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2. Der Aufwiegler

Der Erzähler seufzte tief auf, machte eine Pause und strich sich dabei mit der Hand über das Gesicht, als ob er die traurige Erinnerung fortwischen wollte. Dann trank er sein Glas aus und begann von neuem:

»Wenn das Wild über die Savanne saust oder durch den stillen Busch schleicht, so hinterläßt auch der kleinste, leiseste Huf eine Spur, der das Auge des Jägers zu folgen vermag; das wißt ihr alle, Gentlemen. Und wenn die Tage, Monate und Jahre wie im Sturm über den Menschen dahinfliegen oder langsam und heimtückisch durch sein innerstes Leben schleichen, so gibt es Fährten im Gesicht und Fährten im Herzen, denen man nur nachzugehen braucht, um die Ereignisse aufzustöbern, die ein Menschenkind gerade zu dem machen, was es geworden ist.

Ich wollte ein fleißiger Farmer sein und ein fleißiger Farmer bleiben, aber mein Stecken war doch nach einer andern Richtung hin geschwommen. Mary war tot, der Vater tot; die Mutter nahm sich das so sehr zu Herzen, daß sie bald zu kränkeln begann und sich dann zum Sterben hinlegte. Ich konnte es nicht länger da aushalten, wo ich früher so glücklich gewesen war, verkaufte die Farm um ein Billiges an Fred Hammer, der sie mit der seinen vereinte, warf die Büchse über die Schulter und ging nach dem Westen, gerade eine Woche vorher, ehe die Betty Hammer einen Mulatten heiratete, der ein sehr hübscher Kerl war und braver, als die Farbigen gewöhnlich zu sein pflegen.

Das war damals ein reges, munteres Leben dahinten in den dark and bloody grounds, besser, viel besser als jetzt; das sage ich euch, und darum könnt ihr's glauben. Die Rothäute kamen um ein Beträchtliches weiter ins Land herein als heutzutage, und man mußte die Augen offen halten, wenn man sich nicht eines Abends zum Schlaf hinlegen und dann des Morgens ohne Skalp in den ewigen Jagdgründen erwachen wollte. Doch, das war nicht so schlimm, denn etliche drei, vier und auch mehr Indsmen kann man sich schon noch vom Leibe halten; aber es trieb sich neben den Roten auch allerlei Weißes Gesindel dort herum, so etwa, was man im Osten Runners und Loafers nennt, oder wie die Tramps, die in neuerer Zeit dem ordentlichen Mann so viel zu schaffen machen; und diese Kerls waren bösartig und durchtrieben genug und mehr zu fürchten, als alle Indianer zwischen dem Mississippi und dem großen Meer zusammengenommen.

Einer besonders machte viel von sich reden, der ein so verwegener Satan war, daß sein Ruf sogar bis hinüber in die Länder des europäischen Erdteils gedrungen ist. Ihr werdet erraten, wen ich meine, nämlich den Kanada-Bill. Wißt ihr denn aber auch, daß er von Geburt nichts anderes ist, als ein englischer Zigeuner? Er kam zuerst nach Kanada und trieb dort einen ganz leidlichen Pferdehandel, bis er gewahrte, daß mit der Karte doch ein Merkliches mehr zu verdienen sei. Nun legte er sich auf das ›Three cards monte‹ und machte damit zunächst die britischen Kolonien unsicher, bis er es zu einer solchen Meisterschaft gebracht hatte, daß er sich auch über die Grenze herüber zu den offenköpfigeren Yankees wagen konnte. Nun trieb er sein Wesen zunächst im Norden und Osten, beutelte die pfiffigsten Gentlemen bis auf den letzten Penny aus und suchte dann den Westen auf, wo er außer dem Spiel noch allerhand trieb, was ihn zehnmal an den Strick gebracht hätte, wenn er nicht so schlau gewesen wäre, stets den richtigen Beweis abzuschneiden. Hatte er's bei mir nicht grad ebenso gemacht? Ich wußte, wer der Mörder Marys und des Vaters war; ich konnte tausend Eide auf ihn schwören; aber hatte ich ihn gesehen, als er schoß? Nein, und darum war es unmöglich, eine regelrechte Jury über ihn zusammenzubringen. Aber geschenkt war ihm nichts, darauf könnt ihr euch verlassen; eine gute Büchse ist die beste Jury, und ich wartete bloß darauf, daß mich mein Weg einmal mit ihm zusammenführen werde.

Ich war schon lange nicht mehr grün im Fach, hatte eine gute Faust, ein helles, offenes Auge, einen gesunden Körper und hinter mir einige Jahre voller Mühe und Erfahrung. Zuletzt war ich am oberen Lauf des alten Kansas auf Biber gewesen, hatte einen hübschen Fang gemacht und die Felle an einige Companymänner, die mir begegneten, verkauft. Jetzt suchte ich mir eine passende Gelegenheit nach dem Mississippi, denn ich wollte ein wenig hinüber nach Texas, von dem damals so viel erzählt wurde, daß einem die Ohren ordentlich klangen.

Freilich gab es dabei mancherlei Schwierigkeiten, denn die Gegend, durch die ich den Pfad nehmen mußte, war ganz verteufelt unsicher. Die Creeks, Seminolen, Choctaws und Komantschen lagen einander in den Haaren, bekämpften sich bis auf die Messerspitzen und behandelten dabei jeden Weißen als gemeinschaftlichen Feind. Es galt also, die Augen und Ohren offen zu halten. Mein Weg führte mich mitten durch das Kampfgebiet, und ich war ganz allein, also nur auf meine eigene Vorsicht und Ausdauer angewiesen. Sogar ein Pferd mangelte mir; die Companymänner hatten es mir abgeschachert, und ich war deshalb gezwungen, auf meinen alten Mokassins zu reiten. So hielt ich ungefähr immer auf Smoky-Hill zu und konnte nach meiner Berechnung nicht mehr weit vom Arkansas sein. Ich traf immer mehr Wasserläufe, die sich nach ihm hinzogen, und stieß auf allerlei Getier, das nur an den Ufern großer Flüsse zu finden ist.

So schritt ich durch den Wald und stieß ganz unerwartet auf die Spur menschlicher Tritte. Sie rührten von einem Weißen her, denn die Zehenteile der Fußstapfen standen auswärts und nicht, wie es bei einem Indianer der Fall gewesen wäre, einwärts. Ich folgte den Spuren mit der größten Vorsicht und blieb nach einer Weile verwundert stehen. Eine laute menschliche Stimme ertönte, und ich vernahm aus den Worten, daß eine zahlreiche Zuhörerschaft vorhanden sein müsse.

