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Ludwig und Annemarie.


Das Ries ist ein Gau im Schwabenlande, einige Stunden nordwärts von der Donau. Der größte Teil gehört zu Bayern, der nordwestliche Strich zu Württemberg. Man braucht in diesem Gau nicht geboren zu sein, sondern nur in guter Jahreszeit darin verweilt zu haben, um ihn für einen der anmutigsten und gesegnetsten in unserem Vaterlande zu halten. Wer an einem schönen Juniabend auf einer der westlichen Anhöhen steht und die von bewaldeten Hügeln umschlossene Ebene erblickt in dem glänzenden Reichtum ihrer Feldfrüchte, die alte Reichsstadt Nördlingen mit ihrem hohen Turm, die fürstliche Residenz Wallerstein mit dem grauen Felsen, der früher die Burg der Grafen von Wallerstein trug, hier und da ein wohlerhaltenes Schloß oder ehemaliges Klostergebäude und die Menge schmucker Dörfer, den wird ein freudiges Gefühl überkommen: er hat nicht nur eine schöne, fröhliche Landschaft vor sich, sondern er fühlt zugleich, daß ihre Bewohner begünstigte Menschen waren und sind.

Das Ries ist eine kleine Welt und birgt eine nicht unbedeutende Mannigfaltigkeit von Lebenserscheinungen in sich. Daß es teils bayrisch, teils württembergisch ist, scheint zu seinem Wesen zu gehören. Die Bewohner zerfallen in Protestanten und Katholiken, die zerstreut durcheinander wohnen. Im protestantischen Teil und namentlich unter den Geistlichen fanden sich vor einigen Jahrzehnten die Extreme der frommgläubigen und rationalistisch aufgeklärten Anschauung vertreten, von denen die erstere eine sehr rege Tätigkeit entwickelte. Auch Juden fehlen nicht in dem wohlhäbigen Landstrich. Sie sitzen an einzelnen Orten, hauptsächlich in Wallerstein, in verschiedenen Abstufungen des Vermögens und Ansehens, vom reichen Kaufmann und Geldverleiher an bis herab zum Schmuser, der sich auf Märkten durch leidenschaftliche Verständigungsversuche seinen Bedarf erkämpft. Der Dialekt ist schwäbisch in besonderer Ausbildung, an einzelnen Punkten von alters her eigentümlich modifiziert. Nördlingen und Wallerstein liegen kaum eine Stunde auseinander, und doch ist der echte Nördlinger von dem echten Wallersteiner an Mundart und Betonung sogleich zu unterscheiden. In Öttingen, wie überhaupt an der nordöstlichen Grenze, herrscht der fränkische Dialekt. Der Menschenschlag ist arbeitsam, gewerbtätig und von gemütlichem, vergnügtem Wesen, sehr geneigt zu Scherz und Neckerei. Man findet darunter noch viele Exemplare von jenem angenehm drolligen und komischen Gepräge, das der verständigen Ernsthaftigkeit unserer Zeit immer mehr weichen zu wollen scheint. Das schöne Geschlecht macht seinem Namen alle Ehre; auf den Dörfern begegnet man nicht nur stattlichen und tüchtigen, sondern auch gar feinen und zierlichen Gestalten. Die Landestracht ist kleidsam, wenn sie mit Geschmack behandelt und von den Frauen in der Zahl der Röcke ein gewisses Maß eingehalten wird. Übrigens greift auch hier die französische Tracht um sich, und in dem Anzug der Frauen und Töchter wohlhabender Landleute findet sich einzelnes derselben mehr oder minder glücklich mit der Landestracht verbunden.

Der Verfasser hängt an diesem Gau mit begreiflicher Liebe. Er ist darin geboren und hat in ihm die schöne Jugendzeit verlebt. Als Gymnasiast und Student verbrachte er hier die glücklichsten Ferientage. In dem Alter, wo man um so reicher an poetischer Empfindung und Anschauung ist, je weniger man sie noch kunstgemäß auszudrücken vermag, lebte er das fröhliche Rieserleben mit und nahm mit nie versiegender Freude seine Eigentümlichkeiten in sich auf. Die Landschaft, von dem Duft seiner Jugendgefühle übergossen, hat für ihn einen poetischen Reiz wie keine andere.

Schon einmal in dem ländlichen Gedicht: »Wilhelm und Rosine«, das 1835 erschien und eine Dorfgeschichte in Hexametern genannt werden kann, hat Schreiber dieses seiner Heimat in Schilderung ihres Dorflebens seinen poetischen Dank abgetragen. Er versucht es zum zweitenmal in seiner Erzählung. Die »Erzählungen aus dem Ries« (Ludwig und Annemarie – Die Lehrersbraut – Ende gut, alles gut) erschienen 1856. Ihnen folgten: »Neue Erzählungen aus dem Ries«, 1860; neue Folge, 1870. Nach den echten Darstellungen von Immermann und Bertold Auerbach ist das Genre der Dorfgeschichten durch Nachahmungen bei uns in die Mode und wieder aus der Mode gekommen. Aber das kann eine getreue Schilderung wirklicher Lebensverhältnisse nicht berühren. Im deutschen Volk sind noch Schätze zu heben von eigentümlicher Art und Sitte, von eigentümlichen Freuden und Leiden, von besonderen Verbindungen der überlieferten Stammesbildung mit der neuen Zeitbildung. Wer von einem so bestimmten Leben ein dichterisch treues Abbild zu geben weiß, der wird empfänglichen Menschen immer Freude und Nutzen gewähren können. Das Echte wie das Ewige hat immer seine Zeit; und auch Annäherungen an das höchste Ziel, wie sie dem frischen Streben gelingen, werden nicht unwillkommen sein.

Nun zu unserer Geschichte. Sie hat sich vor einer Reihe von Jahren zugetragen, wo durch die Ebene noch nicht der Dampfwagen brauste und das Leben überhaupt noch ein idyllisches Gepräge trug, wie es jetzt nicht mehr so ganz der Fall sein mag.

* * *

Der Geistliche eines Dorfes in der Nähe von Nördlingen wandelte an einem schönen Sommermorgen in seinem Garten, der hinter dem wohlgebauten, zweistöckigen Pfarrhause lag. Er hatte schon eine Zeitlang gearbeitet und wollte nun einen Gang in freier Luft machen und nach den Fortschritten der Gewächse sehen. Da dieser Mann in den späteren Verlauf unserer Geschichte bedeutend eingreift, so wollen wir den Leser schon jetzt näher mit ihm bekannt machen. Er war ein Sechziger, bei mittlerer Größe, von stattlichem Ansehen und offenbar im Besitz einer stetigen Gesundheit. Aus den regelmäßigen Gesichtszügen sprach Erfahrung, Verstand und eine heitere Freiheit des Geistes. Er hatte auf der Universität neben den theologischen allgemein bildende Studien getrieben, als Hofmeister in vornehmen Zirkeln und auf Reisen die Welt kennen gelernt und die Laufbahn eines Geistlichen von unten auf gemacht, bis er die einträgliche Stelle erhielt, wo er nun seit zehn Jahren ein ruhig glückliches Leben führte. Der Glaube an die Grundlehren der evangelischen Kirche war bei ihm ein Trieb und eine Forderung des Herzens, aber sein Christentum war liebevoller, freundlicher Art. Die Natur mit Feuer und Schwert austreiben zu wollen, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen und die Gemüter durch übertriebene Forderungen zu verwirren, war nicht seinem Charakter gemäß. Er rügte streng, wo es ihm klare Einsicht gebot, aber lieber schilderte er das höhere Leben in einer Weise, daß es durch seine eigene Schönheit die empfänglichen Herzen gewann. Er war mild, weil er zu unterscheiden wußte und das Gute in der Natur und in dem Gehaben des Volks erkannte. Als Seelsorger und im sonstigen Verkehr mit den Gliedern seiner Gemeinde freute er sich, jene brave Klugheit anzuwenden, welche die Menschen mit leichten Mitteln zu lenken versteht. Er war dem Scherz nicht abhold, und aus dem anmutigen Ausdruck seines Mundes konnte man schließen, daß er freundschaftliches Gespräch selber damit zu würzen verstand.

Die Sonne schien heiß vom wolkenlosen Himmel. Dies hielt den Pfarrer nicht ab, den Schatten der Kastanienbäume am Hause zu verlassen und, geschützt durch sein schwarzes Käppchen, unter dem rechts und links ein silbergrauer Haarbüschel hervordrang, erst die Blumenbeete, dann auf dem grasigen Platz die reifenden Kirschen zu betrachten. Aus einem Gesicht, dessen bräunliches Rot sich von dem anderer Landbewohner durch einen feineren, geistigeren Ton unterschied, sah eine innere Freudigkeit, die mit der Schönheit des Sommertags ganz in Harmonie war.

Als er sich eben anschickte, unter die Kastanienbäume zurückzukehren, wurde die Tür, die vom Pfarrhause in den Garten führte, rasch aufgemacht und ein schlanker, blonder junger Mensch von etwa sechzehn Jahren ging eilig auf ihn zu. Es war sein Enkel, der Sohn seiner Tochter, die ihren Theodor dem Großvater zur Vorbildung für die letzte Klasse des Gymnasiums zugeschickt hatte. Das sonst gleichmäßig blasse, durch die Sonne nur wenig gebräunte Gesicht war jetzt erhitzt und gerötet, und man sah aus allem, daß er etwas für ihn sehr Bedeutendes zu berichten hatte.

»Großvater,« rief er dem alten Herrn zu, »es ist gut, daß ich dich treffe! Drunten im Dorf – nein, es ist zu arg!« Er hielt inne, um zu verschnaufen.

Der Alte kannte seinen Mann. Er wußte, daß der junge Kopf seine eigenen Ansichten vom Leben hatte, und daß manches, was damit in Widerspruch trat, ihn oft in unverhältnismäßige Aufregung versetzen konnte. Er war daher nicht erschreckt, sondern fragte ruhig: »Nun, was ist denn schon wieder?« – »Drunten im Dorf,« erwiderte Theodor, »beim Angerbauer gibt's Händel, Händel zwischen Vater und Sohn. Ich hab's selber gesehen.« Der Alte wurde ernsthaft und eine Bewegung seines Kopfes verriet, daß ihm die Nachricht nicht ganz unerwartet kam. Er sagte: »Erzähle mir, was du gesehen hast, aber in der Ordnung.«

»Ich wollte ins Dorf hinunter, um hinter den Hecken mein Pensum zu lernen. Da sah ich vor dem Hause des Angerbauers einen Haufen Leute stehen, und wie ich hingehe, hör' ich wütendes Geschrei aus der Stube. Der Alte schmähte den Sohn und schrie wie rasend. Gott, welche Schimpfworte und Flüche! Wie ist es möglich, daß die Menschen so roh sein können!« – »Es ist manches möglich, was du noch nicht begreifst, mein Kind,« sagte der Pfarrer. – »Und dieser Angerbauer,« fuhr der junge Moralist fort, »der immer so gescheit sprach und sich ein so würdiges Ansehen zu geben wußte, von dem hätt' ich's am wenigsten geglaubt.« – »Der Angerbauer,« bemerkte der Alte mit nachdrücklicherem Ton, »ist ein ehrenwerter Mann und der Sohn desgleichen. Das wirst du noch einsehen. Aber nun erzähle weiter. Was hat der Bauer seinem Sohn vorgeworfen? Oder hast du das im Eifer vielleicht überhört?« – »Nein, das kann ich dir genau sagen. Ludwig will die Annemarie beim Bäcker heiraten, und der Angerbauer will's nicht zugeben.« – »Ich dacht' es mir,« sagte der Geistliche. »Wie ging der Streit aus? Denn du hast doch wohl das Ende abgewartet?« – »Wie der Alte gerast, der Sohn trotzig geantwortet und die Bäuerin umsonst sich Mühe gegeben hatte, sie zu begütigen, hörte man ein Knacken, wie von einem zerbrochenen Stuhl, und der Vater schrie: ›Fort! Geh aus meinem Haus und komm mir nie mehr unter die Augen!‹ Worauf Ludwig sagte: ›Hab' keine Sorg', du wirst mich nie wiedersehen,‹ und aus der Stube ging. Dann wurd's stille und ich lief fort, um dir's zu erzählen.«

Der Geistliche schüttelte den Kopf, schien aber von diesem Ausgang doch weniger beunruhigt zu sein, als sein Enkel erwartete. Er sah eine Zeitlang vor sich hin und nickte dann, als ob er einen Entschluß gefaßt hätte. Der junge Mensch sah ihn an und fragte: »Wirst du hingehen und Frieden stiften?« Der Geistliche erwiderte mit leisem Lächeln über diesen Eifer: »Der Streit ist ja aus, wie du mir sagst.« – »Wenn aber Ludwig auf und davon geht?« – »Daran werd' ich ihn nicht verhindern können.« – »Aber, lieber Großvater...« – »Wirst du einen alten Pfarrer lehren, was er zu tun hat, Junge? Komm jetzt zur Großmutter.« Er nahm ihn wohlwollend bei der Hand und führte ihn ins Haus zurück.

* * *

Der Angerbauer war nach ländlichen Begriffen ein reicher Mann. Er hatte seiner Tochter, die im Dorfe verheiratet war, sechstausend Gulden mitgegeben, und mehr als das Doppelte hatte er noch am Zins. Sein Sohn Ludwig sollte ebensoviel und das jüngste Kind Andres nach der bäuerlichen Erbfolgeordnung den Hof erhalten. Die Familie lebte wohl und glücklich zusammen. Der Vater, ein hochgebauter, stattlicher Mann mit schwarzen Augen und Haaren und gelblich-braunem Gesicht, hielt gute Zucht im Hause, ohne jedoch seinen Kindern den herkömmlichen Lebensgenuß zu verkümmern. Er war ein kluger Ökonom, und sein Stolz war, die bestbestellten Äcker im Dorfe zu haben. Seine Wohlhabenheit und sein Ansehen in der ganzen Umgegend gaben ihm ein bedeutendes Selbstgefühl, das sich auch in seiner würdigen Haltung ausdrückte. Er sprach wenig, aber bestimmt, und wie gesetzt er in der Regel war, so sah man doch, daß er, einmal in Leidenschaft gebracht, gewaltig losbrechen konnte. – Die Mutter war in ihrer Jugend sehr hübsch gewesen, und noch immer machte die schlanke Gestalt einen angenehmen Eindruck. Sie hielt mehr auf zierliche Reinlichkeit im Hause, als es sonst in Bauerfamilien der Fall zu sein pflegt; in ihren Stuben und Kammern mußte alles wie geleckt sein und überdies alles am rechten Platze stehen. Sonst zeichnete sie sich in der Kunst aus, Backwerk zu verfertigen und namentlich »Küchle« zu liefern, die von den jeweiligen Gästen mit entzückten Lobpreisungen verspeist wurden. Fröhlicher und gutmütiger als der Vater, hatte sie doch auch ihre Portion Stolz und hielt sehr auf das, was sich ihrer Meinung nach für eine reiche Familie geziemte. – Ludwig schlug der Mutter nach, während der neun Jahre jüngere Andres ein gemildertes Abbild des Vaters zu werden verhieß.

Die Hauptperson unserer Erzählung war einer der schönsten und angesehensten Bauernsöhne im ganzen Ries. Tänzer und Sänger, wie es nur einen gab, dazu ein lustiger Bursche voll guter Einfälle, hatte er schon in verschiedenen Dörfern Herzen erobert, wenn er bei Verwandten auf Besuch war oder als Gast eine Hochzeit mitmachte. Er war einer von den Menschen, denen alles wohl ansteht, die Arbeit wie das Vergnügen. Wenn er Sonntags in dunkelgrüner samtener Joppe (Jacke) mit silbernen Knöpfen, schwarzen, knapp anliegenden Hosen vom schönsten Hirschleder und hohen, über die Knie gezogenen Stiefeln, die Kappe von Fischotter mit grünseidener Troddel aufs rechte Ohr gesetzt und den silberbeschlagenen Ulmer Pfeifenkopf im Munde nach der Stadt, das heißt nach Nördlingen, wanderte, so hätte er einem ruhigen Beobachter wohl gefallen, den Mädchen aber, die ihm begegneten und die er freundlich grüßte, war sein Anblick ein wahres Labsal, und sie konnten sich selten enthalten, sich umzuwenden und ihm nachzusehen. Dann sagte wohl eine in heiterer Anerkennung: »Des Angerbauers Ludwig ist eben doch der Schönste,« und die anderen stimmten ihr bei, vergnügt oder errötend, je nachdem.

Auf welches Mädchen durfte ein so Begünstigter nicht Anspruch machen? Welche Schönheit wäre fähig gewesen ihn auszuschlagen? Indessen jede Lebensstellung hat ihre Pflichten, und Ludwig durfte nicht unter den Schönheiten des Rieses überhaupt, sondern nur unter denen wählen, die ebensoviel mitbekamen als er. Dieser Pflicht kommen die jungen Burschen meist instinktmäßig nach. Der Bauer, am überlieferten Brauche haltend, verliebt sich in der Regel nur standes- oder wenigstens vermögensgemäß. Zu dem Ganzen, das ihn an einem Mädchen bezaubern soll, gehört auch die reiche Ausstattung, die Ehre, die begüterte Verwandtschaft. Das Mädchen muß aus einer Familie sein, die ebenso ästimiert ist wie die seinige, sonst entbehrt ihre Schönheit des rechten Nimbus oder erweckt höchstens eine gönnerhafte Empfindung in ihm. Für unseren Burschen war die Wahl einer Lebensgefährtin noch besonders eingeschränkt. Da das Stammgut an Andres überging, so mußte er sich einen passenden Hof kaufen, was seine Schwierigkeit hat. Das beste war daher, eine einzige Tochter, eine Hoferbin, zu heiraten und in eine schon bereitete Stätte als Herr einzuziehen.

Es war keine geringe Vermehrung der Zufriedenheit, welche der Angerbauer und sein Weib ohnehin empfanden, daß sie für ihren Ludwig solch einen »Anstand« wußten. In der Tat war dessen Künftige schon gefunden in der einzigen Tochter eines entfernten Verwandten, der im nächsten Dorfe einen der stattlichsten Höfe besaß. Die Eltern hatten darüber gesprochen; die Angerbäuerin hatte zur gehörigen Zeit merken lassen, daß die junge Base Eva eine rechte Frau für ihren Ludwig wäre, und im Vorbeigehen die Summe namhaft gemacht, die sie ihrem Sohne mitgeben könnten; worauf man sich verständigte. Ludwig hatte nichts gegen den Plan. Für einen Geschmack, der auf dem Lande viele Vertreter zählt, war Eva eine Art von Schönheit, nämlich eine große, tüchtige Person mit nicht allzu kleiner, etwas gebogener Nase und runden roten Backen, so eine, die der feinere Mann einen »Dragoner«, die solide Anschauung der Mehrzahl aber »a rechts Mädle« zu nennen pflegt. Ludwig fand in dem Aussehen seines Bäschens keinen Grund, sich in sie zu verlieben, aber auch keinen, sich der Heirat zu widersetzen. Ihr Hof leuchtete ihm ein und warf ein verschönerndes und verfeinerndes Licht auf die Erbin. Er spielte bei Gelegenheit mit Anstand die Rolle eines Verehrers, und die Heirat wäre ohne weiteres vor sich gegangen, wenn der Vater Evas sich hätte entschließen können, seinen Hof so früh zu übergeben. Allein die erste Person im Hause zu sein, gefiel ihm noch zu sehr, und er wollte wenigstens warten, bis seine Tochter in die Zwanziger getreten wäre. Warum sollte er sich beeilen? Von allen Seiten war man ja einverstanden, und ob früher oder später, sein reicher junger Vetter wurde sein Schwiegersohn.

Kein Projekt der Menschen ist indessen so gesichert, daß nicht noch etwas dazwischentreten könnte. Wenn man ein gewünschtes Gut schon in der Hand zu halten glaubt, kann es noch entschlüpfen, um den Menschen erkennen zu lassen, daß es bei den Dingen dieser Erde noch auf etwas anderes ankommt als auf sein Wollen und Meinen. Als Eva neunzehn, Ludwig dreiundzwanzig Jahre alt war, ereignete sich etwas, das die Fäden, die von den zwei Familien gesponnen waren, zerriß und den Stoff zu unserer Geschichte lieferte.

Dies war der plötzliche Tod eines braven Zimmermanns im nächsten württembergischen Orte. Die einzige Tochter desselben, ein ungewöhnlich schönes Mädchen, wurde dadurch eine Waise. Da sie erst siebzehn Jahre zählte und auf ihr Erbe nicht heiraten wollte, so machte ihr Vormund, der Bäcker unseres Dorfes, das Haus und die paar Morgen Ackerland zu Geld, legte dieses gut an und nahm das Mädchen zu sich.

Die Ankunft Annemaries brachte die Jugend des Dorfes in großen Alarm. Wenn der Bauer in Bezug auf die Wahl einer Ehehälfte praktisch denkt, so ist er doch keineswegs unempfindlich für Schönheit; ein sehr schönes Mädchen wird auf dem Lande ausgezeichnet wie ein reiches, nur auf andere Weise. Das Dorf, das eine solche Blume hegt, tut sich was darauf zu gute, und es sagt wohl einer mit einem gewissen Triumphgefühl zu einem Freunde aus dem nächsten Dorfe: »So eine habt ihr doch nicht!« Die jungen Leute, bei denen es irgend angeht, sind eifrig, sich bei ihr »wohl dran zu machen«; denn einen schönen Schatz zu haben, ist, abgesehen von der Freude, auch eine Ehre, und es ist höchst angenehm, ihn von anderen loben zu hören und sich darum beneidet zu sehen. Annemarie fand außer einer guten Anzahl von Bewunderern und Neiderinnen rasch auch mehrere entschiedene Anbeter; aber sie hatte eine eigene ruhige Art, die Andringlinge zurückzuhalten oder ablaufen zu lassen. Bald hieß es unter den Mißvergnügten: das sei eine Kuriose, die sich sehr viel auf ihre Schönheit einzubilden scheine, und doch sei's gar so arg auch nicht damit.

Wie soll ich aber von dieser Schönheit einen Begriff geben? – Mir ist es manchmal so vorgekommen, als ob man eine kindliche, eine jungfräuliche und eine mütterliche oder frauliche Art der Schönheit unterscheiden könnte. Ein Mädchen von der ersten Art wird auch als Frau und Mutter noch ein kindliches Wesen behalten, während die von der dritten schon in der Zeit des jungfräulichen Aufblühens einen mütterlichen Charakter gewinnt. Annemarie gehörte zu der dritten Gattung. Ihr Äußeres ist kurz beschrieben. Sie hatte etwas mehr als mittlere Größe und eine natürlich schöne Gestalt. Nichts war dürftig an ihr, alles reich, doch würde auch der strenge Kenner nichts hinweggewünscht haben. Die Farbe ihres Gesichts war nußbräunlich, mit mildem, aber entschiedenem Rot; Haare und Augen dunkelbraun. – Allein die wahre Schönheit liegt in der Seele. Wie diese schon im Mutterschoße auf die Formen des Leibes bildend einwirkt, so veredelt und verfeinert sie ihn fortwährend. Der eigentümliche Reiz, den Annemarie ausübte, kam von der Güte, die aus ihrem Gesichte sprach. Wenn eine Empfindung der Freude oder des Dankes ihr Herz erfüllte, dann ging ein Glanz über ihre Züge und das schöne innere Leben gab ihr eine Anmut, daß auch der Stumpfe fühlen mußte, hier sei mehr als ein gewöhnlich hübsches Mädchen.

Als Annemarie zu ihrem Vetter übersiedelte, war Ludwig abwesend; er hatte Getreide nach Augsburg gefahren, wo dermalen der Preis höher stand als auf der berühmten Schranne zu Nördlingen. Nach seiner Rückkehr machte ihn das Lob, welches dem Mädchen von seinen Kameraden gesungen wurde, neugierig und er beschloß sogleich, sie zu sehen, was auf dem Dorfe bekanntlich keine Schwierigkeiten hat. Mit der Leichtigkeit, wie sie etwa ein junger Baron zeigt, wenn er sich herabläßt, der hübschen Tochter eines Bürgers den Hof zu machen, begrüßte er Annemarie, sprach seine Freude aus, daß ein so schönes Mädchen ins Dorf gekommen sei, und sagte ihr mehrere Schmeicheleien in der direkten Art, die für ein feineres Gefühl nichts Angenehmes hat. Annemarie wurde ernsthaft und gab ihm kurze Antworten. Da Ludwig gutmütig war, so ahnte er, worin er gefehlt hatte. Er griff es das nächste Mal besser an, zeigte mehr Achtung vor dem Mädchen und sprach sein Wohlgefallen nicht in Worten, sondern in bescheiden zärtlichen Blicken aus. Dies wirkte. Die Wohlgestalt des jungen Bauers trat nun in ihr Recht ein; dem guten Mädchen ging bei seiner Huldigung das Herz auf und die Freude blickte aus ihrem Gesicht.

Ludwig mußte sich sagen, daß ihm eine solche Schönheit noch nicht vorgekommen sei. Er wiederholte seine Besuche. Bald fing er an Unruhe zu spüren, redete hier und da »aus dem Weg naus« und ließ seine Geschicklichkeit in der Ansprache sehr vermissen, was ihm aber bei Annemarie gar nicht schadete. Die jungen Leute waren glücklich sich zu sehen und zu fühlen, daß eins bei dem anderen etwas gelte.

Die erste Zeit einer entstehenden Liebe hat das Schöne, daß man noch nicht fragt, was daraus werden soll. Man hat sich noch kein Ziel gesetzt, darum sieht man auch noch keine Gefahren und Hindernisse. Ein Wohlgefallen aneinander haben darf man ja, man läßt daher seine Empfindung gewähren und freut sich und macht Freude. Diese erste Neigung wird auch noch von anderen begünstigt. Die Leute lächeln, wenn sie sehen, wie die beiden sich mit den Augen suchen und wieder zusammenzukommen trachten; sie gefallen sich darin, sie gemütlich zu plagen und eines mit dem anderen aufzuziehen. Und da es noch nicht zur Erklärung gekommen ist, so kann das Mädchen einem solchen Plagenden mit Wahrheit erwidern, er irre sich, oder er sei nicht gescheit. Aber in solchem Spiel webt sich aus dem ersten Wohlgefallen nach und nach ein Band, durch das man sich gefesselt fühlt. Es sammelt sich ein Schatz von Gefühlen und mehrt sich täglich, und wes das Herz voll ist, des muß der Mund übergehen.

* * *

Die Gelegenheit zur Erklärung gab eine Hochzeit, die nach Dorfsitte mit Essen und Trinken, Spiel und Tanz im Wirtshause gefeiert wurde. Nach überliefertem Brauche gehört der Tanzboden von Mittag bis Abend den Hochzeitsgästen. Hat aber nach der Abendmahlzeit und nach Abgabe der Hochzeitsgeschenke der Schullehrer eine Dankrede in Versen gehalten und mit seinen Zöglingen ein geistliches Lied gesungen, dann kündigt ein weltliches Lied, das ein kecker Bursche sich anzustimmen erlaubt, die Herrschaft der jungen Leute des Dorfes an. Die Hochzeitsgäste, zumal die aus anderen Dörfern, verlieren sich nach und nach, das Brautpaar wird von einem Teil der Musikanten nach Hause begleitet; der zweite Teil der Lustbarkeit, der »Ansing«, hat begonnen und die Jugend des Dorfes nimmt den verlassenen Raum ein.

Ludwig hatte der Hochzeit als Gast beigewohnt, aber wenig getanzt und überhaupt ein nachdenkliches Wesen gezeigt. Als er einmal allein dasaß, kam ein munteres Mädchen auf ihn zu und sagte: »Warum tanzt du nicht, Ludwig?« Er wußte nichts Gescheiteres zu erwidern, als daß es ihm nicht recht gut sei. Das Mädchen sah ihn an und sagte: »Die rechte Tänzerin ist nicht da. Aber hab' nur Geduld, sie wird heute abend noch kommen.« Ludwigs Gesicht erheiterte sich; er wußte allerdings, daß er sie erwarten durfte. – Nach dem Abendessen ging er nach Hause, vertauschte den Hochzeitsrock mit der Samtjacke, kehrte ins Wirtshaus zurück und setzte sich zu einem Burschen, der Regine, die Tochter des Bäckers, zum Schatz hatte und mit dem er daher in der letzten Zeit vertrauter geworden war. Bald erhielten die beiden einen Wink; sie gingen hinaus, und Hans führte Regine, Ludwig Annemarie unter die Tanzenden.

Wer sich den Moment vergegenwärtigt, wo er zum erstenmal die, welche er liebt, in den Arm fassen durfte, um nach dem fröhlichen Takt eines Walzers durch den Saal zu fliegen, der begreift das Glück des jungen Paares. Geflogen wurde hier freilich nicht; der Bauer bleibt beim Tanz mit seinen Füßen mehr auf dem Boden als der Städter, und kommt langsamer vorwärts; aber die Wirkung ist dieselbe. Es war eine Freude, den beiden zuzusehen. Sie waren ohne Vergleich das schönste Paar und tanzten auch am schönsten. Dabei war Ludwig so vergnügt, daß er, wie man zu sagen pflegt, den Mund nicht zusammenbringen konnte, und Annemarie lächelte selig in sich hinein. Jene Muntere, die mit ihrem Liebhaber wieder zum Tanz gekommen war, trat einmal zu ihm und sagte: »Ist dir jetzt wieder gut, Ludwig?« Und dieser hatte den Mut zu erwidern: »Jawohl, in meinem Leben wünsch' ich mir's nicht besser!«

Auf dem Dorfe tanzt man nicht Touren, sondern Reihen, und zwar deren so viel, als man wünscht und aushalten kann. Ein Bursche singt ein Lied vor – in Altbayern »Schnaderhüpfel«, im Ries »Schelmenliedle« genannt – und die Musikanten spielen es zum Tanz. Ist der Reihen aus, so führt der Bursche sein Mädchen gehend an der Hand, während ein neues Lied einen neuen Tanz einleitet. Diese Sitte verursacht manchmal Streit und die Spielleute kommen in große Not, wenn zwei tüchtige Burschen verschiedene Lieder singen und jeder verlangt, daß seins aufgespielt werde. In der Regel läßt indes einer dem anderen schon beim Singen den Vorrang und wird auch wohl beim Streite noch zum Nachgeben beredet. – Während man herumging, erklärte Ludwig der Geliebten die Frage jenes Mädchens und seine Antwort; und die Glückliche, die so deutlich sah, wieviel er auf sie hielt und wie ernst es ihm war, konnte sich nicht enthalten, ihm dankbar die Hand zu drücken.

Nachdem sie sich so ziemlich müde getanzt, führten die beiden Kameraden ihre Tänzerinnen in die Stube und boten ihnen zu trinken, worauf die Mädchen, um mit Goldsmith zu reden, »den Rand des Kruges küßten«. Man setzte sich zusammen, um zu plaudern. Ludwig hatte nicht bemerkt, daß während des Tanzes sein Vater auf der Stiege gestanden, ihn mit Annemarie gesehen und sehr verfinsterten Angesichts das Wirtshaus verlassen hatte. Ein boshafter Nachbar hatte ihm gesagt, sein Ludwig tanzte heute so schön, und der Alte, dem es ganz recht war, daß sein Sohn auch darin sich auszeichnete, wollte sich das Vergnügen machen, ihn zu sehen. War es ihm nun schon sehr fatal, ihn mit Annemarie tanzen zu sehen, von der man ihm gesagt, daß sein Ludwig ein Aug' auf sie habe, so ärgerten ihn noch mehr die zärtlich glücklichen Mienen des Paares. Er ging sehr verstimmt nach Hause, um zunächst der Ehehälfte seinen Verdruß mitzuteilen, am nächsten Morgen aber mit dem Burschen selbst ein ernsthaftes Wort zu reden. – Von alledem ahnte Ludwig nichts, seine Freude blieb daher ungestört. Nach einer Weile kam ein junger Bursche und forderte Annemarie zum Tanz auf. Ludwig sah ihn groß an und hatte gute Lust, ihm zu sagen, er solle sich fortscheren und eine andere suchen. Allein er besann sich, daß er dazu kein Recht habe, und ließ sie ziehen. Er sah dem Tanzen zu und freute sich an der sittigen Haltung Annemaries und an der Art, wie sie den etwas unbeholfenen jungen Menschen leitete. Als dieser, der sich gewaltig abgearbeitet hatte, den Schweiß von der Stirn wischte, trat Ludwig zu ihm und sagte: »Du bist müde, ich will dich ablösen.« Ohne weiteres nahm er das lächelnde Mädchen bei der Hand und mischte sich unter die Paare.

Den ganzen Abend tanzte er nur einmal mit einer andern, nämlich mit jener Muntern, weil er sicher war, daß sie ihn mit der Geliebten aufziehen und von ihr reden würde. Er kam Annemarie beinahe gar nicht von der Seite, und sie hatte dabei ein Ansehen, als ob's nie anders gewesen wäre. Beide waren in jener Stimmung, wo man ganz in dem Lichte seliger Empfindungen lebt, und das trunkene Auge in den Menschen umher nur Schattengestalten erblickt, die wie in einer andern Welt ihr Wesen treiben. Sie sahen nicht, wie man um sie her sich in die Ohren zischelte und den Kopf schüttelte; sie bemerkten nicht, wie die zwei langgewachsenen Töchter eines reichen Bauers, vor deren Augen Ludwig ebenfalls Gnade gefunden hatte und die mit Bruder und Vetter da waren, regelmäßig, so oft sie an dem glücklichen Paare vorübergingen, den häßlichen Mund verzogen, wodurch er keineswegs schöner wurde.

