Karl May
Durch die Wüste
Karl May

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In Mekka

Als wir in der Nähe des Lagers anlangten, ritt Halef zu mir heran.

»Sihdi,« frug er, »wie sind die Gebräuche Deines Landes? Hat dort Einer, der sich ein Weib nimmt, die Braut zu beschenken?«

»Das thut wohl ein Jeder bei uns und auch bei Euch.«

»Ja, auch im Dschesirat el Arab und in dem ganzen Scharki ist das Sitte. Aber da Hanneh nur zum Schein für einige Tage meine Frau werden soll, so weiß ich nicht, ob ein Geschenk erforderlich ist.«

»Ein Geschenk ist eine Höflichkeit, welche wohl immer angenehme Gefühle erregt. Ich an Deiner Stelle würde höflich sein.«

»Aber was soll ich ihr geben? Ich bin arm und auch gar nicht auf eine Hochzeit vorbereitet. Meinst Du, daß ich ihr vielleicht mein Adeschlik verehre?«

Er hatte sich nämlich in Kairo ein kleines Döschen aus Papiermaché gekauft und verwahrte darin die Zündhölzer. Das Ding hatte für ihn einen großen Werth, weil er dem Händler das Zwanzigfache für die Dose bezahlt hatte, die kaum dreißig Pfennige werth war. Die Liebe brachte ihn zu dem heroischen Entschluß, seinem kostbaren Besitzthume zu entsagen.

»Gib es ihr,« antwortete ich ernsthaft.

»Gut, sie soll es haben! Aber wird sie mir es auch wiedergeben, wenn sie meine Frau nicht mehr ist?«

»Sie wird es behalten.«

»Allah kerihm, Gott ist gnädig; er wird mich nicht um das Meinige kommen lassen! Was soll ich thun, Sihdi?«

»Wenn Dir das Adeschlik so lieb ist, so gib ihr etwas Anderes!«

»Was denn? Ich habe weiter nichts. Ich kann ihr doch weder meinen Turban, noch meine Flinte, noch die Nilpeitsche geben!«

»So gib ihr nichts.«

Er schüttelte sehr besorgt den Kopf.

»Auch dies geht nicht an, Sihdi. Sie ist meine Braut und muß irgend Etwas erhalten. Was sollen die Ateïbeh von Dir denken, wenn Dein Diener ein Weib nimmt, ohne es zu beschenken?«

Ah! Der Schlaukopf fand sich also bewogen, an meinen Ehrgeiz und infolgedessen natürlich auch an meinen Beutel zu appelliren.

»Preis sei Allah, der Dein Gehirn erleuchtet, Halef! Mir geht es aber ebenso wie Dir. Ich kann Deiner Braut weder meinen Haïk, noch meine Jacke, noch meine Büchse schenken!«

»Allah ist gerecht und barmherzig, Effendi; er bezahlt für jede Gabe tausendfältige Zinsen. Trägt Dein Kameel nicht auch ein Ledersäckchen, in welchem Du Dinge verborgen hast, die eine Braut in Entzücken versetzen würden?«

»Und wenn ich Dir etwas davon geben wollte, würde ich es wiederbekommen, wenn Hanneh nicht mehr Dein Weib ist?«

»Du mußt es wieder fordern!«

»Das ist nicht Sitte bei uns Franken. Aber weil Du mir tausendfältige Zinsen in Aussicht stellst, so werde ich nachher das Säckchen öffnen und sehen, ob ich etwas für Dich finde.«

Da richtete er sich erfreut im Sattel empor.

»Sihdi, Du bist der weiseste und beste Effendi, den Allah erschaffen hat. Deine Güte ist breiter als die Sahara, und Deine Wohlthätigkeit länger als der Nil. Dein Vater war der berühmteste, und der Vater Deines Vaters der erhabenste Mann unter allen Leuten im Königreiche Nemsistan. Deine Mutter war die schönste der Rosen, und die Mutter Deiner Mutter die lieblichste Blume des Abendlandes. Deine Söhne mögen zahlreich sein, wie die Sterne am Himmel, Deine Töchter wie der Sand in der Wüste, und die Kinder Deiner Kinder zahllos wie die Tropfen des Meeres!«

Es war ein Glück, daß wir jetzt das Lager erreichten, sonst hätte seine Dankbarkeit mich noch mit allen Töchtern der Samojeden, Tungusen, Eskimos und Papuas verheirathet. Was das Ledersäckchen betrifft, welches er erwähnt hatte, so enthielt es allerdings Verschiedenes, was sich ganz vortrefflich zu einem Geschenk für ein Beduinenmädchen eignete. Der Kaufmannssohn Isla Ben Maflei nämlich hatte, als unsere Nilfahrt beendet war und wir von einander in Kairo schieden, es sich nicht nehmen lassen, mich mit einer Sammlung von Dingen auszurüsten, die auf meinen weiteren Wanderungen als Geschenke dienen konnten, um mir dadurch Gefälligkeiten zu erwerben. Es waren lauter Gegenstände, welche nicht viel Platz wegnahmen und dabei an sich zwar keinen allzu großen Werth besaßen, bei den Bewohnern der Wüstenländer aber zu den größten Seltenheiten gehörten.

Während unserer Abwesenheit war eines der Zelte geräumt und für mich hergerichtet worden. Als ich von demselben Besitz genommen hatte, öffnete ich den Ledersack und nahm ein Medaillon hervor, unter dessen Glasdeckel ein kleines Teufelchen sich künstlich bewegte. Es war ganz auf dieselbe Weise gearbeitet, wie zum Beispiel die Manchettenknöpfe mit künstlichen Schildkröten, und hing an einer Kette von Glasfacetten, die bei Licht oder Feuerschein in allen Regenbogenfarben funkelten. Der Schmuck hätte in Paris gewiß nicht mehr als zwei Francs gekostet. Ich zeigte ihn Halef.

Er warf einen Blick darauf und fuhr erschrocken zurück.

»Maschallah, Wunder Gottes! Das ist ja der Scheitan, den Gott verfluchen möge! Sihdi, wie bekommst Du den Teufel in Deine Gewalt? La illa illa Allah, we Muhammed resul Allah! Behüte uns, Herr, vor dem dreimal gesteinigten Teufel; denn nicht ihm, sondern Dir allein wollen wir dienen!«

»Er kann Dir nichts thun, denn er ist fest eingeschlossen.«

»Er kann nicht heraus, wirklich nicht?«

»Nein.«

»Kannst Du mir das bei Deinem Barte versichern?«

»Bei meinem Barte!«

»So zeige einmal her, Sihdi! Aber wenn es ihm gelingt, heraus zu kommen, so bin ich verloren, und meine Seele komme über Dich und Deine Väter!«

Er faßte die Kette sehr vorsichtig mit den äußersten Fingerspitzen, legte das Medaillon auf den Erdboden und kniete nieder, um es genau zu betrachten.

»Wallahi – billahi – tallahi – bei Allah, es ist der Scheitan! Siehst Du, wie er das Maul aufreißt und die Zunge hervorstreckt? Er verdreht die Augen und wackelt mit den Hörnern; er ringelt den Schwanz, droht mit den Krallen und stampft mit den Füßen! O jazik – wehe, wenn er das Kästchen zertritt!«

»Das kann er nicht. Es ist ja nur eine künstlich verfertigte Figur!«

»Eine künstliche Figur, von Menschenhänden gemacht? Effendi, Du täuschest mich, damit ich Muth bekommen soll. Wer kann den Teufel machen? Kein Mensch, kein Gläubiger, kein Christ, und auch kein Jude! Du bist der größte Taleb und der kühnste Held, welchen die Erde trägt, denn Du hast den Scheitan bezwungen und in dieses enge Zindan gesperrt! Hamdullillah, denn nun ist die Erde sicher vor ihm und seinen Geistern, und alle Nachkommen des Propheten können jauchzen und sich freuen über die Qualen, die er hier auszustehen hat! Warum zeigst Du mir diese Kette, Sihdi?«

»Du sollst sie Deiner Braut zum Geschenk machen.«

»Ich – –?! Diese Kette, welche kostbarer ist, als alle Diamanten im Throne des großen Mogul? Wer diese Kette besitzt, der wird berühmt unter allen Söhnen und Töchtern der Gläubigen. Willst Du sie wirklich verschenken?«

»Ja.«

»So sei gütig, Sihdi, und erlaube, daß ich sie für mich behalte! Ich werde dem Mädchen doch lieber mein Feuerzeug geben.«

»Nein, Du gibst ihr diese Kette. Ich befehle es Dir!«

»Dann muß ich gehorchen. Aber wo hast Du sie und die andern Sachen gehabt, ehe Du sie gestern in das Säckchen thatest?«

»Von Kahira bis hierher ist eine gefährliche Gegend, und darum habe ich diese Kostbarkeiten in den Beinen meiner Schalwars bei mir getragen.«

»Sihdi, Deine Klugheit und Vorsicht geht noch über die List des Teufels, den Du gezwungen hast, in Deinen Schalwars zu wohnen. Wann soll ich Hanneh die Kette geben?«

»Sobald sie Dein Weib geworden ist.«

»Sie wird die berühmteste sein unter allen Benat el Arab, denn alle Stämme werden erzählen und rühmen, daß sie den Scheitan gefangen hält. Darf ich auch die andern Schätze sehen?«

Es kam nicht dazu, denn der Scheik schickte jetzt und ließ mich und Halef zu sich bitten. Wir fanden in seinem Zelte alle Ateïbeh versammelt.

