richten. Die Sonne schien zum Fenster herein – in die mit Wasser gefüllte irdene Schüssel auf dem Sims, und der goldene Widerschein gaukelte an der geweißten Decke hin und her, was die Heimlichkeit der hellen Kammer noch vermehrte. Kathrine mit einem großen Schwamm »koste« sich behaglich »ab«. Sie wusch Gesicht, Hals, Brust und Arme – und zwar mit Eifer. Als sie sich genuggetan hatte, preßte sie den Schwamm aus und hing ihn an einem Nagel der Wand auf. Dann trat sie wieder vor den Spiegel.

Die abgekosten Wangen der Jungfrau glänzten in der frischesten Röte, die reizend aufgeworfenen Lippen lächelten, die großen blauen Augen schimmerten inniges Vergnügen. Woran mochte sie denken? Was sie von ihrer Gestalt unmittelbar oder im Spiegel sah, schien ihre Seele vorzugsweise zu beschäftigen. Sie hatte Freude an sich selber, die achtzehnjährige Blonde – und man konnte ihr das auch nicht verargen! Das Gesicht hatte in seiner heiteren Anmut etwas ganz besonders Einnehmendes. Die Schönheit ihres Wuchses sprang in die Augen. Von Hals und Vorderarmen war die Helle, die sie im Winter zu erlangen pflegen, kaum noch wieder geschwunden: sie zeigten nur einen Hauch jener bräunlichen Röte, die erst der Sommer mit seinen Arbeiten im Freien ihnen wieder verleiht. Oberarme, Schultern und Brust glänzten in reinster Weiße.

Wenn Kathrine nicht selber gesehen hätte, daß sie wirklich und sonderlich schön war, sie wäre doch nicht ohne Kunde davon geblieben! In der kurzen Zeit, wo sie sich bei ihren Eltern befand, hatte sie es zum Überfluß gehört! Auf dem Lande noch mehr als in der Stadt ist es vor allem das körperliche Aussehen und das Befinden, wovon man den ersten Anlaß zum Gespräch nimmt; und in der Regel befleißigt man sich dabei einer großen Aufrichtigkeit. Hat jemand, den man eine Zeitlang nicht gesehen, merklich an Farbe und Rundung verloren, so darf er sich darauf gefaßt machen, daß man ihm die bedenkliche Sachlage mit allem Nachdruck ungeheuchelten Staunens ins Gesicht erklärt. Dagegen wird ihm eine Zunahme mit redlicher Bewunderung als wirkliches Verdienst angerechnet; und wenn er dadurch gar noch sichtlich hübscher geworden ist, so kann die Anerkennung, die man ihm zollt, den Charakter wahrer Hochachtung an sich tragen.

Kathrine, nach halbjähriger Abwesenheit heimkehrend, erhielt von Verwandten und Bekannten des Lobes eine Fülle. Und wenn sie sich auch dagegen wehrte und entgegnete, das werde wohl so arg nicht sein, oder gar: man treibe nur seinen Spott mit ihr und das sei gar nicht recht! – so zog sie doch in ihrem Innern von dem Gehörten nur wenig ab und überließ sich ganz dem Bewußtsein des Glückes, so zu sein wie sie war. – Es ist so schön, gepriesen zu werden – in einer Welt und von Menschen, die manchmal ihre Stimme nur erhalten zu haben scheinen, um andere damit zu tadeln und zu schmähen!

Am meisten hätte das Mädchen von der Macht ihrer Lieblichkeit der junge Bauer überzeugen müssen, von dem in dem Gespräch bei der Schmiede die Rede gewesen. Heinrich Bühler hatte in der Tat schon ein Auge auf sie, als sie noch allzu schlank war und böswillige Burschen mit einer Anspielung auf das Handwerk ihres Vaters behaupteten, sie wäre aus Holz geschnitzt! Aber die feiner fühlende Seele ahnte in der Knospe die entwickelte Blüte und war imstande, sich schon in das zierliche Profil und in das sprechende Auge zu verlieben. Heinrich hatte der Kathrine nicht nur seine Neigung zugewendet, er hatte ihr's auch schon zu verstehen gegeben und sich um ihre Gunst beworben, obgleich noch in einer vorläufig sehr bescheidenen Weise. Als er sie nach ihrer Heimkehr in zufälliger Begegnung zum erstenmal wieder sah, war er ganz außer sich. Er starrte sie an wie ein Wunder, fragte sie wiederholt, ob es denn wirklich die Kathrine sei, und brach immer wieder in die Rufe glückseligen Staunens aus. Das Mädchen, durch diese Anerkennung geschmeichelt, gerührt, lächelte sehr freundlich, und ihre Blicke weilten auf dem blonden Burschen mit offenem Wohlgefallen. Dadurch wurde er von seinem ersten Schrecken geheilt; er überwand seine natürliche Schüchternheit und sprach endlich seine Wünsche und Hoffnungen ohne weiteres deutlich aus. Die Schöne errötete, aber die Miene sagte nicht nein, wenn auch der Mund noch Ausflüchte suchte. Bei der nächsten Zusammenkunft, die nicht mehr zufällig war, kam es nach einer näheren Erklärung auch zum Ja des Mundes – und Kathrine war Heinrichs Mädchen!

Nun kannten aber das Glück und die Zärtlichkeit des Burschen keine Grenzen mehr! Wenn er bei der Geliebten war, brachte er buchstäblich den Mund nicht mehr zusammen. Er verschlang ihre Züge und hing mit förmlicher Trunkenheit an ihr. Sagte er ihr etwas Schönes, so wurde seine Stimme weich und unsicher, und die Augen bekamen einen feuchten Glanz. Kathrine, als sich dies wiederholte, konnte nicht umhin, mit einem gewissen Lächeln vor sich hinzusehen und den Kopf zu schütteln. »Was ist das für ein guter Mensch!« sagte sie zu sich selbst. »So etwas ist mir meiner Lebtag nicht vorgekommen!« – Bei den bekannten ländlichen Rangvorstellungen hatte sie den Antrag des jungen Bauers zuerst für eine große Ehre genommen; jetzt fühlte sie sich ihrerseits als kleine Herrin und widerstand gelegentlich nicht dem Verlangen, mit ihm – wie freundlich immer – ihren Scherz zu treiben.

Nachdem sie sich angezogen, soweit es im Hause nötig war, und zuletzt auf die zurückgestrichenen Haare noch ein Häubchen gesetzt hatte, ging sie in die Stube hinüber, wo Vater und Mutter im Behagen des Feiertags auf der Wandbank saßen. Beide schauten auf sie mit Wohlgefallen. Den Mund der ansehnlichen Schreinerin umspielte ein glückliches Lächeln und sie sagte: »Du hast dich ja geputzt wie an der Kirchweih! – Du könntest geradenwegs zum Tanz gehen!«

Die Tochter verzog ein wenig die Lippe. »Ich hab' meine gewöhnlichen Sonntagskleider an,« entgegnete sie. »Nur der Schurz ist neu –«

»Und die Kappe!« ergänzte die Mutter.

»Nun ja,« versetzte das Mädchen. »Einmal muß man sie doch zuerst antun!«

Der Schreiner, eine magere Gestalt mit einem gesund rötlichen, nicht unfeinen Gesicht, schmunzelte. Er machte gern sein Späßchen – was er nämlich dafür hielt – und sagte jetzt: »Wenn sie auch heute nicht zum Tanz geht, umsonst wird sie die schöne Kappe doch nicht aufhaben. »Ebber« (etwer, jemand) wird sie schon darin sehen!«

Die Schreinerin lächelte. »Wieviel ist's denn?« sagte sie, indem sie das Auge auf die Wanduhr richtete. »Bald halber Neune! – Mich nimmt's wunder, daß er noch nicht da ist!«

»Mir ist's auch auffallend,« erwiderte der Schreiner mit einer scheinheiligen Sorge. »Vorgestern ist er schon nach Sieben gekommen, weil er ganz notwendig etwas von mir gebraucht hat! Wenn er heut' nicht auch notwendig was braucht und ausbleibt – dann mach' ich mir Gedanken!«

Die Züge des Mädchens drückten eine glückliche Selbstgewißheit aus; die Anspielung auf eine Möglichkeit, die nicht möglich war, konnte sie nur erheitern. »O je!« rief sie zu dem Alten.

Die Mutter war zu guter Laune, um das Spiel nicht fortzusetzen. »Nun,« sagte sie, »alles kommt vor in der Welt! Und grad einer, der's so übermäßig treibt und ganz weg ist, der kann am ehesten –«

»Einmal wegbleiben,« ergänzte der Schreiner.

Kathrine zeigte mit einem sonderbaren Aufziehen der Lippe ihre weißen Zähne. »Wenn ich alles so gewiß wüßt',« erwiderte sie, »dann wär's gut!«

Die Mutter zuckte die Achsel. »Ich wär' nicht so sicher an deiner Stell'!« entgegnete sie. »Die Mannsbilder taugen alle nichts – jeder kann falsch sein! Der beste kann einmal umstehen!«

»Der Heiner,« versetzte Kathrine, »brächt's nicht zustand', wenn er sich's auch vornähm'! Geh weiter! Er ist nur gar zu –«

Sie fühlte, was sie sagen wollte, und schwieg.

Der Alte schenkte ihr den Satz nicht. »Nur gar zu treu, willst du sagen?« Und zur Mutter gewendet, fuhr er fort: »Da siehst du! Die Weibsbilder taugen nichts! Der wär' nun offenbar ein bißchen Falschheit am Heinrich lieber, weil sie selber gern ein wenig falsch sein möcht'! – Wie?« setzte er mit einem begütigenden Tone hinzu, als er sah, daß die Tochter den Spaß ernsthaft nahm.

»Der Heiner,« versetzte Kathrine, »ist mir lieb, wie er ist – ich will und mag keinen andern! Ich hab' nur gemeint, er tut mir eigentlich gar zu viel Ehr' an!«

Die Mutter schüttelte den Kopf und sagte dann gutmütig: »Laß dir's nur gefallen! Wenn er dein Mann ist, wird's noch eine Zeitlang dauern; dann hört's aber auf einmal auf, und du wirst mit Seufzen an die Höflichkeiten und die schönen Reden denken, die dir jetzt zu viel sind!«

Die Miene der Tochter sprach die Erwartung aus, daß sie diese Erfahrung an sich nicht machen werde. Auf einmal, nach einem Blick durchs Fenster, wurde sie rot und rief: »Aha!«

Die Mutter sagte zum Alten: »Für heut' haben wir noch nicht recht gehabt, Vater!«

Nach einer Weile ging die Tür auf, und der erwartete junge Bauer trat ein. Er trug eine dunkelgrüne Samtjoppe mit versilberten Knöpfen und eine Fischotterkappe, die er erst gestern vom Markt aus Nördlingen mitgebracht hatte. Mit verhältnismäßiger Würde grüßte er und gab der Schreinerin, die ihm entgegengekommen war, die Hand. Nach einigen herkömmlichen Reden sagte der Schreiner mit wenig verhüllter Schlauheit: »Kann ich dir vielleicht mit etwas dienen, Heinrich?«

Dieser, die Frage würdigend, entgegnete mit entsprechender Laune: »Heut' nicht, Schreiner, heut' bring' ich was!«

»Ei,« rief Kathrine, »da bin ich neugierig!«

Die Mutter sah ihn an und versetzte mit einem gewissen Ernst: »Du wirst dir doch keine Unkosten gemacht haben, Heinrich?«

»Keine Sorg', Bas',« entgegnete jener, »ich hab' keinen Kreuzer ausgegeben!« Er griff in die innere Tasche seiner Joppe und zog einen Strauß von Aurikeln und Narzissen hervor, in deren Mitte ein Röschen steckte.

»Ei, die prächtigen Blumen!« rief die Alte. »Und,« setzte sie schalkhaft hinzu, »die bringst du mir

Der Bursche lächelte etwas »verhofft«. Aber er war heute fester als sonst und erwiderte nickend: »Euch, Bas' – wenn Ihr sie annehmen wollt!«

»Ich dank' schön,« versetzte diese und nahm den Strauß in Empfang.

Kathrine mit einem angenehmen Mäulchen trat näher. »Darf man,« sagte sie, »ein wenig dran riechen?«

»Warum denn das nicht?« versetzte die Alte und gab ihr den Strauß. Das Mädchen brachte die Rose an ihr Näschen, sog den Duft ein und rief: »Ah, das schmeckt herrlich!«

»Und die schönen Blumen,« fragte die Schreinerin den Burschen mit Anerkennung, »sind alle aus deinem Garten?«

»Meine Mutter,« erwiderte Heinrich zur Erklärung, »ist eine Liebhaberin! Sie hat immer was drauf gehalten!«

Kathrine wollte der Alten den Strauß zurückgeben.

Diese lächelte gutmütig. »Behalt ihn nur,« sagte sie. »Der Heinrich wird mir's wohl nicht übelnehmen, daß ich ihn wieder verschenk', und jetzt muß ich ohnehin in die Küche!«

»Und ich,« bemerkte der Schreiner, »in den Stall; denn von der Kathrine ist nicht zu verlangen, daß sie jetzt nach den Kühen schaut. Es wär' auch wirklich schad' um den Anzug!«

Beide gingen hinaus.

Die Liebenden, allein gelassen, schwiegen. Heinrich schaute in der Stube umher, als ob er sie noch nie gesehen hätte.

Wäre dies der Fall gewesen, sehenswert erschien sie allerdings. Sie war zierlicher und reinlicher, als es sonst bei ländlich Mittelbegüterten der Fall zu sein pflegt. Das Handwerk hatte mit Behagen für sich selber gesorgt! Alles was von Holz war, nahm sich besonders nett aus und zeigte frische hellbraune Farben, und die Strahlen der Sonne, welche durch die blanken Fenster hereinschienen, gaben dem Ganzen einen sehr traulichen Charakter.

Das Mädchen brach das Schweigen. »Nun,« sagte sie, indem sie gefällig auf den Strauß blickte, »darf ich ihn behalten?«

»Du hast ihn ja geschenkt bekommen!« erwiderte der Bursche.

»Aber er muß mir auch von dir vergönnt sein!« sagte das Mädchen.

Heinrich zuckte die Achsel. »Geh!« versetzte er. »Übrigens,« fuhr er lächelnd fort, »wenn ich dich allein getroffen hätt', von dir hätt' ich mir doch etwas dafür ausgebeten!«

»Ei!« rief Kathrine mit einem guten Teil wirklicher Verwunderung. Und schalkhaft setzte sie hinzu: »Gewiß einen ›Bahtsch‹ (Patschhand)? – Da hast du ihn!«

Sie gab ihm die Hand, er schlug ein – mit einer Miene, als ob das nicht ganz seine Rechnung gewesen!

Das Mädchen betrachtete ihn mit schelmischem Vergnügen. »Weil du's wirklich so gut mit mir gemeint hast,« fuhr sie fort, »so will ich dir jetzt auch eine Ehr' antun: ich will den Strauß anstecken und ihn tragen den ganzen Tag!«

Sie schaute an ihrer Brust hernieder, um die rechte Stelle ausfindig zu machen.

»Halt!« rief der Bursch und trat schnell an sie heran. Er hatte den Gedanken gefaßt, ihr ihn selber ans Leibchen zu stecken.

»Wie?« rief Kathrine mit neckender Ausweichung, »soll ich ihn nicht tragen?«

»Doch! Freilich!« erwiderte er unentschlossen. Das scheinbare Mißverstehen hatte ihn gestört und ihm den Humor zum Mute genommen.

Kathrine sah ihn an – und von dem Gefühle, das in ihr sich erhoben, drückte sich eine merkliche Andeutung in ihrem Gesicht aus. Dann steckte sie sich den Strauß selber »ans Herz« und sagte: »Ich will ihn tragen dir zu Ehren! Und wenn sich eine Gelegenheit gibt, daß ich dir dafür auch eine Freud' machen kann, so will ich's nicht versäumen! Da,« setzte sie hinzu, indem sie ihm gutmütig die Hand reichte, »sei nochmal bedankt!«

Heinrich drückte die Hand und behielt sie in der seinen. Er sah die Geliebte zärtlich mit glänzenden Augen an; – zu seinem Glücke fehlte nichts mehr!

Die Tür ging auf und es erschien die Mutter. »Heinrich,« sagte sie, »da fällt mir grad was ein! Ich hab' von deiner Mutter einen eisernen Hafen »verdliehen« (entlehnt) und jetzt brauch' ich ihn nicht mehr, weil ich mir selbst einen gekauft hab'! Sag ihr, daß ich ihn heut' noch bringen werde, wenn mir nichts dazwischen kommt – ich hab's nur vergessen!«

Heinrich sah sie galant an. »Aber warum solltet Ihr –?« sagte er; »kann ich ihn nicht selber heimtragen?«

»Warum nicht gar!« rief die Schreinerin. »Das würde sich nicht schicken! Ein junger Bursch mit einem Hafen!«

»Wenn's weiter nichts ist,« versetzte Heinrich, »da mach' ich mir nichts draus!«

»Am Sonntag!« fuhr die Schreinerin fort.

»Einerlei!« entgegnete jener entschlossen, obwohl ihn selbst eine Vorstellung überkam, daß er damit auffällig werden könnte. »Gebt ihn nur her!«

»Er ist zwar klein,« sagte die Schreinerin, »und nicht schwer; aber es geht doch nicht! Es geht wirklich nicht!«

»So macht doch keine Umstände!« rief der Bursche fast gereizt.

Kathrine, ohne eine gewisse Schalkheit in ihrem Blicke verbergen zu können, sagte: »Wenn er's durchaus haben will, so laß ihm doch die Freud'!«

Die Mutter ging in die Küche, kam mit dem Hafen zurück und übergab ihn dem Burschen, indem sie sagte: »Aber nur, weil du's nicht anders tust!« Heinrich lächelte, reichte Mutter und Tochter die Hand, ließ einen Gruß für den »Vetter« zurück und verließ die Stube.

Die Schreinerin sah ihm nach, dann richtete sie auf die Tochter einen Blick, dessen Ernst durch eine Andeutung von Lächeln gemildert war, und sagte: »Mädchen, du bekommst wahrhaftig einen guten Mann! Er wird dich in Ehren halten und tun was dich freut – und er wird so bleiben, wie er ist! Dieser Schlag ändert sich nicht!«

* * *

Der schwarze Hans war am gestrigen Abend von der Schmiede weg nach Hause gegangen. Er hatte etwas anderes vorgehabt, er wollte noch »über Feld« gehen; allein durch das Gespräch der Burschen war er davon abgebracht worden. Die Unterhaltung im Nachbardorfe, die er aufsuchen wollte, reizte ihn nicht mehr: seine Gedanken hatten sich auf das gerühmte Mädchen gerichtet und er fand ein Vergnügen darin, sich mit ihr zu beschäftigen. Es entstand in ihm eine Neugierde, zu erfahren, ob der Kasper die Wahrheit gesagt habe, und er wollte sich davon sobald als möglich überzeugen. Indem er sich vorstellte, daß der Heinrich, der ihm von Jugend an zuwider gewesen, einen so schönen Schatz haben sollte, empfand er einen gewissen Verdruß. »Das wär' ja gegen alle Regel,« sagte er zu sich selber, »ein solcher Kielhas'!« Und mit dem Humor seiner Gattung setzte er hinzu: »Wenn das sein könnt', dann gäb's keine Gerechtigkeit mehr in der Welt! Ich will's noch nicht glauben!«

Den schwarzen Hans charakterisierte eine gewisse Ruhe, die aus einem großen Selbstvertrauen stammte. Er hatte schon soviel erreicht – im Grunde war ihm bis jetzt alles durchgegangen; er glaubte fest, daß, wenn er etwas ernstlich haben wollte, er es auch erlangen werde! Mit einem Gefühl unbedingter Zuversicht ging er zu Bette und schlief den Schlaf des Gerechten.

Am andern Morgen, als er, in seinem Garten spazierend, des gestrigen Abends dachte, lächelte er über sich selber. Es kam ihm närrisch vor, daß er aus der Rede des Kasper soviel gemacht, und um eines Mädchens willen, die er noch nicht kannte, den beabsichtigten Gang zu einer andern aufgegeben hatte, bei der er der besten Aufnahme sicher war. Wer wußte, ob ihm die Kathrine überhaupt gefiel. Sein Geschmack war nicht immer der der andern!

Endlich erhob sich in ihm doch die Neugierde wieder. Er wollte die Gepriesene sehen und ging deswegen, als die Zeit gekommen war, in die Kirche. Indessen, wie er von der »Borkirche« zu den Weibern niederlugte, sah er im Kirchenstuhl die Schreinerin.

Der schöne Nachmittag gab seinen Gedanken eine andere Richtung. Er wollte den gestern unterlassenen Gang nachholen, den Tag im dortigen Wirtshaus verbringen und dann ein Haus aufsuchen, wo man ihn freundlich willkommen hieß.

Mit einem tüchtigen Knotenstock bewaffnet, einsam, wie er zu tun pflegte, trat er die Wanderung an. Sein Haus (nämlich das seiner Eltern) stand auf der Anhöhe zunächst dem Walde; er ging die Gasse hinunter, dem Bache zu, über welchem der kleinere Teil des Dorfes lag, den man »das Weiler« nannte. Als er den Steg hinter sich hatte und auf dem Fußweg des Angers weiter ging, kam ihm lebhaften Schrittes ein Mädchen entgegen. Er faßte sie ins Auge und riet richtig. Es war Kathrine.

Eine kleine Strecke vor ihr blieb er stehen, betrachtete sie und rief mehr im Tone der Anerkennung als der Bewunderung: »Bist du's oder bist du's nicht?«

Das Mädchen, welches noch einen Schritt vorgegangen war, sah ihn von der Seite an. »Nun,« erwiderte sie schnippisch, »ich werd's ja doch wohl sein!«

Hans lächelte. »Du darfst mir die Frag' nicht übelnehmen, Kathrine! Sapperment, du bist verwandelt! Und – verloren hast nichts dabei!«

Diese Bemerkung war dem Mädchen nicht neu; vom schwarzen Hans machte sie aber doch eine eigene Wirkung. Sie verzog den Mund, nicht ohne Vergnügen.

»Weißt du,« fuhr der Bursche mit der Ungezwungenheit eines gewiegten Kenners fort, »daß du jetzt das schönste Mädchen im Dorfe bist?« Und mit Sicherheit setzte er hinzu: »Keine kann gegen dich aufkommen! Nicht eine einzige!«

Kathrine, wenn sie auch für das Anmaßliche in diesem Benehmen ein Gefühl hatte, konnte doch dem Wohlklang des Ausspruches nicht widerstehen. Sie errötete. Den Hans kannte sie gut. Es war ein gefährlicher, »böser« Mensch, und ein ordentliches Mädchen durfte sich vor ihm in acht nehmen. Aber er war der Keckste und Stärkste im Dorf, er war gefürchtet in der ganzen Umgegend, und das hatte auch bei ihr ein Gefühl des Respekts erzeugt. Mochte man gegen ihn haben, was man wollte – das waren ihre Gedanken – zum Lügen war er zu stolz; und was er ihr jetzt gesagt hatte, das sagte er nicht einer jeden! – Indessen die Schmeichelei durfte sie nicht annehmen; mit einem gewissen Eifer entgegnete sie daher: »Ich bin, wie ich bin, und ich will nicht anders sein als andere!« – Dann, mit einem Nachklang des Unwillens, aber doch schon wieder gutmütig, setzte sie hinzu: »Guten Abend für heut'« und wollte gehen. Hans trat ihr in den Weg. »Wohin willst du denn so schnell?« rief er.

»Ich muß eine Kamrädin besuchen!«

»Das wird keine solche Eil' haben!« Und mit einem Lächeln, das die scherzhafte Absicht verriet, sagte er: »Ich hab' dich solang' nicht gesehen – und bin doch dein Vetter!«

»Sehr weitläuftig!« entgegnete das Mädchen spitzig.

Hans lachte. »Nah' genug, daß ich mich darüber freuen kann, wie gut du aussiehst und wie schön du geworden bist! Du bist ausgeschlagen wie eine Blum'!« Kopfschüttelnd fügte er hinzu: »Ich fürcht', ich fürcht', da wird's Geschichten geben im Dorf!«

Nun wurde es dem Mädchen zu viel. »Mit mir gibt's keine Geschichten!« versetzte sie scharf.

»Weißt,« erwiderte der Bursch mit einer Art von Gutmütigkeit, die aber etwas Vornehmes hatte, »auf dich allein kommt's hier nicht an! Du verrückst den Burschen die Köpf' – und dann ist der Teufel los!«

»Ich verrück' keinem den Kopf,« entgegnete Kathrine mit Nachdruck; und nicht ohne Selbstgefühl setzte sie hinzu: »Ich bin versehen!«

Hans nickte. »Ich hab' davon gehört!« sagte er. »Nun – es muß dich aber nicht verdrießen! – an die Geschichte glaub' ich noch nicht recht!«

Das Mädchen sah ihn betroffen an. »Nicht glauben!« rief sie. »Wir sind so gut wie versprochen!«

»Das ist so gut wie nicht versprochen!« entgegnete Hans. »Geh,« fuhr er geringschätzig fort, »der Heiner! – Er verdient dich nicht, trotz seines Bauernhöfles!«

»Das ist meine Sach',« versetzte Kathrine stolz. »Wenn er mir recht ist –«

»Er kann dir nicht recht sein!« widersprach Hans. »Er paßt nicht für dich!«

Jetzt riß dem Mädchen die Geduld. »Aber das ist ja unverschämt!« rief sie errötend. »Der Heinrich soll nicht für mich passen! Warum? Was ist gegen ihn einzuwenden?«

»Er ist ein guter Kerl! Pah!«

»Ein schöner Fehler,« entgegnete sie höhnisch.

»Er ist kein rechtes Mannsbild! Er hat keine Schneid!«

Nach diesem Einwurf trat das Mädchen vor den Burschen, sah ihn an und rief: »Jetzt hör auf, Hans – jetzt hab' ich's satt. Der Heinrich ist gutmütig und tut einem lieber einen Gefallen, als daß er einem einen Streich spielt – aber gelitten hat er noch von keinem was! Und er ist ein braver Mensch: ein Mensch, der hält, was er verspricht, und auf den man sich verlassen kann wie auf unsern Herrgott! Wenn der mein Mann ist, dann weiß ich, was ich hab'. Er macht nicht jeder das Maul und hat nicht in jedem Dorf eine andere! Er läuft nicht des Nachts herum mit einem genagelten Stock und schlägt einen nieder um ein gutes Wort! Er ist von Leuten da, auf die man sich etwas einbilden kann, und mir ist er lieb und sonst geht's niemand was an! – So, jetzt wünsch' ich guten Abend!«

Hochgerötet, mit kräftigen Schritten ging sie an ihm vorüber.

Hans schaute ihr nach – keineswegs verletzt, sondern mit einem spöttischen Lächeln, das aber alsbald in einen Ausdruck von Anerkennung überging. »Das Mädle,« rief er, »hat ein Maul wie ein Schwert; – und das hat just noch gefehlt! – Zum Teufel! Sie gefällt mir, und ich hätt' sie um den Hals nehmen mögen am hellen Tage!«

Er stand eine Weile nachdenklich; dann sagte er: »Wir wollen sehen!«

Mit gemessenen Schritten setzte er seinen Weg fort.


III.

Es war vierzehn Tage später. Die Familie des Schreiners hatte das Abendessen eingenommen, die beiden jüngeren Kinder, ein Bursche von vierzehn Jahren und ein Mädchen von zwölf, waren auf den Anger gegangen, um sich noch mit ihresgleichen zu belustigen – statt ihrer saß am abgedeckten Tisch Heinrich neben der Geliebten. Die jungen Leute schauten vergnügt zusammen, und die Schreinerin betrachtete sie mit zufriedenen Blicken.

In der letzten Zeit war der erfahrenen Frau die Tochter einigemal sonderbar vorgekommen. Kathrine hatte ihr von den Reden des Hans erzählt und wie sie sich über den unverschämten Menschen geärgert, es ihm aber auch gehörig hinausgegeben habe, und die Alte hatte sie gelobt und sie dringend ermahnt, dem Burschen so wenig Audienz zu geben als möglich; denn es sei ein gefährlicher Mensch, der schon manche närrisch gemacht habe, von der's niemand geglaubt hätte. Und Kathrine war darauf böse geworden und hatte geantwortet: ihr sei er nicht gefährlich, und wenn sie ihm keine Audienz mehr gebe, so sei es nicht, weil sie fürchte, zuletzt auch närrisch zu werden, sondern, weil ihr so freche Menschen in der Seele zuwider seien und sie einen Ekel vor ihnen habe. Damit schien die Sache abgemacht. Aber später war das Mädchen zuweilen dagestanden, als ob sie von einem Gedanken gedrückt und geplagt wäre, und gegen den Heinrich war sie manchmal sehr kurz angebunden, als ob ihr etwas an ihm nicht recht wäre. Das hatte der Alten wahre Sorgen gemacht. Aber gottlob, diese Laune verlor sich nach und nach – und jetzt saßen sie nebeneinander wie Leute, die sich gern haben und die zufrieden sind von ganzer Seele.

Jene Laune an Kathrine war in der Tat nicht nur der Mutter aufgefallen, sondern auch Heinrich. Für ihn wurde sie aber eben der Grund einer vorteilhaften Änderung. Durch einen gelegentlichen Ausbruch davon betroffen, gekränkt, dachte er über sich nach und überzeugte sich, daß er gegen das Mädchen gar zu gut und zu weichherzig sei. Er fühlte, daß er sich dadurch etwas vergebe, sich bei ihr selber schade, und machte sich von dem Augenblicke an eine ruhigere Haltung zum Gesetz. Die Wirkung zeigte sich alsbald. Kathrine schaute den Geliebten, der nun in einem gewissen freundlichen Stolze vor ihr stand, mit Blicken des Wohlgefallens, der Freude, der Achtung an, und eben darin lag die Ursache, daß sie heute wieder so glücklich nebeneinander saßen.

Bald nach dem Weggehen der Kinder war man auf ein dörfliches Ereignis zu sprechen gekommen, das in denen, die es nichts anging, eine billige Schadenfreude zu erwecken pflegt, und nicht nur der Alte scherzte darüber, sondern auch Heinrich. Die ganze Familie war von dem Vergnügen belebt, das man hat, wenn von andern etwas zutage kommt, das sie gerne verborgen hätten.

Die Tür ging auf, und mit einem Guten Abend trat der uns vom Gespräche bei der Schmiede her bekannte Kasper herein. Er zeigte in seiner Miene einen Ernst und eine Wichtigkeit, die ihm nicht gewöhnlich waren; Heinrich sagte daher: »Kasper, du kannst uns was verzählen – ich seh' dir's an! Sag's – wir sind just im Zug!«

»Allerdings,« erwiderte Kasper, nachdem er auf der Bank Platz genommen hatte, »kann ich was verzählen! Aber – nicht grade was Gut's!«

»Nun,« rief die Schreinerin, »es wird doch kein Totschlag vorgekommen sein!«

»Hat nicht viel gefehlt!« entgegnete der Bursch.

»Wie!« rief die Frau einigermaßen erschrocken. »Aber sag, verzähl uns!«

Man rückte zusammen und Kasper begann: »Ihr habt vorgestern gehört, daß der Webersfritz von B. in eine Heugabel gefallen sei und sich den Arm durch und durchgestochen habe?«

»Jawohl!« sagte die Schreinerin.

»Der Stich ist richtig; aber die Heugabel ist falsch.«

»Es hat ihn also,« versetzte Heinrich, »einer mit einem Messer gestochen?«

»So ist's! – Und wer hat's wieder getan? Der schwarze Hans!«

Kathrine richtete sich neben dem Geliebten auf. Die Mutter rief: »Das ist aber doch gar zu arg mit dem Menschen!« – Der Schreiner schüttelte bedenklich den Kopf.

Kasper fuhr fort: »Seit der Fastnacht geht der Hans mit der Schneidersgret in B. – ein saubres Mädle, das ganz vernarrt ist in ihn. Die Besuche, die er des Nachts bei ihr macht, haben natürlich die dortigen Burschen geärgert; denn einen Fremden läßt man nicht gern herein, zumal wenn eine so schön ist, wie die Gret. Man hat dem Hans gedroht und ihm gesagt, er soll in seinem Dorf bleiben, sonst werde man ihn einmal zusammenschlagen, daß er das Aufstehen vergesse. Es gibt dort wilde Kerle, und mancher andere hätte sich schrecken lassen. Der Hans ging aber nach wie vor in aller Ruhe zu seiner Gret, immer mitten durch die Dorfgasse, als ob ihm kein Mensch was anhaben könnt'. Freilich hatte er immer den dicken Stock bei sich, den er sich extra für die Nacht gemacht hat, unten mit Eisen beschlagen; in seiner Hosentasche steckt das Messer, das er sich spitzig zugeschliffen hat wie ein Stilett; und man weiß, er führt diese Sachen nicht zum Spaß bei sich! Wegen dessen wurden die Burschen immer wieder scheu gemacht. Aber der Webersfritz, der die Gret selber gerne haben möcht', hat seinen Kameraden keine Ruh' gelassen, und am letzten Dienstag wollte man ihn endlich abstrafen! Die Burschen, sechs an der Zahl, ließen ihn ruhig zum Schneider hineingehen, warteten aber, bis er wieder herauskam. Es war um die zweite Stunde. Als Hans die Gasse herunterging, rannten sie mit Holzscheitern auf ihn los; aber er hatte sie zu rechter Zeit noch gesehen, er schwang seinen Stock, und wie, das könnt ihr euch denken. Es gab Löcher im Kopf und Beulen; drei von den Burschen hatten bald genug und gingen blutig auf die Seite. Die anderen schlugen um so wütender drein; der Hans kriegte seinen Teil auch, das Blut rann ihm übers Gesicht und endlich riß ihm der Webersfritz noch den Stock aus der Hand. Da wär' doch jeder andere verloren gewesen! Aber der Hans, was tut er? Er fährt schnell ein paar Schritte zurück, zieht sein Messer, stürzt mit rasender Schnelligkeit auf den Fritz und sticht ihm den rechten Arm mitten durch. Der Fritz tut einen Schrei, läßt den Stock wieder fallen; Hans nimmt ihn wie der Blitz und schlägt zu, bis sie alle davonlaufen. Dann nimmt er sein Messer vom Boden und steckt's ein, wischt sich das Gesicht mit seinem Sacktuch, schüttelt sich und geht weiter, als ob nichts vorgefallen wär'!«

»Das ist aber doch ein verfluchter Kerl,« rief die Schreinerin.

»Und anhaben,« bemerkte der Schreiner, »kann man ihm wieder nichts! Er hat sich gewehrt, das kann man niemand verbieten!«

»Natürlich,« erwiderte Kasper. »Darum hat der Webersfritz auch die Heugabel erfunden. Aber die Geschichte ist jetzt doch 'rausgekommen. Ich hab's von einem, der dabeigewesen ist und am ersten aufgehört hat, weil er nur aus Gefälligkeit mitgegangen ist. Ich hab' ihm aber versprechen müssen, daß ich ihn nicht angeb'!«

Die Hörer saßen da mit Gesichtern, die alle, jedes in seiner Art, mitten in der Mißbilligung eine eigene, tiefe Zufriedenheit ausdrückten. – Der Hans war ein unheimlicher Mensch; seine Vornehmheit kränkte, seine Anmaßung beleidigte und sein Lebenswandel gab großes Ärgernis. Aber er war vom Dorf, er hatte gesiegt über ein halbes Dutzend Burschen des andern Dorfs: jedes vom Dorf konnte mit ihm triumphieren! Und so vermochte nun selbst die Schreinerin ihre Genugtuung nicht zu verbergen; und Kathrine sah vor sich hin, bewegt, ernst, mit einem Ausdruck förmlicher Anerkennung im Gesicht.

Das Schweigen, das eingetreten war, unterbrach Heinrich. »Es ist merkwürdig,« sagte er, »wie die Menschen sich eigentlich gleichbleiben! So ist jetzt der Hans von Jugend auf gewesen! Immer hat er getan, was er gemocht hat, und vor niemand hat er sich gefürchtet! Immer ist er gern allein gewesen, und wenn er mit seinen Kameraden zusammengekommen ist, dann hat er sie entweder kommandiert oder er hat sich mit ihnen 'rumgeschlagen!«

Kathrine, wie aus einem Nachdenken erwachend, sagte: »Ein sonderbarer Mensch!«

Heinrich fuhr fort: »Wie er noch in die Schule ging, sind wir öfter zusammengekommen, obwohl er über zwei Jahr' älter ist, und wir haben allerlei Sachen miteinander gemacht. Ein Hauptvergnügen von ihm war, die Buben anzuführen, wenn sie »in die Birn« oder »in die Äpfel gehen« wollten. Er hat uns da befohlen wie ein General. Die einen mußten mit ihm in den Garten und auf die Bäume steigen, die andern mußten an verschiedenen Stellen Wache halten, und er hat ihnen gesagt, wie sie rufen oder pfeifen sollten, wenn jemand des Wegs käme. An Tagen, wo die Leute im Feld waren, ist es uns öfter gelungen, daß wir mit gepfropft vollen Taschen davongingen, ohne daß einer von uns erwischt worden ist. Und sagen muß ich es, wie's ist: der Hans machte sich nichts aus der Beute; er warf seine Äpfel, oder was es eben war, meistens einem hin, den er gerade leiden mochte. Aber es freute ihn, wenn recht viel zusammengekommen war und wenn jeder seine Schuldigkeit getan hatte.«

»Sieh, sieh!« rief hier der Schreiner mit schlauen Augen, »jetzt merk' ich, wer mir damals meine Bäume geleert hat! Du, Heinrich, und deine Spießgesellen!«

Der Bursche lächelte wie zu einem Vorwurf, der einem Ehre macht, während die andern ihn vergnügt betrachteten. Nach einer Weile sagte er: »Einmal hab' ich mit dem Hans einen Handel gehabt, der wohl mit dran schuld sein mag, daß er immer etwas gegen mich gehabt hat bis auf den heutigen Tag.«

»Was ist das gewesen?« rief Kathrine. »Erzähl's uns!«

»Du mußt dir nicht zu viel erwarten,« entgegnete der Bursch, »es ist eben ein Bubenhandel gewesen; aber man lernt doch den Hans daraus kennen und auch uns andere. Ich hab' schon gesagt: entweder hat der Hans kommandiert oder er hat zugeschlagen! Eine Zeitlang hat er's vornehmlich auf drei Bauernsöhne abgesehen gehabt, wovon ich einer war. Wenn er einem von uns ankommen konnte, so gab's was. Das wurde mir denn doch endlich zu arg, und ich beschloß, mich zu rächen. Ich beredete die andern, die ein paar tüchtige Kerle waren, daß wir ihn zusammen angreifen, niederwerfen und uns an ihm satt schlagen wollten. Eines Abends sollte die Sache vor sich gehen. Wir standen auf dem Anger beisammen zu einer Zeit, wo der Hans auch gewöhnlich herunterkam, und nicht lange, so sahen wir ihn anrücken. Er hatte einen braungebeizten Stock in der Hand, wir waren ohne Waffen – unverzagt begannen wir ihn herauszufordern und ihn zu schimpfen. Er stellte sich hin und rief: »Kommt, wenn ihr Courage habt! Kommt, ihr elenden Bauernsöhne!« Dabei fuchtelte er mit seinem Stock, daß es pfiff. Als wir uns besannen, verhöhnte er uns, und es schien ihm das größte Vergnügen zu machen, unsere Furcht vor seinem Stock zu sehen. Ich, vorne stehend, wurde zornig über meine Kameraden und mich und beschloß, mich zu opfern. Mutig ging ich auf ihn zu und nahm die Hiebe auf Kopf und Schultern in Empfang, wie sehr sie mich brannten, und es gelang mir, ihn um den Leib zu fassen. Er hatte aber den Arm mit dem Stock frei und schlug mich damit fortwährend, und meine guten Freunde zauderten immer noch! Da, nachdem ich ihnen alle möglichen Scheltworte zugerufen, kamen sie endlich herbei. Daß ich's kurz mach': vereinigt warfen wir ihn hin und legten uns über ihn; ich zerbrach ihm den Stock und schlug ihn mit der Faust nach Herzenslust. Er war in unserer Gewalt; wie grimmig er sich wehrte, gegen uns drei konnte er nicht mehr aufkommen. Da rettete ihn ein närrischer Umstand!«

Heinrich hielt inne. Die andern schauten ihn neugierig an.