Endlich kam Mitternacht heran und die gesamte Jugend begab sich in die große Stube, um sich zum Schmause zu setzen. Ludwig blieb auf dem Tanzboden mit Annemarie zurück; die Talglichter waren herabgebrannt und der Raum beinahe dunkel. Er nahm die Geliebte bei der Hand und führte sie zum offenen Fenster, und beide blickten in die laue, trübe Mainacht hinaus. Nachdem sie eine kurze Zeit schweigend vor sich hingesehen, sagte Ludwig: »Was ist das für ein schöner Ansing! In meinem Leben bin ich nicht so vergnügt gewesen wie heute. Aber du,« setzte er herzlich hinzu, »bist auch die schönste und liebste Tänzerin, die man finden kann.« – »Mach mich nicht rot,« erwiderte sie und wurde rot vor Freude, »du tust mir zu viel Ehr' an.« – »Dir kann man gar nicht zu viel Ehr' antun,« rief Ludwig, um sein volles Herz durch Lobpreisung zu erleichtern, »du bist das erste Mädchen im ganzen Ries!«

Annemarie schwieg. Mit einem leisen Seufzer und als ob sie die letzten Worte nicht gehört hätte, sagte sie endlich: »Wenn ich deinesgleichen wäre!« – Sie wollte sagen: wenn ich die Tochter eines reichen Bauers wäre! – Ludwig, den Unterschied ohne weiteres zugebend, erwiderte: »Das ist mir einerlei, du bist mir die liebste, lieber als alle Bauerntöchter miteinander. In meinem Leben wünsch' ich mir keine bessere wie dich!« – Und er bekräftigte diese Beteuerung mit einem zärtlichen Händedruck.

Das war zu viel für das gute Mädchen. Sie erhob sich und sah ihn an. »Ach, Ludwig,« sagte sie mit einer Stimme, die vor Freude zitterte, und mit einem Tone, als ob sie ihre Worte keineswegs für ganz richtig hielte, »ach Ludwig, ich bin dich nicht wert!« – Statt aller Antwort faßte Ludwig sie um den Hals und drückte einen herzlichen Schmatz auf die schönen Lippen, die nicht in der Stimmung waren, sich zu weigern, sondern vielmehr gleich darauf das schöne Geschenk dankbar mit Zinsen zurückgaben. Niemand war Zeuge dieses Vorgangs. Es war ganz dunkel geworden. Nur die feuchten Augen der Glücklichen leuchteten gegeneinander.

Regine trat aus der Stube, sie zu suchen: Annemarie eilte zu ihr und ging mit ihr zurück. Ludwig kam später nach, strahlend vor Vergnügen. Er ließ in der Freude seines Herzens eine Flasche Wein kommen und auftragen, was gut und teuer war. Die beiden Langgewachsenen wurden gelb vor Neid und Ärgernis.

Nachdem in der ganzen Stube die Messer und Gabeln beiseite gelegt waren, begannen die Spielleute »auf den Tisch hineinzumachen«, nämlich Musik. An jedem Tisch pflegt der Bursche, der's versteht, ein längeres Lied vorzusingen; die Musikanten setzen einen zinnernen Teller auf den Tisch und spielen das Lied nach. Wenn dies ein paarmal geschehen, so wirft jeder Bursche mit Art ein Geldstück auf den Teller – größer oder kleiner, je nachdem es die Ehre und der Beutel leidet – und die Musikanten treten zu einem andern Tisch, um eine neue Ernte zu halten. Der Meister der jungen Leute ist hier derjenige, der mit einem neuen Liede auftreten kann. Denn auch auf dem Lande will man nicht immer dasselbe, sondern was Frisches hören und seine Kenntnisse bereichern. Gewisse alte Volkslieder, die jetzt in gebildeten Kreisen Glück machen, sind bei solchen Gelegenheiten geradezu verpönt; und als diesmal der junge Mensch, der mit Annemarie getanzt hatte, sich ein Ansehen gab und begann:

Es steht ein Wirtshaus an dem Rhein –

brach ein allgemeines Gelächter aus. »Das hast du wohl von dei'm Äh'le (Ähnlein, Großvater) gelernt!« rief ihm einer zu, und eine runde Dirne an seinem Tisch sagte mit mütterlichem Ausdruck: »Besinn' dich auf ein anderes, Jakob; so ein junger Mensch darf kein so altes Lied singen!« Dem verdutzten Jungen fiel jedoch nichts ein, so sehr er auch in die Luft hinstarrte, als ob es dort abzulesen wäre. Er mußte es einem andern überlassen, die Ehre des Tisches zu retten.

Die Zeit nach dem Essen ist überhaupt die, wo verschiedene Späße losgelassen werden. Ein anderes Bürschchen, das zum erstenmal bei einer solchen Gelegenheit war, sang ein bekanntes Lied in herzbrechend falschen Tönen; ein geschickter junger Klarinettist kopierte ihn Ton für Ton, was große Heiterkeit verursachte und dem Musikanten von den »Ausgelernten« großes Lob zuzog. Der junge Bursche kam zum erstenmal über seinen Gesang zur Erkenntnis und wurde rot. Ein alter Musikus mit gemütlicher Kupfernase, der das Horn blies, sagte schmunzelnd: »Laß dich nicht irremachen, Mathes, und halt's nur immer recht mit den Musikanten, dann erleb' ich's noch, daß du die andern alle herunterstichst.« Das Bürschchen, das nicht dumm war, verstand den Wink; um sich wenigstens auf eine Art auszuzeichnen, nahm er aus seinem nagelneuen ledernen Beutelchen das Doppelte heraus, was er erst hatte geben wollen, nämlich zwei Sechsbätzner, und warf sie in den Teller, daß es klang. »Siehst du,« sagte der geriebene alte Hornbläser, » der Ton ist schon besser!«

Zuletzt kamen die Musici an den kleinen Tisch, wo Ludwig mit Annemarie, Hans und Regine saß, und spielten eine kleine Einleitung. Über das Gesicht des jungen Bauers verbreitete sich ein wohlgefälliges Lächeln. Er hatte von Augsburg ein Lied mitgebracht, das wenigstens für die anwesende Gesellschaft vollkommen neu war, und wollte sich nun gehörig damit zeigen. Als die Musik zu Ende war, setzte er sich in Positur und hub an:

Wir winden dir den Jungfernkranz
Mit veilchenblauer Seide usw.

Allgemeinste Aufmerksamkeit! Die Musikanten, der Klarinettist voran, fanden sich bald in die einfache Weise und nach einigen Mißtönen ging's. Der Erfolg war außerordentlich. Als unter vollkommener Stille das letzte »G'setz« gesungen war, riefen einige Mädchen: »Ah, das ist aber schön!« und sahen mit einer Art von Andacht auf Ludwig. Mehrere Bursche kamen herbei und sagten, das müßten sie auch lernen. Der Sänger wurde der Mittelpunkt der Gesellschaft. Er mußte auf allgemeines Verlangen sein Lied wiederholen und erntete noch größeres Lob. Seine schöne Nachbarin errötete aufs neue bei den bedeutungsvollen Worten »Jungfernkranz« und »Freiersmann« und zeigte die liebenswürdigste Freude über den Sieg ihres Tänzers. Dieser wollte nach einem solchen Triumph im Singen keinen neuen Versuch mehr machen. Aber noch blieb etwas übrig, was seinen Effekt nicht verfehlen konnte. Er griff ruhig in die Tasche und legte, als wär' es ihm nichts, einen Kronentaler auf den Teller. Der Kamerad mußte nun ein übriges tun und legte wenigstens einen halben dazu. Die Gesichter der Musikanten leuchteten. Sie setzten mit Leidenschaft einen Marsch darauf, der wie ein Tusch klang, und der Hornist blies, daß ihm beinahe die Backen platzten. Als das Stückchen zu Ende war, strich er das Geld ein und sagte mit schelmischem Schmunzeln: »Bleibt gesund, bis ihr's wiederkriegt!«

Es war ein Uhr geworden und die meisten jungen Leute fingen wieder an zu tanzen. Auch Hans zeigte Lust dazu, aber Regine erklärte, sie und Annemarie müßten nach Hause. Die Mädchen nahmen Abschied und Annemarie dankte Ludwig gar schön für die Ehre, die er ihr angetan habe. Sehr gern hätten die Verliebten ihre Mädchen nach Hause geführt, aber die Bäckerstochter bestand darauf, daß sie hier bleiben sollten. Sie durften ihnen nur auf der Treppe noch die Hand geben und gute Nacht sagen.

Ludwig ging in die Stube zurück, um das letzte Glas Wein auszuschlürfen. Er war aber heute zu glücklich gewesen, als daß nicht ein Dämon sich gereizt fühlen sollte, in den Honigtrank einige Tropfen Galle zu mischen; und so trat denn ein solcher in der Gestalt des Vetters der beiden Langgewachsenen zu ihm und sagte: »Du hast dich ja heute recht lustig gemacht, Ludwig. Allen Respekt vor deinem Tanzen und Singen! Dein Vater hat dich mit der schönen Annemarie auch einmal tanzen sehen, aber dem scheint's nicht gefallen zu haben, denn er ist gleich wieder fortgegangen.« Diese boshaften Worte gaben Ludwig einen Stich ins Herz und jagten ihm das Blut ins Gesicht. »Meinetwegen!« erwiderte er trotzig; der andere, der seinen Zweck erreicht hatte, ging vergnügt auf den Tanzboden. Alles, was mit seinem Glück in Widerspruch trat, stellte sich dem armen Burschen gespenstisch vor die Seele, und eine große Unruhe befiel ihn. Allein für heute war der Strom der Freude noch zu mächtig und die Sorge wurde von ihm hinweggespült. Eine halbe Stunde später ging er nach Hause, glücklich im Nachgefühl des Erlebten.

Nach einem unruhigen Schlaf erwachte Ludwig zur gewöhnlichen Zeit. Sein Bruder, der in derselben Kammer schlief, schnarchte noch, obwohl er gestern schon bald nach Verzehrung des Bratens, den Ludwig vom abendlichen Hochzeitsmahl nach Hause gebracht hatte, zu Bette gegangen war. Als unser Freund überdachte, was gestern geschehen war, fing sein Herz an zu klopfen. Freude und Angst erhoben sich und wechselten in seinem Herzen, bis die Angst zuletzt die Oberhand gewann. Eine Zeitlang ließ er sich ruhig von ihr quälen; dann faßte er einen Entschluß, kleidete sich an und ging mit festem Schritt, dem man aber doch das Absichtliche ansah, in die Stube hinunter. Die Morgensonne schien durch die Fensterscheiben und die friedliche Scene bildete einen eigenen Kontrast zu der Verwirrung in seinem Herzen. Er ging in ›das Kanzlei‹, das in den Bauernhäusern gewöhnliche Nebenstübchen zum besonderen Gebrauch der Familie, von der Stube durch eine hölzerne, mit brauner Ölfarbe bestrichene Wand getrennt, welche mit der einen Seite des Ofens zusammenzulaufen pflegt. Der Vater saß an dem Wandtisch mit tiefernstem Gesicht und die Mutter brachte eben den Kaffee. Ludwig bot ihnen mit etwas unsicherer Stimme Guten Morgen und setzte sich zum Frühstück. Zu gleicher Zeit kamen die ›Ehehalten‹ (Knechte und Mägde) in die Stube, um die Morgensuppe zu verzehren. Der Oberknecht und die Magd waren auf dem Ansing gewesen; sie blinzelten sich nun zu und sahen auf das Kanzlei mit jenem Vergnügen, welches die schwache menschliche Seele zu empfinden pflegt, wenn unter Höherstehenden ein skandalöser Streit zu erwarten ist. Allein der Angerbauer war nicht der Mann, sich und seine Familie preiszugeben, wenn der Zorn über seinen Verstand nicht Herr wurde. Er wartete mit der Anrede, die er Ludwig zudachte, und erst als der letzte der Ehehalten die Stube verlassen hatte, begann ein Dialog, den wir, um den Lesern eine kleine Probe davon zu bieten, in dem Rieser Dialekt wiedergeben wollen.

Der Alte sagte mit bitterm Spott: »No, du host de ja gestert recht aufg'führt! Machst mer a rechta'n Ehr, des muß i saga! Aufm A'seng, wo Bauratöchter send, tanzst du da' ganzen Obed mit'r Magd! Und net gnuag damit, setzst sie oh no' neba' de he' und regalierst sie!« – Ludwig, der sah, daß dem Vater schon geplaudert worden war, und die Tatsache nicht leugnen konnte, hing sich an ein Wort und sagte: »No, a Magd ist sie grad net!«

Der Angerbauer fuhr auf und blickte ihn mit drohenden Augen an. »Schweig', sag i d'r! Mag sie sei', was sie will, sie ist net dei'sgleicha', und es ist a Schimpf und a Schand, daß du di so mit'r ahgeba' host! Wann du d's Nuibaurs Bäbe« (die Reichste im Dorfe) »so traktiert hättst, so wär's o'schickleng g'wesa'! Was wird die Ev' saga' und ihr Vater? Die weara' se recht fräa', wenn se höara', wie du di aufg'führt host, und« (setzte er verächtlich hinzu) »mit weam!«

Der Angefahrene war von diesen Worten sichtlich getroffen. Er wußte nichts Besseres zu seiner Entschuldigung zu sagen als: »Sie tanzt so guat!« – »Tanzt so guat!« rief der Alte mit grimmigem Lachen. »Ist des a'n Ausred? Tanzet ander Mädla' net oh guat? Muaß ma dorom a herg'loffens Mädle mit Wei' traktiera? Pfui, schäm di!« – Er war aufgestanden und wendete dem Schuldigen den Rücken zu.

Sein Zorn hatte offenbar den jetzt möglichen höchsten Grad erreicht. Ludwig, entrüstet über den Ausdruck ›herg'loffens Mädle‹, und fühlend, daß jetzt überhaupt nicht mehr mit ihm zu reden sei, verstummte und sah finster vor sich hin. – Nach einer Weile drehte sich der Alte wieder zu dem Tisch und sagte: »I will me ietz net verzürna! G'scheha'n ist g'scheha'! Der dumm Stroëlch ist g'macht! Aber,« setzte er mit drohend erhobenem Zeigefinger und mit entsprechend verstärktem Tone hinzu, »des rot i d'r in Guatam: loß mi so ebbes net widder höara! Denn sonst – – du kennst mi!« – Er wendete sich ab und verließ mit festen Schritten die Stube.

Man sieht, der Vater war nur über das öffentliche Ärgernis entrüstet, welches Ludwig gegeben, und strafte nur dieses. Daß sein Sohn auf Annemarie ernstliche Absichten haben und um ihretwillen die Eva lassen könnte, das kam ihm gar nicht in den Sinn. Hätte er Ursache gehabt, an so etwas nur zu denken, so wäre natürlich ein ganz anderer Sturm losgebrochen.

Der Delinquent atmete auf; denn im Grunde war er noch gut weggekommen. Von der Mutter fürchtete er wenig. Er war ihr Liebling und wußte, daß Frauen solche Verirrungen des Herzens überhaupt glimpflicher aufzufassen pflegen. Er täuschte sich nicht. Während der Alte sprach, hatte die Mutter zu wiederholten Malen ernsthaft mit dem Kopfe genickt, dadurch ihr vollkommenes Einverständnis an den Tag legend. Als er fort war, nahmen ihre Züge einen milderen Ausdruck an, und den Sohn bei der Hand fassend begann sie: »Aber ietz sag' m'r nor, Ludwig, wie ist's mögleng, daß du di so host vergessa' und dei'm Vater und mir so ebbes a'toa' könna?«

Ludwig hatte seinen ganzen Humor wieder. Da er noch keinen Plan über die Zukunft gemacht hatte, nach welchem er handeln konnte, so folgte er instinktmäßig dem Trieb, sich mit seinen Eltern wieder gut zu stellen, und sagte, allerdings nicht sehr ritterlich: »Du woëst ja, Muater, wie's oëm got, wama lusteng ist und Bier und Wei' im Kopf hot!« – »Jawohl,« versetzte die schon halb begütigte Mutter, »aber was z'viel ist, ist z'viel! Die ganze Nacht mit oëm Mädle z'tanza, die oën nex a'got! I hätt' di wärle für g'scheiter g'halta'!« – »I hab' d'r ja scho' g'sakt,« erwiderte Ludwig, »sie tanzt so guat; und,« fügte er nicht ohne schlaue Absicht hinzu, »i hab g'seha', daß sie oh geara' mit mir tanzt!«

Die Angerbäuerin konnte nicht umhin, heiterer auszusehen. Sie hielt natürlich ihren Ludwig für den schönsten und geschicktesten Burschen in der ganzen Umgegend, und daß er den Mädchen so sehr gefiel, konnte ihr nichts weniger als unangenehm sein. Sie sagte daher mit dem Lächeln einer etwas eiteln Mutter: »Des glob' i, daß se so a Mädle frät, wann du mit'r tanzst; aber des ist koë Entschuldigung für di!« – Eine bessere Regung machte sich in ihr geltend und sie fügte hinzu: »Die Annemarie ist zu guet dafür, daß so a junger Mensch 'n Spaß mit ihr macht. Sie ist brav und ordentlich und 's wird se g'wiß a passender Ma' für se finda'. Es wär a Sünd und a Schand, wann du ihr da' Kopf verdreha' und sie ins O'glück brenga' tätst!« – »No,« sagte Ludwig, »so arg wird's net weara'!« – Mit Eifer versetzte die Mutter: »I hoff's oh net! Du host dein' Vater g'höart und woëst, er hält was 'r sakt! I hoff, 's ist dei' letzta' Dummheit g'wesa'!« – Ruhiger setzte sie hinzu: »So, ietz gang naus zu dei'm Vater und Mach'n Widder guat!«

Ludwig folgte diesem Rat. Er fand Gelegenheit seinem Vater bei einer Arbeit zu helfen, und da sie notwendig miteinander reden mußten, so stellte sich zwischen ihnen bald wieder ein äußerlich friedliches Verhältnis her. Als später dem Angerbauer noch einige Einzelheiten vom Ansing zu Ohren kamen, hatte ihn die Mutter schon durch die Versicherung beruhigt, daß es nichts als der Narrenstreich eines jungen Menschen gewesen sei, der etwas im Kopfe gehabt habe. Er verschluckte daher diese nachträglichen Pillen, so bitter sie ihm auch schmeckten. Seine Gedanken waren: »Der Mensch muß mir aus dem Haus, und das sobald als möglich! Mein Andres, das weiß ich, wird mir keine solchen Streiche machen!« Auch die Mutter faßte den Entschluß, alles zu tun, um die Heirat Ludwigs mit Eva zu beschleunigen. »Hätte der alte Narr,« sagte sie in ihrem Verdruß, »den Hof abgegeben, so hätten wir diesen Ärger nicht!« Sie wollte aber nun gerade aus dem Vorgefallenen die Gründe schöpfen, die den Vater Evas zum Nachgeben bewegen sollten.

Einige Tage vergingen, ohne daß etwas Besonderes vorfiel. Auch auf dem Dorfe pflegt der artige junge Mann die Tänzerin, die er auszeichnete, den andern Tag gelegentlich zu begrüßen und sie zu fragen, wie ihr das Tanzen bekommen sei. Aber Ludwig mußte Scheu tragen, dies zu tun; auch war er nicht in der Gemütsverfassung dazu. In seinem Herzen stiegen Gedanken auf, die sich wechselseitig bekämpften, seinen Geist verwirrten und ihn zu keinem Entschluß kommen ließen.

Der guten Annemarie war sein Ausbleiben nicht so unlieb, als man denken mochte. Ihr war es ergangen wie ihm. Glückselige und bange Gefühle wechselten auch in ihrem Herzen, und die bangen überwogen zuletzt. Sie dachte an den stolzen Angerbauer, an den Unterschied des Vermögens und Standes, an das Gerede mit der Eva, und schüttelte mit betrübter Miene den Kopf. Indem die Bilder jener Nacht vor ihre Seele traten, machte sie sich Vorwürfe, zu weit gegangen zu sein. Es lastete etwas auf ihr, als ob sie eine Sünde begangen hätte; und dieses Gefühl wurde dadurch nicht gemindert, daß ein und das andere Mädchen sie mit Ludwig in einer Weise zu plagen begann, die nicht mehr von der Lust zu scherzen, sondern offenbar vom Neide eingegeben war. Selbst Regine sah bedenklich aus, als ob sie mit sich selber unzufrieden wäre, und der Vormund ließ Reden fallen von Leichtsinn und Hoffart, die zu nichts Gutem führen würden!

Es hatte den Anschein, als ob eben durch das gesprochene Wort der Traum des Glücks für immer zerstört und die innigste Annäherung der beiden Herzen auch die letzte gewesen wäre. – Aber die Liebe, die zwei junge Seelen ergriffen hat, kann von den Bedenklichkeiten des Lebens nicht so leicht unterdrückt werden. Die bänglichen und peinlichen Gefühle mildern sich und verschwinden mit der Zeit, die Liebe bleibt. Die erst so trüben Vorstellungen verlieren nach und nach ihr Schreckendes, die Liebe gewinnt an Mut – und das Menschenkind, das glücklich sein will, folgt wieder dem Zug des Herzens.

Als der fünfte Tag verflossen war, konnte Ludwig seinem Verlangen, Annemarie zu sehen, nicht länger Widerstand leisten. Er ging in das Haus des Bäckers, indem er sich vornahm, diesen, der am Gärteln sein Vergnügen hatte und nach Art solcher Leute seine Liebhaberei gern weiter verbreitete, um Blumensamen zu bitten. Die Täuschung war nicht nötig, Annemarie war allein zu Hause. Nach einigem Stottern von seiner und Erröten von ihrer Seite waren die liebenden Herzen bald wieder einig. Man rühmte jene Nacht, wo es so schön gewesen sei; das damals empfundene Glück lebte wieder in ihnen auf, und die Augen bestätigten, was sich die Lippen verkündigt hatten. Die Liebe zog wieder als Herrscherin in ihre Seelen und alle entgegenstehenden Gedanken wurden daraus vertrieben. Die Reue, welche die Geängstigten gefühlt, die Vorwürfe, die sie sich gemacht – alles war vergessen. Sie freuten sich eins am andern, und es war ihnen, als ob sie gar nichts Besseres und Schöneres tun könnten.

Für diesmal konnte ihr Zusammensein nicht lange dauern. Annemarie erwartete den Bäcker und mahnte den Geliebten, sie zu verlassen. Ludwig fragte, ob er sie denn nicht einmal ungestört sehen könnte, er hätte noch so viel mit ihr zu reden. Annemarie sah ihn an; die blauen Augen baten so schön und blickten so treu auf sie her. Nach einigem Zögern erwiderte sie mit leiserer Stimme: »Nächsten Sonntag nachmittag geht mein Vetter mit Regine nach Wallerstein; sie werden spät wiederkommen; in der Abendstunde, wenn's dunkel geworden ist, will ich in unserm Garten auf dich warten!« Ludwig drückte ihr hocherfreut die Hand. Annemarie setzte hinzu: »Es ist vielleicht nicht recht, was ich tue; aber du willst es haben und es macht dir Freude.« Was konnte Ludwig anders, als die Lippen, die so liebliche Worte gesprochen, entsprechend belohnen?

Er kam unbemerkt aus dem Hause. Wie bisher sein trübseliges, so fiel seinen Eltern jetzt sein vergnügtes Wesen auf, aber sie legten es zu ihren Gunsten aus. »Hab' ich dir's nicht gesagt?« bemerkte die Mutter dem Alten. »So etwas geht bei jungen Leuten schnell vorüber. Sei nur ruhig, es wird noch alles recht werden!«

Der Garten des Bäckers war infolge der erwähnten Liebhaberei nach dem des Pfarrers der schönste im Dorfe und der Stolz des Besitzers. Er teilte sich in Gemüse- und Baumgarten, und in dem ersteren war den Blumen ein größerer Platz eingeräumt, als es bei dem wirtlichen Sinn der Landleute sonst der Fall zu sein pflegt. Eine ziemlich hohe dichte Hecke grenzte das Ganze von den Feldern, zunächst aber von dem Fußweg ab, der sich an dieser Seite des Dorfes hinzog und auf welchen eine hölzerne, für gewöhnlich verschlossene Tür führte. Durch diese Tür, die heute nur aufgeklinkt zu werden brauchte, trat Ludwig zur verabredeten Stunde in den Garten, und bald saßen die Liebenden auf einem hölzernen Bänkchen unweit der Hecke und des Hauses in traulichem Geplauder. Sie konnten sich diesem in der Tat mit einer gewissen Sicherheit hingeben, denn wie nach dem Felde zu die Hecke, so schützten gegen das Dorf das längliche Bäckerhaus und mehrere Scheunen, in denen jetzt wohl kein neugieriges Auge zu fürchten war. Der Abend war sehr schön. Von dem reinen Himmel blinkten schon einzelne Sterne, während von Westen her die golden-grünliche Helle sich über ihn ergoß, die Verheißung der untergegangenen Sonne, daß sie morgen einen schönen Tag bringen werde. Die Bäume standen in voller Blüte und hier und da glänzte einer her wie ein großer weißer Strauß. Die Luft war leicht bewegt und voller Wohlgerüche. Rings herrschte vollkommene Stille und nur Maikäfer surrten zuweilen über die Köpfe der Liebenden hin, um die größere Gesellschaft auf den Bäumen aufzusuchen.

Unserem Pärchen war es über alles heimlich zu Mute. Ludwig rühmte den Garten, die Blumen, den schönen Abend. Sie sprachen von diesem und jenem. Bald kamen sie wieder auf den ›Ansing‹, und Ludwig scherzte über den jungen Burschen, der mit Annemarie getanzt und »sich geplagt habe, als ob er im Taglohn arbeite«. »Der arme Kerl dauerte mich,« setzte er hinzu, »darum kam ich so schnell und löste ihn ab.« Das Mädchen lächelte, sie wußt' es besser. Beide erinnerten sich jetzt verschiedener Gesichter, die um ihretwillen geschnitten worden waren, und die Ausdrücke von Ärger und Neid kamen ihnen sehr lustig vor. Sie übten für das Geschwätz, das über sie ergangen war, eine gemütliche Wiedervergeltung, indem sie einzelne Exemplare durchhechelten, wie es gutmütige Menschen in fröhlicher Laune tun. Ludwig fragte dann, ob's denn wahr sei, daß Hans und Regina bald Hochzeit machen wollten. Annemarie erwiderte, soviel sie wisse, auf den Herbst. Dies brachte sie auf ernstere Gedanken. Nach einem Weilchen fragte sie errötend und mit einem gewissen schüchternen Lächeln: »Ist's denn wahr, daß dein Vater will, du sollst des Kirchbauers Eva heiraten?« Ludwig antwortete: »Jawohl hat er so was im Sinn gehabt; aber mir ist's nie rechter Ernst gewesen und jetzt denk' ich nimmer dran.« Annemarie wurde vor Vergnügen noch röter. Dann sah sie vor sich hin, wie wenn sie über etwas nachdächte, und unwillkürlich entschlüpfte ihr wieder das Wort: »Wenn ich doch ein reiches Mädchen wär'!« Ludwig faßte ihre Hand und sagte herzlich: »Es kann nicht alles beisammen sein! Du bist die Schönste und die Beste und die Geschickteste, die ich kenne – das ist mehr wert als Geld!«

Annemarie sah ihn dankbar an und schwieg. Dann sagte sie: »Ist dein Vater wirklich so stolz, wie die Leute sagen? Verzeiht mir diese Frage!« – »Mein Vater weiß, was er ist,« antwortete Ludwig, »und läßt sich nichts nehmen. Aber er ist ein braver und gescheiter Mann und gibt auch andern ihre Ehre. Meine Mutter ist gut und hält alles auf mich.«

Das Mädchen schüttelte den Kopf. Wie verliebte Herzen einmal alles fürchten, dann wieder alles hoffen, so war es ihr die letzten Tage her nicht ganz unmöglich vorgekommen, daß sie doch noch Ludwigs Frau werden könnte. Sie hielt etwas auf sich und glaubte, um ihretwillen könnte wohl eine Ausnahme von der Regel gemacht werden. Aber nun wurde durch das Bild des Angerbauers, dessen Stolz der Sohn zugeben mußte, ihre Hoffnung wieder sehr erschüttert. Sie seufzte und sagte mit leiserer Stimme: »Ich fürchte mich vor deinem Vater, Ludwig, und sehe nicht, was aus uns beiden werden soll!«

Ludwig, der durch die feuchten Augen in das Herz des Mädchens sah, wurde gerührt, Liebe und Großmut loderten in ihm auf. Er legte wie schützend den Arm um sie und sagte mit dem herzlichsten Tone: »Mach dir das Herz nicht schwer, Annemarie! Ich hab' dir gesagt, daß du mir die Liebste auf der Welt bist, und ich sag' dir's noch einmal. Vertrau' auf mich und sorg' nicht! Was ich mir ernstlich vornehme, das setz' ich auch durch – darauf verlaß dich!« – »Ich vertraue dir,« sagte Annemarie, »denn sonst hätt' ich das auch nicht für dich getan. In meinem Leben bin ich noch mit keinem ledigen Bursch zusammengekommen. Aber dich hab' ich so lieb, daß ich tun muß, was dich freut – ich kann mir nicht anders helfen!« – Entzückt über dieses Geständnis, sah Ludwig das schöne Mädchen an; Tränen traten in seine Augen; sie mit seinen Armen umschlingend, rief er aus: »O du liebes, liebes Mädchen! – in meinem Leben lass' ich dich nicht!«

Dieser innige Ausruf weckte ein seliges Gefühl in dem Herzen Annemaries, zu gleicher Zeit warf er aber Schrecken in ein anderes. Diejenige, für welche diese Worte am wenigsten bestimmt waren – die Mutter Ludwigs, hatte sie vernommen, klar und deutlich vernommen.

Die Angerbäuerin war im oberen Dorf auf Besuch gewesen und hatte sich verspätet, indem sie zwar zur rechten Zeit in der Stube Abschied genommen, aber auf der Haustreppe mit der Freundin von neuem und erst recht wieder ins Gespräch gekommen war. Da der Fußweg am schnellsten nach Hause führte, so schlug sie diesen ein. Als sie an der Hecke des Bäckergartens hingehend ein leises Reden vernahm, horchte sie, und das Ohr der Mutter erkannte gar bald die Stimme des Sohnes. Die letzten Worte, bei welchen die Leidenschaft den Ton vorsichtig zu dämpfen vergaß und von denen ihr keine Silbe entging, sagten ihr alles. Sie erschrak heftig und zitterte an allen Gliedern. Hatte sie doch soeben noch der Freundin versichert, daß an dem Geschwätz wegen der Annemarie gar nichts sei und ihr Ludwig bald Kirchbauer sein werde. Sie glaubte vor Scham und Verdruß in die Erde sinken zu müssen. Da sie nicht mit sich einig werden konnte, was sie beginnen sollte, und im Garten Stille eingetreten war, ging sie weiter. Der Schrecken in ihrem Herzen machte dem Zorn Platz. Sie so schändlich anzuführen, zu dem Mädchen zu gehen wider ihr ausdrückliches Verbot, und ihr so gottvergessene Dinge zu sagen! Bevor sie noch in ihren Hof trat, war ihr Entschluß gefaßt. Sie schwieg still und ließ sich nichts anmerken, weder vor dem Vater noch vor dem Sohn, der nicht lange nach ihr heimkam.

* * *

Den andern Morgen, als der Angerbauer eben das Haus verlassen hatte und Ludwig ihm folgen wollte, sagte die Mutter, sie habe noch etwas mit ihm zu reden. Sie führte ihn ins Kanzlei zurück und sagte, gerade auf das Ziel losgehend: »Du bist gestern abend bei der Annemarie gewesen!« – Darauf war Ludwig nicht gefaßt. Er verlor etwas die Farbe und stammelte: »Wie sollt' ich!« – Aber die Mutter fiel ihm in die Rede: »Leugn' es nicht, ich hab' mit meinen eigenen Ohren gehört, was du ihr gesagt hast!« – Und indem sie ihn mit bekümmert erzürntem Blick ansah, fuhr sie fort: »Es hilft also kein Reden an dir, du willst dich mit Gewalt ins Geschrei bringen – und ein unerfahrenes Mädchen durchaus unglücklich machen!« '

Bei diesem Vorwurf sammelte sich der Betroffene wieder. Er erwiderte:. »Wer sagt das? Ich hab's ganz anders mit ihr im Sinn!« – »Wie soll ich das verstehen?« – »Wenn ich sie nun heiraten wollte?« – Die Mutter, auf eine solche Rede gefaßt, zuckte die Achseln und sagte: »Du bist nicht gescheit!« – Ludwig aber versetzte mit Ernst: »Ich weiß es, mit keiner würd' ich so glücklich leben wie mit der Annemarie. Gerade die gefällt mir, und sonst keine andere!«

Die Augen der Angerbäuerin funkelten. »Wie!« rief sie aus, »das unterstehst du dich mir zu sagen – du, der du mit der Ev' so gut wie versprochen bist?« – »Davon weiß ich nichts,« sagte Ludwig. – »So, davon weißt du nichts? – Nun merk auf, was ich dir sag': wenn du von diesen dummen Gedanken vor deinem Vater nur ein Wörtchen merken läßt, so bringt er dich um! Das ist der Rechte, sich von einem Kind so etwas gefallen zu lassen!«

Der Sohn erkannte das Gewicht dieser Worte und schwieg. Dann sagte er in traurigem Ton: »Ich hätt' gedacht, du zum wenigsten würdest nicht so hart gegen mich sein und dich meiner annehmen gegen ihn.« – »So,« rief die Mutter, »auf mich hast du dich verlassen? Du kennst mich also noch nicht, wie es scheint. Ich sag' dir's jetzt ein für allemal: nie werd' ich zu einer solchen Heirat meine Einwilligung geben! Ich will nicht, daß mein Sohn durch seinen Unverstand sich unglücklich macht und der ganzen Freundschaft einen Schimpf antut! Wenn du nicht von diesem Augenblick an das Karessieren mit dem Mädchen aufgibst, sag' ich's deinem Vater und du wirst sehen, was dann geschieht! – So, jetzt kennst du meine Meinung und kannst dich danach richten!« – Nach diesen Worten verließ sie die Stube, indem sie die Tür um ein gutes unsanfter zumachte als gewöhnlich.

