Johannes Richard zur Megede
Félicie
Johannes Richard zur Megede

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Fünftes Kapitel.

Die Herzogin war wochenlang unpäßlich. Ich fürchtete schon Schlimmeres. Aber sie schrieb mir, daß ihr Herz ein kleiner Eigensinn sei, den urplötzlich Streikgelüste anwandelten, wenn es am wenigsten im Recht. ›Ich habe mein Herz gerade in letzter Zeit so gut und schonend behandelt, nun versteht es die Güte nicht, ist undankbar . . . Beunruhigen Sie sich nicht, Baron! Ich werde leider ein sehr hohes Alter erreichen. Montag Wiedersehen auf der Klippe. Ich werde ein ganzes Picknick zur Stelle haben, um den doch etwas pikierten Halbgott einigermaßen durch die gute Absicht zu entschädigen . . .

Dennoch beunruhige ich mich. Ich fürchte immer, dies kleine, gute Herz könnte eines Tages zu pochen aufhören, und etwas so Reizendes wie sie leidend, vielleicht sterbend zu wissen, ist schon vom rein menschlichen Standpunkt etwas unendlich Trauriges.

Da muß denn in der Zwischenzeit der Duc herhalten. Ich liebe ihn nicht. Ich liebe niemals die Männer verführerischer Frauen. Aber der Brave ist so bequem, so hübsch blind, er hält jedes Kompliment über seine Frau für ein Kompliment an sich. Das ist weise von ihm und hat ihm wohl schon manche genußreiche Stunde eingetragen; denn daß es der Herzogin je an Bewunderern gefehlt haben sollte, ist nicht denkbar. Mich hält er für ein im Grunde gutmütiges, aber schwer zu behandelndes wildes Tier. In seinem Kopf sind Herzöge und Freiherren zwei grundverschiedene Menschenrassen, ungefähr so weit auseinander wie Kaukasier und Papua.

*

Der große Bergsteiger Charles hatte mich zu einer etwas schwierigeren Gipfelbezwingung eingeladen. Ich kraxle gern, jedoch mit Maß, dem schweifenden Malerauge darf der müde Fuß den Genuß nicht verkümmern. Er ist Bergfex, sturer Steiger, dem das ferne Ziel den Blick engt. Der Feind war heute der Monte X. Wir brachen früh auf. Erst eine Wagenfahrt auf wunderbarer Felsstraße, die an tiefen Abgründen ohne Brustwehr vorbei sich ins Gebirge hinaufwindet. Die Sonne war gerade im Aufgehen. Das sonst mitleidlose italienische Licht schimmert noch grau, dunstig über starren, braunen, rissigen Gipfeln von so wilder Form, wie ich sie selten sah. Ueber den ausgewaschenen Steilhängen lagen die Dämmerungsschatten. Auf der Höhe hie und da Gestrüpp; tiefer einsam kümmernde Pinien, düster, leblos; dann die graue säuselnde Olive auf künstlichen Terrassen gezogen. Bis in die Tiefe dieser trostlose, monotone Wald zerklüfteter, rissiger Stämme, Felstrümmer dazwischen gestreut. Ganz unten an der schmalen Sohle ein paar emporstarrende Cypressen von totem Schwarz – die Kirchhofstimmung, die sie mir immer aushauchen, wehte bis zu uns hinauf. Neben ihnen ein steiniges Flußbett, eingerissen, tief; ein blinkender Wasserfaden suchte sich lautlos einen kümmerlichen Pfad. Weit im Westen über einer nadelscharfen Spitze entfloh der blasse Mond. Wir fuhren wechselnd Trab und Galopp. Die elenden italienischen Mietspferde mühten sich mit gekrümmtem Rücken ab. Was ihnen an Hafer fehlt, ersetzt die Peitsche. Geborene Tierschinder, diese Kutscher; das in der Jugend schon verbrauchte Material hält aber noch denkwürdig lange aus. Wie schnell eure Trakehner uns in den Abgrund schmettern würden bei so roher Behandlung! In Italien droht da keine Gefahr. Es geht zwar immer hart längs der Gründe, aber den stumpfen Pferden ist der thörichte Wille zum Leben immer noch zu mächtig. Die Dörfer an der Gebirgsstraße liegen weit: schlafende, weiße Landhäuser mit geschlossenen Jalousien und duftende Gärten dazwischen, wo der italienische Nobile seinen Sommer verbummelt mitten unter dem darbenden, frondenden Bergvolk. Italien ist nicht umsonst das klassische Land des Anarchismus.