»Er blutete,« fuhr der Bursch mit einem Lächeln fort, das nicht ohne Beschämung war. »Er blutete an der Stirn und aus der Nase, und namentlich von dieser ging eine dunkle Rinne die Backe und das Kinn herunter. Nun weiß unser Herrgott, wie's über mich kam: kurz, ich glaubte, wir hätten ihn totgeschlagen und er wäre nicht weit vom Sterben! Ein fürchterlicher Schrecken packte mich an und brachte mich bald von Sinnen; ich hielt noch einen Arm von ihm, aber ich schlug nicht mehr und starrte ihm ins Gesicht. Den andern war's ähnlich zumut', wie sie mir nachher gesagt haben: kurz, wie auf eine Verabredung, ließen wir ihn los und – liefen davon!«

»Ach!« rief Kathrine spöttisch lächelnd. Und mit einem Ton des Mitleids, ihn mütterlich streichelnd, setzte sie hinzu: »O du guter Heinrich!«

Der Bursch zuckte die Achseln. »Was willst du?« sagte er. »Es war eine Dummheit, aber ich hab' sie gemacht!«

Die Schreinerin, gleichfalls mit einem Licht des Spottes in ihrem freundlich breiten Gesicht, fragte: »War's denn aber dann aus mit eurem Davonlaufen?«

»Für den Tag, ja. Später bekam jeder meiner beiden Kameraden noch seine Tracht Prügel von ihm – ich ging leer aus. Er traf mich nicht mehr so, daß er mir ankommen konnte; das nächste Frühjahr kam er aus der Schul' – und nun war ich ihm zu klein! Er hätte sich geschämt, einen Schulbuben zu schlagen! Aber gemocht hat er mich von dieser Zeit an nicht mehr. Während er mir doch früher zuweilen großes Lob gegeben, wenn ich beim Äpfelstehlen meine Sache gut gemacht hatte, lief er jetzt an mir vorüber, sprach nur mit mir, wenn's durchaus nicht anders ging, und machte ein Gesicht, als wenn er sagen wollte: »Ich kann dich nicht leiden!«

Kathrine und Kasper zeigten eine Miene, als ob sie das bestätigen könnten. Der Schreiner, nach einer Weile, bemerkte: »Der Hans ist von seiner Mutter her mit uns verwandt: mein Vater und ihr Vater waren Geschwisterkindskinder; aber er hat nichts von uns! Er hat andere Manieren – sein Gesicht ist nicht, wie man's bei uns hat, und seine Farbe nicht!«

»Bei uns im Ries gibt's allerhand,« sagte die Schreinerin. »Aber,« setzte sie dann aus tiefem Herzensgrund hinzu, »wie dem noch ein Mädchen trauen kann! Sechs, die er gehabt und wieder verlassen hat, weiß nur ich! Und allemal ist wieder eine so dumm!«

»Bas',« versetzte Kasper, »ich glaub', Ihr solltet sagen: so leichtsinnig! Dumm ist die Schneidersgret nicht; im Gegenteil, sie ist ein gescheites Mädchen! Wenn man ihr ins Herz sehen könnt', ich glaub' auch nicht, daß sie wirklich hofft, der Hans werde bei ihr bleiben. Aber sie ist eben toll mit ihm – sie ist stolz darauf, daß sie jetzt diejenige ist, der er nachläuft – und sie lügt sich selber an!«

Die Wangen der Kathrine hatten sich gerötet. »Wie es solche Mädchen geben kann,« rief sie, »das kann ich gar nicht verstehen! Ein Mensch, wo man gewiß weiß, daß man angeführt ist! Welche Schande! Wie kann man sich selber eine solche Schmach antun? Ich begreif's nicht!«

Heinrich faßte ihre Hand und drückte sie. »Du bist eben ein braves Mädchen,« rief er, »ein Mädchen, das Ehrgefühl hat!«

Der Vater saß mit ernster Zufriedenheit, und die Mutter sah mit Anteil auf das Paar. Dann sagte sie: »Jede freilich ist nicht so ›ringsinnig‹ und glaubt so einem Menschen! Gott sei Dank, es gibt noch Mädchen, an denen all seine Kunst verloren wär'! Aber wenn ich an die denk', die sich schon von ihm haben anlügen lassen! Drei von ihnen sind jetzt verheiratet und wohlversorgt! Sie sind vorher gescheit gewesen, sie sind jetzt gescheit: wie ist's möglich gewesen? frag' ich. Und ich sag', der Mensch muß was können; er muß eine böse Kunst wissen, sonst kann ich mir's nicht erklären!«

Die Schreinerin sagte das in vollem Ernst. Heinrich, mit einem unmerklichen Lächeln, versetzte: »Ich glaub', das rechte Wort hat der Kasper gesagt. Und was den Hans betrifft, unverschämt ist er, nachgeben tut er nicht, und reden kann er – das sind seine Künste!«

Kasper hatte nachdenklich vor sich hingesehen. »Ich,« sagte er, »bin jetzt nur neugierig, welche die Nächste sein wird! Denn mit der Schneidersgret hat's am längsten gewährt!«

»Was!« rief Kathrine; und die Schreinerin setzte hinzu: »Aber woher willst du wissen –?«

»Derjenige,« erwiderte Kasper, »der mir die Geschichte von der Schlägerei verzählte, hat mir noch gesagt, der Hans wäre nachher, ohne ihn zu sehen, an ihm vorübergegangen und hätte für sich gerufen: »Die Esel – hätten sie nicht noch ein paar Tag' warten können?« Daraus, meint jener, wär' abzunehmen, der Hans hätte auch an der Gret schon wieder genug und der Fritz könnte sie jetzt haben.«

Kathrine erhob sich von ihrem Sitz. Mit erzürntem Ton rief sie: »Aber jetzt redet mir von diesem Menschen nichts mehr! Ich will nichts mehr hören!«

Die Mutter nahm sie bei der Hand und drückte sie ihr mit einem Blick des Beifalls.

»Es ist noch nicht aller Tage Abend!« versetzte Kasper. »Der findet noch seinen Mann! Und ein gut's Ende nimmt's nicht mit ihm, das weiß ich gewiß! – Aber jetzt,« fuhr er aufstehend fort, »muß ich nach Hause! Ich hab' euch nur die Geschichte verzählen wollen.«

»Ich geh' mit dir,« versetzte Heinrich; »ich hab' noch ein kleines Geschäft bei einem Nachbar.« Er trat zu Kathrine und sagte: »Gute Nacht, Liebe! Schlaf wohl! Ärger' dich nicht über den schlechten Menschen! Solche gibt's keine zwei im Ries – und das Handwerk, das er treibt, wird man ihm noch legen!«

Er verließ mit Kasper die Stube. Die beiden Alten gaben ihnen das Geleit und gingen dann ihren Geschäften nach. Kathrine war allein.

In der Stube, die nach Morgen lag und Blumenstöcke am Fenster hatte, fing es bereits an zu dunkeln. Das Mädchen stand in sich versunken. Eine sonderbare Erregung sprach aus ihrem Wesen.

Warum machte sie sich so viel aus der Geschichte, die sie gehört hatte? Im Grunde ging es sie nichts an! Konnte sie sich um alle Mädchen kümmern, die der Hans anführte? – Das wär' doch eine rechte Torheit!

Vor ihrer Seele stand seine Gestalt. Ein böser Mensch! Ein Mensch, der, wie die Mutter glaubte, eine böse Kunst wußte und damit die Mädchen unglücklich machte! – Sie schauerte, ihr Herz empörte sich – aber sie konnte von dem Bilde nicht wegkommen!

Sie wollte ihre Gedanken auf den Guten, den Redlichen, den Liebenden lenken – es gelang ihr nicht. Der, welchen sie liebte, zerfloß – der, welchen sie haßte, stand vor ihr und ihr Blick haftete an ihm.

Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn und strich sie wiederholt. »Was bin ich doch für ein dummes Ding!« rief sie endlich. »Bin ich verhext? Das hätt' ich doch wahrlich nie geglaubt, daß man an einen Menschen denken muß, den man nicht leiden kann, und von dem man nichts wissen will! Hat wirklich der Teufel sein Spiel?«

Sie schwieg und holte Atem. »Es ist so schwül in der Stub',« sagte sie nach einer Weile; »ich will noch ein wenig in die frische Luft!«

Sie verließ das Haus und ging von ihrem Hof auf den Anger. Aber sie hatte kein Verlangen, Leute zu sehen, und richtete daher ihre Schritte zu einem schmalen Gang zwischen zwei Gartenhecken, der auf das Wiesenland hinausführte. Durch diesen wandelte sie langsam und ging dann auf dem Fußpfad weiter, der auf der Wiese an den Gärten hinlief. Ihr Blick war zu Boden gerichtet, ihre Seele mit sich selber beschäftigt, ein plötzliches Geräusch entriß sie ihren Gedanken. Sie schaute auf – und fuhr zusammen. Der schwarze Hans, leibhaft, stand vor ihr!

Obwohl sich die Sonne bereits hinter die fernen Hügel gesenkt hatte, war's auf der Wiese doch noch hell. Der Bursche trat einen Schritt näher und sagte mit Anstand, beinahe treuherzig: »Guten Abend, Kathrine!«

Das Mädchen, ohne zu danken, rief: »Wie kommst denn du da her?«

Jener, mit einem Lächeln, das etwas Melancholisches hatte, wiederholte: »Wie komm' ich da her!« Dann setzte er hinzu: »Das könnt' ich dich ja auch fragen!«

Kathrine, die sich zu fassen begann, entgegnete: »Ich geh' spazieren hinter meinem Garten!«

»Nun ja,« sagte der Bursche mit einer gewissen Laune, »das tu' ich auch!«

Diese leichten Reden gaben dem Mädchen ihre Geistesgegenwart wieder. »Der Weg da,« versetzte sie, »ist allerdings für jedermann – ich kann dir ihn nicht wehren – und am End' brauch' ich ihn auch nicht mehr für mich! – Guten Abend!«

Sie wendete sich, um zu gehen. Aber der Bursche hatte sie schnell beim Arm gefaßt und rief mit einem Blicke des Vorwurfs: »Warum willst du schon wieder fort? Bin ich ein Mensch, mit dem man nicht einmal reden kann?«

Kathrine, indem sie den Arm freizumachen suchte, rief: »Laß mich gehen! Was willst du von mir?«

»Ein bißchen schwätzen,« versetzte jener, »weiter nichts!«

»So laß mich los!«

»Wenn du mir versprichst, daß du nicht gleich davonlaufen willst – auf der Stell'!«

»Nun ja,« sagte das Mädchen endlich. Der Bursch ließ den Arm frei. Kathrine stand mit einem Ausdruck von Unmut und Sorge da. »Du weißt nicht, was du tust,« sagte sie. »Es ist spät; und wenn man mich hier bei dir stehen sieht –«

»Ah so,« rief Hans, »das ist die Furcht? Nun,« setzte er spöttisch tröstend hinzu, »es wird jetzt nicht gleich jemand des Weges kommen! Und wenn auch – wer ein gutes Gewissen hat, der kann die Leute reden lassen!«

»Das ist am Ende wahr,« entgegnete das Mädchen. »Und ich für meinen Teil,« fuhr sie mit einem nicht zu mißkennenden Blick fort, »ich hab' ein gutes Gewissen!«

»Also!« versetzte der Bursche vergnügt. Und mit der ihm eigenen überlegenen Laune fuhr er fort: »Dir traut niemand was Böses zu; am allerwenigsten dein Heinrich! Der baut Häuser auf dich!«

»Das kann er auch,« erwiderte Kathrine mit Nachdruck.

Hans nickte; dann sagte er: »Ich darf nimmer dran zweifeln, obwohl ich's noch immer nicht begreife!« – Und mit dem Klang ehrlichen Unwillens fügte er hinzu: »So ein unverschämtes Glück haben! Solch ein Bursch! Wenn er rasiert ist, könnt' er ein Mädchen vorstellen! Er ist kein Mannsbild – geh! Ich hab' ihn nicht gemocht, solang' ich ihn kenn'!«

Das Mädchen lächelte spöttisch. »Die Ansichten sind verschieden,« erwiderte sie. »Wenn du ihn nicht gemocht hast, so haben ihn andere gemocht, von denen es ihm vielleicht lieber gewesen ist!«

»Sein Vater,« fuhr Hans fort, ohne sich durch diese Antwort irremachen zu lassen, »ist schon so ein Süßer gewesen! Ein Duckmäuser, ein Schönmehlschwätzer –«

Der Spott im Gesichte Kathrines nahm einen ernsten Charakter an. »Und was ist denn deiner gewesen?« rief sie mit unzweideutigem Blick.

Der Bursch, die Frage verstehend, lächelte vornehm. »Ich weiß es nicht,« entgegnete er. »Aber ein Tropf ist er nicht gewesen – das kann ich dir sagen; denn sonst hätt' er keinen solchen Sohn!«

»Stolz bist du,« versetzte Kathrine, »das kann dir niemand abstreiten!« Und spottend fuhr sie fort: »Vielleicht ist's ein Baron gewesen – oder gar ein Graf! Und darum ist's dir nun auch, als ob der Wald dir gehörte, und die Hirsch' und die Reh' für dich drin herumliefen!«

Hans lächelte. »Es ist mir wirklich so,« erwiderte er. »Sollen die Herren nur allein wissen, wie's einem zumut' ist, wenn man ein Stück niederbrennt?«

»Er bekennt!« rief das Mädchen überrascht. »Er gesteht's ein!«

»Nun,« versetzte Hans mit einem Vertrauen und einer Achtung, durch welche unwillkürlich ein Licht der Zärtlichkeit hindurchbrach, »du bist ein braves Mädchen, du gibst mich nicht an!«

»Weißt du das so gewiß?« entgegnete Kathrine.

»Geh,« rief Hans, »du bist stolz! So stolz wie ich!« Er schaute sie an, und in einem Augenblick verwandelte sich sein Wesen. Sein Aussehen verriet eine tiefe innere Erregtheit. »Du willst dir unrecht tun,« rief er mit heftigem Ernst; »aber ich leid's nicht!« Entschlossen ging er auf sie zu, ergriff ihre Hand und fuhr mit einem brennenden Blick, mit dem Gefühl der tiefsten Berechtigung fort: »Kathrine, wir zwei passen zusammen! Was ich bin als Mannsbild, das bist du als Mädle! Vor dir muß jede andere weichen im Dorf und vor mir jeder Bursch! Kathrine, du mußt die Meine werden!«

Das Mädchen hatte ihm bei den letzten Worten die Hand entrissen. Sie starrte ihn an und rief: »Bist du verrückt?«

»Ich hab' Verstand für dich und mich!« entgegnete Hans mit stolzer Miene und wildem Selbstgefühl. »So ein erbärmlicher Mensch wie der Bühler verdient dich nicht – du bist tausendmal zu gut für ihn! Du bist für mich in der Welt – und du wirst mein! Ich sag' dir,« fuhr er heftig, mit einer Art Raserei des Begehrens fort, »du wirst mein, du magst dich stellen, wie du willst!«

Kathrine sah ihn an, ihre Lippen bebten vor Schreck und Zorn; aber sie konnte nicht reden. Hans fuhr fort: »Seit dem Tag, wo ich dich zum erstenmal gesehen hab', läßt's mir keine Ruh'! Manches schöne Mädchen ist mein Schatz gewesen – ich brauch's nicht zu leugnen! – aber mit dir verglichen sind sie alle nichts! Du bist schön – schöner wie die schönste! Und du bist stolz! Du wehrst dich und du sperrst dich – und das gefällt mir! Du willst mich nicht und du stößt mich weg – eben darum mußt du mein werden, kost' es, was es wolle!«

Diese Rede gab dem Mädchen endlich den Gebrauch ihrer Zunge wieder. »Der Hochmut hat dich wahnsinnig gemacht, Hans!« rief sie mit einem Blick verachtenden Mitleids. »Du bist von Sinnen! Man muß dich ins Narrenhaus schicken!«

Der Bursch lächelte mit höhnischer Sicherheit. »Ich weiß, was ich will,« entgegnete er, »und es wird sich zeigen, wer recht hat. Du und der Bühler, das ist zu dumm – das ist unmöglich! Mein wirst du, so wahr ich hier vor dir stehe! Und wenn ich dich hab', wenn du mir gehörst ganz und gar, dann will ich dich daran erinnern!«

Kathrine zitterte vor Wut und Empörung. »Was!« rief sie, »so redest du zu mir? So gehst du mit mir um? Du bist ein Schandhund! – der frechste, schamloseste Mensch, der auf Gottes Erdboden herumlauft!«

Hans war bei dem Schmähwort aufgefahren, hatte sich aber schnell gefaßt und betrachtete sie mit verhältnismäßiger Ruhe. »Das bin ich nicht, Kathrine,« entgegnete er mit einem Tone der Abwehr. »Ich bin toll, ja! aber nur die Lieb' zu dir hat mich toll gemacht! Ich kann nicht leben ohne dich,« fuhr er mit glühender Leidenschaft fort; – »ich muß dich haben – und darum werd' ich dich haben!«

Das Mädchen, mit funkelnden Augen, mit bitterstem Hohn, entgegnete: »Wie vielen hast du denn das schon gesagt, wortwörtlich? Keine Ruh' haben – nicht leben können? – jawohl! Solang' du eine nicht hast, da läßt's dir keine Ruh' und du kannst nicht leben ohne sie! Aber wenn eine so dumm und so schwach gewesen ist, dir zu glauben, dann kannst du ganz gut leben ohne sie, und auf einmal drehst du ihr den Rücken zu! Pfui! Du bist gewissenloser als Räuber und Mörder! Du bist ganz gottvergessen und man kann nur nicht begreifen, daß dich unser Herrgott bis jetzt ungestraft gelassen hat und daß du immer noch herumgehen kannst, um die einfältigen Dinger, die dir glauben, ins Unglück und in Schande zu bringen!«

Der Bursch hatte ihr zugehört und kaum den Mund verzogen. »Ereifer' dich nicht, Kathrine!« entgegnete er dann gelassen. »Du sprichst von Dingen, die vorbei sind! Ich hab' manches getan, was nicht recht gewesen ist – was willst du? Der Übermut hat mich verführt und die Dirnen haben mir's leicht gemacht! Aber jetzt hab' ich's satt, ganz und gar satt! Ich mag sie nicht mehr, die leichtsinnigen Kreaturen, die sich einem an den Hals werfen! Ich hab' keine Freude mehr an dem Herumlaufen –«

»Du!« fiel das Mädchen höhnend ein. »Wie lang' ist's her, daß du zu der schönen Schneidersgret gegangen bist nach B. und daß du wieder deinen Stock und dein Messer hast brauchen müssen? Du siehst, man kennt deine Sachen!«

Hans lächelte nicht ohne Selbstgefühl. »Man darf sie kennen,« versetzte er. »Eben der Gang ist der letzte gewesen; – ich hab' mir's geschworen – und ich werd's halten!« Und ehe Kathrine zu Worte kommen konnte, fuhr er fort: »Alles muß ein Ende nehmen in der Welt – auch das Karessieren und das Possentreiben mit den Mädchen. Ich hab' das Meinige getan – ich kann mich jetzt zurückziehen und wacker sein mit Ehren! Du tust mir unrecht, Kathrine; mit dir hab' ich's gut im Sinn! Mein Vater gibt mir sein Haus, wann ich will; meine Base, die Sternweberin, die mich liebt, als ob ich ihr Sohn wäre, steuert bei – schlag ein und sei mein Schatz! In einem Vierteljahr bist du mein Weib!«

Kathrine, einen Schritt zurücktretend, schaute ihn an und nickte. »Und du bildest dir ein,« rief sie, »daß ich das glaub'? Du hoffst, daß ich so unsinnig bin und dir was Gut's zutraue? Solang' ich meine fünf Sinne beisammen hab', geschieht das nicht! Aber wenn du's auch ehrlich meintest – und wenn unser Herrgott vom Himmel herunterkäm' und zu mir sagte: dasmal spricht er die Wahrheit und du kannst ihm trauen – ich tät' mich bedanken! – Ich mag dich nicht!« fuhr sie mit der ganzen Erregtheit des Stolzes fort. »Ich will nicht haben, was schon so viele gehabt haben! Ich will einen Menschen zum Mann haben, der noch keiner nachgegangen ist, als mir – und so einer wird der Meine! Der Heinrich hat mein Wort und ich halt's ihm, und ich halt's ihm mit tausend Freuden! Wenn ein Mädchen die Wahl haben kann zwischen ihm und dir, und sie nimmt dich, dann verdient sie, daß man ihr die Füße zusammenbindet und sie im Feld herumschleift, bis sie hin ist!«

Mit wogender Brust, mit dem Blick einer Siegerin, zürnend, verachtungsvoll, stand sie da. Dann wendete sie sich und wollte gehen.

»Halt!« rief der Bursch mit Donnerstimme. Er hatte zufahrend ihren Arm gefaßt und hielt ihn wie mit einer eisernen Klammer.

»Was willst du?« rief das Mädchen entsetzt. »Willst du mir Gewalt antun? Laß mich los – auf der Stell' – oder ich schrei'!«

»Ich will nichts,« versetzte Hans mit Stolz, »als daß du nicht in dieser einfältigen Wut von mir weggehst! Du nimmst den Heinrich und gibst mir den Korb – gut! Ich weiß, was ich wissen muß – und werd' mich darnach richten! Totschießen wird sich der Sohn meines Vaters nicht, weil ihm von einer Närrin ein erbärmlicher Kerl vorgezogen wird! – Ich lass' dir deinen Heiner, bist du damit zufrieden?«

»Aber!« rief Kathrine, indem sie ihren Arm loszumachen suchte.

»Aber,« fuhr der Bursche fort, »ich will nicht haben, daß du dir nun einen Zorn einbildest und einen Haß, und daß du an mir vorübergehst, als ob ich der Teufel wär'! Du verschmähst mich – meinethalb, das kannst du! Ich aber, ich verlang', daß wir miteinander sind wie vorher! Du gehst mich nichts an und ich geh' dich nichts an; aber du bist meine Base und ich dein Vetter – dabei bleibt's! Das,« fuhr er mit erhöhter, befehlender Stimme fort, »das ist die Bedingung, die ich mach': nichts ist vorgefallen zwischen uns! Wenn du mir das versprichst, dann lass' ich dich los! Wenn nicht, so halt' ich dich fest und wenn du das ganze Dorf zusammenschreist!«

Kathrine ließ ihm den Arm und schwieg. Dann sagte sie mit Hohn, aber mit Ruhe: »Ich wär' eine Törin, wenn ich dir etwas nachtragen tät' – es ist nicht der Mühe wert, daß man gegen so einen bös ist! Also gut, wir wollen wieder sein, was wir gewesen sind – es ist wenig genug!«

»Dein Wort darauf?«

»Ich geb' dir's!«

»Gut – ich hab's!« rief der Bursche. »Und nun geh hin, wohin dein Herz verlangt!« Er ließ sie frei und sagte fortgehend mit spöttischem Nicken: »Guten Abend, Bäschen!«

Kathrine kehrte in großer Aufregung nach Hause zurück.


IV.

Der schwarze Hans war kein Mensch von Berechnung; er handelte nicht nach vorausbedachten Plänen, sondern nach Eingebungen. Er folgte, wenn in seinem Herzen ein Wunsch entstanden war, dem erregten Drange und dem Gedanken des Augenblicks. Aber er hatte einen angeborenen Takt, und es standen ihm Reden und Manieren zu Gebot, für deren Wirksamkeit der Erfolg sprach. Er verband Kühnheit mit einem gewinnenden, schmeichelnden Wesen, und die Eigentümlichkeit, wie er beide nacheinander handhabte, verfehlte niemals ihres Eindrucks. Mit der Überzeugung, daß man ihm nicht widerstehen könne, ging er auf den Wahlplatz – und diese Überzeugung hatte ihn noch bei keinem Unternehmen betrogen.

Zum erstenmal war er abgewiesen – abgewiesen, wo es ihn kränken und schmerzen mußte. Kathrine hatte einen tieferen Eindruck auf ihn gemacht, als irgend ein Mädchen vorher. Ihre Schönheit hatte ein heftiges Verlangen in ihm erregt, ihr stolzes Benehmen hatte ihm Respekt eingeflößt, er hatte sich gesagt: »Das ist endlich ein Mädchen, die für dich paßt!« Und er war zu dem Entschluß gekommen, die andere zu lassen, um diese zu gewinnen, und am Ende (da das ledige Leben zuletzt doch auch aufhören müsse) sie zu seinem Weibe zu machen. Aber die Bekanntschaft der Kathrine mit Heinrich? Wenn er, der Hans, auftrat, mußte der andere weichen; das Mädchen mußte ihm zufallen, wie ihm bis jetzt noch jede zugefallen war. Mit diesen Gedanken begab er sich abends auf die Wiese, um sie womöglich zu sehen und zu sprechen, was ihm über Verhoffen gelang. Um so beschämender verfehlte er den Zweck der Unterredung. Von seinem gewöhnlichen sicheren Verfahren abgehend, unternahm er einen Sturm – und dieser wurde abgeschlagen!

Als der Bursche am anderen Tage über den Auftritt nachdachte, war er mit sich und seinem Benehmen keineswegs zufrieden. Er tadelte den Übermut, der ihn wieder verführt habe, aber diesmal nicht zum Sieg! Er nannte sich selbst einen hoffärtigen Gesellen und meinte, es sei ihm recht geschehen, daß er eine noch Stolzere gefunden habe! – Nur der Einfall, wie er mit der Erbosten zuletzt wieder Frieden geschlossen, fand Gnade vor seinen Augen.

Zu tun war für jetzt in dieser Sache nichts mehr. Seine Ehre verlangte, daß er das Mädchen gehen ließ und sich seinerseits vergnügte, so gut es ging. Zur Schneidersgret wollte er nicht mehr zurückkehren, sie war ihm zu verliebt! Am Ende konnte er ja eine Zeitlang auch ohne Geliebte leben! Und wer weiß, was derweil geschah. Auf dieser Welt ist vieles möglich, und andere Umstände haben einem schon oft einen Vorteil verschafft, wodurch man allen Schaden wieder gut machen konnte.

Einige Tage später begegnete er der Kathrine auf der Gasse. Er sagte mit einer gewissen vetterlichen Treuherzigkeit den Gruß der Zeit, und sie dankte ihm ehrbar. Zufrieden schritt er weiter. – Kathrine war, als sie ihn herankommen sah, rot geworden und ihr Herz hatte zu klopfen begonnen. Als er so ruhig vorüberging, sagte sie zu sich: »Gottlob – er hat's aufgegeben – jetzt hab' ich Fried'!«

Ihr war eine große Sorge genommen! Am Sonntag, in ihr Haus zurückkehrend, hatte sie eine Scheu empfunden, der Mutter von diesem zweiten Zusammentreffen mit Hans etwas zu sagen, und sie glaubte, es sei überhaupt gut, wenn keinem Menschen etwas davon bekannt würde. Nachdem einige Tage vergangen waren, ohne daß irgendwer sie darüber beredete, konnte sie die beruhigende Überzeugung haben, daß sie mit dem Burschen auch von niemandem gesehen worden sei. Nun war nur noch zu fürchten, Hans möchte mit seiner bekannten Hartnäckigkeit seine Zusage brechen und seine Bewerbung erneuern. Die Begegnung zeigte, daß er dies nicht im Sinne habe: also kam sie, Kathrine, mit dem Übelberufenen nicht ins Geschrei – der Geliebte wurde nicht irre an ihr – und sie konnten ruhig ihrem Glücke entgegengehen.

Der Auftritt mit Hans hatte den größten Vorteil eben für Heinrich. Kathrine, um unwillkürliche Regungen in ihrem Innern zu ersticken, benahm sich gegen den Erwählten liebevoller als je. Sie vermied das vornehm spielende Wesen, in das sie früher zuweilen verfallen war, gänzlich und zeigte einen ernsten Eifer, ihm die Gewißheit zu geben, daß sie alles auf ihn halte. Der Bursche, dies wahrnehmend, fühlte eine tiefe Zufriedenheit. Er fuhr dennoch weislich fort, in Vermeidung allzu großer Zärtlichkeit eine männliche Haltung an den Tag zu legen, und die ruhige Würde ließ ihm gut und immer mehr stellte sich zwischen dem Liebespaar das naturgemäße Verhältnis fest.

Es war eine schöne Zeit für den wackeren Burschen – die schönste seines Lebens. Denn wie sehr die ersten Wallungen der Leidenschaft das Herz beglücken, ihre natürliche Heftigkeit hat im Gefolge eine Unruhe und eine Sorge, welche die Seele wieder bedrücken und die Freude trüben kann. Das Gefühl, welches die sichere Gegenliebe gibt, ist süßer, voller, beseligender. Die Liebe im Herzen haben und nicht sorgen müssen um Erwiderung, sondern diese an sich kommen lassen, und nicht nur die Forderung der Liebe befriedigt sehen, sondern auch die Forderung der Ehre – das ist eine Wonne für den Mann, und gerade für einen so guten, bescheidenen, wie es Heinrich war. Er liebte in der größeren Ruhe, die er zeigte und jetzt wirklich hatte, die Kathrine nicht weniger als früher, sondern mehr. Wenn er sie betrachtete und ihre Schönheit, welche jetzt durch den liebenden Eifer erhöht war, ihm in der Seele glänzte, da hatte er eine Empfindung, als ob das Glück, das »schönste Mädchen im Ries« zum Weib zu bekommen, für ihn doch eigentlich zu groß wäre. Er fühlte nicht nur, er sagte sich: die Kathrine sei er für seine Person nicht wert, und er habe in dieser Sache offenbar weit mehr Glück gehabt als Verstand!

Zuweilen stieg nun doch mitten in der Sicherheit ein Gedanke in ihm auf, als ob er sie am Ende noch nicht wirklich hätte – und sie ihm noch genommen werden könnte! Aber das war gleich dem Schatten eines Wölkchens, der über eine sonnige Ebene läuft. – »Ich bin ein Narr,« sagte er zu seiner Beruhigung, »daß ich glaubt das könnt' geschehen, wo doch alles dagegen ist!« Gleichwohl setzte er einmal, nach einer Weile Besinnens, hinzu: »Die Schreinerin meint, erst im Oktober; aber was frag' ich danach! Gleich nach der Ernt', im August noch mach' ich Hochzeit!«

Eines Abends, als er wieder mit der Familie zusammensaß, erschien Kasper mit einem ähnlichen Gesicht wie an jenem Sonntag. In der Tat hatte ihn der Drang hergeführt, seine Nachricht von damals zu ergänzen und zu beweisen, welch guter Prophet er gewesen! Er teilte mit, der Hans habe die Schneidersgret nun wirklich verlassen. »Er ist nochmal zu ihr gegangen« (lautete der Bericht) – »in der Abendstund', und da ist er so unverschämt gewesen, zu tun, als ob er die Bekanntschaft aufgeben müsse, weil er bei der Feindschaft der dortigen Burschen seines Lebens nimmer sicher sei! Die Gret, die recht gut weiß, daß der Hans sich nimmermehr fürchtet, hat es für einen Spaß gehalten und geantwortet, die Courage werde ihm schon wiederkommen. Aber der Hans ist dabeigeblieben und hat ihr ganz ernsthaft erklärt, es ginge nicht mehr, bis sie endlich zornig geworden ist und gesagt hat: jetzt sehe sie, wo er hinauswolle! Und darauf hat er gesagt: wenn sie das sehe, dann sei's gut; was man nicht mehr fortsetzen könne, das müsse man lassen, und er sei gekommen, ihr zu sagen, daß ihre Bekanntschaft ein Ende habe! Damit hat er ihr wohl zu leben gewunschen und ist gegangen. Die Gret hat nun getan wie rasend – sie hat geweint, geschrien, geschimpft und geschworen! Dann hat sie sich doch nochmal besonnen und eine Botschaft an ihn geschickt; nach allem, was er ihr gesagt habe, könne er nicht so gewissenlos handeln und sie verlassen; er solle wiederkommen, alles solle dann vergessen sein. Aber der Hans hat ihr geantwortet: es sei aus, und dabei bleibe es!«

Durch diese Erzählung wurde Kathrine in eine Aufregung versetzt, die sie nur mit großer Mühe so weit niederhalten konnte, daß man ihr nichts anmerkte. Hätte jemand Argwohn gehabt und sie beobachtet, die Bewegung ihrer Brust würde sie gleichwohl verraten haben. »Er hat die Gret verlassen,« rief's in ihr, »weil er dich will! Er hat seine Absicht noch nicht aufgegeben! Er tut nur so! Wenn eine Gelegenheit kommt, dann fängt er wieder an!«

In diesem Gedanken lag für Kathrine, wie sie war, ebensoviel Bestrickendes wie Kränkendes. Aber ein anderer rettete sie vor jeder Anfechtung. »So wie er der Gret überdrüssig geworden ist,« fuhr's augenblicklich in ihr fort, »so wird er jeder überdrüssig werden!« Und die Vorstellung, daß ihr ein solches Schicksal nur zugedacht werden könnte, empörte sie dergestalt, daß ihr Herz gegen den Bösewicht in Haß und Verachtung erbebte.

Während dies in der Schweigenden vorging, hatten die andern über den Hans ihre Urteile ausgesprochen, und die Schreinerin fuhr fort: »Es ist eine Schlechtigkeit von dem Menschen, das ist gewiß; aber die Gret hat's am End' auch nicht besser verdient. Sie hat den Menschen gekannt, und sicher hat ihr jedermann abgeraten! Aber sie hat sich eben nicht weisen lassen – nun ist's ihr gegangen, wie's den andern vor ihr gegangen ist, und sie hat nur, was sie hat haben wollen!«

Kathrine, mit hochgeröteten Wangen, nickte und rief: »Ganz recht geschieht ihr! Wer sich mit dem Menschen einläßt, der weiß, daß er betrogen ist – der will betrogen sein – und wenn er's dann wird, dann hat er nur, was ihm gehört! – Ich hab' nicht das geringste Mitleid mit ihr!«

Heinrich sah die Geliebte an: der Ausdruck war für sein Gefühl zu stark – er konnte ihn nur dem Zorne der Erregten zugute halten.

Kasper zuckte die Achsel und sagte mit gelassenem Spott: »So arg geht's ihr auch nicht! Derjenige, der mir alles verzählt hat, der hat mir auch noch berichtet: obwohl sie zuguterletzt noch am ärgsten getan habe, so wäre sie jetzt doch drauf und dran, sich wieder zu trösten – mit dem Webersfritz!«

Kathrine verzog die Lippe verachtungsvoll. »Da fällt einem ein Sprichwort ein!« rief sie. »Geht! Wir haben schon wieder viel zu viel gered't von Menschen, die nicht wert sind, daß man sie in den Mund nimmt!«

»Du bist streng, Kathrine!« versetzte der Schreiner. »Aber ich hör' dich gern so reden!«

»Ja, ja,« fügte die Schreinerin bedeutsam hinzu. »Aber jetzt ist's auch wirklich genug! Lassen wir die Sache gut sein!«

Kasper nickte zustimmend. Dann, mit entsprechender Miene, fuhr er fort: »Reden wir von was Lustigem! – Wir sind in der ersten Meßwoch' – in vier Tagen ist der ›Bauernsonntag‹ – treffen wir uns in der Stadt?«

Die Frage war an Heinrich gerichtet. Dieser versetzte: »Ich hab' schon dran gedacht.« Und indem er mit ländlicher Anmut sich zu seiner Nachbarin wendete, fuhr er fort: »Wie meinst du, Kathrine – soll ich dich zum Tanz führen?«

Das Mädchen lächelte. »Ich hab' nichts dagegen,« erwiderte sie. »Wenn's der Mutter recht ist –«

Das Gesicht der Alten klärte sich in gutmütiger Laune auf. »Geh,« rief sie, »da führt mancher sein Mädchen hin, der noch lang' nicht so nah am Heiratstag ist, wie der Heinrich!«

»Das mein' ich auch!« versetzte Kasper lachend – in Erwägung, daß mancher sein Mädchen hinführte, der an alles andere eher dachte, als an den Heiratstag! Nach einer Weile fuhr er mit einem gewissen Dahlen fort: »Ich selber führ' des Mohrenschusters Ev' hin. Das ist aber freilich nicht nur meine Nachbarin, sondern auch mein Bäschen!«

»Richtig,« bemerkte der Schreiner mit Schalkheit. »Aber so besonders nah' ist meines Wissens die Verwandtschaft nicht!«

»Ist auch nicht nötig!« versetzte der Bursch mit Humor.