Es ist eine bekannte Sache, daß der Widerstand, den wir auf dem Wege zu einem ersehnten Ziele erfahren, unsern Eifer und Mut, dahin zu gelangen, oft nur steigert. Zuweilen bewirkt er aber das Gegenteil: er führt zu einer Erwägung, in der uns das Ziel als ein unerreichbares erscheint, so daß wir uns, wenn auch mit schwerem Herzen, zum Rückgang entschließen.

Die menschliche Seele ist ein eigen Ding. Namentlich sind die weicheren für die Eindrücke des Entgegengesetzten empfänglich, und wenn sie eine Zeitlang sich ausschließlich nach einer Seite gewendet haben, so werden sie dadurch nur um so offener gegen die andere. Dies sollte nun auch Ludwig erfahren. So erzürnt war seine Mutter nie gewesen, so heftig hatte sie nie gegen ihn gesprochen. Er fühlte aufs tiefste, daß er sie nicht zum Nachgeben bewegen würde; – und wie sollt' ihm das erst bei seinem Vater gelingen!

Die Gründe, aus denen beide gegen eine solche Verbindung sein mußten, stellten sich ihm dar, und er war so sehr Bauer und Sohn seiner Eltern, daß er ihre Vernünftigkeit nicht bestreiten konnte. Annemarie war die Tochter und Verwandte von Söldnersleuten, das heißt sie gehörte einem Stande an, über dem sich der Bauer ebenfalls ebenso erhaben fühlt wie der Adelige über dem Bürgerlichen. Der Bauer hat einen Hof mit Haus und Stadel und zusammengehörigen Feldgütern, er besitzt Rosse und Rindvieh in gehöriger Anzahl und hält sich Knechte und Mägde. Der Söldner hat nur ein Haus, wenige Grundstücke, kein Roß, höchstens einiges Vieh. Um sich besser durchzubringen, lernt er ein Handwerk und hilft dem Bauer bei der Ernte, wodurch geringere Söldnerfamilien zu gewissen Höfen in eine Art von Klientenverhältnis kommen. Daß der Bauer sich nun als zu einer höheren Menschengattung gehörig ansieht, ist beinahe so natürlich als das Bewußtsein des Aristokraten gegenüber dem Bürgerlichen. Das Vermögen übt freilich auch hier eine ausgleichende Macht, und wenn der Söldner empor, der Bauer heruntergekommen ist, so wird die Verbindung der Familien wieder möglich. Aber auch so kann sich der traditionelle Stolz noch wehren, und mir ist ein Fall bekannt, wo ein verschuldeter alter Bauer nur mit größter Mühe zu bewegen war, seinen Sohn eine wohlhabende Söldnerstochter heiraten zu lassen, indem er den Verwandten, die sie herausstrichen, immer wieder antwortete: »Es ist doch keine Bauerntochter!« – Bei Ludwig und Annemarie kam zu diesem Mißverhältnis noch der große Unterschied des Vermögens, da sie kaum den achten Teil desjenigen besaß, was er nur vorläufig mitbekommen sollte; endlich die Anknüpfung mit Eva. – Der Kopf des jungen Menschen brannte, nachdem er alles überlegt hatte, und an seine Eltern denkend rief er mit Verzweiflung aus: »Sie tun's nicht, sie tun's nicht!«

Das Bild des Mädchens stand so schön und lieb vor seiner Seele wie jemals. Er hatte ihr gestanden, wie gern er sie habe, hatte ihr gesagt, sie solle ihm vertrauen, und er wolle nicht von ihr lassen. Aber wenn seine Eltern ihre Einwilligung verweigerten, so machte er Annemarie nur unglücklich – und durfte er das? Ein förmliches Versprechen hatte er ihr nicht gegeben. Bis jetzt war es eben ein Liebeshandel, wie es so manchen gibt in der Welt, ohne daß es zum Heiraten kommt; ein Liebeshandel, wo man gar vieles spricht, was man nicht halten kann, ja nicht einmal darf. Andere hatten ganz andere Verpflichtungen gehabt als er gegen Annemarie, und doch zuletzt ihresgleichen geheiratet. Auf der andern Seite – war es denn gewiß, daß Annemarie die Sache so schwer aufnahm? Vielleicht tröstete sie sich bald, heiratete einen andern und wurde glücklich. Wenn das Herz Ludwigs diesen Gedanken widersprach, so mußte er sie sich doch machen, und sie taten ihre Wirkung.

Ein Entschluß mußte gefaßt werden. Er hatte mit Annemarie eine neue Zusammenkunft verabredet, und er durfte sich nicht einfinden, wenn er sich nicht entschieden hatte, seinen Eltern zu trotzen. Als er nochmals alles hin und her überlegte, siegte zuletzt die Macht der äußeren Verhältnisse; der Verstand und die Einschüchterungen gewannen die Oberhand, die Liebe und die Leidenschaft gaben sich gefangen. Er wollte zum wenigsten versuchen, ob er ohne Annemarie leben könnte. Wenn's ging, so wollte er in Gottes Namen seinen Eltern folgen.

Er kam nicht zum Stelldichein. Als er Annemarie einen Tag später mit Regine begegnete, sagte er förmlich »Guten Tag« und ging vorüber. Das Mädchen war etwas ›verhofft‹ und sah ihm nach mit fragender Miene; aber sie entschuldigte beides. Zu der Bestellung hatte er nicht kommen können und vor der Regine wollte er sich nicht verraten. Wie er nun aber mehrere Tage nichts von sich hören ließ, und endlich, als sie allein mit ihm zusammentraf, auch nur mit gewöhnlichem Gruß und dazu noch sichtlich verlegen an ihr vorüberging, da erkannte sie ihr Geschick. »So,« sagte sie, indem ihr Herz zu klopfen begann, »so ist's gemeint?« Sie sah ihm nach und bemerkte, wie er schneller ging, gleichsam um aus ihrem Bereich zu kommen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Das ist der Mensch, der zu mir gesagt hat, daß ich ihm das Liebste wäre auf der Welt! So hält er Wort! O, ich hätt' mir's denken sollen!« Sie ging ins Haus zurück und eilte in ihre Kammer hinauf. Ihre Tränen strömten, sie sah mit dem Ausdruck des tiefsten Schmerzes und der bittersten Kränkung vor sich hin. Dann sagte sie: »Es geschieht mir aber ganz recht, daß es so gekommen ist! Warum bin ich so einfältig gewesen und hab' ihm geglaubt? Warum hab' ich mir eingebildet, ich wär' auch etwas wert? – O, wie dumm!« setzte sie schmerzlich lächelnd hinzu. »Als ob diese Leute von ihrem Stolz lassen könnten! Als ob wir ihnen zu was anderem recht wären als zum Spielen! Ja, ganz recht geschieht's mir, grad' so hat's kommen müssen!«

Regine kam die Treppe herauf und öffnete die Tür. Annemarie bemühte sich nicht, ihren Schmerz zu verbergen. Die Freundin sah sie mitleidig an und sagte: »Ich weiß, warum du weinst. Ja, ja, 's ist so. Beim Angerbauer hat's was gegeben. Der Alte und der Junge sind hintereinander gekommen, und Ludwig muß die Ev' heiraten.«

»Muß er?« sagte Annemarie, die bei ihrem ruhigen Wesen doch heroischer war als Ludwig, und unter umgekehrten Verhältnissen sich standhafter gezeigt hätte. – »Ja freilich muß er. wenn sein Vater will,« erwiderte Regine. – »Nun,« versetzte die Gekränkte mit Stolz, »wenn er mich lassen kann, dann kann ich ihn auch lassen!« Sie trocknete ihre Tränen und ging mit der Freundin hinunter, um sie aufs Feld zu begleiten.

Von da an erschien Annemarie vor anderen gefaßt, ohne den Zustand ihres Herzens verbergen zu wollen. Die Freude des Lebens war ihr genommen, und sie wollte nicht tun, als ob's anders wäre. Ihr Gesicht verlor nach und nach die blühende Farbe, bekam aber dafür einen eigenen feierlichen Ausdruck, und ihre braunen Augen erhielten einen Glanz, der selbst dem alten Bäcker auffiel, so daß er den Kopf schüttelte und für sich murmelte: »Es ist schade, jammerschade; aber ich kann ihr nicht helfen!« Ihr Schicksal, wie man es erkannte oder erriet, flößte den Leuten Achtung ein. Selbst diejenigen, die im Dorfe wegen eines ›bösen Mauls‹ berufen waren, unterstanden sich nicht, in ihrer Gegenwart Anspielungen zu machen, und kein junger Mensch fand in sich den Mut, ihr schön zu tun und ihr für den erlittenen Verlust einen Ersatz anzubieten.

Ludwig setzte unterdessen den Versuch, ohne Annemarie zu leben, fort. Er hatte zum drittenmal gewagt sie zu grüßen; aber sie war mit einem Ausdruck von gekränkter Würde an ihm vorübergeschritten, daß er es fortan unterließ. Wenn er nun bei einer unvermeidlichen Begegnung ihre Wangen sich färben und ihr Auge glänzen sah, dachte er wohl: sie würde nicht so bös sein (freilich nicht der rechte Ausdruck für das Gefühl des Mädchens), wenn sie wüßte, wie hart es mich ankommt! – Sein Leben wurde sehr einförmig. Er ging zu Hause und auf dem Felde still seiner Arbeit nach und machte Sonntags, anstatt mit Kameraden fröhlich zu sein, einsame Spaziergänge. Auf einem derselben sagte er zu sich: »Leben kann ich wohl ohne sie, das hab' ich nun gesehen; aber was ist das für ein Leben!« Er schüttelte den Kopf und ging traurig nach Hause.

Am dritten Sonntag nötigte ihn seine Mutter, mit ihr einen Besuch beim Vetter Kirchbauer zu machen. Sie sah, daß Ludwig ihr und dem Vater ein Opfer brachte und daß es dem armen Menschen schwer wurde; sie war daher auf dem Wege besonders gut gegen ihn und gab sich große Mühe, ihn zu erheitern, indem sie ihm vormalte, welch einen Herrn er als Mann der Eva spielen könne, wo er schon zum Anfang einen schuldenfreien Hof und Geld am Zins haben würde.

Die Kirchbauersleute hatten natürlich von der Geschichte mit Annemarie gehört. Eva konnte bei der Begrüßung sich nicht enthalten, eine spöttische Miene zu weisen und gegen denjenigen, der einen solchen Streich machen konnte, eine gewisse Geringschätzung an den Tag zu legen. Indessen, der Sünder hatte eine Eigenschaft, die mit Notwendigkeit Vergebung forderte: er war der Sohn reicher Leute.

Man faßte die Sache von der heiteren Seite auf. Als man beim Kaffee saß, versuchte Eva scherzhafte Anspielungen zu machen, die ziemlich plump herauskamen, und der arme Ludwig mußte nun seine Liebe verleugnen und erklären, daß ja an der ganzen Sache nichts sei, daß er was ganz anderes im Sinne habe usw. Er strengte sich offenbar an und wollte sich zwingen, Eva lieb zu gewinnen. Die Folge war, daß ihm die große Person, die seinem Herzen bisher gleichgültig war, zuwider wurde. Auf dem Heimweg sprach die Mutter davon, die Sache nun bald richtig zu machen. Ludwig bemerkte: »Mit der Zeit wird sich alles geben; aber jetzt, ich bitte dich, laß mich in Ruh' und treib' nicht an mir!« Die Angerbäuerin fühlte, daß sie still sein müsse.

Die zweite Hälfte des Juni war herbeigekommen und mit ihr die Nördlinger Messe. Diese dauert vierzehn Tage und ist ein Fest für das ganze Ries. Die ländlichen Hausfrauen kaufen sich auf ihr den Bedarf an Kleidungsstoffen, Hausgeräten und Spielzeug, und an manchem Tage sieht man auf den Hauptplätzen mehr Bauern als Städter. Namentlich ist dies bei den Hafnern der Fall, wo die klugen Bäuerinnen durch wiederholtes Klopfen die Güte der Geschirre prüfen und an großen und kleinen ein Gemisch von Tönen hervorbringen, daß man ein wahres Konzert zu hören glaubt. Hat man gehörig eingekauft, so erquickt man sich an den berühmten Nördlinger Brat- oder geräucherten Groschenwürsten, trinkt Bier dazu oder gar ein Schöppchen Wein, und wandert in der Dämmerung, trotz des gefüllten, wachstuchbezogenen ›Donaugretzens‹, den man zu tragen hat, vergnügt nach Hause. Die Sonntage sind für die ›Ledigen‹, die namentlich am zweiten, der ebendeswegen der ›Bauernsonntag‹ heißt, von allen Dörfern nach Nördlingen strömen, um in verschiedenen Wirtshäusern der Lustbarkeit nachzugehen.

Ludwig hatte acht Tage vergehen lassen, ohne sich um die Messe zu kümmern. Sein melancholisches Aussehen machte die Mutter besorgt und selbst den Alten bedenklich. Als er gar am Bauernsonntag keine Anstalt machte in die Stadt zu gehen, da hielt sich die Mutter nicht länger. Sie nahm eine kleine Rücksprache mit dem Vater, dann ging sie zu dem Sohn, der in seiner Kammer war, und redete ihm mit mütterlichem Ernst ins Gewissen: was denn das wäre, daß er gar nicht mehr unter die Leute gehen wolle? Wenn andere ledige Bursche sich lustig machten, sitze er da und sinniere; ob das eine Art sei für einen jungen Menschen? »Da,« fuhr sie fort, indem sie einen Beutel voll Kronentaler aus der Tasche zog, »da nimm, geh nach Nördlingen, mach dir einen vergnügten Tag und laß etwas draufgehen! Du weißt ja, wir haben's!« Ludwig, den Beutel in Empfang nehmend, sagte mit trübem Lächeln: »Nun gut, Mutter, ich will dir folgen.« Das Gesicht der Angerbäuerin erheiterte sich. Sie wußte, daß Eva in der Stadt sein würde, und hoffte, daß die beiden jungen Leute sich treffen, miteinander tanzen und sich vollends verständigen würden.

Ludwig kleidete sich trotz seiner Melancholie festlich an, wie sich gebührte, und schlug nach der Stadt einen weiteren und weniger begangenen Fußweg ein, der durch Getreidefelder und Wiesen führte. Der Tag war ausnehmend schön und klar. Die Nachmittagssonne schien warm vom Himmel, aber ein frisches Lüftchen, das von Osten kam, milderte ihre Wirkung. Still, zuweilen ein rührendes Lied summend, wanderte Ludwig den heimlichen Gang durch das hochgewachsene Korn. Als er auf die Wiese heraustrat und die Augen aufschlug, bot sich ihm ein höchst erfreulicher Anblick. Etwa noch eine halbe Stunde entfernt lag die Stadt Nördlingen da, von grünenden Gärten umgeben. Der von grauen Quadern erbaute Turm der Sankt-Georgenkirche – eine der höchsten und stattlichsten in Deutschland – erhob sich in dem klaren sommerlichen Duft freundlich über die Häuser und bildete mit ihnen ein Ganzes, dem man die Eigenschaften der Solidität und Wohlhäbigkeit von weitem ansah. Und rechts und links, auf Straßen und Feldwegen, zu Wagen und zu Fuß erblickte man geputzte Leute in ländlicher oder städtischer Tracht, welche dem einen Punkte zustrebten. Die Landschaft trug vielleicht eben jetzt ihr farbenschönstes Kleid. Überallhin wogende Getreidefelder in mannigfacher Abstufung des Grüns und Wiesen mit Blumen geziert, besonders mit der weißen ›Meßblume‹, die den Rieserinnen dazu dient, das ›Er liebt mich von Herzen‹ usw. vorzunehmen, und die, in größerer Anzahl darüber verbreitet, den Gründen einen besonders heiteren Charakter gibt.

Auf Ludwig machte das alles freilich nur traumhafte Eindrücke. Seine Seele lebte in sich selber. Er war in einer Stimmung, wo man traurig ist, aber sich nicht ganz unglücklich fühlt, wo man zugleich mit der Trauer eine Lust der Ergebung empfindet, die alles Schmerzliche in gemildertem Lichte sehen läßt. In dem Menschenherzen sind wunderbare Quellen des Trostes, die sich aber nur öffnen, wenn es bedrückt wird. Dann erhebt sich eine Kraft in ihm, die in sanfter Strömung Linderung bietet und die, wenn sie die früheren Hoffnungen nicht mehr beleben kann, doch wenigstens ihr Grab verschönt. – Als Ludwig die Erfahrungen der letzten Zeit an seiner erweichten Seele vorüberziehen ließ, regte sich leise und leise sogar die Hoffnung wieder. Die Sehnsucht erblickte in weiter Ferne Bilder des Glücks, und das junge Herz fand ihre Verwirklichung nicht mehr so ganz unmöglich.

In der Stadt angekommen, ohne recht zu wissen wie, ging er zuerst auf den Markt beim Rathaus und hatte dort kurze Ansprachen mit verschiedenen Kameraden. Dann trieb er sich in bunter Menschenmenge bei den Meßständen umher und kaufte einiges zu Geschenken. Als er müde war, suchte er den Goldnen Ochsen auf, wo die jungen Leute seines Dorfes einzukehren pflegten. Fröhliche Musik erschallte von den Fenstern des ersten Stocks. Er fühlte keine Neigung, sich unter die Jugend zu mischen, trat in die untere Stube, ließ sich einen Krug Bier geben und setzte sich in eine Ecke. Nach und nach regten die wohlbekannten Töne des Horns und der Klarinette doch eine Neugierde in ihm an, und er ging in den Saal hinauf, um dem Tanze zuzusehen.

Das erste, was ihm in die Augen fiel, war Hans, der sich mit Regine im Tanz drehte. Sein Herz klopfte; er spähte im ganzen Saal umher, um die zu erblicken, die er liebte. Endlich sah er sie in einer Ecke stehen, den Blick auf die Tanzenden gerichtet, die Gedanken aber sichtlich anderswo.

Das Hiersein des verlassenen Mädchens war dadurch veranlaßt, daß Hans erklärter Hochzeiter der Regine geworden war. Als solcher wollte er die Geliebte zur Messe führen, aber diese, die das arme Kind gern wieder bei einem Vergnügen gehabt hätte, erklärte, sie gehe nicht ohne Annemarie. Das gute Mädchen, wenn sie kein Störenfried sein wollte, mußte dem Paar Gesellschaft leisten.

Ludwig blieb wie angewurzelt stehen und betrachtete sie, ohne von ihr gesehen zu werden, in erschreckter Freude. Ihr Gesicht war nicht nur blässer, sondern auch etwas schmaler geworden; aber wie schön und fein war es! Die Trennung von ihm machte ihr mehr Herzeleid als ihm selber, das mußte er sehen! Sie hatte ihn nicht vergessen, sie hing treu an ihm, sie grämte sich! Reue, Mitleid, Liebe, Bewunderung stürmten auf ihn ein, seine Wangen glühten, ein unendliches Verlangen ergriff ihn, mit der Geliebten zu reden. Plötzlich faßte er einen Entschluß. Er ging auf sie zu und fragte: ob es nicht erlaubt wäre mit ihr zu tanzen. –

Das Mädchen schrak zusammen und starrte ihn an. Sie zog die Hand, die er ergriffen hatte und die in der seinen bebte, zurück, aber er ließ sie nicht los. Mit dem herzlichsten Tone sagte er: »Ich bitte dich, Annemarie!« und sah sie mit einem Blick so voll Liebe, Reue und Ergebung an, daß die Kraft zum Widerstand ihr versagte. Errötend, zitternd, in tiefster Verwirrung ließ sie sich von ihm zum Tanze führen.

Was soll ich weiter sagen? Ludwig fand Gelegenheit, sich gegen Annemarie über alles auszusprechen: wie Vater und Mutter drohend von ihm verlangt, von ihr zu lassen, wie er versucht habe, ihnen zu folgen, wie es ihm aber unmöglich sei, da er keine andere liebhaben könne als sie. Er wolle nun mit seinem Vater sprechen, gleich morgen. Sie müsse sein Weib werden, geh' es wie es wolle. Er verspreche es ihr hoch und heilig, und so wahr ein Gott im Himmel sei, er werde sein Versprechen halten.

Annemarie glaubte ihm: sie fühlte, wie jedes Wort von Herzen kam. Sie verzieh ihm das Vergangene, da sie einsah, welch einen schweren Stand er hatte; sie bewunderte und teilte seinen Mut. Was fragte sie nach der Welt? Er gehörte ihr wieder, ihr Leben, ihr einziges Glück! – Sie glänzte in seliger Schönheit. Die Freude hatte ihre Wangen nicht nur wieder gerötet, sondern schien sie auch plötzlich runder gemacht zu haben. Ludwig hatte sie nie so hold gesehen.

Die jungen Herzen erhob ein Gefühl, das sie vorher nie in dieser Stärke gekannt hatten: der Heldenmut der Liebe. Sie sahen, was ihnen drohte, aber sie empfanden keine Bangigkeit. Die Kämpfe, die ihrer harrten, waren ihnen beinahe lieb; denn sie wollten sich bewähren, sie wollten zeigen, was wahre Liebe vermöge, und daß man einer solchen nichts anhaben könne. Es war ein Schwung in ihren Seelen, daß ihnen nichts unmöglich erschien. Mögen sie nur kommen, mögen sie nur reden, dachten sie, wir wollen sehen, wer das Feld behauptet! – Mit dem Glück leuchtete nun auch dieses heroische Gefühl aus den Gesichtern und gab ihnen einen eigenen rührenden Ausdruck. Wer sie sah, der wußte, daß sie einig waren und daß man sie nicht mehr auseinander bringen würde. Die einen schüttelten den Kopf, andere dagegen nahmen frohen Anteil. Ein stattlicher Bursche ging auf das Paar zu, klopfte Ludwig auf die Schulter und sagte: »Brav so! Laß dich nicht irremachen, der Alte muß nachgeben!« – »Ja, Bruderherz,« erwiderte der Entschlossene, »das muß er, ich kann ihm nicht helfen!«

Ludwig führte sich nun gerade am schönsten auf, strampfte am geschicktesten nach dem Takt vor seiner Tänzerin, er sang Lieder vor, die sich auf ihr Verhältnis bezogen, darunter einige, die er selber gemacht hatte – er zog die allgemeine Bewunderung auf sich.

Nachdem sie genug getanzt hatten, nahmen die befreundeten Paare in einer kleinen Stube Platz und setzten sich zum reichlichen Mahle. Ludwig folgte seiner Mutter: er ließ etwas draufgehen, und mehrere von den schönen Kronentalern, die er erhalten hatte, um damit vor Eva zu prangen, blieben im Goldenen Ochsen. Gegen elf Uhr machten sie sich auf den Heimweg. Ludwig führte die Geliebte und Regine hielt Hans mit Fleiß etwas zurück, damit die beiden sich recht ausreden konnten. Die Nacht war so schön wie der Tag; der Mond, beinahe voll, schien hell ins Land, und silberne Nebel zogen sich über die Wiesgründe hin. So wanderten die Glücklichen in dem Feldweg fort, sich wieder und wieder beteuernd, wie lieb sie sich hätten, wie glücklich sie seien und wie sie sich treu bleiben wollten bis in den Tod. Vor dem Hause des Bäckers nahmen sie Abschied, und nochmals sagte Ludwig an dem Halse der Geliebten: »Verlaß dich aus mich!«

* * *

Den andern Morgen ersah Ludwig seine Zeit und ging entschlossen in die Stube, wo seine Eltern allein waren. Er trat vor seinen Vater und sagte: »Ich hab' etwas mit dir zu reden.« Der Alte machte ein grimmiges Gesicht, welches zeigte, daß ihm von dem gestrigen Tun des Sohnes bereits etwas zu Ohren gekommen war. »Das trifft sich gut,« erwiderte er, »ich hab' auch etwas mit dir zu reden.« Und indem er ihn mit verachtenden Blicken maß, fuhr er fort: »Nun sag mir, was ich mit dir anfangen soll! Du hast also wirklich alle Scham verloren? Während ich und deine Mutter glauben, daß du bei Leuten bist, die dir Ehre machen, verbankettierst du dein Geld mit einer –«

»Schimpf nicht!« fiel ihm Ludwig in die Rede; »die Annemarie ist das bravste und ordentlichste Mädchen! Und weil's doch heraus muß, so sag' ich dir jetzt: die und keine andere wird mein Weib! Ich hab' euch folgen wollen, ich hab' mir die größte Müh' gegeben; aber es geht nicht – ich kann ohne die Annemarie nicht leben! Und ich hab' ihr's gestern gesagt, und sie hat mir's gesagt, und wir haben uns versprochen vor Gott im Himmel, daß wir uns treu bleiben wollen, und wir halten unser Wort!«

Der Alte war erstarrt. Er hatte in der Geschichte auch jetzt noch nichts als eine ärgerliche Liebelei gesehen und fürchtete im schlimmsten Fall einen Ausgang, der den Buben ins Geschrei bringen und die Heirat mit Eva verderben konnte. Daß sein Sohn, der Sohn des Angerbauers, daran denken könnte, ein Mädchen wie Annemarie zum Weibe zu verlangen, das hätte er sich nicht im Traum einfallen lassen. Er sah ihn ordentlich erschreckt an, wie einen plötzlich Tollgewordenen, und brachte mit Mühe die Worte heraus: »Was – willst du tun?« Ludwig erwiderte mit entschlossenem und zugleich bittendem Tone: »Ich will die Annemarie heiraten, ich kann nicht anders, Vater!«

Der Angerbauer zuckte und seine Faust ballte sich. Noch hielt er die Wut, die in ihm aufkochte, zurück, aber mit solcher Anstrengung, daß seine Glieder zitterten. Er fragte: »Wovon wollt ihr denn leben?« Ludwig versetzte: »Die Annemarie ist nicht so arm, sie hat auch etwas, beinahe tausend Gulden, und mit dem, was ich kriege –« – »So?« sagte der Alte, »wer gibt dir denn etwas?« – »Nun,« versetzte Ludwig, »du würdest mir doch –« –

Der Alte lachte mit bitterem Hohn. »Wie!« sagte er, »bildest du dir ein, daß ich Geld ausgebe, um eine solche Söhnerin zu bekommen? Bist du von Sinnen? Nicht einen Heller bekommst du von mir!«

»Laß ab, Ludwig!« rief die Mutter, die geängstet zur Seite gestanden hatte, »laß ab, um Gottes willen! Er tut's nicht, er kann's nicht tun! Hast du denn allen Verstand verloren?« – »Nein,« versetzte Ludwig fest, »ich hab' meinen Verstand noch ganz, und ich lass' nicht ab, denn ich hab's wohl überlegt, was ich tu'. Die Annemarie wird mein Weib, mag geschehen was da will – das ist meine letzte Rede!«

Nun war die Kraft, mit welcher der Angerbauer den Ausbruch seiner Wut niedergehalten hatte, zu Ende. »Wie!« schrie er den kecken Sohn an, »du unterstehst dich mir zu trotzen? So weit treibst du die Unverschämtheit? Du nichtsnutziger Bursche! Du frecher Bube! Heiraten willst du sie? Eine Bettlerin? Du Dummkopf! Siehst du nicht, daß die schlechte Person nur nach deinem Geld angelt?«

Ludwig hatte die Schmähungen, die ihn betrafen, ruhig über sich ergehen lassen; aber bei den letzten Worten fuhr er auf. »Die Annemarie ist das rechtschaffenste Mädchen unter der Sonne! Wer anders sagt, ist ein Lügner!« – Der Alte erhob den Arm und tat einen Schritt gegen den rebellischen Sohn, um ihn niederzuschmettern; aber die Mutter fuhr dazwischen. »Ums Himmels willen,« rief sie dem Rasenden zu, »tu' das nicht! Siehst du nicht die Leute, die draußen stehen?« Der Vater ließ den Arm sinken, aber nur um den Sohn desto grimmiger mit Worten zu treffen.

Ich verzichte darauf, diese Scene weiter zu schildern. Der Zorn ist eine Art von Wahnsinn. Hat er einmal die Dämme der Vernunft und der Sitte durchbrochen, dann kennt sein Wüten keine Grenzen mehr. Er will den Gegner vernichten und greift darum zu den gröbsten Schmähungen, weil sie die tödlichsten sind. Der Zornige kann mit dem ehrlichsten Ingrimm und mit der wahrsten Empfindung Dinge sagen, deren Ungerechtigkeit er bei ruhigem Blute besser einsehen würde als irgend ein anderer. Nur die Ungerechtigkeit kann ihm genugtun, er lebt von ihr, er schwelgt in ihr. Die Worte, die dem Angerbauer angreifend und dem Sohne abwehrend an diesem Morgen noch in den Mund kamen, würden in dieser Darstellung keinen Platz finden. Noch einmal ging der Alte auf Ludwig los, um ihn niederzuschlagen; noch einmal trat die Mutter dazwischen und hielt ihm den Arm. Endlich rief er mit schäumendem Munde: »Fort, fort! Aus meinen Hause! Du bist mein Sohn nicht mehr! Fort!« Und Ludwig versetzte: »Sorg' nicht, ich geh', und nie wirst du mich wiedersehen!« Er öffnete die Tür und ging hinaus. Die Mutter wollte ihm nach, aber der Angerbauer hielt sie mit eisernem Arm. »Laß ihn, er soll fort und mir nie wieder unters Angesicht kommen!«

In einer Art von heroischer Trunkenheit ging Ludwig in seine Kammer, packte die notwendigsten Kleidungsstücke in ein Tuch und wanderte mit dem Bündel durch den Garten aufs Feld hinaus. Es war ihm ordentlich wohl zu Mute. Er wollte sich an seinem Vater rächen, und er wußte, wie er das konnte. Gestern hatte er zufällig gehört, daß ein weitläufiger Anverwandter im untern Ries einen Knecht brauche. Zu dem wollte er gehen und sich bei ihm verdingen. Er wollte als Knecht dienen, zur Schande seines reichen Vaters, und so lange aushalten, bis dieser ihn selber bäte, wieder zu ihm zu kommen und – Annemarie zu heiraten. Dieser wollte er schreiben, ihr ausführlich berichten, wie tapfer er sich gehalten und dadurch gewiß alles wieder gut gemacht habe. Er fühlte sich recht als Mann und war mit sich und beinahe auch mit seinem Schicksal zufrieden.

Das Dorf, in welches er zu wandern gedachte, war etwa drei Stunden entfernt. Auf dem Feldwege, den er zunächst einschlug, begegneten ihm mehrere Leute, die ihn verwundert anschauten, zuletzt auch sein Bruder Andres, der ihn fragte, wo er hingehe. »Fort, in die weite Welt,« rief ihm Ludwig zu. »Wie soll ich das verstehen?« fragte Andres. »Der Vater braucht mich nicht mehr: geh heim und sag ihm, wo du mich getroffen hast!« Und fort eilte er. Andres ging etwas rascher nach Hause, als er sonst getan hätte, und richtete den Auftrag aus. Der Mutter traten aufs neue die Tränen in die Augen; der Alte aber rief: »Mag er laufen, wohin er will, der nichtsnutzige Bursche! Ich werde nicht nach ihm schicken!« Der ruhige Andres ging zur Mutter und sagte tröstend: »Er wird schon wiederkommen.«

Nach einer heißen Wanderung langte Ludwig im Hofe des Vetters an. Er unterdrückte das Schamgefühl, das ihn anwandelte, und trat äußerlich entschlossen, aber doch mit der Schüchternheit eines Menschen, der sich anträgt, in die Stube. Der Bauer, ein gesundhagerer, sonnverbrannter Mann mit angehenden grauen Haaren, war allein da und rief auf den Gruß des Ankömmlings: »Ludwig! Sieh da! Was führt dich zu uns?« Auf das Bündel blickend, setzte er hinzu: »Bringst du mir etwas?« – »Kann sein,« erwiderte Ludwig. »Ihr braucht einen Knecht?« – »Jawohl. Weißt du mir einen?« – »Ich weiß einen.« – »Nun?« – »Ich bin's selber.« – »Du? Mach keinen Spaß!« – »Ich mach' keinen Spaß, Vetter, sondern sag' Euch die reine Wahrheit.« Und er erzählte ihm das Vorgefallene.

Um den Mund des Schmiedbauers (so hieß der Mann vom Hofe) spielte ein behaglich schadenfrohes Lächeln. Er war einer von denen, die sich für besonders gescheit halten und denen es höchst fatal ist, wenn sie einen treffen, der noch mehr Verstand zu haben glaubt als sie. Diesen Verdruß hatte dem Schmiedbauer zu verschiedenen Malen der Angerbauer gemacht, indem er ihm zu Nördlingen, wenn sie nach einer »guten Schranne« beim Bier saßen, keine seiner kühneren Behauptungen durchgehen ließ und ihm hier und da sogar übers Maul fuhr. Den Sohn dieses stolzen und hoffärtigen Mannes nun als Knecht im Hause zu haben und dem Alten gelegentlich einmal vor den Leuten sagen zu können, wie er sich mache, war für ihn ein köstlicher Gedanke. Er beschloß Ludwig zu dingen. Zu seiner Beruhigung sagte er sich: »Wenn ich ihn nicht nehme, geht er vielleicht nach Augsburg, um sich als Hausknecht zu verdingen, oder unter die Soldaten, oder Gott weiß wohin, so daß man ihn am Ende gar nicht mehr findet. Bei mir aber lebt er in der Nähe und kann am ersten wieder zur Vernunft gebracht werden.«

»Ei, ei, ei, ei!« rief er endlich aus, indem er vergnügt den Kopf schüttelte, »was sind das für Sachen! – Nun,« fuhr er nach einer Weile fort, indem er sich zusammennahm und die Miene des Vetters allmählich in die des Herrn übergehen ließ, »wenn du's nicht anders haben willst, so will ich dir nicht entgegen sein. Du sollst mein Handknecht werden und so viel Lohn haben wie der vorige. Aber eins muß ich dir sagen: ich ding' dich nicht zum Spaß. Ich brauch' einen Knecht, der ordentlich schafft und nichts vor anderen voraushaben will.« Ludwig versetzte etwas empfindlich: »Ich schaff wie ein anderer und verlangt nichts als was mir gehört.« – »Nun, mit dem Beding sind wir handelseins.«

Michel, des Schmiedbauers einziger Sohn, ungefähr in gleichem Alter mit Ludwig, kam in die Stube und grüßte den Vetter überrascht und freundlich. »Was sagst du dazu,« redete der Alte ihn heiter an, »daß Ludwig unser Handknecht wird?« – »Was nicht noch?« versetzte Michel ungläubig. Der Alte erklärte ihm den Handel, worauf der Haussohn den neuen Knecht mit einem schelmischen und selbstzufriedenen Lächeln betrachtete. Man sah ihm an, daß plötzlich das Gefühl des Höherstehenden in ihn gefahren war. Er eilte in die Küche, um seiner Schwester Madlene, welche seit dem Tode der Bäuerin die Wirtschaft führte, die Neuigkeit mitzuteilen. Als Madlene mit dem Nachmittagskaffee in die Stube trat, grüßte sie den Vetter nur obenhin und mit etwas vorzogenem Mäulchen; sie konnte einen Burschen nicht begreifen, der wegen eines geringen Mädchens sich so herabzuwürdigen vermochte. Der Alte sagte zu Ludwig: »Setz dich zu uns; heute kannst du noch mit uns Kaffee trinken. Später freilich –« – »Ich dank' schön,« erwiderte Ludwig rasch, »mich dürstet's, ich trink' Wasser lieber.« – »Das kannst du dir draußen am Brunnen selber pumpen,« sagte der Alte, vergnügt über die Empfindlichkeit des jungen Burschen, »und trink soviel als dir schmeckt.« – Die Familie setzte sich im Kanzlei zum Kaffee. Ludwig verließ die Stube, ging zum Brunnen, trank tüchtig und nahm sich vor, mutig auszuhalten und alles, was sein neuer Stand natürlicherweise Beschwerliches hatte, mit Geduld zu ertragen.