Der Wagen hält. Wir sind vor einem in den Fels gewühlten, braunen, fensterlosen Häuserhaufen. In den engen Straßen liegt's dumpf und kalt. Zerlumpte Weiber an den Thüren, ein Maultierzug mit breiten, flachen Eisen trottet klappernd seines Weges. Von dem Tragsattel hangen zu beiden Seiten die seltsam geformten Weinfässer. Die großen zurückgelegten Maultierohren zucken kaum, wenn die Peitsche des Treibers knallt. Ich sehe dem Zug nach. Mit diesen trottenden, stetigen Mischlingen, die ihr saures Tagewerk ohne Hast oder Freude thun, hat der Durchschnittsmensch doch weit mehr Aehnlichkeit als mit dem edeln, im Sprung scheuenden Pferde. Noch ein fernet branca in dumpfiger Osteria, wo die dicke Wirtin die trüben Schnapsgläser mit der Schürze auswischt. Dann steigen wir. Von dem Glockenturm der weißen, prunkenden Kirche bimmelt's gerade zur Frühmesse. Ein harter Aufstieg vom Fleck. Enge Gasse – Olivenwald – armselige Pinien – wucherndes Buschwerk, knospende, duftende Erikasträucher dazwischen. Kein Vogellaut – kein schnürender Fuchs – wenn hier ein Hase aufspringen sollte, wäre es ein Wunder. Auf tauschlüpfrigem Stein gleitet der Fuß. Vor mir wandelt der Herzog – den Vorzug gönn' ich ihm gern. Wie er so langsam und sicher emporsteigt nach Bergfexbrauch – eine sehnige, schlanke Gestalt, elastisch und jung in der Bewegung, ein Dreißiger kaum, dem Aussehen nach jünger –, frage ich mich kopfschüttelnd: Was trennt Mann und Frau? Körperliches kaum. Ich kann knapp mit ihm Schritt halten – und ich stehe doch wahrhaftig zu Fuß wie im Sattel meinen Mann. Es ist eine aristokratisch gewandte Männerfigur, der der Training des Liebhabersports die Muskeln straffte. Und dagegen sehe ich plötzlich das blöde, fast idiotenhafte Kinderauge des toten Sprößlings . . . Gab doch am Ende die schöne Mutter dem Erben das mattere Blut mit? . . . Wer weiß . . . Dennoch glaube ich es nicht.

Ich steige schwer – bald zu schnell, bald zu langsam, wie dies auch sonst meiner Natur entspricht. Der Duc dreht sich zuweilen um – ein freundliches Wort, ein witzig sein sollendes Lächeln – er pausiert nie. Die Sonne funkelt auf Stein und Busch. Jetzt ist es die scharfe italienische Sonne, die brennend auch auf dem kahlen, stumpfen Gipfel über uns liegt. Ich bin schweißgebadet. Ich bleibe eine gute Strecke zurück – die ich im Notfall auch noch laufend schaffen könnte. Der Duc steigt unentwegt weiter. Jetzt ärgert mich der Mann, weil er mir so entschieden über ist. Die ererbte Jägerzähigkeit alter Geschlechter bewährt sich – da kann ich nicht mit. Bin ich nicht, wenn überhaupt ein Vollblut, ein andres Vollblut, das auf der Flachbahn niedergaloppiert oder niedergaloppiert wird, sicher aber galoppierend verendet? Vielleicht ist der ganze Lebenskampf einer solchen Bergbesteigung sehr ähnlich – nur die Stumpfen erreichen den Gipfel unangefochten, weil kein Augenreiz ihren Fuß beeinflußt und keine Nervenspannung den Schritt überhastet. Am Ende hat auch solche Sorte mehr Glück bei den Frauen, nicht etwa, weil sie mehr geliebt wird, sondern weil sie bequemer ist.