»So ist vorhin von dem Prokurator Staatsanwalt. gesagt worden, Gentlemen und Ladies, die ihr vor dem Richterhof versammelt seid, um zu sehen und zu hören, in welcher Weise sich ein Mann, der des Mordes beschuldigt wird, auf der Anklagebank benimmt. Jetzt endlich komme auch ich, der Verteidiger dieses Mannes, an die Reihe und werde euch beweisen, daß er unschuldig ist. Denn das muß ich euch sagen, ich heiße Abraham Lincoln, und der ehrenwerte Sir, dem dieser Name gehört, nimmt nur dann das Mandat eines Klienten an, wenn er die Ueberzeugung gewonnen hat, daß damit nicht die Verteidigung eines Schurken verbunden ist – – –«

»Lincoln, Abraham Lincoln?« dachte ich. »Da brauche ich nicht zu zögern. Vorwärts, hin zu den Gent's und Ladies, mit denen er spricht!«

Ich schritt rasch voran. Wahrhaftig, da glänzte mir die helle Fläche des Stromes zwischen den Bäumen hindurch entgegen, und auf dem Wasser bemerkte ich die erste Stammlage eines angefangenen Floßes. Darauf stand Lincoln, nicht mit Gentlemen und Ladies, sondern ganz allein, hielt ein aufgeschlagenes Buch in der Linken und focht zur Begleitung seiner Rede mit der Rechten in der Luft herum, als wolle er die Schnaken und Libellen fangen, die über den Wogen spielten.

Er bemerkte mich, als ich an das Ufer trat, ließ sich aber nicht im mindesten stören.

» Good day, Master Lincoln! Darf ich ein wenig hinüber zu Euch?«

»Wer ist das? By god, das ist Master Kroner, der sich um seine Braut geschossen hat! Bleibt noch zwei Minuten am Lande, damit ich meine Rede erst vollenden kann! Es kommt viel darauf an, daß ich sie fertig bringe, denn ich habe einen Unschuldigen zu retten, der einen Mord begangen haben soll.«

»So fahrt fort! Ich werde mich bis dahin hier niedersetzen.«

Ich kann euch sagen, Mesch'schurs, die Rede, die er hielt, war ausgezeichnet, und hätte die Sache auf Wirklichkeit beruht, so wäre der Mann sicher freigesprochen worden. Der ganze Vorgang kam mir keineswegs lächerlich vor, denn ich bemerkte gar wohl, daß Lincoln sich hier in der Wildnis auf das Amt eines Lawyer Rechtsanwalt. vorbereitete. Als er fertig war, sprang ich zu ihm hinüber. Er streckte mir die Hand entgegen.

» Welcome, Master Kroner! Wie kommt Ihr hierher zum alten Kansas?«

»War einige Zeitlang droben in Colorado und den Spanish Peaks, habe eine gute Biberernte gehalten und will nun hinunter zum Mississippi, um ein wenig nach Texas zu gehen.«

»Ja, warum geht Ihr denn eigentlich nach dem Westen und bleibt nicht daheim auf Eurer Farm, wo es mir damals trotz der beiden Toten für mehrere Tage so wohl behagte?«

Ich erzählte ihm das Nötige. Er schüttelte mir darauf noch einmal die Hand.

»So ist's recht! Das Herzeleid ist ein schlimmer Gesell, und man darf sich nicht mit ihm an einem Ort fesseln und zusammenbinden lassen, sondern man schafft es hinaus in das Weite, wirft es weg und kehrt dann als freier Mann zurück. Ich bin noch immer, was ich damals war: ich fälle Holz, wo es mich nichts kostet, und schaffe es dahin, wo ich einen guten Dollar dafür erhalte. Aber dieses soll mein letztes Floß sein, das ich zusammenhänge; dann gehe ich nach dem Osten und sehe, ob ich dort etwas Besseres zu schaffen vermag. Wäre ich hier fertig, so könntet Ihr mit mir fahren, leider aber werde ich noch gegen vierzehn Tage hier zubringen.«

»Das tut nichts, Sir! Wenn es Euch recht ist, bleibe ich doch bei Euch. Einem Westmann kommt es aus eine Woche mehr oder weniger nicht an, und wenn Ihr mir erlaubt, Euch zu helfen, so werden wir in der halben Zeit fertig, was Ihr gewiß nicht für einen Schaden halten werdet.«

»Mir ist's sehr recht, wenn Ihr bleiben und ein wenig helfen wollt, denn das wird mir auch in anderer Beziehung von Nutzen sein. Die Indsmen schwärmen nämlich seit kurzem wie die Mücken hier umher, und da gelten zwei Männer mehr als einer, wie Ihr wohl wißt. Oder habt Ihr die Büchse immer noch fünf Minuten vor der rechten Zeit bei der Hand?«

»Keine Sorge, Sir! Tim Kroner ist ein besserer Kerl geworden und wird Euch keine Schande machen.«

» Well, hoffe es! Aber an einer Axt fehlt es, wenn Ihr mit zugreifen wollt. Man müßte da hinunter nach Smoky-Hill gehen, um sie zu holen, und könnte da auch gleich etwas Munition mitbringen, die mir auf die Neige geht.«

»Wie weit ist es hinab?«

»Zwei gute Tagreisen. Doch ließe sich die Sache auch besser und schneller machen. Man hängt noch ein Feld an das Floß, damit es mehr Widerstandskraft besitzt und sich besser regieren läßt, und fährt dann den Strom hinunter, was nicht ganz einen Tag erfordert. Die Stämme läßt man dort vor Anker und hängt sie später hinten an.«

»So werde ich gehen und holen, was wir brauchen.«

»Ihr? Könnt Ihr ein Floß regieren?«

»Wenn ich eins habe, ja, sonst aber nicht. Es wird ja klein genug werden und also nur einen Mann erfordern.«

»Aber der Rückweg ist gefährlich, falls die Indsmen sich nicht in eine andere Richtung schlagen. Es wundert mich, daß sie mir hier noch keinen Besuch abgestattet haben.«

»Es wird gehen, Sir; daraus könnt Ihr Euch Verlassen!«

»Gut. So ruht Euch von der Wanderung aus; ich werde mich sofort an die Arbeit machen, denn morgen muß das Floß fertig sein!«

»Ich bin nicht müde und werde helfen.«

» Bounce! ich sehe, daß Ihr ein brauchbarer Mann geworden seid. Come one also, ans Geschäft!«

Am andern Morgen schon schwamm ich auf dem Wasser. Der Strom war immer frei, hatte ein gutes Gefälle, und so sah ich, als der Abend hereinbrach, das Fort vor mir liegen. Ich lenkte an das Ufer, befestigte meine Stämme und schritt auf die Einfassung zu, welche die festen Blockhäuser umgab, die man hier Festung nannte.

