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8. Kapitel.
Eddys Geburtstag

Die Tage folgen sich, doch sie gleichen sich nicht.

Nach einer Reihe Regentage klärte sich der Himmel auf. Er glänzte in schöner hellblauer Farbe, und die Sonnenstrahlen malten im Garten auf dem sandigen Spielgrund unter den hohen Eichen und Buchen die allerschönsten Kringel und Kreise.

Lotte hatte das Wetterglas alle Tage mit kritisch gefalteter Stirn betrachtet. Am liebsten hätte sie den kleinen feinen Zeiger auf »Schön Wetter« geschoben und dort festgenagelt.

Sie litt große Not um das Wetter, denn Ende August fand Eddys Geburtstag statt, der alljährlich mit großer Festentfaltung gefeiert wurde.

Auch dieses Jahr sprachen die Kinder schon wochenlang vorher von diesem Tage. Nicht nur öffentlich, auch heimlich tuschelten sie zusammen, denn es galt als Ehrensache, an diesem hohen Festtage irgend welche Ueberraschung, oder, wie Lotte es lieber nannte, eine »Jaschung« zu machen.

Ja Lotte, der jedes Stillsitzen verhaßt war, hatte sich dazu aufgeschwungen, daß sie Eddy ein schönes Buchzeichen auf weißen Papierkannevas gestickt hatte. Das Muster und Motiv waren ihre ureigenste Erfindung.

Zu oberst stand in Goldperlen die Jahreszahl. Dann kam ein zierliches Kränzchen aus blauseidenen Vergißmeinnicht gestickt. Darunter wurde ein flammendes Herz sichtbar, das von einem Kranze aus Goldperlen eingeschlossen gehalten wurde. Ein zweiter Kranz aus Vergißmeinnicht beendete das ebenso sinnreiche, wie farbenprächtig ausgewählte Muster des Buchzeichens.

O, Lotte war sehr stolz auf ihre Erfindung und Ausführung des Geschenkes. Wohl zehnmal am Tage betrachtete sie es mit glückstrahlenden Augen.

»Nur für Eddy arbeite ich solch feines Geschenk,« dachte sie, »bei Karlhans, der später als Lehrling in die Schmiede kommt, wäre solch Buchzeichen viel zu fein und kostbar.«

So war der Festtag herangekommen.

Am Tage vorher hatte Lotte ihre Abneigung gegen die rußige Schmiede überwunden. Sie hatte sich in der Mittagspause, als der mächtige Schmiedeblasebalg schwieg und die Arbeiter ihre Werkstatt verlassen hatten, eingeschlichen, um den alten Jatko zu suchen.

Der alte Jatko war seit vielen Jahrzehnten als Vorgeselle in der Schmiede angestellt. Ein großer, breiter Goliath mit einem Kinderherzen. Sein Gesicht glänzte nicht nur von Gutmütigkeit, sondern auch von Ruß.

Als Karlhans und Lotte noch jünger gewesen, hatten sie sich vor Jatko wacker gefürchtet. Karlhans hatte ihn auch später den Namen Goliath verliehen, nach Jahren aber, als er ihnen allerlei hübsche Kästchen und Döschen schmiedete, ja als Meisterstück hatte er für Lottes Puppe ein zierliches eisernes Bettstell gefertigt, da hatte er, trotz seines wilden Aussehens sich die Liebe der Kinder errungen.

Noch heute schwur Karlhans auf Jatko. Neben ihm am Amboß stehend, lernte er die ersten Kunstgriffe des Schmiedehandwerks. Jatko war es auch, der Karlhans beredet hatte, später eine Schmiedefachschule zu besuchen.

»Dann bringst du das Handwerk hoch, und Handwerk hat einen goldenen Boden,« so sprach der alte Geselle, und fand in Karlhans einen aufmerksamen Zuhörer und Schüler.