Es war, wie gesagt, kein sonderliches Vergnügen. Der Herzog machte sogar noch einen Umweg. Wir benutzten einen Schmugglerpfad, der zu einer Einsattlung rechts sich hinzog. Da lugt ein weißes Kirchlein aus dem Gestrüpp, alter Bau. Sie steigen dem Herrgott nächstens direkt bis in den Himmel mit ihren Gotteshäusern. Der fromme Brauch des Betens lenkte uns also ab. Während der Herzog demütig in dem kleinen, düsteren Kapellenraum seine Morgenandacht verrichtete, stand ich draußen. Der Berg fällt hier steil zu Thal. Puppenhaft klein lag's unter mir, die heiligen Cypressen wie dunkle Punkte, die säuselnden Oliven wie ein grauer Hauch. Mein Malerauge war noch etwas verschleiert. Ich mußte immer an den betenden Mann in der Kapelle denken. Ist so etwas Gewohnheit oder Heuchelei oder echte Frömmigkeit, das ihn bei jedem Gotteshaus auf die Kniee zwingt? Vielleicht ist es alles drei innig gemischt. Einsame Menschen wie ich verstehen dies Betbedürfnis zu bestimmten Tageszeiten kaum. Wenn's uns wirklich mal ankommt als wehmütige Erinnerung der Kinderzeit, da wollen wir allein sein, ganz allein, und der kleine Vogel, der still neben uns im Gezweig hockt, scheint beinah ein Neugieriger. Ich weiß nicht, ob meine Sorte schlechter ist als die Gewohnheitsbeter, selbst wenn wir nie die Kraft zu brünftigem Gebet fänden. Ich glaube immer, daß die Gläubigen die Last ihrer Thaten- und Gedankensünden weniger drückt. Eine einzige ehrliche Beichte macht sie ja vor ihrem Gewissen frei. Sie mögen manchmal zur Kirche schleichen, das Herz zentnerschwer belastet, und ewig grau scheint ihnen die Welt – das geflüsterte »Absolvo te« des Priesters giebt ihnen stets das gesunde Leben wieder und den Dingen umher das Licht.

Der Herzog ist kein langweiliger Christ. Wir steigen schon wieder. Diesmal ich voran. Der bröckelnde Fels knackt, auf feuchtem Moos gleitet der Fuß. Mir starrt zur Linken die Tiefe, wo der losgerissene Stein hell klirrend durch das elende Buschwerk bricht. Ich leide an Schwindel. Heute will ich ihn nicht kennen! Mir ist, als sei dieses letzte Wegstück ein wirklicher Wettlauf zwischen uns Männern. Wer den Gipfel zuerst erreicht, ist Sieger auch sonst. – Ich habe ihn zuerst erreicht – schweißtriefend, atemlos. Der scharfe Höhenwind kühlt mir die brennenden Schläfen.

Im Herzen bin ich dem Duc jetzt doch wohl dankbar, der mich zu dieser Expedition verführte. Vor uns ein wunderbares Bild. Das Meer tief, blau, uferlos – in verschwimmender Ferne Korsika, ein grauer, dunstiger Fels, klein wie Capri bei Sirokkoluft, vom Posilipp aus gesehen. Ein riesiger Dampfer zieht qualmend durch die Flut – auf der Höhe kein Segel. Rechts und links dehnen sich die Küstengebirge, zackige, rissige Gipfel, in steiler Wand in die See stürzend, trotzige Kaps, wild und starr ins Meer hinausgestemmt, wie steinerne Glieder des Gebirges, an denen die Brandungswelle weiß gischtend emporzuckt und gleich darauf im Sprühregen wie eine Kaskade niederfällt. Dazwischen weiten sich die Buchten – hell schimmernde Häuser, Kirchen, gebettet in Grün, das die schmalen Thäler in dunkler Linie landeinwärts weiterzieht. Ueberall, wo der Fels das blaue Meer gürtet, hoch emporschlagende Wellen, starke, kühle Wellen, trotz des Sonnenglanzes, der sie durchglitzert. Am sandigen Gestade aber die ans Land gezogenen Segelschiffe, auf den Wellen schaukelnde Boote, und die weiße Schaumschlange munter spielend, warm, vergoldet von Licht. Kap auf Kap, Bucht auf Bucht – ein köstlicher, gewaltiger Kampf zwischen dem lebendigen Meer und dem toten Gestein.

