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23.
Abu Haschischs Verschwinden

»Du, Peter!« sagte an diesem Abend der Baron zu seinem Diener: »Du entsinnst dich wohl noch unserer letzten Jagd in der Oase Kufra?«

»Gnädigster Herr Baron,« erwiderte Peter: »Diese Jachd werde ik meener Lebtaje nich verjessen, und wenn ik so alt werden sollte, wie der selige Methusalah. Wir vermeenten eenen Wüstenfuchs zu besiejen, und et war bloß een wüster Hund. Wir haben uns unsterblich blamiert, det is meene unmaßjebliche Meenung.«

»In der Tat, es war eine betrübende Blamage, und wir sind ganz abscheulich ausgelacht worden. Wenn ich nun bedenke, daß ich schon öfters solches Jagdpech erlitten habe, während meine Schwester einen richtigen Löwen bekämpft hat und Fräulein Harmonika und sogar Isolde an der Heldentat beteiligt waren, wenn ich ferner überlege, daß der Pascha in diesen Wüsten ein Nilpferd, ein Krokodil und gar einen Eisbären an einem Tage überwältigte, so läßt es mir keine Ruhe: ich muß ein gewaltiges Raubtier erlegen, um ein für allemal meine Jägerehre zu retten. Sie sollen alle erkennen, daß meine bisherigen Mißerfolge nur unverschuldetes Mißgeschick waren, und ich im Grunde ein unerschrockener und erfolgreicher Jäger bin, wie irgend ein anderer.«

»Janz meene Ansicht!« stimmte Abu Homrah bei: »Wir sin uns eene Ehrenrettunk oder Reabtiliation schuldig.«

»Also,« begann Steinberg wieder: »Morgen früh gehen wir ganz heimlich auf die Jagd; aber dann soll's was geben! Sie sollen staunen, wenn wir zurückkehren und sie unsere Heldentaten vernehmen. Ich kehre einfach nicht um, ehe ich zum mindesten einen Löwen erlegt habe.«

»Een Löwe,« rief Grill begeistert: »Ja det soll det mindeste sin.«

»Und sollte ich eine Woche lang ausbleiben müssen, ich lasse nicht nach,« versicherte Abu Haschisch. »Nun habe ich von den Eingeborenen erkundet, daß es in dieser armseligen Oase kein Raubwild gibt. Wir ziehen daher in die Wüste hinaus: da wird es gewiß Löwen geben, man muß sie eben nur aufsuchen; denn daß sie einem nicht in die Hände laufen, wissen wir von unserer bisherigen Reise her, wo uns keiner begegnete: sie scheinen im Grunde doch feige Geschöpfe zu sein.«

»Jawoll, feije Jeschöpfe,« bestätigte Peter: »Desto besser für uns. Un det in die Wüste Löwen zu finden sein müssen, jloobe ik ooch, denn zu wat hieße et sonst: Wüstenkönig is der Löwe?«

»Ich habe mir auch einige Sperrhölzer gespitzt,« fuhr Steinberg fort: »Münchhausens Jagdmethode hat mir fabelhaft eingeleuchtet: wenn unsere Schüsse das Untier nicht zur Strecke bringen und es stürzt brüllend auf uns los, so wird ihm einfach ein Sperrholz in den weitaufgerissenen Rachen gestoßen, und es ist unsere hilflose Beute.«

»Jlooben Sie wirklich, dat det allens richtik un wahrhaftik is, was uns der Herr Kapitän berichtet hat?«

»Nee! Geflunkert hat er jedenfalls wie sein seliger Großahne. Aber daß er einfach alles erfunden hat, glaube ich nun doch nicht. Und gerade das mit den Sperrhölzern macht den Eindruck der Wahrheit, und sollte es auch Schwindel sein, so ist es doch eine großartige Idee, die im Ernstfalle nicht von der Hand zu weisen ist.«

»Det machen wir, Herr Baron! Jawoll, det machen wir! Und wenn der Pascha jeflunkert hat, so soll er die Oojen aufreißen, wenn wir seenen Schwindel in die wahrhaftige Wirklichkeet übersetzen.«