Freilich Lotte hatte sich in den letzten Jahren etwas mehr von ihrem rußigen Freunde zurückgezogen, doch sobald sie irgendwelchen schwer zu erfüllenden Wunsch hegte, dann wendete sie sich gewiß an Jatko, und dieser erfüllte die Wünsche seiner kleinen Freundin auf das allerbeste und pünktlichste.

So schlich auch Lotte erst vorsichtig um die Schmiede, dann als sie gefunden hatte, daß nur Jatko noch in der Schmiede weilte, da faßte sie sich ein Herz und trat schnell näher.

»Ah, mein Liebling!« rief der alte Geselle voller Freude aus. »Bist ein seltener Gast bei uns, nun aber, was wünscht sich unser Herzenskind?«

Mit diesen Worten, die Lotten jedes Bitten ersparte, empfing der alte Mann seinen Liebling.

Seine beiden Hände hielt er fest zusammengelegt, er fürchtete sonst in die Versuchung zu kommen und Lotte seine »schwarzen Tatzen« entgegen zu strecken.

Lotte kam schnell näher, und auf den Fußspitzen neben dem alten Gesellen stehend, flüsterte sie ihm ins Ohr: »Du, Jatko, willst du mir einen Gefallen tun?«

Der Alte nickte, ein zufriedenes Lächeln spielte um seine Lippen.

»Aber gern,« erwiderte er bedächtig, während seine Augen wie feurige Kohlen aus dem geschwärzten Gesichte strahlten.

»Morgen ist Eddys Geburtstag,« begann Lotte.

»Weiß ich schon, Lotting, Karlhans hat ihm ein nettes Kästchen geschweißt, aber du, soll ich dir etwas schmieden?«

»Nein, nein,« wehrte Lotte ab. »Ich möchte so gern –« sie ließ eine Pause eintreten.

»Na, dann schieß los, fackele nicht lange. Keine Sorge, der Jatko besorgt alles auf das beste.«

»Weiß ich, deshalb komme ich zu dir,« erwiderte Lotte feierlich. »Ich möchte gern zwei riesenlange Sonnenblumen,« platzte Lotte heraus.

»Zwei Sonnenblumen? Wozu solche gelben, steifen Dinger?«

»Ich finde sie schön und möchte Eddy vor seiner Zimmertür, gleichsam als Schildwachen, zwei mächtige große Sonnenblumen als Geburtstagsgruß und -strauß hinstellen, aber – unsere Sonnenblumen sind dieses Jahr man nur mickrig,« fuhr Lotte eifrig fort.

»Da soll ich dir große, lange verschaffen?« fragte Jatko etwas beklommen. Der Auftrag sagte ihm nicht zu, hier konnte er ja gar keine Kraft entfalten, und Blumen waren dem alten Gesellen stets sehr minderwertige Dinge gewesen.

»Kannst du sie nicht besorgen?« fragte Lotte. »Schade, ich hatte mich so auf die Ausführung meiner Idee gefreut,« sie versuchte ihre Enttäuschung nicht zu bemänteln.

»Wer sagt, daß ich es nicht kann?« fragte der Schmied. »Ich weiß nur im Augenblick nicht, woher ich die Dinger nehmen soll.«

»Die schönsten stehen in Lehrer Hoppes Garten,« flüsterte Lotte ihrem Verbündeten zu.

»Aha – na, da darfst du dich auf mich verlassen. Auf die Sonnenrosen darfst du feste rechnen, also zwei Stück – recht hohe –«

Lotte nickt, heimliches Glück strahlte aus ihren Augen, und in der Freude ihres Herzens reichte sie Jatko die Hand, die der alte Geselle recht herzhaft zwischen seine Fäuste preßte. –

Vom nahen Kirchturm tönte die erste Nachmittagsstunde, die Mittagspause war vorüber, bald mußten die übrigen Arbeiter eintreffen.