Ein Posten stand vor dem Eingang. Er ließ mich durch, als ich den Zweck meines Besuchs angegeben hatte. Im ersten Hause zog ich nähere Erkundigung ein.

»Da müßt Ihr mit Colonel Deering, der hier befehligt, selber sprechen,« wurde mir geantwortet. »Er befindet sich drüben im Offiziersgebäude.«

»Wer wird mich melden?«

»Melden? Mann, Ihr befindet Euch nicht vor dem Weißen Hause in Washington, sondern beim letzten Posten vor der Indianergrenze; da treibt man nicht derlei überflüssige Allotria! Wer durch die Palissaden gelassen wird, darf seine Nase grad dahin stecken, wo schon andre Nasen gewesen sind.«

Ich schritt auf das mir bezeichnete Gebäude zu und trat durch die Tür in ein Wohnzimmer, in dem sich kein Mensch befand. Aber aus dem Nebenraum erklangen mehrere Stimmen und das Geräusch von Gold- und Silberstücken.

Die Tür war nur angelehnt. Ehe ich eintrat, wollte ich erst sehen, mit wem ich es zu tun bekam, und warf einen Blick durch die Spalte. Inmitten des Zimmers stand eine roh zubehauene Tafel, an der vielleicht zehn Offiziere verschiedener Grade saßen und beim Licht einiger Hirschtalgkerzen Karten spielten. Und gegenüber dem Colonel – wahrhaftig, er und kein anderer war es – da saß der Kanada-Bill vor einem mächtigen Haufen von Geld, Goldstaub und Klumpen und warf die drei Blätter hin und her, daß es eine Art hatte.

Sie spielten › Three carde monte‹.

Keiner von den Männern konnte mich sehen; ich zögerte, einzutreten, und überlegte eben noch, wie ich den Bill begrüßen solle, als ich dieselbe blitzschnelle Bewegung bemerkte, mit der er schon damals die vierte Karte in den Aermel geworfen hatte. Im Nu stand ich hinter ihm und hatte seinen Arm erfaßt.

»Verzeihung, Gentlemen, dieser Mann spielt falsch!« sagte ich.

Er wollte aufspringen, kam aber nicht dazu, denn während meine Linke seinen Arm gefaßt hielt, hatte ich ihm die Rechte so fest um den Hals geschnürt, daß ihm der Atem verging und er keine Bewegung erzwingen konnte.

»Spielt falsch?« fuhr der Oberst auf. »Beweist es! Wer seid Ihr, und was wollt Ihr hier? Wie kommt Ihr in diesen Raum?«

»Ich bin ein Trapper, Sir, und komme, mir einiges aus Eurem Store zu nehmen. Ich kenne diesen Menschen sehr genau; er heißt William Jones oder, wenn Euch der andre Name vielleicht geläufiger ist, der Kanada-Bill.«

»Der Kanada-Bill? Ist's wahr? Er nannte sich hier Fred Flater. Laßt ihn doch einmal los!«

»Nicht eher, als bis Ihr Euch überzeugt habt, daß ich die Wahrheit rede. Er spielt nicht mit drei, sondern mit vier Blättern.«

»Wo ist das vierte?«

»Nehmt es ihm hier einmal aus dem Aermel!«

Einer der Leutnants griff zu und brachte die Karte zum Vorschein.

» Zounds, Ihr habt recht, Mann, und wir sind Euch allen Dank schuldig, denn der Kerl hatte uns beinahe bis auf den leeren Tisch ausgesogen. Laßt ihn nun los; jetzt hat er es mit uns zu tun.«

»Und auch so ein wenig mit mir, Gentlemen. Er hat mir zwei Personen erschossen, die mir die liebsten waren in meinem ganzen Leben, und soll jetzt still halten, bis ich mit ihm abgerechnet habe.«

»Steht es so? Wenn Ihr Eure Behauptung beweisen könnt, so ist es um ihn geschehen!«

Ich ließ die Hand von ihm. Er war beinahe erwürgt und sog die Luft in hastigen, kurzen Zügen ein, ehe ihm das volle Bewußtsein seiner Lage zurückkehrte. Dann sprang er auf.

»Was wollt – – –«

Er hielt mitten in seiner Frage inne; denn erst jetzt bekam er mich vor die Augen und hatte mich sofort erkannt.

»Was dieser Mann von Euch will, werdet Ihr zu hören bekommen,« meinte der Colonel. »Ihr seid William Jones, der Kanada-Bill?«

» Damn! Geht mir mit Eurem Kanada-Bill! Ich kenne ihn nicht und heiße Fred Flater, wie ich Euch ja längst gesagt habe.«

»Auch gut! Der Name ist uns gleichgültig, denn nicht er, sondern die Tat wird gerichtet. Ihr habt falsch gespielt!«

»Ist mir nicht eingefallen, Sir! Oder haltet Ihr Euch oder diese Gentlemen etwa für Leute, bei denen man dergleichen Kunststücke wagen kann?«

»Wir sind ein ehrliches Spiel gewohnt, und in der Voraussetzung, daß Ihr kein Gauner seid, haben wir Euch nicht auf die Finger gesehen. Hätten wir gewußt, wen wir vor uns haben, so wäre Euch der Streich nicht gelungen.«

»Hier kann von keinem Streich die Rede sein. Ich habe ehrlich gespielt.«

»Und die Karte in Eurem Aermel?«

»Geht mich nichts an; ich habe sie nicht hineingesteckt. Oder habt Ihr dies vielleicht gesehen, Colonel?«

»So ist sie Euch von selbst hineingeflogen!«

»Oder hineingesteckt worden. Wer mir den Arm gehalten hat, wird wohl wissen, wie sie hineingekommen ist!«

Ich konnte nicht anders, ich erhob den Arm und schlug ihm die Faust auf den Kopf, daß er auf den Stuhl niederfiel.