»Im Gegenteil,« erwiderte jener, »'s ist so besser! – Sie hat sich im letzten Jahr recht gemacht, das Evle – sie hat eine ›Bostur‹ bekommen und ist jetzt ein ›schwarzbraunes Diendl‹, wie's nur eine gibt. Du kannst Staat machen, Kasper, mit so einem Bäsle!«

Alle sahen vergnügt. »Wenn's nur nicht schlecht Wetter wird!« rief Kathrine. »Es wär' recht schade!«

Kasper mit der Sicherheit eines Kenners fiel ein: »Das Wetter wird gut! Wir haben drei Tage nacheinander Regen gehabt, heut' hat sich's aufgehellt und morgen ist's schön! Wenn's aber am Freitag schön ist, dann ist's am Sonntag ganz schön – das ist so gewiß wie das Evangelium!«

»Ohnedem,« bemerkte der Schreiner, »hat der Bauernsonntag den Segen. Ich denk' mir's kaum, daß er mit wüstem Wetter gekommen wär'. Unser Herrgott hat offenbar Mitleid mit den Mädchen, die an dem Tag in ihrem schönsten Staat nach Nördlingen wollen.«

Die folgenden Tage gaben den Wetterpropheten recht. Nach der Erde, welche zu dieser Zeit im reichsten Schmucke prangt, richtete sich der Himmel und ließ die Sonne scheinen über sie, daß sie selber leuchtete in den frischesten, blühendsten Farben – und dieser Doppelschein regte in Hunderten von jungen Herzen selige Erwartungen an.

Kathrine hatte das Fest vor Augen, das zu den vornehmsten und berühmtesten Vergnügungen des Rieser Landvolks gehört – und in der lichten Zeit, bei der herrlichsten Aussicht wich die letzte Trübung aus ihrer Seele. Ihre Heiterkeit sollte aber doch noch eine Störung erleiden.

Am Samstag abends hatte sie eine Freundin besucht, um sie, die noch zweifelhaft war, auf morgen zum Mitgehen zu bereden. Auf dem Heimweg, der am Bache hinging, kam ihr Hans entgegen. Das wäre nun an und für sich gleichgültig gewesen. Aber dem Mädchen fiel plötzlich wieder ein, was der Kasper von ihm erzählt hatte, ihr Herz klopfte – nach ihrem Gefühl, aus Unwillen, aus gerechtem Zorne – und als Hans mit gelassener Freundlichkeit guten Abend sagte, erwiderte sie den Gruß trutzig, mit einem Klang von Geringschätzung.

Der Bursche blieb stehen und rief: »Was ist das? Ich muß dich erinnern, Kathrin' – das läuft gegen die Abred'! Kein böses Gesicht, wenn ich bitten darf! Wenn du dein Wort nicht hältst, dann bin ich durch nichts gezwungen, das meinige zu halten! Das merk dir!«

Er ging vorüber. Das Mädchen war beschämt und sehr ärgerlich über sich selber. Sie fühlte, wie dieser Bursche sich ihr doch eigentlich aufgedrängt hatte, und ihr nun trotz allem und allem im Wege stand. »Wenn ich nur den Menschen nimmer sehen tät'!« rief sie aus. Und nicht ohne Bosheit setzte sie hinzu: »Die Jäger haben ihn wieder in Verdacht, daß er droben im Wald des Fürsten ein Stück Wildbret geschossen hat! Könnten sie ihn denn nicht einmal erwischen, daß er eingesperrt würde, oder aus dem Lande müßte? Man soll niemand Böses wünschen; aber das wär' besser für alle – manches Unglück würde dadurch verhütet werden!«


V.

Der Morgen des Sonntags brach wunderschön an; kein Wölkchen stand am Himmel, dagegen glänzte die Erde voller Tauperlen. Ein wohliges Gefühl ging durch den ganzen Gau. Wenn zu einem althergebrachten Vergnügen so schönes Wetter kommt, dann ist's, als ob die Natur ein übriges tun wollte, die Freude des Tages zu erhöhen und ganz zu machen – und dieser Einklang füllt die Herzen mit glückseliger Empfindung.

Von unserem Dorfe hatten drei Paare ausgemacht, die Wanderung nach Nördlingen zusammen anzutreten: Heinrich und Kathrine, Kasper und Eva, Mathes und die gestern noch beredete Sibille. Bald nach dem Mittagessen machten sie sich auf den Weg. Heinrich hatte einen Leiterwagen herrichten lassen, um die Gesellschaft etwa anderthalb Stunden zu fahren; denn die Entfernung betrug über zwei Stunden, und die hochstehende Junisonne brannte heiß hernieder. Nach der vorausgegangenen Erleichterung kamen sie zwar immer noch erhitzt und durstig, aber doch nicht allzu müd in der Stadt an und verfügten sich hier sogleich in ein ansehnliches Wirtshaus in der Reimlingergasse, das die Ledigen ihres Dorfes an diesem Tage zu besuchen pflegten.

Man fand in der oberen Stube eine passende Tafel und schon ein bekanntes Paar: den dicken Jakob mit seiner runden Walpurg.

Fröhlich grüßend, setzte man sich zusammen, ließ Bier kommen und Bretzgen, labte sich, ruhte aus und saß in tiefem Behagen. Bald nach den dreien langte noch ein Paar vom Dorfe an: Heinrichs Vetter, der untersetzte Michel mit einer stattlichen Braunen, die größer war als er selber – die Tafel war voll und das Gespräch so traulich, als es unter lauter guten Freunden zu sein pflegt.

Eine Stunde ging hin – und niemand vom Dorfe fand sich weiter ein. »Wo bleiben denn unsere Leute heut'?« fragte Heinrich den Michel.

»Ich weiß nicht,« entgegnete dieser. »Sie müssen wo anders eingefallen sein!«

»Sonst waren wir hier gegen Zwanzig von unserm Dorf!« bemerkte Heinrich.

»Und die Herren des Wirtshauses!« fügte Mathes hinzu. Indem er einen bedeutungsvollen Blick auf die andere Seite der Stube gehen ließ, fuhr er fort: »Heut' werden wir uns nicht groß aufführen dürfen. Die von M. sitzen dort an drei Tischen und in der Nebenstube sind noch etliche!«

Heinrich lächelte. Mit den Ledigen von M. lebten die von unserem Dorfe auf einem gespannten Fuß, seitdem es auf einer Hochzeit in einem Nachbarorte zwischen ihnen eine Schlägerei gegeben hatte. Nach einer Weile sagte er: »Dann müssen wir eben unsern Stolz für eine bessere Gelegenheit sparen. Das Lustigsein wird man uns nicht wehren!«

Er nahm Kathrine und führte sie in die Tanzstube. Mathes und Kasper mit ihren Mädchen folgten.

Sie vergnügten sich eine gute Zeit. Niemand legte ihnen etwas in den Weg. Freilich ließen sie mit richtigem Takte die Burschen von M. den Ton angeben und tanzten die Tänze, die jene vorsangen oder verlangten. Und von einem und dem andern stämmigen Kerl mürrisch oder spöttisch angesehen, taten sie, als ob sie's nicht bemerkten.

Als sie müde waren, kehrten sie an ihren Tisch zurück, tranken, aßen, scherzten über ihre Lage und ihre Bescheidenheit, nahmen von den Mädchen wohlgemeinte Foppereien in Empfang und waren so vergnügt, daß sie sich's kaum besser wünschen mochten.

»Man kann sich doch unter allen Umständen gut unterhalten,« bemerkte Mathes mit Laune.

»Alles hat seine Sach',« versetzte Heinrich lächelnd. »Wenn man den Herrn spielt und 'rumstolziert und prangt, kommt man oft vor lauter Hoffart gar nicht zur Freud'!«

»Das heißt,« versetzte Kasper, »dann ist eben das Prangen die Freud'!«

»Das schon,« entgegnete Heinrich. »Aber die Freud' ist nicht so schön, als wenn man vergnügt ist und vor Vergnügen ans Prangen gar nicht denkt!«

Kasper zeigte eine Miene, als ob er damit nicht ganz einverstanden wäre.

Heinrich fuhr beschwichtigend fort: »Lassen wir diesmal andern die Freud' –«

»Und essen wir und trinken wir,« setzte Mathes hinzu, »und strecken wir uns nach der Decke!«

Die Mädchen lächelten – und Kathrine konnte nicht umhin, auf eine gewisse Weise den Mund zu rümpfen.

Nach einer Weile stand Kasper auf und bat sich die »Ehr'« aus von Kathrine. »Du erlaubst es?« rief er Heinrich zu. Dieser nickte, und der Bursch mit stattlichen Tritten führte das Mädchen auf den Tanzboden.

Kasper war nicht, wie Mathes ihm vorgeworfen, in die Schreinerstochter verliebt; aber er wußte ihre Schönheit doch vollkommen zu taxieren und fühlte jetzt ob seiner Tänzerin einen gewissen Stolz. Selbstbewußt und kraftvoll drehte er sich mit ihr im Kreise herum. Als ein neuer Reihen begann, strampfte er, während die an den Händen gehaltene Tänzerin zierliche Tritte machte, den Takt mit besonderem Nachdruck und Geräusch, zeigte eine Miene, als ob er keinem zugeben könne, daß er's besser verstehe wie er, und tanzte den Reihen mit einem Schwung, daß er an ein Paar, welches vor ihm sich etwas langsam bewegte, wiederholt anprallte.

Von den Kameraden hatte Jakob seine Rundliche auf den Tanzboden geführt.

»Hellauf,« rief Kasper ihm zu, als er ihn erblickte. »Es geht herrlich hier, und die Kathrine tanzt so gut, daß ich nimmer aufhören möcht'!«

Das Glück des Burschen war begreiflich; aber er machte sich darin auch auffällig. Seine Miene, ohne daß er's wußte, hatte etwas Herausforderndes, was übelwollenden Menschen Ärgernis bereiten konnte. Zwei vierschrötige Burschen aus dem feindlichen Dorfe warfen befremdete, mißbilligende Blicke auf ihn, und einer knurrte etwas für sich hin, das einen drohenden Klang hatte.

Unseren Kasper konnte das um so weniger anfechten, als er's gar nicht bemerkt hatte. Denn die Maß Bier, die durch seine Gurgel gegangen war, hatte auch schon zu wirken begonnen. Nach dem dritten Reihen stellte er sich breit in die Mitte hin, warf seinen Kopf zurück und stimmte mit frischem, hellem Ton ein Lied an. Es waren Reime zu Ehren seiner Tänzerin. Noch war er aber nicht mit der ersten Zeile fertig, als jener Vierschrötige, der das »Sich-aufführen« des Menschen bereits unangenehm empfunden hatte, schreiend ein anderes begann und es mit ihm zu Ende sang. Der dirigierende Musikant schüttelte den Kopf und blickte zweifelnd. Es war ihm unmöglich, die beiderseitigen Ansprüche auszugleichen und einen Tanz zu spielen, aus dem ungefähr jeder seine Melodie heraushören konnte: denn Kasper hatte einen Walzer, jener andere einen Dreher gesungen. Nachdem er sich einen Moment besonnen, stimmte er, weil man eben im Walzerspielen war, das Lied Kaspers an.

»Halt!« schrie der Lümmel, indem er, braunrot vor Zorn, auf den Musikanten zulief, » mein Lied muß gespielt werden!«

Die Künstler hielten inne; sie wußten, daß der grobe Kerl viele Kameraden hier hatte, welche gegen sich aufzuregen durchaus wider ihr Interesse lief. Ihre Instrumente in der Hand haltend, schauten sie zu den Burschen herunter, bereit, demjenigen zu gehorchen, der das Recht davonriß.

Und schon war Kasper mit Kathrine zu ihnen getreten. »Ich hab' zuerst angefangen,« rief er stattlich, »meins muß kommen!« – Allein mit einem gewissen Instinkt nach Begütigung trachtend, setzte er hinzu: »Nachher kann man Dreher spielen, soviel man will – ich hab' nichts dagegen!«

Dadurch machte er aber seine Sache nicht besser. »Eine große Ehr',« entgegnete der andere höhnend. Und mit grimmigen Augen rief er den Musikanten zu: »Wir haben heut' Walzer genug getanzt – ich will einmal einen Dreher!«

Sämtliche Paare von seinem Dorfe, zehn an der Zahl, waren herbeigekommen und hatten sich hinter ihn gestellt. »Ja, ja,« riefen die Burschen, »einen Dreher wollen wir haben!«

Die Musikanten erhoben ihre Instrumente, um der Mehrheit zu Willen zu sein. »Aber Herrgottsakerment,« schrie Kasper entrüstet, »kann man sich so was gefallen lassen?« Er fühlte sich an der Joppe gezupft. »Laßt gut sein,« flüsterte ihm Jakob zu, »wir sind zu wenig, wir können nichts machen!«

Der Dreher wurde gespielt. Kasper stieß einen tüchtigen Fluch aus – und tanzte mit. Denn wenn er mit seiner Tänzerin fortgegangen wäre, hätte er sich den Verdruß allzusehr ansehen lassen! – Dieser Meinung schien auch Kathrine zu sein, obwohl sie sich mit sehr ergebenem Gesicht herumdrehte und man ihr die Mühe, welche sie's kostete, die Beschämung hinunterzuschlucken, recht gut ansah.

Es gibt aber Schicksale, denen man nicht entgeht, welchen Weg man auch einschlage. Ein Erfahrener hat es gesagt: wer frech ist, der muß leiden, und wer bescheiden ist, der muß dulden!

Den siegreichen Gesellen schwoll der Kamm. Die Lust des Übermutes durchdrang ihre Seelen und sie sahen nicht ein, warum sie etwas unterlassen sollten, was ihnen Vergnügen machte. Einer von ihnen trat zu Kasper und sagte spottend: »Du kannst ja drehen vom Ausbund! Warum hast du denn diesen Tanz nicht haben wollen?« – Und der Lümmel, der mit seinem Lied durchgedrungen war, setzte dummstolz lächelnd hinzu (denn er glaubte zu scherzen): »Du kannst froh sein, Kasper, daß wir dich überhaupt mittanzen lassen! Heut' geht's nicht wie damals auf der Hochzeit – heut' geht's nach unserm Kopf! Also mach dich nur nicht mausig, daß dich die Katz' nicht frißt!«

Das war der Kathrine zu viel. »So,« rief sie feuerrot, »wenn wir hier auf einem öffentlichen Tanzplatz tanzen, dann soll das eine Gnad' von euch sein?«

»Wohl, Kathrine,« setzte ein dritter hinzu, der mit dem Lümmel verwandt zu sein schien. »Denn wenn wir euch die Stub' verbieten wollten, wer könnt' uns dran hindern?«

»Dazu habt ihr nicht das Recht!« rief Kasper entrüstet.

Die Burschen lachten, und Kasper selber fühlte, wie wenig die Instanz, die er angerufen, in diesem Falle zu bedeuten habe.

Der erste, spöttische, der vor Kathrine stand, nickte ihr, die ihres Verdrusses kein Hehl hatte, zu und sagte: »Ja, ja! Es ist freilich recht grob von uns, daß wir einem so schönen Mädchen und ihrem Tänzer durch den Sinn fahren! Aber man muß nicht immer prangen wollen und sich auch zuweilen in der Demut üben! Heut' haben einmal wir die Geißel in der Hand – und wir knallen damit!«

»Kurz zur Sach',« fuhr der dritte zu Kasper fort, »daß einer von euch tut, als ob er Herr und Meister hier wär' auf dem Tanzplatz, das dulden wir nicht! Mit dem hoffärtigen Aufführen also bleib' zu Hause! Im übrigen könnt ihr tanzen – wenn ihr wollt!«

Auf diese Worte zuckte Kasper, als ob er Gift verschluckt hätte, und Kathrine zeigte einen Ausdruck flammender Geringschätzung. »Wir danken recht schön für die Erlaubnis!« rief sie. »Komm, Kasper – jetzt hab' ich genug!«

Dieser knurrte noch mit einem Seitenblick: »Das ist schändlich!« – ließ sich aber von dem Mädchen doch aus dem Saale ziehen. Jakob mit seiner Tänzerin folgte ihnen.

Als sie an der Tafel ankamen, fanden sie die Ihrigen schon unterrichtet. Michel, der als Zuschauer auf dem Tanzboden gewesen, hatte die Hauptsache mit angesehen und die Gesellschaft soeben in Kenntnis gesetzt.

Heinrich war in großer Aufregung. Sein sonst helles Gesicht war dunkelrot geworden, er knirschte mit den Zähnen. Wie gutmütig er war, er hatte einen entschiedenen Sinn für das, was Recht ist, und Unrecht konnte ihn gewaltig aufbringen. »Muß man sich nun das gefallen lassen?« rief er zornig. »Ich hätt' gute Lust, ich ging' jetzt hinaus und ließ' es auf alles ankommen!«

Jakob, der die Vorsicht des kühlen und ruhigen Blutes hatte, schüttelte den Kopf. »Es geht nicht,« sagte er, »wir sind fünf und – nehmt mir's nicht übel, nicht gerade die Stärksten von unserem Dorf! Gibt's Händel, dann kriegen wir Schläg', daß man uns nach Haus tragen muß! Es sind drei oder gar vier gegen einen – und darunter Kerle wie die ungarschen Ochsen!«

Was bei Jakob das Phlegma, das tat bei Mathes die Laune. »Ein verfluchter Handel!« rief er mit einem Gesicht, das durch wirklichen Verdruß immer noch scherzenden Humor durchblicken ließ. »Was macht jetzt mehr Schand'? Wenn wir ruhig hier sitzen bleiben und nach und nach abziehen? – oder wenn wir Streit anfangen und auf die Straße hinausgeschmissen werden?«

Heinrich stampfte mit dem Fuß. »Daß grad' heut' unsre Leut' nicht da sind! – Wir hätten's extra ausmachen sollen!«

Michel, der nächst Jakob der Kaltblütigste war, sagte: »Jetzt ist die Kapp' schon verschnitten! Ein andermal machen wir's besser, Heinrich! Für heut' ist's verspielt!«

Unser Bursche stieß einen grimmigen Seufzer aus. »Von dem Tag,« sagte er dann, »hätt' ich mir auch mehr Vergnügen erwartet!«

»Und ich desgleichen!« setzte Kathrine mit einer gewissen Schärfe hinzu.

Heinrich sah sie an. »Soll ich dich zum Tanz führen?« rief er trotzig, entschlossen. »Es kommt nur auf dich an!«

»Ich geh' mit!« rief Kasper, seine Nachbarin bei der Hand fassend. »Wir wollen doch sehen!«

Kathrine schüttelte den Kopf. »Lassen wir's!« entgegnete sie mit einer Miene der Ergebung, die nicht ohne ein Licht des Spottes war. »Ihr könnt nichts durchsetzen, und da ist's besser, daß ihr gar nichts anfangt!«

Die andern Mädchen, die Geliebte Jakobs voran, stimmten bei, und so blieb es beim Nachgeben und beim Frieden.

Das Auftragen von Schweinebraten und Würsten, welche die Burschen bestellt hatten, zog die Gedanken von der unangenehmen Geschichte ab und gab ihnen erfreulichere Ziele. Trotz allem war man hungrig geworden, und man verzehrte nun die Abendmahlzeit mit Appetit, trank dazu Bier und Wein und kam zusehends in eine bessere Stimmung.

Die triumphierenden Burschen hatten unterdessen auf dem Tanzboden ihre Alleinherrschaft weitergeführt. Sie hatten vorgesungen, gejauchzt und geschrien, und die braunen Gesichter, schon von manchem tiefen Trunk belebt, glänzten in Stolz und Selbstzufriedenheit. Sie waren keine eingefleischten Wütriche, die guten Söhne des Rieses: nur auf unsere Burschen hatten sie's dermalen abgesehen. Diese sollten sich heute ducken und vor ihren Mädchen etwelchen Schimpf 'nunterschlucken müssen, ungefähr wie sie auf jener Hochzeit: darauf wollten sie halten. Andere Ledige aus anderen Dörfern sollten sich dagegen wohl auch rühren dürfen; und wenn einer von diesen jetzt ein Lied anstimmte, so ließen sie's ihn singen und tanzten danach. Sie dachten dabei freilich: wenn das die Kerle sehen, denen wir's verboten haben, dann werden sie sich um so giftiger ärgern!

In dieser Hoffnung sahen sie sich indes getäuscht. Unsere Burschen kamen nicht mehr auf den Tanzboden. Sie aßen ihren Braten und ihre Würste, ließen sich danach Torten kommen, um das Mahl zu krönen, und schienen weiter gar keinen Wunsch mehr zu haben.

Seit dem Zusammenstoß auf dem Tanzboden war ungefähr eine Stunde verflossen. In einer Pause kamen die drei, welche den Kasper mit Kathrine vertrieben hatten, wieder zusammen, und der Lümmel rief: »Es läßt sich keiner mehr sehen von den Menschen!« Und mit großartiger Verachtung setzte er hinzu: »Es sind doch rechte Lumpenkerle!«

Mit einer Anspielung auf den Spitznamen eines Dorfes bemerkte der Spöttische: »Sie riechen eben den Braten – wie die von Krauthausen!«

»Ja, ja!« versetzte der Vetter lachend, »das ist auch jetzt keine Kunst!«

»'s ist doch eine Schand'!« rief der Lümmel unmutsvoll. »Wenn mir das passiert wär',« fuhr er grandios fort, »und ich wär' ganz allein, ich tät' Händel anfangen mit einer ganzen Stub' voll – und nachgeben tät' ich nicht, und wenn sie mich totschlügen! Dann erst recht nicht! Das Donnerwetter gleich! Mich nicht vorsingen lassen und mir das Maul verbieten – so einen Hundskerl, den fräß' ich auf einem Schub Kraut!«

»Nu, nu,« versetzte der Spöttische, indem er ihn lachend von der Seite ansah. Nach einer Weile sagte er: »Aber die Bursche kommen allerdings ein wenig zu gut weg! Ich hätt' gedacht, sie riskierten's wenigstens noch einmal – und es gäb' dann ein bißchen was.« Er schwang die rechte Faust mit anmutiger Gebärdensprache.

Der Vetter schmunzelte beipflichtend. »Aber warum,« versetzte er dann, »gehen wir nicht zu ihnen, wenn sie nicht zu uns kommen?«

»Recht hast!« rief der Lümmel mit dem Kopf emporfahrend, wie einer, dem man unvermutet ein Licht aufgesteckt hat. »Wir wollen hinaus und sie drangsalieren, die Hosen –! Kommt!«

Rüstig schritten sie auf die Tür los.

»Wo geht ihr hin?« rief's aus einer Gruppe der Ihren.

»Wir wollen den Kapper und seine Kameraden uhzen (aufziehen)! Kommt mit!«

Noch fünfe schlossen sich an.

Unsere Leute versahen sich eines solchen Besuches nicht im geringsten. Sie waren mit Wein und Torten nahezu fertig, und die Burschen dachten schon daran, sich die Zeche machen zu lassen – sie waren vergnügt, und nicht am wenigsten mochte dazu der Gedanke beigetragen haben, daß sie bald jedem Bereich der Anfechtung und der Kränkung entgangen sein, würden: da sahen sie ihre Gegner auf sich loskommen! Über ihre Absichten konnte kein Zweifel sein. Die Gesichter schimmerten in dem Glanze jener Unverschämtheit, die sich unwiderstehlich weiß und darum gesonnen ist, sich durchaus keinen Zwang anzulegen. Die drei voran, die fünfe hinterdrein, traten sie zur Tafel, und der Spöttische begann: »Nun, Kasper, schmeckt dir das Essen? Freut mich! Von Herzen! Ich hab' wirklich gefürchtet, durch den Verdruß, den du auf dem Tanzboden gehabt hast, wäre dir der Appetit verdorben!«

Unsere Gesellschaft schaute auf den Haufen mit den dumpfen Sinnen der Bestürzung; Kasper in Grimm und Verlegenheit wurde brennend rot. Was sollte er darauf sagen? Welche unter den möglichen Antworten sollte er wählen? Eine nur schien daraus passend zu sein; aber dann begann die Schlägerei sogleich – und es fragte sich doch – – Er kam nicht zum Entschluß – und schwieg.

Der Lümmel ließ seine Blicke auf den Verblüfften herumgehen und weidete sich inniglich an der Tortur, die er auf den Gesichtern wahrnahm. Mit jener Plumpheit, welche über Ironie erhaben ist und immer gerade zur Sache geht, rief er: »Warum ist denn keiner von euch mehr hinausgekommen zum Tanz? Ich hätt' doch geglaubt, ihr hättet ein bißchen mehr Courage! So leicht, das muß ich schon sagen, hab' ich nicht geglaubt, daß ihr's uns machen tätet!« Und wie von einem unwillkürlichen Ekel erfaßt, setzte er hinzu: »Pfui Teufel!«

Kasper schien endlich die richtige Antwort gefunden zu haben. »Ihr habt heute gut unverschämt sein,« entgegnete er; »von euch ist das ganze Dorf hier – wir sind nur wenige – zufällig wenige –«

»Und diese wenigen,« fiel der Spöttische ein, »sind noch dazu diejenigen, die am wenigsten Schneid' haben!«

Kasper zitterte vor Wut. »Ich nehm's mit jedem auf von euch!« schrie er, indem er heftig aufstand. »Laßt einmal einen herkommen – den Stärksten von euch, wenn ihr wollt – ich mach's mit ihm aus!«

Die Burschen lachten – mit kränkendem Vergnügen. Einer vom zweiten Glied rief mit einer gewissen Freundschaft im Ton: »Laß gut sein, Kasper! Da tätest du auch nichts gewinnen! Jeder von uns bricht dich zusammen!«

»Das mein' ich auch,« rief der Lümmel, im Hochgefühl seiner Knochen, während er auf die geschmeidige Figur des Gegners einen verachtungsvollen Blick warf.

»Der G'scheite gibt nach,« fuhr der Spöttische fort, »und ihr,« fügte er hinzu, indem er seine Augen auf der Gesellschaft herumgehen ließ, »ihr seid gescheit alle miteinander! Die einzige Person, welcher ich nicht ganz trau', ist die Kathrine. Die wenn ein Mannsbild wär', ich glaub', da könnten wir jetzt die Füß' in die Händ' nehmen und davonlaufen!«

»Ja,« rief Kathrine mit zornfeuchten, blitzenden Augen und unwillkürlich sich ballender Faust, » ich wenn ein Mannsbild wär', ich wüßt' jetzt, was ich tät'!«

Heinrich hatte sich schon vor dieser Antwort erhoben; er stand mit bebendem Mund, aber mit einer verhältnismäßigen Ruhe. In der ersten jähen Betroffenheit, und weil Kasper der Angesprochene war, hatte er diesem das Wort gelassen. Jetzt, nachdem der Kamerad so wenig ausgerichtet hatte, mußte er für die Gesellschaft eintreten, dazu war er entschlossen. Im Gefühle seines Rechtes und seiner Stellung als der Vornehmste unter den Seinen rief er mit ebensoviel Zorn als Würde: »Schämt euch! Es ist eine Schand', daß ihr hier über uns herfallen wollt, zwanzig gegen fünfe. Wenn ihr Ehr' im Leibe hättet, dann würdet ihr sagen: grad heut' mögen wir nicht – wir wollen warten, bis wir gleicher sind! Aber ihr habt keine Ehr' im Leib' –«

Weiter kam er nicht. Die feindlichen Burschen brüllten wie Stiere und drangen gegen ihn, der mit Kathrine auf der andern Seite der Tafel saß, vor. »Noch einmal sag das,« schrie der Lümmel, seine Faust erhebend, »und ich schlag' dich tot!«

Die Kameraden Heinrichs waren alle aufgesprungen, entschlossen zur Abwehr; die Mädchen standen hinter ihnen, Kathrine bei Heinrich. Dieser streckte eine rasch ergriffene zinnere »Kante« (Bierkanne) gegen den Lümmel und schrie: »Nur zu, Kerl – nur zu!«

Da erscholl noch ein Wort der Vergleichung. Jener verhältnismäßig Gutmütige unter den Gegnern, ein Bauernsohn, dem unser Bursche wirklich leid tat, rief: »Heiner, die Kant' weg! Wir wollen euch nichts tun! Deswegen sind wir nicht gekommen! Aber schimpfen darfst du nicht mehr und die Kant' mußt du hinsetzen! – Tu's,« fuhr er mit beginnendem Unwillen fort, als der Bursche zauderte, »tu's gleich, ich rat's dir! Wenn du den Hoffärtigen spielst und uns 'rausforderst, dann steh' ich für nichts mehr!«

Der entstandene Lärm hatte rasch die volle Zahl der feindlichen Burschen vom Tanzboden und der Nebenstube hergeführt. Ein wildes Schreien, ein drohendes Tosen erfüllte die Stube. Die Übermacht der Angreifer erschien furchtbar. Jakob, der Heinrich am nächsten stand, faßte diesen beim Arm und rief mit dringendem Flüstern: »Gib nach! Es hilft nichts! Der Kächele meint's gut!«

Heinrich, erschüttert, ließ den Arm mit der Kanne sinken.

Die Gesichter der voranstehenden Gegner erhellten sich glorreich. »So,« rief der Spöttische, der neben dem Lümmel stand, glänzend von Bosheit, »hübsch vernünftig sein und Fried' halten – dann kommt man mit graden Gliedern nach Hause!«

Der Lümmel strahlte in einem Stolz, und um sein breites Maul spielte ein Triumphgrinsen, daß bei seinem Anblick auch einem Unbeteiligten die Hand gejuckt hätte. Mit einer Vornehmheit, welche man Herablassung in rohester Gestalt nennen konnte – mit einer gewissen stupiden Gutmütigkeit, nämlich ohne eine Ahnung von dem tödlich Beleidigenden in seinen Worten, rief er: »Ihr seid Esel, wenn ihr Händel anfangen wollt! Wir haben euch nur einen kleinen Schimpf antun wollen, weiter nichts! Schlagen haben wir euch gar nicht wollen! Und wenn ihr nun ruhig und still seid, dann könnt ihr hier sitzen und euer Mahl verzehren, ohne daß man euch was tut! Daß ihr gegen uns nur ein miserabler Haufe seid, das sehen wir selber. Wir haben uns bloß einen Spaß machen wollen; den haben wir jetzt gehabt – und nun könnt ihr euch meinetwegen wieder erholen von eurem Schrecken!«

Die Lippen Heinrichs wurden bleich vor Wut; aber die Hand des Entschlußlosen ruhte. Die Augen der Kathrine füllten sich mit Tränen. Die Fäuste geballt, mit erstickter Stimme rief sie: »Schrecklich! Schrecklich! Sich das gefallen lassen müssen! Das anhören müssen und nichts machen können! O, ich möcht' in die Erde versinken!«

Ein Geräusch von der Tür her machte sie aufschauen. »Ha!« rief sie, indem ein Strahl wie ein Blitz über ihre Züge ging. Mit schauernder Stimme setzte sie hinzu: »Gott sei Dank!«


VI.

Auch die Blicke anderer hatten die Richtung auf die Tür genommen und ihre Gesichter verrieten denselben plötzlich erhaltenen Eindruck. Die Gestalt des schwarzen Hans war durch sie in die Stube getreten.

Der Bursch hatte die Fischotterkappe auf dem rechten Ohr sitzen und die Ulmer Takakspfeife in der Hand. Den Aufruhr wahrnehmend, rief er mit scharfer Stimme: »Heda! Was gibt's hier?«

Der Klang dieser Stimme, der Zuruf des allgemein Gekannten und Gefürchteten übte eine magische Wirkung. Die Mienen der Leute von seinem Dorf hellten sich im Moment auf, die der Gegner verdüsterten sich. Dieselben Burschen, die noch vor einem Augenblick die verkörperte Hoffart und Anmaßung gewesen waren, traten jetzt betroffen, erschreckt, einen Schritt zurück.

Hans erblickte die Gesellschaft an der Tafel, erkannte die Gegner und erriet die Lage der Dinge sogleich. Von den letzteren war nur der Lümmel trotzend stehen geblieben. Hans, auf die Tafel zuschreitend, rief mit dem Ton eines Herrschers: »Platz da!« schob den Burschen auf die Seite und trat mit gefurchter Stirn zu den Seinen. »Was ist hier los gewesen!« rief er.

»Hans,« rief Kathrine, bebend vor Aufregung, »wir sind gekränkt worden – es ist gar nicht zu sagen, wie!« In wenigen Worten teilte sie ihm die Beleidigungen mit.

Der Zorn, den unser Dorf-Heros hierauf an den Tag legte, hätte vielleicht auch andere als Bauernburschen erschreckt. Er stampfte den Boden, daß er zu brechen drohte, seine dunklen Augen schossen Blitze auf den Haufen, der ein paar Schritte vor ihm stand, und wilddrohend streckte er die geballten Fäuste gegen sie. »Was!« rief er mit wutblassen Lippen, »das habt ihr euch herausgenommen? Ihr gegen uns? Hört jetzt, was ich euch sag'! Wenn einer von euch gegen einen von uns nur noch muckt, dann kann er seine arme Seel' bereit machen! Lebendig kommt er nicht mehr aus diesem Hause heraus! Merkt euch das! Ihr wißt, daß ich mein Wort halt'!«

Der unbedingte Mut hat unter allen Umständen eine dämonische Gewalt. Wer ihn besitzt, der hat nicht nur selber das Gefühl einer Art von Allmacht, sondern flößt es auch andern ein. Er selber glaubt, daß ihm nichts widerstehen könne, und die andern fürchten es; und während er selber alles wagt, sorgen die andern dafür, daß ihm alles durchgehe.

Hier kam freilich noch etwas hinzu. Hans galt nicht nur für einen Menschen, der im Zorn einen niederstoßen konnte, sondern man hatte von ihm auch die Meinung, daß er keine Beleidigung ungerächt lasse. Der Bursche, der ihn angriff, hatte nicht nur einen Stich zu riskieren, sondern er wußte auch, daß Hans, wenn er unter Umständen jetzt nichts erreichte, sich später um so gründlicher bezahlt machen würde. Als Mittel dazu hatte er außer seinem Eisenstock und seinem Messer auch noch seine Büchse; und wenn er Gelegenheit fand, auch diese zu gebrauchen, dann ließ er sie nicht unbenützt. Nun kann der Bauernbursch gewöhnlichen Schlags, um seinen Kopf durchzusetzen, es wohl auf Hiebe, Beulen und auch Wunden ankommen lassen; wenn aber das Leben selber aufs Spiel gesetzt werden soll, dann geht's ihm wie noch manchem andern Sterblichen auch: er wird stutzig. Hat ihm die Aufregung die nötige Besinnung gelassen, dann wird er sie anwenden, um sich, so gut es geht, aus der Affäre zu ziehen. Sein Ehrgefühl sträubt sich nicht länger mehr, Vernunft anzunehmen – er kämpft mit seiner Leidenschaft – und er wird der Selbstüberwindung fähig.

Die feindlichen Burschen waren noch immer vier gegen einen! Hätten sie sich über unsere Leute hergestürzt, ihr endlicher Sieg – trotz aller Taten, die von Hans erwartet werden konnten – wäre nicht zweifelhaft gewesen. Allein sie überlegten; in die dicken Schädel war durch das Erscheinen des Gefährlichen nur ein Gedanke gekommen; aber dieser eine reichte hin, die Seelen zu spalten und auf die Kraft der Unverschämtheit seine entmannende Wirkung zu üben.

Sie standen zürnend, entrüstet – aber unentschlossen. Der Zweifel hatte sie gelähmt. Hans beurteilte sie richtig und wußte, wie weit er gehen konnte. Nachdem er eine Zeitlang gewartet hatte, trat er einen Schritt gegen sie vor und rief: »Sind wir jetzt fertig miteinander oder nicht? Was wollt ihr? Warum steht ihr noch da? Wollt ihr hier Maulaffen feil haben? – Geht! Geht eurem Vergnügen nach und laßt jeden andern sich lustig machen, wie's ihm gefällt! Ich rat's euch« – setzte er mit funkelnden Augen hinzu – »und ich rat' euch gut!«

Seine Stimme hatte einen Klang, als ob er Herr über Leben und Tod wäre. Es war stark, was er den Burschen zumutete, sehr stark, und es antwortete ihm auch ein drohendes Murren. Aber keine Tat folgte nach; die Entmutigung siegte, und die feindliche Macht begann sich allmählich aufzulösen. Die hinten Stehenden, die von Anfang an nur das Interesse gehabt hatten, die Sache mit anzuschauen, und die sich jetzt unbeachtet sahen, verließen die Stube oder setzten sich wieder an ihre Tische an der entgegengesetzten Seite. Die mittleren und die vorderen rückten nach. Sie taten das langsam und mit einer gewissen Manier: als ob sie die Geschichte satt hätten und gehen wollten, weil es ihnen so gefiel. Aber sie täuschten damit niemanden, nicht einmal sich selber.

Die lächerlichste Figur unter allen spielte der Lümmel; und wer sich vorher über ihn geärgert hatte, der konnte jetzt wahres Vergnügen haben. Es kam ihn augenscheinlich furchtbar hart an, statt in Wonnen des Triumphs zu schwelgen, die Qual der Niederlage hinunterwürgen zu müssen. Die Brutalität bäumte sich in ihm; mit verzogenem Maul und giftigem Blick schaute er von der Seite auf den Hans. Aber die Sorge, die auf seine Seele gefallen war, drückte die Rachgier nieder, und der Grimm, der sich in dem breiten Gesicht malte, erhielt einen unglaublich komischen Zusatz durch die aufgetragenen Pinselstriche der Zaghaftigkeit. Seine Miene schien unserm Burschen sagen zu wollen: »Dich kennt man! Du bist jeder Schandtat fähig! Dir muß man aus dem Weg gehen! Aber warte nur!« Der Mund sprach indes weder diese Worte, noch bildete er überhaupt artikulierte Laute: mit einem drohenden Grunzen wendete der endlich Alleinstehende sich um und folgte seinen Kameraden in die Nebenstube.