»Also ich verlasse mich auf dich, lieber Jatko, punkt sechs Uhr heute abend erhalte ich die Blumen.«

»Ein Mann ein Wort,« erwiderte der Alte. Er gab Lotte noch das Ehrengeleit bis zum Tor, dann schürte er das Feuer auf dem Riesenherd, während Lotte, wippend wie ein Bachstelzchen, dem Hause zuschritt. Sie fühlte sich höchlichst zufrieden.

»Es muß lieb aussehen, die goldenen Riesenblumen als Schildwachen vor Eddys Zimmertür. Rosen, Nelken, Levkojen schenkte ich ihm jedes Jahr. Dieses Mal soll es etwas ganz Besonderes sein.«

Dann betrachtete Lotte ihr Buchzeichen noch einmal genau, dann aber flatterte sie hinaus in den Garten; sie hatte gestern die Entdeckung gemacht, daß der große Reineclaude-Baum reife Früchte trug, und daß eine hübsche Anzahl lockend im Bereich ihrer Hände hingen.

»Ehe Karlhans es wittert,« dachte Lotte, sich den Magen streichend. »Reineclauden sind meine Lieblingsfrüchte.«

Lotte wechselte oft und rasch mit ihren Lieblingsfrüchten.

Zuerst schwärmte sie für Erdbeeren, dann kamen Stachel- und Johannisbeeren, etwas später Kirschen daran, sie wechselte eben mit der Jahreszeit ihre Geschmäcke und kam so glänzend auf ihre Rechnung.


Voller Pracht war der Geburtstag angebrochen. Lotte war vor Tau und Tag aus den Federn gekrochen; obschon sie eigentlich die geborene Langschläferin war; doch heute an Eddys Geburtstag, da hieß es mit den Vögeln munter zu sein.

Mit Hilfe des Hausmädchens hatte Lotte die beiden Sonnenblumen, Jatko hatte mehrere Exemplare herbeigeschafft, vor Eddys Zimmertür aufgestellt.

Es sah wunderhübsch aus, die riesigen Blüten prangten in goldener Pracht, und Lotte war mit ihren »Arrangements« sehr zufrieden.

Sie wählte ihren Platz in der Ecke hinter dem Kleiderschrank, der fast die ganze Breite des Vorsaales einnahm.

Von hier aus konnte Lotte das Terrain überschauen. Ihr klopfte das Herz, sie hatte mit Karlhans gewettet, wer am ersten zur Stelle sein würde, und nun war sie unbestritten die erste, welche Eddy Glück zum Geburtstage wünschte.

Auf den Fußspitzen schleichend, damit Karlhans sie nicht hörte, hatte sie ihr Stübchen und ihr Elternhaus verlassen.

»Er hat sich verschlafen,« dachte Lotte, und ein wonniges Gefühl der Ueberlegenheit schwellte ihr das Herz.

Zu langem Ueberlegen blieb Lotte keine Zeit, schon hatte die alte Schwarzwälderuhr die siebente Stunde angeschlagen, als die Tür zu Eddys Schlafzimmer sich öffnete und das Geburtstagskind heraustrat.

Eddy stutzte und blieb, gleichsam im Anblick der Sonnenblumen versunken, auf der Türschwelle stehen.

Im selben Augenblick aber erklangen rasche, eilige Schritte auf der Treppe, und Karlhans' schlanke Knabengestalt wurde sichtbar; doch schnell entschlossen stürzte Lotte vor, den Bruder so den Rang ablaufend und als erste Gratulantin vor Eddy stehend.

»Lieber Eddy,« stammelte Lotte. Von Rührung übermannt vermochte sie nicht ihren Glückwunsch aufzusagen. Schüchtern streckte sie dem Freunde die Hand entgegen, die das Buchzeichen hielt.

»Liebe Lotte,« erwiderte Eddy, »wie herzig von dir, so früh zu kommen, ich –«

»Ich war noch früher hier,« behauptete Karlhans keck. Er überreichte seinen Eisenkasten mit größter Wichtigkeit.