Nach zwei Tagen wurde an Annemarie von einem Hausierer ein Brief abgegeben, worin der Liebende berichtete, was uns bekannt ist. Der Schluß lautete: »Es geht mir hier recht gut. Ich muß tüchtig arbeiten, aber das ist mir lieb. Bleib mir nur treu wie ich dir, und alles was geschehen ist, wird zu unserem Glück sein.«

Das gute Mädchen hatte eine seltsam gemischte Empfindung. Die standhafte Treue, die Ludwig bewiesen, erfreute und rührte sie inniglich; aber der Gedanke, daß sie an der Uneinigkeit einer solchen Familie schuld sein sollte, fiel ihr schwer aufs Herz. Sie ergab sich für jetzt in ihr Geschick und tröstete sich mit der Hoffnung, daß der Himmel zwei so treu liebenden Herzen zuletzt doch aus ihrer Not helfen werde.

Im Dorf hatte natürlich das Davongehen Ludwigs den größten Rumor gemacht, und die beiden Tage lang wurde in den Häusern und auf dem Felde, beim Bier und nachts auf der Gasse von nichts anderem gesprochen. Alle, die gegen die Familie des Angerbauers etwas hatten oder sie beneideten, taten sich von Herzen gütlich und sorgten dafür, daß die Geschichte mit gehörigen Zusätzen weiter verbreitet wurde.

Unser junger Freund Theodor brachte die Nachricht mit einem gewissen Selbstbewußtsein dem Großvater, indem er ausrief: »Hab' ich's nicht gesagt?« Der alte Pfarrer sah ihn freundlich an und fügte: »Ja, du bist ein ganzer Mann und großer Prophet!« Theodor machte ein etwas verdutztes Gesicht; seine Erwartung, ein mit seinen Gefühlen sympathisierendes »Schrecklich! was es doch für Menschen gibt« usw. zu hören, war aufs neue getäuscht. Dieselbe Erfahrung machte er, als er die Kunde brachte, daß Ludwig sich als Knecht verdingt habe. »So?« sagte der alte Herr, »ist die Nachricht gewiß?« – »Ich habe sie von einem Hausierer, der Ludwig selber gesehen hat,« erwiderte Theodor. Und ihn ansehend, fragte er: »Was soll nun geschehen? was willst du tun?« – »Wir wollen ihn dienen lassen,« antwortete der Pfarrer und begab sich in seine Studierstube. Theodor sah ihm kopfschüttelnd nach; bei dieser Gelegenheit konnte er seinen Großvater nicht begreifen.

* * *

Das Leben des Bauers hat dadurch einen besonderen Reiz, daß seine Tätigkeit an das Leben der Natur gebunden ist und seine Arbeiten infolge davon sehr mannigfaltig sind. Im Frühling wird beim Singen der Lerchen das dampfende Feld gepflügt und besät und auf den Wiesen die Streu – die rein gewaschenen Überbleibsel des Strohdüngers – zusammengerecht. Gemüse- und Baumgarten erhalten ihre Pflege. In den Sommer und einen Teil des Herbstes fallen die Ernten des Heues, des Winter- und Sommerkorns, des Grummets (im Ries »Ohmad« genannt), des Flachses, Hanfes, der »Erdbirn«, der Rüben und des Krautes, die alle gar verschiedene Fertigkeiten in Anspruch nehmen und insbesondere dem rüstigen Burschen Gelegenheit geben, sich als »Mahder« (Mäher), Schnitter, Garbenbinder, Wagenlader und Pferdelenker auszuzeichnen. Die Einsammlung geschieht in fröhlicher Gesellschaft, die Familienglieder, Knechte und Mägde helfen zusammen und erleichtern sich die Arbeit durch lustige Reden; denn gewöhnlich fehlt in einem Hause weder ein humoristischer Bursche, der Spaß macht, noch eine gemütlich einfältige oder unbewußt drollige Person, die ihm dazu den hauptsächlichsten Anlaß gibt. Die Hausfrau schickt zu rechter Zeit Speise und Trank aufs Feld und bewirtet die Arbeiter zum Schluß der großen Ernten festlich mit »Schneckennudeln« oder »Küchlein«; mit den verschiedenen Arbeiten sind auch verschiedene herkömmliche Ergötzungen verbunden, Ackern und Pflanzen hat sich von Zeit zu Zeit wiederholt. bis zuletzt noch die Wintersaat bestellt wird. Der Herbst und der Winter bringen das Dreschen, für die Frauen und Mädchen das Spinnen, womit in wohlgeheizter, schneeumflogener Stube unter dem Hinzutritt unterhaltender Burschen die langen Abende ausgefüllt werden. Durch alle Jahreszeiten hindurch erfordert die Viehzucht, die Besorgung der Rosse, des Rind- und Federviehes, der Schafe und der Schweine besondere Arbeiten und Geschicklichkeiten. Dann ist der Bauer auch Fuhrmann und Handelsmann. Er fährt in Waldungen (im Ries oft in ziemlich entfernte), um Holz zu holen, er fährt sein Korn zur Schranne, er fährt die Seinen und für Geld oder gute Worte auch andere zu näheren oder weiteren Besuchen. Er verkauft, kauft und tauscht und verbringt auf Märkten, den Reiz der Handelschaft genießend, keine geringe Zeit. Er wird endlich verlockt und genötigt, in verschiedene Künste zu pfuschen und sich mit allerlei Werkzeugen bei kleinen Verlegenheiten selber zu helfen.

Natürlich sind die Arbeiten ausgeteilt und an einen kommen nicht alle Arten; doch ist es nicht möglich, jeden einzelnen streng in seinem Kreise zu lassen, und immer bleibt für ihn noch eine Mannigfaltigkeit übrig, durch die er sich von dem Handwerker und zumal von dem Fabrikarbeiter zu seinem Vorteil unterscheidet. Auch der Knecht hat eine erfrischende Abwechselung von Beschäftigungen, und wenn er die hauptsächlichsten Arbeiten vom Ausbund versteht und ein »rechter Schaffer« ist, so kann er sich fühlen und genießt eines rühmlichen Namens.

Jede Existenz in der Welt hat indes ihre Kehrseite. Unter den mannigfaltigen Geschäften sind solche, die weder sehr leicht noch sehr reinlich genannt werden können. In glühender Hitze Korn schneiden, ist eine Arbeit, ergötzlicher anzusehen als selber zu tun, indem das stets wiederholte Hinabkrümmen des Oberleibes zur Erde eine sehr unbehagliche Empfindung im Rücken zur Folge hat. In kalter Winterzeit morgens um vier aufstehen und beim düsteren Schein einer Laterne dreschen zu müssen, würde ebenfalls für viele nichts Einladendes haben. Den Acker zu bestellen, wenn es tüchtig geregnet hat, bringt mit der Mutter Erde in eine Berührung, die man weniger innig wünscht. Indem der Bauer die extremen Äußerungen der Natur nicht so zu dämpfen vermag wie der Städter, und nicht auf gebahnte, sondern auf Wege gewiesen ist, die meist noch in ursprünglicher Schlechtigkeit vorhanden sind, kann er die Eigentümlichkeit eines »wüsten Wetters« von Grund aus genießen. In der Erntezeit gefällt sich die Natur zuweilen, den Fleißigen zu necken, indem sie die getrocknete Frucht durch einen gehörigen Regen netzt, um neues Umwenden nötig zu machen, und dieses Manöver so lange wiederholt, bis zuletzt auch dem Gutmütigsten der Geduldfaden reißt.

Wie jeder weiß, spielt die größte Rolle in der Landwirtschaft der Dünger oder Mist. Denselben in gehöriger Fülle und Fettigkeit zu erzeugen, ist die Hauptsorge des umsichtigen Bauers. Und wo dieser wundersam nährende Stoff hinkommt, da wächst das Gras, da blühen die Blumen, da grünt das Korn und sprießt in die Höhe – da steht die Poesie der Landwirtschaft vor unseren Augen. Kein Wunder, daß der Hofbesitzer mit besonderem Stolz auf seinen Misthaufen sieht und über diesen Gegenstand mit Begeisterung zu reden vermag. Wenn aber die segensreichen Wirkungen dieses Stoffes jeder zugibt, so ist es doch weniger erfreulich, sich mit demselben unmittelbar zu befassen. Ihn auf einem dazu bestimmten Karren vom Stalle zum Haufen zu fördern, ihn, von Jauche getränkt, auf einen Wagen zu laden und festzupatschen, ihn auf Äcker und Wiesen zu führen und dort auszubreiten, ist eine Arbeit, welche gern zu tun eine besondere Liebhaberei erfordert.

Natürlich geht es hier wie überall. Die Berufspflicht und die Gewohnheit versöhnen mit Beschwerlichkeiten, die anderen groß, ja unerträglich erscheinen. Wer es gewohnt ist, der singt und pfeift bei der genannten Arbeit und ist auf keine Weise davon belästigt, da sie, genau genommen, in der freien Landluft auch weniger Übelstände mit sich führt, als Unkundige sich vorstellen mögen. Wer sie aber nicht gewohnt ist und sich überdies zu gut dafür hält, den muß sie sehr hart ankommen.

Die Geduld unseres verlorenen Sohnes wurde auf eine schwere Probe gestellt, als die mühseligen und für ihn demütigenden Arbeiten nacheinander anrückten. Er hatte zwar alle Bauernarbeiten gelernt, die beschwerlichen und unreinlichen aber seinen Knechten überlassen, und für das, was die übrigen noch Lästiges mit sich führten, wurde der Liebling der Mutter reichlich entschädigt. Nun mußte er sich nicht nur zu einer jeden hergeben, er mußte sie, seiner eigentümlichen Lage und seinem Versprechen gemäß, auch mit besonderem Fleiß und Eifer verrichten und den andern mit gutem Beispiel vorangehen.

Dies war indes nicht das Schlimmste. Als Handknecht stand er unter dem Befehl des Bauers und seiner zwei Kinder, in gewissem Sinn auch unter dem des Oberknechts. Dieser, war zufällig ein brummiger Kerl und machte seine Rechte um so mehr geltend, als er beinahe das doppelte Alter Ludwigs hatte. Wenn es nun hieß: »Komm her! – tu' mir das! – hol' mir jenes!« so mußte der arme Bursche laufen, die Ausrufungen der Ungeduld anhören und Tadel hinnehmen, auch wo er ihn nicht verdiente, sondern wo der Befehlende nur zeigen wollte, daß er sich das Ausgeführte noch besser denken konnte. Seine Herkunft und seine Vetterschaft nützten ihm dabei gar nichts. Der Schmiedbauer hatte seinen Kindern den Plan mitgeteilt, den er in Bezug auf Ludwig befolgen wollte und der so sehr mit seiner Herzensneigung übereinstimmte; die würdigen Sprossen fanden ihn gut und handelten treulich danach, Michel, um sich einen übermütigen Spaß zu machen, Madlene, um die Genossenschaft der Bauerntöchter an ihrem Beleidiger zu rächen. Der Oberknecht, der in früheren Diensten von reichen Bauern gehunzt worden war, benutzte die Gelegenheit, bei dem Sohn eines solchen es wieder hereinzubringen. Er tat nicht nur soviel als er konnte, sondern mehr als er durfte, und Ludwig, der nicht rechten wollte und überhaupt einmal in der Selbstverleugnung begriffen war, ließ sich möglichst viel gefallen.

Tief in der menschlichen Natur liegt der nicht sehr lobenswerte Trieb, die Gutmütigkeit zu necken, die Hilflosigkeit zu mißbrauchen und dem, der den Schaden hat, auch noch den Spott in den Kauf zu geben. Sogar bessere Menschen können dem Reiz dazu nicht widerstehen, wenn der Schaden nicht zu arg ist und der Betroffene ihn zu verdienen scheint. Als Ludwig einmal den Roßstall säuberte und durch etliche Karrenfuhren den Düngerhaufen vergrößerte, kam eben Michel herbei. Er konnte sich nicht enthalten, lächelnd stehen zu bleiben und dem Burschen zuzurufen: »Du kannst ja misten, Ludwig, als ob du nie etwas anderes getrieben hättest!« Dann ging er zum Stall, schaute hinein und rief aus: »Sapperment, hast du sauber gemacht! Du bist ein Handknecht, wie wir keinen besseren hätten kriegen können!« Ludwig errötete und schwieg; er fühlte, daß er den Spott entweder hinnehmen oder in einer Weise beantworten mußte, die zum Bruch führte. Michel trollte selbstzufrieden seiner Wege. Da er nicht sehr erfindsam war, so wiederholte er diese Anrede mit geringen Variationen auch bei anderen Arbeiten, und sein Vater stand ihm mit ähnlichen Späßen bei, so daß Ludwig sich mehrmals nur mit größter Mühe enthielt, den Spöttern ein Paar tüchtige Ohrfeigen zu langen. Der Oberknecht brach die Gelegenheit vom Zaun, auf ein verzogenes Muttersöhnchen zu schelten und dem Untergebenen zu sagen: mit ihm sei wenig ausgerichtet und er könnte nichts Besseres tun, als wieder zu seinem Vater heimgehen. Am unbarmherzigsten fuhr aber den Unglücklichen Madlene an, wenn er nach ihrer Meinung etwas nicht recht gemacht hatte. Sie zeigte offenbar den meisten Eifer, den Sünder zu bessern. Wenn dann Michel scherzend zu ihr sagte: »Hör' einmal, du machst's ihm doch zu arg,« so wurde sie rot und erwiderte: »Was da! es gehört ihm nicht besser!«

Das Essen, das Ludwig erhielt, stand mit den Arbeiten, die er verrichten mußte, nicht im Verhältnis, oder wenn man will, es stand damit im Verhältnis; denn in der Regel bekommt ja doch gerade der, welcher die sauersten Arbeiten tun muß, die magerste oder wenigstens die gröbste Kost. Im Hause des Schmiedbauers, der sich keineswegs durch Freigebigkeit auszeichnete, erhielten die Ehehalten Wassersuppe, sehr einfach bereitete Gemüse in möglichst geringer Abwechselung, grobe Mehlspeisen und allenfalls Speck und Salzfleisch, das vor Alter grün und gelb geworden. Die anderen, die es nicht besser gewohnt waren, verschluckten solche Kostbarkeiten mit stets lebhaftem Appetit, der Bauernsohn mußte sich aber, wie man zu sagen pflegt, »einen Zorn einbilden«, um sie hinunterzubringen. Da seine Mutter sich besonders als Köchin auszeichnete, so war er mehr verwöhnt als andere seinesgleichen: Fleischbrühsuppe, gutes Ochsenfleisch, schmackhafte Gemüse, Eierspeisen und an festlichen Tagen Braten, das war es, was er zu genießen pflegte. Nun mußte er die roheste Kost essen und dabei sehen, wie die Herrlichkeiten, die ihm die Mutter früher mit aufmunternden Worten vorgesetzt, von Madlene ins Kanzlei getragen und dort unter fröhlichem Diskurs verspeist wurden.

In der ersten Zeit erduldete er alle diese Unbilden mit großer Standhaftigkeit. Vor allem hielt ihn sein Trotz oben, und er dachte wirklich mit jenem Jungen, der aus Mangel an Handschuhen die Finger erfror: es geschieht meinem Vater ganz recht, warum hat er mich aus dem Hause getrieben! Viel mehr aber stärkte und erhob ihn die Liebe und das Bewußtsein, wie mannhaft er seine Treue bewähre und wieviel er um der Geliebten willen ertrage. Wenn sie mich jetzt sähe, dachte er, wieviel ich mir gefallen lasse um ihretwillen, ein Mensch wie ich bin, es würde ihr gewiß ans Herz gehen! Wenige Tage nach Absendung seines Briefes war von Annemarie eine Antwort gekommen, ein liebliches Echo seiner Gedanken und Versicherungen. Das Vorgefallene beklagend, sprach sie dem, der ihr Mut zugesprochen, wieder Mut zu und schloß mit der sicheren Hoffnung auf eine endliche glückliche Wiedervereinigung. Ludwig freute sich innig, von der Geliebten zu hören, was er ihr selber geschrieben hatte. Er malte sich aus, wie es ihnen wohl noch gehen und unter welchen glorreichen Umständen sie wieder zusammenkommen möchten; und solche Gedanken machten ihn allerdings hier und da bei der Arbeit etwas zerstreut und ließen ihn kleine Fehlgriffe begehen, auf welche sich seine Tadler mit einigem Recht berufen konnten.

Wenn Ludwig mehr innerlichen Lebens fähig war als viele seinesgleichen, so war er doch kein Mann der Einbildungskraft von Profession und keineswegs bestimmt, sich durch bloße Vorstellungen über den Verlust reeller Güter zu trösten. Die Wirklichkeit riß ihn oft sehr grob aus seinen Träumen, diese verloren überhaupt nach und nach ihre Kraft, und er fühlte die Erniedrigung seiner Lage, sowie die Klemme, in der er steckte, doppelt und dreifach. Im Hause des Schmiedbauers und im Dorfe fand er keinen Trost. Seinen Mitehehalten blieb er fremd. Ein dritter Knecht und die Mägde hatten ihn zuerst mit einer gewissen Rücksicht behandelt, weil sie glaubten, sein Vater werde bald kommen und ihn abholen. Als das aber nicht geschah und Ludwig still fortarbeitete, verlor sich ihr Respekt; sie nahmen ihn für einen wirklichen verlorenen Sohn und für ihresgleichen. Wenn er gewollt hätte, so würde ihm sein »feines Gesicht« bei den Mägden gutes Spiel bereitet haben. Die ältere, eine passabel hübsche Dirne, glaubte, so viel wie eine Zimmermannstochter könne sie auch noch vorstellen, und schickte dem Traurigen teilnehmend süße Blicke zu; da er aber nicht in der gewünschten Art darauf antwortete, so erklärte sie ihn für einen Hansnarren und wurde um so »schnötziger« gegen ihn. – Nicht viel besser erging es ihm mit den übrigen jungen Leuten des Dorfes. Es hätte sich unter ihnen wohl ein Kamerad gefunden, wenn er ihn gesucht hätte. Allein eine stolze Scheu hielt ihn zurück, und man ließ ihn gehen. Zuerst hatte sein Auftreten als Knecht ein mächtiges Gerede veranlaßt; man begaffte ihn, schüttelte den Kopf und einzelne erlaubten sich mit ihm zu scherzen und ihm zuzurufen, daß sein Dienen nicht lange dauern werde. Nach und nach gewöhnte man sich an seine Stellung und es kam ihm endlich vor, als ob die Leute sie ganz in der Ordnung fänden. Das ärgerte und verletzte ihn noch am meisten. Durch die Tagesarbeit tüchtig ermüdet, suchte er früh das Bett, gegen dessen Reinlichkeit er sonst sehr viel einzuwenden gehabt hätte, und wenn er nicht süß träumte, so schlief er wenigstens.

Als er in der vierten Woche seinen Zustand und sich selber ins Auge faßte, fand er den Geldbeutel leer, den einzigen Anzug, den er mitgenommen, abgerissen, seine Hände viel schwieliger und sein Gesicht viel verbrannter als vorher. Er mußte sich sagen, daß es doch seine großen Bedenken habe, mit seinen Eltern zu brechen und sich ohne ihre Hilfe von seiner Hände Arbeit zu ernähren. Es kam ihm vor, als ob er gegen den Vater vielleicht etwas weniger hitzig hätte sein können; allein diesen Gedanken verwarf er gleich wieder und sagte: »Nein, so hab' ich handeln müssen!«

Die Sehnsucht, die Geliebte zu sehen, war unterdessen gewachsen. Er konnte ihr zuletzt nicht länger widerstehen und schrieb ein Briefchen, worin er Annemarie bat, am nächsten Sonntag nachmittag um vier Uhr nach Nördlingen in einen vor dem Reimlinger Tor gelegenen Wirtsgarten zu kommen, er müsse sie wieder einmal sehen und mit ihr reden. Dann ging er zum Bauer und bat ihn um drei Gulden von seinem Lohn. Der Schmiedbauer benutzte die Gelegenheit, ihm zu bemerken, daß er sich doch besser gemacht habe, als er anfänglich geglaubt, und wenn er sich nur das viele Sinnieren abgewöhnen könnte, so würde er mit der Zeit ein ganzer Knecht werden. Nach dieser Anerkennung schloß er ein Wandschränkchen auf, nahm eine wohlgetrocknete, mit Geld gefüllte Schweinsblase oder »Blotter« heraus und zählte dem Burschen in kleiner Münze drei Gulden vor, indem er ihn ermahnte, damit hauszuhalten, da er jetzt nicht gleich wieder mit Geld herausrücken würde. Ludwig, von dieser Rede hinwegsehend, empfand ein ungewohntes Vergnügen, als er das selbstverdiente Geld in der Hand hatte, und sein Mut stieg bedeutend. Er beschloß, einen Gulden auf Ausbesserung seiner Kleider zu verwenden, mit den beiden anderen aber, wenn's nötig wäre, seine Geliebte zu regalieren wie ehedem.

Im Hause des Angerbauers ging indes das alte Leben ohne Ludwig still weiter. Das Geschwätz im Dorf, das Staunen, Vermuten und Lügen über diesen Gegenstand hatte, wenn nicht aufgehört, doch nachgelassen, und schadenfrohe wie teilnehmende Freunde ließen die Familie mit ihren Fragen und den Versicherungen ihres Bedauerns so ziemlich in Ruhe. Der Angerbauer hatte dafür gesorgt, daß er für seine Person ganz unangefochten blieb, indem er ein paar vorwitzige Frager auf eine Weise abfertigte, daß sie ihm über die Grobheit ordentlich erstarrt nachschauten und ihren Bekannten den Rat erteilten, ihn gehen zu lassen, sie wären verflucht heimgeschickt worden. Sonst hatte er die würdige Ruhe wieder angenommen, die ihn auszeichnete, und nur ein größerer Ernst und eine gewisse Freudlosigkeit in seinen Zügen deuteten auf den Vorfall. Die Arbeiten der Heuernte – des »Heuets« oder rieserisch »Häats« – zogen ihn von seinen Gedanken ab, und da es Heu in Fülle gab, wurde er sogar wieder ein wenig aufgeheitert. Es hatte den Anschein, als ob er das abgefallene Glied der Familie ohne Umstände liegen lassen und seinen Weg fortsetzen wollte, als hätte es nie existiert. Er verbot den Seinen, mit Einschluß des Schwiegersohnes, aufs strengste, dem Ungeratenen Botschaft zu tun oder ihm gar Geld zu schicken, und da alle seinen Zorn fürchteten und dem Entlaufenen mehr oder weniger zürnten, so gehorchten sie ihm. Die Mutter wagte nur, sich durch eine Freundin nach ihrem Ludwig erkundigen zu lassen, wie's ihm gehe.

Ein Makel haftete indes an der Familie, wie er, soweit des Bauers Kenntnis reichte, nie in derselben vorgekommen. Wenn er unter die Leute ging, so drohten ihm wenigstens Anspielungen, die ihn beschämten und quälten. Er mußte Gesichter sehen, die viel kränkender durch ein Lächeln ausdrückten, was der Mund nicht zu sagen wagte. Das stolze Dasein des reichen Mannes war ein gespanntes, verkümmertes geworden; seine Zufriedenheit, die so sehr auf der Geltung seiner Familie bei anderen beruhte, war dahin. In der ruhigeren Zeit, die nach dem Heuet eintrat, stellte sich ihm wieder alles recht vor die Seele. Er bedachte, wie verständig sein Sohn sich immer aufgeführt, er konnte nicht begreifen, wie er es vermochte, eine solche Schande über die Familie zu bringen, und der Gedanke, daß Annemarie ihn in eigennütziger Absicht verführt, daß sie eine schlaue Dirne sei, die sich nur so brav anstellen könne und die Leute bisher getäuscht habe, drängte sich ihm in neuer Stärke auf. »Er kann sich nicht so mir nichts dir nichts geändert haben,« sagte er dann zu sich, »es muß etwas Besonderes dahinter stecken.« In einem früheren Jahrhundert hätte er das Mädchen vielleicht für eine Hexe ausgegeben und sie durch einen Prozeß verfolgt; jetzt glaubte er wenigstens, daß sie alle natürlichen Mittel eines listigen, zu seinem Unglück schönen Weibsbildes angewendet hätte, um seinen gutmütigen Ludwig zu betören. Dafür schienen ihm namentlich auch die geheimen Zusammenkünfte zu sprechen, von denen ihm die Mutter gesagt hatte. Er dachte sich, wie es gegangen sein könnte, und nachdem er sich's recht deutlich vorgestellt hatte, zweifelte er nicht länger, daß es wirklich so gewesen. Als er seine Gedanken der Ehehälfte mitteilte, trat diese – froh, die eigentliche Schuld von ihrem Sohne genommen zu sehen, eifrig seiner Meinung bei. »Ja, ja,« sagte sie, »so wird's sein. Sie macht zwar eine Miene, als ob sie die Beste und Frömmste im Dorfe wäre; aber stille Wasser gründen tief. Solche Verführerinnen sind gerade die schlimmsten, und nur so eine konnte den Ludwig so weit bringen!« In der stillen Hoffnung, daß der Sohn nach kurzer Zeit doch wieder zu ihm kommen würde, getäuscht und über seinen fortdauernden Trotz aufgebracht, entlud sich das Ehepaar nun seines Verdrusses und Zorns nach der Seite des Mädchens. Sie habe das Unglück angestiftet, das über die Familie gekommen; von ihr sei's ausgegangen, das wüßten sie nun gewiß, und was jetzt noch Schlimmes daraus entstehen würde, das hätte man ihr zu danken. Sie sei eine Scheinheilige, die's hinter den Ohren habe und vor der man jeden jungen Menschen von Vermögen warnen müsse. Solche Dinge sagte man zu den Vertrauten; diese sagten es hernach wieder ihren Vertrauten, und in zwei Tagen war das ganze Dorf davon erfüllt. Man erzählte sich, daß die Angerbäuerin ihrer Freundin im oberen Dorf weinend geklagt habe, welcher Jammer durch dieses fremde Mädchen über sie gekommen und wie sie verzweifeln müsse, wenn sie ihren Ludwig nicht wiedersähe.

Annemarie hatte seit dem Tage, wo sie den Brief des Geliebten erhalten und beantwortet, entsagend weiter gelebt und die Geschäfte des Tages verrichtet. Man sah, daß etwas auf ihr lastete, aber auch, daß sie entschlossen war, die Last zu tragen. Der alte Bäcker hielt ihr einmal vor, welch schlimme Folgen ihre Bekanntschaft mit dem Ludwig gehabt habe, und wie grausam unlieb ihm diese Geschichte sei. »Vetter,« erwiderte das Mädchen mit bescheidenem, aber festem Ton, »ich weiß, was ich Euch schuldig bin, und ich vergess' es nicht, darauf verlaßt Euch; aber in der Sache handle ich, wie ich's vor meinem Gewissen verantworten kann, und ich bitt' Euch, redet mir nicht weiter davon.« Der gutmütige Vormund, von dem Ernst ihres Tones betroffen, versetzte: »Nun meinetwegen! Aber nimm dann auch die Folgen auf dich!« Seit dieser Zeit hatte sie Ruhe vor Einreden von dieser Seite, und sonstiges Geklatsch war ihr gleichgültig.

Als die Vorwürfe, welche die Familie des Angerbauers ihr machte, an sie kamen, wurde diese Festigkeit doch erschüttert. Eine Freundin sagte ihr, welch eine Traurigkeit in jenem Hause sei, nun man sehe, daß Ludwig es ernst gemeint habe mit seiner Rede vom Nichtwiederkommen. Regine erzählte nach gehöriger Einleitung, daß man sie eine Verführerin heiße, die nach einem reichen Manne gefischt habe und an allem Unglück schuld sei. Bei dieser zweiten Meldung goß sich eine Röte über das Gesicht des Mädchens und ihr Mund verzog sich zu dem Ausdruck stolzer Verachtung. Bald aber faßte sie sich wieder und sagte mit traurig ergebenem Ton: »Diese Leute dauern mich. Wenn sie solche Dinge über mich ausdenken, so wackere Leute wie sie sind, dann müssen sie wirklich unglücklich sein.« – Sie wurde durch diese neue Erfahrung in eine seltsame Aufregung versetzt. Es tat ihr weh, daß sie eine Uneinigkeit zwischen Eltern und Sohn gestiftet haben sollte, deren Ende nicht abzusehen war. Dann aber sagte sie sich: »Diese Leute sehen also die Heirat zwischen mir und Ludwig für eine solche Schande an, daß sie lieber unglücklich sein wollen, als sie zugeben! Sie heißen mich ein schlechtes Mädchen und sagen Lügen über mich; sie halten es also in gar keiner Art für möglich, daß ich einmal ihre Schwiegertochter werden könnte!« Ein Gedanke durchzuckte sie, sie stand auf und tat einige Schritte. Plötzlich hielt sie an; eine Erwägung hatte sich dem Vorsatz entgegengestellt, sie ging still wieder zu einer Arbeit. – Ihre Seele war von da an eine Beute des Zweifels. Man sah sie in Unruhe umhergehen oder tief in Gedanken stehen. Regine überraschte sie einmal, wie sie bittere Tränen weinte.

Die einzige Person unserer Bekanntschaft, welche bei dieser Verwickelung ihre Ruhe behielt, war der Pfarrer. Diese Ruhe war jedoch gegründet auf wahre Teilnahme und auf den Entschluß, das zu unterstützen, was er für das Bessere hielt. Noch hatte er sich nicht entschieden, wie er eingreifen sollte. Aber er unterrichtete sich fortwährend über die Lage der Dinge und lebte des festen Glaubens, seine Pflicht werde sich ihm deutlich vor Augen stellen, so daß er über sie und über die Art ihrer Erfüllung nicht mehr in Zweifel sein könnte.