»Ihr führt einen guten Hieb, Master,« meinte der Oberst lachend; »aber laßt das lieber sein; es gehört nicht notwendig zur Sache. Wir werden ihn schon zwischen die Hände nehmen, daß er genug bekommt.«

»Ich verlange, daß Ihr mich gegen solche Angriffe schützt, Sir,« meinte Jones, indem er sich langsam wieder emporzurichten versuchte. »Ich klage diesen Menschen an, mir die Karte in den Aermel gezaubert zu haben.«

»Ja, ganz dieselbe Karte, die Ihr uns einige Sekunden früher vorzeigtet. Laßt Euch wenigstens nicht auslachen! Was meint ihr, Kameraden: erkennt ihr diesen Master Jones oder Flater für schuldig?«

»Er hat falsch gespielt; daran ist kein Zweifel!« erklang es rund im Kreis.

»So laßt uns ihm sein Urteil geben, und das auf der Stelle!«

Sie traten beiseite, um zu beraten. Der Kanada-Bill verriet sich. Er warf einen Blick auf den noch vor ihm liegenden Geldhaufen und einen zweiten nach dem offen stehenden Fenster. Mit einem raschen Griff erfaßte er von den Münzen so viel, als er in der Schnelligkeit zu erlangen vermochte, dann sprang er zum Fenster. Aber schon hatte ich die Büchse erhoben.

»Stopp, Master Jones! Noch einen Schritt und Ihr seid kalt!« rief ich ihm zu.

Er blickte sich um, sah, daß es Ernst war, und blieb stehen.

»Ich zähle bis drei; liegt dann das Geld nicht wieder an seinem Platz, so gebe ich Feuer. Eins –«

Er setzte den Fuß zögernd zum Tisch zurück.

»Zwei–!«

Er legte das Geld zu dem andern.

»So, jetzt setzt Ihr Euch nieder, und wartet ruhig, was geschieht!«

Ich ließ den Lauf des Gewehrs sinken. Die Offiziere waren mit ihrer Beratung fertig und traten nun wieder herbei. Der Oberst reichte mir, abermals lachend, die Hand.

»Ihr seid ein ganzer Kerl, Master – – ja, wie nennt Ihr Euch denn eigentlich?«

»Tim Kroner ist mein Name, Sir!«

»Also, Master Kroner, Ihr seid ein ganzer Kerl. Schade, daß Ihr nicht eine Stelle oder so etwas bei meinem Regiment habt.« Und sich zu Jones wendend, fuhr er fort: »Ihr werdet für Eure Posse fünfzig gute Streiche auf die glatte Haut erhalten, Gem'man, und ich hoffe, daß sie Euch gut bekommen!«

»Fünfzig Streiche? Ich bin unschuldig und erkenne sie nicht an!«

» Well, Mylord, so erhaltet Ihr sie unschuldig; doch wenn Ihr sie habt, werdet Ihr sie wohl anerkennen müssen. Wollt Ihr aber nachher beim Präsidenten der Vereinigten Staaten dagegen Beschwerde erheben, so will ich Euch zu diesem Zweck einen Kreditbrief auf weitere fünfzig oder hundert schreiben. Leutnant Welhurst, nehmt den Mann hinaus auf den Hof, und sorgt dafür, daß er auch ganz und voll erhält, was er zu beanspruchen hat!«

»Ihr dürft Euch da ganz gehörig auf mich verlassen, Colonel!« meinte der junge Offizier, indem er auf Jones zutrat. » Go on, Mann; die Fünfzig warten draußen!«

»Ich gehe nicht von der Stelle. Ich will mein Recht!« rief Jones.

Da fuhr der Oberst auf den Absätzen herum.

»Er ist nicht zufrieden mit seiner Ration, Leutnant. Gebt ihm zehn mehr, also sechzig! Ich kann das wohl sagen, weil ich die Verantwortung auf mich nehme. Und geht er auch nun nicht mit, so erhält er für jede Minute weitere zehn mehr!«

»Nun?« fragte der Leutnant mit drohendem Blick.

»Ich muß gehen; aber dieses ›Three carde monte‹ werdet Ihr wohl nicht vergessen, denn ich werde mich an einen Richter wenden, an den jetzt keiner von euch denkt!«

Er schritt voran, und der Leutnant folgte mit gespanntem Revolver. Jetzt wandte sich der Oberst wieder zu mir.

»Was ist's mit dem Mord, Sir? Wenn Eure Beweise gut sind, so bilden wir auf der Stelle eine Jury und geben ihm den Strick. Ihr wißt, auf welchem Territorium wir uns befinden, und daß ich das Recht habe, kurzen Prozeß zu machen.«

Ich erzählte ihm das Nötige.

»Das steht auf schwachen Füßen, wie ich höre,« meinte der Offizier. »Wir müssen entweder sein Geständnis oder wenigstens einen guten Zeugen haben, auf den man sich verlassen kann. Ich gebe Euch mein Wort: wenn ich ihn verhöre, so heißt er Fred Flater und kennt Euch nicht. Und gesehen habt Ihr ja nicht, daß der Kanada-Bill derjenige war, der geschossen hat; ja, Ihr könnt gar nicht einmal beweisen, daß er bei den Bushheaders gewesen ist. Ich werde mein möglichstes versuchen; das verspreche ich Euch; aber ich weiß genau, daß wir ihn laufen lassen müssen. Das andre ist dann allerdings Eure Sache. Sobald er und Ihr das Fort im Rücken habt, könnt Ihr ganz ungestört in Eurer Weise mit ihm sprechen!«

Nach einer Weile wurde der Kanada-Bill wieder hereingebracht. Sein Aussehen war ein entsetzliches. Mit blutunterlaufenen Augen stierte er im Kreis umher und schien die Züge jedes Einzelnen seinem Gedächtnis einprägen zu wollen. Der Oberst begann das Verhör; es führte zu dem vorausgesagten Ergebnis.