Ich muß einen scharfen Krimstecher zum Genießen hier haben – ein häßlicher Notbehelf, da das unbewaffnete Auge die Bilder wohl größer und wärmer fassen muß. Der Herzog, eine Karte in der Hand, sucht die Namen der Felsen, die Ortschaften längs des Gestades, das unästhetische Vergnügen aller Kraxler, das mir diese Gesellschaft fast immer verleidet. Das Auge soll schwelgen, der nüchterne Verstand ruhen. Von einer Sünde der Art bin ich aber auch nicht frei. Das Schloß habe ich lange gesucht und endlich gefunden, ganz klein, ganz grau, scheinbar unten in der Tiefe, während es doch so hoch liegt. Dort leidet die Herzogin jetzt. Leidet – oder träumt? Es ist so weit, so weit – und doch scheint mir das süße Geschöpf jetzt näher in diesem winzigen Haus . . . Ich kann auf solchen Touren nichts essen unterwegs, höchstens einen Schluck aus der Cognacflasche, aber das ist mehr Vorsichtsmaßregel gegen den eisigen Wind, der uns fast umbläst.

Das Gebirge hinter uns ein braunes Chaos seltsamer Formen, – starrende Spitzen, gemächlich gekrümmte Buckel, wild gezackte Hörner. Und dazwischen Thäler, tief eingerissen, mit ihren grauen, toten Steinklumpen von Dörfern, um die zaghaftes Grün schimmert. Es ist eine so wilde Unnahbarkeit in dem vielgestaltigen Bilde, das aus der berstenden Erdrinde sich einst krachend hob – und, starrer und starrer werdend, jetzt mit seinen Schneegipfeln im Hintergrund weit eher ein Zeichen scheint eines sterbenden Alls als eines lebenden . . . Wenn selbst mich das mächtig packt, mich, der ich Fernsichten nie sehr liebte, weil sie so wenig intim, so muß an jenem Januarmorgen eine hehre Schönheit über dieser Hochgebirgslandschaft gelegen haben. Der Duc war begeistert, soweit es solchen Leuten möglich ist . . . »Monte . . . Monte . . . Monte . . .« Er findet immer wieder Spitzen, immer neue Spitzen, die er wie alte Freunde begrüßt. Dann, nachdem er mit behaglichem Genuß einige Sandwiches verzehrt, dränge ich zum Abstieg. Der gute Mann war sehr zufrieden mit mir, weil ich beharrlich geschwiegen. Absteigen ist immer eine schmerzliche Gymnastik der Kniekehlen, obgleich's diesmal nicht so schlimm. Erst ein Saumpfad über den Grat, dann auf der Meerseite allmählich herab. Schwindeln darf einen nicht. Es war schön, wie so der Wogenlaut dumpf grollend zu uns empordrang und der Gischt brodelte. Erika umduftet uns, Steineichengestrüpp zwängt sich in den brennenden Fels. – Ja, unser deutscher Wald ist freilich anders; er hat so was Mildes, Warmes, auch schon in der Linie – er hat seinesgleichen nicht. Doch hier ist die Natur fesselloser, ursprünglicher, unnahbar in ihrer rissigen Wildheit, die jedes Kulturversuches spottet.