»Sihdi, hast Du ein Pergament mitgebracht?« frug Malek.

»Ich habe Papier, welches so gut ist wie Pergament.«

»Willst Du den Vertrag schreiben?«

»Wenn Du es wünschest, ja.«

»So können wir beginnen?«

Halef, an den diese Frage gerichtet war, nickte, und sogleich erhob sich einer der anwesenden Männer, um ihn zu fragen:

»Wie lautet Dein voller, ganzer Name?«

»Ich heiße Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah.«

»Aus welchem Lande stammest Du?«

»Ich stamme aus dem Garbi, wo die Sonne hinter der großen Wüste untergeht.«

»Zu welchem Stamme gehörst Du?«

»Der Vater meines Vaters, welche Beide Allah segnen möge, bewohnte mit dem berühmten Stamme der Uëlad Selim und Uëlad Bu Seba den großen Dschebel Schur-Schum.«

Der Frager, welcher jedenfalls ein Verwandter der Braut war, wandte sich nun an den Scheik.

»Wir Alle kennen Dich, o Tapferer, o Wackerer, o Weiser und Gerechter. Du bist Hadschi Malek Iffandi Ibn Achmed Chadid el Eini Ben Abul Ali el Besami Abu Schehab Abdolatif el Hanifi, ein Scheik des tapferen Stammes der Beni Ateïbeh. Hier dieser Mann ist ein Held vom Stamme Uëlad Selim und Uëlad Bu Seba, welcher auf den Bergen wohnt, die bis zum Himmel reichen und Dschebel Schur-Schum heißen. Er führt den Namen Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah und ist der Freund eines großen Effendi aus Frankistan, den wir als Gast in unserem Zelte aufgenommen haben. Du hast eine Tochter. Ihr Name ist Hanneh; ihr Haar ist wie Seide, ihre Haut ist wie Öl, und ihre Tugenden sind rein und glänzend wie die Flocken des Schnees, die auf dem Gebirge wehen. Halef Omar begehrt sie zum Weibe. Sage, o Scheik, was Du dazu zu sagen hast!«

Der Angeredete imitirte ein würdevolles Nachdenken und antwortete dann:

»Du hast gesprochen, mein Sohn. Setze Dich nun und höre auch meine Rede. Dieser Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah ist ein Held, dessen Ruhm schon vor Jahren bis zu uns gedrungen ist. Sein Arm ist unüberwindlich; sein Lauf gleicht dem der Gazelle; sein Auge hat den Blick des Adlers; er wirft den Dscherid mehrere hundert Schritte weit; seine Kugel trifft stets sicher, und sein Handschar hat das Blut schon vieler Feinde gesehen. Dazu hat er den Kuran gelernt und ist im Rathe einer der Klügsten und Erfahrensten. Dazu hat ihn dieser gewaltige Bei der Franken seiner Freundschaft für werth gehalten – – warum sollte ich ihm meine Tochter verweigern, wenn er bereit ist, meine Bedingungen zu erfüllen?«

»Welche Bedingungen stellst Du ihm?« frug der vorige Sprecher.

»Das Mädchen ist die Tochter eines mächtigen Scheik, daher kann er sie um keinen gewöhnlichen Preis haben. Ich fordere eine Stute, fünf Reitkameele, zehn Lastkameele und fünfzig Schafe.«

Bei diesen Worten machte Halef ein Gesicht, als ob er diese fünfzig Schafe, zehn Last- und fünf Reitkameele sammt der Stute soeben mit Haut und Haar verschlungen habe. Woher sollte er diese Thiere nehmen? Glücklicherweise fuhr der Scheik fort:

»Dafür gebe ich ihr eine Morgengabe von einer Stute, fünf Reitkameelen, zehn Lastkameelen und fünfzig Schafen. Eure Weisheit wird da einsehen, daß es ganz unnöthig ist, bei so trefflichen Verhältnissen den Preis und die Morgengabe gegenseitig auszuwechseln. Nun aber verlange ich, daß er morgen früh beim Fagr eine Wallfahrt nach Mekka antrete, bei welcher er sein Weib mitzunehmen hat. Sie verrichten dort die heiligen Gebräuche und kehren dann sofort zu uns zurück. Er hat sein Weib als Jungfrau zu behandeln und sie nach seiner Rückkehr wieder abzutreten. Für diesen Dienst erhält er ein Kameel und einen Sack voll Datteln. Hat er aber sein Weib nicht als eine Fremde betrachtet, so erhält er nichts und wird getödtet. Ihr seid Zeugen, daß ich dieses bestimme.«

Der Redeführer drehte sich zu Halef um.

»Du hast es gehört. Wie lautet Deine Antwort?«

Es war dem Gefragten anzusehen, daß ihm ein gewisser Punkt nicht recht paßte, nämlich das Verlangen, sein Weib wieder herzugeben. Er war jedoch klug, sich in die gegenwärtigen Umstände zu schicken, und antwortete:

»Ich nehme diese Bedingungen an.«

»So mache die Schrift, Effendi,« bat der Scheik. »Mache sie zweimal, nämlich einmal für mich und das zweite Mal für ihn!«

Ich folgte dem Verlangen und las dann das Geschriebene vor. Es erhielt die Zustimmung des Scheiks, welcher auf jedes Exemplar Wachs tropfen ließ und den Knauf seines Dolches als Petschaft gebrauchte, nachdem er und Halef unterzeichnet hatten.

Damit waren die Formalitäten erfüllt, und die unerläßlichen Hochzeitsfestlichkeiten konnten beginnen. Sie waren, da es sich nur um eine Scheinverheirathung handelte, sehr bescheidener Art. Es wurde ein Hammel geschlachtet und ganz gebraten. Während er an einem Spieße über dem Feuer briet, hielt man ein Scheingefecht, bei welchem aber nicht geschossen wurde; ein Umstand, dessen Grund nicht schwer zu errathen war.

Als die Nacht hereinbrach, begann das Mahl. Nur die Männer aßen, und erst als wir satt waren, bekamen die Frauen die Überreste. Bei dieser Gelegenheit mußte auch Hanneh erscheinen. Dies benutzte Halef und erhob sich von seinem Platze. Die Scene aber, welche nun folgte, läßt sich nicht beschreiben. Der in dem Medaillon eingesperrte Teufel war ein Wunder, welches über alle ihre Begriffe ging. All mein Bemühen, ihnen die Mechanik zu erklären, half nichts. Sie glaubten mir nicht, und zwar ganz besonders deßhalb, weil der Scheitan doch lebendig war. Ich ward als der größte Held und Zauberer gepriesen; aber das Ende war, daß Hanneh das Geschenk nicht bekam. Der gefangene Scheitan war ein Wunder von so unendlicher Wichtigkeit, daß nur der Scheik selbst für würdig gehalten wurde, die unvergleichliche Kostbarkeit aufzubewahren; natürlich erst, nachdem ich ihm mit aller Feierlichkeit versichert hatte, daß es dem Teufel niemals gelingen werde, zu entkommen und Unheil anzurichten.

Mitternacht war nahe, als ich mich in das Zelt zurückzog, um zu schlafen. Halef leistete mir Gesellschaft.

»Sihdi, muß ich Alles halten und erfüllen, was Du heute niedergeschrieben hast?« ließ er sich hören.

»Ja. Du hast es ja versprochen!«

Es verging eine Weile, dann klang es sehr kleinlaut:

»Würdest Du Dein Weib auch wieder hergeben?«

»Nein.«

»Und dennoch sagst Du, daß ich mein Versprechen zu halten habe!«

»Allerdings. Wenn ich mir ein Weib nehme, so verspreche ich nicht, es wieder herzugeben.«

»O, Sihdi, warum hast Du mir nicht gesagt, daß ich es ebenso machen soll!«

»Bist Du ein Knabe, daß Du eines Vormundes bedarfst? Und wie kann ein Christ einen Moslem im Heirathen unterweisen? Ich glaube, daß Du Hanneh behalten möchtest!«

»Du hast es errathen.«

»So willst Du mich also verlassen?«

»Dich, Sihdi – – –? Oh – – –!«

Er räusperte sich verlegen, kam aber zu keiner Antwort.

Ein unverständliches Brummen und später einige Seufzer waren Alles, was ich zu hören bekam. Er warf sich von einer Seite auf die andere; es war klar, daß sein Wohlgefallen an dem Mädchen mit seiner Anhänglichkeit zu mir in lebhaften Zwiespalt gekommen war. Ich mußte ihn sich selbst überlassen und schlief bald ein.