»Gebt dem Mann alles wieder, was er bei sich trug, und schickt ihn dann unter sicherer Bedeckung stromabwärts fünf Meilen von dem Fort hinweg. Mag er Fred Flater oder William Jones heißen; er soll keinen Augenblick länger in unsern Grenzen bleiben!«

So lautete der Schlußbescheid des Colonel. Dann wandte er sich zu mir:

»Ihr seid unser Gast, so lang es Euch beliebt, Master Kroner, und nehmt dann aus unserm Magazin unentgeltlich alles, was Ihr braucht. Oder wollt Ihr dem Mann sofort nach?«

»Ja, wenn Ihr ihn nach einer andern Richtung geschickt hättet. Aber mein Maat wartet zwei Tagereisen stromauf von hier auf mich; ich muß zu ihm und werde, da die Sachen nicht anders gefallen sind, aufbrechen, sobald ich eine gute Axt und einige Munition bekommen habe. Der Kanada-Bill, so rechne ich, wird meine Spur schon wieder kreuzen!«

» Well, Sir, laßt ihn laufen! Solch' Ungeziefer kommt sicher wieder vor den Schuß. Die Axt und Munition sollt Ihr haben, und weil Ihr unser Geld gerettet habt, stelle ich Euch ein Kanoe mit sechs Ruderern zur Verfügung, die Euch bis morgen früh wohl über den Halbstrich Eures Weges hinausbringen werden. Das ist für Euch ein Vorteil und für sie eine Uebung, die ihnen bei dem faulen Leben hier recht gut bekommen wird. Doch nehmt Euch vor den Indsmen in acht! Ich habe weite Außenposten stehen, die mir melden, daß unsre guten roten Brüder das Kriegsbeil ausgegraben haben.«

Er war also schon gewarnt, und ich konnte meine Bemerkungen sparen. Kaum eine Viertelstunde später saß ich, mit allem Nötigen wohl versehen, schon in der Piroge Ruderkahn. und ließ mich von den sechs Männern im schnellsten Tempo gegen die Wogen des alten Arkansas rudern. Der Kanada-Bill war mir so schnell entgangen, wie ich ihn gefunden hatte; doch lag mir der brave Lincoln jetzt mehr am Herzen als er.

Ich bedurfte der Ruhe und schlief die ganze Nacht im Boot bis weit in den Morgen hinein, und als ich erwachte, bemerkte ich, daß die gute Hälfte meines Weges bereits zurückgelegt sei. Trotz meiner Mahnung setzten mich aber die Ruderer nicht eher an das Ufer, als bis ich ihnen sagte, daß ich unsern Lagerplatz nun noch am heutigen Tag erreichen werde. Dann kehrten sie um, und ich trat schwer bepackt meine Wanderung an.

Am späten Abend traf ich bei Lincoln ein. Er war überrascht über meine schnelle Rückkehr und hörte meinem Bericht über das Geschehene mit außerordentlicher Teilnahme zu.

»Recht so, Tim Kroner, daß Ihr den Jones gehen ließet,« sagte er. »Ihr trefft schon noch bei einer besseren Gelegenheit auf ihn. Wundern freilich sollte es mich, wenn er die Schläge hinnähme, ohne wenigstens einen Racheversuch zu machen. Es wird mir hier zu schwül; wir wollen fest an die Arbeit gehen, damit wir baldigst von hier wegkommen!«

Wir arbeiteten nun wie die Bären; Stamm um Stamm mußte fallen, und als die Woche vergangen war, hatten wir nur noch das Schlußfeld an das Floß zu fügen.

Ich war eine ziemliche Strecke landeinwärts gegangen, um gute, haltbare Bandruten zu schneiden, hatte ein hinreichendes Bündel zusammen bekommen und streckte mich zu einer kurzen Ruhe auf den Boden nieder. Es war so still rundum, daß ich jedes Blatt fallen hören konnte.

Da vernahm ich aus einiger Entfernung ein ganz leises Rascheln. Es war nicht in den Zweigen, sondern auf dem Boden. War es eine Schlange, ein sonstiges Kriechtier oder ein Mensch? Nur mit den Finger- oder Zehenspitzen den Boden berührend, kroch ich geräuschlos auf die Stelle zu, und was meint ihr, Gentlemen, was ich sah? Einen Indianer in voller Kriegerrüstung. Es war ein Choctaw, noch jung, denn ihr wißt ja, daß manche Stämme nur die jungen Leute, um deren Mut und ihre List zu erproben, zu Kundschaftern verwenden. Jedenfalls hatte er den Auftrag, das Ufer des Flusses abzusuchen. Er hatte noch keine von unsern Spuren bemerkt und wand sich mit ziemlichem Geschick durch die Büsche. Ich hatte schon manchmal eine rote Haut geritzt und wußte, daß ich ihn nicht entkommen lassen durfte, wenn ich nicht unser Leben auf das Spiel setzen wollte. Da galt kein Zögern. Ich zog das Messer, zwei Sprünge – er wandte sich nach mir, gab dadurch die Brust frei, und in demselben Augenblick fuhr ihm die Klinge ins Herz.

Der arme Bursche konnte mich eigentlich dauern; er war ohne Kampf und auf seinem ersten Kriegspfad gefallen. Aber die Prärie ist eine grausame, unerbittliche Herrin, die keine andre Schonung kennt, als nur die eigene. Er war so gut getroffen, daß er nicht einen Laut hatte ausstoßen können. Ich ließ ihn liegen, nahm mein Bündel und eilte zu Lincoln.

»Habt Ihr ein wenig Zeit, Sir?« fragte ich ihn.

»Wozu?«

»Einen Indsman in das Wasser zu schaffen; ich traf ihn zwei Gänge von hier beim Spionieren und gab ihm das Messer.«

Ohne ein Wort zu sagen, ergriff er die Büchse und folgte mir. Bei der Leiche angekommen, bog er sich zu ihr nieder.

»Tim Kroner, Ihr habt einen famosen Stoß. Hättet Ihr den Spion nicht getroffen, so wären wir verloren gewesen. Ich sehe nun, Ihr seid wirklich ein ganzer Mann geworden. Hier meine Hand; wir sind Freunde!«

»Topp! Für diese Ehre lasse ich sogar den Kanada-Bill laufen. Aber was nun?«

»Was nun? Sagt Eure Meinung, Tim; ich möchte sehen, ob Ihr das Richtige trefft.«

»Wir machen das Floß, so weit wir es gebaut haben, ganz fertig; das erfordert keine halbe Stunde; dann sehen wir uns nach den Indsmen um, damit wir wissen, woran wir sind. Es ist möglich, daß sie das Fort überfallen wollen, und dann müssen wir den Colonel warnen.«

»Richtig! Greift zu!«

Die Waffen des Indianers wurden unter Moos und Laub versteckt und er dann selbst so unter Wasser befestigt, daß der Leichnam nicht emporsteigen und vor der Zeit zum Verräter werden konnte. Dann ging es über das Floß her. Die Stämme des Schlußfeldes lagen bereit. Sie bekamen einstweilen Notbänder, da wir diese später mit festeren vertauschen konnten; die bereits fertigen Ruderstangen wurden befestigt; dann brachten wir alles auf Vorrat geschossene Wild nebst den vorhandenen Kien- und Feuerspänen auf das Floß und waren nun, wenn die Not eine schnelle Abfahrt erforderte, dazu bereit.