Eines Morgens überdachte er eben diese Dinge, als an die Tür seines hellen, im oberen Stocke gelegenen Studierzimmers geklopft wurde. Auf sein »Herein« erschien Annemarie. Sie sah angegriffen aus, wie wenn sie wenig geschlafen und viel quälende Gedanken gehabt hätte; aber in ihrem ganzen Wesen drückte sich die Ruhe eines gefaßten Entschlusses aus. Nachdem sie mit ernster Anmut einen Knicks gemacht und den Morgengruß gesprochen hatte, sagte sie: »Ich hätt' was mit Ihnen zu reden, Herr Pfarrer, wenn ich Ihnen nicht ungelegen komme.« – Der alte Herr, innerlich erfreut, erwiderte freundlich: »Nein, mein Kind; sag mir, was du auf dem Herzen hast!«

Annemarie, durch ihren Vorsatz über die einem jungen Mädchen gewöhnliche Schüchternheit erhoben, begann mit nur leisem Erröten: »Sie wissen, Herr Pfarrer, was es beim Angerbauer gegeben hat und wie ich dabei ins Geschrei gekommen bin. Ich will Ihnen die Geschichte nicht wiedererzählen; sie wird Ihnen bekannt sein – man hat ja so viel darüber gesprochen! Nun hab' ich aber dieser Tage gehört, sie sagen beim Angerbauer, ich allein sei an allem schuld und ich habe den Ludwig verführt. Herr Pfarrer,« sagte sie, indem ihr Ton sich verstärkte und ihre Wangen sich höher röteten, »ich kann Gott zum Zeugen anrufen, daß das nicht wahr ist! Wir haben uns eben beide von Anfang an gern gesehen, und – – Sie wissen ja, wie's geht, wenn man sich gern sieht und eine Person einem die liebste ist auf der Welt. Ich hab' ihn halt liebhaben müssen, grad wie er mich, und so ist's gekommen, daß wir uns endlich gesagt haben, wir wollen nicht voneinander lassen und uns treu bleiben, bis wir mit Gottes Hilfe zusammenkommen. Wegen dieses Verspruchs ist Ludwig mit seinem Vater in Streit geraten und dient jetzt als Knecht. Ich hab' das nicht vorausgesehen, aber wenn ich's vorausgesehen, was hätt' ich tun können? Ich will Ihnen bloß sagen und will's vor Ihnen beschwören, daß ich ihn nicht verleitet habe. Er hat sich einmal seinen Eltern zulieb fremd gegen mich gestellt und mich nicht mehr angesehen, und ich bin ihm zu dieser Zeit nicht nachgegangen, wie jeder weiß, sondern ich bin ihm ausgewichen. Ich hab' ihn nicht wieder gesucht, er hat mich gesucht – und das ist die Wahrheit!«

Der Pfarrer betrachtete teilnehmend das Mädchen, dessen Augen in dem Feuer gerechter Selbstverteidigung erglänzten, und sagte: »Ich glaube dir und weiß es, mein Kind.« Annemarie, ihn dankbar anschauend, fuhr fort: »Ich hab' das nicht gesagt, als ob ich gar keine Schuld haben wollte. Ich hab' jederzeit empfunden, daß es Verdruß geben würde, recht viel Verdruß, und daß die Angerbauersleute recht bös auf mich sein würden. Aber, Herr Pfarrer, wenn Sie gesehen hätten, wie gut der Ludwig gegen mich war und wie er mich ansah – wenn Sie gehört hätten, was er noch auf der Nördlinger Messe zu mir gesagt hat, Sie würden mir's gewiß nicht so übelnehmen, daß ich ihm zur Antwort gegeben habe: ich wolle ihm gehören und die Seinige bleiben, solang' ich lebe! – Es ist eben,« setzte sie mit einem Seufzer hinzu, »etwas in uns, das mehr Gewalt hat als unser Wille und unsere Sorgen.«

Der Pfarrer nickte mit ernster Miene, die Tatsache zugebend. Dadurch ermutigt, ging das Mädchen in ihrer Rede weiter und sagte in liebenswürdigem Selbstgefühl: »Ich will's Ihnen aufrichtig bekennen, Herr Pfarrer: ich denke nicht so gering von mir, sondern halte auch etwas auf mich. Ich komme von braven Leuten her und glaube, daß ich keiner Familie Schande machen würde. Ich hab' etwas gelernt und bin ein ordentliches Mädchen gewesen mein Leben lang. Da hab' ich nun gedacht, wenn ich auch keine Bauerntochter und nicht so reich bin, so bin ich doch diejenige, mit welcher der Ludwig am glücklichsten leben würde. Und ich hab' gedacht, sein Vater würde das am Ende einsehen und nachgeben. Aber« – fuhr sie nicht ohne Bitterkeit fort – »das ist eben der Gedanke, den ich mir nicht verzeihen kann. Ach, Herr Pfarrer, das Geld ist alles und der Stand ist alles, und die Tugend ist nichts! Man redet wohl so, als ob die Tugend und die Liebe auch etwas wären, aber wenn's drum und dran kommt, gelten sie doch nichts. Wenn ein Mädchen keinen Verstand und keine Art hat, aber Geld und Gut, dann ist sie die Rechte. Wenn eine sich aber auf andere Dinge etwas zu gute tun will und merken läßt, daß diese ebensoviel wert sind als Gut und Geld, dann hält man sie für verrückt!« – Über ihren Eifer und den letzten starken Ausdruck errötend, setzte sie hinzu: »Verzeihen Sie, Herr Pfarrer!«

Der alte Herr lächelte und sagte: »Du hast nicht ganz unrecht, Annemarie. – Aber nun sage, was begehrst du von mir? Worin kann ich dir helfen?« – »Herr Pfarrer,« versetzte das Mädchen, indem sie sich augenscheinlich zusammennahm, »ich bin zu Ihnen gekommen, weil ich Ihnen sagen möcht', was ich bei mir ausgemacht habe. Der Ludwig hat mir Lieb' und Treu' versprochen für alle Zeit. Er hat's freiwillig getan und mir's zugeschworen bei allem, was heilig ist. Ich könnte also ruhig sein und zusehen, wie der Streit ausginge. Ich hätte nur mein Versprechen zu halten, wie ich's ihm gegeben hab', und könnte das andere Gott überlassen. Aber,« fuhr sie bewegter fort, »ich will diese Leute nicht ins Unglück bringen, wenn sie's dafür nehmen, und ich bilde mir viel zu viel ein, als daß ich mich einer Familie aufnötigen möchte, die mich nicht haben will. Ich kann's nicht ertragen, Herr Pfarrer, daß die mich verachten, die ich allezeit lieb und wert gehalten hab', und darum will ich jetzt tun, was ich mit gutem Gewissen tun kann.«

Sie hielt ein wenig inne, nahm sich nochmals mit offenbarer Anstrengung zusammen und sagte dann mit einem Tone, dem sie vergebens die erste Festigkeit zu verleihen suchte: »Ich will dem Ludwig sein Wort zurückgeben, er soll von mir aus frei sein und tun können, was er will. Er soll noch einmal die Wahl haben, ob er mich lassen und seinem Vater nachgeben will oder nicht. Ich will durchaus nichts dagegen tun und ihm in keiner Art hinderlich sein, wenn er glaubt, daß er mit einer andern sein Glück findet. Wenn das ist, dann will ich fortgehen von hier, daß ich ihn nicht mehr seh' und er mich nicht mehr. Ich hab' einen Vetter bei Stuttgart, der wird mich zu sich nehmen. Ich will nichts mehr von mir hören lassen, und es soll grad so sein, als ob ich nicht mehr auf der Welt wäre. Ich will für meinen Teil« – – Aber damit war die Kraft des guten Mädchens zu Ende. Ihr Mund zuckte, die Stimme versagte ihr, Tränen waren in ihre Augen gestürzt. Sie gab sich Mühe, das Weinen zu verhindern, und kämpfte sichtlich dagegen an, aber doch rollten ein paar große Tropfen über ihre Wangen. Indem sie ausführte, was gekränkter Stolz und Großmut sie tun hießen, glühte die heißeste Liebe zu ihrem Ludwig in ihr auf; idem sie den Geliebten freigeben wollte, klammerte sie sich an ihn mit einem schmerzlich innigeren Gefühl als je vorher.

Der Pfarrer erkannte das und sah mit Rührung auf sie, wie sie dastand und ihre Tränen fließen ließ. Er wußte das Herkommen, den Brauch der Welt zu schätzen, denn er kannte die guten Gründe, auf denen er ruht. Er wußte, daß am besten sich Gleiches zu Gleichem gesellt, daß das gleiche Vermögen und die gleiche Stellung mit dem gleichen Gefühl davon sehr bedeutende Mittel zu einer guten Ehe sind. Aber er wußte auch, daß das Recht der äußeren Ordnung seine Grenzen hat, und daß es Dinge gibt, vor welchen sie sich bescheiden zurückstellen muß. Er war nicht rasch gewesen, die Partei des Liebespaares zu nehmen, weil er Fälle kannte, wo das Kind reicher Leute den Eltern es später Dank wußte, daß sie dem ersten verliebten Drängen nicht nachgegeben. Allein wie er sah, daß er in Annemarie eine wahrhaft gute Natur vor sich hatte, wie ihr Gemüt sich vor ihm enthüllte in seiner ganzen Bravheit und Schönheit, da dachte er, erfreut und bewegt: »Die Sitte der Welt mag diesmal die Segel streichen! Hier ist mehr als sie und ihre Herrlichkeiten. Der Geist und das Gemüt, die sich so erproben, sind mir Bürgen für alles; und wenn ich's machen kann, sollen sie diesmal die Oberhand behalten.« Er stand auf, trat zu Annemarie und nahm sie väterlich bei der Hand, indem er sagte: »Fasse dich, gutes Mädchen, du hast recht gehandelt und der Lohn dafür wird nicht ausbleiben, in welcher Form er dir auch kommen mag. – Wirst du das alles auch Ludwig zu wissen tun?« – »Ja, Herr Pfarrer,« antwortete Annemarie, die sich wieder gefaßt hatte. »Ganz das nämliche, was ich Ihnen gesagt habe, will ich ihm schreiben.«

Der alte Herr sah ihr forschend ins Auge und über sein gerührtes Gesicht verbreitete sich ein fast unmerkliches Lächeln. Er glaubte aus der Art, wie das Mädchen diese Antwort gab, schließen zu dürfen, daß der Schritt, den sie tat, auch zugleich eine letzte Probe sein sollte für Ludwig, und daß sie die Hoffnung hegte, er werde sie bestehen. Er sagte: »Tu' das, mein Kind, und erwarte das übrige in Geduld. Hast du sonst noch was auf dem Herzen?«

»Nein, Herr Pfarrer,« erwiderte Annemarie, indem sie sich die letzten stehen gebliebenen Tränen von den Wangen wischte. »Ich dank' Ihnen, daß Sie mich angehört haben, und bitte Sie nur noch darum, daß Sie dem Angerbauer, wenn Sie ihn treffen, sagen, ich sei nicht das Mädchen, für das er mich hält. Sie, Herr Pfarrer, kennen mich besser, und das ist mein Trost. Ich dank' Ihnen nochmals recht schön für Ihre Güte – ich werde sie immer im Gedächtnis behalten!« – Ihre weichen Züge verklärte, indem sie dies sagte, ein schönes Bewußtsein und Dankgefühl. Sie machte einen tiefen Knicks und verließ die Stube, nachdem sie noch einen Blick inniger Verehrung aus den Pfarrer geworfen.

Dieser sah ihr mit wahrer Freude nach. »Ja, ja,« sagte er dann zu sich, »das ist eine bessere Schwiegertochter für den Angerbauer als Eva; und wenn er nicht ganz verhärtet ist, soll er sie bekommen.«

Die erste Sorge des alten Herrn war nun, es so einzurichten, daß der Angerbauer ihn ebenfalls zu seinem Vertrauten machte. Dies mußte geschickt angefangen werden, wenn es gelingen sollte. Denn der Rieser Bauer von der Art des unserigen will sich nicht bevormunden lassen, er hält sich für gescheit genug, sein eigener Ratgeber zu sein, und es verdrießt ihn über die Maßen, wenn man ihn über Dinge belehren will, die er selber am besten zu verstehen glaubt. Natürlich kann er auch geführt werden, aber nicht so geradezu wie dieser und jener. Wäre der Pfarrer zum Angerbauer ins Haus gegangen und hätte mit einer gewissen beichtväterlichen Miene gefragt, wie es sich denn mit dem Streit zwischen Vater und Sohn verhalte, was der Vater nun zu tun gedenke usw., so wäre dies das beste Mittel gewesen, ihn verstockt, wo nicht gar unhöflich zu machen. Aber zu dieser Art von Seelsorgern, die im Eifer ihres Herzens Gott mit Unverstand dienen, gehörte der erfahrene alte Herr nicht. Er konnte warten und seine Zeit ersehen. Diesmal erreichte er übrigens seinen Zweck leicht. Er hatte ein Stück Vieh zu verkaufen, und als er dem Angerbauer einmal begegnete, lud er den Sachverständigen ein, es anzusehen und zu taxieren. Der Bauer folgte ihm sehr bereitwillig, denn er wußte den »braven und gescheiten Herrn« sehr zu schätzen und hätte gern schon einmal von seiner Not mit ihm gesprochen, wenn es sich nur »gut geschickt hätte«.

In dem kleinen Stalle des Pfarrers angekommen, unterzog er sich dem Taxierungsgeschäft sehr ernsthaft. Er begriff das Stück an den geeigneten Stellen, betrachtete es von allen Seiten und sagte dann genau, wieviel der Pfarrer dafür fordern könne. Dieser dankte und rühmte seine Kenntnis. Er selber, obwohl er immer einige Stück Vieh haben müsse, sei doch unsicher, weil ihm die gerade üblichen Preise nicht recht bekannt wären. Der Bauer versetzte höflich: »Wenn Sie sich damit abgeben wollten, Herr Pfarrer, würden Sie's geschickter machen als unsereiner; aber Sie haben was Besseres zu tun.« Der alte Herr fragte hierauf mit unbefangener Freundlichkeit, was die Angerbäuerin mache und ob bei ihm zu Hause alles gesund sei. Der Bauer erwiderte mit einem Seufzer: »Gesund wären wir alle, Herr Pfarrer; aber Sie können sich denken, wie's uns zu Mute ist nach dem, was bei uns vorgefallen ist.« – »Ja, ja,« sagte der Pfarrer, »ich habe davon gehört und Euch recht bedauert.«

Der Angerbauer, der sein Herz erleichtern wollte, sagte hierauf: »Ich kann's noch immer nicht begreifen, soviel ich auch darüber nachgedacht habe. Lustig und ein bißchen aufs Vergnügen aus ist er immer gewesen, aber in der Art und mit seinesgleichen. Runtergegeben hat er sich niemals, was ich gehört hab'. Und nun ist er auf einmal ganz wie verhext und will ein Mädchen heiraten, die – nun, ich will mich nicht ausdrücken vor Ihnen, Herr Pfarrer. Wie ich nicht gleich Ja sage, lauft er davon und verdingt sich als Knecht. Und das tut er in dem Augenblick, wo er einen Hof und ein Weib haben könnte – ein Weib und ein Gut – ein anderer würde Gott auf den Knieen danken, wenn er's kriegte!«

Der alte Herr war versucht, über diesen starken Ausdruck zu lächeln, aber er hielt an sich und machte ein ernsthaftes Gesicht, das der Bauer für zustimmend halten konnte. Dieser, einmal im Zuge, bewies, daß er wohl auch reden konnte, wenn's ihn drückte. »Ach, Herr Pfarrer,« rief er aus, »die Welt muß anders geworden sein, als sie zu meiner Zeit gewesen ist. Ich bin auch jung gewesen und bei der Lustbarkeit gerade nicht der letzte; aber wie meine Zeit zum Heiraten gekommen ist, hab' ich mich unter rechten Mädchen umgesehen und gottlob ein Weib gefunden, mit der ich nun glücklich gehaust habe volle neunundzwanzig Jahre. Wenn ich nun verlange, daß meine Kinder mir nachschlagen und ihr Glück auf dem Weg suchen sollen, wo ich's gefunden hab', ist das nicht in der Ordnung? Muß ich als Vater nicht so handeln?« – »Ja,« sagte der Pfarrer mit nachdrücklicher Beistimmung, »das ist Eure Pflicht!«

Der Angerbauer, dem dies wohltat, fuhr fort: »Sehen Sie, Herr Pfarrer, in der Familie muß ein Zusammenhalt sein, alle müssen helfen, wenn man weiter kommen soll. Ich hab' von meinem Vater einen schönen Hof bekommen und mein Weib hat mir Geld ins Haus gebracht; wir haben ordentlich gewirtschaftet und unser Vermögen vermehrt, daß wir nun wohlhabende, und ich darf wohl sagen, angesehene Leute sind. Ich kann's meinen Kindern besser machen, als es uns gemacht worden ist, und nun will ich auch haben, daß sie's noch weiter bringen als wir, und daß sie für ihre Kinder noch mehr tun können. Sie müssen sorgen und immer darauf aus sein, in rechter Art etwas zu erwerben. Nur so kommt man empor, man findet ein sicheres Glück und Ehre in der Welt und kann sich im Wohlstand seines Lebens freuen.«

»Wohl,« sagte der Pfarrer, »und es ist nicht bloß der Besitz, der einen erfreut, sondern das Streben und die Tätigkeit selber. Der Mensch muß sich ein Ziel stecken, das über den Platz, auf den man ihn gestellt hat, hinausgeht. Dann werden seine Tage ausgefüllt mit Arbeit, mit Dichten und Trachten, mit Hoffen und Erwarten, und Schritt für Schritt mit der Freude des Gelingens. Und indem er glücklich ist und sein Leben verschönert, trägt er bei zur Verschönerung und Verbesserung der Welt. Auf die Größe des Besitzes kommt es da nicht an. Der Kleine freut sich am kleinen Gewinn, der Größere am größeren; jeden erquickt das verhältnismäßige Wachsen und Gedeihen, und so sind alle glücklich, die ein verständiges Ziel vor sich haben. Wer aber nicht vorwärts strebt, der kommt neben dem Strebenden zurück und geht dem Mangel und der Unlust zu.«

Der Bauer war dieser Rede mit Aufmerksamkeit gefolgt und rief nun erfreut aus: »So ist's, Herr Pfarrer, grad so ist's, wie Sie sagen! Darum« – fuhr er mit Bedeutung fort – »soll eben jeder in seinem Stand bleiben, namentlich nicht unter seinem Stand und Vermögen heiraten, sondern gleich da so gut als möglich anzukommen suchen. Ich will gern zugeben, daß andere mit wenigem auch glücklich sein können; aber wer von vermöglichen Leuten herkommt, braucht mehr, weil er's nicht anders gewohnt ist. Und, Herr Pfarrer, Sie wissen's ja selber, um ein rechtes Vermögen ist's halt eine schöne Sache! Wenn ich das habe, so kann ich mich sehen lassen, ich brauch' mich nicht zu ducken und nicht um das und jenes zu betteln, und wenn gute Freunde in der Not sind, kann ich ihnen helfen. In ein Gelump hineinkommen, wo ich notig tun und knickern müßte, um nur zu bestehen, müßte unsereinen desperat machen. – Und,« fuhr er nach kurzem Innehalten fort, indem seine Miene den Ausdruck erzürnter Bekümmernis annahm, »dieser leichtsinnige, toll gewordene Mensch will sich schlechter stellen als seine Geschwister, während er's viel besser haben könnte als sie! Er will eine Lumpenwirtschaft anfangen, wo er sich quälen müßte und wo doch nichts herauskommen würde als ein Haufen von Bettlern!«

Der Geistliche hütete sich wohl, einzuwenden, daß im gegenwärtigen Falle, wenn nämlich der Vater dem Sohn seinen gebührenden Vermögensteil zukommen ließe, von einer »Lumpenwirtschaft« doch nicht die Rede sein könnte. Er wußte, daß den Erzürnten nichts mehr verdrießt, als wenn man ihm den Grund seiner Klage verkümmern will, und schwieg daher nachdenklich stille. Endlich sagte er: »Vielleicht geht diese Sache doch noch besser aus, als Ihr denkt.« – »Wieso?« fragte der Angerbauer. – »Die Annemarie,« versetzte der Pfarrer, indem er den andern scharf ansah, »ist vor einigen Tagen bei mir gewesen, extra um mir zu sagen, daß sie nicht schuld sein wolle an der Uneinigkeit einer solchen Familie wie die Eurige, und daß sie zu viel auf sich selber halte, um sich da aufzudrängen, wo man sie nicht haben wollte. Sie habe sich entschlossen, dem Ludwig sein Versprechen zurückzugeben, und wolle sich in keiner Art dawidersetzen, wenn er sein Glück mit einer andern finde.«

Der Angerbauer horchte hoch auf und wußte nicht, was er sagen sollte. Er fragte dann in zweifelndem Tone: »Hat sie das wirklich zu Ihnen gesagt?« – Der Pfarrer erwiderte mit einem Ernst und einem Nachdruck, der jeden Zweifel niederschlagen mußte: »Es sind ihre eigenen Worte, Angerbauer! Sie hat mir versprochen, das nämliche Eurem Ludwig zu schreiben, und ich verbürge mich dafür, daß es geschehen wird.«

Der Bauer verstummte; er war in die Seele getroffen. Ein im Grunde seines Wesens ehrenwerter Mann, der in der Tat jedem das Seine gab, konnte ihn nur der Zorn und der tiefe Verdruß zu ungerechtem Absprechen hinreißen. Nun mußte er sehen, daß ein Mädchen, die er eine heuchlerische, gefährliche Person gescholten, brav und rechtschaffen, ja weit über alles Erwarten rechtschaffen gegen ihn handelte. Es zeugte für seine gute Natur, daß ihn diese Nachricht mehr rührte als erfreute, daß er sogleich sein Unrecht fühlte und seiner stolzen Seele eine gewisse Achtung vor einem solchen Benehmen abgenötigt wurde. Endlich sagte er mit sehr ernsthaftem Gesicht: »Wenn sie das getan hat, dann ist sie besser, als ich gedacht habe. Sie mag ein ordentliches Mädchen sein, ich will's nicht bestreiten.«

»Man muß jedermann Gerechtigkeit widerfahren lassen,« versetzte der Geistliche. »Die Annemarie ist brav, geschickt, verständig, wohlerzogen, und würde jeden glücklich machen –« – »Von ihrem Stande!« fiel der Bauer ein. – »Das ist's, was ich sagen will,« erwiderte der Pfarrer; »wenn die äußeren Verhältnisse zustimmen.« – »Gut,« sagte der Bauer. »Bei meinem Ludwig ist das aber nicht der Fall, drum kann hier von einer Heirat nie die Rede sein.«

Der alte Herr schwieg. Dann fragte er leichthin: »Wie soll's nun mit Ludwig werden? Was habt Ihr beschlossen?« – Der Bauer konnte sich nicht enthalten aufzufahren. »Beschlossen?« rief er. »Ich glaube, da ist nichts zu beschließen, Herr Pfarrer. Dieser Mensch mag bleiben, wo er will, und gehen, wohin er will! Soll ich ihm nachlaufen? Soll ich ihn vielleicht bitten, daß er wiederkommen und die Zimmermannstochter heiraten soll? Soll ich nachgeben, der Vater dem Sohn?«

»Nein,« erwiderte der Pfarrer mit Ernst, »das sollt Ihr nicht, Angerbauer! Er muß nachgeben, er muß wiederkommen und dem Vater das Recht lassen, das ihm gebührt!« – »Freut mich,« versetzte der Bauer, »daß Sie so denken, Herr Pfarrer. So ein neustudierter Herr hätte vielleicht gemeint, ich sollte meinem Buben seinen Willen lassen: warum? weil die Leute ineinander verliebt sind und die Annemarie doch ein ordentliches Mädchen ist. Aber Sie kennen die Welt, Herr Pfarrer, Sie wissen, daß es beim Heiraten noch auf andere Dinge ankommt, und daß der Vater für den Sohn denken und Verstand haben muß.« – Nach diesen Worten lüpfte er die Alltagskappe, an welcher der sonst wertvolle Pelz etwas rötlich geworden war, und fragte: »Kann ich Ihnen sonst noch was dienen?« – »Nein,« versetzte der alte Herr, »ich danke Euch für Eure Gefälligkeit.« – »So wünsch' ich Ihnen guten Nachmittag,« sagte der Bauer und entfernte sich mit langsam würdigen Schritten.

Das Gespräch hatte teils im Stalle, teils in dem heimlichen, mit einer Mauer umgebenen Pfarrhof stattgefunden. Der alte Herr ging in seine Studierstube zurück, mit der Unterredung sehr zufrieden. Er hatte des Bauern Vertrauen gewonnen und wußte, daß dieser nun unter schwierigen Umständen ihn von selber um Rat angehen würde. Dann hatte er mit der Nachricht über Annemarie einen Keim in seine Seele gesenkt, der wachsen und gute Früchte bringen konnte. Er sah voraus, daß der Angerbauer seinem Weib und seinen nächsten Verwandten davon sagen würde, und daß diese, die sich auf ihr Geld und ihr Ansehen etwas mehr einbildeten, als recht war, in Annemarie ein ihnen ebenbürtiges Gemüt erkennen mußten. Auf die wackeren Leute mußte die Rechtschaffenheit, auf die stolzen das Selbstgefühl des Mädchens einen günstigen Eindruck machen.

Als er, solchen Gedanken hingegeben, behaglich auf seinem Lederstuhl sich dehnte, stürmte plötzlich sein Enkel in die Studierstube. Dieser hatte schon erfahren, daß Annemarie bei seinem Großvater gewesen, aber nichts Bestimmtes über die Unterredung aus ihm herausbringen können. Nun sah er auf dem Heimweg von einem Spaziergang den Angerbauer aus dem Pfarrhofe kommen und glaubte aus seinen Mienen auf eine Entscheidung, ja auf eine glückliche Beilegung des Streites schließen zu können. Von Neugier und gutmütiger Teilnahme getrieben, eilte er zu dem Großvater und rief aus: »Der Angerbauer ist bei dir gewesen und ganz zufrieden fortgegangen. Ich bin ihm begegnet. – Hast du ihn herumgebracht?« – »Wieso?« fragte der Alte. – »Will er den Ludwig zurückrufen und ihn die Annemarie heiraten lassen?« – »Ei, ei,« erwiderte der Alte heiter, »du hast dich also ganz auf diese Seite geschlagen und willst aus Ludwig und Annemarie durchaus ein Paar machen?« – »Ja,« versetzte der Jüngling bestimmt, »das will ich. Die zwei sind nicht nur die Schönsten im Dorf, sondern auch die Bravsten. Sie passen so zusammen, als ob sie extra füreinander geschaffen wären, und es kann nicht sein, daß sie wegen einer so gemeinen Sache, als das Geld ist, nicht zusammenkommen sollen!« – »Du gehst rasch und machst die Sache kurz ab,« erwiderte der alte Herr. »Wenn der Angerbauer aber nicht will?« – »Der muß,« entschied der Jüngling. – »Wer wird ihn zwingen?« fragte der Alte. »Willst du vielleicht zum Gericht gehen, einen Befehl auswirken, daß der Angerbauer sich fügen müsse, und die Sache mit Gendarmen abmachen?«

Theodor, der die heiter fragende Miene des Großvaters nicht aushalten konnte, sah zu Boden. »Ich habe gemeint,« sagte er dann, »du würdest einmal mit ihm reden, wie sich's gehört, würdest ihm klar machen, daß die geistigen Vorzüge viel höher stehen als die weltlichen, würdest ihn überzeugen und ihn zwingen durch einen Zuspruch.« – »Der alte Angerbauer,« erwiderte der Pfarrer, »ist ein sprödes und zähes Metall; das bißchen Feuer, das ich noch besitze, würde ihn nicht zum Schmelzen bringen. Du siehst ja, ich bin alt und teilnahmlos geworden und kann mich einer so schönen Glut, wie du sie hast, nicht mehr rühmen. Wie wär's« – fuhr er mit einem Ernst fort, der seine Laune beinahe verborgen hätte – »wenn du der Sache dich annähmst? Du willst ein Pfarrer werden und wirst als solcher gewiß gar vieles geschickter anfangen und besser hinausführen als ich. Wenn du beim Angerbauer dein erstes Probestück machtest? Wenn du hingingest, ihm und der Bäuerin eine Rede hieltest über das Verhältnis der ewigen und zeitlichen Güter und ihn durch begeisterte Worte dermaßen ins Feuer brächtest, daß er den Ludwig zurückriefe und ihm sein Liebchen zur Frau gäbe? – Wie?«

Theodor wurde rot und schwieg. Er hatte den Rieser Bauer vom Schlage des in Rede stehenden doch schon zu gut kennen gelernt, um nicht ihm gegenüber seine Unzulänglichkeit zu empfinden und sich zu sagen, daß ein solcher Versuch schmählich scheitern würde. Noch deutlicher erkannte er freilich, wie sein Großvater mit ihm spielte. Er sagte endlich mit gutmütiger Empfindlichkeit: »Du hast mich zum besten und behandelst mich wie ein Kind; und doch bin ich kein Kind mehr, sondern ein Mensch, der's gut meint und haben will, daß es andern wohl gehe, wenn sie's verdienen.« – Der Pfarrer sah ihn freundlich an, stand auf, zog ihn zu sich und schloß ihn mit zärtlicher Liebe in seine Arme. »Du bist ein Kind,« sagte er, »aber ein gutes Kind, und mit Gottes Hilfe wirst du auch ein guter Mann werden. Gib dich zufrieden. Wenn es deinem alten Großvater möglich wird, sollst du deine Wünsche noch erfüllt sehen.«

Der Angerbauer hatte, bald nachdem er in sein Haus zurückgekehrt war, die Bäuerin ins Kanzlei gerufen und ihr von seiner Unterredung mit dem geistlichen Herrn erzählt. Die Nachricht über den Entschluß des Mädchens wirkte auf sie wie auf ihn. Sie sah ein wenig beschämt aus und sagte: »So hätten wir dem Mädchen also doch unrecht getan! Ich muß dir jetzt nur sagen: so ganz von Herzen hab' ich nie dran glauben können. Es ist mir immer wieder gewesen, als ob sie am Ende doch nicht so schlimm wäre.« – Das Muttergefühl wußte nun auch auf das umgekehrte Verhältnis eine Entschuldigung für Ludwig zu gründen. »Wenn die Annemarie,« bemerkte sie nach einigem Bedenken, »so gesinnt ist, dann begreif ich freilich, warum der Ludwig so viel auf sie hält, daß er nicht mehr von ihr lassen will. Die Schönste im Dorf ist sie ohnehin, und wenn sie noch dazu so rechtschaffen ist und solche Gedanken im Kopf hat – das hat ihn eben verführt. – Was meint denn der Pfarrer, daß wir tun sollen?«

Der Angerbauer, dem diese Rede bedenklich mild vorkam, erwiderte streng: »Der Pfarrer ist ganz einverstanden mit mir. Gehen lassen sollen wir ihn, bis er von selber kommt, und nachgeben sollen wir ihm in keiner Art. Ich hab' den Herrn immer für gescheit gehalten, aber das muß ich sagen, daß er in der Sach' ganz meiner Meinung ist, hat mich besonders gefreut.« – Die Bäuerin, an den Absagebrief des Mädchens und seine Wirkung auf Ludwig denkend, sagte: »Wir wollen das Beste hoffen.« – Dann setzte sie hinzu: »Die Annemarie dauert mich eigentlich. Wenn man nur einen passenden Mann für das Mädchen wüßte! Ich kann mir's aber schon denken, nach dem Ludwig wird ihr keiner gefallen.« – »Bah,« erwiderte der Angerbauer, »bild' dir nicht soviel auf deinen verrückten Buben ein. Es gibt noch Mannsbilder in der Welt, die so ein Mädchen trösten können!« – Nach diesen Worten verließ er die Stube.

Die Mutter hatte nichts Eiligeres zu tun, als zu ihrer Tochter, der Schmalzbäuerin, zu gehen und ihr das eben Erfahrene mitzuteilen. Beide rühmten Annemarie und bedauerten, daß sie keine Bauerntochter sei, indem sonst nichts an ihr auszusetzen wäre. Bald war die ganze Freundschaft in Kenntnis gesetzt und alle sangen das Lob des Mädchens, natürlich unter der Voraussetzung, daß sie's ganz ernstlich meine und jeden Anspruch auf Ludwig aufgebe.

In der Freundschaft war jedoch eine Person oder vielmehr ein Persönchen, das für die Familieninteressen wenig Sinn hatte, desto mehr für das Glück des Liebespaares. Dies war »Johannesle«, das älteste Kind der Schmalzbäuerin. Dem Ludwig gewogen von seinem ersten Denken an, weil er sich am schönsten mit ihm abzugeben wußte, hielt er auch besonders viel auf Annemarie. Bald nach ihrer Ankunft im Dorf hatte sich diese nämlich in ein Gespräch mit ihm eingelassen und ihn zum Lohn für seine hübschen Antworten so schön gestreichelt, daß er's ihr nicht vergessen konnte. Als das Verhältnis zwischen den beiden sich entspann, erhorchte und erfragte er so viel, daß er darüber so ziemlich unterrichtet war, und ärgerte sich dann in der letzten Zeit nicht wenig, daß man zwei so nette Leute nicht zusammenlassen wollte. Zu wiederholten Malen versicherte er seiner Mutter, die zwei müßten sich kriegen, und endlich trug er ihr auf, sie solle mit dem Großvater reden. Die Mutter antwortete, er möge es doch selber tun. Und Johannesle faßte sich ein Herz, trug dem Großvater die Bitte vor und schloß damit: es ginge nicht anders, die zwei müßten sich heiraten. Der Alte sah ihn verwundert an und fragte, wer ihm diese Dummheit in den Kopf gesetzt habe. Johannesle versetzte ernsthaft: »Ich selber, Ähle,« und wiederholte sein Gesuch. Der Angerbauer, um solche Gedanken im Keim zu ersticken, machte ein böses Gesicht und sagte mit erzürntem Ton: »Du bist ein naseweiser Bursch! Diese Dinge gehen dich gar nichts an, und wenn ich dir gut zum Rat bin, so laß mich so was nicht wieder hören!« Eine gewisse Bewegung des Armes ergänzte den Sinn dieser Antwort. Der Knabe, den Großvater angaffend, ging einige Schritte rückwärts, murmelte dann aber, ein zweiter Galilei: »Sie kriegen sich doch!« – Von da an machte er verschiedene kindische Pläne, wie er den beiden helfen wollte. Auf dem Dorfe nämlich, wo man gar vieles offen verhandelt und auf etwa anwesende Kinder nicht immer Rücksicht nimmt, bekommen diese früh von menschlichen Verhältnissen eine Art von Begriff. Der Dorfbube lernt bald die erklärten Liebespaare in einem Orte kennen, das natürliche Gemüt findet es in der Ordnung, daß der schönste Bursche auch den nettesten Schatz habe und nimmt an ihrer endlichen Verbindung einen naiv poetischen Anteil; sowie ihm auch früh klar wird, daß zwei Verliebte sich treu bleiben müssen und nicht voneinander lassen dürfen. Als Johannesle von seinem Oberknecht hörte, die Annemarie habe sich anders besonnen und dem Ludwig geschrieben, er könne eine andere nehmen, erwiderte er bestimmt: »Ich glaub's nicht!« Und als der Oberknecht bei seiner Behauptung blieb, wurde der kleine Mann ganz hitzig und rief: »Es ist nicht wahr!«

Nachdem der Entschluß des guten Mädchens so in den Häusern der Freundschaft besprochen war, kam er bald im ganzen Dorfe herum. Der alte Bäcker, der ihn auch erst auf diesem Wege erfuhr, nahm sein Mündel bei der Hand, sah sie mit gerührtem Blicke an und sagte: »Du hast brav gehandelt, Annemarie! Laß dich's nicht reuen und bleib' dabei. Man muß den eingebildeten Leuten zeigen, daß man auch seinen Stolz hat.«

Als Annemarie das Lob erhielt, das wir ihr gleicherweise von der Familie des Angerbauers und ihrem Vormund haben spenden sehen, hatte sie es noch nicht ganz verdient: der Brief an Ludwig war nicht geschrieben. Sie hatte mehrere Versuche gemacht, im Kopf und mit der Feder, aber sie konnte die Ausdrücke nicht finden, die ihr genugtaten. Sie wollte einen ehrlichen Brief schreiben, der aus dem Herzen kam; aber was sie zu sagen hatte, wollte dem Geliebten gegenüber nicht aus dem Herzen kommen. Durfte sie nach allem, was geschehen, ihn noch einmal fragen, ob er ihr wirklich treu bleiben wolle? Durfte sie sich den Schein geben, als halte sie es für möglich, daß er ihr Anerbieten annehmen und seinen Eltern folgen könnte? War das nicht eine unverdiente Kränkung für ihn? Wie sollte sie's nun anfangen, daß alles so gut und schonend als möglich herauskam? In Bedenken und Fehlversuchen verging eine ganze Woche. Endlich vernahm sie, daß ihre Unterredung mit dem Pfarrer bekannt geworden und wegen ihres Versprechens im Hause des Angerbauers große Freude sei. Dieses Bekanntwerden und diese Freude, sie »los zu werden«, brachte sie wieder in die rechte Stimmung. Sie setzte sich hin und schrieb, ohne abzusetzen, folgendes:

»Herzgeliebter Ludwig! Ich hätt' nicht gedacht, daß ich Dir einen Brief schreiben würde, wie ich jetzt tun muß. Aber so geht es in dieser Welt. Man nimmt sich die besten Dinge vor, dann kommt etwas dazwischen und nötigt uns anders zu handeln, als wir gedacht haben. Seitdem ich an Dich geschrieben hab', ist hier etwas geschehen – solang' ich lebe, hat mir nichts so weh getan und mich so gekränkt wie das. Ich will Dir's nur kurzweg sagen. Dein Vater und Deine Mutter, wie sie gesehen haben, daß Du wirklich nicht mehr kommst, haben ihren Zorn und ihren Verdruß an mir ausgelassen; sie haben herumgesagt, ich sei darauf ausgegangen, Dich zu verführen, weil ich gern die Söhnerin eines reichen Bauern geworden wäre; ich hätte Dich listig gelockt, und ihr gutmütiger Ludwig hätte sich fangen lassen. Ich sei überhaupt eine rechte Duckmäuserin und eine gefährliche Person, vor der man sich hüten müsse. Diese Reden gingen durchs ganze Dorf und in allen Haushaltungen wurde davon gesprochen. Ludwig, Du kennst mich, ich brauch' Dir nicht zu sagen, wie mir bei diesen Lügen zu Mute geworden ist. O die reichen Leute! Nimm mir's nicht übel, Ludwig, aber die sind überall die nämlichen. Sie glauben, es gäbe nichts Besseres als das viele Geld, das sie haben, und wenn die anderen etwas tun, so tun sie's einzig und allein, um auch so viel Geld zu bekommen. Wenn nun erst ein armes Mädchen den Sohn reicher Leute lieb hat, dann ist natürlich gar kein Zweifel, daß sie nur eine reiche Frau werden will. Daß sie ihn lieb hat, weil er brav und gut ist, daß sie ihn, wenn er arm wäre, grad so lieb, ja vielleicht noch lieber haben würde – das ist natürlich ganz unmöglich!