Mein Schlaf war so fest, daß mich erst ein lautes Kameelgetrappel erweckte. Ich erhob mich und trat vor das Zelt. Im Osten erhellte sich bereits der Horizont, und da drüben, wo die Bucht lag, war er hellroth gefärbt. Es gab dort einen Brand, und die Vermuthung, welche bei diesem Anblick in mir aufstieg, wurde bestätigt durch das im Lager herrschende rege Leben. Die Männer waren fort gewesen und kehrten jetzt zurück, sie und ihre Kameele reich mit Beute beladen. Auch die Tochter des Scheiks hatte sich ihnen angeschlossen, und als sie vom Kameele stieg, bemerkte ich, daß ihr Gewand mit Blut bespritzt war. Malek bot mir den Morgengruß und meinte, nach der Feuerwolke deutend:

»Siehst Du, daß wir das Schiff gefunden haben? Sie schliefen, als wir kamen, und sind nun zu den Hunden, ihren Vätern, versammelt.«

»Du hast sie getödtet und das Schiff beraubt?«

»Beraubt? Was meinst Du mit diesem Worte? Gehört nicht dem Sieger das Eigenthum des Besiegten? Wer will uns streitig machen, was wir gewonnen haben?«

»Die Zehka, welche Abu-Seïf geraubt hat, gehört dem Scherif Emir.«

»Dem Scherif Emir, der uns ausgestoßen hat? Selbst wenn das Geld ihm gehörte, würde er es nicht wieder erhalten. Aber glaubst Du wirklich, daß es die Zehka war? Du bist belogen worden. Nur der Scherif hat das Recht, diese Steuer einzusammeln, und dies wird er niemals durch einen Türken thun lassen. Der Türke, welchen Du für einen Zolleinnehmer gehalten hast, war entweder ein Schmuggler oder ein Zöllner des Pascha von Egypten, den Allah erschlagen wolle!«

»Du hassest ihn?«

»Dies thut jeder freie Araber. Hast Du nicht von den Gräuelthaten gehört, welche zur Zeit der Wachabiten hier geschahen? Mag das Geld dem Pascha gehören oder dem Scherif, es bleibt mein. Doch die Zeit des Fagr naht. Mache Dich bereit, uns zu folgen. Wir können hier nicht länger bleiben.«

»Wo wirst Du Dein Lager aufschlagen?«

»Ich werde es an einem Orte errichten, von welchem aus ich die Straße zwischen Mekka und Dschidda beobachten kann. Abu-Seïf darf mir nicht entgehen.«

»Hast Du auch die Gefahren berechnet, welche Dir drohen?«

»Meinst Du, daß ein Ateïbeh sich vor Gefahren fürchtet?«

»Nein, aber selbst der muthigste Mann muß zugleich auch vorsichtig sein. Wenn Dir Abu-Seïf in die Hände fällt und Du ihn tödtest, so mußt Du dann augenblicklich diese Gegend verlassen. Du wirst dann vielleicht das Kind Deiner Tochter verlieren, welches sich zu dieser Zeit mit Halef in Mekka befindet.«

»Ich werde Halef sagen, wo er uns in diesem Falle zu suchen hat. Hanneh muß nach Mekka, ehe wir fortgehen. Sie ist unter uns die einzige Person, welche noch nicht in der heiligen Stadt war, und später ist es ihr vielleicht unmöglich, dahin zu kommen. Deßhalb habe ich mich schon lange nach einem Delyl für sie umgesehen.«

»Hast Du Dich entschieden, wohin Du ziehen wirst?«

»Wir ziehen in die Wüste Er Nahman, nach Maskat zu, und dann senden wir vielleicht einen Boten nach El Frat zu den Beni Schammar oder zu den Beni Obeïde, um uns in ihren Stamm aufnehmen zu lassen.«

Der kurzen Dämmerung folgte der Tag. Die Sonne berührte den Horizont, und die Araber, welche noch nach dem vergossenen Blute rochen, knieten nieder zum Gebet. Bald darauf waren die Zelte abgebrochen, und der Zug setzte sich in Bewegung. Jetzt, da es vollständig hell war, sah ich erst, welche Menge von Gegenständen sich die Ateïbeh vom Schiffe angeeignet hatten. Sie waren durch diesen Überfall mit einem Male zu wohlhabenden Leuten geworden. Aus diesem Grunde herrschte eine ungewöhnliche Munterkeit unter ihnen. Ich hielt mich etwas zurück. Ich war verstimmt, weil ich mich die unschuldige Ursache von dem Untergange der Dscheheïne nennen mußte. Ich konnte mir allerdings keinen Vorwurf machen, aber es galt doch immer, das Gewissen zu befragen, ob ich mich nicht vielleicht hätte anders verhalten können. Auch machte mir die Nähe Mekka's viel zu schaffen. Da lag sie, die ›Heilige‹, die Verbotene! Sollte ich sie meiden, oder sollte ich es wagen, sie zu besuchen? Ich zuckte in allen Gliedern nach ihr hin, und dennoch mußte ich die Bedenklichkeiten, welche dagegen aufstiegen, ernstlich berücksichtigen. Was hatte ich davon, wenn der Besuch gelang? Ich konnte sagen, daß ich in Mekka gewesen sei – weiter nichts. Und wurde ich entdeckt, so war mein Tod unvermeidlich, und was für ein Tod! Aber hier konnte ein Überlegen und Abwägen der Gründe zu nichts führen, und ich beschloß, mich nach den eintretenden Verhältnissen zu richten. Ich hatte dies so oft gethan und war immer glücklich dabei gewesen.

Um so wenig wie möglich Begegnungen zu haben, machte der Scheik einen Umweg. Er erlaubte keine Ruhepause, bis der Abend hereinbrach. Wir befanden uns in einer engen Schlucht, welche von steilen Granitwänden eingefaßt war, zwischen denen wir eine Strecke weit fortschritten, bis wir in eine Art Thalkessel gelangten, aus dem es keinen zweiten Ausweg zu geben schien. Hier stiegen wir ab. Die Zelte wurden errichtet, und die Frauen zündeten ein Feuer an. Heute gab es eine sehr reichliche und mannigfaltige Mahlzeit, die natürlich aus der Schiffsküche stammte. Dann kam der von allen ersehnte Augenblick der Beutevertheilung.

Da ich damit nichts zu schaffen hatte, so verließ ich die Anderen und machte die Runde um den Thalkessel. An einer Stelle dünkte es mich, als ob man hier doch emporsteigen könne, und ich versuchte es. Die Sterne leuchteten hell; es gelang. Nach vielleicht einer Viertelstunde stand ich oben auf der Höhe des Berges und hatte einen freien Blick nach allen Seiten. Dort unten im Süden sah es aus wie eine Reihe kahler Berge, über welche sich jener weißliche Schimmer erhob, welchen am Abend die Lichter größerer Städte emporzustrahlen pflegen. Dort lag Mekka! – – –

Unter mir vernahm ich die lauten Stimmen der Ateïbeh, welche sich um ihren Antheil an der Beute stritten. Es dauerte eine geraume Zeit, bis ich zu ihnen zurückkehrte. Der Scheik empfing mich mit den Worten:

»Effendi, warum bist Du nicht bei uns geblieben? Du mußt von Allem, was wir auf dem Schiffe fanden, Deinen Theil erhalten!«

»Ich? Du irrst. Ich bin nicht dabei gewesen und habe also auch nichts zu bekommen.«

»Hätten wir die Dscheheïne gefunden, wenn Du uns nicht begegnet wärest? Du bist unser Führer gewesen, ohne es zu wollen, und darum sollst Du erhalten, was Dir gebührt.«

»Ich nehme nichts an!«

»Sihdi, ich kenne Deinen Glauben zu wenig und darf ihn aus dem Grunde nicht beschimpfen, weil Du mein Gast bist; aber er ist falsch, wenn er Dir verbietet, Beute zu nehmen. Die Feinde sind todt, und ihr Fahrzeug ist zerstört. Sollen wir diese Sachen, die uns so nothwendig sind, verbrennen und zerstören?«

»Wir wollen uns nicht streiten; aber behaltet, was Ihr habt!«

»Wir behalten es nicht. Erlaube, daß wir es Halef, Deinem Begleiter, geben, obgleich auch er schon das Seinige bekommen hat.«

»Gebt es ihm!«

Der kleine Halef Omar floß von Dank über. Er hatte einige Waffen und Kleidungsstücke erhalten und außerdem einen Beutel mit Silbermünzen. Er ließ nicht ab – ich mußte ihm dieselben vorzählen, um Zeuge zu sein, daß er heute ein außerordentlich reicher Mann geworden sei. Die Summe bestand allerdings in ungefähr achthundert Piastern und reichte hin, einen armen Araber glücklich zu machen.

»Mit diesem Geld kannst Du mehr als fünfzigmal die Kosten bestreiten, welche Du in Mekka haben wirst,« bemerkte der Scheik.

»Wann soll ich zur heiligen Stadt gehen?« frug ihn Halef.