Die Szene hatte sich in kurzer Zeit gänzlich verändert. Die Gesichter unserer Leute an der Tafel drückten tiefe Zufriedenheit aus; die Mädchen glänzten vor Lust, die Burschen schmunzelten glorios. Was sie betrifft, so hatte allerdings der einzige Hans vermocht, was sie zusammen nicht vermocht hatten – und das hätte einige Eifersucht in ihnen erregen müssen; aber der Hans war vom Dorf, er war der Ihre: sie selber hatten gesiegt durch ihn! – Unvermerkt gesellte sich nur zu der Genugtuung Heinrichs ein dumpfes Bedenken. Seine Züge wurden ernster, eine Art Verlegenheit malte sich in ihnen. Aber gegen dieses störende Gefühl kämpfte seine gute Natur; er vermochte es niederzuhalten und seine Miene zu denen der andern zu stimmen. Das Vergnügen war nahezu allgemein: auch alle unbeteiligten Zuschauer in der Stube waren davon ergriffen. Man weidete sich an der Demütigung, welche der Anmaßung widerfahren war; man gab sich dem Genuß der Schadenfreude hin – man triumphierte mit den Triumphierenden! Die Lächerlichkeit, womit sich zu guter Letzt noch der Lümmel bedeckte, ergötzte nicht nur Männer und Weiber aus andern Dörfern, auch einige Burschen von seinem eigenen Dorfe konnten sich einer innigen Zufriedenheit nicht erwehren. Hervorragende Verdienste erwecken freilich Neid, welcher sich dann bei solchen Gelegenheiten Luft zu machen pflegt.

Der Held des Tages stand nach seinem Triumph mit gerechtem Stolz in der Mitte der Seinen. Seine Aufregung hatte sich gelegt – ruhig schaute er umher und lächelte. Es war das Lächeln der Überlegenheit, durch eine gewisse Schelmerei verschönt – jenes Lächeln, das dem Sieger geziemt und das auf die Bewunderer den angenehmsten Eindruck macht.

Seine Seele war grundvergnügt. »Niklas,« rief er einem alten Aufwärter zu, der diensteifrig herbeikam, »eine Flasche Wein auf den Schrecken!« Der Aufwärter eilte hinweg – alle setzten sich an die Tafel.

Mit einem Lächeln der Dankbarkeit, mit einem Blicke wirklicher Achtung bot Heinrich dem Helfer sein gefülltes Glas. »Trink, Hans!« rief er. »Du bist ein Bursch', wie's keinen zweiten mehr gibt! Und wahrhaftig, du bist zur rechten Zeit gekommen!«

Kathrine an seiner Seite nickte bedeutsam. »Ja, das ist er!« sagte sie. »Keine Minute hätt' er länger ausbleiben dürfen.«

Hans betrachtete sie, nahm das Glas und rief: »Aufs Wohl!« Er trank es aus, stellte es Heinrich zurück und sagte: »Ich hab' keine Ahnung davon gehabt, in was ich da hineinkomm'! In der Bergergass' hab' ich gehört, es wären Leute von uns in diesem Wirtshaus – da wollt' ich auch her. Wie ich an die Stieg' komm', da erzählt einer, es gäb' droben Händel; aber nicht wer, nicht wie. Daß meine Leut' in Not wären, das hab' ich mir nicht denken können; aber gefreut hat's mich dann, daß ich dazugekommen bin – mordmäßig.«

Der Aufwärter erschien mit der Flasche; Hans schenkte ein und bot den Mädchen zu trinken. Diese nippten etwas mehr als gewöhnlich, und als das Glas wieder an ihn zurückgekommen war, ergriff Kasper das seine und rief: »Hans, du sollst leben! Du hast dich heut' aufgeführt wie ein Held! 's ist schade, daß du nicht Soldat geworden bist, du tät'st General werden!« Lächelnd stießen die Burschen an und leerten die Gläser.

Kasper, im Siege schwelgend, fuhr fort: »Die Kerle haben sich heut' rächen wollen, weil ihnen damals auf der Hochzeit ihr Spruz nicht durchgegangen ist. Wie unverschämt sie gewesen sind, das glaubst du gar nicht. Aber jetzt sind sie heimgeschickt, daß sie sich schämen müssen, solange sie leben!«

Kathrine saß mit einem eigenen Ausdruck. »Freilich,« bemerkte sie, »hätten sie auch nicht geglaubt, daß ein einziger der Sach' eine andere Gestalt geben könnt'!«

Auf diese unverhohlene Anerkennung hin heftete Hans einen innigfrohen Blick auf sie. Er war indes kein Prahler; nicht ohne eine natürliche Anmut, mit dem entsprechenden Ernst im Hintergrunde, sagte er die Wahrheit. »Sie fürchten mich, die guten Gesellen! Und – sie haben nicht unrecht!«

Ein Schweigen folgte, indem jedes seinen Gedanken hatte. Kathrine sprach den ihrigen aus. »Zuweilen,« sagte sie, »hat's doch auch sein Gutes, wenn man sich vor einem fürchtet!«

»Ja, ja,« versetzte Mathes vergnügt; »alles hat sein Gut's in der Welt – und kein Mensch kann vorher wissen, was ihm noch alles zum Nutzen sein kann!«

Die Gesellschaft, die ihn verstand, lachte.

Hans hatte so manches auf dem Gewissen – jedes am Tische hatte schon besondere und allgemeine Anklagen gegen ihn gerichtet. Aber jetzt war alles vergessen; man sah nur die Kraft und den Sieg und alle waren bestrebt, dem Helden etwas Angenehmes zu erweisen, wär's auch nur durch freundliches Zunicken. Mit Recht wird in aller Welt Geschichten der Mut gepriesen! Er ist und bleibt eine der mächtigsten, überwältigendsten Eigenschaften des Menschen und erzwingt Achtung in jeder Erscheinung.

Vom Tanzboden her klangen auf einmal Klarinette und Geige, die Musikanten hatten ihre Mahlzeit eingenommen, und die Lustbarkeit fing wieder an. Hans stand auf. »Heinrich,« sagte er, »darf ich mit meinem Bäschen einige Reihen tanzen?«

»Soviel du willst!« entgegnete Heinrich mit Würde. Des Mädchens Züge hatten sich flüchtig gerötet. Sie trat vor, gab dem Burschen die Hand, und sie gingen hinaus.

Hans, indem er Kathrine zum Tanz führte, hatte verschiedene Zwecke. Einer davon und zwar der nächste war, seinen Sieg über die Gegner dadurch zu vollenden.

Den Walzer, der schon im Gange war, machte er nicht mehr mit; er blieb an der Seite stehen, betrachtete sich die Paare und sah mit Vergnügen mehrere aus dem feindlichen Dorfe darunter. Nachdem der Reihen vorbei war, trat er mit Kathrine vor die Musikanten, machte sie durch einen Wink aufmerksam und sang mit kräftiger, wohllautender Stimme ein Lied. Der einfache Sinn der Vierzeilen war, daß der Bursch, wenn er ein rechter Bursch sein wolle, »Courage haben müsse wie der Teufel«. Die Musikanten, welche von der Sachlage genaue Kunde hatten und den Hans, wenn er bei Gelde war, als sehr splendid kannten, strichen und bliesen mit wohlgefälligen Mienen aufs eifrigste.

Unser Paar tanzte zuerst, und wer die männliche Vornehmheit des Burschen und die Schönheit des erregten Mädchens betrachtete, der mußte sich sagen, daß es von allen das hervorstechendste sei. Ein alter Musikant, während er die beiden so stolz und schön sich drehen sah, hatte sogar den Gedanken des Hans. »Diese zwei Leute,« sagte er sich, »passen zusammen, als wenn sie füreinander gegossen wären!«

Und behaglich seine Baßgeige streichend, setzte er hinzu: »In unserm Ries kommt doch manchmal noch was recht Feines zum Vorschein, wenn's gut geht!«

Drei Lieder wollte unser Bursche singen. Das zweite pries das Jägerleben und handelte von der Freude des Treffens. Beim Vortrag desselben erhellten sich einige Gesichter schlau. Was vom Jäger galt, das galt auch vom Wildschützen – und dieser hatte eigentlich das schärfere Vergnügen. – Der alte Musikant betrachtete ihn und sagte sich: »Der hat wieder eine Extraeinnahme gehabt – und wird heut' besser zahlen als der reichste Bauernbursch! Bravo!«

Das dritte Lied sprach die uralte Wahrheit aus, daß dem Burschen, der von allen der stärkste und keckste sei, auch das schönste Mädchen gebühre. Hans trug die Reime, die im Gau bekannt und schon von vielen gesungen waren, ungezwungen vor, man brauchte darum nichts Besonderes herauszuhören. Die Brust seiner Tänzerin kam dennoch in Bewegung. Wenn sie aber in dem Liede etwas Absichtliches fühlen mochte, so nahm sie es jedenfalls nicht übel.

Als nach getanztem Reihen unser Paar gegen die Musikanten herankam, rief der Alte: »Hans, du bist doch immer der vornehmste Tänzer und Sänger! Es ist eine Freude, dir zuzusehen! Du hast dich nur in der letzten Zeit rar gemacht – ich hab' fast schon gefürchtet, du hast's ganz aufgegeben!«

Der Bursche mit einem leichten Achselzucken erwiderte: »Man muß die jungen Leute auch drankommen lassen!«

»Bah,« entgegnete die alte Rotnase, »du wirst dich doch nicht zu den Alten rechnen?«

»So frisch,« erwiderte der Bursche mit Humor und nicht ohne Absicht, »so toll wie vorzeiten bin ich nimmer! Ich hab' keine solche Freud' mehr an der Narrheit – und ich glaub', die Zeit ist nimmer weit, wo ich mich bekehren werd'.«

Der Baßgeiger mit einem Gesicht, welches die Atmosphäre zahlloser Tanzstuben lederbraun gebeizt hatte, lachte herzlich.

Hans mit Laune fuhr fort: »Für jetzt wenigstens mögen euch andere was vorsingen. Ich hab' meine Lust gebüßt!« Er nickte und ging mit Kathrine weiter.

Der eine seiner Zwecke war erreicht. Die Ehre des Dorfes war auch in diesem Punkte glänzend gewahrt.

Als man sah, daß der schwarze Hans auf das Vorsingen verzichtete, ließ sich keck und frisch eine andere Stimme hören. Und welche? Die unseres Freundes Kasper.

Der wackere Bursche hatte seine »Schwarzbraune« zum Tanz geführt und war nun glücklich, dem Hans durch die geöffnete Bresche nachschreiten und den vorhin so frech unterbrochenen Walzer unbeanstandet zum besten geben zu können. Das Selbstgefühl und die Sicherheit, womit er dies tat, war auffallend. Hans und Kathrine sahen sich an und lächelten. In dem Blicke des Mädchens lag alle Anerkennung für den, welcher die Bahn gebrochen und dem guten Gesellen die Möglichkeit verschafft hatte, die Scharte seiner Ehre so schön wieder auszuwetzen.

Zwischen den beiden Leuten hatte sich unvermerkt ein großes wechselseitiges Vertrauen hergestellt. Im folgenden Herumgehen sagte Kathrine: »Du glaubst gar nicht, Hans, wie froh ich gewesen bin, als ich dich heut' gesehen hab'! Ich bin nun einmal so, unrecht kann ich mir nicht tun lassen. Ich war so zornig – ich hätte die Kerle totschlagen können! Wenn du nicht gekommen wärst, die Wut hätte mich umgebracht!«

Hans vernahm dies mit tiefem Wohlgefühl. Aber er hielt an sich und erwiderte mit Ruhe: »Es freut mich, Kathrine, daß ich dir einen Gefallen hab' tun können!« Und lächelnd setzte er hinzu: »Bin ich doch auch noch zu was gut gewesen auf der Welt!«

Kathrine machte eine seltsame Miene. »Du wärst noch zu gar viel gut,« entgegnete sie, »wenn du wolltest!«

Hans zuckte die Achseln. »Wir wollen halt sehen!« versetzte er und trat zum Tanz an.

Als dieser geendet war und die Paare wieder gingen, warf der Bursche einen Blick in den Winkel am Fenster und zog die Augenbrauen zusammen.

Wir haben erwähnt, daß er bei seinem Eintritt in den Saal mehrere Burschen des feindlichen Dorfes unter den Tänzern erblickte. Ohne es auffällig zu machen, hatte er seine Augen sowohl auf ihnen als auf etlichen ihrer Kameraden, die ab und zu gingen; keinem konnte er etwas Gefährliches ansehen. Jetzt bemerkte er aber etwa zehn der Burschen in lebhaft flüsterndem Gespräch. Es waren die drei Anführer darunter, man sprach mit Leidenschaft – Hans konnte raten worüber. Auch Kathrine ward aufmerksam. Sie schaute ihren Tänzer an und richtete ihren Blick vielsagend auf den Haufen. »Es wurmt sie,« bemerkte Hans, »der Hochmut sticht sie wieder, und sie halten einen Rat!«

»Wenn sie nun wieder anfangen?« entgegnete sie mit besorgtem Blick.

Der Bursche richtete den Kopf in die Höhe und aus seinen Augen ging ein wilder Blick. »Ich wollte keinem raten!« versetzte er, indem er die Hand ans Messer legte.

Die Stimmen in der Ecke wurden lauter. Es drangen Schimpfworte, Ausrufe des Zornes und grimmiger Erbosung her. Das lauschende Paar hörte, daß der Vetter des Lümmels am heftigsten sprach. Plötzlich rief ihm der schon öfter erwähnte besonnene Bauernsohn flüsternd, aber deutlich hörbar zu: »Nun, Stoffel – willst du der Katz' die Schell' anhängen?«

Eine Stille folgte. Der stämmige Kerl schwieg; sein Gegner zuckte die Achsel. Die Friedenspartei hatte gesiegt und der Knäuel begann sich wieder abzuwickeln.

Kathrine, einer großen Last entladen, bewegt, glücklich, drückte ihrem Tänzer die Hand. Dieser, den Druck erwidernd, sah sie mit freudigem Selbstgefühl und glänzenden Augen an.

»Sie geben's wieder auf!« rief das Mädchen.

Hans mit stolzem Bewußtsein versetzte: »Sie tun wohl daran.«

Nachdem er noch zwei Reihen mitgemacht hatte, führte er Kathrine in die Stube zurück. In ihren Gesichtern schimmerte bei einem gewissen Ernst so viel innere Genugtuung und Vergnügen, daß sie dadurch auffielen. Heinrich, nachdem er einen Blick auf sie geworfen, stand betroffen und ein Schatten ging über seine Züge. Was aber sein Gefühl sein mochte, er unterdrückte es und sprach seine Freude darüber aus, daß es so gut gegangen sei, wie sie sagten.

Alle setzten sich wieder an der Tafel zusammen. Der Sieg im Vorsingen wurde nicht mit dem wenigsten Vergnügen und Selbstgefühl besprochen. Kasper sah fast aus, als ob er ihn erfochten hätte. Jedenfalls hob er hervor, daß bei seinem Singen die Kerle in seiner Nähe dumme Gesichter gemacht, aber sonst nicht gemuckt hätten.

So lang zur Meßzeit der Tag ist – endlich nahm doch auch der heutige ein Ende, und die Mädchen mahnten zur Heimkehr. Die Burschen ließen sich die Zeche machen und zahlten. Nachdem sonst alle aufgestanden waren, blieb Hans auf seinem Stuhle sitzen. »Gehst du nicht mit uns heim?« fragte Kasper.

»Es ist mir noch zu früh,« versetzte der Bursche mit Humor.

»Du willst noch bleiben?« rief Kathrine mit einem Blicke des Erstaunens und der Sorge. »Allein?«

»Mir,« erwiderte der Bursche, »tut niemand was – und wenn ich allein bin, am allerwenigsten! – Kommt gut nach Haus miteinander!«

Die Paare verabschiedeten sich. Hans ließ sich noch eine Flasche Wein kommen und trank ihn behaglich. Wie er mehrere Burschen des feindlichen Dorfes ganz ehrbar an sich vorübergehen sah, als ob er gar nicht mehr da wäre, lächelte er. Dann sagte er zu sich selbst: »Der Kasper hat nicht unrecht! Soldat sollt' ich sein – da könnt' ich's zu was bringen! Ich hab' mir das schon selber gedacht – und es ist nicht zu spät dazu! – Aber jetzt geht's nicht – jetzt muß ich im Dorf bleiben!«

Nachdem er die Flasche geleert hatte, zahlte er die Musikanten – wie der Alte mit schlauem Doppelsinn bemerkte – »fürstlich«, und machte sich allein auf den Heimweg. Er war in seiner tiefsten Seele vergnügt und mit dem Tage vollkommen zufrieden.


VII.

Eine Lustbarkeit wie die am Bauernsonntag gibt in den Familien der Heimgekehrten noch wochenlang zu reden, wenn sich auch nichts Besonderes dabei ereignet; um so mehr, wenn Szenen dabei vorfallen, wie auf der diesjährigen. Das Benehmen der verschiedenen Teilhaber wurde zu Haus einer sehr scharfen Kritik unterzogen. Die Burschen, die dem Hans gewichen waren, mußten von den Ihrigen, auch von ihren Mädchen, die übelsten Dinge anhören; und alle Gründe, die sie zu ihrer Entschuldigung vorbrachten, retteten sie nicht vor geringschätzigen Reden und höhnenden Gesichtern. Aber auch diejenigen, die des Schutzes bedurft hatten, gingen nicht leer aus. Man spottete über sie verhältnismäßig gelinder, aber immer noch so, daß sie nur mit beschämtem, verlegenem Lächeln antworten konnten. Der Held, wenn nicht des ganzen Gaues, so doch des unteren Rieses, war und blieb der siegreiche Hans. Die Mädchen priesen ihn ihren Liebhabern ins Angesicht. Sie sagten, allerdings wär' es ein gefährlicher Mensch und er habe schon viel Schlimmes angestiftet, aber Courage habe er mehr als die andern zusammengenommen. Und das sei eben doch eine schöne Sache – und sie möchten sich anstellen wie sie wollten, sie könnten ihm nicht böse sein. – Ja, eine und die andere ging so weit, zu erklären: sie begreife am End' die Mädchen, die ihm aufgehorcht hätten, trotzdem daß sie vorher gewußt, wie es ihnen ergehen würde.

Gleich am andern Morgen hatte Kathrine mit ihrer Mutter eine längere Unterredung. Die Alte fragte ahnungslos, ob sie recht lustig gewesen sei; und Kathrine mußte bekennen, daß es sich hier nicht bloß um Vergnügen gehandelt habe. Sie erzählte, was geschehen war, mit einer gewissen ernsten Ruhe und – mit Vorsicht. Aber die Hörerin schüttelte den Kopf gleichwohl mit schwerem Bedenken. »Daß doch immer wieder,« sagte sie mit einem Ton des Verdrusses und der Sorge, »dieser Mensch dazwischenkommen muß!«

»Aber bei der Gelegenheit,« wagte die Tochter zu bemerken, »ist ihm doch kein Vorwurf zu machen!«

»Um so schlimmer!« murmelte die Alte.

Kathrine schwieg. Dann sagte sie: »Mutter, wenn du dabei gewesen wärst, dann hättest du dich selber gefreut, wie er gekommen ist! Es ist schrecklich, wenn man sich etwas gefallen lassen muß! Und unsere Leute haben sich nimmer helfen können, sie wären verloren gewesen! Da tritt der Hans herein – und auf einmal ist's wie umgedreht!«

»Ja, ja,« sagte die Alte, »das kann er, weil er sich aus nichts was macht. Aber,« setzte sie bedeutsam hinzu, »der tut nichts umsonst!«

Die Züge der Tochter drückten Mißbilligung aus. »Du tust ihm unrecht,« versetzte sie. »Er hat gar nichts daraus gemacht, wie's vorbei gewesen ist. Er hat gar keinen Stolz gehabt und sich gegen keines von uns was drauf zugute getan. Ich muß schon sagen, sein Benehmen nachher hat mir grad' noch am besten gefallen!«

»Sieh, sieh!« rief die Schreinerin. »Nun, einen Vorteil hat er jetzt doch schon davon gehabt.«

Kathrine sah sie fragend an.

»Daß du seine Partei nimmst,« fuhr die Mutter fort. »Daß du jetzt nichts mehr gegen ihn hast!«

Die Tochter errötete. Dann sagte sie: »Ich vergess' durchaus nicht, was man ihm mit Recht vorwerfen kann!«

»Aber du machst dir nichts mehr daraus!« rief die Mutter. Und nach einem scharfen Blick auf sie fuhr sie fort: »Mädchen, Mädchen, nimm dich in acht! Ich rate dir, halte dich von diesem Menschen zurück! Wenn du nicht auf deiner Hut bist, dann sag' ich dir, es geht dir wie den andern!«

Ein Unwille malte sich auf Kathrines Gesicht. »Geh!« rief sie, »wie kannst du so etwas von deiner Tochter glauben!«

»Ich warne dich!« versetzte die Alte. »Und das ist meine Schuldigkeit. Dieser Mensch sieht sich überall nach den Saubersten um; und daß du ihm gefällst, das hab' ich schon aus seinen Reden abnehmen können, wie er dir das erste Mal begegnet ist. Und grad' weil du schon versehen bist, wird er nach dir trachten wollen. Denn das ist seine Art, und das erste Mal wär's nicht, daß es ihm durchginge!«

»Du machst ihn gar zu schlecht!« rief Kathrine.

»Ich mach' ihn nicht schlechter, als er ist! Gegen die Weibsbilder ist er jeder Schandtat fähig!«

Kathrine wurde ungeduldig. »Nun,« rief sie, »wenn andere so dumm sind, sich von ihm anlügen zu lassen, dann mögen sie's tun und ihr Unglück haben! Ich bin's nicht!«

»Ich hoff's!« entgegnete die Alte mit Nachdruck. »Ich hoff', du bist zu gescheit dazu! Aber nimm deinen Verstand zusammen, Mädle, und behaupte deinen Charakter! Die Geschichte von gestern hätt' nicht passieren sollen – um alles in der Welt nicht! Was hat denn der Heinrich für ein Gesicht dazu gemacht?«

»Es ist ihm auch lieb gewesen,« erwiderte Kathrine, »daß der Hans gekommen ist. Später ist's mir allerdings vorgekommen, als ob er sinnierte« (in Gedanken stünde).

»Da hast du's!« rief die Alte. »Ich gäb' viel drum, wenn du nicht nach Nördlingen gegangen wärst. Aber jetzt ist's geschehen – und jetzt laß uns alle Sorge drauf wenden, daß es keine bösen Folgen hat!«

Kathrine war froh, als die Mutter nach diesen Worten aufstand und an eine Arbeit ging. Sie wünschte sich insbesondere Glück, daß sie ihr von dem zweiten Zusammentreffen mit Hans nichts gesagt hatte. Denn wenn sie erfahren hätte, was er sich da gegen sie herausgenommen, dann würde sie sich jetzt noch viel schwerer beruhigt haben. Und dennoch – sie hatte keinen Grund zur Sorge. In keiner Weise.

Das Mädchen erschien sich fest, und in diesem Bewußtsein lebte sie weiter. Sie gab dem Hans seine Anerkennung, sie war ihm dankbar und sie mußte ihm zugestehen, daß er sich letzthin gegen sie durchaus schicklich benommen habe. Zu trauen war ihm aber freilich nicht, und seinen Versicherungen würde sie nicht Glauben schenken, und ein Verhältnis mit ihm würde sie nicht anfangen, auch wenn sie nicht schon mit Heinrich bekannt und einig wäre!

Auf diesen Beschluß ihrer Seele und seine wiederholte Bestätigung gründete sie ihre Sicherheit. Und arglos überließ sie sich nun ihren Gedanken, Empfindungen und Phantasien. Die Auftritte in Nördlingen traten wiederholt vor ihre Seele, und sie konnte sich nicht enthalten, mit Gefühlen der Freude und des Stolzes auf den Dorfburschen zu blicken, der mit einem Schlag der Sache eine andere Wendung gegeben und der Schande und Qual, die sie empfunden, ein Ende gemacht hatte. Die Kränkungen, die sie erduldet hatte, so gerächt, die frechen Menschen so jämmerlich gedemütigt zu sehen – es war eine süße Empfindung. Ihr Gedächtnis wiederholte genau, was er getan und gesagt hatte, und wenn sie alles zusammennahm – sie mochte nun urteilen wie sie wollte – einen zweiten wie den Hans, in dieser Beziehung, gab's nicht im Ries! Sie hatte seine Fehler getadelt, sie hatte ihm die härtesten Dinge ins Gesicht gesagt: nun mußte sie auch seine guten Eigenschaften anerkennen, sonst tat sie ihm unrecht. Wenn sie, was er in der Stadt getan hatte, ihm nicht zugute rechnete, dann handelte sie gewissenlos! Und das wäre sehr schwach von ihr gewesen und ganz gegen ihre Weise! Sie konnte auch wohl alles gelten lassen an ihm, was gut war; sie wagte nichts dabei – denn sie wußte, was sie wollte.

Heinrich, der treue, zuverlässige Mensch, wurde ihr Mann. Er war kein Held wie jener; aber im Vergleich mit seinen Kameraden hatte er sich doch noch am besten gehalten. Nicht jedem ist es gegeben, alles herauszufordern und alles zu wagen. Dafür hatte Heinrich andere Tugenden – und solche, die einem Ehemann besser anstehen.

Die Arbeiten auf der Wiese, die jetzt begannen, gaben ihr Zeit und Einsamkeit, und so beschäftigte sie sich mit den zwei Personen, die sich ihr ins Herz geprägt hatten, wieder und wieder. Den Gefährlichen bewunderte sie, wie sie mußte – den Geliebten schätzte sie, wie er's verdiente. Sie machte sich dabei freilich nicht klar, daß sie zu jenem emporsah, und zuweilen mit pochendem Herzen – diesen hingegen von oben betrachtete, während ihre Seele ruhig blieb!

Der Tag in Nördlingen wurde vor allen dem guten, treuen Burschen verhängnisvoll; und das hatte noch einen andern Grund!

Wir erwähnten schon, daß Heinrich ein wohlgestellter, aber kleiner Bauer war. Sein Hof zählte an Morgen Landes nicht viel mehr als eine gute Sölde, und das erleichterte ihm bei den Seinen die Verbindung mit der Tochter eines gutstehenden Handwerkers. Allein damit gehörte er immer noch zu dem höheren Stande der Bauern, und es gab unter diesen solche, die seinen Verkehr mit Söldnerskindern für eine Herabsetzung ansahen. In unserem Dorf hielten die jungen Bauern möglichst zusammen, und daß dieses am Sonntag in jenem Nördlinger Wirtshause so schlecht vertreten war, hatte seinen Grund hauptsächlich darin, daß die vereinten Bauernsöhne ein anderes, vornehmeres mit ihrer Gegenwart zu beehren für gut gefunden hatten. Diese Partei nun richtete die Ereignisse in der Stadt nicht nur am strengsten, sondern ihre Kritik nahm insbesondere noch die Wendung, daß eben Heinrich der Gegenstand ihres Tadels und die Zielscheibe ihres Spottes wurde.

Man erklärte in diesem Kreise: es sei ihm ganz recht geschehen – warum halte er sich nicht zu seinesgleichen! Mit ihnen wenn er zusammen gewesen wäre, da hätten die Kerle vom andern Dorfe mucken sollen! Und wenn von ihnen auch nur drei oder vier bei ihm gewesen wären – jene hätten sich nicht gerührt. Sie wären froh gewesen, daß man ihnen nichts tat! Aber da habe er's nun mit seinen Kameraden! Der unverschämte Maurer, der Wildschütz, der verdächtige schlechte Gesell habe ihm heraushelfen müssen. Das sei eine Schande, die er zeitlebens nicht verwinden werde. Dieser Mensch nehme sich überhaupt soviel heraus, daß man einmal ernstlich mit ihm reden müsse; und das werde schon noch geschehen. Bis jetzt habe man's nur noch nicht der Mühe wert gehalten. Heinrich könne aber nichts gegen ihn machen; denn er müsse ihn für seinen Wohltäter halten. Nun, er möge sich in acht nehmen. Dieser Mensch habe aparte Liebhabereien; er sei besonders auf schöne Mädchen aus, die schon andern gehören, und wenn ihm »der Laun« zu der Schreinerstochter komme, so werde er sich gegen einen Menschen, dem er aus der Schande geholfen habe, keinen Zwang antun.

Die Gutmütigkeit hat es von jeher an sich gehabt, die Bosheit anzuziehen, weil sie ihre natürliche Gegnerin ist und ihr leichtes Spiel macht. Unsere Bauernsöhne höhnten und prahlten darum jetzt nicht nur hinter dem Rücken Heinrichs, sie erklärten ihm ihre Meinung auch ins Gesicht. Sie stichelten – und ihre Spitzen waren alles eher als fein. Einer und der andere, in der Meinung, zu scherzen, sagte ihm Grobheiten der plumpsten Art und lachte dazu, als ob es die köstlichsten Späße wären.

Heinrich, seiner Natur nach, verteidigte sich mit Gerechtigkeit und Billigkeit. Er behauptete, er sei weit genug gegangen, und sie, die jetzt hinterdrein prangten, hätten an seiner Stelle auch nicht mehr getan. Es sei wahr, er hätte mit Wut, ohne alle Besinnung dreinschlagen können; aber dann hätte es Mord und Tod gegeben, und sie hätten doch nichts gewonnen. Einmal sei er gleichwohl im Begriff gewesen, es zu tun, da hätten ihn seine Kameraden abgehalten. Was den Hans betreffe, so sei er ein absonderlicher Mensch; und sie, die ihn jetzt hinter seinem Rücken heruntersetzten, würden sich wohl hüten, ihm so was ins Gesicht zu sagen. Er frage allerdings nach niemand was und nehme sich alles heraus; aber gerade das habe bei dieser Gelegenheit geholfen, und ihn jetzt, nachdem er die Ehre des Dorfes gerettet habe, schlecht zu machen und zu schimpfen, das komme ihm sehr unschicklich und recht elend vor. Die Sache sei jetzt aus, sie sei für das Dorf gut ausgegangen, und jetzt sollte man endlich davon schweigen.

Was er mit solchen verständigen und wohlmeinenden Reden gegen den rohen Übermut ausrichtete, kann man sich denken. Der Hohn der Burschen erhielt nur eine weitere Schärfung. Gegen den Grund des Rechts steht der Anmaßung immer der Grund des Unrechts zur Verfügung, der bei weitem wirksamer ist und gegen den keine Vernunft, sondern nur Schläge helfen.

Unser Wackerer, der zu seinem Unglück den Trieb erhalten hatte, jedem das Seine zu geben, stand also nochmals vor der Wahl zwischen Hinnehmen, Nachgeben und Streit. Da sein ganzes Wesen zum Frieden neigte, so zauderte er und zog sich aus der Sache so gut als es eben ging, empfand aber die Quälereien mit tiefem Unmut und verwünschte die Bosheit der Menschen, die so ganz anders waren als er, und deren Freude an grobem Unrecht er kaum begreifen konnte.

Lange schwieg er gegen Kathrine. Endlich, als einmal das Gespräch wieder auf diesen Gegenstand kam, teilte er ihr mit, wie die Burschen ihn so einfältig vexierten – wie sie des Teufels wären und gar nicht aufhören wollten. Im Gefühl seines Rechtes führte er Klage über die Gemeinheit und grobe Unbilligkeit der Menschen, annehmend, daß die Geliebte ihm beipflichten werde. Aber da sah er sich getäuscht.

Das schöne Mädchen zog ihre Stirn in Falten. »Daß die Menschen unverschämt sind gegen dich,« erwiderte sie, »das find' ich ganz natürlich. Du bist selber dran schuld und es geschieht dir recht!«

»Wie!« rief der Bursche betroffen und gekränkt.

Jene fuhr fort: »Du bist zu gut, viel zu gut, und das ist keine Tugend, sondern ein Fehler, und das ein großer! Wer sich alles gefallen läßt, dem tut man auch alles an – warum denn nicht? Schlag einmal einen hinter die Ohren, dann wirst du bald Ruhe haben!«

Heinrich, nicht ohne Humor, erwiderte: »Das ist sehr die Frage! – Dann hören die Händel vielmehr gar nicht auf!«

»So laß sie nicht aufhören!« entgegnete das Mädchen scharf. Und mit einem sehr ernstlichen Eifer fuhr sie fort: »Es ist besser, Händel zu haben, als daß man gehudelt wird! In Respekt muß sich ein rechtes Mannsbild setzen, und dafür darf ihm nichts zu viel sein. Freilich muß man dann auch alles riskieren und am Ende das Leben selber. Aber so ist's einmal, und wer meint, er kommt so durch, der wird bald sehen, daß er weder Ehr' hat noch Frieden in der Welt, weil der miserabelste Kerl auf ihm herumtrampelt! Wer recht hat, der muß sich wehren! Tut er's nicht, dann wird er in die Tasche gesteckt. Und da,« setzte sie mit einem Achselzucken hinzu, »mag er sich dann beklagen! Es wird ihm was Rechts helfen!«

Heinrich fühlte die Wahrheit in diesen Reden, mußte aber finden, daß sie von Kathrine zu ihm sehr unsanft ausgesprochen war. Liebevoll war die Geliebte diesmal wahrlich nicht. Aber so ganz unrecht hatte sie auch nicht; es war Zeit und in jeder Beziehung notwendig, daß er in seiner Manier eine Änderung machte.

Eine Zeitlang schwieg er. Dann sagte er: »Du hast nicht unrecht, Kathrine. Aber daß die Menschen so sind, das ist eine Schande!«

»Sie sind nun aber einmal so!«

»Drum hast du auch recht – und ich werd' es das nächste Mal anders machen!«

»Soll mich freuen,« versetzte sie mit dem Tone des Mißtrauens, »wenn ich höre, daß es geschehen ist.«

Nach einer Weile kam die Mutter dazu; man sprach über andere Dinge, und Heinrich verabschiedete sich endlich von Kathrine mit einem Handschlag. Diese konnte es nicht über sich gewinnen, dem Geliebten die Hand zu drücken, wie sie es sonst zu tun pflegte. Strafe muß sein, und sie war ärgerlich über ihn, recht von Herzen.

In dem Mädchen lag etwas Stolzes, um nicht zu sagen Heroisches, das infolge der jüngsten Erlebnisse mehr und mehr hervortrat.

»Die Liebe,« sagte sie sich, »und die Freundlichkeit sind recht schön – aber das ist noch lange nicht alles. Vor meinem Mann will ich Respekt haben, und ich will, daß auch andere vor ihm Respekt haben. Ein Mannsbild sein und sich nicht helfen können, das ist doch gar zu verdrießlich. Es muß halt überall etwas fehlen.«

Mit einem Seufzer schloß sie dieses innere Selbstgespräch. Dann schaute sie im Haustennen, wo sie sich nach der Verabschiedung des Liebhabers allein befand, umher. Es war dunkel geworden. Der Himmel war trüb und kündigte Regen an; aber die Luft mußte erquickend sein. Sie verließ das Haus; um den Unmut zu vergehen und ungestört ihren Gedanken nachzuhängen, wandelte sie durch den Heckengang auf die Wiese. Eine Stimme, die den Gruß der Zeit sprach, traf ihr Ohr; erschreckt fuhr sie auf – es war der Hans.

Kathrine, nachdem sie den an der Hecke Stehenden angestarrt hatte, rief: »Du bist wieder hier?«

Der Bursche trat näher. Mit einem Tone, der etwas Sanftes hatte, erwiderte er: »Darüber brauchst du dich nicht zu wundern, Kathrine! Ich streicht schon einige Tage um dein Haus herum in der Hoffnung, dich zu treffen!«

»Aber was willst du von mir?« rief das Mädchen erregt.

»Dich sehen,« versetzte der Bursche.

Kathrine fuhr auf. Dann mit einem Tone trauernden Vorwurfs entgegnete sie: »Was soll das helfen?«

»Danach frag' ich nicht,« versetzte Hans. »Ich hab' ein Verlangen, ich kann nicht anders – und ich folg' ihm!«

»Du willst also nicht nachgeben?« rief Kathrine.

»Es geht nicht!«

»Dann brichst du dein Wort! Du hast mir versprochen –«

»Versprochen!« wiederholte der Bursche mit Heftigkeit. »Eine Dummheit hab' ich versprochen! Wie kann man versprechen, was man nicht halten kann? Ich kann nicht von dir lassen, Kathrine. Ich hab's versucht, aber es ist nicht möglich! Ich bin besessen. Du hast mich behext!«

Das Mädchen schaute ihn geängstigt an. »So schrei doch nicht so!« rief sie. Und murmelnd setzte sie hinzu: »Schrecklich, schrecklich!«

Hans nahm sie bei der Hand. »Kathrine,« sagte er, »noch geht's. Noch ist's Zeit. Entschließ dich! Mach ein End' und sei die Meine!«

Kathrine entzog ihm die Hand; ihre Brust war in heftiger Bewegung.

Der Bursche betrachtete sie mit einer ernsten Überlegenheit. »Es hilft dich nichts,« fuhr er mit dem Tone der innersten Überzeugung fort. »Du ziehst deine Hand weg; aber ich weiß doch, daß du mich lieber hast als deinen Heinrich! Du kannst den Menschen nicht heiraten, Kathrine – du kannst ihn nicht estimieren

Das Mädchen, bebend, schwieg und suchte sich zu fassen. Dann erwiderte sie: »In dieser Hinsicht habe ich dir meine Meinung schon gesagt. Du bildest dir zu viel ein, Hans!«

»Ich glaub's nicht!« versetzte dieser. »Und was ist's denn, wenn du gegen mich gesinnt bist, wie ich gegen dich? Wir gehören zusammen, Kathrine! Ich hab' dir's schon einmal gesagt, und ich bleib' dabei, denn es ist wahr!« Er ergriff ihre Hand, und das Mädchen, von den seltsamsten Gefühlen bestürmt, ließ sie ihm. »Kathrine,« fuhr er mit einer Leidenschaft fort, die in ihrer glühenden Tiefe etwas Überwältigendes hatte, »wenn zwei sich lieb haben, dann müssen sie nach der ganzen Welt nichts fragen! Was hat man denn vom Leben? Müh' und Arbeit – ich kauf' die ganze Geschichte nicht um einen Heller! Aber wenn zwei sich lieb haben und sich glücklich machen, das ist etwas! Das ist allein etwas, alles andere ist gar nichts! Geh! Immer lauft man dem Glück nach und kriegt's nicht; da liegt's vor einem, und man traut sich nicht zu ihm hin; aus elender Feigheit nimmt man sich selber das Einzige weg, um dessentwillen es der Mühe wert ist, auf der Welt zu sein.«

Kathrine stand hörbar atmend. »Das sind böse Reden,« entgegnete sie, ihm die Hand entziehend. »Das ist Sünde!«

Der Bursche verzog die Lippe mit stolzer Geringschätzung. »Kurios!« erwiderte er, »alles, was einem wirklich Freude macht, das nennen die Leute Sünde. Daß man nur ja keine Lust habe zu etwas! Daß man nur ja keine Freude habe! Zuwider muß einem etwas sein – ganz unausstehlich – dann ist's das Rechte. Die Leute sind so dumm, daß sie mich dauern!«

»Du bist ein gottloser Mensch!« rief Kathrine, in ihrem Innersten sich wehrend.