Die Collazione war nach dem Küstendorf unten bestellt, ebenso der herzogliche Wagen. Du kennst die Küstennester nicht und die Osterien. Eine dumpfe Armut, die aber das in der Sonne lungernde Gesindel gar nicht empfindet – die Bewohner Fischer, fleißige Tagediebe, die dem kargen Meer auch noch die Brut stehlen. Die Kneipe von der feuchtkühlen Atmosphäre eines Kellers. Weindunst – Fliegen – auf unglaublich schmutzigen Strohstühlen ein paar malerisch sich flegelnde Männer, die zerlumpte Jacke halb umgeworfen wie unsern Attila, Hut im Nacken, das pechschwarze Haar in der Stirn. Dazu rauchen sie ihre schwarzgrünen Toskaner Zigarren paffend, spuckend, zuweilen vom verbotenen Moraspiel berauscht, vom Wein aus diesen plumpen Wassergläsern nie. Der Wirt von karger Höflichkeit – in diesem nicht verseuchten Orte noch kein lächelnder Betrüger. Wir lassen die Fenster öffnen. Draußen sammelt sich die Jugend, die das Betteln hier nicht kennt. Es gab eine ganz gute kalte Mahlzeit aus der herzoglichen Speisekammer, zu der der goldhelle Küstenwein trefflich mundete. Was ich mit dem Duc bei solchen Gelegenheiten sprechen soll, weiß ich nicht. Er hat eine witzelnde Art, die ich nicht liebe.

Uebrigens habe ich Glück auf dieser Italienreise Numero acht.

Plötzlich »buon giorno, padrone

»Buon giorno, signore

Es scheint ein wohlbekannter Gast hier. An dem matten R erkenne ich sofort den Deutschen. Ohne Frage Künstler, nicht mehr jung, von der Sorte, die sich nicht gern wäscht, aber in dem bärtigen Gesicht kluge, graue Augen und ein energischer Mund. Er sieht uns halb an, rückt am Künstlerhut und flegelt sich ganz italienisch in die fernste Ecke. Ich kenne ihn sicher nicht. Doch der Herzog, der trotz seines matten Auges sehr scharf sieht, murmelt: »Den kenne ich!« Er grübelt fünf Minuten angestrengt. Dann: »Ich hab's . . . Erkennen Sie ihn auch, Baron?«

»Keine Spur!«

»Aber es ist ein ganz berühmter Mann!« Der Herzog wundert sich über mich. Meine Künstlerqualitäten standen ihm wohl nie sehr hoch . . . »Ich habe übrigens Bilder von ihm.«

Es ist ein Dir ganz unbekannter Name, Gert – mir aber sehr wohlbekannt. Ein Sonderling, für viele der einzige Meister.

Der Herzog, der sonst gar nicht zuthulich ist, erhebt sich, geht zu ihm. »Kennen Sie mich nicht mehr, Herr X.?«

Darauf ein sonores: »Warum nicht! Aber ich dachte, die Herren wollten ungestört bleiben.«

»Ganz im Gegenteil. Mein Bekannter dort ist sogar ein Kollege von Ihnen.«

»Kenne ihn nicht.« – Darauf ein geflüsterter Name. – »Ah, das ändert die Sache, Herr Herzog!«

Da kommt der Mann auch gleich mit linkischer Höflichkeit auf mich zu.

»Freut mich sehr, Sie kennen zu lernen, Herr Baron! Sie haben sich einen schönen Namen gemacht in fabelhaft kurzer Zeit. Haben Sie vor der ›Liebe‹ schon größere Sachen ausgestellt? Jedenfalls kenne ich nichts andres von Ihnen . . . Aber da allerhand Hochachtung vor Ihnen! . . . Da ist ein Gedanke drin, da ist Farbe, da ist eine Energie der Auffassung, die man sehr selten findet. Trotzdem krankes Bild – krank – ganz krank! . . . Sie mißbrauchen Ihre Nerven unglaublich, Baron. – Das mindert natürlich die Hochachtung nicht. Aber wir sollen uns doch vor allem Kranken in der Kunst hüten. Da ist gleich die Figur: die Liebe selbst . . .«

Ich verbeuge mich zur Antwort, nur stumm lächelnd.