»Morgen zwischen früh und Mittag.«

»Ich war noch niemals dort. Wie habe ich mich zu verhalten?«

»Das will ich Dir sagen. Es ist die Pflicht eines jeden Pilgers, nach seiner Ankunft unverzüglich nach El Hamram zu gehen. Du reitest also nach dem Beith-Allah, lässest vor demselben die Kameele halten und trittst ein. Dort findest Du ganz sicher einen Metowef, der Dich führen und in Allem unterrichten wird; nur mußt Du ihn vorher und nicht später um den Preis befragen, weil Du sonst betrogen wirst. Sobald Du die Kaaba erblickst, verrichtest Du zwei Rikat mit den dabei vorgeschriebenen Gebeten, zum Dank dafür, daß Du die heilige Stätte glücklich erreicht hast. Dann gehst Du zu dem Mambar und ziehst die Schuhe aus. Diese bleiben dort stehen und werden bewacht; denn es ist im Beith-Allah nicht wie in anderen Moscheen erlaubt, die Schuhe in der Hand zu behalten. Dann beginnt das Towaf, der Gang um die Kaaba, welcher siebenmal wiederholt werden muß.«

»Nach welcher Seite?«

»Nach rechts, so daß die Kaaba Dir stets zur Linken bleibt. Die ersten drei Gänge werden mit schnellen Schritten gethan.«

»Warum?«

»Zum Andenken an den Propheten. Es hatte sich das Gerücht verbreitet, daß er sehr gefährlich erkrankt sei, und um dieses Gerücht zu widerlegen, rannte er dreimal schnell um die Kaaba herum. Die folgenden Gänge geschehen langsam. Die Gebete kennst Du, welche dabei gesprochen werden müssen. Nach einem jeden Umlaufe wird der heilige Stein geküßt. Zuletzt, wenn das Towaf beendet ist, drückst Du die Brust an die Thür der Kaaba, breitest die Arme aus und bittest Allah laut um Vergebung aller Deiner Sünden.«

»Dann bin ich fertig?«

»Nein. Du hast nun seitwärts zu El MadschemEine kleine, mit Marmor ausgelegte Vertiefung, aus welcher Abraham und Ismael den Kalk genommen haben sollen, als sie die Kaaba bauten zu gehen und vor dem Mekam-Ibrahim zwei Rikat zu verrichten. Dann begibst Du Dich zum heiligen Brunnen Zem-Zem und trinkst nach einem kurzen Gebete so viel Wasser daraus, als Dir beliebt. Ich werde Dir einige Flaschen mitgeben, welche Du mir füllen und mitbringen magst; denn das heilige Wasser ist ein Mittel gegen alle Krankheiten des Leibes und der Seele.«

»Das ist die Ceremonie an der Kaaba. Was folgt dann?«

»Nun kommt der Say, der Gang von Szafa nach Merua. Auf dem Hügel Szafa stehen drei offene Bogen. Dort stellst Du Dich hin, wendest das Angesicht nach der Moschee, erhebst die Hände gen Himmel und bittest Allah um Beistand auf dem heiligen Wege. Dann gehest Du sechshundert Schritt weit nach dem Altan von Merua. Unterwegs siehst Du vier steinerne Pfeiler, an denen Du springend vorüberlaufen mußt. Auf Merua verrichtest Du wieder ein Gebet und legst den Weg dann noch sechsmal zurück.«

»Dann ist Alles gethan?«

»Nein, denn nun mußt Du Dir Dein Haupt scheren lassen und Omrah besuchen, welches so weit außerhalb der Stadt liegt, wie wir uns jetzt von Mekka befinden. Dann hast Du die heiligen Handlungen erfüllt und kannst zurückkehren. Im Monat der großen Wallfahrt muß der Gläubige mehr thun und braucht lange Zeit dazu, weil viele Tausende von Pilgern anwesend sind; Du aber brauchst nur zwei Tage und kannst am dritten wieder bei uns sein.«

Diesem Unterrichte folgten noch verschiedene Fingerzeige, welche aber für mich von keinem Interesse waren, da sie sich meist nur auf Hanneh bezogen. Ich legte mich zur Ruhe. Als Halef endlich erschien, lauschte er, ob ich bereits eingeschlafen sei. Er merkte, daß ich noch munter war, und frug:

»Sihdi, wer wird Dich bedienen während meiner Abwesenheit?«

»Ich selbst. Willst Du mir einen Gefallen thun, Halef?«

»Ja. Du weißt, daß ich für Dich alles thue, was ich kann und darf.«

»Du sollst dem Scheik Wasser vom heiligen Brunnen Zem-Zem mitbringen. Bringe auch mir eine Flasche mit!«

»Sihdi, verlange Alles von mir, nur dieses nicht; denn das kann ich unmöglich thun. Von diesem Brunnen dürfen nur die Gläubigen trinken. Wenn ich Dir Wasser brächte, so würde mich nichts vor der ewigen Hölle retten!«

Dieser Bescheid wurde mit so fester Überzeugung ausgesprochen, daß ich nicht weiter in den Diener zu dringen versuchte. Nach einer Pause frug er:

»Willst Du Dir nicht selbst das heilige Wasser holen?«

»Das darf ich ja nicht!«

»Du darfst es, wenn Du Dich vorher zum rechten Glauben bekehrst.«

»Das werde ich nicht thun; jetzt aber wollen wir schlafen.«

Am andern Morgen ritt er als würdiger Ehemann mit seinem Weibe von dannen. Er nahm die Weisung mit, zu sagen, daß er aus fernen Landen komme, und ja nicht zu verrathen, daß seine Begleiterin, die sich übrigens jetzt verschleiert hatte, eine Ateïbeh sei. Mit ihm ritt eine Strecke weit ein Krieger, welcher die Straße zwischen Mekka und Dschidda bewachen sollte. Auch am Eingange unserer Schlucht wurde ein Wachtposten aufgestellt.

Der erste Tag verging ohne besonderen Vorfall; am zweiten Morgen ersuchte ich den Scheik um die Erlaubniß zu einem kleinen Streifzug. Er gab mir ein Kameel und bat mich, vorsichtig zu sein, damit unser Aufenthalt nicht entdeckt werde. Ich hatte gehofft, meinen Ritt allein machen zu können; aber die Tochter des Scheik trat zu mir, als ich das Kameel besteigen wollte, und frug:

»Effendi, darf ich mit Dir reiten?«

»Du darfst.«

Als wir die Schlucht verlassen hatten, schlug ich unwillkürlich die Richtung nach Mekka ein. Ich hatte geglaubt, meine Begleiterin würde mich warnen; allein sie hielt sich an meiner Seite, ohne ein Wort zu verlieren. Nur als wir ungefähr den vierten Theil einer Wegstunde zurückgelegt hatten, lenkte sie mehr nach rechts um und bat mich:

»Folge mir, Effendi!«

»Wohin?«

»Ich will sehen, ob unser Wächter an seinem Platze ist.«

Nach kaum fünf Minuten erblickten wir ihn. Er saß auf einer Anhöhe und schaute unverwandt nach Süden.

»Er braucht uns nicht zu sehen,« sagte sie. »Komm, Sihdi; ich werde Dich führen, wohin Du willst!«

Was meinte sie mit diesen Worten? Sie lenkte nach links hinüber und sah mich dabei lächelnd an. Dann ließ sie die Thiere weit ausgreifen und hielt endlich in einem engen Thale still, wo sie abstieg und sich auf den Boden niedersetzte.

»Setze Dich zu mir, und laß uns plaudern,« sagte sie.

Sie wurde mir immer räthselhafter, doch kam ich ihrer Aufforderung nach.

»Hältst Du Deinen Glauben für den allein richtigen, Effendi?« begann sie die eigenthümliche Unterhaltung.

»Gewiß!« antwortete ich.

»Ich auch,« bemerkte sie ruhig.

»Du auch?« frug ich verwundert; denn es war das erste Mal, daß ein muselmännischer Mund mir gegenüber ein solches Bekenntniß aussprach.

»Ja, Effendi, ich weiß, daß nur Deine Religion die richtige ist.«

»Woher weißt Du es?«

»Von mir selbst. Der erste Ort, an dem es Menschen gab, war das Paradies; dort lebten alle Geschöpfe bei einander, ohne sich ein Leides zu thun. So hat es Allah gewollt, und daher ist auch diejenige Religion die richtige, welche das Gleiche gebietet. Das ist die Religion der Christen.«

»Kennst Du sie?«

»Nein; aber ein alter Türke hat uns einst von ihr erzählt. Er sagte, daß Ihr betet zu Gott: › Ile unut bizim günahler, böjle unutar-izgünahler!‹ – Ist dies richtig?«

»Ja.«

»Und daß in Eurem Kuran steht: ›Allah muhabbet dir, ile muhabedda kim durar, bu durar Allahda ile Allah durar onada.‹ – Sage mir, ob das auch richtig ist!«

»Auch das ist richtig.«

»So habt Ihr den richtigen Glauben. Darf ein Christ eine Jungfrau rauben?«

»Nein. Wenn er es thäte, so würde er eine schwere Strafe erhalten.«

»Siehst Du, daß Eure Religion besser ist, als unsere? Bei Euch hätte Abu-Seïf mich nicht rauben und zwingen dürfen, sein Weib zu sein. Kennst Du die Geschichte dieses Landes?«

»Ja.«

»So weißt Du auch, wie die Türken und Egypter gegen uns gewütet haben, trotzdem wir eines Glaubens sind. Sie haben unsere Mütter geschändet und unsere Väter zu Tausenden auf die Pfähle gespießt, geviertheilt, verbrannt, ihnen Arme und Beine, Nasen und Ohren abgeschnitten, die Augen ausgestochen, ihre Kinder zerschmettert oder zerrissen. Ich hasse diesen Glauben, aber ich muß ihn behalten.«

»Warum mußt Du ihn behalten? Es steht Dir zu jeder Zeit – –«

»Schweige,« unterbrach sie mich barsch. »Ich sage Dir meine Gedanken, aber Du sollst nicht mein Lehrer sein! Ich weiß selbst, was ich thue: ich werde mich rächen – rächen an Allen, die mich beleidigt haben.«

»Und dennoch meinst Du, daß die Religion der Liebe die richtige sei?«

»Ja; aber soll ich allein lieben und verzeihen? Sogar dafür, daß wir die heilige Stadt nicht betreten dürfen, werde ich mich rächen. Rathe, wie?«

»Sage es!«

»Es ist Dein heimlicher Wunsch, Mekka zu betreten?«

»Wer sagt Dir das?«

»Ich selbst. Antworte mir!«

»Ich wünsche allerdings, die Stadt sehen zu können.«

»Das ist sehr gefährlich; aber ich will mich rächen und habe Dich deßhalb an diesen Ort geführt. Würdest Du die Gebräuche mitmachen, wenn Du in Mekka wärest?«

»Es wäre mir lieb, dies vermeiden zu können.«

»Du willst Deinen Glauben nicht beleidigen und thust recht daran. Gehe nach Mekka; ich werde hier auf Dich warten!«

War dies nicht sonderbar? Sie wollte sich am Islam dadurch rächen, daß sie seine heiligste Stätte durch den Fuß eines Ungläubigen entweihen ließ. Als Missionär hätte ich hier eine Aufgabe lösen können – freilich nur mit großem Aufwande an Zeit und Mühe; als ›Weltbummler‹ war mir dies unmöglich.