»Neben diesen Lügen über mich hab' ich auch noch hören müssen, daß Deine Leute ganz unglücklich sind über diese Geschichte, die ich ihnen angerichtet haben sollte, daß Trauer und Kummer in Deinem Hause sei. Das ist die Wahrheit, Ludwig! Ja, ja, unglücklich sind sie gewesen! Es ist aber auch gar zu arg! Eine Schwiegertochter zu bekommen wie ich bin, ist das nicht eine Schande und ein Elend, wie es kein zweites mehr gibt? Lieber eine Kröte ins Haus oder eine giftige Schlange! – Als ich das alles gehört hab' – denn es ist mir alles zugebracht worden – was sollt' ich tun? Im Zorn und in der Betrübnis meines Herzens hab' ich dies und jenes gedacht und bin ganz verzweifelt herumgelaufen. Denn die Sach' ist so gewesen, daß ich nicht hab' ruhig sein können, weil ich ein gutes Gewissen hab'; nein, meine Ehr' hat's nicht gelitten, ich hab' etwas tun müssen. Endlich bin ich mit mir einig geworden. Ich bin zum Herrn Pfarrer gegangen, zu dem ich das rechte Vertrauen hab', und dem hab' ich gesagt: weil die Sachen so stehen, so soll's nun sein, als ob Du mir das Versprechen, der Meinige zu sein, gar nicht gegeben hättest; Du sollst ganz frei sein und nochmal überlegen, was Du tun willst, die arme Annemarie oder die reiche Eva oder eine andere Bauerntochter heiraten, und was Du tust, soll mir recht sein. Der Herr ist über die Maßen gut gegen mich gewesen, er hat mir gesagt, ich hätte recht gehandelt, und alles das soll ich auch Dir schreiben. Weil ich's ihm versprochen hab' und weil's überhaupt geschehen muß, drum tu' ich's jetzt.

»Sieh, Ludwig, Du hast mich recht lieb gehabt und hast für mich getan, was wenige tun würden. Und ich hab' mich inniglich gefreut darüber und Dir im Herzen tausendmal dafür gedankt. Aber wenn's Dir nun doch zu hart ginge in Deinem Dienst, wenn Du's auf die Länge nicht aushalten könntest und wenn Dir der Gedanke käme: es wäre doch besser, wenn Du mit Deinem Vater Dich vertragen und ihm gefolgt hättest – um Gottes willen, Ludwig! wenn Du einen solchen Gedanken hättest, und wenn er wiederkäme – schreib' augenblicklich an Deine Eltern, sag' ihnen, Du wolltest mich lassen und eine andere heiraten! Denn das kannst Du tun, ich geb' Dir das volle Recht dazu. Deswegen, weil Du mir das Versprechen gegeben hast, sollst Du es nicht halten; ich verlang' von Dir, daß Du Dich daran nicht kehren und handeln sollst, wie Du es jetzt für gut findest.

»Bedenk', wie Deine Eltern gegen mich sind! Denn das muß ich Dir noch sagen, seitdem Dein Vater vom Herrn Pfarrer erfahren hat, was ich zu ihm gesagt hab', glauben sie bei Dir, es werde nun bald aus sein zwischen uns, und sind vergnügt darüber, man kann gar nicht sagen wie! Bedenk' das, Ludwig! Deine Eltern wollen mich nicht und verachten mich; mit ihrem guten Willen kommen wir nie zusammen, Du kannst nie zu gleicher Zeit mit mir glücklich sein und mit ihnen. Du wirst mit mir auch keinen Hausstand bekommen, wie Du ihn gewohnt bist, und vieles nicht haben, was Du vielleicht nicht wohl entraten kannst. Bedenk' das alles! – Für mich brauchst Du nicht zu sorgen. Ich hab' so viel, als ich bedarf, und kann arbeiten und mit Gottes Hilfe werde ich auch dazu gesund bleiben. Und wenn ich kein Glück mehr habe, so kann ich doch sagen, daß ich glücklich gewesen bin, wenn auch auf kurze Zeit, so glücklich, daß es mir immer die größte Seligkeit sein wird, nur daran zu denken. Ich hab' schon dem Herrn Pfarrer gesagt, ich wolle dann fortgehen ins Württembergische, so daß ich Euch gar nicht mehr im Wege bin. Und wenn mir dann die Regine zu wissen tut, daß es Dir gut geht, das soll meine Freude sein.

»Leb wohl! Ich hab' mein Versprechen gehalten und getan, was ich nicht lassen konnte. Überleg' nun alles, herzlieber Ludwig! Denk' nicht schlimm von mir und glaub' nicht, daß ich anders gegen Dich gesinnt bin als sonst! Ich hab' nur nicht anders gekonnt und ergebe mich jetzt in alles, was geschehen mag. Schreib mir ganz ohne Bedenken, was Du tun willst, oder laß es mich auf andere Art wissen, wenn's Dir lieber ist.«

Als sie diesen Brief – der hier freilich aus der eigenen Mischung von Dialekt und Hochdeutsch, in der er ursprünglich abgefaßt war, möglichst in die Form der Schriftsprache übertragen ist – geendet hatte, las sie ihn durch und empfand ein starke Versuchung, ihn wieder zu zerreißen. Es kam ihr vor, als ob zu viel Ärger darin wäre und zu wenig Liebe. Ihr Geliebter war ja ordentlich angetrieben, sie zu lassen; sie fürchtete, er könnte am Ende doch auf den Gedanken geraten, sie wolle ihn aufgeben. Sie las wieder und stand im Zweifel da, was sie tun solle. In diesem Augenblick öffnete Regine die Tür und brachte einen kleinen Brief: es war die Einladung nach Nördlingen. Da Ludwig alles, was er auf dem Herzen hatte, sich für die Zusammenkunft vorbehielt, so bestand die Einladung nur aus wenigen einfachen Worten. Annemarie fühlte, daß sie ein Ende machen müsse. Sie schrieb unter ihren Brief: »Wie ich so weit gekommen bin, bringt man mir Deine Einladung auf den Sonntag. Du siehst, daß ich jetzt nicht kommen kann. Lies erst meinen Brief und gib mir Antwort. Leb wohl, leb wohl!« Sie machte das Papier rasch zurecht, »pitschierte« es mit einem kleinen Geldstück und übergab es Regine, die auf den Markt nach Nördlingen ging, zur Besorgung.

Drei Tage vergingen. Ich will nicht schildern, welche Gedanken das gute Kind sich machte, welche Angst sie empfand und wie sie sich selber wieder tröstete und an die Stelle der Bangigkeit die Zuversicht redlicher Liebe trat. Sie war, wie überhaupt seit der Bekanntschaft mit Ludwig, etwas aus ihrem Charakter gegangen und bewegter und erregter geworden, als derjenige, der sie früher gekannt, ihr zugetraut hätte. Am Morgen des vierten Tages erhielt sie die Antwort von Ludwig, die er Sonntags geschrieben und die – in ähnlicher Übertragung – hier folgt:

»Meine liebste Annemarie! Du hast mir einen Brief geschickt, über den ich mich recht gewundert hab'. Ich will Dir aber keine Vorwürfe machen; ich hab' mich nach und nach doch hineingedacht, wie's Dir zu Mut ist, ich hab' Dich bedauert und schäme mich, daß meine Eltern so gegen Dich gehandelt haben. Ja, Du hast recht! So sind die reichen Leute, wenn sie auch sonst so gut und so brav sind wie mein Vater und meine Mutter! Ich begreif', wie Dich diese Lügen kränken und erzürnen müssen. Ich begreif', was Du getan hast. Aber nun sag' mir: hast Du wirklich geglaubt, daß ich tun könnte, was Du mir vorschlägst? Ich hoff's nicht; ich hoff', daß Du mich besser kennst. Wie! nach allem, was zwischen uns vorgegangen ist, soll ich Dich lassen? Und wenn ich wüßte, daß ich mich unglücklich machen würde für mein ganzes Leben, ich tät's nicht! Und wenn ich's vorher hätte tun können und eine andere nehmen, jetzt könnt' ich's schon gar nicht mehr. Wie viel meinst Du denn, daß es Mädchen gibt, die so handeln, wie Du gehandelt hast? Und glaubst Du, daß ich kein Herz habe und keinen Verstand, das einzusehen? Ich weiß wohl, was ein Sohn seinen Eltern schuldig ist. Ich bin nie ein schlechter Sohn gewesen, wie mir alle bezeugen müssen, und wenn mein Vater verlangt, was er von Gott und Rechts wegen verlangen kann, so will ich's tun. Aber wenn ich, um mit meinem Vater wieder gut zu werden, ein Mädchen verlassen könnte, wie Du bist, so verdient' ich, daß man mich rädern täte und meine Glieder aufs Rad flechten! Red' mir also nicht mehr, von dieser Sache! Wenn Dich Dein Gewissen und Dein Stolz getrieben haben, zum Pfarrer zu gehen und ihm ein solches Anerbieten zu machen, so begreif' ich das jetzt und schätz' Dich um so höher. Aber das will ich nicht glauben, daß Du mich wirklich für fähig gehalten hast, ein solches Anerbieten anzunehmen. Denn wenn das wäre, dann wär' Deine Lieb' zu mir nicht so groß wie meine zu Dir, sondern viel kleiner! Ich hab' auch ein Gewissen und einen Stolz, und die sagen mir, daß ich Dir treu bleiben soll gegen alle Welt. Ich hab' kein böses Gewissen, daß ich mein väterliches Haus verlassen hab', sondern ein gutes, denn ich hab' nicht darin bleiben und Dir treu sein können. Und wenn ich wüßte, daß ich heute sterben und vor Gott treten müßte, ich wär' ruhig.

»Ich seh' nun wohl, daß wir für die nächste Zeit nicht zusammenkommen werden, denn Du hast Deine Gedanken und bleibst dabei. Aber ich vertrau', wir haben nicht nötig uns zu sehen, um uns grad' so lieb zu haben. Ich hab' Dich alleweil vor Augen; wohin ich geh', da gehst Du mit mir. Wenn ich bei der harten Arbeit müde bin und denk' an dich, dann hab' ich wieder Kraft; es ist gerade, als hätt' ich einen frischen Trunk getan. Und jetzt nach Deinem Brief will ich wieder alles aushalten. Es ist freilich wahr, daß ich schwere Arbeit tun muß und mancherlei Verdrießlichkeiten hab'; aber wenn's mir hier nicht mehr gefällt, so kann ein Mensch, der gesund ist und sein Geschäft versteht, sich überall fortbringen. Überall, wo ich bin, werd' ich gegen Dich der Gleiche sein, und endlich, das weiß ich ganz bestimmt, werden wir zusammenkommen und glücklich sein. Adies, herzgeliebte Annemarie! Bleibe gesund und vertrau' auf Gott wie Dein Ludwig!«

Als Annemarie in ihrer Kammer, wohin sie sich zitternd und bebend geflüchtet, diesen Brief las und zu den ersten Versicherungen der Treue kam, rief sie mit freudestrahlendem Gesicht: »Ich hab's ja gewußt!« Beim Weiterlesen wurde der Glanz ihrer Blicke getrübt durch wonnige Tränen, die ihr bei den Ausdrücken herzinniger Liebe in die Augen traten, bis endlich die Flamme der Freude auch durch sie hindurchdrang und ihr ganzes Wesen verklärte. Regine, von Teilnahme getrieben, erschien an der Schwelle der Kammer. Das überglückliche Kind eilte auf sie zu, fiel ihr um den Hals und rief mit holdseliger Gewißheit: »Nun gehört er mein, und kein Mensch in der Welt wird mir ihn nehmen!« Regine hatte das größte Verlangen, den Brief auch zu sehen; die Freundinnen setzten sich zusammen, Wange an Wange lasen sie und unterbrachen sich selbst durch entzückte und gerührte Ausrufungen. Regine sagte zuletzt: »Gewiß, liebes Mädchen, der gehört dir; den bringt sein Vater nicht mehr herum! Aber nun wirst du auch wissen, was du zu tun hast.« – »Ja,« rief Annemarie, »das weiß ich! Jetzt sind wir stärker als Vater und Mutter und die ganze Freundschaft! Mögen sie sagen und tun was sie wollen – nichts verdrießt mich mehr, ich verzeih' ihnen alles im voraus!« Regine sagte: »Nun wird's auch gut gehen.« – »Und wenn's nicht gut ginge,« erwiderte Annemarie, »so wären wir doch glücklich. Jetzt darf's gar nicht schnell kommen, sonst wär's zu viel!«

Als sie noch manches so gesprochen, gingen sie die Stiege hinunter. Im Tennen, d. h. in der Hausflur, angekommen, sahen sie einen Buben zur Tür hereinkommen, der sich vorsichtig umsah. Es war der kleine Gönner des Liebespaares, Johannesle. Annemarie, die schon gehört hatte, wie sie bei dem Bürschchen in Gnaden stand, flog auf ihn zu, gab ihm die Hand und fragte, was er wünsche, ob sie vielleicht mit einer guten Birn' aufwarten könne. Johannesle schüttelte ernsthaft den Kopf und betrachtete sie mit prüfendem Blick, so daß die Mädchen sich lächelnd ansahen, und Annemarie fragte, was denn sonst sein Begehr sei? Darauf sagte er endlich: »Ich hab' gehört, du willst den Ludwig lassen und einen andern heiraten. Ist das wahr?« – »Nein,« rief das Mädchen unbedacht, »das ist nicht wahr! Entweder den Ludwig oder keinen!« Der Kleine war sichtlich erfreut. »Ich hab's ja gesagt,« erwiderte er selbstzufrieden und wandte sich zum Abgehen, voll Begierde, seinen »Stangenreiter« (Oberknecht) zu beschämen. Annemarie rief: »Bleib doch, lieb's Büble, und komm mit in den Garten!« Aber Johannesle rief: »Ich muß fort,« und eilte davon. Regine sagte mißbilligend: »Da hast du's! Der wird's unter die Leute bringen!« – »Es soll auch unter die Leute,« erwiderte Annemarie. »Das kann und darf nicht verschwiegen bleiben. Heute noch geh' ich zum Herrn Pfarrer und sag' ihm alles.«

Sie erfüllte dieses Wort nachmittags. Der Geistliche las den Brief, den das Mädchen ihm übergab, mit ernster Aufmerksamkeit und mit einer innerlichen Freude, die beinahe durchgebrochen wäre und seine Parteinahme verraten hätte. »Es ist gut!« rief es in ihm. Wie Annemarie sah, daß er mit dem Lesen fertig war, sagte sie: »Herr Pfarrer, Sie sehen, ich hab' mein Versprechen gehalten. Nun hab' ich in der Sache nur noch eine Pflicht, und der will ich nachhandeln, ohne an etwas anderes zu denken.« – »Die Pflicht,« versetzte der Pfarrer, indem er sie lächelnd ansah, »in Geduld zu erwarten, was da kommen soll.«

Der alte Herr achtete es unter den gegenwärtigen Umständen für geraten, den Angerbauer in seinem Hause aufzusuchen und ihm von dem Stand der Dinge Meldung zu tun. Als der Bauer den Kern der Neuigkeit und ein paar Ausdrücke aus Ludwigs Brief vernommen hatte, rief er aus: »O Unsinn! o Tollheit! o verkehrte Welt! Nehmen Sie mir's nicht übel, Herr Pfarrer, aber womit hab' ich's verschuldet, daß ich mit so einem Menschen gestraft bin? Wenn ich nur im Grab läge, dann könnten sie tun was sie wollten!« Die Bäuerin ließ sich ähnlich vernehmen, aber in gedämpfteren Tönen. Ihr Schlußwort lautete: »Wer hätte das dem Menschen zugetraut! Man soll doch niemals sagen, daß man sich in einem auskennt, sogar bei seinem eigenen Kind nicht!« Der Pfarrer versetzte: »Es tut mir leid, daß euch meine Nachricht betrübt; aber da das Mädchen zu mir das Vertrauen hatte und mir den Brief zu lesen gab, so hab' ich's für meine Schuldigkeit gehalten, euch davon zu unterrichten, obwohl ich mich sonst in Familienangelegenheiten nicht gern mische.« Der Angerbauer sagte mit Würde: »Ich dank' Ihnen dafür, Herr Pfarrer. Wir müssen's hoch aufnehmen, daß Sie sich selber herbemüht haben.« Nach einer Weile sagte die Mutter: »Was soll nun aber aus dem Ludwig werden, wenn er so gesinnt ist?« – »Was er selber will,« entgegnete der Vater barsch. Die Mutter seufzte und sagte: »Aber –« – »Nichts aber!« rief der Bauer dazwischen. »Willst du etwa haben, daß wir uns durch seinen Trotz einschüchtern lassen und nach ihm schicken sollen? Da, frag' den Herrn Pfarrer! – Haben Sie,« fuhr er zu diesem gewandt fort, »nicht neulich zu mir gesagt, wir sollen nicht nachgeben, er müsse zu uns kommen?« – »Ja,« antwortete der Pfarrer, »und das ist noch jetzt meine Meinung.« Der Bauer sah sein Weib triumphierend an und sagte: »Siehst du?«

Nach einigen Worten des Trostes empfahl sich der Geistliche; die Eheleute begleiteten ihn bis zum Hoftor, von wo der Bauer düster, die Frau kopfschüttelnd zurückkehrte.

Seit dem Tage, wo Ludwig das väterliche Haus verließ, war der Angerbauer nicht nach Nördlingen gekommen. Er fürchtete zuerst überhaupt Bekannte aus der Stadt oder aus andern Dörfern zu treffen, deren Fragen er nicht so leicht mit einer Grobheit beantworten konnte. Später scheute er hauptsächlich ein Zusammentreffen mit dem Schmiedbauer, dessen Charakter und Manieren er kannte. Zuletzt konnte er doch eine Fahrt zur Schranne nicht länger vermeiden: er hatte noch altes Korn, der Preis war gut und nach seiner Ansicht keine Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sich lange so halten werde. Er ließ mit einer Partie des Getreides einen Wagen laden und war bald an Ort und Stelle.

Das Gewühl in der Schranne war für diese Zeit groß. Es hatten sich württembergische Händler eingefunden, die bedeutende Einkäufe machten. Der Angerbauer wurde an einen derselben seinen ganzen Wagen Korn los; er war froh und hoffte an diesem Tage nichts Unangenehmes mehr zu befahren. Die Bekannten, die er getroffen, hatten ihn im Drang der Geschäfte nur flüchtig begrüßt und an seine Familienangelegenheit nicht gedacht, wenigstens nicht davon gesprochen. Den Schmiedbauer hatte er gar nicht gesehen. Als das Korn abgemessen war, hieß er den Oberknecht mit dem Wagen zu einem Wirtshause am Tor fahren, wo die Angerbäuerin aufsitzen würde. Diese hatte sich bei dem guten Wetter zu Fuß nach der Stadt begeben, um Einkäufe zu machen, wollte aber für den Nachhauseweg den Wagen benutzen. Der Bauer wollte den Nachmittag in der Stadt verbringen, um nach Bequemlichkeit heimzuwandern. Wie er, unter einem Seitentor der Schranne stehend, den Knecht wegfahren sah, hörte er von der andern Seite her plötzlich den hellen Ruf: »Guten Tag, Vetter Angerbauer!« Er sah sich um und erkannte den Schmiedbauer, der ihm begierig zunickte. Augenblicklich ein »danke schön« brummend ging er rasch auf die Straße und verschwand im Gewühl der Menschen und Wagen.

Anfangs war seine Absicht gewesen, zum »Fadenherrn« in der Nähe der Schranne zu gehen, wo er gutes Essen und Bier zu finden gewohnt war. Nun aber hütete er sich wohl, in einem Hause einzukehren, wo er sicher mit dem »boshaften Kerl«, dem Schmiedbauer, zusammenkommen würde. Er vermied aus demselben Grund auch das Wirtshaus am Tor und suchte ein drittes auf, wo er sein spätes Mittagessen in Ruhe verzehren zu können hoffte. Darin täuschte er sich nicht. Er traf zwei Männer aus seinem Dorf, setzte sich zu ihnen und ließ sich Braten und Salat wohl schmecken, während der Schrannentag ergiebigen Stoff zur Unterhaltung bot.

Nach langer Zeit wurde es ihm wieder fast behaglich zu Mute, wozu der um den Leib geschnallte gefüllte Geldgurt das Seine beitragen mochte. Er trank nach Durst und übergab eben die blanke zinnerne Bierkanne der behenden Wirtstochter zur zweiten Füllung, als die Tür aufging und der Schmiedbauer hereintrat. – Dieser hatte ihn in nicht weniger als drei Wirtshäusern vergebens gesucht. Sein Mut wurde dadurch nicht geschwächt, und er war eben im Begriff, in ein viertes zu gehen, als ihm von einem Bekannten das rechte verraten wurde.

Der Angerbauer, als er den Gefürchteten erblickte, fuhr zurück, als wenn ihn eine Schlange gebissen hätte. Der Schmiedbauer ging auf ihn zu, das Gesicht von einem Vergnügen belebt, wie es Reineke der Fuchs empfunden haben mochte, als er den ehrlichen Lampe in seiner Höhle sah. Große, blanke Zähne weisend, die man ordentlich wässern sah, rief er seinem Opfer zu: »Guten Tag noch einmal! du bist heute schwer zu finden, Vetter Angerbauer! Schon in drei Wirtshäusern hab' ich dich umsonst gesucht!«

Der Angerbauer hatte sich wieder etwas gefaßt. Er bot ihm nicht das eben ankommende Bier zum Trinken – eine Höflichkeit, die man eintretenden Bekannten sonst gewissenhaft zu erweisen pflegt – sondern antwortete trocken und ein wenig den Mund verziehend: »Woher kommt dir denn auf einmal das große Verlangen nach mir?«

»Da haben wir's!« sagte der Schmiedbauer; »gleich wieder stolz!« – Und indem er die beiden andern listig anblinzelte, fuhr er fort: »Bist du denn gar nicht neugierig, etwas von deinem Ludwig zu hören?« Der Angerbauer, sich bezwingend, erwiderte: »Nicht im geringsten!« – »Nun, nun,« versetzte der andere, »stell' dich nur nicht so an, ich weiß doch', daß du gern etwas von ihm hören möchtest. Du brauchst dich auch gar nicht zu fürchten: ich kann ihn nur loben. Er macht sich ganz vortrefflich, und ich muß dir nur sagen, ich hätt's dem Sohn eines so reichen Mannes nicht zugetraut, daß er einen so geschickten Handknecht abgäbe. Er sucht wahrhaftig seinesgleichen, namentlich im Futterschneiden und Misten.«

Bei diesen Worten konnten die beiden Unbeteiligten sich nicht enthalten zu lächeln: dem Angerbauer stieg das Blut ins Gesicht. Finster entgegnete er: »Mag er machen was er will! Er ist mein Sohn nicht mehr und geht mich so wenig an wie einen von euch!« – »Geh,« sagte der Schmiedbauer, »sei gescheit! Unser Kind bleibt immer unser Kind.« – »Und ich sag' dir,« versetzte der Angerbauer mit zornigem Nachdruck, »daß ich nichts mehr von ihm wissen will, und bitt' mir's aus, daß du jetzt von ihm das Maul hältst!«

Auf diese verständliche Abweisung zuckte der Schmiedbauer die Achsel. »Mir auch recht,« sagte er. »Wenn du nichts mehr von ihm wissen willst, dann bleibt mir ein Handknecht, wie ich ihn brauche und wie man ihn heutzutage nicht mehr findet. Schaffen tut er für zwei und gehorchen, als wenn er ein geborener Knecht wäre. Wenn ich, oder mein Sohn, oder meine Tochter, oder mein Oberknecht ihm etwas sagen, läuft er wie ein Wiesel. Wenn du ihn nicht mehr willst, gut! Ich hab' den Vorteil davon.«

Indem er bei den letzten Worten die Zielscheibe seiner Bosheit ansah, fühlte er, daß er für jetzt nicht weiter gehen dürfe. In dem Angerbauer kochte es gefährlich. Seinen Sohn vor den beiden Männern als gehorsamen Knecht loben zu hören, war für ihn schrecklich, und die Absicht des Schmiedbauers, ihn zu verhöhnen, machte ihn wütend. Wäre er mit diesem allein gewesen, er hätte ihm eine Antwort mit der Kanne an den Kopf gegeben, auf welche kein weiterer Bericht mehr erfolgt wäre. In der vollen Wirtsstube mußte er an sich halten und schwieg daher grimmig still. Der andere fand für gut zu bemerken: »Nun, ich sehe, es ist dir wirklich unlieb, etwas weiter zu hören; lassen wir's also gehen!« Der Angerbauer nickte bedeutsam, als wollte er sagen: »Du tust sehr gescheit daran!«

Von einem der beiden Bauern wurde das Gespräch wieder auf die Schranne zurückgelenkt und blieb dabei. Auf diese Weise kam jedoch der Angerbauer um eine Nachricht, die ihm lieb gewesen wäre, denn der Schmiedbauer war bekanntlich kein bloßer Bösewicht. Er wollte heute an dem Vetter sein Mütchen kühlen und den »hoffärtigen Kameraden« ein wenig ärgern; dann aber wollte er ihm sagen, daß der junge Bursche in seinem Hause deswegen kurz gehalten und tüchtig angespannt werde, damit er sich nach den Eltern sehne und endlich demütig heimkehre, wie sich's gebühre. Er wollte sich dem Angerbauer von seiner ernsthaften Seite zeigen, ihm Vorschläge machen, seine Wünsche hören. Allein da dieser nach seiner Ansicht gar keinen Spaß verstand, so wollte er sich auch auf den Ernst nicht einlassen. Er dachte: »Es ist der Alte! immer gleich obenaus! Gut, für heute soll er nichts weiter hören!«

Als der Angerbauer die zweite Kanne noch nicht ganz geleert hatte, zahlte er und schickte sich an zu gehen, indem er sagte, er habe noch einen Gang zu machen. Den Schmiedbauer übermannte noch einmal der Mutwille und er fragte den Abgehenden in schelmisch-gemütlichem Ton: »Soll ich also wirklich deinem Ludwig keinen schönen Gruß von dir ausrichten?« Der Angerbauer gab ihm hierauf eine Antwort, die ihm der kindischen Bosheit der Frage allein entsprechend schien, und entfernte sich, indem er die Tür stattlich zuschlug. Je mehr Zorn jene Antwort verriet, desto vergnügter lachten die drei Zurückgebliebenen zusammen und schwatzten noch eine Weile über diesen Spaß.

Unser Mann ging geradeswegs nach Hause. Indem er mit wenig gemindertem Zorn ins Kanzlei eintrat, fand er dort sein Weib in einer ähnlichen Stimmung. Ohne vorläufig darauf zu achten, erzählte er, was ihm begegnet, und die Angerbäuerin stimmte in seine Ausrufungen über die Bosheit der Menschen treulich mit ein. Dann bekannte sie, ihr sei beinahe noch etwas Ärgeres passiert. Neugierig drängte sie der Mann, zu erzählen. Die Bäuerin hub an: »Ich bin zuerst bei der Melbersbas gewesen und hab' mich etwas länger verweilt als ich dachte. Dann bin ich zum ›Kanditor‹ gegangen und hab' Zucker, Kaffee und Gewürz gekauft. Wie ich aus dem Laden auf die Straße hinausgeh', wer kommt auf mich zu? Die Ev' mit ihrer alten Bas! Ich will dir's nur sagen, ich bin ein wenig verhofft gewesen und es ist mich ordentlich ein Zittern angekommen. Aber doch bin ich gleich auf sie zugegangen, hab' sie freundlich gegrüßt und Guten Tag geboten. Die alte Bas hat gedankt; die Ev' hat aber nur ihr ›Schnäuzle‹ naufgezogen.«

Der Angerbauer, der aus allem abnahm, was kommen würde, bemerkte mit einem gewissen Humor: »Sag' Schnauz', das paßt besser!«

Die Mutter fuhr fort: »Weil ich sie nun seit dem Vorgang nicht wiedergesehen hab', so hab' ich nach etlichen Reden gesagt: ›Uns hat halt seitdem ein rechtes Unglück getroffen!‹ Denn wenn man sich so gut kennt, dann kann man wohl vertraut miteinander reden. ›Ja, ja,‹ antwortete die alte Bas, ›das ist eine böse Geschichte! Wer hätte dem Ludwig das zugetraut!‹ ›Ja freilich,‹ hab' ich wieder gesagt, ›hätt' man ihm das nicht zugetraut; aber junge Leute machen eben manchmal tolle Streiche. Alles ist deswegen nicht verloren, er kann sich wieder anders besinnen, kann heimkommen und alles kann noch gut werden.‹ Da hättest du die Ev' sehen sollen! Rot wie ein welscher Hahn tritt sie vor mich hin und sagt: ›Ihr glaubet doch nicht, Frau Bas, daß es mit Euerm Ludwig und mir noch was werden kann? Wenn Ihr so was denkt, dann schlagt's Euch nur aus dem Sinn. Das wär' mir das Wahre! Ein Mensch, der sich so aufführt! Nein, Frau Bas, für so einen bedank ich mich schön und bin froh, daß ich ihn los geworden bin.‹ Ich hab' darauf gesagt: ›Was willst du denn? – hab' ich denn davon geredt?‹ Aber sie hat sich nicht irr' machen lassen und höhnisch gesagt: ›Aufrichtig, Frau Bas, Ihr tätet am besten, wenn Ihr Euerm Sohn seinen feinen Schatz ließet. Sie ist ihm nun einmal die Liebste auf der Welt, und ein ordentliches Mädchen nimmt ihn ohnehin nicht mehr.‹«

»Was,« rief hier der Angerbauer ausfahrend, »das hat sie dir gesagt?« – »Ja,« erwiderte sein Weib, »das hat sie gesagt?« – »Gut!« versetzte der Mann, »ganz gut! Also so eine ist die? Ein großes Unglück scheint's nicht, wenn wir die nicht zur Söhnerin bekommen!« – »Das mein' ich auch,« bemerkte die Frau, »und das hab' ich ihr auch gesagt. ›So groß gefehlt wär's nicht,‹ hab' ich ihr gesagt, ›wenn er das Mädchen bekäme. Denn wenn sie auch nicht reich ist, so ist sie doch brav und hat mehr Art als manche reiche Bauerntochter, die ich kenne.‹ Dabei hab' ich ihr steif ins Gesicht gesehen. Sie aber hat sich nichts daraus gemacht und gesagt: ›Nun, da wünsch' ich recht viel Glück dazu! Macht's nur bald richtig und vergeßt nicht, mich auch auf die Hochzeit zu laden.‹ Damit hat sie Guten Tag gesagt und sich umgedreht und die Alte, die den Kopf geschüttelt hat, mit sich fortgezogen.«

Der Angerbauer war ernsthaft geworden und brach nun in die Worte aus: »Eine saubere Person, das muß ich sagen! Da dürfen wir ja von Glück sagen, daß wir sie noch zu rechter Zeit kennen gelernt haben!« – »Sicherlich,« erwiderte die Mutter.