Er versteht ohne Pikiertheit. »Sie lieben Gespräche über Ihre eignen Sachen nicht allzusehr? Mein Fall . . . Aber wenn wir ein paar Liter von diesem ungeschmierten bianco zusammen getrunken haben sollten, werden wir vielleicht wärmer. Wir beide müssen uns noch klar werden über gewisse Ziele unsrer Kunst – und da Sie der typische Vorfechter einer gewissen Richtung sind . . . Na prost, Herr Baron! Das übrige vielleicht nachher.«

Ich sage Dir, Gert, man muß auch solche Leute wie den Herzog erst warm werden lassen – Fünf Stunden in dem Nest – in der Osteria, wo der spottwohlfeile bianco wahrhaftig nicht gespart wurde! Die Kosten der Unterhaltung trugen die beiden, ich hatte als Zuhörer, wenn Du willst, den Gewinn.

Thema: Kunst – Geschichte – Sammeln überhaupt. Als wenn sich der gute Duc hätte rechtfertigen wollen wegen seiner Rumpelkammer von Schloß. Ich hielt ihn für einen Nichtswisser, einen Sammler aus Langeweile, der ohne irgend welchen Sport auch in seinen vier Pfählen nicht auskommen kann. Ganz falsch! Ein Mensch von stupendem Wissen, der ganze Kunstgeschichten auswendig gelernt haben muß und in der Zahl niemals irrt. Ich bin doch vom Fach. Die Geschichte unsers Handwerks gibt sich uns malend ganz von selbst. In der Theorie bin ich gegen ihn ein Stümper, der nichts weiß; selbst mein berühmter Kollege mit den schmutzigen Nägeln muß kuschen, und der scheint doch ein Mensch, der so leicht vor nichts kuscht. Diese Unterhaltung interessiert mich beinah – ich lerne mit. Aber nur für den Augenblick bin ich frappiert. Solche Wissenschaft wie die des Herzogs ist etwas Lebloses, Aeußerliches, denn wessen Geschmack die Kunstlehren so schlecht in die Wirklichkeit übersetzt, der hat trotz allem nur die Schale erfaßt, nicht den Kern. Es ist die Wissenschaft eines Mnemotechnikers, der wie Mezzofanti Sprachen beherrscht wie kein zweiter und doch in die Seele des Volkes nie eindrang. Darum imponiert im Grunde auch dem Duc die schmutzstarrende Künstlerschaft mehr, die Fettflecke am Rock sind ihm genialisch, die schlecht gekämmten Haare wallen über dem Hirn eines Auserwählten. Zufällig stimmt das mal bei meinem berühmten Kollegen hier. Aber gehört's denn unumgänglich zu uns? – Es ist ein Zopf, so alt und unberechtigt wie der Schnurrbart unter der Nase im Heineschen Sommermärchen. Haßt meinetwegen die zimperliche Ordnung, seid salopp – aber seid nicht schmutzig! Denn das ist unter allen Umständen häßlich. Der Herzog mag sich wie ich über solche Leute hinter dem Rücken mokieren, doch wird er sich nie von der thörichten Vorstellung losmachen, daß alles vom freien Beruf Zigeuner sein muß und nicht Gentleman. An mich glaubt er darum nicht, ich bin ihm zu sehr seinesgleichen, und erst diese schmutzige Berühmtheit muß ihm klar machen, daß auch das Monocle sehen und die peinlich gepflegte Hand schaffen kann. Er verschließt sich jetzt auch der Thatsache keineswegs thöricht, sie paßt ihm nur nicht in den Kram, kollidiert mit seinen eingesogenen Auffassungen von dem selbstverständlichen Schmutz aller Arbeit überhaupt. Ich bin ihm bestenfalls ein Renegat, ein Dekadent, an dessen aristokratisches Hirn eine unbegreifliche Vorsehung thöricht verschwendete, was einem plebejischen von Rechts wegen zukam. Da steht er gar nicht vereinzelt. Schmutz und Genialität: wieviel thörichte Pinsel profitierten nicht schon davon! . . . Wenn wir nicht eine besondere Rasse sind auch äußerlich, dann gelten wir nicht für vollwertig. Vielleicht stecken wir alle noch ein wenig in diesem Vorurteil. Ein Leutnant in Lackstiefeln hat stets die Qualitäten zum Feldmarschall – ein Maler ebenso equipiert verschnupft allgemein schon durch die freche Erhebung über sein Handwerk. Für jeden Stand stehen eben jedem besondere Anschauungen fest. Ein Akademiekollege, der sein illustratives Talent schwer teuer verkaufte, wurde in seinem Heimatsdorf allen Ernstes gefragt, wieviel Gesellen er beschäftige, und ob das Stubenmalen denn wirklich eine so lukrative Sache geworden sei. Diese bäuerliche und die herzogliche Auffassung unterscheiden sich für meinen Geschmack nur wenig. Werdet ihr Alten denn endlich einmal dahin kommen, zu begreifen, daß Aristokrat und Künstler äußerlich wie innerlich dasselbe sein können, ja sein müssen? Als ich anfing zu pinseln, da tuschelte es sicher allgemein hinter mir: ›Das ist doch kein Beruf, das ist eine Liebhaberei.‹ Jeder Nichtskönner, der zum Vergnügen malt, hat an Tanten und Freunden zahllose Bewunderer. Kann er wirklich etwas, werden gerade die seine Feinde.