»Wo liegt Mekka?« frug ich.

»Wenn Du diesen Berg überschreitest, siehst Du es im Thale liegen.«

»Warum soll ich gehen und nicht reiten?«

»Wenn Du geritten kommst, wird man einen Pilger in Dir vermuthen und Dich nicht unbeachtet lassen. Betrittst Du aber zu Fuße die Stadt, so wird ein jeder meinen, daß Du bereits dort gewesen seiest und nur einen Spaziergang gemacht habest.«

»Und Du willst wirklich auf mich warten?«

»Ja.«

»Wie lange?«

»Eine Zeit, welche Ihr Franken vier Stunden nennt.«

»Das ist sehr kurz.«

»Bedenke, daß Du sehr leicht entdeckt werden kannst, wenn Du lange verweilst. Du darfst nur einmal durch die Straßen gehen und die Kaaba sehen; das ist genug.«

Sie hatte recht. Es war doch gut gewesen, daß ich beschlossen hatte, mich von dem Augenblick leiten zu lassen. Ich erhob mich. Sie deutete auf meine Waffen und schüttelte den Kopf.

»Du gleichest ganz und gar einem Eingeborenen; aber trägt ein Araber solche Waffen? Laß Deine Flinte hier, und nimm die meinige dafür.«

Da überflog mich im ersten Moment eine Art von Mißtrauen; aber ich hatte wirklich nicht den mindesten Grund, dasselbe festzuhalten. Daher vertauschte ich meine Büchse und stieg dann den Berg hinan. Als ich den Gipfel desselben erreichte, sah ich Mekka in der Entfernung von einer halben Stunde vor mir liegen, zwischen kahlen, unbelebten Höhen das Thal hinab. Ich unterschied die Citadelle Schebel Schad und die Minarehs einiger Moscheen. El Hamram, die Hauptmoschee, lag im südlichen Theile der Stadt.

Dorthin lenkte ich zunächst meine Schritte. Es war mir auf dem Wege zu Muthe, wie einem Soldaten, der zwar schon bei einigen kleinen Treffen mitgefochten hat, plötzlich aber den Donner einer großen Schlacht dröhnen hört.

Ich gelangte glücklich in die Stadt. Da ich mir die Lage der Moschee gemerkt hatte, brauchte ich nicht zu fragen. Die Häuser, zwischen denen ich hinschritt, waren von Stein erbaut, und die Straße hatte man mit dem Sande der Wüste bestreut. Bereits nach kurzer Zeit stand ich vor dem großen Rechteck, welches das Beith-Allah bildet, und langsam ging ich um dasselbe herum. Die vier Seiten bestanden aus Säulenreihen und Colonnaden, über denen sich sechs Minarehs erhoben. Ich zählte zweihundertvierzig Schritt in die Länge und zweihundertfünf in die Breite. Da ich mir das Äußere erst nachher betrachten wollte, trat ich durch eines der Thore ein. In demselben saß ein Mekkaui, welcher mit kupfernen Flaschen handelte.

»Sallam aaleïkum!« grüßte ich ihn würdevoll. »Was kostet eine solche Kuleh?«

»Zwei Piaster.«

»Allah segne Deine Söhne und die Söhne Deiner Söhne, denn Deine Preise sind billig. Hier hast Du zwei Piaster, und hier nehme ich die Kuleh.«

Ich steckte die Flasche zu mir und trat zwischen den Säulen hindurch. Ich befand mich in der Nähe der Kanzel und zog meine Schuhe aus. Nun betrachtete ich mir das Innere des heiligen Hauses. Ziemlich in der Mitte stand die Kaaba. Da sie mit dem Kisua vollständig bekleidet war, bot sie einen fremdartigen Anblick dar. Zu ihr führen sieben gepflasterte Wege, zwischen denen ebenso viele Grasplätze liegen. Neben der Kaaba bemerkte ich den heiligen Brunnen Zem-Zem, vor welchem mehrere Beamte an Pilger Wasser vertheilten. Das ganze Heiligthum machte auf mich durchaus keinen heiligen Eindruck. Koffer- und Sänftenträger rannten mit ihren Lasten hin und her; öffentliche Schreiber saßen unter den Colonnaden; ja sogar Obst- und Backwaarenhändler waren zu sehen. Bei einem zufälligen Blick durch die Säulenreihen bemerkte ich ein Reitkameel, welches eben draußen niederkniete, um seinen Herrn absteigen zu lassen. Es war ein Thier von wundervoller Schönheit. Sein Besitzer kehrte mir den Rücken zu und winkte einen Diener der Moschee herbei, um bei dem Dschemmel zu bleiben. Dies bemerkte ich nur so im Vorübergehen, als ich zum Brunnen schritt. Ich wollte mir zunächst meine Flasche füllen lassen, mußte aber einige Zeit warten, bis die Reihe an mich kam. Ich gab dann ein kleines Geschenk, verschloß das Gefäß und steckte es zu mir. Jetzt drehte ich mich um und – stand keine zehn Schritt von Abu-Seïf.

Ein gewaltiger Schreck fuhr mir in die Glieder, doch lähmte er mir dieselben glücklicherweise nicht. In solchen Augenblicken denkt und beschließt der Mensch zehnfach schnell. Ohne auffällig zu fliehen, strebte ich mit meinen längsten Schritten den Säulen zu, außerhalb deren das Kameel des Abu-Seïf lag. Dieses Thier allein konnte mich retten. Es war eines jener fahlen Hedjihn, wie man sie am Dschammargebirge findet.

Meine Schuhe waren verloren; ich hatte keine Zeit, sie zu holen, denn schon hörte ich hinter mir den Ruf:

»Ein Giaur, ein Giaur! Onu tutyn, bekdschiler dschamenün – fangt ihn, Ihr Hüter des Heiligthumes!«

Die Wirkung, welche dieser Ruf hervorbrachte, war eine großartige. Ich hatte keine Zeit, mich umzusehen, aber ich hörte hinter mir das Getöse eines Wasserfalles, das Geheul eines Orkanes, das Stampfen und Trampeln einer nach Tausenden zählenden Büffelheerde. Jetzt war es aus mit meinen gleichmäßigen Schritten. Ich schnellte vollends über den Platz hinüber, sprang zwischen den Säulen hindurch, die drei Stufen empor und stand vor dem Kameele, dessen Beine nicht gefesselt waren. Ein Fausthieb warf den Diener weit zur Seite, und im nächsten Augenblick saß ich im Sattel, den Revolver in der Hand. Aber – wird das Thier gehorchen?

»E – o – ah! – E – o – ah!«

Gott sei Dank! Bei dem bekannten Ruf erhob sich das Hedjihn in zwei Rucken, und windschnell ging's nun dahin. Schüsse krachten hinter mir – nur vorwärts, vorwärts!

Wäre das Kameel eines jener halsstarrigen Thiere gewesen, welche man so oft findet, so war ich unbedingt verloren.

In weniger als drei Minuten befand ich mich außerhalb der Stadt, und erst dann wagte ich es, mich umzusehen, als ich beinahe die halbe Höhe des Berges hinter mir hatte. Da unten wimmelte es von Reitern, welche mich verfolgten. Die Muselmänner waren nämlich sofort in die nächsten Serais und Khans geeilt und hatten die dort vorhandenen Thiere bestiegen.

Wohin sollte ich mich wenden? Zur Tochter des Scheik, die dadurch verrathen wurde? Und doch mußte ich sie warnen! Ich feuerte mein Thier durch unaufhörliche Zurufe an: seine Schnelligkeit war unvergleichlich. Oben auf der Höhe blickte ich noch einmal zurück und bemerkte, daß ich mich in Sicherheit befand. Ein einziger Reiter war mir verhältnismäßig nahe gekommen. Es war Abu-Seïf. Zufällig hatte er ein Pferd ergriffen, welches eine außerordentliche Schnelligkeit entwickelte.

Ich flog drüben den Abhang hinab. Die Tochter Maleks erspähte mich. Daß ich auf einem Kameele saß und in solcher Eile herbeigestürmt kam, dies ließ sie die Sachlage errathen. Sie schwang sich sofort auf ihr Kameel und nahm dasjenige, auf welchem ich vorher gesessen hatte, beim Halfter.