»Es wär' kein Wunder,« entgegnete Hans. »Nun, und wenn ich's bin, wer hat mich dazu gemacht? Wer ist schuld daran? Du, Kathrine! Du bist die Hexe, die mich verzaubert hat. Du hast mich um den Verstand gebracht – ich glaub' nicht anders, als du kannst etwas!«

»Schäm dich, so zu reden,« rief das Mädchen. Und vorwurfsvoll setzte sie hinzu: »Von dir sagt man, daß du etwas kannst; von dir sagt man's im Ernst!«

Hans, nicht ohne Laune, zuckte die Achsel und erwiderte: »Ich merk' wenig davon! Wie es damit steht, das weißt du am besten! – Aber lassen wir diese Torheiten!« Er faßte mit der Linken ihre Hand, schlang den rechten Arm um ihren Leib und fuhr mit innigem Ernst – mit brennender Zärtlichkeit fort: »Kathrine, sprich ein Wort! Wenn ich dir sagen könnte, wie mir's zumut' ist – es täte dir schmeicheln. Solang' ich leb', ist mir's nicht so gewesen! Wie ein Feuerrad geht's mir um in der Brust, ich bin ganz außer mir! Du mußt mein sein, Liebe, denn ich kann nicht leben ohne dich! Kathrine, sei gut! Sag mir's, ich bitte dich! Kathrine, liebe Kathrine!«

Er zog sie an sich, und sie fand keine Kraft zum Widerstand. Alles Grausen der Lust ging durch ihre Seele, bewußtlos preßte sie ihm die Hand. Plötzlich, mit einer Art Wut, die sich wie ein Blitz in ihr erzeugte, riß sie sich los. »Hans,« rief sie, »laß mich – es hilft dich nichts! Ich sag' dir, es hilft dich nichts! Nein, und hundertmal nein! Ich will nicht und ich mag nicht!«

Betroffen sah der Bursch auf sie. »Kathrine!« rief er mit einem Ton des Staunens und des Vorwurfs.

»Du willst mich unglücklich machen!« antwortete das Mädchen. »Du willst nichts, als mich unglücklich machen. Das ist deine Lieb'. Geh, geh, geh!«

»Du bist von Sinnen!«

»Ich weiß, was ich tu'! Gott sei gepriesen, daß ich daran noch gedacht hab'! Nein, du willst nichts anderes! Aber dafür, das kann ich dir sagen, dafür bin ich nicht auf der Welt! – Gut' Nacht, gut' Nacht!«

Sie lief auf den Durchgang zu und verschwand.

Der Bursche stand eine Weile stumm. »Sie ist stolz,« sagte er dann zu sich. »Stolzer als ich gedacht hab'! – Gibt's wirklich noch solche Mädchen im Ries? – Aber mein muß sie werden, das schwör' ich hier mir selber! Gibt sie nicht nach, so geb' ich noch weniger nach – und ich bin ein Mannsbild! Weiter bin ich nichts und weiter kann ich nichts! Aber was ein Mannsbild kann, das kann ich; und das wird geschehen, dafür steh' ich, der schwarze Hans!«


VIII.

Kathrine war in ihr Haus zurückgekehrt, mit dem Gefühl, daß sie einen Zauber gebrochen. Sie hatte den Zwang desselben erfahren und war ihm schon erlegen; da kam ihr der Gedanke, der sie wieder frei machte. – Lügen waren es, was er sagte! Nicht ihr Glück wollte er, sondern ihr Verderben. – Nicht lieben durfte sie ihn – hassen mußte sie ihn!

Dem furchtbaren Unglück, sich betrogen, in Schande gestürzt und am Ende noch verhöhnt zu sehen, war sie entgangen – Gott sei Lob und Dank! – Froh dehnte sich ihre Brust. Sie kostete das ganze Wohlgefühl der Rettung.

Ihre Gedanken richteten sich auf Heinrich. Mag er zu gut sein und lange nicht der größte Held im Dorfe – das schadet nichts. Er ist redlich und treu – er meint's, wie er sagt – er will mein Glück und meine Ehre! Da kann man etwas in den Kauf nehmen!

In ihrer veränderten Gesinnung nahm sich Kathrine vor, den Geliebten, wenn er wieder käme, so freundlich zu empfangen als möglich, und ihm, nachdem sie ihn gedemütigt hatte, auch wieder Mut zu machen. Sie hatte ihn hart behandelt und ihm sehr unsanfte Reden gegeben; er sollte nun um so liebere hören.

Diesen löblichen Vorsatz konnte sie indes nicht ausführen: Heinrich zeigte sich nicht bei ihr. Drei Tage gingen vorüber, und als er am vierten auch nicht erschien, wurde sie unruhig, sehr unruhig und lächelte verlegen. Sollte er ihr's übelgenommen haben? Sollte er trutzen und verlangen, daß sie zu ihm käme? Oder hatte er gar etwas vom Hans gehört und war eifersüchtig und wollte sie verlassen?

Sie schüttelte den Kopf. Das war nicht möglich! Mochte er haben, was er wollte – er kam wieder.

Und darin täuschte sie sich nicht. Am fünften Abend erschien der Bursche und grüßte sie lächelnd. Sie faßte die gebotene Hand freudig und drückte sie zärtlich. »Sieht man dich endlich auch wieder einmal?« rief sie.

Heinrich versetzte mit Laune: »Du tust ja gerade, als ob ich dir abgegangen wär'?«

»So?« rief sie. »Das ist wohl nicht möglich? – Ich hab' mir Gedanken gemacht, das kann ich dir sagen!«

»Zum Beispiel?«

»Daß dich meine Reden von letzthin verdrossen haben!«

»Du hast also,« versetzte der Bursche, »selber gemerkt, daß sie nicht sehr liebreich gewesen sind?«

»Ich bin ärgerlich gewesen,« sagte Kathrine entschuldigend. »Aber – sie waren gut gemeint.«

»Und richtig,« fügte Heinrich hinzu. »Ich hab' mir auch fest vorgenommen, es so zu machen, wie du gesagt hast. Aber – es ist mir sonderbar gegangen.«

»Nun?«

»Eben die letzten Tage her bin ich mit mehreren dieser Menschen zusammengekommen; ich hab' drauf gepaßt, daß sie wieder anfangen würden, aber keiner hat etwas gesagt.«

Das Gesicht des Mädchens klärte sich auf; sie lachte. Dann sagte sie: »Es ist im Grund natürlich! Man kriegt alles genug in der Welt, auch das Foppen und Plagen.«

»Nun,« versetzte Heinrich, »wenn's nicht wiederkommt, ist's gut. Wenn's aber wiederkommt, dann weiß ich, was ich tu'.«

Er machte ein entschlossenes Gesicht.

»Es wird so schlimm nicht werden,« bemerkte Kathrine lächelnd. »Es kommt immer wieder was anderes, und über dem Neuen vergißt man das Alte. Jetzt gibt's eine Hochzeit!« sagte sie nach einer Weile. »Gehst du drauf?«

»Ich muß,« versetzte Heinrich. »Der alte Michelsbauer ist meinem Vater drauf gewesen: also –«

Das Mädchen nickte. Dann sagte sie mit einer gewissen Schelmerei: »Da wirst du dich recht lustig machen. Es wird eine große Hochzeit werden, und Weiber und Mädchen werden da sein vom ganzen Ries!«

»Die werden mich wenig inkommodieren,« entgegnete der Bursche munter. »Mit einigen Basen muß ich tanzen; aber ich werde nur das Nötigste tun – und mich auf den ›Ansing‹ Das Hochzeitsfest wurde früher im Ries durch Absingung eines geistlichen Liedes im Wirtshause beschlossen. Dann begann für die Dorfjugend eine zweite Lustbarkeit, welche heute noch der »Ansing« heißt. sparen.«

Kathrine schaute lächelnd vor sich hin. »Das sieht aus, als ob du haben wolltest, ich sollt' auch drauf kommen?«

Heinrich ergriff ihre Hand. »Noch einmal,« sagte er, »wollen wir miteinander tanzen als ledige Leut' und vergnügt sein vom Grund des Herzens.« Launig setzte er hinzu: »Dasmal sind wir unter uns – lauter Kameraden und Freunde – und können tun, was uns gefällt!«

Beim Abschied erhielt Heinrich den zuletzt vorenthaltenen Händedruck mit verdoppelter Kraft ausbezahlt – strahlend, in glücklichster Sicherheit ging er von dannen. Kathrine, als er das Haus verlassen hatte, sagte zu sich: »Ich bin selber froh, daß die Bursche an ihrem Uzen genug haben, und daß es ohne Händel abgegangen ist. Nun wird hoffentlich bald alles eben sein!«

Eine Woche ging hin. Der Friede des Mädchens wurde durch nichts gestört. Hans begegnete ihr nicht wieder. In den ersten Tagen hatte sie gefürchtet, daß er doch noch einen Versuch machen werde, mit ihr zusammenzutreffen, aber es kam nicht dazu. »Er gibt's auf,« sagte sie endlich zu sich, »und das ist auch das Gescheiteste, was er tun kann. Vielleicht wird er einmal wirklich vernünftig – und es sollte mich freuen, wenn ich ihm dazu geholfen hätt'. So wie er's bisher getrieben hat, kann er's nicht forttreiben – das muß notwendig ein schlechtes Ende nehmen – und es wär' doch schad' um ihn. Das muß ihm sein Feind nachsagen, wenn er brav wäre und ehrlich und man ihm trauen könnte – er hätte im Ries seinesgleichen nicht!«

Der Tag der angekündigten Hochzeit erschien. Es war in der Tat eine große Hochzeit. Der Michelsbauer, der seinen einzigen Sohn verheiratete, war ein reicher Mann, er hatte sich eine Schwiegertochter ausgesucht, deren Vater ihm die Wage hielt, und beider Verwandtschaft war ausgebreitet über den ganzen Gau.

Einer solchen Verbindung sieht man auf dem Lande allgemein mit frohem Anteil entgegen. Es gibt da einen herrlichen Einzug mit Wagen voll Kisten und Kasten und schwellenden Federbetten, die man bewundern kann, und eine lustige Vorfeier im Hause des Bräutigams; dann eine glänzende Hochzeit, an deren Vergnügungen alle Einheimischen teilnehmen können, auch wenn sie nicht förmliche Gäste sind; endlich ist die Gründung einer besonders angesehenen Familie für das Dorf eine Ehre, worauf sich jeder, auch der geringste Mitbewohner, noch etwas zugute tun kann.

Die Festlichkeit an zwei schönen Tagen nach der Dinkelernte verlief aufs beste. Das ganze Dorf war auf den Beinen. Es war eitel Vergnügen und Jubel auf allen Gassen, zumal in der Nähe des Wirtshauses, aus dessen offenen Fenstern die Tänze erklangen, welche sechs Musikanten aufspielten.

Kathrine war nicht auf die Hochzeit gegangen, weil ihre Familie zu dem Michelsbauer nicht in der freundschaftlichen Beziehung stand, die es zur Pflicht gemacht hätte. Aber im Laufe des Nachmittags begab sie sich ins Wirtshaus, um zu »schenken« – der Braut nämlich ein Geldstück zu überreichen als verhältnismäßigen Beitrag zur Wirtschaft der Neuvermählten. Die Hochzeiterin, eine stattliche Person, nahm die Viertelskrone am Bräuteltisch mit Würde entgegen, dankte freundlich und bot ihr zu trinken. Nach einer feinen Leistung im Nippen verabschiedete sich das Mädchen und wollte sich nur noch ein wenig im Hause umsehen, als Heinrich auf sie zutrat und sie auf den Tanzboden führte. »Zum Versuchen,« sagte er.

Sie tanzten etliche Reihen; dann behauptete Kathrine, daß sie nach Haus müsse. Heinrich lächelte. »Aber heut' abend bist du bereit?« – »Zum letztenmal!« erwiderte sie mit vergnügter Bedeutung.

Abends um acht Uhr war sie geputzt. Heinrich, in minder feierlichem, aber ebenso glänzendem Anzug wie am Tage, in frohester Stimmung und frischester Laune, kam sie abzuholen, und geleitete sie ins Wirtshaus. Hier nahmen sie in der oberen Stube an einer Tafel Platz, aßen und tranken, dann folgten sie den Klängen der Musik.

Es war sehr voll auf dem Tanzboden und dieser für die Paare fast zu klein. Das hinderte aber die Fröhlichkeit in keiner Weise; im Gegenteil, je mehr man sich drängte und stieß, desto lustiger wurde man. Die Burschen strampften und »juxten«, daß es eine Art hatte, und jeder Reihen wurde durch ein »Schelmenlied« eingeleitet, das seinem Namen Ehre machte.

Unter denen, welche sich auszeichneten, stand Heinrich obenan. Er hatte als Hochzeitsgast den Tag über verschiedenes getrunken und, ohne sich gerade zu übernehmen, seine Lebensgeister doch mehr als gewöhnlich erregt; außerdem fühlte seine Seele das größte Vergnügen. Er hatte sich vorgenommen und seinem Mädchen versprochen, bei dieser Gelegenheit das ledige Leben glanzvoll zu beschließen – und das wollte er halten.

Er sang vor und jauchzte; er bestellte künstliche Tänze und vollzog sie musterhaft; und dazwischen ließ er Scherzreden ausgehen, die zum Teil sehr glücklich waren und lautes Gelächter hervorriefen.

Unser Bursche war eine eigene Natur. Von größerem Zartgefühl, als man es auf dem Lande zu treffen pflegt, und meistens bescheidener, als es geraten ist, konnte er doch, wenn die Freude sein Herz durchströmte, ein Selbstbewußtsein, einen Triumph und einen Stolz auf seine Züge kommen lassen, welche den andern viel weniger in der Ordnung schienen, als ihm selber. Sein Aussehen und Benehmen erweckte dann bei den Guten ein Lächeln, bei den Übelwollenden Neid und Spott und Lust zum Widerspruch.

Heute, da er im Grunde niemanden verletzte und seine Lustigkeit manchen ergötzte, ließ man ihm lange seine Weise. Endlich verloren aber ein paar vornehme Bauernsöhne bei dem stets wiederholten Singen doch die Geduld, und widerstrebende Geister zogen in ihre Seelen.

Der kleinere und verhältnismäßig gutmütigere von beiden rief nach einer neuen Leistung: »Sapperment, Heiner, du bist ja heut' ein Bursch zum Verwundern! Du stichst alle 'runter – – das ist man gar nicht von dir gewohnt!«

Der Ton, in welchem diese Worte gesprochen waren, machte die spöttische Absicht noch deutlicher; aber der frühere Heinrich würde doch höchstens mit einem Achselzucken geantwortet haben. Der jetzige runzelte die Stirn, betrachtete den Sprecher mit Strenge und erwiderte herausfordernd: »Geht dich das was an?«

Der andere war im ersten Augenblick verblüfft: die höchst unerwartete Entschlossenheit des Gesellen nahm ihm die Fassung. Verwundert und etwas verlegen suchte er zu lächeln und sagte: »Man wird doch noch reden dürfen!«

»Aber keine Dummheit!« versetzte Heinrich mit Nachdruck.

Jener machte die Augen weit auf und schüttelte den Kopf. Er schien auf eine Replik zu sinnen. Aber sein Mädchen zog ihn an der Hand, und er ging mit ihr im Reihen weiter.

Kathrine führte ihren Tänzer in eine Ecke. »Aber was hast du denn, Heinrich?« rief sie hier. »Du bist ja grob!«

Der Bursche verzog den Mund geringschätzig. »Ich bin noch gut gewesen,« erwiderte er, »daß ich ihm nicht gleich eine ins Gesicht gegeben hab'.«

»Was fällt dir ein?« rief das Mädchen. »Du bist nicht bei Trost!«

»Wie kann der Kerl,« fuhr jener erregt fort, »mich zur Rede setzen wollen? Ich tu' hier, was ich mag, und niemand hat was dreinzureden; am allerwenigsten mit solch einem dummen Geschmohz (Geschmunzel).«

»Aber der Andres hat ja nur ein bißchen Spaß machen wollen,« rief Kathrine.

»Er hat mich foppen wollen!« entgegnete Heinrich entrüstet. »Er hat mir einen Spott antun wollen. Und das ist eine Unverschämtheit, die ich von niemand leide, um keinen Preis der Welt!«

»Heinrich,« versetzte Kathrine kopfschüttelnd, »ich begreif' dich nicht. Was der Andres gesagt hat, ist so gut wie gar nichts. Du hast unrecht gehabt, gleich so wild zu tun, das versicher' ich dir!«

»So,« entgegnete der Bursch. »Hast du mir nicht neulich selber gesagt, daß ich mir nichts gefallen lassen soll?«

»Das schon. Man darf aber nicht gar zu empfindlich sein. Man muß auch Spaß verstehen!«

Heinrich fuhr auf. »Jetzt bitt' ich dich, Kathrine, mach mich du nicht ärgerlich. Du wirfst mir vor, daß ich nicht Schneid' genug hab', daß ich zu gut bin, viel zu gut – und jetzt, wo ich einem Menschen, der mich uzen will, sage, was er hören muß, jetzt ist's wieder nicht recht? – Das ist ja verflucht!«

»Ei,« rief das Mädchen, »du sollst dich schon wehren! Dagegen hab' ich gar nichts. Aber zuerst muß man dir doch etwas tun!«

»Was kann man mir denn Ärgeres tun,« versetzte der Bursche, »als daß man mich zum Narren haben will? Soll ich vielleicht warten, bis er mir wirklich auf der Nase tanzt?« Und mit der Sicherheit und Würde eines Kenners fuhr er fort: »Gleich zuerst muß man solchen Menschen entgegentreten. Dann halten sie das Maul, wie der da, und ziehen ab. Wenn ich etwas anhöre, dann wird so ein Kerl immer frecher, und zuletzt muß ich dann doch Händel anfangen, wo ich lang' nicht mehr den Vorteil hab' wie am Anfang.«

Kathrine unterdrückte einen Seufzer. »Komm, laß uns tanzen,« rief sie und führte ihn in den Reihen.

Als der Walzer aus war, stellte sich Heinrich wieder vor die Musikanten, stimmte ein Lied an und sang es mit erhöhtem Schwung.

Nun konnte der minder gutmütige der beiden Bauernsöhne, der zugleich einen halben Kopf über Heinrich hinausragte, nicht länger mehr an sich halten. Er trat heran und sagte: »Du hörst ja heut' gar nicht auf mit dem Vorsingen, Heinrich! Willst du etwa nachholen, was du bei einer andern Gelegenheit versäumt hast? Da soll man nämlich keinen Laut von dir gehört haben!«

Die Anspielung wäre deutlich gewesen auch ohne den höhnenden Ton, in dem sie gemacht wurde. So ging sie dem Burschen wie ein Pfeil durchs Herz. Heftig auffahrend, rief er: »Wo hab' ich was versäumt?«

»Das wirst du ja wohl noch wissen,« versetzte der andere um so ruhiger. »Wie lang' ist's denn her? Keine sechs Wochen!«

Unser Bursche zitterte vor Scham und Wut. »Das ist ein elendes, einfältiges Geschwätz!« rief er.

Kathrine wollte ihn wegziehen. »Heinrich,« flüsterte sie, »ich bitte dich, sei ruhig!« Er aber herrschte ihr ein »Still!« zu und blieb drohend vor dem Gegner stehen.

Unterdes war auch der erste, kleinere, herbeigekommen und sagte mit einer Bosheit, die seine vorige Verblüffung rächen sollte: »Ich weiß schon, Heiner, warum du heut' so stolz bist. Der Hans ist wieder da – der Maurer! Unten im Tennen hab' ich ihn gesehen. Natürlich, wenn man so einen guten Kameraden hat, der einen immer wieder heraushaut, dann kann man schon hoffärtig und grob sein.«

Unser Bursche wurde dunkelrot, er ballte die Faust. »Ich brauch' niemand, der mich heraushaut!« schrie er. »Wenn du noch einmal eine solche Red' tust, dann brech' ich dich zusammen – ich allein!«

»Großer Gott,« rief Kathrine geängstigt. »Heinrich, sei doch klug, um's Himmelswillen!«

Der Lange sah verachtungsvoll auf ihn herunter. »Laß dich nicht auslachen, Mensch,« versetzte er. »Willst du auf einmal tun, als ob du auch etwas wärst? Du bist besoffen!«

»Was?« schrie Heinrich mit bebendem Munde. »Was sagst du zu mir?«

»Ich sag', daß du ein Hase bist,« versetzte der andere, »und jetzt nur unverschämt, weil du einen Rausch hast!«

In furchtbarer Wut holte unser Bursche aus und schlug den Beleidiger ins Gesicht. Dieser erwiderte den Schlag sofort. In kurzer Zeit war die Rauferei eine allgemeine. Dem Langen half sein Freund Andres; Kasper und Mathes, die unter den Tänzern waren, eilten Heinrich zu Hilfe. Die beiden Parteien wehrten sich – und der ganze Tanzboden war ein Knäuel von Streitenden. Die drei Talglichter, die an drei Wänden vor blechernen Wandleuchtern brannten, beschienen eine wüste Szene voll Geschrei, voll Staub und Qualm und wüstem Durcheinander.

Heinrich schlug und stieß um sich wie ein Rasender. Die Wut, die Rachsucht, die Verzweiflung steigerten seine Kräfte zum ungewohnten Maße. Der Lange hatte ihn einmal schon an den Armen gepackt, und da er weit stärker war, so dachte er ihn niederzuwerfen und zusammenzutreten. Aber unser Bursch riß sich wütend los und drosch auf ihn mit einer Heftigkeit und Schnelligkeit, daß er nur abwehren und wiederschlagen konnte. Nie hatte man Heinrich so gesehen! Er fluchte und schrie, der Geifer stand ihm auf dem Mund, die Augen rollten, die blonden Haare waren zerzaust, das hitzrote Gesicht blutete an mehreren Stellen.

Die Mädchen, die vergebens flehentlich zur Ruhe gemahnt hatten, standen an der Seite und in den Winkeln und jammerten, schalten sich auch wohl untereinander selbst. Kathrine, in der Nähe der Stiege, weinte vor Verdruß. »O Unsinn, Unsinn!« rief sie verzweifelnd.

Der Sieg, trotz der Taten Heinrichs, neigte sich nach und nach auf die Seite der Bauernsöhne. Hätten sich die Stände rein gesondert und die Söldner und Handwerker ohne Ausnahme zusammengehalten, so mußte ihre größere Zahl ihnen die Oberhand sichern. Aber mehrere davon standen zu den reichen Besitzern in einem abhängigen Verhältnis; sie wagten nicht, ihre Söhne anzugreifen, einige stritten sogar auf ihrer Seite – und das änderte die Sache. Die Partei Heinrichs fing an sich zurückzuziehen, er selbst ermattete.

Sein Hauptgegner nahm dies wahr; er ging auf ihn los und wollte dem Streit ein Ende machen, indem er den Anführer niederriß. Schon hatte er ihn am Halstuch gepackt und zerrte ihn, als auf einmal der Helfer, den man spottend angekündigt hatte, wirklich auf den Schauplatz trat. Der schwarze Hans bahnte sich den Weg durch die Schar der Handwerker gegen die Bauernsöhne.

Hans war seit einer halben Stunde im Wirtshaus. Des Tanzens nicht begierig, sondern heut' in seiner einsamen Laune, hatte er sich in der unteren Stube an einen Tisch gesetzt und nahm sein Abendessen ein. Eben war er mit dem Braten fertig, als er hörte, droben auf dem Tanzboden gäbe es Händel. Zunächst konnte ihn das nicht besonders interessieren; er lächelte, als die dicke Wirtin in übermäßiger Sorge zu lamentieren begann. Der Lärm wurde aber größer und größer, und endlich trat ein Alter herein, der über den Stand der Dinge Nachricht gab. Da tat der Bursch noch einen Schluck aus dem steinernen Krug, wischte sich den Mund, trat hinaus und stieg die Treppe hinan. Oben, an der linken Wand, sah er die verweinte, leidenschaftlich aufgeregte Kathrine. »Was gibt's?« rief er ihr zu. »Der Heinrich,« erwiderte sie, »hat Händel angefangen, und nun schlagen sie ihn tot!«

»Der Heinrich?« entgegnete Hans mit einem Staunen, das in Spott auslief. »Sei ruhig,« setzte er hinzu, »ich bring' ihn dir heraus! Mein Wort darauf!« Nach einigen Stößen rechts und links war er zu ihm durchgedrungen und stand neben ihm.

Es war die höchste Zeit. Dem Armen rannen Blut und Schweiß gemengt vom Gesicht, seine Brust arbeitete heftig, seine Arme und Beine zitterten – er hätte einem neuen Riß des Gegners nicht mehr widerstehen können. Da erschollen diesem die gebieterischen Worte ins Ohr: »Laß ihn los! Auf der Stell'!« Und als er nicht Folge leistete, fielen zwei Faustschläge auf ihn nieder, die ihn sofort nötigten, seine Arme zur Verteidigung zu gebrauchen. Dem Hans war aber der Gegner nicht gewachsen auch bei frischen Kräften; jetzt währte es nicht lange, so taumelte er, durch einen kräftigen Stoß getroffen, seinen Kameraden in die Arme.

Der Bursch hatte sein Wort gehalten: Heinrich war frei. Allein die Gegner waren noch nicht gemeint, sich zu beruhigen, und wie sie nun unter Schimpfen sich zu einem neuen Angriff ermutigten und einige auf ihn und Heinrich losgingen, da fuhr ein Dämon in den Übermütigen und gab ihm einen diabolischen Gedanken ein. Er umfing Heinrich mit dem linken Arme rasch, unwiderstehlich, streckte gegen die Burschen drohend die Rechte und rief: »Zurück! Zurück – oder ich steh' für nichts mehr! Meinem Freund hier, dem Heinrich, lass' ich nichts tun und wenn ein Dutzend auf dem Platze bleiben!«

Die Burschen zauderten, Hans fuhr fort: »Was habt ihr gegen den Heinrich? Warum wollt ihr ihn schlagen? Ist's nicht der beste Mensch von der Welt? Hat er jemals einem etwas zuleide getan? Gibt er nicht lieber nach, läßt er sich nicht lieber etwas gefallen, als daß er andere beschimpft? Ich weiß nicht, wie der Handel angegangen ist, aber das weiß ich: ihr allein seid schuld daran! Der Heinrich fängt nicht an – er ist viel zu gut dazu und viel zu friedliebend; und wenn er zugeschlagen hat, dann habt ihr ihn dazu gezwungen! Ihr habt nicht nachgegeben, bis er rasend geworden ist und um sich gehauen hat in Verzweiflung, und darum seid ihr die Anstifter! Aber jetzt ist's aus, das schwör' ich euch! Dem Heinrich geschieht nichts mehr! Wer ihn anrührt, der hat's mit mir zu tun – und was das heißen will, das wißt ihr!«

Die geheime Absicht dieser Art von Verteidigung ließ sich allenfalls auch von Uneingeweihten erraten – dem Schützling selber war sie klar. Er wurde durch sie martervoller getroffen als durch alle Reden, die er bis jetzt gehört, durch alle Faustschläge, die er empfangen hatte. Ringend wollte er sich von Hans losmachen; aber dieser, es wahrnehmend, strengte seine Kraft an und hielt ihn fest – der Arme war in einer entsetzlichen Lage! Um sich zu befreien, hätte er gegen seinen Helfer kämpfen müssen, und das würde ihm das Aussehen eines Tollen gegeben haben. Todmüde und durch diesen Gedanken völlig gelähmt, ergab er sich in sein Schicksal und ließ mit sich vornehmen, was jener wollte. Aber seine Empfindungen waren furchtbar.

In den Kopf des Bauernsohns, der die Sticheleien begonnen und damit die Schlägerei herbeigeführt hatte, kam eine Ahnung von dem wirklichen Stand der Dinge. Er trat einen Schritt vor und rief: »Hans, du irrst dich! Angefangen hat der Heiner, der auf einmal ein ganz anderer Mensch geworden ist – ein Grobian, der seinesgleichen sucht! Aber wenn er jetzt aufhören will, dann hören wir auch auf! Bring ihn weg, damit er sich waschen kann, denn er hat's nötig! Wir andern, wir wollen dann Fried' halten!«

»Gut,« versetzte Hans, »ich verlass' mich drauf!«

Die Parteien traten auseinander. Hans, der Gegner ledig, umschlang Heinrich nun auch mit dem rechten Arm, hob ihn empor, und als ob es sich hier um einen völlig Entkräfteten, Ohnmächtigen handelte, trug er ihn, einem Kinde gleich, durch die Burschen hindurch, der Stiege zu. Als sie an Kathrine vorbeikamen, starrte diese sie an, und ihre Wangen erbleichten. Gegenüber der Stiege befand sich eine Nebenstube; in sie trat Hans, gebot dem Wirtsmädchen, Wasser zu bringen, setzte Heinrich auf einen Stuhl und sorgte für die Säuberung und Wiederherstellung des Mißhandelten, Vernichteten, mit dem ganzen Eifer eines Freundes.

Nach einiger Zeit verließ er die Stube. Seine Augen suchten Kathrine. Er erblickte sie nicht mehr, weder auf dem Tanzboden, noch in der großen Stube. In der Tat hatte sie das Haus verlassen.

Die Arme auf der Brust kreuzend, sah der Bursch im Haustennen vor sich hin. »Das ist ja merkwürdig gegangen heut'!« sagte er zu sich mit einem unwillkürlich höhnischen Triumphlächeln, aber zugleich mit einem Ernst in seiner Miene, der etwas Tragisches hatte. »Jetzt ist entweder alles verloren oder alles gewonnen! Es wird sich zeigen!«


IX.

Als Kathrine nach einem unruhvollen Schlummer am andern Morgen erwachte und die Erlebnisse des gestrigen Abends vor ihre Seele traten, schrak sie zusammen. Ihr Herz bebte. War es nicht gerade, als ob sie von einem bösen Geist verfolgt würde? Die besten Vorsätze halfen nichts. Alles kam anders, als sie's wollte. Wenn sie glaubte, sie hätte es gewonnen, dann schlug es um und alles war verloren!

Sie hatte sich vorgenommen, mit Heinrich zum Tanz zu gehen. Sie hatte gehofft, sie würden dort vergnügt sein und alles würde sich dann wieder einrichten. Wenn sie miteinander fröhlich waren und Heinrich sich aufführte, stattlich und stolz, wie er's konnte, dann wichen ihr die Gedanken, die sie immer wieder heimsuchten, um sie zu quälen, aus der Seele. Heinrich mußte ihr helfen. Aber er würde ihr auch helfen – und sie würde ihn dann wieder ansehen, wie früher, das erwartete sie. Und nun – Schande war gekommen und schreckliche Schmach! Heinrich hatte sie herausgefordert – er war geradezu toll! »Er hat Händel angefangen wie ein wahrer Verrückter! Und er kann nicht sagen, daß ich ihm nicht abgeraten habe! Ich hab' getan, was ich gekonnt hab'; aber nichts hat geholfen, gar nichts! Und nun hat er den Schimpf! Wie jämmerlich hat er sich ausgenommen! Welch eine elende Figur hat er gespielt! – Das ist eine Schande, die bringt er nimmer weg, solang' er lebt!«

Unwillkürlich schauderte sie. Sie wendete den Kopf mit Widerwillen, mit Ekel zur Seite. – Die Liebe zu Heinrich war vergangen – die letzten Reste waren ihr aus der Seele genommen. Die Achtung war dahin; an ihre Stelle war Mitleid getreten – Mitleid und Geringschätzung!

Aber ihre Seele wendete sich keineswegs dem Nebenbuhler zu. Vielmehr empfand sie gegen den Übermütigen, den Unverschämten, dem alles durchging, einen wahren Zorn. Sie hatte ihn gesehen, wie er den armen Menschen an ihr vorübertrug: Bosheit war es von ihm, teuflische Bosheit! Der Heinrich hätte recht gut gehen, er, der Hans, hätte ihn recht gut führen können; aber er wollte ihm einen Schimpf antun und ihn behandeln wie ein kleines Kind, damit alle den Spott auf ihn hätten! – »Er ist ein Bösewicht, das läßt sich mit Händen greifen! – Wenn er aber glaubt, das hilft ihm was bei mir, so irrt er sich! – Nein, eine wahre Wut hab' ich gegen den Schändlichen! Die Augen könnt' ich ihm auskratzen, dem frechen Menschen, der sich anstellt, als könnt' er tun, was er mag!«

Ein trostloses Gefühl blieb in ihrer Seele. Heinrich war ihr verleidet – sie konnte sich gar nicht denken, wie er ihr Mann sein sollte! Und er, wie sie ihn kannte, er kam jetzt schon selber nicht mehr. Er schämte sich zu Tode – er versteckte sich, und viel war es, wenn er sich kein Leid antat. Denn er hat seinen Stolz, einen großen Stolz. Es ist eine andere Art, als beim Hans, aber nicht kleiner. Und wahrlich, diesem Stolz war ein Schimpf widerfahren, wie man ihn martervoller nicht ausdenken konnte!

Ihren quälenden Gedanken zu entgehen, stand sie auf, kleidete sich an und ging in die Stube, wo die Mutter sich schon befand. Dieser hatte sie die Hauptsache gestern schon mitgeteilt; jetzt mußte sie den ganzen Hergang erzählen, und sie tat es gern, denn es gewährte ihr selbst eine Erleichterung. Nachdem die Mutter alles vernommen, war sie fast außer sich. »Das ist ja grad', als ob's der Teufel machte!« rief sie. »Es kann auch wirklich nicht anders sein. Von ungefähr kann so was nicht geschehen – wenn der Teufel nicht selber hilft, dann geht's nicht so zusammen! Aber womit grad' ich das verdient hab', das möcht' ich wissen! So händelsüchtig, so verrückt – ein Mensch wie der Heinrich! Wer hätte das gedacht? Wer hätte das für möglich gehalten?«

Um diese letzten Worte ganz zu würdigen, muß man wissen, daß Kathrine in der außerdem so genauen Erzählung doch einen nicht unwichtigen Punkt unerwähnt gelassen hatte: nämlich, daß sie dem Heinrich früher in harten Worten zugeredet, von keinem der Burschen was anzunehmen. – Sie verschwieg instinktmäßig auch, was sie über die geheimsten Absichten des Hans vermutete. Dieser bekam freilich von der Mutter ohnehin seine Titel. »Wie ich immer gesagt hab',« rief die Frau, »was der Mensch nur anrührt, das richtet er zugrunde. Seine Hoffart und seine Unverschämtheit tun's einmal nicht anders. Und wenn sie den Heinrich halbtot geschlagen hätten, wär's nicht so schlimm. Es wär' tausendmal besser gewesen, der Mensch hätte den Bauernsöhnen geholfen.«

Die Tochter, leidenschaftlich beistimmend, kam nochmal auf die Schande Heinrichs zurück. »Wie ich ihn so gesehen hab',« sagte sie, »es ist mir entsetzlich gewesen! Ein Gesicht hat er gemacht wie ein Verdammter. Und ich konnte mich nicht rühren, ich konnte kein Glied bewegen – mir ist's eben gewesen, als ob ich von Stein wär'. Schrecklich, schrecklich! Daß ich so was erleben mußte! An so einem Tag und in so einer Zeit!« Sie sah mit einem Gesicht vor sich hin, in welchem sich die ganze Pein ihrer Seele ausdrückte.

Die Mutter suchte sie zu trösten. »Alles ist noch nicht verloren,« sagte sie. »Wahr ist's schon, nicht nur der Heinrich wird außer sich sein über den Schimpf, sondern auch seine Mutter. Ich muß wirklich darüber nachstudieren, wie ich mit ihr über die Sach' red'. Es wird mir aber schon was einfallen. Man wird diese Geschichte am Ende auch wieder vergessen, und alles wird dann noch gut gehen! Wenn nur du,« fuhr sie mit einem bedeutungsvollen Blicke fort, »dir keinen Vorwurf dabei zu machen hast. Daß du nicht im Wirtshaus geblieben und dem Heinrich beigesprungen bist, das kann man dir sehr übel auslegen.«

»Ich hab' nicht anders gekonnt!« versetzte Kathrine beteuernd. »Es ist mich ein Zittern angekommen, daß ich gemeint hab', ich fall' um – und ich bin fortgelaufen, solang' ich's noch vermocht hab', damit man mich nicht vielleicht heim tragen mußte.«

»Ich will's der Kohlbäuerin so erzählen,« entgegnete die Mutter, »und ich hoff', sie wird dir's nicht übel deuten. Ich hoff', ich hoff', es wird sich alles wieder vergleichen lassen.«

Als später der Schreiner unterrichtet wurde, sprach er seinerseits das tiefste Bedauern aus, meinte aber gleichfalls, es würde sich nochmal beilegen lassen. »Dann aber,« schloß er mit bedenklichem Humor, »dann macht nur gleich Hochzeit, denn 's ist die höchste Zeit.«

Die Tochter stimmte in ihrem Innersten mit ihren Eltern nicht überein – sie wünschte den Vergleich mit Heinrich nicht, und sie glaubte nicht an seine Ausführung; aber sie hütete sich wohl, davon etwas verlauten zu lassen.

An einem der nächsten Abende ging die Schreinerin zur Kohlbäuerin. Sie traf die stattliche Frau, die sich durch ihre Gesichtszüge und durch ihr Wesen als die Mutter Heinrichs verriet, allein und kämpfte für die Tochter so gut, daß die Bäuerin, die immerhin ihren Stolz und ihre Empfindlichkeit hatte, nach vielem Bedauern und Seufzen zugab, der Kathrine könne man unter diesen Umständen keinen Vorwurf machen. »Der Heinrich,« setzte sie hinzu, »wird's wohl auch noch einsehen. Aber für jetzt ist nichts mit ihm anzufangen. Er geht herum, als ob er verhext wär'. Er redet nicht und deutet nicht, und ich hab' wirklich nicht das Herz, mit ihm über die Sach' zu sprechen! Von andern Leuten hab' ich erfahren müssen, was passiert ist.« Nachdem sie leidvoll genickt hatte, fuhr sie fort: »Wenn er auch in früherer Zeit schon manchmal trutzig 'rumgegangen ist, so ist er mir noch nie vorgekommen. In den wenigen Tagen hat er seine Farb' verloren und ist magerer geworden. Er hat sich's fürchterlich hineingenommen in seinen Kopf.