Jetzt kehrten wir zu der Stelle zurück, wo ich den Choctaw getroffen hatte, und verfolgten von hier an seine Fährte. Sie war sehr deutlich zu erkennen, was bei einem alten Krieger sicherlich nicht der Fall gewesen sein würde, und wir kamen daher, den Blick immer zur Erde senkend, schnell vorwärts.

So waren wir bereits weit über eine Stunde durch den Wald dahingeschritten. Da es allmählich zu dunkeln begann, fürchteten wir schon, daß wir die Spur nicht mehr erkennen und die Indianer nicht finden würden. Plötzlich bemerkten wir, daß wir uns nicht mehr im tiefen Forst, sondern innerhalb einer schmalen Waldzunge befanden, die sich tief in eine freie Grasfläche schob, die entweder eine größere Lichtung oder eine weite, einschneidende Savannenbucht sein mußte.

Draußen lagen die Gesuchten im Grase oder tummelten ihre Mustangs umher. Wir schätzten auf dreihundert Krieger, und da es nur Choctaws waren, konnten wir vermuten, daß die ihnen verbundenen Komantschen auch in der Nähe seien. Wir standen zwischen hohen Farnkräutern und konnten das ganze Lager überblicken. Die Roten hatten schon die Abendfeuer angezündet; sie wurden nicht in der unvorsichtigen Weise der Weißen Jäger genährt, die Scheit auf Scheit türmen und so zwar viel Wärme, aber auch eine hohe, verräterische Flamme und dichten Rauch erzielen, sondern nach der vorsichtigen Indianersitte, daß man die Hölzer nur mit den Spitzen in die Flammen legt und sie langsam, Rauch und Flamme regelnd, nachschiebt.

Ein Aasgeier kam über den Wald gezogen und begann, Beute witternd, seine Kreise über der Lichtung zu beschreiben. Einer der Indsmen erhob sich, richtete sein Gewehr empor, drückte los und traf so gut, daß der Raubvogel in einer immer enger werdenden Schneckenlinie zur Erde fiel. Wer der Schütze war, sollten wir sofort hören, denn:

»Uff!« ertönte es da seitwärts von unserm Standpunkt. »Der Sohn des ›schwarzen Panthers‹ ist ein großer Krieger. Seine Kugel holt die Schwalbe aus den Wolken!«

Die Worte waren in jenem wunderlichen Gemisch von Englisch und Indianisch gesprochen, dessen sich die Rothäute bedienen, wenn sie mit einem Weißen sprechen. Es steckte also jemand ganz nahe bei uns im Gebüsch, und es war das nicht eine, sondern zwei Personen, denn wir hörten gleich darauf eine andre Stimme in derselben Mundart antworten:

»Aber auch ein unvorsichtiger Mann. Der Kundschafter ist noch nicht zurück, und wir wissen nicht, ob sich etwa Feinde in der Nähe befinden, die durch den Schuß auf die roten Männer aufmerksam werden könnten.«

»Ein Weißer!« flüsterte Lincoln. »Der Schuft ist ebenso unvorsichtig wie der Sohn des ›schwarzen Panthers‹. Er predigt ja so laut, daß man es drüben in San Francisco hören kann. By god, ohne das gute ›Uff‹ wären wir den beiden ganz gemütlich in die Hände gelaufen!«

»Fürchtet sich mein weißer Bruder?« fragte der Indianer mit stolzem Ton. »Er ist zu uns gekommen, um uns das Haus des Kriegshäuptlings zu öffnen, und Manitou hat uns eine gute Medizin gesandt, die unsre Tomahawks scharf und unsre Messer spitz und sicher macht. Das feste Haus der Weißen wird verbrannt, ihr Haupt skalpiert und ihr Pulver von uns genommen werden.«

»Und jeder Offizier muß vorher hundert Streiche leiden; so hat es mir mein roter Bruder versprochen!«

»Der ›schwarze Panther‹ hat es gesagt, und er bricht nie sein Wort. Deine weißen Feinde sollen die Streiche erhalten. Aber der rote Mann kämpft nur mit der Waffe; er schlägt keinen Feind mit der Rute. Du mußt die Streiche selbst geben, Howgh!«

»Desto besser. Die Krieger der Komantschen kommen noch diese Nacht; dann sind wir stark genug, und wenn die Sonne noch einmal im Westen gesunken ist, wird das Fort vernichtet.«

» Zounds, der Kanada-Bill!« meinte ich leise.

Lincoln nickte und nahm mich bei der Hand.

»Zurück und fort von hier! Wir könnten die beiden niederstechen, hätten aber damit nichts gewonnen, sondern viel verloren. Wir müssen sofort abfahren und den Colonel warnen. Wir kennen jetzt die Zeit des Ueberfalls, und das ist die Hauptsache. Der Tod dieser beiden Halunken würde eine Aenderung darin hervorbringen, die uns nicht lieb sein kann.«

Wir zogen uns leise und vorsichtig zurück und eilten, als wir außer Hörweite gekommen waren, mit raschen Schritten unserm Landeplatz zu. Wir wußten, daß nur ein Kundschafter ausgeschickt worden war; dieser war gefallen, und so hatten wir keine feindliche Begegnung zu fürchten.

Es war kaum eine Stunde vergangen, so schwammen wir bereits auf dem Wasser. Das Floß war viel größer als dasjenige, mit dem ich nach dem Fort gekommen war, und seine Führung nahm, besonders da es Nacht war, unsere ganze Kraft und Aufmerksamkeit in Anspruch. Doch ging die Fahrt glücklich vonstatten, und der Mittag war noch ziemlich fern, als wir bei Smoky-Hill anlegten.

Eine Abteilung Infanterie hielt in der Nähe des Wassers Schießübungen, die der Colonel selbst überwachte. Er erkannte mich, bevor ich noch das Land betreten hatte. »Ah, Master Kroner! Braucht Ihr wieder Axt und Pulver?«

»Heute nicht, Sir, sondern wir kommen, weil ich denke, daß Ihr uns braucht.«

»Ich euch? Wozu?«

Wir sprangen ans Ufer.