Nach einem längeren Schweigen, währenddessen sie nachdenklich vor sich hingesehen hatte, begann sie wieder: »Vater, ich möchte dir etwas sagen, aber du mußt nicht bös werden.« – »Nun,« erwiderte der Bauer mit argwöhnischem Ausdruck, »du wirst hoffentlich nicht im Ernst verlangen, daß wir dem Burschen das Mädchen geben?« – »Behüte,« versetzte die Mutter, »das weiß ich schon, daß das nicht geht. Nein, ich hab' nur sagen wollen, daß mich der Ludwig ›a'fanga‹ dauert (anfängt mich zu dauern). Ich glaub', er wär' gern wieder bei uns, aber er hat deinen Kopf: er kommt nur nicht, weil er's einmal gesagt hat.« – »Soll ich ihn,« bemerkte der Bauer, »etwa selber holen, weil er meinen Kopf hat?« – »Auch nicht,« sagte die Mutter. »Ich meine nur, wir ließen's ihn unter der Hand wissen, daß er kommen könnte; mit der Ev' wollten wir ihn nicht mehr plagen.« Der Bauer versetzte: »Nein, das geschieht nicht! um keinen Preis der Welt! Wenn ich da nachgäb', müßt' ich mehr nachgeben!« – »Aber deswegen –« – »Das muß ich besser wissen. Ich tu's nicht, jetzt erst recht nicht; und damit Punktum!« Wie gewöhnlich, wenn er einen solchen Trumpf ausgespielt hatte, stand er auf und verließ die Stube.

* * *

Während dieser Erlebnisse der Seinen arbeitete Ludwig mit neuer Kraft und neuem Mut weiter. Er hatte in Rücksicht auf sein Dienstverhältnis einer Anfeuerung bedurft; das Schreiben der Geliebten und die Abfassung seiner Antwort gewährten ihm diese aber in vollem Maße. Es war ihm ganz, wie er geschrieben. Sein Geist war aufgerichtet; das Bewußtsein, ein solches Herz gewonnen zu haben, das Gefühl, ihrer wert zu sein, und die Hoffnung, die aus diesem Gefühl emporkeimte, ließen ihn alle Mühen mit Freudigkeit ertragen. Er hatte nun auch eine Bekanntschaft gemacht, die ihm angenehm und tröstlich war. Von seinem Bauer zum Pfarrer des Orts geschickt, antwortete er diesem auf seine Fragen so verständig und gutmütig, daß der Geistliche das Gespräch verlängerte, soweit es anging, und den jungen Burschen aufforderte, ihn in freien Stunden zu besuchen. Es war dies ein Mann in mittlerer Jahren, der aber ähnliche Ansichten zu haben schien wie der alte Herr, den wir kennen, da er an den entlaufenen Sohn keine Ermahnungen richtete, die er nicht hätte befolgen mögen, sondern sich unbefangen im Kreise allgemeiner Belehrung hielt.

Die Annehmlichkeiten, die er aus alledem schöpfte, waren Ludwig auch nötig, um ein Übel zu bestehen, das immer ärger zu werden schien. Dies war der Übermut Michels, der nicht selten in wirkliche Bosheit ausartete. Verdroß es ihn, daß Ludwig bei seinen Neckereien nicht mehr empfindlich wurde, sondern ihn lächelnd oder mitleidig ansah; war er mitleidig auf die Seelenfreude, die verschönernd aus dem Gesicht des Knechts leuchtete, oder auf das Lob, das sein Vater diesem hier und da auf seine Unkosten erteilte, genug, der junge Schmiedbauer ging in seiner herrischen Anmaßung gegen Ludwig weiter und weiter, so daß er alle die Seinen hinter sich ließ. Die schwache sinnliche Gutmütigkeit, wie man dies in der Welt öfter sehen kann, bestand die Probe nicht, die ihr auferlegt wurde, und verwandelte sich unter gewissen Anreizungen geradezu in Gemeinheit. Eine solche Anreizung mochte für den Burschen auch in der Nachricht seines Vaters liegen, daß der Angerbauer seinen Sohn verleugne und, wie es scheine, wirklich nichts mehr von ihm wissen wolle. Konnte man gegen einen Verstoßenen sich nicht gehen lassen nach Belieben?

Als die kleinen Mittel nichts mehr verfingen, wendete Michel die gröberen und plumperen an, und es gelang ihm nun allerdings wieder, den Untergebenen zu ärgern und zu erzürnen. Ungerechte Behandlung zu ertragen, ist für gewisse Gemüter das Schwerste; und wenn sie sich's auch vornehmen, bei den Anmaßungen der Dummdreistigkeit ruhig zu bleiben, so glückt's ihnen doch nicht immer. Die Geduld Ludwigs wurde auf harte Proben gestellt; das Betragen Michels erschien ihm so kläglich, daß er den Ausbruch des Zorns und der Verachtung kaum mehr zurückhalten konnte. So sammelte sich nun aber ein Maß von Galle in ihm an, das nur noch berührt zu werden brauchte, um überzulaufen.

An einem Sonntag nach dem Essen kamen »Freunde« – wie man weiß, Verwandte – des Schmiedbauers zum Besuch angefahren, Vater, Mutter und ein fünfzehnjähriger Sohn. Sie wurden mit Kaffee und »Goglopf« (Guglhupf) traktiert, welchen Madlene und die Magd am Vormittag zu diesem Zweck verfertigt hatten. Als endlich auch der »junge Vetter« dem Nötigen zu einer neuen Schale nicht mehr Folge leisten konnte, führte man die Gäste im Hause herum und zeigte ihnen Küche und Keller, Kasten und Schreine und deren Inhalt zum Bewundern, welcher Absicht die Bauersleute höflich entgegenkamen. Michel empfand großes Verlangen, ihnen die Ställe zu zeigen, und freute sich namentlich, ihnen die Zierde derselben, einen schönen zweijährigen Braunen, vorzuführen. Er eilte voraus in den Roßstall, fand den Oberknecht ausgegangen, Ludwig aber bei der Hand. Bei dem Anblick desselben fuhr der böse Feind in ihn und gab ihm den Gedanken ein, sich selbst in seiner Herrlichkeit und den Sohn des Angerbauers, der mit den Gästen ebenfalls einigermaßen verwandt war, in seiner Erniedrigung zu zeigen. Er rief in barschem Ton: »Ludwig, führ' den Braunen in den Hof!« Ludwig gehorchte und dankte den Verwandten auf den Gruß, den sie ihm boten, mit bescheidener Höflichkeit. Das junge Roß ward im Freien munter und fing an zu laufen. Michel rief ärgerlich: »Nicht so schnell!« Der Angefahrene hielt es zurück; Michel schrie nun: »Zu langsam! Marsch! Zu!« und vexierte den andern so, daß die Gäste bald sahen, worauf es hier angelegt war, den rot gewordenen Ludwig bedauerten und den Sohn des Hauses für einen dummen Prahler hielten. Endlich rief Michel: »Laß ihn laufen! Schnell! schneller!« Ludwig gehorchte; das Roß wurde im Trab übermütig, sprang auf die Seite, traf mit den Hinterbeinen in eine kleine Kotlache, die vom gestrigen Regen herrührte, und bespritzte den schön gestreiften Rock der Bäuerin.

Auf so etwas hatte Michel gewartet. Den Umstand, daß dieser armselige Zufall nur infolge seiner Befehle eingetreten war, natürlich außer acht lassend, ergriff er mit Begierde die Gelegenheit, zugleich seine Machtvollkommenheit und seine Galanterie gegen die Base an den Tag zu legen; er schrie Ludwig zornig an: »Du bist ein Esel! Nicht einmal ein Roß kannst du führen, wie sich's gehört!« – Das war dem Burschen zu viel. Während die Gäste Ausrufe des Bedauerns hören ließen, übergab er dem kurz vorher angekommenen dritten Knecht das Roß, trat vor Michel hin und rief: »Du bist der jämmerlichste aller Menschen! Noch ein solches Wort gegen mich, und ich brech' dich zusammen!« Seine Augen funkelten, in seinem Gesicht brannte die Glut des Zorns und der Verachtung, seine Arme zuckten, als ob er seine Rede sogleich wahrmachen wollte. Michel erschrak und trat blaß geworden einen Schritt zurück. Der gemeinschaftliche Vetter stellte sich zwischen sie und ermahnte zur Ruhe. Unterdessen faßte sich Michel wieder, und indem er eine hochmütige Miene anzunehmen suchte, sagte er zu Ludwig: »Mit dir wird man noch fertig werden, und das bald!« Dann sah er sich um, ob nicht sein Vater oder der Oberknecht in der Nähe wäre. Ludwig folgte dieser Bewegung, und seine Gedanken erratend, rief er: »Schrei keinem, ich rat' es dir! Wenn ihr zusammen über mich herfallt, dann ist's Notwehr, was ich tu', und« – setzte er hinzu, indem er die Hand an die Seitentasche legte – »ich schwör's bei Gott: den ersten, der mich anrührt, stoß ich nieder wie einen Hund!« Der Bauer, dem dies zu stark war, sagte: »Führ' keine solchen Reden, das geziemt sich nicht für dich!« – »Für mich geziemt sich alles,« entgegnete der Gereizte, »was sich für einen freien Menschen geziemt! In dem Augenblick bin ich kein Knecht mehr, sondern der Sohn meines Vaters! Aus diesem Haus geh' ich fort, auf der Stelle – das versteht sich von selbst!« Er wandte sich zum Abgehen, drehte sich aber nochmal gegen Michel um und machte mit geballter Faust eine Bewegung, als ob er sagen wollte: Du weißt, was geschieht! Dann ging er in die Stallkammer zu seinem Lager und nahm aus dem danebenliegenden Schrein seine wenigen Habseligkeiten heraus, um sie zur Wanderung zusammenzubinden.

Unterdessen war der Schmiedbauer mit seiner Tochter aus dem Hause gekommen. Auf sein Befragen, welch ein Lärm das sei, erzählte der Vetter den Handel, war aber so gerecht zu sagen, daß Michel dem Ludwig es zu arg gemacht habe, was von der Base mit der Bemerkung bestätigt wurde, daß es wegen des »Spretzers« auf ihre Schürze nicht der Mühe wert gewesen wäre. Der Schmiedbauer verwies dem Sohn sein Betragen und hieß ihn in die obere Stube gehen: die Sache wolle er nun allein ausmachen. Michel entgegnete, dem Kerl werde er nicht aus dem Wege gehen, entfernte sich aber doch.

Ludwig, sein Bündel unter dem Arm, kam herbei. »Schmiedbauer,« sagte er mit verhältnismäßiger Ruhe, »Ihr habt wohl schon gehört, was geschehen ist, und werdet begreifen, daß ich in Euerm Hause nicht länger bleiben kann.« – »Das begreif ich,« sagte der Bauer. »Aber wo willst du hin?« Ludwig erwiderte: »Ich geh' nach Augsburg.« Der Bauer bemerkte: »Es wäre gescheiter, wenn du zu deinem Vater heimgingest. Die Gelegenheit wär' gut.« Ludwig entgegnete unmutig: »Behaltet Euern Rat für Euch,« und wollte gehen. – »Wie?« rief der Bauer, »ohne deinen Lohn? Du bekommst noch zwei Gulden.« Ludwig erwiderte, er schenke ihm den Lohn, worauf der Bauer nicht ohne Würde ausrief, er wolle nichts geschenkt von ihm, was er verdient habe, müsse er nehmen. Ludwig ließ sich die zwei Gulden bezahlen, gab sie dem dritten Knecht, der ihn erstaunt ansah, wünschte den Umstehenden wohl zu leben und richtete seine Schritte dem Wirtshaus zu. Da der Abend herannahte, so wollte er hier übernachten und morgen mit dem frühesten nach Augsburg wandern, wozu er noch beinahe zwei Gulden vom früher eingenommenen Lohn hatte. Sein Gedanke war, an diesem Ort, wie schon so mancher vom Ries, sein Glück zu machen, Annemarie nachzuholen und sie in eine schöne Stadtwohnung als Frau einzuführen.

Als er in die stark besuchte, von Tabaksrauch erfüllte Wirtsstube trat, wurde er von einem Tisch junger Burschen freundlich begrüßt und zwei davon streckten ihm mit der üblichen Frage: »Kann ich aufwarten?« ihre gefüllten Gläser entgegen. Der Streit mit dem jungen Schmiedbauer war von mehreren, die zufällig am Hofe vorübergingen, mit angehört worden, und diese hatten nichts Eiligeres zu tun, als die Geschichte durchs Dorf zu verbreiten. Kurz vorher war sie in der Wirtsstube erzählt worden, und die Zuvorkommenheit der jungen Leute hatte ihren Grund darin, daß Ludwig es dem eingebildeten Michel so hinausgegeben, und – daß er kein Knecht mehr war. Unser Bursche tat mit ebenbürtiger Miene Bescheid, aß und trank, sagte dem Wirt, daß er über Nacht bleiben wolle, und ließ sich von ihm in die obere Stube führen. Hier begehrte er Schreibzeug und begann einen Brief an Annemarie, worin er ihr den heutigen Vorgang und seine Pläne mitteilte. Als er fertig war, klopfte es an die Tür. Die Wirtsmagd brachte Licht mit einem Brief, der soeben unten für ihn abgegeben worden sei.

Ludwig betrachtete die Aufschrift, erbrach das Schreiben und las, zuerst mit allen Zeichen großer Überraschung; dann schüttelte er ernst den Kopf, als ob er mit dem Inhalt nicht einverstanden sein könnte. Er las weiter; eine eigentümliche Empfindung spiegelte sich in seinen Zügen, er sah empor, wie bewegt von einem lockenden und drängenden Gedanken. Auf einmal stand er auf und rief entschlossen: »Ich tu's!« Er setzte sich wieder, versank in Nachdenken, und sein Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an, wie das eines Menschen, der weiß, daß sein Tun verdammende Urteile erfahren wird. Er packte sein Bündel aus und ordnete seine Habseligkeiten geschickter, als es in der ersten Eile möglich gewesen. Was der Brief auch enthalten mochte, in dem Beschluß, die Wanderung anzutreten, schien er ihn nur bestärkt zu haben.

* * *

Nach einem in mäßiger Arbeit verbrachten Tage saß der Angerbauer bei seinem Weib im Kanzlei. Die Abendmahlzeit war vorüber, ebenso das Läuten der Kirchenglocke, das die Familien zum Abendgebet ruft und welches darum »Betläuten« genannt wird. Die Ehehalten waren zum größten Teil schon im Bett, weil sie morgen sehr früh wieder heraus mußten; nur der Oberknecht war noch im Roßstall und erzählte dem Andres Geschichten. In der Stube herrschte große Stille, in welcher nur das Ticken der Wanduhr – stärker, als man ihr's bei Tage zugetraut hätte – und das »Spinnen« der großen Hauskatze vernehmlich war. Der Angerbauer hörte nichts von beiden; er ruhte gedankenvoll in dem braunledernen Großvaterstuhl am Ofen. Die Bäuerin saß am Wandtisch, auf dem eine brennende Ölampel stand. Sie sah bekümmert aus und war offenbar mit einem bestimmten Gedanken beschäftigt. Diesen zu äußern, brach sie das Stillschweigen und zwar in einem Tone, als ob sie ein unterbrochenes Gespräch wieder aufnähme. »Was doch das Geld ist!« sagte sie mit einer Art Seufzer. »Wenn das Mädchen nun einen Hof hätte wie die andere, eine bessere Schwiegertochter könnten wir uns nicht wünschen!« Der Bauer fuhr aus seinen Gedanken auf und erwiderte: »Was red'st du da wieder! Sie hat ihn nun einmal nicht! Wenn! Als ob einem damit geholfen wär'!« Die Angerbäuerin ließ sich nicht irremachen und fuhr fort: »Ich hab' sie heut wieder an mir vorbeigehen sehen, und was mir besonders gefallen hat, ist ihre Sauberkeit, und daß ihr alles so wohl ansteht. Das würde eine Haushaltung werden wie unsere.«

Der Alte wurde ernstlich böse. »Ich möchte doch wissen,« rief er aus, »was das für ein Vergnügen ist, sich Dinge vorzustellen, die nicht sein können. Sei doch nicht kindisch!« – »Nun ja,« erwiderte die Frau, »ich weiß ja, daß es nicht sein kann; aber man darf doch wohl davon reden.« Sie schwieg eine Weile still, konnte oder wollte sich aber noch nicht zufrieden geben und begann daher: »Wer hätte gedacht, daß es uns so ganz unglücklich gehen würde! Statt einen Sohn gut zu versorgen, müssen wir ihn bei Leuten dienen lassen, die ihn schlecht behandeln, und vielleicht bald hören, daß er in die weite Welt gelaufen ist, wo wir ihn gar nicht mehr sehen!« Der Vater erhob sich in großem Unmut. »Ich seh',« rief er, »es ist die höchste Zeit, daß wir ins Bett gehen! Nimm die Ampel und zünde mir, ich geh'!« – »Nun,« versetzte die Mutter, »tu' nur nicht gleich so wild!« Sie erhob sich und folgte dem Mann in die Stube. Als sie eben der Tür sich näherten, hörten sie ein Gebell vom Hofhunde, das sich rasch in ein Freudengeheul verwandelte. Sie horchten. Ein froher Lärm erhob sich vom Stalle her und bald vernahmen sie den lauten Ruf von Andres: »Er ist da! Er ist da!« Das Herz der Mutter klopfte, mit zitternder Hand öffnete sie die Tür, sah umher und erblickte an dem Ende des Ganges, der vom Stall in den Tennen führte, den verloren geglaubten Ludwig, von Andres mit jubelndem Eifer vorwärts gezogen. Einen Freudenschrei ausstoßen, die Ampel auf die Ofenbank stellen, dem wiedergefundenen Sohn entgegeneilen, ihn fassen und mit liebenden Worten begrüßen, war bei der guten Frau eins. Sie nahm ihn beim andern Arm und führte ihn vereint mit Andres der Stube zu.

Der Angerbauer war von dieser im gegenwärtigen Moment durchaus unerwarteten Heimkehr in die innerste Seele getroffen. Seine Gemütsbewegung äußerte sich in einer Blässe, die über sein Gesicht ging und ebenso wie die Freudenröte der Mutter das Gefühl für den Sohn verkündete. Damit hatte er aber den Zoll der väterlichen Liebe abgetragen; er faßte sich im Augenblick wieder, unterdrückte seine Bewegung und sah dem Ankommenden in der Würde des häuslichen Richters entgegen, da die Mutter nach seiner Ansicht in der Güte viel zu weit gegangen war. Ludwig stand mit blutrotem Gesicht auf der Schwelle. Er hatte der Mutter »Guten Abend« gesagt; vor dem Vater zeigte sich aber die Natur unfähig, den Beschluß des Willens auszuführen; der Mund war ihm wie durch einen Zauber verschlossen. Ebenso unfähig war der Vater, diesen Zauber zu lösen durch ein mildes, entgegenkommendes, wenn auch mit väterlicher Rüge entgegenkommendes Wort.

Allein ich darf in dieser Schilderung nicht weiter gehen. Ich kenne die Leser und auch die schönen Leserinnen. Ich weiß, daß namentlich die letzteren am Manne das Heroische, Durchgreifende, stolz Beharrende lieben, und muß nun fürchten, daß unser Freund wegen seiner plötzlichen Nachgiebigkeit in ihrer Achtung gar sehr gesunken ist und ihre teilnehmenden Seelen von dieser Wendung überhaupt unangenehm berührt worden sind. Da es mir nun doch hauptsächlich um ihre Gunst zu tun ist, für mich sowohl als für meinen ländlichen Liebhaber, so muß ich vor allem berichten, wie dieser dazu gebracht wurde, den unerwarteten Schritt zu tun.

Als Ludwig sich vom Schmiedbauer ins Wirtshaus begab und den Brief an Annemarie schrieb, war es bei ihm ausgemacht, am anderen Morgen nach Augsburg zu wandern. Eine Änderung seines Entschlusses wurde durch den Brief herbeigeführt, den er nachts erhielt und der ihm ein anderes Ziel der Wanderung bezeichnete. Er war geschrieben von dem alten Pfarrer und ihm zugesandt aus dem Hause des jüngeren Amtsbruders, wo er für einen Fall dieser Art schon bereit lag. Ich lasse ihn wörtlich folgen und seine Sache selbst führen. Der alte Herr schrieb:

»Lieber Ludwig! Ich höre von meinem Freund und Amtsbruder, daß Du von dem Bauer, bei welchem Du als Knecht dienst, und von seinen Kindern immer übler gehalten wirst, und da ich annehmen muß, Du werdest Dich über kurz oder lang mit ihm überwerfen, so schreibe ich Dir diesen Brief, damit er im Augenblick der Entscheidung das Gewicht eines freundschaftlichen Rates in die Wagschale werfe, die sich zur Versöhnung neigt. Du weißt selber, Ludwig, daß Dein alter Freund nicht zu denen gehört, die mit ihren Ermahnungen lästig werden, wo kein Wille und keine Fähigkeit ist, sie zu befolgen; aber Dir mut' ich jetzt etwas zu, weil ich Dir die Kraft zutraue, es zu tun. Um es offen zu sagen: Du mußt zu Deinen Eltern zurückkehren! Du mußt es freiwillig und sobald als möglich tun!

»Über den Streit mit Deinem Vater will ich jetzt nicht urteilen. Ihr seid aneinandergeraten und Du hast das väterliche Haus verlassen – es sind geschehene Dinge. Aber nehmen wir an, es sei an dem Bruche einer so gut schuld wie der andere – wem steht es zu, die Hand zum Frieden zu bieten, dem Vater oder dem Sohn? Die Antwort hierauf wirst Du Dir, wenn Du unbefangen urteilen kannst, selber geben. Der Sohn, der nachgibt, erfüllt die Pflichten kindlicher Liebe und kindlichen Gehorsams; der Vater, der nachgibt, verletzt die Pflichten der Herrschaft in seinem Hause und gibt sich unmännlich in die Hand des Kindes.

»Wüßten Deine Eltern nicht, daß sie Dich aus dieser Ursache nicht zurückrufen dürfen, sie hätten's wahrlich schon lange getan. Denn sie kümmern und grämen sich, sie verzehren sich in Sorgen und Unruhe, wie wenig sie sich's vor anderen auch anmerken lassen. Die Freude und die schöne Zufriedenheit ist aus ihrem Hause gewichen. Darf nun der Sohn, der davon Kenntnis erhält, zaudern, seinen Eltern die verlorene Freude wiederzugeben? Darf er zaudern, wenn man ihm zeigt, daß es seine Pflicht ist und er allein es vermag? Wenn der natürliche Mensch in Dir widerstrebt, wenn er sich dreht und windet und allerlei Ausflüchte macht – um so besser, Ludwig! Denn dann hast Du Gelegenheit, in Überwindung desselben zu beweisen, daß Du ein Christ und ein braver, sittlicher Mensch bist.

»Ich wende mich an den Ludwig, der mir im Unterricht gar oft durch verständige und seine Antworten Freude gemacht hat. – Wenn ein Sohn, der trotzig davongelaufen, in das Haus seiner Eltern zurückkehrt, weil es ihm draußen schlecht geht und er gern wieder besser essen und trinken möchte, so ist er ein armer Sünder, dem man ebenfalls verzeihen, aber keine Achtung schenken kann. Wenn er aber heimkehrt aus Liebe zu den Seinen und in der großmütigen Absicht, ihnen Freude zu bringen, wenn er heimkehrt, obwohl er sich sagen kann, daß er sich draußen selber zu helfen vermöchte, dann ist er ein braver, edler Mensch und handelt in dieser christlichen Selbstüberwindung viel männlicher, als wenn er trutzig weiter und weiter liefe; denn es gehört viel mehr Kraft dazu, seinen Willen zu brechen, als seiner Leidenschaft zu frönen. – Das Christentum, Ludwig, das ich Dich gelehrt habe, ist nicht einem Gefäße gleich, das man in einen Kasten stellt, um es hier und da seinen Freunden zu weisen; es ist eine Sache zum Brauchen. Und je mehr und je fleißiger man diese Sache braucht, desto besser und schöner wird sie.

»Erwäge noch etwas anderes! Du strebst nach einem eigenen, in Deinen Verhältnissen ungewöhnlichen Preis. Du begehrst ein Mädchen zur Frau, die durch ihr Vermögen und ihre Stellung im Leben nach der hergebrachten Ansicht nicht Deinesgleichen ist. Du verlangst, daß Deine Eltern ihre Pläne opfern und ihre gewohnten Begriffe aufgeben sollen um Deiner Leidenschaft willen. Womit hast Du denn das verdient? Was hast Du denn dafür getan? Du forderst dem Vater seine Einwilligung ab, und wie er sie verweigert, brichst Du mit ihm und gehst davon. Heißt das von seinen Eltern eine Gunst verdienen? Und wenn Du nun ganz fortwandertest in die Fremde, könntest Du von dem völlig geflohenen, doppelt gekränkten Vater erwarten, daß er Dich dafür durch Erfüllung Deiner Wünsche belohnte? Wenn Du aber selbst ein Opfer bringst, wenn Du Dich demütigst und in freiem Entschluß als gehorsamer Sohn zurückkehrst, dann möchte das wohl die Herzen der Deinen rühren, sie möchten eine Anregung empfinden, nun ebenfalls ein Opfer zu bringen und da zu belohnen, wo ein Verdienst vorhanden ist.

»Ich will Dir keine Hoffnungen machen, denn ich habe kein Recht dazu; noch weniger kann ich für etwas der Art einstehen. Allein wenn Du den Segen des Himmels haben willst, so mußt Du durch edles Handeln Dich seiner wert machen. Und wenn Du bei Deinem Vater etwas erreichen willst, so darfst Du nicht auf eine Schwäche rechnen, die er nicht hat, sondern Du mußt die Großmut zu erwecken suchen, deren er fähig ist.

»Und nun bedenke, was Deine braven Eltern von jeher für Dich getan haben, und frage Dich, ob die Aufrechthaltung eines im Zorn gesprochenen Wortes so schwer wiegen darf wie die Pflicht der Dankbarkeit für unberechenbare Wohltaten. Denke an die Freude, welche Du den Deinigen machen wirst – und daneben auch ein wenig an die, welche Dein alter Freund haben wird, der Dich gar gern wieder in seiner Nähe hätte!«

Ob dieser Brief einen andern umgestimmt hätte? Ich weiß es nicht. Bei Ludwig erfüllte er seinen Zweck, und der alte Herr bewies hier, daß er seinen Schüler kannte. Der Verstand des jungen Burschen konnte den Gründen des Geistlichen nicht unrecht geben, und sein gutmütiges Herz war empfänglich für die edlen Mahnungen, die er an sich gerichtet sah. Er erkannte klar: geschehen muß etwas, mein Vater tut's nicht, darum muß ich's tun. Er fühlte sich bei diesem Gedanken nicht kleiner als vorher, sondern größer, und deutlich rief es in seinem Herzen, daß der Gang nach Hause der Weg zu seinem Glück sein werde. Er faßte seinen Entschluß und blieb dabei.

Am andern Morgen zerriß er den Brief an Annemarie und schrieb einen andern, der kurz so lautete: »Liebe Annemarie! Ich bin im Streit vom Schmiedbauer geschieden und folge nun dem Rat unseres guten Pfarrers und kehre aus freien Stücken zu meinen Eltern heim. Er hat mir seine Meinung schriftlich zukommen lassen, und Du würdest ihm ebenso recht geben müssen, wie ich es tue. Ich bleibe Dir unabänderlich treu und tu' nur einen Schritt, der uns dem Ziel, das wir beide uns gesetzt haben, näher bringen muß. Und vertrau' dem Herrn Pfarrer und mir nur ohne weiteres, wenn ich Dich auch in der ersten Zeit nicht gleich besuchen könnte. Es geschieht alles zu unserem Besten. Ich bin Dein ewig getreuer Ludwig.«

Nachdem er diesen Brief an Annemarie durch eine sichere Gelegenheit abgeschickt hatte, wo sie ihn noch im Laufe des Tages bekommen mußte, nahm er von den Wirtsleuten Abschied, ging zum Pfarrer des Orts und teilte ihm sein Vorhaben mit. Der Geistliche lobte ihn sehr und wünschte ihm alles Glück, indem er ihm freundlich lächelnd Mut einsprach. Ludwig ging zuerst nach Nördlingen und richtete es so ein, daß er in der Dämmerung auf Feldwegen nach seinem Dorfe wanderte. Als er sich seinem Garten näherte – denn durch ihn wollte er ins Vaterhaus zurückkehren – mußte er erfahren, daß auch bei der größten Willigkeit des Geistes das Fleisch dennoch schwach sein kann. Wie fest er sich vorgenommen, heimzukehren als ein Mensch, der weiß, was er will und der seine Pflicht erfüllt, so fing sein Herz doch gar mächtig an zu pochen und er wurde rot vor sich selber. Trotz dieser Anwandlungen des Schämens und Zagens ging er indes vorwärts, bis er in den Hof und von da in die Stallung kam. Das übrige wissen wir.

Als der Alte sah, daß sein Sohn nichts vorzubringen vermöge, brach er das Stillschweigen auf eine Art, wie sie ihm fürs erste allein möglich war. Er sagte: »Es scheint, daß es dir beim Vetter Schmiedbauer nicht recht gefallen hat, da du wieder zu einem Mann kommst, wie dein Vater ist. Hat man den Herrn vielleicht nicht gut gehalten? Hat man sich unterstanden, ihm durch den Sinn zu fahren? Wie? oder hätte« – Weiter konnte er nicht reden, da die Mutter ihm mit dem Ausruf: »Bist du gleich still!« den Mund zuhielt. Zu Ludwig gewendet, sagte sie dann: »Kehr' dich nicht an seine Reden, du kennst ihn ja! Ihm ist's am liebsten von uns allen, daß du wieder da bist!« – »Jawohl,« bemerkte Andres, »ihm ist ein Mühlstein vom Herzen gefallen!« – Der Alte sah Andres an und sagte: »Ihr seid Narren, du und deine Mutter!« – Dann faßte er sich und sagte mit Würde: »Freilich ist's mir lieb, wenn ich sehe, daß ein junger Mensch zur Einsicht kommt und seinem Vater nachgibt, wie sich's gehört! Wenn ein toller Streich wieder gut gemacht und der Karren wieder ins Gleis geschoben wird, das muß einen vernünftigen Menschen freuen.«

Diese Rede öffnete dem Sohne wieder den Mund; er sagte mit bescheidener Festigkeit: »Vater, ich bin zu dir zurückgekommen aus freien Stücken. Ich hab's nicht nötig gehabt, denn einem Menschen, wie ich bin, steht die Welt offen, und daß ich etwas ertragen kann, hab' ich bewiesen. Ich bin zu dir zurückgekommen, weil ich mich überzeugt hab', daß das Nachgeben meine Pflicht ist, und nun bin ich auch entschlossen, alles auszuhalten, was mir geschehen mag.« – Der Alte hatte hoch aufgehorcht; die Rede und die Art, wie sie vorgebracht wurde, gefiel ihm. Ebendeswegen hielt er sich aber an die letzten Worte und erwiderte: »Dummheiten! Man wird dich wohl hier fressen? Du bist noch immer der Alte!« – Damit wandte er sich weg.

Die Mutter dachte nun an etwas anderes. Sie fragte: »Aber du wirst hungerig sein, Ludwig, von dem Marsch! Gleich will ich ein Stück Fleisch richten, das noch von gestern übrig ist!« – Andres, der in bester Laune war, bemerkte: »Du bekommst Kalbsbraten, wie dein Vorgänger im Neuen Testament.« – Ludwig, auf den Scherz eingehend, erwiderte: »So wie der komm' ich drum doch nicht heim! Indessen hab' ich schon in Nördlingen Kalbsbraten gespeist und muß für dein Anerbieten danken, Mutter.« – »Ah so,« rief Andres, »du hast dich gestärkt zu der großen Anrede! Die Kraft hat aber doch beinahe nicht gereicht.« – »Sei still,« sagte die Mutter, »du bist grad wie dein Alter!« – Sie bot ihren Braten wiederholt an und Ludwig mußte es aufs bestimmteste abschlagen, bevor sie sich beruhigte. Nun lud sie ihn ein, sich an den Tisch zu setzen, wo der Vater schon Platz genommen hatte, und ihr zu berichten, wie's ihm ergangen sei.

Ludwig erzählte seine ganze Geschichte, mehrfach unterbrochen von den Ausrufungen der Mutter: wie sie nie geglaubt hätte, daß die Schmiedbauersleute von der Art seien. Als er den Auftritt mit dem jungen Schmiedbauer schilderte, konnte sein Vater nicht umhin, den Jungen, der hier gezeigt, daß er auch »Schneid« habe, beifällig anzusehen. Bei dem Bericht über die Umwandlung durch den Brief wurde er aber plötzlich ernsthaft. »So, so,« sagte er, »ein Brief von unserem Pfarrer. Darf man ihn vielleicht auch lesen?«

Ludwig übergab ihm den Brief, denn er hatte wohl gemerkt, daß er auch für den Vater geschrieben war. Der Alte rückte die Ampel näher und las, anfangs mit würdevollen Zeichen der Beistimmung und Anerkennung, dann mit sehr bedenklicher Miene. »So, so, so,« sagte er, als er fertig war. »Das schreibt der Herr Pfarrer? – Nun seh' ich, wie viel's geschlagen hat!« –. »Nun?« fragte die Mutter mit großer Neugierde. – »Jetzt kenn' ich mich aus und bedank' mich schön,« fuhr der Alte mit empfindlicher Miene fort.

Ludwig, seine Gedanken erratend, sagte: »Vater, ich weiß, was du meinst. Aber ich verspreche dir's, nie sollst du von mir eine Bitte hören. Wenn ihr mich nicht mehr mit der Base plagt, so will ich nichts weiter.« – Der Alte versetzte: »Du willst nichts weiter? Gut, schön! Das heißt für die erste Zeit. Du kannst warten! Hab' ich's getroffen?« – Als er Ludwig leicht erröten sah, setzte er hinzu: »Dein Pfarrer und du, ihr dürft fein nicht glauben, daß der Angerbauer ein Brett vor dem Kopf hat. Ihr seid mir noch lang' nicht zu gescheit! Daß ihr euch nur nicht verrechnet!« – Jetzt rief die Mutter in ernstlicher Ungeduld: »Aber was hast du denn?« – »Ach,« erwiderte .der Alte, »die ganze Geschichte ist mir zuwider, ich bin müd' und geh' zu Bett.« Damit stand er auf und ging hinaus in die Schlafkammer.