O, Schreinerin! Was hat man für Kreuz mit seinen Kindern! Wenn man meint, man habe den Besten – auf einmal fährt der Satan in ihn, und er macht einem Kummer mehr wie der Schlimmste.«

»Wenn er noch ein paarmal darüber schläft,« tröstete die Schreinerin, »dann wird's doch wieder aus ihm herauskommen! Er ist ja so gut!«

»Das ist er,« versetzte die Bäuerin, »und das gibt auch mir einen Trost. Lassen wir ihm halt jetzt seine Weis' und warten wir, bis er selber wieder anfängt. Es geht alles vorüber in der Welt. Sonst könnt' man ja auch gar nicht leben darin.«

Die Hoffnungen der beiden Frauen gründeten sich auf die Natur der Dinge und die allgemeine Erfahrung; gleichwohl kam es anders, als sie gedachten.

Heinrich änderte seine Weise auch in der nächsten Woche nicht. Die Einheimsung der Sommerfrucht gab viel zu tun und der junge Bauer lebte ganz seinem Geschäft. Er sprach nur so viel, als zur Leitung der Arbeiten nötig war, und »schaffte« gleich einem seiner Knechte. Nach vollendetem Tagewerk aß er stillschweigend oder auf etwaige Fragen nur höchst einsilbig antwortend mit der Mutter und legte sich früh zu Bette. Zum Schreiner kam er nicht wieder. Zufällig (wenn es bloß Zufall war!) begegnete er auch der Kathrine nie so, daß er sie grüßen und mit ihr hätte reden müssen.

Wir brauchen nicht zu sagen, daß dem Mädchen dies erwünscht war. Sie scheute sich vor einem Zusammentreffen, besonders darum, weil sie nicht wußte, wie sie sich gegen ihn benehmen sollte. Mit bloßen Reden sich zu helfen, war ihr gegen die Natur, und sie fürchtete sich, daß Heinrich merkte, wie's ihr eigentlich ums Herz war.

Ein anderes Zusammentreffen wurde ihr dagegen nicht erspart. Einmal, in einer Seitengasse des Dorfes, sah sie unvermutet den Hans auf sich zukommen. Sie war betroffen – ein Unwille erhob sich in ihr und eine dunkle Röte ging über ihr Gesicht. Der Bursche grüßte sie in der ihm eigenen Weise, mit einem ruhig treuherzigen Klang der Stimme. Aber sie, die sein Benehmen an jenem Ansing vor Augen hatte, rief zum Gegengruß: »Du bist der Teufel selber! Geh!«

Hans blieb stehen. »Du kannst eben nichts,« erwiderte er mit einem Tone des Vorwurfs, »als mir unrecht tun! Ich muß der schlechteste Mensch von der Welt sein; warum? Weil du's haben willst! Wahrlich, jetzt wär's in der Ordnung, daß ich kein Wort mehr mit dir redete! Aber ich bin eben ein Esel und lass mir gar alles gefallen. Ich bin wirklich so dumm und so schwach, daß ich mich vor mir selber schäm'. Adies!«

Er ging weiter. Kathrine stand »verhofft«. Dann murmelte sie für sich: »Es ist doch so!«

Die Ernte gab auch ihr ungewöhnlich zu tun und die angestrengteren Arbeiten zogen sie ab von ihren Gedanken. Als aber alles unter Dach und Fach war und eine Zeit der Ruhe eintrat, verfiel die Einsame wieder in ein Sinnen. Was sollte aus ihr werden? Was sollte sie tun? Was konnte sie erwarten? Das waren Fragen, um die sie nicht herumgehen konnte – sie mußte sich mit ihnen beschäftigen.

Noch immer konnte sie sich nicht denken, daß sie mit Heinrich wieder einig wurde! – Aber, wenn ihr Herz auch ängstlich zu klopfen begann und eine warnende Stimme dagegen sprach, auf Hans richteten sich ihre Gedanken! Eine verteidigende Stimme erhob sich gegen die anklagende und sagte: »Er ist vielleicht doch nicht so schlecht, als man ihn macht und auch du geglaubt hast! Er hat vielleicht nur die noch nicht gefunden, bei der er bleiben kann, und er würde sich in dem Falle wohl ändern und sein leichtsinniges Leben lassen, wie's schon so mancher getan hat! Man bekommt alles genug in der Welt; er hat's selber gesagt und es ist wahr! Und eine brave Frau kann gar viel bei einem Mann, wenn er sie gern hat! Die Jugend, sagt man, muß vertobt sein – und bei dem hat sie eben länger gewährt als bei andern! – Er kann immer noch vernünftig werden – es ist möglich!«

Die Warnungsstimme blieb aber nicht aus. Sie erinnerte die Nachdenkende an die vielen Mädchen, die er schon belogen und verlassen hatte, und fragte sie, warum er grad' bei ihr aufhören sollte? Sicher war es lange nicht, daß er eben bei ihr sich änderte. Und deswegen durfte sie ihm nicht trauen; und daß sie ihm durchaus keine Audienz mehr gebe, war ihr in jeder Beziehung geraten.

Allein die bloße Möglichkeit einer Änderung, die ihr vor die Seele getreten war, kam dem Burschen doch zugute. »Es kann sein! Es kann dennoch sein, daß ich ihn 'rumbrächte!« So rief's wieder und wieder in ihr; sie malte sich die Vorstellung aus, und ein Bild stand vor ihr, das ihr wohltat und schmeichelte.

In Wahrheit befand sie sich in einer sehr gespannten, traurigen Lage. Sie hatte keine Ansprache im Hause, keine lindernde Zerstreuung; ihr Herz hatte kein Ziel, und die Ungewißheit machte ihr im Innersten bange. In diesem Schwanken erhob sich in ihr ein Sehnen nach Glück, nach vollem, ganzem Lebensglück, worauf sie doch auch ein Recht zu haben glaubte. Sie hatte noch wenig Freude gehabt in ihrer schönen Jugend! Eine Zeitlang wohl; aber dann war der Verdruß gekommen und alles war ins Gegenteil umgeschlagen. Sollte es für sie wirklich kein Glück mehr geben in der Welt?

Ihr Herz pochte; es verlangte nach Erfüllung, dringend, mit heißer Bewegung.

Und die Gestalt des Hans erschien ihr wieder – in dem eigentümlichen Glanze, den sein Mut, seine Stärke, sein Stolz ihr verliehen. »Er hat seinesgleichen nicht!« rief's in ihr aufs neue; »jeden sticht er herunter! – alles,« fuhr sie nach einer Weile fort, »alles muß am Ende gewagt sein in der Welt. Brief und Siegel haben wir für nichts! – und wer sich nichts traut, der bekommt auch nichts! – Wenn mir das geriete mit diesem Menschen!« – –

Eines Abends, als sie in solchen Gedanken dasaß, kam eine junge Nachbarin, sie zu besuchen. Nach allerlei Reden fiel das Gespräch wieder auf die Geschichte im Wirtshaus und auf den Hans. Die stämmige Dirne konnte nicht umhin, den Burschen ebenfalls zu bewundern. »Er ist halt immer noch Meister!« sagte sie. »Wenn ich nur einmal sähe, daß er in einem Handel verlieren tät'! Aber nein: immer setzt er's durch – alles muß kommen, wie er's haben will!« Sie schwieg und lächelte für sich. »Merkwürdig ist's,« fuhr sie dann fort, »daß er sich keinen Schatz mehr angeschafft hat! Seit es mit der Schneidersgret aus ist, hört man von nichts mehr.«

»Vielleicht mag ihn keine mehr!« versetzte Kathrine mit Geringschätzung.

»Oh,« rief jene, »das laß du gut sein! Der kann so viel haben als er will. – Es ist wahr, er ist nimmer ganz jung; aber bei dem sieht man drüber weg!«

»Leichtsinnige Mädchen!« rief Kathrine mit einer Miene der Entrüstung. »Was hat bei dem eine zu erwarten?«

»Nun ja!« versetzte die andere mit Ruhe. »Bis jetzt hat er freilich noch jede wieder gehen lassen. Aber wer weiß? Einmal gefällt ihm vielleicht eine doch so, daß er bei ihr bleibt!« – Nach kurzem Innehalten fuhr sie fort: »Es muß ein sonderbarer Mensch sein! Ich kenne zwei, deren Bursch er gewesen ist; die eine ist jetzt verheiratet, die andere dient. Glaubst du, daß sie ihm etwas nachtragen und daß sie ihm bös sind? Geweint und geschrien haben sie freilich alle zwei, als sie gesehen haben, daß er nicht mehr zu ihnen kommt. Aber – ich kann dir's wohl sagen – heut' noch haben sie ihn gern, und um alles in der Welt ließen sie sich's nicht abkaufen, daß er einmal mit ihnen gegangen ist.«

Kathrine wurde rot. »Lassen wir's gut sein!« rief sie mit einer gewissen Heftigkeit. »Wir haben jetzt genug gesprochen von diesem Menschen!«

Allgemach änderte sich das Wesen der Tochter so, daß es der Mutter auffallen mußte. Sie war nachdenklich und sprach wenig. In ihrer Miene und dem Klang ihrer Stimme verriet sie eine Trauer und eine Ergebung, daß man sah, sie litt und wollte nicht davon reden. Zuweilen zeigten die blauen Augen einen heroischen Glanz und ihr Gesicht erhielt einen eigenen, beinahe feierlichen Schimmer. Aber aus dieser Stimmung fiel sie immer wieder in ihre Trauer zurück.

Die Mutter, nachdem sie zum öfteren den Kopf geschüttelt hatte, sagte eines Tages: »Mädchen, die Geschichte nagt an dir, und ich kann dir's nicht verdenken! Es ist auch wirklich unverantwortlich, wie's der Heinrich macht! Gar nichts mehr von sich hören lassen! Was fällt ihm denn ein? Soll etwa die Sache nun an dir 'nausgehen?« – Nach kurzem Schweigen fuhr sie mit Unmut fort: »Wenn man nur nichts übertreiben tät'! Im Dorf, wo zuerst ein solches Geschrei gewesen ist, spricht man bereits nicht mehr von dem dummen Handel – und er allein will's nicht aus seinem Schädel 'nausbringen! Ich hätt' ihn wirklich für klüger gehalten! Nun ist aber meine Geduld zu Ende! Ich geh' heute noch zur Kohlbäuerin und mach' die ganze Geschichte klar, dafür steh' ich dir!«

Gegen Abend – um dieselbe Zeit, als die Mutter sich auf den Weg machte zur Bäuerin – ging die Tochter allein auf dem Fußweg des Wiesengrundes gegen das Dorf zu. Sie hatte »Ohmed« (Grummet) aufgesetzt mit ihrer Schwester, und diese war schon früher nach Hause gegangen. Wie sie in Gedanken wandelte, kam von der Seite eine Frau auf sie zu, deren bloßer Anblick sie in Aufregung versetzte. Es war die Base des Hans, die Frau, von der man wußte, daß sie auf den Hans die größten Stücke hielt, mehr als seine eigene Mutter. Die Alte grüßte das Mädchen und stellte sie. Dann, mit gedämpfter Stimme, aber ohne Umschweife, sagte sie: »Kathrine, ich hab' einen Auftrag an dich, von meinem Hans!«

Das Mädchen errötete jählings, versetzte aber mit strenger Miene: »Was will der von mir?«

»Was wird er wollen?« rief das Weib. »Er will erfahren, wie er mit dir daran ist!«

Kathrine schaute sie an, indem sich ihr Mund geringschätzig verzog. »Hat er das noch immer nicht gesehen?« erwiderte sie.

»Geh,« versetzte die Alte, »stell dich nicht so! Es ist noch nicht aus mit euch zweien; ich hoff', es geht erst an!«.

Jene lächelte spottend. »Da habt Ihr einen guten Glauben,« entgegnete sie. »Laßt Euch nur das Warten nicht verdrießen!«

Das Weib schüttelte den Kopf. »Das wär' doch merkwürdig,« rief sie mit ungläubiger Verwunderung, »wenn es dem Hans jetzt so ging'! Bis jetzt hat er die Mädchen verhext – sie sind mit ihm gewesen wie närrisch, und nun auf einmal soll eine den Stiel umdrehen und ihn verhexen und ihn auslachen?«

»Damit geschieht ihm nur recht!« entgegnete Kathrine. »Grad' das hat er verdient!«

Das Weib sah sie an. »Ja,« rief sie, »wenn ich's glauben könnt'!« Dann fuhr sie fort: »Er ist verwandelt – er ist frei nimmer zum Kennen! Traurig ist er, und elend läuft er herum – er tut mir wahrhaftig leid. – Ich hab's nicht länger mit ansehen können; ich hab' ihn zum Reden gebracht und er hat mir gesagt, was ihm das Herz drückt. Dich muß er haben,« sagt er – »dich, Kathrine!«

»So!« versetzte Kathrine. »Weiter nichts? – Und auf wie lange?«

Die Alte wurde bös. »Laß diese Reden, sie passen nicht! Wenn er's nicht ehrlich meinte mit dir, dann würd' ich ihm nicht helfen, das kannst mir glauben! Heiraten will er dich! Zum Weib will er dich haben! – Er hat die andern, mit denen er gegangen ist, wieder verlassen, weil eben – so hat er mir selber gesagt – keine Kathrine drunter gewesen ist! Er ist zum Sterben verliebt in dich, Mädchen, und er könnt' gar nicht mehr von dir lassen, wenn er auch wollte! – Sieh,« fuhr sie fort, indem sie Kathrine beim Arme nahm, »keine größere Freud' hab' ich gehabt in meinem ganzen Leben, als wie ich das gesehen hab'! Ich will gar nicht alles loben von ihm – behüt' mich Gott! Er hat böse Streiche gemacht, ich kann's nicht leugnen, und ich hab' ihn oft recht gescholten! Aber wenn ich noch so zornig gewesen bin – er hat eine Art, über die Sachen zu reden und einem wieder zu flattieren; ich hab' ihm stets wieder gut sein müssen! Er ist eben ein besonderer Mensch und es steckt viel Gutes in ihm. Weißt du, was ihm fehlt? Eine brave Frau, die er gern hat! Und wie bis jetzt keiner neben ihm hat aufkommen können in der Schelmerei, so wird's ihm keiner gleichtun können als gestandener Mann! O wenn ich die Freud' noch haben könnt', daß ich euch zwei zusammen säh' als Mann und Frau! Kathrine – mir zuliebe tu's! Mit dem Kohlbauer ist's jetzt doch aus! Geh, du verdienst ein anderes Mannsbild. Der Hans, sag' ich dir, mein Hans, das ist dein Mann! – So hör ihn doch wenigstens an!« fuhr sie dringend fort. »Los' doch, was er dir zu sagen hat!« Und indem sie das Mädchen an sich zog, fügte sie mit gedämpfter Stimme hinzu: »Komm heute nacht in deinen Garten! Beim ›Emmenstand‹ hört und sieht euch kein Mensch, wenn auch noch einer auf wär'! Da könnt ihr miteinander sprechen und alles ausmachen! Das hat er sich ausgedacht. Und Punkt zehne wird er da sein!«

Das Herz des Mädchens pochte heftig; sie entwand sich der Alten. Schweigend stand sie da. Sie suchte mit ihrer Seele die Gedanken des Burschen zu durchdringen. Tat sie ihm unrecht? Meinte er's mit ihr wirklich gut? Oder hat er auch diesmal seiner Base nur etwas vorgemacht, um zu ihr zu kommen und sein Spiel mit ihr zu treiben, wie mit den anderen? – Eine Weile verging. Auf einmal erhob sie den Kopf, ihre Wangen zeigten die Farbe des Entschlusses. »Sternweberin,« rief sie, »ich will kommen! Ich will Euren Hans anhören – ich will sehen, was er mir zu sagen hat! Mein jetziges Leben ist eine Qual! Es muß ein Ende werden, so oder so!«

Die Alte, deren wetterbraunes Gesicht leuchtete, faßte die Hand des Mädchens und »verdrückte« sie zärtlich. »O Kathrine,« rief sie, »was du mir für eine Freud' machst! Du wenn sein Weib wirst, dann sind mir und seiner Mutter die Sorgen genommen; dann kommt alles in Ordnung! Guten Abend, Liebe! Um zehne also – Punkt zehne!«

Eine Stunde, nachdem Kathrine heimgekehrt war, kam auch die Schreinerin. Sie ging in der Stube auf die Tochter zu und sagte: »Nun, hoff' ich, werden wir bald im reinen sein! Die Kohlbäuerin hat mir recht geben müssen! Sie will mit dem Heinrich reden, und sie glaubt, es werde ihm selber lieb sein. Denn böse, meinte sie, wär' er jetzt nicht mehr, sondern er schämte sich nur noch und traute sich nicht anzufangen. Wenn sie ihm sagte, wie wir gesonnen seien, dann würde er selber froh sein, und dann sollte alles gleich richtig gemacht werden.«

Kathrine schaute mit einem schwer zu beschreibenden Blicke auf die Mutter. »Aussichten über Aussichten!« erwiderte sie. »Nun, gottlob – endlich sehen wir aufs Ziel!«


X.

Die Glocke des Kirchturms schlug zehn; feierlich drangen die Klänge von der Höhe des eigentlichen Dorfes ins »Weiler« herüber. Im Hause des Schreiners lagen alle zu Bette und schliefen, mit Ausnahme der Kathrine. Diese hatte sich noch etwas zu tun gemacht und verließ jetzt die Stube, um sachte die Haustür aufzuklinken und in den Hof zu treten. Die Luft des Spätsommers umhauchte sie lau, die Nacht war sternenhell, die Sichel des Mondes, die man am Abend gesehen, wieder untergegangen. Das Mädchen lehnte die Haustür vorsichtig wieder an und ging dann mit leisen Tritten, aber mächtig schlagendem Herzen vom Hof in den Garten bis vor zum Immenstand. Hinter diesem trat Hans hervor.

Mit gedämpfter Stimme, aber mit einem Klang, der seine erregte Seele verriet, sagte der Bursche: »Guten Abend, Kathrine!« Und indem er ihre Hand ergriff, rief er: »Sei bedankt, Kathrine. Was nun auch geschehen mag – daß du heut' gekommen bist, das werd' ich dir nicht vergessen, solang' ich leb'.«

»Hans,« erwiderte das Mädchen mit einem Tone, aus dem nicht nur ihre Bewegung, sondern auch eine eigentümliche Trauer herauszuhören war, »ich hab' vielleicht unrecht gehabt, daß ich gekommen bin. Aber ich bin in einem Zustand, den ich nicht mehr ertragen kann, und ich muß hören, was du mir zu sagen hast. Was willst du von mir?«

Jener schwieg einen Augenblick; dann mit dem Humor der Zärtlichkeit sagte er: »Daß du mein Schatz wirst.«

»Weiter nichts?«

»Und mein Weib!« setzte er mit Nachdruck hinzu.

Eine Stille folgte. »Und das ist dein Ernst?« entgegnete das Mädchen.

Hans nach kurzem Besinnen erwiderte: »Ich will dir was sagen. Wenn du einen andern zum Mann nimmst, dann kann ich dir gar nicht dafür gutstehen, daß du ihn lang' haben wirst.«

»Oh!« rief Kathrine wie zu einer großen Übertreibung und Prahlerei. »Nun,« fuhr sie fort, »ein verwegener Mensch bist du, das ist wahr. Aber wenn du auch so was tun könntest, so würde das noch nichts beweisen.«

Hans erwiderte mit einem Laut der Ungeduld. »Zwing mich nicht,« sagte er, »daß ich dir jetzt Redensarten mach'. Soll ich dir einen Eid schwören?«

»Wenn du ihn nicht halten wolltest,« versetzte Kathrine, »so tät' er mir nichts helfen.«

»Also trau mir,« entgegnete der Bursche. »Trau mir und damit gut. Ich kann dir sagen, solang' ich leb', ist's mir nicht so ums Herz gewesen wie jetzt. Es ist ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Und nun weiß ich, ich hab' nur deswegen keine andere zum Weib nehmen können, weil ich auf dich hab' warten müssen.«

Kathrine lächelte wehmütig. »Daß du gescheit bist und dich immer wieder hinausreden kannst, das ist bekannt.«

»Ich sag' nur, was wahr ist,« erwiderte Hans; »das ist meine ganze Weisheit. Und ich sag' dir jetzt, daß niemals ein Bursche ein Mädchen so gern gehabt hat, wie ich dich. Ich bin ganz außer mir; ich hab' keine Ruh' und keinen Verstand mehr; keine Minute vergeht, daß ich nicht an dich denk' – ich bring' dich nicht mehr von meinen Augen weg – und wenn du mich jetzt wieder fortschickst, dann kannst du ebensogut sagen: stich dir ein Messer durchs Herz.«

Kathrine zitterte. »Hans,« rief sie, »wenn du's jetzt nicht gut meintest mit mir, dann wärst du der schlechteste, schändlichste Mensch, der auf Gottes Erdboden herumwandelt.«

»Der wär' ich,« versetzte der Bursche.

»Und du verdientest, daß man dich räderte.«

»Wie's nur je einer verdient hat. – Ich weiß ja,« fuhr er mit einem Tone der Zärtlichkeit fort, »ich weiß ja noch etwas und glaub' fest daran.« Er nahm sie bei der Hand und sagte: »Komm!«

Mit sanftem Ziehen führte er sie auf die andere Seite des Immenstandes zu einer Bank, die der Schreiner mit einer Lehne zu seiner Bequemlichkeit verfertigt und an dem Nachbarzaun aufgestellt hatte. Das Mädchen war zögernd und willig gefolgt. Beide ließen sich nieder.

»Kathrine,« rief der Bursche, »was ich noch weiß, das will ich dir sagen. Du hältst was auf mich trotz der Reden, die du mir gegeben hast. Du hast mich lieb – du hast keinen so lieb wie mich. Das ist so gewiß, wie die Sterne da droben am Himmel stehen – und darum hab' ich mich durch nichts abschrecken lassen. – Kathrine,« fuhr er nach einer Weile zärtlicher, dringender fort, »red nun auch du. Hab' ich recht oder nicht? Sag mir's. Ich bitte dich!«

Das Mädchen senkte den Kopf in tiefer Bewegung. »Hans,« erwiderte sie, während ihre Augen naß wurden, »du hast recht, und ich will's nicht länger leugnen. Ja,« fuhr sie mit bebender Stimme und überströmender Güte fort, »ja, ich hab' dich gern, Hans – und ich kann den Heinrich schon deswegen nicht heiraten, weil ich doch nur immer an dich denken würde. Ich kann mir nicht anders helfen – und weil's so ist, so will ich dir's auch sagen. Was nun auch aus mir werden mag,« setzte sie schauernd hinzu, »ich kann's nicht ändern.«

Hans, indem er sie leidenschaftlich umschlang, rief: »Dank dir, Kathrine! Liebe Kathrine!«

Das Mädchen, an den Burschen gelehnt, schwieg. Dann fuhr sie fort: »Schon wie du das erstemal mit mir gesprochen hast – auf dem Anger am Bach – da hat sich was gerührt in mir, und ich bin recht ärgerlich gewesen über mich. Und wenn ich später so bös zu dir gewesen bin und so zornig, so hat's nur seinen Grund darin gehabt, daß ich geglaubt hab', du wolltest mir's machen wie den andern. Aber in der Stadt, da bin ich dir ganz zugefallen. Ich hab' mich gewehrt – ich hab' mich selber schlecht genannt – aber es hat nichts geholfen. Ich hab's nötigen wollen und bin nochmal mit dem Heinrich gegangen, da hat's ein End' genommen! Und wenn du mich nun ärgerst und kränkst und rasend machst, ich kann dir nichts nachtragen, weil ich dich zu gern hab'.«

Der Bursche zog nach dieser rührenden Erklärung die Geliebte an seine Brust und küßte sie mit glühender Leidenschaft. »Kathrine,« rief er, »nun gehörst du mir. Endlich, endlich! Ich hätt' nicht geglaubt, daß ich noch eine solche Freud' haben sollt' auf dieser Welt.«

Auch in ihm waren alle besseren, um nicht zu sagen edleren Anlagen erwacht. Er fühlte, daß das ein ganz anderes Mädchen war als alle die früheren. Er war geradezu ergriffen, und eine Achtung erfüllte ihn vor dem Herzen, das sich ihm so ganz und gar ergeben hatte. Ja, sie mußte er anders behandeln als die andern, sie war es wert – und sie lohnte es ihm tausendfach!

Nach einer Weile begann das Mädchen, mit süßem Tone und mit einer gewissen Laune: »Und was soll denn nun geschehen? Wie wollen wir's nun anfangen? Dein Vater übergibt dir sein Haus, hast du gesagt?«

»Sobald ich will,« versetzte Hans. »Und von meiner Base sind mir tausend Gulden ausgemacht.«

»Ah,« rief das Mädchen, »da können wir leben!« Nach einer Pause fuhr sie mit Ernst fort: »Es wird freilich noch Kämpfe kosten. Aber das ist einerlei. Ich will deine Sache schon führen bei meiner Mutter – und mein Vater wird sich noch eher drein ergeben.«

Der Bursche war still. Dann sagte er: »Ich glaub', wir täten doch klüger, das Geheimnis noch eine Zeitlang für uns zu behalten und uns den Verdruß zu ersparen. Was jetzt noch schwer ist, das kann in einigen Wochen leicht werden!«

»Meinst du?« versetzte Kathrine.

»Es ist ihnen noch zu neu,« fuhr Hans fort. »Wir dürfen nicht mit der Tür ins Haus fallen.«

Kathrine schwieg. »Du kannst recht haben,« sagte sie.

»Und dann,« rief der Bursche mit einem zärtlichen Humor, »ich will dich nicht nur zum Weib haben, ich will dich auch zum Schatz haben. Bis jetzt hab' ich nichts gehabt, als das Ansehen und das Nachsehen – du weißt es. Und sehr harte Reden hab' ich hören müssen von dir, Kathrine! Jetzt zeig mir doch auch eine Weile, daß du mein Mädchen sein kannst – mein herzliebes Mädchen, das mir gehört, mir, mit Leib und Seel'.«

Kathrine war still; man hörte ihr Atmen.

»Kannst du das nicht?« fragte der Bursche.

»Ich kann's wohl,« erwiderte sie. »Aber wenn du darauf kommst –«

»Dann sollst du dir keine dummen Gedanken machen,« fiel Hans ein. »Kind,« fuhr er fort, »Mann und Weib können wir noch lang' miteinander sein. Wir werden gut miteinander hausen, und ich glaub', daß deine Lieb' zu mir aushält im Ehestand. Aber – ich möcht' sie doch noch vorher auf die Probe stellen.«

»Das ist nicht nötig.«

»Aber schön, Kathrine, schön!« rief der Bursche mit übermütiger Laune. »Alles,« fuhr er nach einer Weile fort, »hat sein' Sach' in der Welt und alles hat seine Zeit. Mann und Weib ist schön, aber Mädchen und Bursch ist auch schön, über die Maßen schön – und solch eine Zeit zu überspringen, das wär' ganz ungeschickt.«

Kathrine versuchte zu lächeln. »Du wirfst mit der Zeit um dich,« sagte sie, »als ob du zwanzig Jahre alt wärst.«

»Ah!« rief Hans, »du hältst mir mein Alter vor? 's ist wahr, siebenundzwanzig hab' ich hinter mir – ich gehör' nicht mehr zu den Jungen. Aber ich bin auch bescheiden in meinem Verlangen. Ich will nicht etwa ein Jahr von dir, mit einem Vierteljahr bin ich zufrieden.«

»Ein Vierteljahr!« wiederholte sie.

»Mädchen,« fuhr Hans fort, indem er sie scherzend am Arme ergriff, »ich hab' dich zu lieb. Ich hab' dich so lieb, wie du bist. Gönn mir doch das Glück, dich einige Zeit so lieb haben zu können!«

»Wenn du mich wirklich lieb hast,« versetzte das Mädchen zögernd.

»Laß diese Reden!« fiel er mit einem Blicke des Vorwurfs ein. »Verderb uns die schöne Zeit nicht mit solchen Einfällen. Glaub mir,« fuhr er mit einem Tone fort, der bei aller Leidenschaftlichkeit etwas Melancholisches hatte, »ich kenne die Welt doch schon ein wenig länger und ein wenig besser als du. Man bildet sich manchmal ein, daß etwas ein Glück sei, und man sieht nachher, daß es keines ist. Sobald man etwas muß, dann ist's kein Vergnügen mehr. Es muß alles von selber kommen, wenn's uns freuen soll, und am allerbesten ist's, wenn die Welt es nicht leiden will. Stehlen muß man die Freud', dann ist's eine wirkliche Freud'. Die heimliche Lieb', das ist die rechte Lieb'. Wenn man ein Verlangen danach hat über alle menschlichen Begriffe, und man hat das Herz und gönnt sich das Glück, und man kommt zusammen, ohne daß ein Mensch eine Ahnung davon hat – in stiller Nacht, bei Sturm und Regen, bei sausendem Wind – da weiß man, warum man auf dieser Welt lebt. Und wenn man das gehabt hat, dann hat man alles gehabt – und dann kann kommen, was will. Wenn wir Mann und Frau sind, Kathrine, wie gern werden wir dann an unsere schöne Jugend denken und davon reden. Wie vergnügt werden wir darüber sein. Oh,« fuhr er mit leidenschaftlichem Tone fort, »das Glück kommt nicht immer, wenn man's haben will; also, wenn man's hat, muß man's festhalten!« Und ihre beiden Hände fassend, mit einem siegblickenden Auge rief er: »Sei ehrlich, Kathrine. Hab das Herz und red. Bist du jetzt glücklich?«

Kathrine, mit gedämpftem Tone, ihr Haupt auf seine Schulter legend, erwiderte: »Über alle Maßen.«

»Nun, so bleib es!« rief Hans triumphierend und nahm sie in seine Arme. Da brach in dem Herzen des Mädchens die Liebe und Zärtlichkeit in glühenden Flammen aus. Sie faßte den Burschen um den Hals und küßte ihn leidenschaftlich, unersättlich.

Plötzlich entwand sie sich ihm und hielt seine beiden Arme. »Hans,« rief sie mit einem Ausdruck, in dem bei aller Liebe ein unwillkürlicher Schauer vor der Zukunft sich verriet, »ich geb' mich nun ganz in deine Hand.«

»Du wirst's nicht bereuen,« rief der Bursche.

»Ich glaub's,« erwiderte sie.

Beide schwiegen. Dann sagte das Mädchen: »Es zieht jetzt an – und es ist Zeit, daß ich geh'.«

Sie stand auf.

»Kathrine,« sagte Hans, »ich sollte dich eigentlich noch nicht fortlassen.«

»Aber ich geh',« rief das Mädchen entschlossen.

»Nun,« entgegnete er nach kurzem Schweigen, »man soll nicht alles auf einmal haben. Den heutigen Tag streich' ich doch rot an in meinem Kalender – mit zwei großen Strichen.«

Kathrine reichte ihm die Hand. »Gute Nacht!« sagte sie.

»Gute Nacht, Liebe!« erwiderte er einschlagend. »Lebe wohl – auf Wiedersehen.«

Das Mädchen nickte. Dann wendete sie sich und ging dem Hause zu.

Der Bursche sah ihr eine Zeitlang nach. Dann trat er zu dem Eckpfosten des Nachbarzaunes, stieg hinan und sprang auf die Wiese hinaus.


XI.

Die Kohlbäuerin fand ihren Sohn endlich in der Stimmung für die Ansprache, welche sie der Schreinerin versprochen hatte. Es ward ihr nicht schwer, ihn zu überzeugen, daß Kathrine ihm nicht habe unrecht tun wollen, daß er selber schuld sei, wenn die verdrießliche Geschichte nicht längst abgemacht und vergessen wäre. Ein verlegenes Lächeln zeigte freilich, daß noch immer ein Stachel in seiner Seele blieb. Aber er erklärte: die Mutter möge recht haben. Er sei eben so gekränkt worden, daß er ganz auseinander gekommen sei, und er habe mit niemand reden können – der Mund sei ihm nicht aufgegangen. Die Kathrine hätte am Ende auch ihn heimsuchen und ihm den Verdruß und den Zorn ausreden können; wie sie miteinander ständen, konnte das gar wohl geschehen. Allein es sei nun einmal nicht dazu gekommen, und jetzt, das sehe er wohl, müsse er zu ihr gehen. – Er werde es tun.

Am nächsten Abend schon wollte er seine Zusage halten – er hatte den festen Entschluß gefaßt. Da, im Laufe des Tages, kam ihm das Gerücht zu Ohren: der schwarze Hans gehe zur Kathrine!

Es war einer seiner Knechte, der es ihm hinterbrachte. Heinrich entgegnete heftig, das sei eine einfältige Lüge, und er solle ihm mit solch elendem Geschwätz nicht wiederkommen. Aber der grimmige Sturm in seinem Herzen widersprach seinen Worten. Das hatte ihm gedroht! Das hatte er gefürchtet! Es war das Allerschlimmste, was ihm begegnen konnte; aber es war möglich! – Und wenn es geschehen war – ! –

Anstatt abends zum Schreiner zu gehen, schlich er in stiller Nacht zu dem Hause, stellte sich in einem Winkel der Seite auf, wo die Dachkammer der Kathrine lag, und lauerte. Aber nicht lange, so überzeugte er sich mit seinen Augen und Ohren: das Gerücht sprach die Wahrheit.

Viel Marterndes hatte er in seinem Leben erfahren, das war das Martervollste! – Als er nicht mehr zweifeln konnte, war es ihm, als ob ihm die Seele aus dem Leibe sänke! Alle Qualen der Hölle stürmten auf ihn ein: Wut, rasender Schmerz, giftige Scham, brennender Neid! Nur mit der größten Mühe, mit krampfhaft ringender Anstrengung hielt er sich aufrecht.

Aber das Gewisse, das Unwiderrufliche hat eine wunderbar stärkende Kraft. Alles Schwanken in Furcht und Hoffnung hat ein Ende; der Weg, den er zu gehen hat, ist dem Menschen gewiesen. – Dem Verratenen war die Nacht, in der er dahingewandelt, mit einer furchtbaren Fackel erhellt! – Mit der Frucht dieser Erfahrung ging er nach Hause.

Unheil, Unheil sah er kommen. Unheil für das Mädchen, Unheil für den Verführer und für sich. – Aber alles, was kam, sollte an ihm seinen Mann finden!

Im Laufe der nächsten Tage stellte sich das Glück, das er hätte haben sollen und das nun ein anderer hatte, noch ein paarmal vor seine Seele, welche große Pein ausstand – aber dann war's zu Ende. Er war von jetzt an bloßer Zuschauer. Wie es ging, das wollte er sehen. Was er dabei zu tun bekam, das behielt er sich vor, zu tun.

Er selber staunte über das Gefühl, das er hatte. Es war ihm, als sei eine unerträgliche Last von ihm gefallen, und ein Schwung ging durch seine Seele, der etwas gewaltsam Erhebendes, etwas Berauschendes hatte.

Am andern Morgen nach der Entdeckung hatte seine Mutter zu ihm gesagt: »Nun, bist du dort gewesen?« Er hatte geantwortet: »Ich bin dort gewesen.« Und auf ihre weitere Frage, ob alles im reinen sei, hatte er entgegnet: »Ganz und gar.« Er war bei diesen Antworten so sehr Herr seiner Stimmung gewesen, daß die Mutter keine Ahnung erhielt von ihrem wahren Sinn, vielmehr ihre Zufriedenheit aussprach und die Kathrine und ihn selber lobte.

Aber das Gerücht verbreitete sich im Dorf unaufhaltsam, und endlich kam es auch an die Kohlbäuerin. Sie lief augenblicklich dem Sohne zu, um es ihm mitzuteilen. Dieser erklärte mit verächtlichem Lächeln, daß sie ihm nichts Neues sage! – Und er erzählte der Staunenden und Jammernden, was er selber mit angesehen.

Die Bäuerin, mit aller Entrüstung des gekränkten Stolzes, verdammte die Schreinerstochter in den härtesten Ausdrücken. Sie pries den Verlassenen glücklich, daß er von so einer noch zu rechter Zeit losgekommen sei, indem sie hinzufügte: er könne ganz andere haben, solle sich jetzt aber auch nur an seinesgleichen halten! – Als sie den Sohn dastehen sah mit einem tief bitteren Ausdruck des Mundes, stumm, bleich, da kam ihr eine neue Sorge, und sie sagte mit Bedeutung: »Alles ist jetzt gut und alles wird besser werden als vorher, wenn du gescheit bist; wenn du dir die Geschichte nicht zu Herzen nimmst, sondern dir aus dem Sinn schlägst! Willst du's? Versprichst du mir's?« – »Ich will tun, was ich kann,« versetzte Heinrich.

Noch ein paar Tage und das Gerücht drang auch in das Haus des Schreiners; es wurde der Mutter zugetragen von einem älteren Verwandten. Obwohl die Frau bereits einen Verdacht hatte, so machte die Nachricht, daß man von dem Verhältnis im ganzen Dorf als von einer ausgemachten Sache rede, doch einen entsetzlichen Eindruck auf sie. Starr blickte sie den Alten an und antwortete dann mit Ausrufungen und Klagen, daß jener stumm vor ihr stand und sie kaum zu trösten wagte.