»Die Choctaws und Komantschen wollen heute nacht das Fort überfallen.«

»Alle Teufel! Ist's wahr? Ich habe gewußt, daß sie sich in der Nähe umhertreiben, doch meinte ich, sie hätten mit den Creeks und Seminolen genug zu tun, denen sie noch vor drei Tagen ein hübsches Treffen geliefert haben, wie mir meine Leute berichteten.«

»Der Kanada-Bill hat sie gegen Euch gehetzt.«

»Wißt Ihr das genau, Mann? Dann ist er wieder stromauf gegangen, als ihn seine Bedeckung verlassen hat. Hätte ich dem Menschen doch die Kugel geben lassen! Erzählt!«

»Da seht Euch erst einmal meinen Maat an! Abraham Lincoln heißt er und ist ein Kerl, der es noch zu etwas bringen kann!«

» Well, Master Lincoln, will es Euch wünschen! Aber nun macht, daß ich die Hauptsache erfahre!«

Wir erzählten ihm das gestrige Abenteuer.

»Schön, gut!« lachte er, als wir zu Ende waren, in seiner sichern, überlegenen Weise. »Ich danke euch, Mesch'schurs, für den Wink und werde ihn gehörig benutzen. Wollt ihr das mitansehen, oder schwimmt ihr weiter?«

»Wir bleiben hier, wenn Ihr's erlaubt, Sir. Ein seltenes Vergnügen darf man nicht versäumen.«

»So kommt herein und macht es euch bequem!«

»Später!« meinte Lincoln. »Wir werden unser Floß eine halbe Meile weiter unten anlegen, damit es den Roten nicht vor die Augen kommt. Sie werden auf alle Fälle erst die Umgebung des Forts absuchen, und da ist es nicht nötig, sie wissen zu lassen, daß jemand von oben herabgeschwommen ist. Sie könnten, da ihnen der Kundschafter verloren ging, Verdacht schöpfen.«

Dieses durch die Vorsicht gebotene Vorhaben wurde ausgeführt; dann kehrten wir zum Fort zurück, wo bereits alle Vorkehrungen zum Empfang der Rothäute im Gang waren. Die Außenposten wurden eingezogen, um den Indianern das Anschleichen so leicht wie möglich zu machen, die vier Kanonen mit Kartätschen geladen, und jeder Mann erhielt außer der Doppelbüchse oder dem zweiläufigen Karabiner eine Pistole und ein scharfes Bowiemesser. Die Offiziere waren ohne Ausnahme jeder mit mehr als einem Revolver bewaffnet. Es galt, die Feinde gleich beim ersten Angriff mit möglichst viel Schüssen zu begrüßen.

Wir saßen am Abend mit an der Offizierstafel, und es war erstaunlich, was Lincoln in der Unterhaltung für ausgezeichnete Kenntnisse entwickelte. Trotz seiner Bescheidenheit schlug er einen der Gentlemen nach dem andern, und als die Rede dann auf den Ueberfall kam, meinte er:

»Die Hauptsache wäre, sie nicht bloß zu empfangen, sondern in der ersten Verwirrung mitten unter sie hineinzufahren. Ich rechne, wenn wir erfahren könnten, wo sie die Pferde lassen, so sind sie auf alle Fälle verloren. Ihr habt eine Anzahl Dragoner zur Verfügung, Colonel; laßt diese Leute nach der ersten Salve aufsitzen und sich der Pferde bemächtigen, oder – bounce, da kommt mir ein Gedanke! Habt Ihr Raketen oder sonst ein Feuerwerk bei der Hand, vielleicht einige Schwärmer?«

»Die könnt Ihr haben, Sir. Was wollt Ihr damit?« »Die Pferde versprengen. Tim, geht Ihr mit?«

»Natürlich!« antwortete ich.

»So brauche ich weiter keinen, Colonel. Besorgt das Zeug und laßt uns dann hinaus!«

»Das könnt Ihr doch unmöglich wagen!«

» Pshaw! Man hat noch andre Dinge zu wagen als das. Eine Lunte oder zwei müssen wir haben, um uns nicht durch Feuerschlagen zu verraten.«

Aus Rücksicht auf uns wollte man nicht auf diesen Vorschlag eingehen; Lincoln überwand alle Bedenken, und bald schlichen wir, jeder mit einer Lunte und den nötigen Feuerwerkskörpern versehen, hinaus in den Wald.

Die Aufgabe, die wir uns gestellt hatten, war schwer und gefährlich, aber mit einiger Vorsicht konnte ihre Lösung gelingen. Es war anzunehmen, daß die Roten ihre Pferde nicht im Walde anhobbeln, sondern im Freien unter der Aufsicht einiger Leute zurücklassen würden; darum wandten wir uns so bald wie möglich nach rechts, wo sich eine Reihe von Lichtungen, wie kleine Binnenseen, in den Forst hineinzog.

Als wir am Rand der ersten dahinglitten, faßte der voranschreitende Lincoln plötzlich meinen Arm und zog mich in das Gebüsch. Er hatte sehen können, was seine Gestalt mir verdeckte: ein Indianer kam im Schatten der Bäume dahergeschlichen, neben ihm ein Weißer.

»Der Kanada-Bill mit dem ›schwarzen Panther‹,« flüsterte mein Gefährte.

Es war so dunkel im Schatten, daß man das Gesicht von Jones nicht deutlich erkennen konnte, aber es verstand sich von selbst, daß es kein andrer war. Die beiden gingen als Beobachter voran. In einiger Entfernung von ihnen bewegte sich eine unabsehbare Schlange von Indsmen, immer einer hinter dem andern, und wir mußten eine sehr lange Zeit warten, bis der letzte vorüber war.

»Ein schöner Zug, Tim! Erst die Choctaws und dann die Komantschen, zusammen wenigstens sechshundert rote Felle. Der Colonel wird einen harten Stand bekommen und wir nicht minder. Ich hoffe, daß unser Feuerwerk ausreicht.«

Wir setzten unsern Weg fort und hatten kaum den Rand der zweiten Lichtung erreicht, so sahen wir im Halbdunkel der Sternennacht, was wir suchten. Mitten auf dem freien Platz lag eine dunkle Masse. Es waren die Pferde.

»Nur die von dem einen Stamm. Der andre wird die seinen weiter hinten gelassen haben. Komm!« sagte Lincoln.

Wieder ging es vorwärts bis zu der dunklen Ecke, hinter der sich die nächste Lichtung verbarg.