Ich bin bissig und langweilig zugleich, Gert, Aber sage selbst: Fünf Stunden zuhören, das weckt auch eigne Gedanken. Von aller Kunstwissenschaft halte ich für den Schaffenden selbst nichts, sie legt Fesseln an, während sie frei machen sollte. Und wir sollten doch vor allem frei sein! Wer eine Individualität besitzt, der lasse sie wuchern! – Gebt uns in den Akademien die Grundzüge des Handwerks, führt uns in den Galerien vor die alten und die neuen Meister. Das Zeichnenlernen und das Sehenlernen: das ist Sache der Schule. Dann kommt der eigne Weg, das heißt die Natur und wir selbst. Wer zum begabten Kopisten geboren, der beschließe sein Leben in Museen und trete frei auf fremden Schultern 'rum. Wem aber eine Eigenart gegeben – und aus der allein strömt's – der hüte sie argwöhnisch, baue sie aus, mache sie frei! Es ist viel besser, daß tausend Sonderlinge ungekannt verkommen, weil das Talent vielleicht nicht langte, das Glück dem Genius die Weihe nicht gab, als daß das Heer der begabten Handwerker ins Bodenlose vermehrt werde und die Technik blühe auf Kosten des Genies.

Du wirst vielleicht bald begreifen, Gert, warum ich diese Weisheiten auftische und mit dem Eigenlob wenig spare.

Es war beinah dämmerig, als wir ans Bezahlen dachten. Der Herzog wollte den ganzen Ramsch übernehmen, was der berühmte Kollege selbstverständlich fand. Das ist mir wider die Natur. Andre freihalten – ein Vergnügen für meines Vaters Sohn; von andern liebe ich es nicht. Der Duc und ich kamen darüber in eine kleine freundschaftliche Auseinandersetzung, bei der ich obsiegte. Die edeln Pferde, die die ganze Zeit unter Decken frei gestanden hatten, waren sehr unruhig geworden, – es war die Viktoria mit dem schmalen Rücksitz. Der Herzog steigt zuerst ein – bei den bäumenden, schnaubenden Gäulen keine Unhöflichkeit, nur Zeitersparnis, weil er am nächsten stand. Dann der berühmte Kollege, der sich selbstverständlich in den Fond lümmelt – nicht etwa Anmaßung. Ich zögere mit gekniffener Lippe, obgleich das Leinenpferd sich überschlagen will. In dem eignen Wagen gehört der Duc auf den Rücksitz – nicht ich. Endlich begreift er und wechselt den Platz. Wir beide waren dabei ein wenig rot geworden.