Die Mutter »zündete« ihm nicht, wie sie sonst auch unaufgefordert getan hätte. Sie war zu neugierig, zu erfahren, was in dem Brief stehe, und forderte Ludwig auf, ihn vorzulesen. Dieser las die Hauptstellen. Als er geendet hatte, rief die gute Frau, während Andres sehr schlau drein sah: »Ei, ei, ei! Nun begreif ich deinen Vater.« – »Liebe Mutter,« sagte Ludwig, »heut' wollen wir von dieser Geschichte nicht weiter reden.« – »Jawohl,« bemerkte Andres, »wir wollen uns niederlegen, ich bin schläfrig. Komm, du gehst mit mir in die obere Kammer. Hab' ich doch wieder einen Schlafkameraden!« Er wollte den Bruder mit sich fortziehen, aber die Mutter hielt ihn noch und fragte: »Willst du denn aber wirklich nichts mehr essen heute, Ludwig?« – »Nein,« erwiderte dieser dankbar, gab ihr die Hand und sah ihr zärtlich ins Auge, indem er sagte: »Schlaf' wohl, gute Mutter! Führ' meine Sach' beim Vater.«

* * *

Die Mitteilungen, die Andres seinem Schlafkameraden gemacht, konnten nur günstige gewesen sein; denn Ludwig zeigte am andern Morgen in seinem Gesicht eine eigene stille Zufriedenheit und Hoffnung. Er wußte, daß der Pfarrer früh aufzustehen pflegte, und wollte ihn daher zuerst besuchen. Auf dem Wege wurde er von verschiedenen Bekannten erstaunt angesehen, von einigen schelmisch begrüßt. Er war jedoch in zu guter Stimmung, um verlegen zu werden; er dankte und antwortete wieder scherzend. – Der alte Herr war sehr erfreut, als er ihn sah. »Ah, brav so!« rief er, ihm die Hand reichend, »du hast meinen Rat befolgt!« – »Ja, Herr Pfarrer.« – »Und bist wohl aufgenommen worden?«

Ludwig erzählte, wie es ihm ergangen. Der Alte hörte mit größter Teilnahme zu und sagte: »Nun, ich kenne ja die Deinen! Es ist gekommen, wie ich's dachte.« – »Ja,« versetzte Ludwig, »Sie haben sich meiner angenommen, Herr Pfarrer. Ich sehe nun wohl, wie Sie's meinen, und weiß, daß wir alles Gute, was uns noch kommen wird, nur Ihnen verdanken.« – »Pst!« rief der alte Herr lächelnd und freundlich warnend. »Still davon!«

Vom Pfarrer ging Ludwig zu seiner Schwester, die er allein in der Stube traf. Sie hatte von seiner Ankunft schon gehört und gab ihm die Hand, indem sie ausrief: »Bist du da, Vagabund? Du machst schöne Streiche, ja!« Ludwig zuckte die Achseln und begrüßte den eintretenden Schwager, der seine Frau fragte: »Hast du nicht den Ofen eingeschlagen bei dem seltsamen Besuch?« – »Wahrhaftig,« sagte diese, »das hätt' ich tun sollen.« – »Nun,« bemerkte Ludwig, »von jetzt an werd' ich schon öfter kommen.« –Die Schwester lächelte. »Du glaubst wohl selbander? Aber das hat noch einen Haken.« – »Man kann nicht wissen,« versetzte Ludwig mit einem gewissen Übermut.

Er verließ die Familie sehr aufgemuntert. Aus allem, was er sah und hörte, drängte sich ihm die Überzeugung auf, daß sich die Seinen – vielleicht nur den Vater ausgenommen – mit dem Gedanken an eine Heirat zwischen ihm und Annemarie schon vertrauter gemacht hatten, als er nur irgend hatte hoffen können. Was würde er gesagt haben, wenn er erfahren hätte, daß er diese Umstimmung zum großen Teil dem Benehmen der Eva verdankte! Dieses hatte namentlich die Schmalzbäuerin empört, und da bei der angestellten Vergleichung Annemarie doppelt gewinnen mußte, so hatte die Schwester gegen ihren Mann und die Mutter zuerst den Gedanken ausgesprochen, es würde am Ende das beste sein, dem Ludwig das Mädchen zu lassen. – Als er an der Gasse vorüberging, die zu dem Bäckerhause führte, sah er sehnsüchtig hin, und beinahe hätte er dem Drange nachgegeben, zu der Geliebten zu eilen und ihr seine Hoffnungen zu verkünden. Aber er sagte sich: »Nein, es darf nicht sein!« und ging nach Hause.

In derselben Morgenstunde saß Annemarie bei einer Arbeit in der Stube des Bäckers. Sie hatte Ludwigs Brief am gestrigen Tage richtig erhalten, und ohne daß es jemand gesehen. Die Überraschung, welche der ausgesprochene Entschluß des Geliebten in ihr hervorrufen mußte, hatte bald einem großen Wohlgefühl Platz gemacht. Die Last, die sie noch zu tragen hatte, war abgeworfen. Sie war nicht mehr eine »Stifterin des Unfriedens zwischen Vater und Sohn«; man konnte ihr den ungerechten Vorwurf gar nicht mehr machen! Die Selbstüberwindung Ludwigs begriff das wackere und begabte Mädchen, und ihr Herz sagte ihr, daß diese Heimkehr ihnen beiden zum Segen sein werde.

Als sie in diesen Gedanken glücklich dasaß, kam Regine atemlos gelaufen und rief: »Weißt du die große Neuigkeit schon?« – »Nun, was ist's?« fragte Annemarie. – »Fall' nicht vom Stuhl, wenn du's hörst: der Ludwig ist wieder bei seinem Vater!« – Annemarie errötete ein wenig und erwiderte: »Das hab' ich schon gewußt, er hat mir's gestern geschrieben.« – »So?« versetzte die Freundin etwas empfindlich, »und davon sagst du mir nichts?« – Annemarie sah sie gutmütig an und erwiderte: »Muß ich dir denn alles sagen? – Auch jetzt muß ich dich bitten, von diesem Brief niemand etwas merken zu lassen.« – »Ich verrat' nichts,« sagte Regine. »Aber wird er dich denn besuchen?« – »Heute nicht,« versetzte Annemarie ruhig, »und morgen auch nicht. Aber ich kann warten.«

Ein gutes altes Sprichwort sagt: »Was sein soll, schickt sich wohl.« Eine Zeitlang kann sich uns auf unserem Lebenswege Hindernis auf Hindernis entgegenstellen, und wenn wir uns des Sieges erfreuen wollen, finden wir nur immer neue Arbeit. Plötzlich ist's wie umgekehrt. Alles gelingt, rasch geschehen Dinge, welche den letzten Widerstand beseitigen und der kühnsten Hoffnung Erfüllung verheißen. Es liegt dann in der Luft und jeder fühlt, daß die glückliche Entscheidung kommen soll. So ging es auch hier.

Zwei Tage nach der Rückkehr Ludwigs wurde bekannt, daß die Hoferbin Eva sich versprochen habe. Der Erkorene war jener Vetter der beiden langen Bauerntöchter, den wir vom »Ansing« her kennen. Obwohl der Gedanke einer Verbindung zwischen Eva und Ludwig vom Angerbauer selber aufgegeben war, so lag in dem Ereignis doch etwas Günstiges. Die Möglichkeit war nun ganz verschlossen und der rasche Entschluß des Mädchens reizte die schon freundlich gestimmten Seelen, auch ihrerseits ans Werk zu schreiten.

Fast zu derselben Zeit wurde bekannt, daß ein Bauer sich auswärts angekauft habe und sein Hof zu erwerben sei. Nun hielten sich die Angerbäuerin und die Schmalzbäuerin nicht länger. Sie pflogen Rats und förmlich wurde der Beschluß gefaßt, daß man dem Ludwig das Mädchen geben müsse. Die Gründe waren: »Die Annemarie ist brav; vernarrt sind sie ineinander; eine andere nimmt er nicht; im Geschrei ist er mit ihr; ein Hof ist zu haben; und endlich: es geht einmal nicht anders!« – Zuerst wurde der Schmalzbauer ins Geheimnis gezogen. Dieser, der mit seinem Weib »gut hauste« und von der Lieb' noch einen gewissen Begriff hatte, erklärte seine Zustimmung und Beihilfe ohne weiteres. Durch ihn verstärkt rückten die beiden Frauen endlich an einem Nachmittag hinter den Angerbauer.

Obwohl dieser den Vorschlag hatte kommen sehen und selber sah, daß es nicht wohl anders ging, so fuhr er doch gewaltig auf und fragte: ob sie wirklich alle miteinander verrückt geworden seien? Alle Gegengründe wurden von ihm hervorgeholt und ein Ach und O folgte dem andern. Ein Haupteinwand war die »Söldnersfreundschaft«. Den konnte aber der Schmalzbauer widerlegen. Der Bäcker war ins Dorf gezogen und in demselben ohne Blutsverwandte. Seine einzige Tochter sollte den Hans, einen Bauern heiraten, wenn auch den kleinsten im Dorfe. Auf diese Art hatte man nur einen Söldner in der Freundschaft, den Bäcker, und das war doch auch kein gewöhnlicher. Der Köcher des Alten war leer. Dennoch gab er sich nicht. Er schwieg, setzte sich auf den Großvaterstuhl und sah, in Mißmut versunken, zu Boden. Dann erhob er den Kopf und sagte mit unmutsvoller Strenge: »Hat ein Vater jetzt wirklich nichts mehr zu tun als dem Kind nachzugeben? In früheren Zeiten, da hat man's anders gemacht! Da hat der Vater seinen Kopf durchgesetzt und nicht der Bub'! – Und wenn ich's jetzt doch nicht tu', trotz eures Gered's – und wenn der Bub' nachgeben muß, wißt ihr, ob er mir's nach einem Jahr nicht dankt?«

Die Mutter zuckte die Achsel und schaute sehr ungläubig. Die andern schüttelten die Köpfe.

»Ihr seid alle miteinander Weiber!« rief der Alte. »Auch der Schmalzbauer ist eins! Immer gleich weich werden und luck lassen! – Geht mir! – Wenn ich bedenk', daß dieser Mensch zu hausen anfangen könnt' als ein reicher Mann!«

»Das Geld ist nicht alles!« rief die Angerbäuerin jetzt fast mit Unwillen. »Der Ludwig fängt an zu hausen als ein Mensch, der etwas erwerben kann! Und dazu hat er ein braves, gesundes und schönes Weib, von der er brave, gesunde und schöne Kinder haben wird!«

»Ein solches Weib,« rief die Schmalzbäuerin eifrig, »ist mehr wert als eine, die dreitausend Gulden mehr hat!«

»Vater,« begann die Mutter nach einer Weile mit großem Ernst, »sperr' dich nicht länger! Aus der Geschichte kommen wir nicht mehr anders heraus – mach ein End'!«

Der Alte schwieg. Auf einmal stand er auf und rief grimmig: »Nun ins – –« Er verschluckte den Rest. »Meinetwegen! Er mag sie haben – weil ihr's doch nicht anders haben wollt! Wie er dann aber fortkommt, das ist seine und eure Sache!«

Die Weiber, welche die Angelegenheit ganz zu der ihrigen gemacht hatten, schrieen auf vor Freude und lobten den Alten über die Maßen. Dann sagte die Schmalzbäuerin: »Nun laßt mich machen! Etwas gehört ihm noch!« Sie rief Andres herbei und sagte, er solle Ludwig holen, er sei im Garten. Andres nickte mit dem Kopf, wie einer, der begreift, und richtete seinen Auftrag aus, ohne dem Bruder etwas von seiner Vermutung zu sagen. Als sie miteinander in die Stube traten, begann die Schwester mit einer Art von Geschäftsmiene: »Ludwig, soeben ist von dir die Rede gewesen. Du weißt, die Ev' heiratet, und wenn man dir auch keine ›Spreuer‹ (Spreu) vor die Tür streuen wird, so ist's doch keine Ehre für dich. Du mußt auch heiraten; und zum Glück ist unerwartet ein Antrag an uns gekommen, der unseren ganzen Beifall hat und, wie wir hoffen, auch deinen. Das schönste und reichste Mädchen im ganzen Ries sagt augenblicklich ja, wenn du willst.« – »Wer ist denn die?« fragte Ludwig. »Des Wirts Tochter in **.« – In der Tat war diese, wenn nicht gerade die schönste, doch wenigstens eine der schönsten und reichsten.

Ludwig, ungewiß, was er denken sollte – denn die Schmalzbäuerin hatte ganz ernsthaft gesprochen und die andern ebenso ernsthaft dreingesehen – erwiderte kurz: »Ich dank' schön.« – »Wie?« rief die Schwester, »ist dir die auch nicht recht?« – »Gegen das Mädchen hab' ich nichts, aber ich will überhaupt nicht heiraten.« – »So?« sagte die Schmalzbäuerin, »das ist etwas anderes.«

Nun wurde auch der Alte angesteckt. »Ich hab's euch ja gesagt!« rief er den andern zu. »Sein erster Versuch ist so übel ausgefallen, daß er's ganz verschworen hat. Wenn wir ihm nun auch die schöne Zimmermannstochter geben wollten, die so ›guet tanzt‹ und die mehr wert ist als alle Rieser Bauern- und Wirtstöchter zusammengenommen – er würde auch sagen: ich dank' schön!« – »Wirklich?« fragte die Mutter, zu Ludwig gewendet, »würdest du das?«

Dieser, betroffen, verwirrt, schaute die Gesichter an und verweilte bei dem des Vaters, der aber seine Rolle fest behauptete. Die Mutter konnte sich nicht länger halten. Sie nahm den Sohn bei der Hand und sagte: »Nun, Ludwig, mach einmal ein ganz freundliches Gesicht! Deine Schwester, dein Schwager und ich, wir haben den Vater herumgebracht – du sollst die Annemarie haben!« – »Ist's wahr?« rief der Glückliche, drückte der Mutter die Hand, eilte zum Vater und dankte ihm in überfließend zärtlichen Worten. Der Alte machte ein seltsames Gesicht. »Ach!« rief er mit einem großen Seufzer, »nun muß man auch den Dank noch hören! – »Geh fort«, setzte er hinzu, als Ludwig den andern seine Liebe bezeigte, »geh und sag's dem Mädchen, damit ein Ende wird!«

Ludwig ließ sich das nicht zweimal sagen. Nach wiederholten Dankreden eilte er davon. Als er hinaus war, sagte die Schmalzbäuerin zu Andres: »Nun, was ist denn dir? Du stehst ja da wie ein ›Ölgötz!‹ Freust du dich denn nicht?« – »Gott!« erwiderte Andres, »daß das so kommen wird, hab' ich ja längst gewußt!«

Ludwig kam zum Bäckerhaus wie im Traum. Als er die Tür geöffnet hatte, sagte sein strahlendes Gesicht alles. Wie durch einen Zauberschlag entzündet, glänzte sein Glück auf dem Antlitz der Geliebten, die bei dem Bäcker und Regine saß; sie flog ihm entgegen und in der zärtlichsten Umarmung flossen selige Tränen von ihren Wangen herab. »Du bist mein, Annemarie, mein mit dem Willen meiner Eltern!« rief Ludwig zum Überfluß und drückte die Geliebte fester an sich, deren vor Freude gebeugtes Haupt an seine Brust gesunken war. – Es war einer von den Augenblicken, die man als unverdientes Geschenk empfindet, wenn man in Not und Sorgen, in Dulden und Sehnen jahrelang danach getrachtet hat.

Das Schicksal hatte aber für die Liebenden noch eine Gabe im Füllhorn. Zwei Tage nach der günstigen Entscheidung gelangte ins Bäckerhaus die Nachricht, daß in dem württembergischen Städtchen Bopfingen (dem Abdera oder Schöppenstedt des Rieses) eine Verwandte gestorben sei und der Annemarie zweitausend Gulden vermacht habe. Dies war kein bloßer Zufall, auch kein »Bopfinger Stückle« von der Verstorbenen, sondern eine verständige Handlung, herbeigeführt durch das Mädchen selbst und ihr braves Benehmen. Die kinderlose Base hatte davon gehört, und da sie als eine erfahrene Frau so treue Liebe hochhielt, so wollte sie sterbend einen Beitrag leisten zu ihrer Belohnung. – Als man dem Angerbauer diesen Glücksfall hinterbrachte, war er zunächst sehr erfreut über den Zuwachs des Vermögens, dann aber auch darüber, daß er erst nach seiner Einwilligung bekannt geworden, so daß niemand behaupten konnte, er hätte nur um des Geldes willen ja gesagt. Um so mehr fühlte er sich nun angetrieben, gegen seinen Sohn ganz als Vater zu handeln. Er kaufte den feil gewordenen Hof für Ludwig, der ihn als sein Heiratsgut haben sollte, obwohl er um ein gutes Teil mehr kostete als sechstausend Gulden. Überdies ergänzte er den Viehstand und das Geräte, so daß die Besitzung nichts mehr zu wünschen übrig ließ. Dann setzte er den Heiratstag (den Tag der Verlobung) selber fest.

In der Zwischenzeit fanden die ersten Besuche und Gegenbesuche statt. Es war ein großer Augenblick, als Annemarie an der Seite ihres Vormunds zum erstenmal in den Hof des Angerbauers trat. Ludwig war ihnen entgegengeeilt, und seine Eltern erwarteten die Gäste auf der Schwelle der Haustür. Wie mutig das Mädchen war, so kam sie doch ein Zittern an, als sie dem stolzen Bauer, der so lange als die gefürchtetste Person vor ihrer Seele gestanden, zur ersten Begrüßung entgegenging. Allein sie wurde sehr freundlich empfangen, wie es in der Natur der Sache lag. Sobald der Angerbauer seine Zustimmung zu der Heirat gegeben hatte, war das Verhältnis in seinen Augen sanktioniert. Die Strahlen seines Lichtes fielen nicht nur auf Annemarie, sondern auch auf den Bäcker und machten sie zu seinesgleichen. Annemarie war nicht mehr die Tochter und Verwandte eines Söldners, sie war die künftige Schwiegertochter des Angerbauers, und als solche konnte sie die größten Ehren in Anspruch nehmen. Niemandem wäre zu raten gewesen, daß er jetzt in Gegenwart des Alten über diese Verbindung seine Verwunderung ausgedrückt oder gar über das Mädchen geringschätzig gesprochen hätte.

Als Annemarie die Freundlichkeit der Eltern sah, fand sie ihren Mut wieder und beantwortete die Begrüßungsfragen so anmutig und bescheiden, daß der Alte sie selber bei der Hand faßte und in die Stube führte. Man würde den Landleuten sehr unrecht tun, wenn man ihnen nicht ein ihrem Stande entsprechendes Schicklichkeits- und Zartgefühl zutrauen wollte. Als man hier an dem wohlbesetzten Tische saß, unterhielt man sich, als ob nie ein Streit vorgefallen wäre, nicht eine Hindeutung erlaubte man sich darauf. Dagegen wurden die erfreulichen und ehrenvollen Neuigkeiten besprochen: die Erbschaft, die Annemarie zugefallen war, der Kauf und die Einrichtung des Hofes. Bei dieser Gelegenheit machte das Mädchen einige Bemerkungen, die der Angerbauer mit vollem Beifall beehrte, indem er hinzufügte: er sehe schon, daß sie die Sache verstehe. Natürlich saß Ludwig bald an der Seite der Geliebten. Als die Angerbäuerin das schöne Paar zum erstenmal beisammen sah, betrachtete sie es mit großem Wohlgefallen, und ein vergnügtes, schlaues Lächeln spielte um ihren Mund, als sie später auch den Vater über einem solchen Blick ertappte. Die Gäste nahmen endlich Abschied, und Ludwig begleitete sie. »Nun,« fragte die Angerbäuerin, »was meinst du zu dem Mädchen?« Der Alte erwiderte ernsthaft: »Das Mädchen ist recht.«

Sonst ist von der Zwischenzeit nichts mehr zu erwähnen, als ein Besuch, den der alte Angerbauer mit Ludwig in Nördlingen machte. Beide hatten sich in ihren besten Staat geworfen, denn eigentlich wollte der Alte nichts, als sich mit seinem Sohne dort sehen lassen. Da er zu diesem Zweck Bekannte treffen mußte, so begaben sie sich zum »Fadenherrn«. Als sie in der Stube sich umsahen, erblickten sie zu ihrer großen Überraschung an einem Ecktisch die ganze Familie des Schmiedbauers, Vater, Sohn, Tochter und Magd. Die Reihe, verlegen zu werden, war nun an diesen. Sie waren in der Tat sehr betroffen, und Michel sah tiefbeschämt aus. Der Schmiedbauer faßte sich zuerst; er stand auf, ging den beiden entgegen und sagte: »Nun, wie ich höre, kann man gratulieren?« »Allerdings,« entgegnete der Angerbauer mit Würde, »das kann man.« – Der Schmiedbauer nahm hierauf eine lächelnde Miene an und sagte: »Vetter Ludwig, du bist wohl bös auf mich zu sprechen? Aber ich bin dein schlimmster Feind nicht gewesen. Wenn ich dich als den Sohn des Angerbauers bei mir behalten hätte, so stände die Sache jetzt nicht so, wie sie steht.« – »Jawohl,« rief Michel, der auch aufgestanden war, mit der halb komischen, halb Mitleid erweckenden Verlegenheit eines schlechten Gewissens. »Wenn das nicht unser Gedanke gewesen wär', so wär' manches nicht vorgefallen, am wenigsten die Geschichte am Sonntag.«

Ludwig war zu glücklich, um streng zu sein. Er erwiderte daher mit Überlegenheit zwar, aber auch mit Gutmütigkeit: »So, nun soll ich das am Ende gar für ein Freundschaftsstück nehmen? Auch gut! Aber daß ich's nicht gleich getan hab', mußt du mir nicht übel nehmen, Freund Michel: du hast die Sache gar zu gut gemacht.« Hierauf grüßte er die Madlene und die Magd. Jene war glühend rot und sah mit einem Blick zu ihm her, daß er ihr alles verzieh und ihr die Hand zur Versöhnung gab. Die Magd starrte ihn wie einen Prinzen an. Sie konnte gar nicht begreifen, wie sie jemals die Augen zu so einem habe erheben können, und machte sich in der Ecke so klein als möglich. Auf dem Heimwege sagte Ludwig zu seinem Vater: »Es ist mir lieb, daß es so ausgegangen ist.«

Endlich kam der Tag, wo es zwischen Ludwig und Annemarie »schriftlich gemacht« werden sollte. Die Liebenden hatten ihn in der letzten Zeit sehr herbeigesehnt. Ihr Glück war zu groß, als daß sie nicht hier und da die Furcht hätte anwandeln sollen, es möchte wie ein Traum zerfließen, und die Unterschrift war eine neue, große Sicherung und gab ihnen festen Boden unter die Füße. Mit der Zusammenkunft der Familien zu einem »Heiratstag« ist das Glück der Liebenden nicht immer schon außer Frage gestellt. Zuweilen führt die Unterhandlung über die Mitgabe selber noch zum Streit, und ein von der einen Seite begehrter, von der andern verweigerter »Raupe« oder junger Stier kann Anlaß zu einem Bruche werden, der nur allenfalls durch flehentliches Zureden der jungen Leute wieder zu heilen ist. Wenn nämlich der Vater des Burschen nach wiederholter vergeblicher Aufforderung zu dem des Mädchens sagt: »Ich hätt' nicht geglaubt, daß du ein so interessierter Mensch wärst! Wahrhaftig, schämen tät' ich mich« usw., so kann's dieser krumm nehmen, zornig werden, auf den Tisch hineinschlagen, daß die Krüge wackeln und die Gläser umfallen, und erbost ausrufen: »Was? ich hab' für mein Mädle so viel getan, daß ich's vor meinen anderen Kindern gar nicht verantworten kann, und du willst mir so kommen? Himmelkreuz« usw. usw.

Im gegenwärtigen Falle war dergleichen freilich nicht zu fürchten. Die Angerbauersleute waren zu vornehm, als daß sie hätten markten sollen; auch lagen die Verhältnisse anders als gewöhnlich. Als man sich nun nachmittags in der oberen Stube des Angerbauers versammelt und den Getränken und Backwerken der Bäuerin die gebührende Ehre angetan hatte, setzte man sich zu einer Verhandlung, die nicht allzuviel Zeit in Anspruch nahm. Der Protokollführer war der Schullehrer des Dorfs, einer von der alten Gattung, ein Mann von etwas über fünfzig Jahren, der sich noch »Schulmeister« nennen hören konnte und weniger nach Ehre als nach einer guten Nahrung trachtete, im übrigen seinem Amte wohl vorstand. Nach einer würdigen Einleitung des Angerbauers wurde ausgemacht, daß Annemarie dem Ludwig ihr Vermögen von 2900 Gulden (bei Nennung dieser Summe nickte der Schullehrer dem Bauer, den er kannte, höflich bedeutsam zu, als wollte er sagen: »Alle Achtung!«) und Ludwig der Annemarie seinen Hof anheirate, mit allem darin, wie es geht und steht. Der alte Bäcker machte die Bemerkung, daß man bei solchen Gelegenheiten zuweilen auch einen »Rückfall« bedinge, wenn nämlich eins der Eheleute sterben sollte, ohne daß Leibeserben vorhanden wären. Ludwig, der sah, daß der Alte damit seinem Vater entgegenkommen oder ihn versuchen wollte, sagte rasch: »Wir hoffen mit Gottes Hilfe zu leben und wollen für so einen Fall nichts ausmachen. Wenn ich sterbe, dann gehört der Hof meinem Weib, wie umgekehrt mir ihr Vermögen. Anders tut's mein Vater nicht.« Der Angerbauer schwieg; er hatte die Möglichkeit vor Augen, daß Annemarie als kinderlose Witwe die Eigentümerin des Hofes werden und ihn durch eine zweite Heirat an eine andere Familie bringen könnte. Ludwig rief aber: »Nicht wahr, Vater?« und der Bauer antwortete: »Ja, ja, darüber bedingen wir nichts.« Sein Gesicht sah indes nachher aus, als wollte er sagen: »Das macht mir so leicht keiner nach!«

Als das Nötige besprochen war, setzte der Schullehrer die verschiedenen Punkte auf, las sie feierlich mit einer Art von Predigerton vor und reichte die eingetauchte Feder zum Unterschreiben. Als dies von allen nach der Reihe vollzogen war, ergriff Ludwig die Geliebte rasch bei der Hand und hielt und drückte sie, als ob er sie nicht mehr loslassen wollte. Gerührte Glückwünsche ertönten von allen Seiten.

Unterdessen war der Abend gekommen, und nun sollte erst die rechte Festlichkeit angehen. Nicht umsonst waren die Angerbäuerin und ihre Tochter wiederholt ab und zu gegangen. Eine Magd erschien mit zwei brennenden Kerzen in spiegelblanken Messingleuchtern; die Tafel wurde abgeräumt, mit einem schön gewirkten Tischtuch überzogen und gedeckt. Je zwei Teller von Steingut, silberne Bestecke (die, nebenbei gesagt, zum Teil der Schmalzbäuerin gehörten) und sogar Servietten oder »Salveater« ließen auf ein tüchtiges Mahl schließen, was der Schullehrer mit großem Interesse zu bemerken schien. Im Schein der Lichter, die auf der Tafel prangten, sah die schöngeweißte, nett gehaltene Stube sehr heimlich aus.

Nicht lange, so erschien die ganze Familie, und am Ende der Pfarrer mit seinem Enkel. Nachdem sich der Sturm der üblichen Glückwünsche einigermaßen gelegt hatte, fand sich der Pfarrer an der Seite der Verlobten. Er fragte: »Nun, bist du zufrieden, Annemarie?« – »O, Herr Pfarrer!« erwiderte das Mädchen in einem Tone, der mehr sagte als jede Versicherung. – Der alte Herr sah sie liebevoll heiter an und sagte: »Die Tugend, scheint's, ist doch auch etwas in der Welt wert und kann auch zu etwas führen! Das Geld und der Stand sind doch nicht alles!« – Das Mädchen ward rot und erwiderte: »Ich schäme mich der Reden, die ich damals geführt hab'. Ich bin tausendmal glücklicher, als ich's verdiene.« – Der Geistliche nickte beifällig und bemerkte: »Auf diese Art holst du nach, was dir fehlt.«

Als er kurz darauf allein dastand und mit frohen Blicken die Gesellschaft übersah, machte sich der Angerbauer an ihn und sagte: »Sie freuen sich, Herr Pfarrer, und haben auch alle Ursache dazu; an dem heutigen Tag sind doch eigentlich Sie schuld.« – »Ich?« fragte der Pfarrer. – »Sie,« versetzte der Bauer. »Sie mischen sich nicht in Familienangelegenheiten? Ja freilich! ungeschickt nicht, aber geschickt.« – Der alte Herr fragte mit liebenswürdiger Schalkheit: »Hab' ich's nicht recht gemacht?« – Der Bauer drückte ihm die Hand und rief: »Recht gemacht haben Sie's, Herr Pfarrer!«

Es versteht sich von selbst, daß es die Gastgeber während des Tafelns an keiner Aufmerksamkeit fehlen ließen und namentlich das schickliche »Nötigen« nicht vergaßen. Am meisten Höflichkeit wurde dem Pfarrer erwiesen, der Gegenstand der freundlichsten und zartesten Ehrenbezeigungen war aber Annemarie. Ihr wurden die besten Bissen auf den Teller gelegt, und wenn ihr zugeredet wurde, nahmen die Stimmen den weichsten und sanftesten Ton an. Man fühlte, daß bei ihr etwas gut zu machen sei, und tat mehr und tat es besser, als man es für eine reiche Schwiegertochter getan hätte. Alle Liebe, welche diese Leute in sich hatten, kam gegen das Mädchen heraus, und der Pfarrer sah seinen Enkel, der es zu bemerken schien, mit einem bedeutsamen Blick an.

Annemarie aß wenig und gegen das Ende der Mahlzeit wurde sie still und stiller. Ihre Seele war in die Vergangenheit gerichtet. Sie dachte an ihre Liebe und ihre Not, an ihre Bitterkeit und ihre Klagen, und wie sich alles das in unendliches Glück aufgelöst. Sie dachte an die Feindschaft, unter der sie gelitten, und die sich nun in die zärtlichste Freundschaft umgewandelt. Als ihr der Angerbauer von dem eben zerschnittenen Kuchen das schönste Stück überreichte, machte die Güte und die Achtung in seinem Blick einen solchen Eindruck auf ihr erweichtes Herz, daß ihre Augen sich mit Tränen füllten. Sie aß ein Stückchen, um die Gabe zu ehren, aber der Strom der Wehmut war im Gange, das übervolle Herz mußte sich entlasten und unaufhaltsam brachen ihre Tränen hervor.

Alles sah auf sie, ernst, bewegt; die meisten begriffen den Grund dieser Tränen. Es entstand eine feierliche Stille. Ludwig drückte der Geliebten aufs zärtlichste die Hand, die Augen der Frauen wurden feucht. Der Angerbauer saß in tiefem Ernst da und in seinen Blicken entzündete sich ein Feuer, das den Pfarrer beinahe noch mehr ergriff als das Antlitz der Braut. Niemand wollte das Wort nehmen, und der Pfarrer dachte endlich selber daran, durch eine passende Bemerkung einen Übergang zu unbefangener Unterhaltung herbeizuführen, als ihm ein anderer zuvorkam. Johannesle hatte die weinende Annemarie bisher staunend angesehen; wie die Tränen kein Ende nahmen, sondern wieder und wieder aus ihren Augen flossen, stand er auf, ging zu ihr und sagte mit dem ehrlichsten Tone von der Welt: »Warum weinst du denn, Annemarie? Du hast ihn ja jetzt!« Diese naive Rede rief auf dem Gesicht des Mädchens ein sanftes Lächeln hervor und eine milde Heiterkeit in der Gesellschaft. Annemarie sagte mit gütevoller Stimme: »Du wirst's auch noch verstehen lernen, Kind, warum ich wein'! Aber jetzt will ich aufhören.« Und sie trocknete ihre Tränen.

Als der Pfarrer mit seinem Enkel nach Hause ging, fragte er, wie ihm heute der Angerbauer und seine Frau gefallen hätten. Theodor erwiderte: »Ich bin ganz erstaunt über sie; nie hätt' ich ihnen zugetraut, daß sie so gut und so wahrhaft zart sein könnten.« – »Du siehst also, daß du früher nicht ganz recht hattest, diesen Mann, weil er im Zorn grobe Reden ausstieß, ohne weiteres für roh zu erklären, und wirst künftig mit deinem Urteil behutsamer sein.«

Nach sechs Wochen fand die Hochzeit statt. Es war nur eine Stimme über die Schönheit der Predigt, die Andacht des Brautpaars, ihren prächtigen Anzug, das vortreffliche Mahl, wobei die Wirtin des Dorfs sich selbst übertraf, und das große, große Vergnügen. Die Musikanten hielten eine Ernte wie seit Jahren nicht. Der Höhepunkt des Festes war übrigens der Moment, wo der Angerbauer in der Laune des Weins bewogen wurde, drei Reihen allein mit der Braut zu tanzen. Er drehte sich taktfest, aber etwas steif herum, und sein Gesicht drückte eine so eigene Mischung von Galanterie und Selbstgefälligkeit aus, daß ein paar ältere Weiber, mit denen er in seiner Jugend zu tanzen pflegte, nicht umhin konnten, sich spöttisch lächelnd anzusehen, als wollten sie sagen: »Der alte Narr! Wenn man ihm das vor einem Vierteljahr gesagt hätte!« Der Angerbauer hörte dies natürlich nicht, da es überhaupt nicht gesprochen wurde. Als er daher unter großem Beifall den letzten Reihen geendet hatte, konnte er in ungestörter Freude seiner Tänzerin ein Glas Wein präsentieren und dann zu einem Vertrauten sagen: »Daß die Hochzeiterin am schönsten tanzt, hab' ich gesehen; daß sie aber auch am besten tanzt im ganzen Dorf, das kann ich jetzt aus Erfahrung bezeugen. Überhaupt: mein Ludwig ist nicht dumm gewesen!«

 

Ende.

 


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