»Hm, ich stehe eine halbe Stunde hier, aber dich habe ich nicht gesehen,« erwiderte kampflustig Lotte. »Ich wartete auf Eddy,« setzte sie schämig hinzu.

»Ich verweilte länger als nötig, Vater hatte mir den Geburtstagstisch, während ich schlief, aufgebaut. Ein Buch fesselte meine Aufmerksamkeit, ›Fürst Bismarck‹, für die Jugend erzählt. Ich hatte mir es schon lange gewünscht, aus dem Leben unseres großen Kanzlers zu lesen.«

Die Kinder waren in das Zimmer getreten. Am Fenster stand der Gabentisch. Reicher Blumenschmuck schloß die zum größten Teil sehr wertvollen Gaben ein.

Natürlich fehlte es dabei nicht an Süßigkeiten, besonders ein großer Kasten mit Schokoladekatzenzungen stach Karlhans zuerst in die Augen.

Was gab es da nicht alles zu sehen. Mehrere Werke, darunter ein elegant gebundener Schiller, Buntstifte und ein Malkasten. Ein Herbarium nebst Blumenpresse, ein Kasten mit Werkzeug und eine große Laubsäge. Daneben hing ein neuer Kieleranzug, Taschentücher, Handschuhe, Bleistifte und verschiedene Kleinigkeiten.

Eddy und Lotte standen Hand in Hand. Das Buchzeichen hatte er mitten auf den Tisch gelegt; doch auch Karlhans' wirklich kunstvoll gearbeiteter Kasten erhielt einen guten Platz.

Noch standen und bewunderten die Gespielen alle die Herrlichkeiten, als Schwester Grete erschien.

»Eddy, vergiß dein Frühstück nicht,« mahnte sie, nachdem sie ihre Glückwünsche angebracht hatte. »Ihr, Karlhans und Lotte, kommt mit in das Eßzimmer, ich habe, da ich Euch erwartete, gleich für euch mitdecken lassen.«

Das ließen sich die Geschwister nicht zweimal sagen, sie polterten die Treppe hinab, nachdem Eddy seine Schwester auf die Sonnenblumen aufmerksam gemacht hatte.

»Sind sie nicht köstlich, Lotte hat mich damit überrascht.«

Schwester Grete fand die Idee sehr eigenartig.

»Wie zwei Schildwachen,« warf Lotte ein.

»Was du für komische Ideen hast,« meinte Karlhans. »Blumen können doch niemals Schildwachen sein. Was solch ein Mädchenkopf sich Rares ausdenkt, ein Junge, wäre niemals auf diesen Gedanken gekommen.«

»Kann schon sein, doch ich finde den Gedanken sehr anmutvoll,« schloß Schwester Grete.

Auf dem Mitteltisch prangte ein großer Napfkuchen, auf dem in der Mitte das Lebenslicht und darum herum vierzehn kleine Kerzen brannten.

Beim flackernden Schein dieser Kerzen verzehrten die Kinder mächtige Stücke des Geburtstagskuchens.

Es galt sich zu beeilen, die Schulzeit rückte heran, erst am Nachmittag sollte die eigentliche Feier stattfinden.

Schwester Grete gab jedem noch ein Stück Torte mit auf den Weg. »Damit ihr nicht verhungert,« fügte sie lachend hinzu.

Dann wanderte das lustige Kleeblatt in schönster Einigkeit den Weg zur Schule. Lotte bog bald ab, noch ein letzter Gruß, dann holte sie ihre Mitschülerinnen Aenny Mauersmann und Hilde Reichel ein.

»Bist du heute mit zum Geburtstagsfest geladen?« fragte Hilde schnippisch.

»Aber natürlich,« erwiderte Lotte. »Weshalb nicht, wir spielen doch jeden Tag zusammen,« setzte sie erklärend hinzu.