»Wer hat Dich entdeckt?« rief sie mich in Hörweite an.

»Abu-Seïf.«

»Allah akbar! Verfolgt Dich der Schurke?«

»Er ist mir ziemlich nahe.«

»Und viele Andere?«

»Sie kommen zu spät.«

»So bleibe mir fern und fliehe immer gerade aus über Berg und Thal.«

»Warum?«

»Du sollst es sehen.«

»Ich muß erst zu Dir. Gib mir meine Waffen!«

Im Vorüberreiten wechselten wir die Gewehre; dann versteckte sich die Wüstentochter hinter einem Felsenvorsprung, ohne mir zu folgen. Jetzt errieth ich ihr Vorhaben: sie wollte Abu-Seïf zwischen sich und mich bringen. Er erschien nach einigen Augenblicken oben auf der Höhe. Ich ließ mein Thier mit Absicht etwas langsamer gehen und bemerkte, daß er nun seinen Eifer verdoppelte. Während ich die nächste Bergeslehne erklimmte, galoppirte er drüben herab und quer über die Senkung herüber, ohne aus den Spuren zu bemerken, daß ich nicht allein da gewesen war. Als ich den Gipfel erreichte, sah ich auf der Höhe hinter mir bereits noch einige Verfolger, und tief unten hatte sich meine Gefährtin nun auch in Bewegung gesetzt. Ihr Vorhaben war ihr gelungen: Abu-Seïf befand sich zwischen uns; und da sie das zweite Kameel nicht mehr am Halfter führte, sondern frei nachlaufen ließ, so mußte er sie, wenn er sich umsah, für einen meiner Verfolger halten.

Für meine Person hatte ich nichts mehr zu befürchten, und da die andern Verfolger immer weiter zurückblieben, so war nur noch darauf zu achten, daß Abu-Seïf uns nicht entwischte. Ich suchte daher, aus dem hügeligen Terrain heraus und in die Ebene zu kommen, doch in der Richtung, welche dem Lager der Ateïbeh entgegengesetzt war. Und zu gleicher Zeit zügelte ich mein Dschemmel immer mehr.

So dauerte der Ritt wohl gegen drei Viertelstunden, bis ich endlich die offene Wüste erreichte. Ich strebte in dieselbe hinein und richtete es so ein, daß sich Abu-Seïf immer außer Schußweite hinter mir befand. Jetzt erreichte auch die Tochter des Scheik den Fuß der Hügelkette, aber zu gleicher Zeit sah ich auf dem Kamme der letzten Höhe noch einen Verfolger erscheinen, der ein ausgezeichnetes Kameel reiten mußte; denn er kam uns Anderen immer näher. Sein Thier war dem Pferde des Abu-Seïf weit überlegen.

Ich begann bereits Befürchtungen zu hegen, zwar nicht für mich, sondern in Beziehung auf meine Gefährtin; da sah ich zu meinem Erstaunen, daß dieser Reiter seitwärts abbog, als wolle er uns in einem Bogen überholen. Ich hielt mein Thier an und blickte schärfer zurück. War es möglich? Dort der kleine Kerl auf dem fliegenden Hedjihn sah genau so aus, wie mein Halef. Wie kam er zu einem solchen Thiere, und wie kam er hinter uns? Ich hielt mein Kameel an, um ihn noch einmal, und zwar genau in's Auge zu fassen. Ja, es war Halef und kein Anderer. Er wollte sich mir zu erkennen geben und schlug mit den Armen in der Luft herum, als ob er Schwalben fangen wolle.

Nun blieb ich ruhig sitzen und nahm die Büchse zur Hand. Der Verfolger war im Bereich meiner Stimme.

»Rrrrreee, Du Vater des Säbels! Bleib fern, sonst sende ich Dir eine Kugel!«

»Fern bleiben, Du Hund?« schrie er. »Ich werde Dich lebendig fangen und nach Mekka bringen, Du Schänder des Heiligthumes!«

Ich konnte nichts anderes thun: ich zielte und feuerte. Um ihn zu schonen, hatte ich auf die Brust seines Pferdes gehalten. Es überschlug sich und begrub ihn unter sich; es wälzte sich einigemal über ihm, und dann war es todt. Ich erwartete, daß er sich schleunigst hervorarbeiten werde; es geschah nicht. Entweder hatte er sich verletzt, oder er that nur so, um mich in seine Nähe zu locken. Ich ritt sehr vorsichtig auf ihn zu und kam zu gleicher Zeit mit der Ateïbeh bei ihm an. Er lag mit geschlossenen Augen im Sande und rührte sich nicht.

»Effendi, Deine Kugel ist der meinigen zuvorgekommen!« klagte das Weib.

»Ich habe nur auf sein Pferd und nicht auf ihn geschossen. Doch kann er das Genick oder etwas anderes gebrochen haben. Ich werde nachsehen.«

Ich stieg ab und untersuchte ihn. Wenn er sich nicht innerlich verletzt hatte, so war er wohl erhalten und nur betäubt. Die Ateïbeh zog ihren Handschar.

»Was willst Du thun?«

»Mir seinen Kopf nehmen.«

»Das thust Du nicht, denn auch ich habe ein Recht auf ihn.«

»Mein Recht ist älter!«

»Aber das meinige ist größer: ich habe ihn gefällt.«

»Das ist nach den Sitten dieses Landes richtig. Tödtest Du ihn?«

»Was thust Du, wenn ich ihn nicht tödte, sondern frei gebe oder einfach hier liegen lasse?«

»So gibst Du Dein Recht auf, und ich mache das meinige geltend.«

»Ich gebe es nicht auf.«

»So nehmen wir ihn mit, und es wird sich entscheiden, was mit ihm geschieht.«

Jetzt kam auch Halef herbei.

»Maschallah, Wunder Gottes! Sihdi, was hast Du gethan?«

»Wie kommst Du an diesen Ort?«

»Ich bin Dir nachgeeilt!«

»Das sehe ich allerdings. Erkläre Dich ausführlicher!«

»Sihdi, Du weißt, daß ich sehr viel Geld habe. Was soll ich es in meiner Tasche tragen? Ich wollte mir ein Dschemmel dafür kaufen, und ging zu einem Händler, der am südlichen Ende der Stadt wohnt. Hanneh war bei mir. Während ich mir seine Thiere besah, unter denen dieses hier das beste und so theuer war, daß es nur ein Pascha oder Emir bezahlen konnte, erhob sich draußen ein großer Lärm. Ich eilte mit dem Händler hinaus und hörte, daß ein Giaur das Heiligthum geschändet habe und geflohen sei. Ich dachte sogleich an Dich, Sihdi, und sah Dich auch einen Augenblick später nach der Höhe eilen. Alles drängte nach dem Hof, um Thiere zu Deiner Verfolgung zu holen. Ich that dasselbe und ergriff dieses Hedjihn. Nachdem ich zuvor Hanneh befohlen hatte, in das Lager zu eilen und dem Scheik den Vorfall zu erzählen, gab ich dem Händler, der mir das Thier nicht borgen wollte, einen Klapps und ritt Dir nach, um Dich zu fangen. Die Andern blieben alle zurück; nun habe ich Dich und auch das Dschemmel.«

»Es ist nicht Dein.«

»Darüber reden wir später, Sihdi. Die Verfolger sind noch immer hinter uns; wir können nicht hier bleiben. Was thun wir mit diesem Vater des Säbels und des Betruges?«

»Wir binden ihn auf dieses ledige Kameel und nehmen ihn mit. Er wird wohl wieder zu sich kommen.«

»Und wohin fliehen wir?«

»Ich weiß den Ort,« antwortete die Ateïbeh. »Auch Du kennst ihn, Halef; denn mein Vater, der Scheik, hat ihn Dir gesagt für den Fall, daß Du uns nicht mehr im Lager angetroffen hättest.«

»Du meinst die Höhle Atafrah?«

»Ja. Hanneh hätte Dich hingeführt. Diese Höhle ist nur den Anführern der Ateïbeh bekannt, und diese sind jetzt nicht dort zugegen. Kommt, helft mir den Gefangenen binden.«

Sechs Händen war es nicht schwer, ihn auf das Kameel zu befestigen, welches mich vom Lager aus bis in die Nähe der Stadt getragen hatte. Alles, was Abu-Seïf bei sich trug, nahm die Tochter Maleks zu sich; dann stiegen wir wieder auf und eilten dem Südosten zu.

So war ich denn glücklich entkommen. Ich dachte jetzt nicht, daß ich Mekka noch einmal sehen würde, und verspare daher die Beschreibung der Stadt und ihrer Sehenswürdigkeiten bis später.

Unterwegs hatte ich von den Vorwürfen Halef's zu leiden.