Notabene: Das Ziel ist diesmal nicht etwa das Hotel, sondern das Sarazenenschloß. Wir waren sehr warm eingeladen – wenigstens der andre. Ich that mit, obgleich ich es sofort bedauerte. Das Diner zieht mich wahrlich nicht. Die Herzogin soll aber wieder gesund sein . . . Soll ich Dir ehrlich gestehn: Ich habe eine lächerliche Sehnsucht bekommen nach ihr, die ich fünf Tage nicht sah. Ich bange für sie, ich möchte mich selbst von der Grundlosigkeit der Angst überzeugen. Es ist doch keine Liebe – es ist Mitleid. Diese herzkranke Frau hat's mir in gewissem Sinne angethan, indem sie mich ahnungslos an die weichste Stelle meines Herzens faßte. Laßt Alte, Kranke sterben – laßt aber die Jungen, Reizenden nicht leiden, ihr Götter! . . . Dies Gefühl war diesmal stärker als ich . . . Ich hätte doch nicht fahren sollen . . .

Du magst Dich wundern, daß von meinem alten, treuen Reisegenossen Tip so wenig die Rede. Er ist unbotmäßig und dies dauernd – zeigt auf der Klippe leise knurrend der Herzogin die Zähne, sobald sie ihm wie allen in ihrer gütigen Art etwas Liebes sagen will. Tip ist feindlich, sitzt immer zwischen uns mit einem tückischen Ausdruck der Augen, als wenn er sagen wollte: »Nur über meine Leiche bekommst du ihn» . . . Zur Strafe ist er, der weite Touren so liebt, in einem Holzstall eingesperrt und verzehrt sich in stummer Sehnsucht nach seinem Herrn. Ich sagte Dir ja: er ist ein Charakter.

Die Rückfahrt wieder wundervoll. Erst durch die Berge bei sinkendem Licht im schärfsten Trab . . . Es giebt hier überall so große Lichter und so große Schatten zur Dämmerstunde. Auf den Höhen schimmert's noch goldig – ein warmer brauner Ton zuckt über die Steilhänge herunter, ein Ton, der sich weiter zum Violett abstumpft. In der Tiefe kühles Grau. Eiskalt steigt's herauf. Wo die Kunststraße sich zur Küste hinabbiegt, sehe ich mich noch einmal um. In den Thälern hinten ein starres, schweigendes Düster – auf der Höhe verglimmendes Licht. Die Feierglocke bimmelt. Arbeiter ziehen heim. Krüppel strecken die Hand nach dem rasch rollenden Wagen aus – ein unverständliches Gemurmel, wenn der geworfene Soldo in den Straßenstaub sinkt. Kinder laufen uns klagend nach – eine rothaarige Fischerdirne steht und lacht.

Auf dem Meer noch ein warmer, blaßblauer Dunst. Weiße Segel, eine kreischende Möwe. Die Uferberge rosig überhaucht. Frieden und Ruhe – die hellen Häuser längs der Küste leuchten weich. Schnell kommt die Nacht – erfrischend, klar. Am Himmel ziehen lichte Wölkchen. Drüben taucht der reine Horizont lautlos ins schlummernde Meer. – Die Fahrt ist lang. Wir schweigen alle. Mich überkommt plötzlich ein Gefühl der Unruhe. Mein Malerauge irrt unstet. Ich will die gleitenden Bilder noch schnell fassen. Vielleicht ist es das letzte Mal in meinem Leben, daß ich den zur Rüste gehenden italienischen Tag, sehe, wie er ist – klar, stumm, schön. Noch vermag ich zu sehen und zu genießen – aber nur mit starker Nervenanspannung . . . Morgen vielleicht schon . . .

Gert, wenn Du in jener Stunde an mich gedacht hast, so hättest Du, der Du glaubst, beten sollen, daß die englischen Pferde aufscheuend uns über die niedrige Brustwehr hinweg in das murmelnde Meer tief unten schleuderten. Alle hätten durch ein Wunder mit dem Leben davonkommen sollen – nicht ich! . . . Hättest Du das frevle Gebet doch gebetet, Gert . . . Ich will ehrlich sein. Ich weiß so genau, wie zweimal zwei vier ist, daß ich meinem Schicksal entgegenrolle – und weiß ebenso gewiß, daß es elend sein wird . . .

 . . . Gert, bete doch, bete! . . . Es wäre jetzt zu spät.



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