Als er sich entfernt hatte, ließ sie die Tochter zu sich auf die Stube kommen. Mit einer Miene, welcher Entrüstung und Wut den drohendsten Ausdruck gaben, rief sie der Erschienenen zu: »Was muß ich hören? Im ganzen Dorf sagt man, daß du mit dem schwarzen Hans einverstanden seiest und daß er zu dir gehe! Ist das wahr? Haben die Leute recht? Hab' ich eine solche Tochter?«

Kathrine, so plötzlich mit Fragen und Anklagen überschüttet, wechselte die Farbe und verlor auf einen Augenblick die Fassung. Aber sie hatte sich auf diesen Fall schon vorbereitet und entgegnete nun, wenn auch mit einem Klang des Bedauerns, doch mit größerer Festigkeit, als man ihr zugetraut hätte: »Ja, es ist wahr!«

Die Schreinerin erblaßte und sah in der größten Aufregung auf sie. »Alles hat also nichts geholfen?« rief sie. »Alles, was ich gesagt habe – alles, was du selber gesagt hast! Der Mensch hat auch dich verhext, und du rennst in dein Verderben mit sehenden Augen! Jetzt, wenn du einen Vater hättest, wie's manche gibt, weißt du, was er dir täte? An den Haaren würde er dich herumschleifen – hier in dieser Stub'!«

Kathrine, mit gesenktem Kopf, erwiderte: »Ihr könnt mir tun, was ihr wollt, ich muß mir's gefallen lassen! – Aber wenn ihr mich mißhandelt, weil der Hans jetzt mein Bursch ist, dann habt ihr unrecht! – In einem Vierteljahr bin ich sein Weib; es ist fest ausgemacht zwischen uns!«

Die Schreinerin antwortete mit einem Hohnlachen. »Das heißt,« entgegnete sie, »so hat er dich angelogen und so hast du's geglaubt! ›Wie ist's möglich, daß dem noch eine traut!‹ weißt du, wer das gesagt hat? Du selber! – Und nun ist die erste, die ihm wieder traut, die, welche am ärgsten gegen ihn geschrien hat – meine Tochter!«

Kathrine, mit einem Ton der Ergebung, versetzte: »Ich hab' ihn eben damals nicht gekannt!«

»So!« rief die Mutter, ordentlich glänzend vor Hohn, »und jetzt kennst du ihn? Das heißt, jetzt bist du eine verliebte dumme Gans und glaubst, was er dir sagt. Aber kennen lernen wirst du ihn schon noch – das wird nicht ausbleiben! In einem Vierteljahr bist du eine Dirne, die sich auf die Schandbank setzen kann!«

Kathrine schüttelte den Kopf mit Unmut und Stolz. Sie hatte alle Beweise der Welt, daß der Hans nicht mehr von ihr lassen könne – und sollte so was anhören über ihn? »In einem Vierteljahr,« wiederholte sie mit Nachdruck, »bin ich ein Weib, meines Burschen Weib! Und jetzt, weil's doch einmal aufgekommen ist, jetzt wird's noch früher geschehen!«

» Das Glück,« entgegnete die Schreinerin mit Verachtung, »wenn's auch dazu käme, wär' kein besonderes! Denn aus dem Menschen wird nie ein ordentlicher Mann, es liegt gar nicht in ihm! Aber ich glaub' nicht dran! Ich glaub' nur, daß das eintrifft, was mich schon ein paarmal zu Tod erschreckt hat in der bloßen Vorstellung. – Großer Gott in deinem Himmel droben!« fuhr sie fort, indem ihr Tränen aus den Augen drangen; »so was muß ich erleben von meiner Tochter! Von der gescheiten und stolzen Kathrine! Von dem Mädchen, die den bravsten Menschen hätt' haben können im ganzen Dorf! Nun kann ich mir denken, warum der Heinrich nicht mehr gekommen ist. Er weiß es auch schon, und die Kohlbäuerin weiß es! Alle wissen's im ganzen Dorf und alle schlagen die Hände überm Kopf zusammen! Meine Tochter, die man nur gelobt und beneidet hat, sie wird jetzt verachtet und in den Mäulern herumgetragen, daß man sich schämen muß in der ganzen Umgegend! Ich hab' viel Verdruß gehabt und Angst in der letzten Zeit; aber das Ärgste, was ich mir vorgestellt hab', ist nichts gewesen gegen das, was jetzt wirklich gekommen ist! Der Teufel, ja, der Teufel in der Höll' selber hat uns das angerichtet! Du, dem Hans sein Mädchen! du! – An dem Unglück,« setzte sie verzweifelnd hinzu, »gehen wir zugrunde, alle miteinander!«

Kathrine, erschüttert, ging auf die Mutter zu und wollte ihre Hand ergreifen. Die Schreinerin riß sie heftig zurück. Zitternd und bebend standen beide einander gegenüber. Dann rief die Tochter mit flehendem Ton: »Mutter, ich bitte dich, quäl dich nicht und quäl mich nicht mit solchen Einbildungen! Schwätzen und lästern werden sie jetzt freilich im Dorf; aber sie schwätzen ja über alles – jedes kommt einmal an die Reihe – wer wird sich daraus was machen? Ich für meine Person nicht, und ihr sollt's auch nicht! Es ist nun einmal so gekommen, und ich weiß wohl, warum es so gekommen ist! – Mutter, Mutter,« fuhr sie leidenschaftlich entschlossen zu der Schweigenden fort, »bring mich nicht außer mir, daß du mir nicht glaubst, sonst bin ich imstand' und sag' dir: auch wenn ein Unglück käm' und ich ging' zugrunde – auch dann –« Sie verstummte.

Das Weib starrte die Tochter an. »So weit ist's gekommen!« rief sie. »Du hast dich also selber schon darauf eingerichtet, daß du verloren bist – und du forderst unsern Herrgott heraus?«

Kathrine rang mit diesem Vorwurf. »Du hast mich dazu gebracht,« rief sie mit Tränen im Auge, »daß ich so geredet hab'! Der Hans ist mein Bursch und wird mein Mann – ich kann und ich darf nicht leiden, daß man ihn vor mir als einen schlechten Menschen behandelt! Ich glaub' ihm und ich muß ihm glauben, denn wie er spricht, kann kein Mensch lügen – es ist nicht möglich! Aber noch einmal: ich will mit ihm reden und er soll's früher in Richtigkeit bringen, als wir's miteinander ausgemacht haben! In kurzem, ich versprech' dir's, hat die Geschichte ein Ende!«

»Ja,« rief die Mutter zornig dagegen, »ja, sie wird ein Ende haben, weil ich ihr ein Ende machen werd'! Glaubst du, jetzt, wo wir's wissen, jetzt werden wir dich's so forttreiben lassen? Wenn du ganz toll bist und dich mit Fleiß ins Unglück stürzen willst – ich bin's nicht und ich schieb' dir den Riegel vor! Ich red' mit deinem Vater, ich red' mit meinem Bruder und meinem Schwager – die werden mit dem Menschen fertig werden, das kannst du mir glauben! Dieser schändliche Verführer soll mir nicht mehr in mein Haus kommen! Wenn du noch zu retten bist, so ist's auf diese Weis'! Ausgerichtet bist du, und das wird noch eine Zeitlang so fortgehen; aber wenn ich dich ihm aus den Klauen reiß', dann kannst du noch immer einen ordentlichen Mann bekommen, wenn auch keinen Heinrich! – Keinen Fuß soll er mir mehr in mein Haus setzen, dieser Teufel in Menschengestalt!«

»Mutter,« entgegnete die Tochter wahrhaft erschrocken, »tu das nicht! Du kennst den Hans nicht! Nach dem, was wir miteinander ausgemacht haben, kannst du ihn nicht schlecht behandeln ohne allen Grund, sonst gibt's ein Unglück! Mord und Tod gibt's, Mutter, das sag' ich dir! Denn der Hans läßt sich von keinem Menschen was gefallen, und wer ihm unrecht tut, der hat's zu büßen! Und dann geht erst ein Geschrei auf – dagegen ist das jetzige gar nichts! Ich bitte dich um Gottes willen, Mutter, um deinet- und um des Vaters willen, unterlaß das!«

Die Schreinerin, verstummt, sah für sich hin; die Gefahr stand ihr vor der Seele. Diesem Menschen war alles zuzutrauen, darin hatte die Tochter recht. Der Zweifel hatte ihre Seele ergriffen und lähmte sie.

Kathrine ging auf die Entmutigte zu und faßte sie bei der Hand, die nicht mehr zurückgezogen wurde. »Mutter,« rief sie mit der ganzen Herzlichkeit einer Liebenden und Glaubenden, »laß mich die Sache ausmachen! Wenn jemand auf den Hans etwas kann, so bin ich's! Mir folgt er! Mir tut er alles, was ich haben will! Er ist wohl bös gegen diejenigen, die bös sind gegen ihn; aber wer's gut mit ihm meint, gegen den ist er gut, von Herzen gut. Ich kann mit ihm tun, was ich will; er hält gar alles auf mich, und ich wüßte mir keinen bessern Mann im ganzen Land! Verderb mir den Handel nicht mit Fleiß, Mutter, und ohne alle Not – du würdest dich schwer versündigen an deiner Tochter!«

Die Mutter stand ratlos. »Lieber Gott im Himmel,« rief sie verzweifelt, »wo sind wir hingeraten! – Also gefallen lassen soll ich mir's? Nichts tun können soll ich dagegen?«

Die Tochter sah sie mit einer rührenden Zuversicht an. »Warum willst du denn was dagegen tun?« fragte sie. »Kann ich denn mehr wünschen, als daß ich einen Mann bekomme, den ich liebe und vor dem ich Respekt habe? – Überlaß nur alles mir, Mutter,« fuhr sie bittend fort, »das ist der Weg zum guten Ende! Der Hans hat eine finden müssen, die Herr wird über ihn – und die hat er gefunden, Mutter, in deiner Tochter! – Ich will mit ihm reden, und ich versprech' dir, daß er kommen wird, um alles richtig zu machen. Dann sollen die Leute noch einmal schwätzen – und wir werden lachen dazu!«

Die Schreinerin sah sie an, forschend, ob sie ihr irgend glauben könne.

»Red mit dem Vater,« fuhr die Tochter fort, »ich bitte dich! Sag ihm alles, was ich dir gesagt hab'. Dann will ich auch mit ihm reden, und dann wird der Hans kommen – und« (fügte sie mit einem zärtlichen Lächeln hinzu) »ich hoff', ihr werdet ihn nicht aus dem Hause weisen.«

Das Ergebnis der Unterredung, die so stürmisch begonnen hatte, war trotz allem ein friedliches. Die Mutter sprach mit dem Vater und brachte ihn zu dem Schlusse, der bereits der ihrige war. Nach vielen Ausrufungen der Klage und der Sorge kam man überein, den Hans erwarten zu wollen, weil's eben jetzt nicht mehr anders ginge.

Kathrine war außerordentlich froh, als die Mutter ihr diese Mitteilung machte. »Nun,« rief sie, »wird bald alles im reinen sein.«

Ein Tag nach dem andern verging; eine Woche verging; die Eltern warteten, der Bursche kam nicht zu ihnen.

Den Hans zu bestimmen war nicht so leicht, als Kathrine sich's vorgestellt hatte.

Sie erzählte ihm bei der nächsten Zusammenkunft den Auftritt, den sie gehabt hatte, und teilte ihm ihren Wunsch mit.

Der Bursche blieb stumm. In seinem Innersten sträubte sich etwas dagegen. Nach einer Weile entgegnete er: »Meiner Ansicht nach ist das jetzt noch zu früh. Was wir haben, ist so schön – bleiben wir doch noch eine Zeitlang dabei. Dein Vater und deine Mutter wissen genug – damit können sie zufrieden sein. – Das Vierteljahr,« setzte er mit einem gewissen scherzenden Vorwurf hinzu, »das ich mir ausbedungen hab' und das du mir zugestanden hast, ist noch lang' nicht um!«

»Es ist eben aufgekommen,« versetzte Kathrine, »früher als wir gedacht haben. Und jetzt gibt's ein Gerede –«

»Was kümmern wir uns darum,« fiel der Bursche ein. »Laß sie schwätzen – auf einmal stopfen wir ihnen die Mäuler!«

»Du solltest's tun – mir zuliebe,« fuhr sie bittend fort.

»Und du solltest mir meine Freud' lassen – mir zuliebe,« entgegnete Hans. »Es ist gar zu kurz angesprengt! Wir haben ja kaum angefangen, Bursch und Mädchen zu sein. Wegen der Leute und ihrem einfältigen Geschwätz? Geh! Wir tun, was uns gefällt, nicht was den Leuten gefällt – und kein Mensch soll sagen, daß ich um seinetwillen meinen Kopf geändert habe. – Liebe Kathrine,« fuhr er nach einer Weile mit Laune, aber auch mit Entschiedenheit fort, »es kommt zu plötzlich. Sei gut! Sei mein Schatz – und frag nur nach mir, wie ich nur nach dir frag'.«

Die Liebende gab nach, und die erste Woche ging hin. Als sie vorbei war, erneuerte sie ihre Vorstellungen. Sie klangen dem Burschen nicht angenehmer ins Ohr; er schüttelte den Kopf und schwieg. Und wie das Mädchen sie dringend, mit empfindlichem Tone wiederholte, wurde er seinerseits gereizt. Das sei gegen alles, worüber sie einig geworden wären, entgegnete er. Er sehe wohl, sie traue ihm nicht. Sie wolle nur sicher gehen und sobald als möglich eine Frau sein – sie wisse nicht, was Liebe sei.

Kathrine sah ihn mit einem vorwurfsvollen Blick an – Tränen standen ihr in den Augen.

Der Bursche besann sich. Er nahm sie zärtlich bei der Hand und erklärte, sie habe recht mit ihrem Verlangen, er müsse ihr's zugeben und werde tun, was sie fordere; aber – sie solle ihn nicht drängen. Das könne er nun einmal nicht vertragen, es mache ihn widerspenstig, ja geradezu bös; am ehesten würde es geschehen, wenn sie ihn ganz allein gehen lasse und ihm keine Zeit ansetze. Er sei nun einmal so und werde sich darin schwerlich ändern – sie solle sich in ihn schicken.

Kathrine fügte sich noch einmal. In ihrer Seele stiegen jetzt allerdings Zweifel auf und schwere Sorgen bedrängten sie; aber sie kämpfte dagegen. Es war nicht möglich, daß er nicht tat, was er so heilig versprochen hatte – es handelte sich nur um früher oder später. Geduld war vonnöten – Geduld, weil er nun doch einmal ein solcher war, und sich nicht anders machen konnte. Zuletzt tat er's von selber und alles wurde recht.

Wenn derlei Gedanken hinreichten, sie selbst wieder zu beruhigen und sie zu fernerem Warten zu bewegen, so zeigten sie sich doch völlig ungenügend gegen ihre Eltern. Diese sahen das Schlimmste bereits eingetroffen – nur die Tat hätte ihre Furcht widerlegen können. Und nun konnte die Tochter den Burschen doch nicht länger schonen – sie mußte wieder anfangen und bitten und ermahnen und darauf bestehen, wenn sie dadurch auch gegen das Versprechen handelte, das sie dem Hartköpfigen stillschweigend gegeben hatte.

Und so kamen endlich die Widersprüche und die wechselseitigen Vorwürfe; es kam die Leidenschaft und der Groll – es kamen die peinlichen Auftritte.

Der Bursch, der nicht getrieben sein wollte, klagte gereizt: man traue ihm nicht, und das sei für ihn eine Beleidigung, und noch dazu eine ungeschickte, wie er sagen müsse; denn sie helfe gar nichts, sie ärgere ihn nur, und er könne dann erst recht nicht tun, was man habe wolle. – Das Mädchen entgegnete: dieses ewige Hinausschieben zeige ihr eben, wie er gesinnt sei. Er wolle ihr's machen wie den andern – das sei klar. Alles, was er ihr gesagt habe, sei nur so geredet gewesen. Er wolle sie verlassen und unglücklich machen – und wenn er nicht morgen schon zu ihrem Vater gehe, so könne sie daran gar nicht mehr zweifeln!

Auf solche Reden folgte dann Weinen und Schluchzen; die Tränen rannen unstillbar aus den Augen – und der Bursch hatte alles mögliche zu tun in Trösten, Schmeicheln und Versprechen, um die Jammernde nur einigermaßen wieder zu beschwichtigen.

Die Honigwochen des Paares waren dahin! – Bittern Trank hatten sie nun zu kosten alle beide!

Wenn etwas abwärts gehen soll, dann hilft alles zusammen. Wie aus dem Heilsamen das Heilsamere hervorgeht, so aus dem Verderblichen das Verderblichere.

Kathrine welkte dahin – zusehends. Ihre schöne Fülle verlor sich, die blühende Farbe schwand von ihren Wangen. – Die Sorge und der Verdruß, die Reue und der Gram nagten an ihr. Sie war so sicher gewesen! Sie hatte so stolz verkündigt, daß sie mit dem Burschen anfangen könne, was sie wolle; daß er kommen und Vater und Mutter recht schön bitten werde, sie ihm zum Weibe zu geben. Und nun war's ein leeres Gerede; nun mußte sie in Scham dastehen! Sie mußte die vorwurfsvollen, hoffnungslosen Gesichter ihrer Eltern sehen und ihre Reden hören! Sie mußte die Klagen der Mutter hören und konnte nur entgegnen, was nicht mehr geglaubt wurde. Zagend, zitternd und bebend ging sie im Hause herum.

Die Liebe und die Freude hatten sie verschönt. Die Freude hatte sie frisch, mutig, gesund erhalten, und die Liebe hatte ihren Zügen einen holdseligen Ausdruck gegeben. Das Herzeleid und der Gram zehrten an ihr und nahmen ihr nicht nur die Frische, sondern auch den Reiz und die Lieblichkeit. Sie erkannte, daß sie nicht mehr die frühere war; eine tiefe Entmutigung befiel sie, und Geister des Grimmes zogen in ihre Seele, die sie in gewissen Augenblicken völlig anmutlos erscheinen ließen.

Der Bursche sagte eines Tages zu sich: »Die Kathrine ist eine ganz andere geworden! Sie ist nicht mehr lieb, wie sie gewesen ist – gar nicht mehr! – und sie ist auch nicht mehr schön! – Sie ist die Schönste gewesen von allen, die ich gekannt hab'; aber ihre Schönheit ist schnell vergangen, ganz vergangen! – Es ist kaum zu glauben!«

Einige Tage später kam es zwischen ihnen zu einer neuen Szene. Sie trafen sich an einem frostig nebligen Morgen auf dem Anger – von seiten des Mädchens nicht ganz zufällig. Sie, in ihrer Aufregung, nahm die Gelegenheit wahr, ihr ganzes Herz zu entladen. Ihre Geduld war zu Ende und sie wollte sich keinen Zwang mehr antun. Sie überschüttete den Burschen mit Vorwürfen. Ihr bleiches und mageres Gesicht überzog sich, während sie sprach, mit einer düsteren Röte und aus den Augen gingen in Scham und Grimm feindselige, brennend böse Blicke.

Der Bursche hörte und sah sie an – und er erschrak über das Gefühl, das in ihm entstand. Es waren die Schauer einer tiefen Abneigung. – Im Innersten verdrossen, mit dem Gedanken des Verlassens, ging er von ihr hinweg.

Hans war nicht ohne alles Gewissen, wie ihm überhaupt gute Eigenschaften nicht fehlten. Wären seine Tatkraft und seine Kühnheit zu rechter Zeit gezügelt und – allerdings in einer günstigeren äußeren Lage – auf ehrenwerte Ziele gelenkt worden, er hätte sich gewiß hervorgetan. Aber der herrische Eigenwille, den er als Erbteil empfangen hatte, fand nicht den überlegenen sittlichen Gegner, der ihn brach und umwandelte; der Dorfbursche ließ sich darin gehen, wie es seine Verhältnisse gestatteten, und in der Laufbahn, die wir angedeutet haben, verhärtete sich sein Herz. Wenn sich nun auch die bessere Natur in ihm rührte und das Gewissen gegen sein Vorhaben aufstand – die Selbstsucht kämpfte dagegen und behauptete das Feld.

Nach allem, was er wahrgenommen, hätte er wohl sehen und sich sagen können: »Wenn ich ihr zeige, daß ich sie liebe – wenn ich mein Wort halte, dann wird sie wieder frisch und froh und lieb und schön, wie sie gewesen ist. Ich selber bin schuld daran, daß sie sich verwandelt hat, und ich kann sie auch wieder umwandeln, wenn ich will!«

Aber das sagte er sich nicht. Seinem innersten Hange folgend, der ihm jede Fessel abstoßend erscheinen ließ, hatte er nur das Gegenwärtige vor Augen und sein Gefühl war ihm allein und alles entscheidend. Er konnte nicht gegen seine Neigung handeln. Sich an ein Mädchen zu binden, das er nicht mehr gern hatte, dazu konnte er sich nicht bringen – es war ihm unmöglich!

Bei seinem ganzen Verhalten hatte unbewußt ein Drang mitgespielt, der nun klar und offen hervortrat. Kathrine, in ihrer Jugendschönheit, in einem holden Wesen, womit sie alle seine bisherigen Geliebten übertraf, hatte ihn bezaubert, ihr Trotz hatte ihn gereizt – seine Leidenschaft und sein Stolz forderten ihre Eroberung. Ein neues Abenteuer – das schönste von allen bisherigen, das war der erste Zweck seiner Seele! In einzelnen Augenblicken kam es ihm später nun doch vor, als ob er dieses Mädchen zu seiner Frau machen könnte und müßte; und wenn er so sprach und Kathrine das hoffen ließ, so war es nicht geradezu Betrug. Aber sein Vorsatz, das Erzeugnis der Leidenschaft und der Not, ohne Tiefe und Festigkeit, sank bei der ersten scheinbaren Veranlassung dahin, und nun meldete sich in ihm jener Drang – der Drang, hinaus in die Welt zu gehen und dort mit dem vielerprobten Unternehmungsgeist sein Glück zu machen, aufs neue und stärker – und wurde des Dorfmädchens gefährlichster Feind.

In den Erwägungen, die er in der Einsamkeit mehrere Tage hindurch anstellte, kam dem Burschen doch wiederholt der Gedanke, daß er nach allem verpflichtet wäre, die Kathrine zur Frau zu nehmen, und es gesellte sich dazu die Ahnung, daß sie ihm als solche Ehre machen würde – daß ihr jetziges kränkliches Aussehen nur vorübergehend sei. Aber wenn er sie heiratete, dann war er an die Scholle gefesselt! Wenn sie miteinander auch zu leben hatten, war's doch ein kleines, ärmliches Leben. Er war und blieb Handwerker und Söldner, und wenn er bis jetzt durch seine kecke Entschlossenheit die Bauernsöhne zu Paaren getrieben hatte – im Besitz ihrer Höfe sahen sie auf ihn, den Söldner, vornehm, geringschätzig herab, und er, mit Weib und Kind von ihnen abhängig, konnte nichts dagegen machen, er mußte den Verdruß und den Schimpf hinunterschlucken. Er mußte das tun – er, der draußen in der Welt ein Herr werden könnte, vor welchem die Burschen, wenn er wiederkehrte, tief die Hüte zogen!

Hörte man nicht, daß die Franzosen eine Rebellion gemacht hatten, daß alles drunter und drüber ging und daß man mit ihnen Krieg haben werde? Wie lange stand's an, dann brach er los, und für einen Burschen von seinem Schrot und Korn war dann alles möglich und alles zu hoffen. Sollte er, der solche Aussichten hatte, im Dorfe versauern?

Es ging nicht. Er hatte einen Geist und ein Geschick, die zu gut dazu waren. Nur gar zu lange hatte er sich schon hier halten lassen; aber wenn er sich nun an eine Kette legen wollte, dann beging er ein Verbrechen gegen sich selbst! Er richtete sich mit seinen Gaben selber zugrunde – unverantwortlich! Wenn er blieb, nur um der Kathrine sein Wort zu halten, ohne Neigung und ohne Freude, dann wurde er unwillig, böse – und er war dann für sein Weib ein schlechter Ehemann. Es war für Kathrine selber besser, wenn er sein Versprechen nicht hielt!

Als er wieder einmal zu diesem Schluß gekommen war, schaute er für sich hin, und ein ernstes Bedauern malte sich auf seinen Zügen. Dann sagte er sich: »Sie wird sich trösten! Die andern haben sich getröstet – sie wird's auch tun, wenn's auch ein wenig länger dauert! Wenn ein Jahr oder zwei darüber hingegangen sind, dann wird einer kommen und wird sie zum Weib haben wollen, und sie wird ihn nehmen. – Wenn ich wegbleibe, kommt vielleicht der Heinrich wieder! Das ist just einer, dem man's zutrauen kann! Und wenn nicht, einer kommt gewiß; solche Mädchen bleiben nicht übrig bei uns! Und wer dann auch kommen mag, er wird ein besserer Mann für sie sein, als ich's wär'!«

Nach allen diesen Versuchen, sich vor sich selber zu rechtfertigen, kam ihm doch wieder das Gefühl: von allem, was er bisher getan, sei dies das Ärgste! Der Unterschied zwischen Kathrine und den andern Mädchen trat ihm aufs neue vor die Seele. Und weil sie eine andere war, so handelte sie vielleicht auch anders! Eine Ahnung stieg in ihm auf, daß diesmal aus seinem Benehmen großes Unheil entstehen könnte! – Wenn das aber bloße Einbildung war, das war sicher: von allen Seiten würde man jetzt auf ihn einrücken, und eine sehr harte Arbeit würde es für ihn sein, allen nacheinander stand zu halten!

Er mußte fort – schon in der nächsten Zeit! – Draußen, in der Freiheit, wollte er dann entweder in die Höhe kommen oder zugrunde gehen! – –

Und nun wartete Kathrine nicht mehr, ob der Hans zu ihren Eltern kommen würde – sie wartete auf seinen Besuch bei ihr selber! Sie wartete Tag für Tag – vergebens! Eine Woche ging hin – er war nicht mehr erschienen. Sie wußte, daß er gesund war und ausging – sie konnte an ihrem Schicksal nicht mehr zweifeln. Und zu gleicher Zeit konnte sie nicht mehr daran zweifeln, daß sie der öffentlichen Schande entgegenging.

Als sie der Mutter das Geständnis machte, war es dieser unmöglich, sie zu schelten: die Arme stürzte besinnungslos vor ihr zusammen.


XII.

Tage wie die nun folgenden hatte man im Hause des Schreiners noch nicht erlebt. Es kam aber darin mehr zu Ausbrüchen des Jammers als wilder Leidenschaft. Wären Vater und Mutter auch heftiger und roher gewesen, die Tochter hätte zum Mitleid herausgefordert. Sie zeigte namentlich jetzt, wie sehr sie sich von den gewöhnlichen Mädchen unterschied: sie machte es den Eltern unmöglich, sie mit Vorwürfen anzufallen, weil sie sich ohne Barmherzigkeit selber verurteilte.

Alles, was sie begangen hatte, kam ihr ins Gedächtnis und sie hielt es sich vor. Und alles erschien ihr von der strafwürdigen Seite – all ihr Elend hatte sie durch ihr Benehmen verdient.

Als sie wieder einigermaßen beruhigt war, legte sie der Mutter ein ausführliches Geständnis ab. Diese erkannte hieraus, wie die Tochter von dem Burschen gefangen worden war, und erblickte in seinem Verhalten mehr Absicht, als er dabei gehabt haben mochte. »O, der Bösewicht!« rief sie, »der Bösewicht! Hab' ich ihn aber nicht gekannt? Hab' ich nicht alles vorhergesagt?«

Eine eigene Frage war für sie die Rolle, welche die Sternweberin bei der Sache gespielt hatte. Daß dieses Weib, eine Base von ihr, dem Burschen mit Wissen zu einer Schlechtigkeit geholfen haben sollte, konnte sie sich nicht denken. Sie wollte sich Gewißheit verschaffen, ging zu ihr hin und entlud ihr Herz nach der Forderung ihrer Leidenschaft.

Die Alte horchte bestürzt und erklärte schmerzlich beschämt, daß sie davon keine Ahnung gehabt. »Ich hab' ihn im Grund seines Herzens für besser gehalten,« sagte sie, »und darum hab' ich ihm geglaubt, und hab' ihm geholfen. Er ist aber wirklich ein böser Mensch, wie ich jetzt sehe, und nun steh' ich mit ihm an der Schande da. Das ist also die Ursache, warum er seit einigen Tagen herumläuft und nichts redet und immer sinniert? Seine Mutter hat mir gesagt, er säh' aus, als ob er wieder einen seiner Streiche im Kopf hätte.«

»Der Streich,« versetzte die Schreinerin, »ist ausgeführt. Soll er ihm aber durchgehen? Wollt Ihr ihn tun lassen, was er mag?«

»Behüt' mich unser Herrgott,« erwiderte das Weib. »Ich will ihm seine Schlechtigkeit vorhalten – sein Vater und seine Mutter müssen mir helfen – wir wollen doch sehen, ob dieser Mensch uns allen trotzen kann und nicht auch einmal nachgeben muß. – Schreinerin,« fuhr sie fort, indem sie ihre Hand ergriff, »nichts in der Welt hat mir so leid getan, als was du mir erzählt hast. Aber geh jetzt nur nach Haus. Ich will alles versuchen und Himmel und Hölle in Bewegung setzen. Vielleicht kann ich dir doch einen besseren Bericht bringen.«

Am andern Morgen ging die Sternweberin zum alten Maurer, dessen Haus von dem ihrigen nur einige hundert Schritte entfernt lag. Sie erzählte die Geschichte, fand die Eltern bereit, mit ihr zusammen gegen den Burschen Ernst zu machen – und Hans wurde vorgeladen.

Als er in die Stube trat, die drei beisammen und ihre Mienen sah, erriet er alles. »Was ist euer Begehr?« fragte er mit spöttischer Miene.

Die Weberin begann und hielt ihm seine Untaten vor. Dann rief sie: »Hast du mir nicht gesagt, du wolltest die Kathrine heiraten, absolut nichts anderes?«

»Das ist auch wirklich meine Meinung gewesen,« erwiderte der Bursche ernsthaft.

»Und jetzt nicht mehr?«

»Nein!« entgegnete Hans.

Eine Röte des Zornes färbte die faltigen Backen des Weibes. »Das ist eine Unverschämtheit, die noch nie erhört worden ist!« rief sie. »Du versprichst mir und dem Mädchen heilig, daß du sie heiraten willst, und jetzt willst du dein Wort nicht halten?«

»Ich kann nicht,« erwiderte der Bursche mit der Schärfe tiefen Unmutes. »Wie sie mir zuwider geworden ist, weiß ich nicht; sie ist mir aber zuwider geworden – und eine solche nehm' ich nicht zum Weib!«

Die Alte zitterte vor Aufregung. »Du bist wirklich ein schamloser Mensch!« rief sie. »Zuwider ist sie dir geworden – und darum kannst du sie nicht heiraten? Da hast du dir aber eine gute Tür aufgelassen. Durch die kannst du, wenn's dir beliebt, von jeder wieder loskommen. Nach diesem einfältigen Zuwidersein,« fuhr sie entrüstet fort, »wird gar nicht gefragt. Du mußt die Kathrine heiraten. Verstehst du mich? Du mußt

Hans erhob den Kopf, seine Lippe rümpfte sich drohend und sein Auge funkelte. »Ich muß?« rief er. »Wer will mich zwingen?«

Mutter und Stiefvater hatten bis jetzt still dagestanden. Dieser mit dem düsteren Gesicht eines Mannes, der in einer Sache alles getan hat, was man von ihm fordern konnte, und sie doch übel ausschlagen sieht; die Mutter mit dem unheimlichen Ausdruck einer Seele, die sich eines alten Fehltritts erinnert und eine Tat strafen soll, worin sie ihre eigene Strafe erblicken muß. Als nach der Frage des Sohnes eine Stille eintrat, fand eben sie doch ein Wort der Entgegnung – und sie sagte mit gedämpftem Tone: »Weißt du, in welchem Zustand die Kathrine ist?« Ihr Auge auf ihn gerichtet, nickte sie mit Bedeutung.

Hans war betroffen. Ein tiefes Schweigen folgte; dann versetzte er düster: »Sie tut mir leid – aber das kann nichts mehr ändern!«

Die Mutter sah ihn zürnend an. Die Base rief: »Aber du bist ja ein Unmensch!«

»Ich bin ein Mensch,« fiel Hans mit Heftigkeit ein, »der sich von dem, was er einmal bei sich ausgemacht hat, durch nichts mehr abbringen läßt!« – Ruhiger fuhr er fort: »Ich will tun, was sich gehört und was ich kann. Darauf darf sie zählen. Aber was ich nicht kann, das soll niemand von mir erwarten!«

»Schäm dich!« rief die Sternweberin mit grimmigen Blicken. »Schäm dich mit deinem Bettelgeld; die Kathrine würde dir's ins Gesicht werfen! Meinst du, bei so einem Mädchen kannst du dich damit abfinden, du hoffärtiger Narr du? Kurz zur Sach', du mußt die Kathrine heiraten! Ich will's haben, dein Vater will's haben und deine Mutter will's haben. Wenn du's nicht tust, zieh' ich meine Hand ganz von dir ab – nicht einen Heller kriegst du von mir!«

»Und ich,« versetzte der alte Maurer, »ich geb' dir mein Haus nur unter der Bedingung, daß du das Mädchen nimmst. Wenn du mir trotzen willst, geb' ich's deiner Schwester, und du kannst gehen, wohin du magst!«

Hans schaute eines ums andere an und lächelte geringschätzig. »Es ist euer Eigentum,« erwiderte er, »ihr könnt damit anfangen, was ihr wollt.«

Die Ruhe des Burschen brachte die Weberin außer sich. »Hans,« rief sie, »jetzt treib das Spiel nicht weiter, ich rat's dir. Es ist nicht möglich, du kannst keinen so niederträchtigen Menschen machen; denn das wär' außer aller Weis'. Du hast mich gebraucht bei dem Handel, und die Kathrine ist nur in den Garten gekommen, weil ich hoch und teuer geschworen hab', daß du's ehrlich mit ihr vorhast. Wenn du schlecht handelst gegen sie, dann machst du mich zum schlechten Weib. Wie lang' soll denn das überhaupt noch währen mit deinen Streichen? Willst du gar nicht aufhören? Fürchtest du dich nicht der Sünden? Glaubst du, es gibt keinen Herrgott, der deinem Unwesen ein Ziel setzen kann? Bedenk das Ende, Hans, und mach einmal ein Ende! Du gehst heute noch zum Schreiner und hältst um seine Tochter an. Heute noch! Dein Vater übergibt dir die Söld' und ich geb' dir, was ich dir versprochen hab', – und alles ist gut und alles ist aus und alles ist zufrieden! Ich hab' dir bis jetzt alles verziehen und mich immer wieder deiner angenommen, wie arg deine Sachen auch gewesen sind – jetzt zeig, daß du für mich auch einmal was Gutes tun kannst. Du mußt mir folgen!« rief sie, ihn beim Arme ergreifend. »Ich will's haben, und ich lass' dich nicht los, Bube, bis du tust, was ich haben will.«

Hans schaute sie an; dann mit einem Ruck machte er sich frei. »Base,« entgegnete er, »Ihr seid nicht bei Verstand – es tut mir leid, daß ich Euch das ins Gesicht sagen muß. Ihr kennt mich nun so lang' – und Ihr wißt nicht, wie ich bin. Wenn ich die Kathrine heiraten wollte, würd' ich's tun, weil ich's will. Ich hab' aber beschlossen, sie nicht zu heiraten, und nun geschieht's auch nicht. Ihr wollt mich zwingen, alte Frau – Ihr? Kein Mensch in der Welt kann mich zwingen. Wenn ich schon vorher mit mir eins geworden bin, es geschieht nicht, und es will mich jemand zwingen, dann geschieht's zehntausendmal nicht! Himmel und Erde fallen eher ein, als daß ich meinen Willen ändere! Und wenn der Satan heraufkäm' und ein ganzes Heer von Teufeln mit ihm und er würde sagen: Du mußt das Mädchen nehmen, sonst lass' ich dich in die Hölle hinunterschleifen – ich gäb' ihm zur Antwort: Mach mit mir, was du willst – ich tu's nicht!«

Der Bursche hatte ruhig begonnen; nach und nach kam er in eine Wallung, seine Züge erhielten den unheimlich feierlichen Glanz des Dämons und die letzten Worte sprach er mit der schneidendsten Entschlossenheit.

Die Mutter, die ihn staunend angesehen, senkte das Haupt und rief in sich hinein: »Ganz wie sein Vater! Ganz wie sein Vater! Großer Gott im Himmel!«

Ein langes Schweigen folgte. Dann sagte der Maurer: »Bleibst du bei deiner Red', so bleib' ich bei meiner. Mein Haus kriegst du nicht.«

»Ich will's nicht,« entgegnete Hans.

»Und was will der vornehme Herr dann tun?« fragte der Alte höhnend. »Was soll aus ihm werden?«

»Ich geh' fort!« rief Hans. »Hinaus in die Welt! In dem Dorfe bin ich nur zu lang' gewesen.«

»Ich halte dich nicht auf,« entgegnete der Maurer. Und für sich murmelnd, setzte er hinzu: »Geh hin, woher du gekommen bist!«

Die Mutter schaute auf den Sohn mit Unwillen, mit schmerzlichem Bedauern, aber mit unvertilgbarer Liebe.

Hans hatte seine ganze Ruhe wieder erlangt. »Es scheint,« sagte er, »daß wir jetzt fertig sind?«

»Wir sind fertig,« erwiderte der Maurer.

»Wir sind fertig,« rief die Weberin. »Ganz und gar.«

»Dann wünsch' ich euch allen guten Tag,« sagte Hans und ging hinaus.

Die Weberin eilte vom Hause des Schwagers ins Weiler zum Schreiner, um den Ausgang der Unterredung zu melden. Die Familie nahm den Bericht gefaßter auf, als das Weib fürchtete; sie hatte nichts mehr erwartet. Als man der Kathrine die Rede des Hans mitteilte wegen des Abbezahlens, färbten sich die mageren Wangen hochrot, die matten Augen blitzten Verachtung und sie rief: »Es ist ein infamer Mensch! Infam aus Vornehmheit! Oh,« setzte sie mit schauernder Stimme hinzu, »wie furchtbar bin ich gestraft!«

Das Haus des Schreiners, das man früher ein Haus des Glückes nennen konnte, war ein Haus der Trauer geworden. Die Eltern, die so freudigen Stolz empfunden hatten über ihre Tochter und ihre Verbindung mit dem Kohlbauern – über die angesehene »Freundschaft«, welche die ihrige werden sollte – sie gingen jetzt gedrückt, verlegen, tief gedemütigt umher. Der Schreiner machte keine seiner scherzhaften Bemerkungen mehr, die sonst wenigstens seine gute Laune bezeugt hatten. Sein feines Gesicht wurde schmäler und verlor an Farbe; sein ganzes Wesen drückte tiefes Herzeleid aus.