»Immer nur mit Jungen spielen, das paßte mir nicht,« bemerkte Aenny, hochmütig den hübschen Kopf aufwerfend. »Meine Mama meinte auch gestern, so was schicke sich nicht.«

»Schickt sich nicht?« wiederholte Lotte. »Wir haben immer zusammen gespielt; deshalb –«

»Deshalb bist du auch solch wildes Mädchen geworden. Mit uns gehst du niemals spazieren,« setzte Hilde giftig hinzu.

»Weil ich keine Zeit dazu habe, ich helfe schon Mutting in der Wirtschaft,« verteidigte sich Lotte.

»Wohl in der rußigen Schmiede?« warf Hilde ein.

Lotte errötete, Hilde hatte den wunden Punkt getroffen, allein Lotte war klug genug, ihren Unmut nicht zu zeigen; sondern sie ging die wenigen Schritte, die noch bis zur Mädchenschule führten, ruhig neben ihren Mitschülerinnen hin.

Hilde und Aenny ahnten nicht, wie schwer Lotten ihr Schweigen wurde, am liebsten hätte sie losgeschlagen, um ihren inneren Groll zu betäuben; aber Mutter hatte ihr noch gestern gesagt: »Ein anständiger Mensch muß sich zu beherrschen verstehen, man darf seinen Launen, seinem Zorn und Aerger niemals die Zügel schießen lassen, sonst ist man nicht mehr Herr über seine Entschließungen und Handlungen.« An diese Ermahnung mußte Lotte denken, als sie die Schultreppe hinaufstieg.

»Sie ist verstockt,« tuschelte Hilde ihrer Busenfreundin zu.

Lotte fühlte, wie ihr Groll sich verflüchtete, die Mädchen waren doch nur neidisch, sie wären am liebsten mit zum Geburtstagsfest gegangen; aber Eddy machte sich nichts aus den Zimperliesen, und erst gar Karlhans konnte »die Affen für den Tod nicht leiden«.

Doch ein kleiner Tropfen Wermut war in Lottes Freudenbecher gefallen, erst als ihr Lieblingslehrer in der Klasse erschien, hellte sich ihr Gesichtchen auf, und bald war die leiseste Erinnerung an den gehabten Aerger verschwunden.


Eddy hatte keine zahlreiche Gesellschaft an seinem Geburtstage geladen.

»Wir spielen am schönsten allein,« hatte er auf eine diesbezügliche Frage seiner Schwester geantwortet.

So waren nur noch zwei Knaben, die Söhne von Eddys Onkel, eingeladen worden.

Die Festtafel, an der auch Schwester Grete teilnahm, war im Garten unter den alten, lieben Bäumen aufgestellt. Mit bunten Blumen reich geschmückt, rief sie den Beifall und das Entzücken der kleinen Gäste hervor.

Freilich, als dann die Kuchenteller und Körbe mit feinem Gebäck und Kuchenstücken aufgetragen wurden, da stieg aller Freude auf den Gipfel.

Dazu gab es zur Feier des Tages heute Schokolade. Was wunder, daß aller Augen höher glänzten und zuerst eine ziemliche Stille eintrat, denn man hatte eben Besseres zu tun, als sich zu unterhalten.

Doch auch der größte Magen kann nur eine gewisse Menge von Speise und Trank aufnehmen, so zeigte es sich auch hier.

Zuerst mußte Lotte ihre Unmöglichkeit, mehr zu genießen, eingestehen, ihr folgte Eddy, dem sich Hans und Max Blume anschlossen. Karlhans hielt noch am längsten Stand, doch endlich mußte auch er die Waffen strecken.

Nun wurden verschiedene Spiele vorgeschlagen, doch, wie es bei solchen Gelegenheiten meist geht, man konnte sich nur schwer auf ein Spiel festlegen, da jeder Teilnehmer ein anderes Spiel vorschlug und bevorzugte. Doch endlich siegte Karlhans' Meinung. Er übte als ältester Knabe eine Art Uebergewicht über seine jüngeren Gefährten aus.

Karlhans war ein leidenschaftlicher Krockettspieler, und bald war eine Anzahl niederer eiserner Bogen in bestimmten Abständen von einander in den Erdboden eingesteckt worden.