» Well, dort sind die andern, und auch die Wächter dabei, hier drei Mann und dort vier. Denkt Ihr, daß wir an sie herankommen können?«

»Warum nicht? Das Gras ist hoch, und wenn wir ihnen den Wind abgewinnen, so daß uns die Tiere nicht verraten, so wird es gehen.«

»Der Indsman überfällt den Feind am liebsten gegen Morgen; diese aber dünken sich so sicher und stark, daß sie schon jetzt beginnen. Ich rechne, sie sind bereits in der Nähe des Forts angekommen; wir können also anfangen. Aber, Tim, nur Messer und Tomahawk darf arbeiten; nur keine laute Waffe!«

Er legte sich zu Boden und wand sich, unsichtbar und geräuschlos wie eine Schlange, durch das Gras. Ich folgte dicht hinter ihm. Wir kamen den drei an der Erde sitzenden Indianern so nahe, daß wir beinahe ihren Atem zu hören vermochten. Ein kleines Hufgefecht zwischen zwei Pferden verursachte ein Geräusch, das es uns ermöglichte, bis auf Griffweite an den Rücken der ahnungslosen Männer zu kommen. Ich sah das Messer Lincolns blitzen, nahm auch das meine zwischen den Zähnen hervor und stieß zu. Zwei waren still.

»Ugh!« rief der dritte, emporspringend, sank aber sofort, von dem Tomahawk Lincolns getroffen, wieder zusammen.

»Tot, alle drei! Tim, der Handel fängt nicht unrecht an. Nun zu den vier da drüben! Vorwärts!«

Dieses Mal wurde es uns nicht so leicht. Wir mußten, um den Wind gegen uns zu bekommen, einen Umweg machen, und da einer von den vier Männern aufrecht stand, so konnten wir von ihm leicht bemerkt werden. Unter Anwendung aller Vorteile kamen wir dennoch immer weiter an sie heran und – ja, da erscholl aus weiter Ferne ein satanisches Geheul, dem ein fürchterlicher Schwall von Schüssen folgte. Die Indianer hatten ihren Angriff auf das Fort begonnen.

»Jetzt ist alles gleich, Tim,« flüsterte Lincoln. »Nehmt den Revolver; aber keiner darf entkommen, Go on

Im nächsten Augenblick war er mitten unter ihnen, ich an seiner Seite. Vier leichte Knalle, einige nachhelfende Hiebe und Stiche, und wir waren auch hier Herren des Platzes.

»Das ging! Jetzt brauchen wir weder Lunte, noch Feuerwerk, Tim, um ein Meisterstück auszuführen, von dem man hier noch lange erzählen soll. Es sind Indianer-Pferde, merkt's wohl, und gewohnt, eins hinter dem andern zu gehen. Schnell die Riemen an die Schwänze!«

Das war allerdings ein Gedanke, den nur ein Lincoln haben konnte, aber er kam nicht zur Ausführung, denn wir vernahmen jetzt die tiefen Stimmen der Kanonen und gleich darauf einen hundertstimmigen Schrei, der uns vom Stand der Dinge unterrichtete.

»Es ist keine Zeit dazu; sie fliehen und werden gleich hier sein. Heraus mit den Schwärmern! Springt schnell zur andern Herde! Ihr braucht die Tiere gar nicht loszupflöcken, sie reißen sich selbst los. Da drüben bei den Hickorys treffen wir uns!«

Ich eilte zu der ersten Pferdetruppe zurück, riß Feuerzeug und Lunte heraus, setzte die Zünder in Brand und warf dann alles mitten unter die Tiere hinein. Als ich zu den Hickorys kam, wartete Lincoln schon auf mich.

»Paßt auf, Tim; es wird gleich losgehen!« lachte er.

Beide Herden ließen ein verdächtiges Schnauben hören; die Tiere erkannten am Geruch die Gefahr. Da prasselte, knallte und sprühte es los, erst drüben, dann hüben; im Funkenregen sahen wir die glühenden Augen, schnaubenden Nüstern und gesträubten Mähnen der erschreckten und an den Lassos zerrenden Tiere. Dann bäumte es sich empor mit aller Kraft, wogte erst ratlos hin und her, bis es im vollen enggeschlossenen Trupp ausbrach und in der Richtung grad nach dem Fort zu dahinsauste.

»Herrlich, prächtig, Tim! Sie reißen, stürmen und treten ihre eignen Herren nieder, von denen sicher kein einziger wieder zu seinem Tier kommt. Ich wette, sie werfen sich in den Fluß und werden dann vom Fort aus leicht gefangen!«

Wir konnten jetzt nichts Besseres tun, als uns im Gebüsch verbergen. Augen und Ohren blieben offen, und wenn wir auch nichts zu sehen vermochten, so hörten wir desto mehr: das Wutgeheul der enttäuschten Indsmen, die statt ihrer Pferde die Leichen der Wächter fanden, den Galoppschlag der Dragoner, die hinter den Fliehenden hergestürmt kamen, das Krachen der Karabiner und Pistolen, das sich nach und nach in die Ferne verlor, und dann zuweilen ein leises Rascheln, das von einem Flüchtling herrührte, der sich in das Dickicht geworfen hatte.

Erst als der Morgen zu grauen begann, verließen wir unser Versteck und traten auf die Lichtung, wo die Leichen der Getroffenen lagen. Um das Fort herum sah es wie auf einem Schlachtfeld aus; Indsman lag an Indsman, getroffen von den Kugeln der Soldaten, deren jeder hinter den Palissaden seine zwei, drei Mann aufs Korn genommen hatte, und vor dem Tor lag ein entsetzlicher Haufe von Leichen und zerrissenen Gliedern hochaufgetürmt; das hatten die Kartätschen getan.

Der Colonel empfing uns strahlenden Blicks.

»Kommt herein in den Hof, wenn ihr euer Werk sehen wollt! Ich glaubte euch beinahe verloren, da ihr so spät eintrefft. Seht hier den Leichenturm! Das ist das Werk des Kanada-Bill, denn kein andrer hat die Roten verführt, einen geschlossenen Angriff zu unternehmen, als der erste Anprall so glanzvoll abgewiesen wurde.«

»Ist er unter den Toten?«

»Hier nicht; er müßte sich weiter draußen finden.«

Im Hof stand eine ganze Herde eingefangener Indianerpferde.

»Schaut her, Mesch'schurs, euer Eigentum, das ich euch abkaufen werde, wenn ihr die Tiere nicht mit auf das Floß nehmen könnt. Ich glaube, die Roten lassen es sich nicht gleich wieder einfallen, Smoky-Hill anzugreifen; und das haben wir euch zu verdanken, ohne die wir wohl verloren gewesen wären. Kommt herein, damit ihr seht, Wie hoch wir den Gewinn bei diesem › Three carde monte‹ rechnen können!« – – –


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