An einem Samstag im Dezember war nach längerer trüber Witterung ein Sturm über das Land gegangen; nachmittags trat Ruhe ein, und endlich kam sogar die Sonne wieder hervor. Ihre Strahlen fielen nicht in die Stube unserer Leute, aber man sah den Schein am Nachbarhause, und dieser schon reichte hin, die Seelen zu sänftigen und ergebener zu stimmen.

Auf dem Lehnstuhl neben dem Ofen saß Kathrine. Sie hatte ihn in einer Anwandlung von Schwäche aufgesucht, aber sich wieder erholt, und sah nun, das Haupt auf die Rechte gestützt, in Gedanken vor sich hin. Die Mutter kam herein, setzte sich auf einen Stuhl vor sie und betrachtete sie eine Zeitlang prüfend. »Bist du soweit, daß man dir etwas sagen kann?« fragte sie.

Kathrine erhob den Kopf. Mit einem mehr geduldigen als bitteren Lächeln erwiderte sie: »Ich kann alles hören.«

»Der Hans,« versetzte die Mutter, »macht wirklich Anstalt fortzugehen. Sein Vater hat schon das Geld zusammengebracht, mit dem er abgefunden wird.«

»Glück auf die Reise,« hauchte Kathrine.

Die Schreinerin warf einen tief betrübten Blick auf sie. »Was soll aber mit dir geschehen?« rief sie. »Was willst du tun?«

»Meinen Fehler büßen!« erwiderte die Tochter.

Der bedauernde Blick, mit welchem die Mutter sie hierauf ansah, enthielt auch einen Widerspruch.

Jene fuhr mit sanfter Stimme fort: »Ich will nichts mehr von der Welt. Ich hab' nur zu viel von ihr gehabt – jetzt verlang' ich nichts mehr!«

»Geh,« sagte die Mutter, »du red'st, als ob du alle Hoffnung aufgegeben hättest.«

»Das hab' ich auch wirklich, Mutter! Ich muß jetzt nur drauf denken, wie ich geduldig trage, was ich mir selbst aufgelegt hab'.«

»O Kathrine!« rief die Mutter von Mitleid überwältigt.

»Ich tu's gern,« entgegnete die Tochter, wie um sie zu beruhigen. »Was mich anbelangt, wünsch' ich nichts anderes. Nur um dich, Mutter,« fuhr sie nach einem Blicke auf sie mit rührender Herzlichkeit fort, »um dich tut's mir leid. Du hast das nicht um mich verdient. Du hast mich erzogen und hast mir ein gutes Beispiel gegeben, du hättest verlangen können, daß ich dir Ehre mache und daß du Freud' erlebest an mir. Und ich hab' dir Kummer gemacht und Schande! Du hast keine Schuld, du hast mich gewarnt – aber ich hab' dir nicht gefolgt!« Sie ergriff die Hände der Mutter, Tränen stürzten aus ihren Augen. »Verzeih mir, gute Mutter! Verzeih mir! Weiter verlang' ich nichts mehr auf der Welt!« Vor Schluchzen konnte sie nicht weiter reden.

Die Frau weinte. »Du bist kein schlechtes Mädchen!« rief sie mit aller Liebe und allem Leid. »Du bist ein gutes Kind, das man nur betrogen hat. Um dich ist's schade – jammerschade!«

Die Tochter drückte mit einem Blick durch Tränen den Dank ihres Herzens aus und preßte der Alten die Hände. Dann sagte sie: »Ich ergebe mich drein. Im Unglück ist auch ein Glück. Wenn's einem gut geht, da meint man Wunder wie gut man ist und wieviel besser als die andern! Man lebt in einer Einbildung, wo man von sich selber gar keine Ahnung hat! Aber wenn das Unglück kommt, dann gehen einem die Augen auf; dann sieht man, was an einem ist; man hält sich nicht mehr für besser, man erkennt seine Elendigkeit und Armseligkeit – und das ist ein Gewinn! – Den Vorteil,« setzte sie mit einem schmerzlichen Lächeln hinzu, »hab' ich jetzt – in Hülle und Fülle!«

Die Mutter nickte beistimmend; ihre Miene drückte aber auch einen Vorwurf, ein Bedenken aus. »Es ist gut,« entgegnete sie, »wenn man erkennt, daß man gefehlt hat; aber man darf's nicht übertreiben. Man soll nicht verzweifeln – damit begeht man nur ein neues Unrecht – sondern schauen soll man, wie man seinen Fehler wieder gutmachen, sein Leben wieder neu einrichten kann! – Es ist gar viel möglich auf der Welt, Kathrine; glaub das mir – ich weiß es besser!«

Die Tochter schüttelte langsam den Kopf. »Ich hab' den besten Menschen haben können – und hab' den schlechtesten vorgezogen! Ich hab's geahnt, ja ich hab's vorher gewußt, wie's gehen wird, und hab's doch getan! Es ist nicht die Verführung gewesen, die schuld daran geworden ist; hätt' ich deinem Rat gefolgt und meinem eigenen Gewissen, er hätt' nichts ausrichten können gegen mich. Aber ich hab's gewollt – und nun hab' ich meine Strafe. Das Leben ist mir eine Last,« setzte sie nach kurzem Innehalten hinzu, »sterben möcht' ich, sterben und wegkommen von dieser Welt!«

»Red nicht so!« rief die Mutter. »Das ist gottvergessen!«

»Ich glaub' doch nicht,« entgegnete die Tochter mit sanftem Widerspruch. »Was ist denn am Leben? Ich hab's gewiß gut gehabt und manche haben mich beneidet um das, was ich gewesen bin und gehabt hab'! Und alles, alles ist vergangen in einem Augenblick, wie wenn man die Hand umdreht! Sehr stolz bin ich darauf gewesen und hab' gemeint, es gäbe nichts Besseres und Herrlicheres – aber es ist nichts gewesen – und jetzt ist's gar nichts!«

Die Mutter schwieg. Sie fühlte, daß in solcher Gemütslage Reden keine Wirkung tun können.

Der goldene Schein am Nachbarhaus war geschwunden – die Sonne hinter Wolken getreten. Ein ödes, graues Licht erfüllte die Stube. Rings herrschte tiefe Stille; man hörte nichts als das langsame Ticken der großen Wanduhr.

Da ertönten Tritte vom Haustennen, die Tür ging auf und eine bekannte Gestalt trat herein. Mutter und Tochter fuhren empor und richteten starre Blicke auf den Ankömmling. »Heinrich!« rief jene; »Heinrich – du kommst zu uns?« – Kathrine bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

Es war in der Tat unser Bursche.

Langsam trat er vor und sagte: »Ich weiß wohl, ich hab' hier eigentlich nichts mehr zu suchen. Aber es hat doch eine Zeit gegeben, wo ich willkommen gewesen bin, und da hab' ich gemeint, einmal könnt' ich noch hergehen!«

»Du bist immer willkommen,« erwiderte die Schreinerin mit dem Tone verlegener Ergebung. »Sei so gut und setz dich!«

Heinrich überhörte die Aufforderung und blieb stehen.

Mutter und Tochter sahen ihn an; Kathrine nickte mit dem Ausdruck schmerzlichen Begreifens.

Er war nicht weniger verwandelt als sie. Das Gesicht war gebleicht und abgemagert; die Züge hatten eine schneidende Schärfe erhalten. Sein Mund drückte eine Bitterkeit aus, die stehend geworden zu sein schien. Wie ruhig sein Auftreten war und wie gelassen seine Rede, die Schreinerin, nachdem sie ihn beobachtet hatte, sagte zu sich: »Es ist etwas Böses in dieser Miene.«

Heinrich, nachdem er schweigend gestanden hatte, sagte: »Ich will ehrlich sein gegen euch! Ich bin gekommen, um zu hören, ob's wahr ist, was man sagt. Haben die Leute recht,« fuhr er zu Kathrine fort, »hat der schlechte Mensch dich angeführt und läßt sich jetzt nicht mehr sehen?«

»Sie haben recht,« murmelte Kathrine.

Der Bursch erwiderte: »Er hat sein Meisterstück gemacht!«

Kathrine lächelte bitter. Auf die Rede eingehend, sagte sie: »Er wird sich auch gewiß etwas darauf einbilden – ich bin's fest überzeugt!«

Heinrich nickte. »Er kann sich auch was drauf einbilden,« sagte er. »Viel ist ihm gelungen! Wenn man sich vorstellt, was er zustande gebracht hat in der kurzen Zeit und wie er alles auf einmal umgedreht hat, man kann wohl darüber staunen!«

Die Mutter eilte, der Tochter beizustehen. »Gerade dem Bösen gehen seine Anschläge durch!« rief sie.

Kathrine zuckte die Achseln. »Natürlich,« versetzte sie, »wenn er Leute findet, die's ihm leicht machen!«

Der Bursch sah das Mädchen an mit einem Blick mehr des Mitleids als der Verachtung. »Er hat auch Glück gehabt bei der Sach',« fuhr er dann fort, »sonst hätt' er's doch nicht hinausgeführt! Ich wunder' mich auch nicht so gar arg darüber! Die Geschichte ist gegangen, Schlag auf Schlag, grad' als ob sie so hätt' gehen müssen! Aber darüber wunder' ich mich nun doch, daß er jetzt wegbleiben kann. Ich hab' ihm viel zugetraut, denn ich kenn' ihn ja von Jugend auf; aber in dem Stück hat er meine Erwartung übertroffen! – Weiß er alles?«

»Er weiß alles,« flüsterte das Mädchen.

Die Faust Heinrichs ballte sich, das bleiche Gesicht wurde rot und erhielt einen erschreckenden Ausdruck! »Schurke,« rief er. »Infamer, niederträchtiger Schurke! – An dem hat der Teufel ein übriges getan und kann seine Freude dran haben! – Wegbleiben und tun, als ob nichts vorgefallen wär'! Mir nichts, dir nichts alles von sich schütteln –«

Kathrine, mit dem Ausdruck bitterer Ironie, machte eine Bewegung der Einsprache. »Du darfst ihm doch auch nicht zuviel tun,« sagte sie. »Ganz will er seine Hand nicht abziehen von mir! Er ist großmütig! Er will bezahlen – er will so hoch gehen als er kann! Das hat er uns durch seine Base sagen lassen!«

Der Bursch antwortete mit einem Hohnlachen. »Jammervoller Bettelstolz!« rief er. »Schlechtigkeit, Hoffart und eine Unverschämheit, die bis an die Wolken reicht!«

Ein tiefes Schweigen folgte. Dann sagte die Mutter: »Gottlob, mit nächstem werden wir ihn los sein! Er geht fort – in die weite Welt!«

»Fort!« rief Heinrich. »Auch das ist wahr?«

»Es ist ausgemacht. In wenigen Tagen geht er weg.« »Und das leidet man?«

»Wer will's hindern?« fragte die Mutter.

»Wer's hinderte,« rief Kathrine, »der tät' mir das größte Leid ein! – So hab' ich wenigstens noch ein Glück auf der Welt: daß ich ihn nicht mehr seh'!«

Heinrich schaute das ehemals geliebte, das noch vor kurzem so sehr gepriesene, schöne und stolze Mädchen an – seine Augen wurden feucht. »Du bist sehr genügsam worden, Kathrine!« sagte er dann. »Sieh, sieh, wie hast du dich verwandelt! Früher ist dir nichts gut genug gewesen – und jetzt ist dir alles recht!«

»Eben weil mir früher nichts gut genug gewesen ist,« erwiderte sie, »darum ist mir jetzt alles recht!«

»Ja, ja,« sagte der Bursch, »unrecht hast du nicht! Du hast dir dein Leben selber verdorben, und mußt's nun annehmen, wie es ist! Aber es ist dabei doch sonderbar gegangen, recht als ob's der Teufel gemacht hätt'; und wenn ich's überleg' – alle Schuld kann ich nicht auf dich werfen –«

»Du bist eben gut, Heinrich,« erwiderte Kathrine mit wankender Stimme, »auch jetzt noch! Aber ich kann mich nicht entschuldigen und ich will's nicht! Ich hab' schändlich gehandelt gegen dich! Ich bin dir gut gewesen, Heinrich, von Herzen gut, und hätte dieser Mensch nicht existiert, ich wär' das beste Weib geworden für dich! Aber was hat mich verführt? Eitelkeit und Hoffart! Weil der, vor dem sich alle gefürchtet haben, mir zu Gefallen gegangen ist und ich mit ihm hab' tun können, was ich wollte, das hat mich um den Verstand gebracht. Ich hab' geglaubt, bei mir müßt' er anders werden, ein guter Mensch, ein wahres Muster von einem Mann – und ich hab' mir schon im voraus was eingebildet darauf. Ich bin ein dummes, einfältiges Ding gewesen! Für die Sachen, die allein was wert sind, hab' ich gar keine Augen mehr gehabt, immer hab' ich ausgeschaut nach dem, was meinem Stolz wohlgetan hat: und so hab' ich jetzt, was mir gehört! Es geschieht mir nicht zu hart – durchaus nicht! Alles hat so kommen müssen, wie's gekommen ist; nichts hat ausbleiben dürfen – es wär' schade darum gewesen.«

Der Bursche betrachtete die im Eifer der Selbstverurteilung rot Gewordene und machte eine Bewegung, die Bedauern, aber freilich auch Geringschätzung ausdrückte. »Arme Weibsbilder!« rief er. »Ich seh' jetzt wohl, wie es gegangen ist; und wenn ich dich nicht entschuldigen kann, so kann ich dich wenigstens beklagen. Ich hab' mich,« fuhr er mit bitterem Lächeln fort, »eben auch nicht weiter strecken können, als es gelangt hat. 's hat jeder sein Maß – darüber hinaus kann er nicht! – Lassen wir's gut sein. Jetzt ist's einmal so – und so müssen wir's annehmen.«

Er ging in der Stube auf und ab, in seine Gedanken verloren. Dann stellte er sich wieder vor Kathrine und sagte: »Wir sind beide um unser Lebensglück betrogen; denn nur ganz leichtsinnige und gemeine Menschen könnten jetzt tun, als ob nichts geschehen wär', und zu denen gehören wir nicht. Mit uns zweien ist's aus – wir haben nichts mehr zu hoffen für diese Welt!«

»Ich wenigstens nicht!« versetzte das Mädchen.

Heinrich schaute sie an. »'s ist gut,« sagte er, »daß du das einsiehst; und doch – 's ist schade um dich, Kathrine; das kann ich dir noch sagen, und ich will's nicht bei mir behalten!«

Das Mädchen senkte den Kopf, die Mutter verriet durch einen tiefen Seufzer ihr ganzes Leid.

Die Züge Heinrichs gewannen einen bösen Ausdruck. »Und der Mensch,« rief er, »der uns dahin gebracht hat, soll leer ausgehen? Er soll fortkönnen und über uns lachen und neue Streiche vollführen?«

»Er mag tun, was er will,« versetzte Kathrine. »Je weiter er von mir ist, je lieber ist's mir.«

Jener betrachtete sie. »Bist du denn aber gar nicht bös auf ihn?« rief er. »Fühlst du gar keinen Zorn gegen ihn in dir?«

»Auch ihn wird die Strafe treffen, die er verdient hat,« entgegnete Kathrine. »Sie wird nicht ausbleiben!«

»Gewiß nicht,« versetzte der Bursch, »'s gibt schon noch einen Herrgott, wenn's auch zuweilen aussieht, als wär' er abhanden gekommen. Aber wenn er nicht dergleichen tut, wartet er nur, und auf einmal fährt er herunter wie der Blitz! Leide was du leiden mußt, und glaub, der schamlose Mensch wird das Seine leiden! Dein Recht wird dir werden, baue fest darauf!«

»Ich überlass' es meinem Gott,« erwiderte Kathrine. »Daß du gekommen bist, Heinrich, und so geredet hast, das ist mir lieb und ein wahrer Trost gewesen. Du hast mir mein Unrecht vorgehalten, aber so, daß man auch dabei wieder dein gutes Herz gesehen hat. Du bleibst dir gleich, du kannst dich nicht verleugnen, und bist immer besser als andere!« Aus ihren Augen ging ein Blick tiefer Erkenntlichkeit; sie bot ihm ihre Hand.

Heinrich tat, als ob er's nicht bemerkte. »Ich bin ein Mensch,« entgegnete er, »der auf das Recht hält und den's verdrießt, wenn er das Unrecht und die Frechheit gewinnen sieht.«

Kathrine hatte den Arm sinken lassen. Sie zitterte.

»Lebt wohl miteinander,« sagte der Bursche. »Was ich sehen wollte, das hab' ich gesehen, und was ich wissen wollte, das weiß ich. Gute Nacht!«

»Gute Nacht!« wiederholte die Mutter mechanisch und geleitete ihn zur Tür.

Als sie zurückkehrte, sah sie der Tochter die Tränen aus den Augen stürzen.

»Ja, ja,« sagte das Weib, indem sie ihr mitleidsvoll zunickte, »ich hab's wohl gesehen – er hat deine Hand nicht genommen.«

»Ich bin ihm zu schlecht,« rief das Mädchen, »er will nicht mehr angerührt sein von mir! – 's ist wahr, ich bin's auch wirklich nicht mehr wert, daß ich ihn anrühr'. Er hat ganz recht. Aber weh hat's mir doch getan!«

Ihr Mund, ihr Busen zuckte – sie brach in lautes Schluchzen aus.

Die Mutter mit der innigsten Teilnahme rief: »Sie sind alle herzlos und hart, diese Mannsbilder! Alle ohne Ausnahme!« Weinend trat sie zu der Tochter, faßte sie um den Hals, drückte das Haupt an ihre Brust und rief: »Wenn alle dich verlassen und kränken, tröste dich, Kathrine! Dir bleibt eine Mutter, die dich lieb hat und die mit dir aushalten wird im Unglück. Von heut' an sollst du keine unschöne Red' mehr hören in meinem Haus!«


XIII.

Es war nachmittags nach drei Uhr. Die Betstunde war vorüber, die Vesperglocke geläutet; das Dorf gab sich den weltlichen Genüssen des Feiertags hin – in behaglichem Ruhen, in vertraulichem Gespräch, in gemächlichem Spazieren. Denn auch zu diesem lud der Wintertag ein; die Sonne schien vom frühen Morgen an und die Luft war lau – sie verkündigte Regen.

In seinem Garten, der mit den gewöhnlichen Fruchtbäumen des Dorfes bestanden und mit einer Hecke umschlossen war, ging Hans auf und ab. Die Seinigen waren fort; der alte Maurer wegen einer Arbeit, die er in Akkord nehmen wollte, im nächsten Dorf, Mutter und Schwester auf Besuch – er war geblieben, das Haus zu hüten. Aber in der Stube war es ihm bald zu warm und zu eng geworden, er hatte die freiere und frischere Einsamkeit ausgesucht.

Im Garten war's auch still; aber aus der Ferne drangen in das feine Ohr des Burschen die Töne des festtäglichen Dorflebens. Er hörte die Buben vom Anger her schreien und jubeln; er hörte aus dem Wirtshause die Klänge eines alten Volksliedes, das eine Gesellschaft von »Ledigen« angestimmt hatte. Erinnerungen wachten auf in ihm. Er horchte und horchte und versank in Gedanken. Die Bilder der Vergangenheit gaukelten vor seiner Seele und eine melancholische Stimmung überkam ihm.

Hans war nicht fühllos. Das angeborene, heftig stolze Wesen und die stets befriedigte Selbstsucht hatten ihn hart gemacht, am härtesten, wo seiner Neigung, seiner Freiheit, seinem Stolze ein Zwang geschehen sollte. Aber er konnte mehr in sich leben und unter Umständen weicher werden, als irgendeiner seiner dörflichen Kameraden.

In den letzten Tagen hatte er mit dem Dorfe abgeschlossen; alle Vorbereitungen waren getroffen, in zwei bis drei Tagen konnte er gehen. Er sehnte sich hinweg, und ihm war, als ob er jetzt erst recht anfangen könnte zu leben. Es war etwas in ihm, was leidenschaftlich nach einer anderen, weiteren Tätigkeit verlangte. Er fühlte einen Überschuß von Kraft und die Schwingen dehnten sich ihm, um ihn hinaus in eine Ferne zu tragen, die ihm alles versprach. Hierzulande hatte er mit den Dirnen geschäkert und die Burschen in die Flucht getrieben – er konnte mit seiner Kraft und seinem Geschick wohl etwas Besseres tun. Zum Soldaten war er geboren; die Büchse regierte er wie wenige, und das übrige zu lernen, war ihm Kinderspiel. Es war in der Tat ein Unglück, daß er's nicht früher hatte werden müssen; aber im Grunde schadete es nichts – er wollte das Versäumte im Fluge nachholen. Die Eltern ließ er auf dem Glauben, daß er sich mit der Kelle forthelfen werde; aber die warf er beiseite, sobald er aus dem Dorfe war, und nahm dafür das Werkzeug in die Hand, mit dem er entweder unterging oder hoch in die Höhe kam.

Das waren seine Gedanken gewesen. Jetzt, in der festtäglichen Stille, wurde seine Seele wieder ganz in die Vergangenheit gezogen. Er hatte hier im Dorf doch auch ein Leben geführt, um das ihn mancher beneiden konnte. Im Grunde hatte er nur getan, was ihm wohlgefiel. Die Mädchen waren ihm hold gewesen, die Burschen hatten ihn gefürchtet – er war Herr und Meister unter dem jungen Volke. Wenn er im Walde mit Lust ein Stück niedergelegt hatte, so konnte er den Gewinn mit Lust verjubeln. Er war lange nicht der reichste unter seinen Gesellen, aber doch der erste. Wenn er sprach, mußte der Hoffärtigste schweigen. Die schönsten Mädchen hatten ihn zärtlich geliebt; sie waren stolz auf seine Bekanntschaft und hätten ihr Glück nicht um alles hingegeben. Wenn ihm die Liebe verging und er sich nicht mehr dazu nötigen konnte, so klagte die Verlassene zwar, aber sie tröstete sich wieder – das gehörte auch zu seinem Glück.

Die Erinnerung, welche sein vergangenes Leben an ihm vorübergehen ließ, führte ihn wieder zu dem jüngsten Erlebnis, das in mehr als einer Beziehung das ernstlichste, bedeutendste war. An ihm blieb er haften.

Und so verblendet, so ohne alle Fähigkeit, sich selbst zu richten, war er doch nicht, daß er jetzt nicht das Gefühl eines begangenen großen Unrechts gehabt hätte. Dieses kam ihm nur unvermeidlich vor und so nannte er's jetzt noch. Aber ein Druck lastete auf seiner Seele und er mußte sich über ihn erheben. »Sie wird drüber wegkommen!« sagte er sich. »Unsre Mädchen nehmen das nicht so schwer auf. In einigen Jahren, wenn ich wiederkehre –!«

Das Geräusch der gehenden Tür machte ihn umschauen: sein Vater war in den Garten gekommen. – Hans ging ihm langsam entgegen und sagte: »Du bist schon zurück?«

»Wie du siehst,« erwiderte der Alte.

Der Stiefsohn, über die kurze Antwort lächelnd, fuhr nach einer kleinen Pause fort: »Und ihr seid einig?«

Jener, ihn von der Seite ansehend, versetzte: »Ja – wann's dich intressiert!«

»Bei der Arbeit,« erwiderte Hans, den die Verdrossenheit des Alten nichts weniger als genierte, »werd' ich dir freilich nicht mehr helfen!«

»Ich werde mir ohne dich helfen!«

»Um so besser!« versetzte der Sohn. – »Wann's hier niemand andtut nach mir, dann kann ich um so leichter gehen.«

Der Maurer warf ihm einen sonderbaren Blick zu. Dann sagte er: »Es wär' vielleicht gut für dich, wenn du schon fort wärst!«

»Aus was für Ursach'?«

»Der junge Kohlbauer ist wütend über dich! Er hat Reden fallen lassen –!«

Der Bursch lächelte geringschätzig. »Der Bühler!« erwiderte er. »Soll mir der gefährlich sein?«

»Nur nicht so vornehm!« versetzte der Alte. »Ich hab' ihn eben gesehen, auf dem Weg zum Wald 'nauf. Er sieht aus wie einer, der was im Kopf rumträgt! Und wem kann's gelten, als dir?«

Hans, nach einem Augenblick des Besinnens, zuckte die Achsel. »Der arme Kerl!« rief er. »Sein Unglück trägt er im Kopf 'rum! – Aber Leuten von seinem Schlag geht's einmal so. Kann ich's ändern?«

»Ich wünsche,« versetzte der Alte hartnäckig, »daß ihr zwei nicht mehr zusammenkommt!«

Hans schwieg. Er war offenbar erregt, man sah es ihm an. Nach einer Weile drückte er die Fischotterkappe aufs rechte Ohr und sagte: »B'hüt dich Gott!«

»Wo willst du hin?« rief der Maurer.

»Ein wenig spazieren gehen! – Ich bin lang' genug daheim gewesen!«

Jener wollte noch etwas entgegnen; aber Hans war schon aus dem Garten.

Die Reden des Alten hatten auf den Burschen eine eigene Wirkung gemacht. Das Bild des jungen Bauern, dem er so großes Unrecht getan, den er so tödlich gekränkt hatte, stellte sich vor ihn mit Rachegedanken, mit dem unheimlichen, drohenden Ausdruck des Rachegefühls – und ein Schauer befiel ihn. – Die Schwäche hatte ihn überrascht; sein Stolz erhob sich augenblicklich dagegen. Er sich fürchten vor Heinrich? Er eine Scheu fühlen und froh sein, wenn er weit davon war? Verflucht! Das konnte er nicht dulden! Er mußte beweisen, daß er den Burschen geringschätzte, jetzt wie früher, – er mußte ihm ins Angesicht trotzen, dann konnte er gehen!

Das Blut – das Blut des Vaters – rührte sich in ihm und gab ihm diesen höheren und feineren Ehrgeiz ein. Und der Vorsatz, den er gefaßt – die Bilder des Hinaufkommens, an denen er sich geweidet hatte, wirkten mit!

Durch die Gasse des oberen Dorfs war er an den Fahrweg gekommen, der zum Wald emporführte, und er schlug ihn ein. Eine Zeitlang sah er umsonst vorwärts. Endlich erblickte er den Gesuchten; aber nicht allein: er kam vom Walde her zwischen Kasper und Mathes!

Die Augen unseres Burschen waren scharf. Er bemerkte von weitem, daß Kasper eifrig in Heinrich hineinredete.

Man kam sich entgegen. Als die drei den schwarzen Hans erblickten, blieben sie einen Moment stehen und schauten auf ihn her.

»Sieh da!« rief dieser, ihnen sich nähernd, – »die drei Kamraden! Habt ihr euch ein Pläsier gemacht an dem schönen Tag?«

Auf diese mit vornehmer Leichtigkeit hingeworfene Frage antwortete Kasper: »Ein bißchen.«

Heinrich hatte den Burschen mit düsterer Ruhe angestarrt. Jetzt sagte er: »Es ist gut, daß ich dich treff!«

Hans, nach einem Blick auf ihn, erwiderte spottend: »Hast du mir was zu sagen?«

»Allerlei,« versetzte Heinrich. – »Ist's wahr, daß du fort willst – in die Fremde?«

»Das weißt du noch nicht?« entgegnete Hans. »Das ist was Alt's!«

»Ich wollt's von dir selber hören!«

»Das kannst du! – Übermorgen früh pack' ich meinen Ranzen und geh' auf die Wanderschaft.«

»Auf lange?«

»Wenn's mir nachgeht, komm' ich gar nicht wieder. Ich hab' das Leben bei euch hier satt! – Nehmt mir's nicht übel!«

Heinrich schwieg einen Moment. »Dann,« fuhr er fort, »hab' ich dir nur noch etwas zu sagen.«

»Alles Glück auf die Reise?« entgegnete jener herausfordernd.

»Nein,« versetzte Heinrich. »Daß du ein schlechter Kerl bist!«

Dies war mit einer Ruhe und einem Nachdruck der Verachtung gesagt, daß Hans, obwohl er etwas Ähnliches erwartet hatte, doch einigermaßen seine Haltung verlor. Aber sogleich faßte er sich, richtete er sich zu seiner ganzen Höhe auf, schaute auf den Burschen, welcher sich das gegen ihn herausgenommen, seinerseits mit vollkommener Geringschätzung herunter und rief: »Bist du verrückt?«

Heinrich zuckte die Achsel. »Weil ich die Wahrheit sag'?«

»Weil du frech bist,« entgegnete Hans. »Du – gegen mich! – Aber,« fuhr er mit einem Ausdruck beleidigenden Mitleids fort, »dir muß man jetzt was nachsehen! Jeder hilft sich eben, wie er kann!«

Heinrich lächelte. »Es ist doch nichts kurioser,« erwiderte er, »als wenn ein miserabler Mensch den Vornehmen spielt! Ein Schuft sein und den großen Herrn machen wollen – es ist gar zu dumm! – Aber so sind sie!«

Aus den Augen des Beschimpften gingen Blitze der Wut. Mit einem Fluch holte er aus, um den Beleidiger ins Gesicht zu schlagen.

Heinrich, mit rasch erhobenem Arm, fing den Schlag auf und erwiderte ihn. Hans, rasend, warf sich auf den Gegner, umklammerte ihn und riß ihn an sich. Nun war's um den Wackeren geschehen, wenn er keine Hilfe fand. Aber die Kameraden standen ihm bei, sie hängten sich an den Wütenden, und nach einigen Stößen und Schlägen, die sie von ihm erhielten, kam ihnen der Zorn zum rechten Ernst.

Der eine und die drei – alle leisteten, was sie konnten; das Ende war aber diesmal, daß der eine von den dreien überwältigt und zu Boden geworfen wurde.

Der Bursch, der nicht gewohnt war, zu verlieren, tobte; aber er lag auf dem Rücken und die Gegner hatten sich über ihn geworfen: alle seine Anstrengungen, wieder aufzukommen, blieben erfolglos. Endlich schien er zu ermatten; er ließ die Arme sinken und die Sieger gewähren. Nachdem aber so eine Minute vergangen war, stieß Heinrich, der mitten auf ihm lag, einen Schrei aus. Hans hatte mit der Rechten sein Messer aus der Tasche gezogen und es ihm von der Seite in die Brust gestoßen.

»Halunk'!« rief der Verwundete und packte die Hand, die das Messer hielt. Kasper, zufahrend, umklammerte mit seinen Händen den Arm des Hans und drückte ihn nieder. Heinrich langte mit der Rechten an seine Wunde. »Es ist nichts,« rief er den Kameraden zu, »er hat schlecht gestoßen!« Und den Blick auf Hans gerichtet, fuhr er fort: »So willst du dir helfen, Bandit? Aber ich bin auch versehen, und gut versehen, und ich hoff, ich werd's besser machen!« Damit hatte er sein Messer aus der Tasche gezogen und stieß es dem Liegenden mit aller Kraft bis ans Heft in die Brust.

Der Getroffene, nach einem Ruf des Schmerzes und der Wut, machte nochmal einen Versuch aufzukommen; aber er war zu Tode getroffen; – er sank zurück, besinnungslos.

»Um Gottes willen,« rief Kasper. »Du hast ihn totgestochen!«

Heinrich, das ausgezogene blutige Messer in der Rechten, schaute auf den gefällten Feind mit feierlichem Ernst. »Ein solches Ende,« sagte er, »ist ihm oftmals prophezeit worden, und jetzt ist's eingetroffen. Unser Herrgott hat gewollt, daß ich ihn strafen sollte für die Schandtaten, die er getan hat; und ich dank' ihm dafür. – Was das Gericht mit mir anfängt, das ist die Sache des Gerichts. Ich für meine Person bin ruhig.« Und indem er die Hand wieder an seine eigene blutende Wunde legte, fuhr er fort: »Es hätt' auch anders gehen können! Aber es gibt noch einen Gott!«

»Schaut,« rief Kasper auf Hans deutend; »er rührt sich! Er kommt wieder zu sich!«

In der Tat öffnete Hans die Augen, starrte die drei einen Moment an, nickte, als ob er sich auf das Vorgefallene besönne, und suchte sich aufzurichten. Von Mathes und Kasper unterstützt, erhob er den Oberkörper; und als ob sein Wesen sich plötzlich verändert hätte, die Miene ohne Groll und nur mit einem gewissen spöttischen Zug um den Mund, absatzweise, sprach er: »Ich sing' am letzten G'setz! – Für diese Welt ist der Spaß vorbei! – Heinrich, du bist doch ein andrer Kerl, als ich gedacht hab'! Du hast mir den Treff' gegeben – gründlich! – Aber ohne Ursach' hast du's nicht getan! – Verwünscht! Jetzt ist's aus mit meinen Plänen! Aus, aus! – Aber einerlei! Wenn ich sterben muß, kann ich auch sterben.«

»Hans,« rief Heinrich, der vor ihm stand, »Strafe muß sein! Lange bleibt sie aus – auf einmal kommt sie. Denk, was du getan hast!«

Der Bursch, mit einem schmerzlichen Lächeln, das nicht ohne Humor war, entgegnete: »Widersprechen ist schwer – ich muß dir schon beistimmen!« – Nach einer Weile, mit Mühe, fuhr er fort: »Sagt der Kathrine – es tät mir leid! – die – die kann sich über mich beklagen! Aber von allen, die ich gekannt hab'« –

Weiter konnte er nicht reden. Die Züge hatten sich entstellt, die Zunge versagte den Dienst und er begann zu murmeln. Nach einem tiefen Seufzer senkte er den Kopf. Er war eine Leiche.

Heinrich sah ihn an. »Da liegt er nun,« rief er mit einer eigenen Mischung von Trauer und Genugtuung, »und hin ist alle seine Herrlichkeit! Schad' ist's um ihn; er war ein ganzer Bursch – und auch was Gut's hat in ihm gesteckt! Aber er hat weggemußt von der Welt – er hat's gar zu frech getrieben!«

Eine Stille trat ein. Dann sagte Kasper: »Was fangen wir nun an?«

»Tragt ihn auf den Brachacker da 'nüber!« versetzte Heinrich. »Du, Mathes, bleibst hier bei der Leiche. Der Kasper und ich gehen ins Dorf und machen die Anzeig'.« –

Auf dem Weg sagte Kasper zu Heinrich mit Bedeutung: »Es ist nicht nötig gewesen, daß du ihn aufgesucht hast!« –

»Es ist besser gegangen,« versetzte Heinrich, »als ich's im Sinn gehabt hab'! Gott verzeih mir die Sünde – aber mir ist ein Zentnerstein vom Herzen gefallen! Jetzt kann ich wieder anfangen zu leben!«

* * *

Die Kunde von dem Tode des schwarzen Hans brachte im Dorfe eine ungeheure Wirkung hervor. Der Hans unterlegen, der Hans von Heinrich erstochen – man konnte kaum dran glauben! Aber das Endurteil war allenthalben: »Es ist ihm recht geschehen!«

In das Haus des Schreiners kam zuerst nur die Meldung, Heinrich habe den Hans umgebracht und ein Scherge habe ihn ins Gericht abgeführt. Kathrine, durch die schreckliche Nachricht an ihre Schuld erinnert, saß wie ein Marmorbild; dann schaute sie umher, als ob ihre Seele gestört wäre, wurde bleich und bleicher und drohte zu sinken. Man mußte sie zu Bette bringen.

Die Erzählung des Kasper, der noch am selben Abend ins Haus kam, übte eine beruhigende, ja, mitten in ihrem Leid, wohltuende Wirkung auf sie. Heinrich war kein Mörder – man mußte ihn wieder in Freiheit setzen! Hans aber hatte sein Unrecht gegen sie eingesehen und im Sterben ihrer mit Ehren gedacht!

Sie erinnerte sich der vergangenen Zeiten, Tränen füllten ihre Augen. Der Bitterkeit derselben war eine Süßigkeit beigemischt – und die Ruhe der Ergebung kam über ihre Seele.

Ihre Lebenstage waren aber gezählt. Eine hitzige Krankheit hatte sie befallen und die geschwächte Natur konnte das Übel nicht bestehen. Zehn Tage später begrub man sie. –

In das Haus der Kohlbäuerin kehrte nach schreckensvollen Aufregungen die Ruhe, ja zuletzt auch das Glück wieder.

Heinrich, indem er einen Gegner niederstieß, der mit seinem Messer nach ihm gestochen und dies wiederholen konnte, hatte Notwehr geübt! Zu seinen Gunsten sprach alles, was man über ihn in Erfahrung bringen konnte, und wenige Wochen nach der Tat gab das Gericht ihn frei.

Heimgekehrt widmete er sich mit stillem Ernst seinen Geschäften. Er lebte zurückgezogen und verkehrte fast nur mit den zwei Kameraden, die sich in seine Geschicke so eng verflochten hatten. Im Dorf behandelte man ihn mit einer eigentümlichen Achtung. Auch dem übermütigsten Burschen wäre es nicht mehr eingefallen, seinen Scherz mit ihm treiben zu wollen; im Gegenteil, wenn so einer ihn traf, grüßte er ihn mit ehrbarem Ernst und ging vorüber.

Heinrich, als er zum erstenmal diese Wahrnehmung machte, lächelte, nicht ohne eine tiefe Befriedigung. »Es ist wirklich kein Schade,« sagte er sich, »'s ist ein Nutzen dabei!« – Ihm gediehen die tragischen Erlebnisse zum Segen. Sie vertieften seine Seele, gaben ihm mehr Selbstgefühl, mehr festen Sinn, und er hielt den Seinen mehr, als er versprochen hatte.

Wird man ihm das mißgönnen? Er hatte viel Herzeleid erduldet, um dahin zu gelangen!

Drei Jahre gingen hin. Die Zeit übte auf den Burschen ihren ganzen versöhnenden Einfluß. Als ihn seine Mutter und seine Freunde endlich ermahnten, sich zu verheiraten, stimmte er ihren Gründen bei und folgte ihnen. Man hatte ihm eine entfernte Verwandte aus dem obern Ries angetragen, die gesund, munter, geschickt und sehr wacker, aber allerdings nicht gerade schön sei. »Gottlob!« rief er, als die letzte Bezeichnung heraus war. »Die will ich mir anschauen, das wird die Rechte sein. Von dem Wunsch, die Schönste zum Weib zu haben, bin ich geheilt!« – In seinen Gedanken setzte er aber hinzu: »Arme Kathrine, – vergessen werd' ich dich doch niemals!«

Die Heirat kam zustande und unser Freund führte mit seinem Weib ein ruhiges, zufriedenes Dasein.


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