Da eine bestimmte Anzahl Mitspieler vorhanden sein mußte, so entschloß sich Schwester Grete, mitzuspielen.

Die hammerartigen Schläger waren bald zur Hand, um die buntgefärbten Kugeln durch die Bogen der Spielbahn zu treiben.

Karlhans spielte mit großer Geschicklichkeit. Seine Bälle wurden elegant geschleudert und verfehlten niemals ihr Ziel; während Fräulein Grete sich ziemlich ungeschickt anstellte und die Partei manchen Wurf durch ihre Ungeschicklichkeit verlor.

Man lachte über ihre Fehler, doch als Karlhans' Partei dadurch ziemlich schlecht abschloß, so verringerte sich seine gute Laune.

War doch sein Ruf als bester Krockettspieler gefährdet.

Doch plötzlich flog Lottes Ball, sie hatte bis dahin sehr fein gespielt, mit einem Ruck über den Rasen. Mit hochrotem Kopfe flog Lotte ihm nach, doch ehe sie den Ausreißer einfangen konnte, verlor er sich in das dichte Ligustergebüsch, das den Platz an dieser Stelle einengte.

.

Jetzt hielt sich Karlhans nicht länger, sein Groll entlud sich in ziemlich heftigen Worten über die Ungeschicktheit seiner Schwester.

»Mädchen verstehen nichts vom Spiel,« behauptete er.

Wohlweislich nannte er nur Lottes Namen, obschon er Fräulein Gretchen mit treffen wollte.

Nun entspann sich ein Streit, der von allen Seiten mit ziemlicher Heftigkeit geführt wurde. Eddy wollte nicht ohne Lotte, die ihren Ball mit Mühe aus dem Gebüsch geklaubt hatte, weiterspielen, und Karlhans behauptete seinen einmal geäußerten Standpunkt.

Max und Hans Blume beteiligten sich nur schwach bei diesem Streit, der von Karlhans und auch von Eddy mit großer Heftigkeit geführt wurde.

Schon schien der Streit in Tätlichkeiten ausarten zu wollen, als Fräulein Grete in die Hände klatschte und sagte: »Wir wollen eine Pause eintreten lassen, ich denke, man hat unterdessen den Kaffeetisch abgeräumt und süße Speisen aufgetragen. Komm, Lotte, wir wollen mal nachschauen, was es gibt.«

Dieser Vorschlag zur Güte fand allgemeine Zustimmung, selbst Karlhans' Aufregung legte sich, er sammelte die Bälle und Schläger ein und brachte sie mit Hilfe von Hans und Max in ihren Kasten zurück; während Eddy sich seiner Schwester und Lotte angeschlossen hatte.

»Das Tischlein decke dich aus dem Märchen,« frohlockte Lotte, als sie vor dem mit verschiedenen süßen Speisen beladenem Tische standen. »Wenn Aenny und Hilde diesen Reichtum sehen könnten,« mußte sie weiter denken, »dann platzten sie vor Neid.«

Das Laufen und Springen hatte den Kindern frischen Appetit gemacht, bald saß man an dem Tisch und labte sich an den köstlichen süßen Speisen.

»Schmeckst du prächtig,« lobte Karlhans, sich den Teller zum zweiten Male mit Kirschpudding füllend.

Fräulein Grete strich ihm liebkosend die Haare aus der Stirn.

»Da ist es nur gut, daß ich besser süße Speisen kochen als Krockett spielen kann,« meinte sie fröhlich lachend.

Einen Augenblick blieb Karlhans stumm, er wurde blutrot – doch schnell faßte er sich.

»Es ist kein Meister vom Himmel gefallen,« erwiderte er treuherzig. »Ich denke, Fräulein Gretchen lernt auch noch Krockett spielen.«

»Das wollen wir hoffen,« war die lustige Antwort. Dann aber wendete sie sich an Eddy.