»Sihdi,« meinte er, »habe ich Dir nicht gesagt, daß kein Ungläubiger die heilige Stadt besuchen darf? Du hättest beinahe das Leben verloren!«

»Warum schlugst Du mir meine Bitte ab, als ich Wasser verlangte?«

»Weil ich sie nicht erfüllen durfte.«

»Nun habe ich mir das Wasser selbst geholt!«

»Du warst beim heiligen Brunnen?«

»Sieh her! Das ist das echte Wasser vom Zem-Zem!«

»Allah kerihm, Gott ist gnädig, Sihdi! Er hat Dich zu einem wahren Gläubigen und sogar zu einem Hadschi gemacht. Ein Giaur darf nicht in die Stadt; aber wer vom Wasser des Zem-Zem hat, der ist ein Hadschi und folglich auch ein echter Moslem. Habe ich Dir nicht stets gesagt, daß Du Dich noch bekehren würdest, Du magst wollen oder nicht?«

Das war eine ebenso drollige wie auch kühne Auffassung der Sachlage; aber sie hatte die Absicht und auch den Erfolg, das muselmännische Gewissen meines guten Halef zu beschwichtigen, und so fiel es mir nicht ein, seine Anschauung zu widerlegen.

Die Landschaft um Mekka ist außerordentlich wasserarm, und wo sich ein Brunnen befindet, ist er sicherlich der Mittelpunkt eines Dorfes oder wenigstens eines zeitweiligen Lagers. Diese Orte mußten wir meiden, und so kam es, daß wir trotz der Hitze des Tages keinen Halt machten, bis wir eine Gegend erreichten, welche sehr reich an zerklüfteten Felsen war. Wir folgten der Ateïbeh über Schutt und Geröll und zwischen mächtigen Steinblöcken hindurch, bis wir an einen Felsenspalt gelangten, der unten die ungefähre Breite eines Kameeles hatte.

»Dies ist die Höhle,« sagte unsere Führerin. »Auch die Thiere können hinein, wenn wir ihnen die Sattelkissen abnehmen.«

»Wir bleiben hier?« frug ich.

»Ja, bis der Scheik kommt.«

»Wird er kommen?«

»Er wird sicher kommen, weil Hanneh ihn benachrichtigt hat. Wenn Jemand von den Ateïbeh nicht zum Lager kommt, so ist er hier in dieser Höhle zu suchen. Steigt ab, und folget mir!«

Abu-Seïf war wieder zu sich gekommen, aber er hatte während des ganzen Rittes keinen Laut von sich gegeben und stets die Augen geschlossen gehalten. Er wurde zuerst in die Höhle gebracht. Wenn man dem Spalte folgte, so wurde er immer breiter und bildete schließlich einen Raum, der groß genug für vierzig bis fünfzig Männer und Thiere war. Sein größter Vorzug bestand in dem Wasser, welches sich ganz im Hintergrunde angesammelt hatte. Nachdem wir den Gefangenen und die Kameele in Sicherheit gebracht hatten, suchten wir draußen nach dem großbüscheligen Rattamgras, welches die sehr willkommene Eigenschaft besitzt, daß es im grünen Zustande ebensogut brennt wie im getrockneten. Das war für die Nacht; denn am Tage konnte es uns nicht einfallen, ein Feuer anzuzünden, dessen Rauch unsern Zufluchtsort sehr leicht hätte verrathen können.

Übrigens brauchten wir keine Sorge zu haben, entdeckt zu werden. Unser Weg hatte uns meist über einen so steinigen Boden geführt, daß unsere Spuren sicher nicht verfolgt werden konnten.

Eine eigenthümliche Entdeckung machte ich, als ich die Satteltasche meines Kameeles untersuchte: sie enthielt Geld, und zwar eine nicht unbedeutende Summe.

Unsere Thiere waren ermüdet, und wir ebenso; die Fesseln des Gefangenen waren fest, und so konnten wir schlafen. Natürlich aber theilte ich mich mit Halef in die Wache. So vergingen die letzten Tagesstunden, und die Nacht brach herein. Beim Morgengrauen hatte ich die Wache. Durch ein sich nahendes Geräusch aufmerksam gemacht, lugte ich zum Spalt hinaus und sah einen Mann, der sich vorsichtig herbeischlich. Ich erkannte in ihm einen der Ateïbeh und trat hinaus.

»Allah sei Dank, daß ich Dich sehe, Effendi!« begrüßte er mich. »Der Scheik hat mich vorausgesandt, um zu erforschen, ob Ihr hier zu finden seid. Nun brauche ich nicht zurückzukehren, denn dies ist das Zeichen, daß ich Euch hier angetroffen habe.«

»Wen vermuthest Du außer mir noch hier?«

»Deinen Diener Halef, die Bint el Ateïbeh und vielleicht gar noch Abu-Seïf, den Gefangenen.«

»Wie kannst Du diese alle hier erwarten?«

»Effendi, das ist nicht schwer zu errathen. Hanneh kam mit den beiden Kameelen allein in's Lager und erzählte, daß Du in Mekka gewesen und geflohen bist. Die Bint el Malek war mit Dir geritten und hat Dich sicher nicht verlassen, obgleich Du eine große Sünde begangen hast. Halef kam Dir nach, und hinter den Bergen fanden die Verfolger das erschossene Pferd des Dscheheïne, ihn selbst aber nicht. Ihr hattet ihn also bei Euch. Freilich konnten nur wir dies errathen, die Andern aber nicht.«

»Wann kommt der Scheik?«

»Vielleicht noch vor einer Stunde.«

»So komm herein.«

Er würdigte den Gefangenen keines Blickes und legte sich sofort zum Schlafen nieder. In der angegebenen Zeit langte die kleine Karawane vor der Höhle an. Man lud ab, und alles wurde hereingeschafft. Ich hatte erwartet, von dem Scheik Vorwürfe zu erhalten. Aber seine erste Frage war:

»Hast Du den Dscheheïne gefangen?«

»Ja.«

»Er ist hier?«

»Unverletzt und gesund.«

»So werden wir über ihn richten!«

Bis man Alles geordnet hatte, war es Mittag geworden. Nun sollte das Gericht beginnen. Vorher hatte ich aber mit Halef eine interessante Unterredung.

»Sihdi, erlaube mir eine Frage,« bat er.

»Sprich!«

»Nicht wahr, Du weißt noch Alles, was Du über mich und Hanneh niedergeschrieben hast?«

»Alles.«

»Wann muß ich Hanneh wieder hergeben?«

»Sobald Du die Wallfahrt beendet hast.«

»Aber ich habe sie noch nicht beendet!«

»Was fehlt noch?«

»Nichts, denn ich bin in Mekka mit Allem fertig, da es sehr schnell gegangen ist. Aber ich möchte mein Weib behalten, und da ist es mir eingefallen, daß zu einer richtigen Hadsch auch ein Besuch in Medina gehört.«

»Das ist sehr richtig. Was sagt Hanneh dazu?«

»Sihdi, sie liebt mich. Glaube es – sie hat es mir selbst gesagt!«

»Und Du liebst sie wieder?«

»Sehr! Steht nicht geschrieben, daß Allah dem Adam eine Rippe genommen und daraus die Eva geschaffen habe? Unter der Rippe liegt das Herz, und also wird das Herz des Mannes stets beim Weibe sein.«

»Aber was wird der Scheik sagen?«

»Das ist es ja, was mir Sorge macht, Sihdi!«

»Weitere Sorgen hast Du nicht?«

»Nein.«

»Und ich? Was werde ich dazu sagen?«

»Du? O, Du wirst mir Deine Einwilligung geben, denn ich werde Dich dennoch nicht verlassen, so lange Du mich bei Dir haben willst.«

»Dein Weib könnte aber doch nicht mit umherziehen; bedenke das!«

»Das soll sie auch nicht. Ich werde sie bei ihrem Stamme lassen, bis ich zurückkehren kann.«

»Halef, das ist eine Aufopferung, welche ich nicht verlange. Aber da Ihr einander so lieb habt, so mußt Du eben Dein Möglichstes thun, sie behalten zu dürfen. Vielleicht läßt sich der Scheik erbitten, daß Du sie nicht wieder abzutreten brauchst.«

»Sihdi, ich gebe sie nicht wieder her, und wenn ich fliehen müßte. O sie weiß, daß ich Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah bin, und sie würde mit mir bis an das Ende der Welt gehen!«

Mit dieser selbstbewußten Versicherung schritt er stolz von dannen. Unterdessen hatte sich ein Kreis gebildet, in dessen Mitte Abu-Seïf getragen worden war. Ich ward aufgefordert, an der Verhandlung Theil zu nehmen, und setzte mich neben dem Scheik Malek nieder.

»Effendi,« begann dieser, »ich habe gehört, daß Du behauptest, Rechte an diesen Mann zu haben, und weiß, daß dies die Wahrheit ist. Willst Du ihn uns abtreten oder willst Du mit uns über sein Schicksal abstimmen?«

»Ich werde mit abstimmen, ich und Halef, denn auch er hat Rache an Abu-Seïf zu nehmen.«

»So nehmt dem Gefangenen die Fesseln ab!«

Er wurde losgebunden, blieb aber bewegungslos liegen, als ob er todt sei.

»Abu-Seïf, erhebe Dich vor diesen Männern, um Dich zu verantworten!«

Er blieb liegen, ohne nur die Augenlider aufzuschlagen.

»Er hat die Sprache verloren, Ihr seht es, Ihr Männer; warum sollen wir da mit ihm reden? Er weiß, was er gethan hat, und wir wissen es auch; was könnten uns da die Worte und die Fragen nützen? Ich sage, daß er sterben muß, um den Schakalen, Hyänen und Geiern zur Speise zu dienen. Wer meiner Rede beistimmt, der mag es erklären.«

Alle gaben ihre Zustimmung. Ich allein wollte mein Veto einlegen, wurde aber durch ein unvorhergesehenes Ereigniß daran verhindert. Bei den letzten Worten des Scheik nämlich erhob sich plötzlich der Gefangene, schnellte zwischen zwei der Ateïbeh hindurch und sprang dem Ausgang zu. Ein lauter Schrei der Bestürzung erscholl, dann erhoben sich Alle, um ihm nachzuspringen. Ich war der Einzige, welcher zurückblieb. Er hatte große Schuld auf sich geladen und nach den Gesetzen der Wüste mehr als den Tod verdient; dennoch war es mir unmöglich gewesen, für diese Strafe zu stimmen. Vielleicht gelang es ihm, zu entkommen. War dies der Fall, so durften wir keine Stunde länger in der Höhle verweilen.

Ich blieb lange Zeit allein. Der erste, welcher zurückkehrte, war der alte Scheik. Er war hinter den jungen Männern zurückgeblieben.

»Warum bist Du ihm nicht nach, Effendi?« frug er mich.

»Weil Deine tapfern Männer ihn fangen werden, ohne meiner Hilfe zu bedürfen. Werden sie ihn wieder bekommen?«

»Ich weiß es nicht. Er ist ein berühmter Läufer, und als wir vor die Höhle kamen, war er bereits verschwunden. Wenn wir ihn nicht wieder ereilen, so müssen wir fliehen, da er nun die Höhle kennt.«

Nach und nach kehrten mehrere Männer zurück. Sie hatten ihn nicht laufen sehen und auch seine Spur nicht bemerkt. Später kam Halef, zuletzt aber kehrte die Tochter des Scheik zurück, deren Nasenflügel vor Wuth zitterten. Ein kurzer Meinungsaustausch ergab, daß ihn Niemand gesehen hatte. Die Bestürzung und der Umstand, daß ihm durch den engen Gang nur stets Einer folgen konnte, hatte ihm einen Vorsprung gewährt, und der Boden draußen war ja ganz geeignet, die Flucht zu erleichtern.

»Hört, Ihr Männer,« sagte der Scheik, »er wird unsern Versteck verrathen. Wollen wir sofort aufbrechen oder auf unsern Thieren noch einen Versuch machen, ihn zu erwischen? Wenn wir diese Gegend im Kreise umreiten, so ist es leicht möglich, daß wir ihn bemerken.«

»Wir fliehen nicht, sondern wir suchen ihn,« sagte seine Tochter.

Die anderen stimmten bei.

»Wohlan, so nehmt Eure Kameele und folgt mir. Wer den Entflohenen bringt – todt oder lebendig – der wird eine große Belohnung bekommen.«

Da trat Halef vor und sprach: »Den Preis habe ich bereits verdient. Draußen liegt todt der Vater des Säbels.«

»Wo hast Du ihn ereilt?« frug der Scheik.

»Herr, Du mußt wissen, daß mein Sihdi ein Meister ist im Kampfe und im Auffinden aller Arten des Makam; er hat mich gelehrt, die Spuren im Sande, im Grase, auf der Erde und auf dem Felsen zu finden; er hat mir gezeigt, wie man nachdenken muß bei der Verfolgung eines Flüchtigen. Ich war der Erste, der hinter Abu-Seïf die Höhle verließ; aber ich sah ihn bereits nicht mehr. Ich rannte erst nach links hinauf, dann nach rechts hinab, und da ich nichts von ihm bemerkte, so dachte ich, daß er so klug gewesen sei, sich gleich nach seinem Austritt aus der Höhle zu verstecken. Ich spähte hinter den Steinen und fand ihn auch. Es gab einen kurzen Kampf, dann drang ihm still mein Messer in's ruchlose Herz. Seinen Körper werde ich Euch zeigen.«

Ich blieb wieder in der Höhle, die anderen aber folgten Halef, um den todten Abu-Seïf zu sehen.

Bald kehrten sie jubelnd zurück.

»Was verlangst Du als Belohnung?« frug nun der Scheik den tapfern kleinen Halef.

»Herr, ich komme aus einem fernen Lande, zu welchem ich wohl nicht wieder zurückkehren werde. Hältst Du mich für würdig, so nimm mich unter die Deinen auf.«

»Ein Ateïbeh willst Du werden? Was sagt Dein Herr dazu?«

»Er ist damit einverstanden. Nicht wahr, Sihdi?«

»Ja,« nahm ich das Wort. »Ich vereinige meinen Wunsch mit dem seinigen.«

»Was mich betrifft, so würde ich auf der Stelle zustimmen,« erklärte der Scheik. »Aber ich muß erst diese Leute befragen, und die Adoption eines Fremden ist eine wichtige Sache, welche sehr viel Zeit erfordert. Hast Du Verwandte hier in der Nähe?«

»Nein.«

»Hast Du eine Blutrache auf Dich geladen?«

»Nein.«

»Bist Du ein Sunnit oder ein Schiit?«

»Ein Anhänger der Sunna.«

»Du hast wirklich noch kein Weib und keine Kinder gehabt?«

»Nein.«

»Wenn dieses ist, so können wir ja gleich zur Berathung schreiten.«

»So berathe auch über ein Anderes noch mit!«

»Worüber?«

»Sihdi, willst Du nicht an meiner Stelle reden?«

Ich erhob mich vom Boden und nahm eine möglichst würdevolle Haltung an. Dann begann ich meine Rede:

»Vernimm meine Worte, o Scheik, und Allah öffne Dir das Herz, damit sie Eingang in die Gnade Deines Willens finden. Ich bin Kara Ben Nemsi, ein Emir unter den Talebs und Helden in Frankistan. Ich kam nach Afrika und auch in dieses Land, um seine Bewohner zu sehen und große Thaten zu verrichten. Dazu brauchte ich einen Diener, der alle Mundarten des Westens und Ostens versteht, der klug und weise ist und sich vor keinem Löwen, vor keinem Panther und vor keinem Menschen fürchtet. Ich fand diesen Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah und bin mit ihm bis heute über alle Maßen zufrieden gewesen. Er ist stark wie ein Eber, treu wie ein Windspiel, klug wie ein Fennek und schnell wie eine Antilope. Wir haben über den Abgründen der Schotts gekämpft, wir sind eingebrochen und haben uns doch gerettet. Wir haben die Thiere des Feldes und der Wüste bezwungen; wir haben dem bösen Smum getrotzt; ja, wir sind sogar bis an die Grenze Nubien's gedrungen und haben eine Gefangene, die Blume aller Blumen, aus der Gewalt ihres Peinigers befreit. Wir sind dann nach dem Belad el Arab gekommen, und was wir da erlebten, das habt Ihr bereits erfahren und seid auch Zeuge davon gewesen. Er ist dann mit Hanneh, Deiner Enkelin, nach Mekka geritten. Sie ist zum Schein sein Weib geworden, und er hat sich unterschrieben, daß er sie wieder hergeben werde. Nun aber hat Allah ihre Herzen geleitet, daß sie einander lieb gewannen und nie wieder von einander scheiden möchten. Du bist Hadschi Malek Iffandi Ibn Achmed Chadid el Eini Ben Abul Ali el Besami Abu Schehab Abdolatif el Hanifi, der weise und tapfere Scheik dieser Söhne der Ateïbeh. Deine Einsicht wird Dir sagen, daß ich einen solchen Begleiter, wie Halef ist, nicht gern von mir lasse; aber ich wünsche, daß er glücklich sei, und daher richte ich die Bitte an Dich, ihn in den Stamm der Ateïbeh aufzunehmen und den Vertrag zu zerreißen, in welchem er Dir versprochen hat, sein Weib zurückzugeben. Ich weiß, daß Du mir diese Bitte erfüllen wirst, und ich werde, wenn ich einst in meine Heimat zurückgekehrt bin, Deinen Ruhm und den Ruhm der Deinen verbreiten im ganzen Abendlande. Sallam!«

Alle hatten mir aufmerksam zugehört. Malek antwortete:

»Effendi, ich weiß, daß Du ein berühmter Emir der Nemsi bist, obgleich Eure Namen so kurz sind, wie die Klinge eines Frauenmessers. Du bist ausgegangen wie ein Sultan, welcher unerkannt große Thaten verrichtet, und noch die Kinder unserer Kinder werden von Deinem Heldenthum erzählen. Hadschi Halef Omar ist bei Dir wie ein Wessir, dessen Leben seinem Sultan gehört, und Ihr seid in unsere Zelte gekommen, um uns große Ehre zu bereiten. Wir lieben Dich und ihn – und wir werden unsere Stimmen vereinigen, um ihn zum Sohne unseres Stammes zu machen. Auch werde ich mit seinem Weibe sprechen, und wenn sie bei ihm bleiben will, so werde ich den Vertrag zerreißen, wie Du es erbeten hast; denn er ist ein tapferer Krieger, welcher Abu-Seïf, den Dieb und Räuber, getödtet hat. Jetzt aber erlaube uns, ein Mahl zu bereiten, um den Tod des Feindes zu feiern und dann die Berathung in würdiger Weise vorzunehmen. Du bist unser Freund und Bruder, obgleich Du einen anderen Glauben hast, als wir. Sallam, Effendi!«


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