»Du, es ist wohl Zeit, an die Verlosung zu denken, sonst wird es dunkel, und dann wollt ihr doch die Laternen erleuchten.«

Dieser Vorschlag zur Güte fand allgemeinen Beifall, und das junge Volk strebte unter Lachen und Scherzen dem Hause zu.

Oben im Wohnzimmer war ein Glücksrad aufgestellt, und allerlei niedliche Kleinigkeiten harrten der Verlosung.

»Da schau, deine Sonnenblumen, sie halten Wacht am Gabentisch,« tuschelte Eddy seiner Freundin Lotte zu.

Es sah in der Tat ganz reizend aus, wie die beiden goldenen Blumen an der Schmalseite des Tisches aufgestellt waren. Zwischen ihnen stand das Glücksrad.

»Lotte, du drehst das Rad! Du mogelst nicht,« bemerkte Eddy mit einem raschen Seitenblick nach Karlhans.

»Ich habe auch nicht gemogelt,« verteidigte sich dieser eifrigst. »Die Zahlen waren so wiederholt gefallen.«

»Na, so recht klar war die Geschichte nicht,« schloß Eddy. »Zu Lotte habe ich mehr Vertrauen.«

»Hm, Lotte,« rief Karlhans geringschätzend, »als ob die nicht auch schon Zucker aus Mutters Dose genascht hätte.«

Lotte wurde rot, sie hob die Hand, als wollte sie Karlhans schlagen, doch der drängte sich aalglatt zwischen den neben ihm stehenden Knaben durch, so daß Lottes Hand ihn nicht treffen konnte.

»Er lügt! Er lügt!« rief sie leidenschaftlich aus.

»Laß ihn reden, ich glaube es doch nicht,« begütigte Eddy, »aber nun hier, nehmt jeder zwei Lose. Das Spiel kann beginnen.«

Mit vielem Vergnügen drehte Lotte das Rad. Mit weithin schallender Stimme rief sie die gezogenen Nummern aus.

Hans Blum gewann ein Porzellanpüppchen. Man lachte und verspottete ihn wegen seines Gewinstes, doch der lange Hans erwiderte ganz seelenvergnügt: »Sehe nicht ein, was hier zu lachen ist. Mittwoch ist Base Röschens Geburtstag, meine Taschen sind leer, kein Heller ist mehr drin, da kommt mir das hübsche Püppchen sehr zu recht.«

Weiter drehte Lotte das Rad. Karlhans erhielt ein Notizbuch, Eddy ein Feuerzeug und Lotte eine Zigarrenspitze.

Wieder allgemeines Gelächter. Man suchte sich gegenseitig an Spott zu überbieten. Man fragte Lotte, ob sie in ihren Mußestunden heimlich rauchte? Doch schlagfertig fragte sie Hans Blume, wie ihm die Zigarette am letzten Sonntag im Wäldchen bekommen sei.

»Scheußlich, doch wer hat dir verraten, daß –«

Wutentbrannt blickte Hans seine Freunde der Reihe nach an, doch diese verzogen keine Miene, nur Lotte lachte höhnisch auf und sagte: »Die Bäume haben es mir verraten, an denen Sonntag nachmittag ein sehr schwaches Jüngelchen sich eine Stütze suchend, lehnte.«

»Wer mich verraten hat, den schlage ich tot,« murmelte Hans.

Endlich war der Tisch leer, und alle Geschenke waren an den Mann gekommen. Die Kinder waren hochbeglückt, denn mancher geheime Wunsch war erfüllt worden, ohne daß man das so wie so schlecht bestellte Taschengeld in Mitleidenschaft ziehen mußte.

Nachdem man noch reichlich zu Abend gegessen und sogar noch ein Glas roten Weines eigner Fechsung getrunken und dabei Eddys Gesundheit ausgebracht hatte, trennten sich die Kinder, mit dem Bewußtsein, einen recht schönen Geburtstag verlebt zu haben.


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