»Also, abgemacht!« schloß der Baron: »Morgen früh bei Tagesanbruch schleichen wir uns unbemerkt aus dem Lager, und dann beginnt eine großartige Jagdpartie.«

Der Entschluß kam am nächsten Morgen ganz nach Verabredung zur Ausführung, und die beiden begaben sich, sobald es hell wurde, unbemerkt auf die abenteuerliche Fahrt. Sie verließen die Oase in südwestlicher Richtung, versehen mit Gewehren, Schießbedarf in Hülle und Fülle und Lebensmitteln auf mehrere Tage, da Steinberg wirklich entschlossen war, im Notfall eine ganze Woche die Umgegend nach Raubtieren zu durchstreifen.

Um nicht zu verirren, hatte Abu Haschisch einen Kompaß mitgenommen und hielt strengstens die eingeschlagene Richtung ein. Er hatte nämlich einen kleinen Taschenkompaß in seinem eigenen Gepäck entdeckt.

Selbstverständlich mußte ein Kamel mitgenommen werden, um die Menge der Vorräte zu schleppen, unter denen zwei umfangreiche Wasserbehälter die Hauptrolle spielten.

Steinberg war jeder überflüssigen Anstrengung abhold, wenn er auch etwas ertragen und leisten konnte, wenn es sein mußte. Er ritt meist auf dem Lasttier und gestattete als gutmütiger Herr auch seinem Diener, hinter ihn zu sitzen, wenn er sich ermüdet fühlte.

So ging es ohne Übereilung gemächlich voran.

Der Baron war aber auch ein Genießer, wenn er es haben konnte. War nichts da, nun, so ertrug er auch Hunger und Durst mit männlicher Würde; so lange er jedoch aus dem Vollen schöpfen konnte, ließ er sich nicht gerne etwas abgehen. Und, wie der Herr, so der Diener. Es wurde daher fleißig gerastet, zumal über die drückendste Mittagshitze, und dann wurde getafelt und vor allem das Wasser nicht gespart, sondern der Durst ergiebigst gelöscht. Die Lebensmittel waren so reichlich bemessen, daß sie auch bei solcher Verschwendung wohl acht Tage reichen konnten. Daß aber die Wasserbehälter schon am zweiten Tage leer sein würden, da doch auch das Kamel seinen Trunk bekommen mußte, das berechnete Steinberg nicht, wie er überhaupt ein schlechter Rechner war.

Der erste Tag verging ohne irgend ein Abenteuer, geschweige daß sich ein Tier hätte blicken lassen: Sand, nichts als Sand, das war das altbekannte Einerlei!

»Höre!« sagte Steinberg bei der Abendrast zu Peter: »Ich habe wohl gesagt, wir müssen die Löwen suchen, um sie zu finden; doch dabei habe ich ganz übersehen, daß ich rein nicht weiß, wo sie zu suchen sind, und wir schließlich doch darauf angewiesen bleiben, daß uns einer in die Hände läuft. Oder weißt du Rat?«

»Nee! Det weeß ik freilich nich: doch niederträchtig wäre et von die Biester, wenn sich keenet blicken ließe, indem wir doch ausdrücklich und ausjesprochenermaßen auf die Löwenjachd ausjezojen sind.«

Aber die Löwen waren auch am folgenden Tage tatsächlich so niederträchtig, sich den kühnen Löwenjägern nicht vorzustellen, und als am zweiten Abend das Nachtlager im Sande bezogen wurde, entdeckte der Baron zu seinem Schrecken, daß der Wasservorrat zur Neige ging.

»Das ist eine ganz schlimme Geschichte!« rief er aus: »Eine tatsächliche Gemeinheit! Nun müssen wir trotz aller guten Vorsätze unverrichteter Dinge umkehren und noch dazu zwei Tage Durst leiden! Wenn wir nur die Oase noch lebend erreichen!«

»Det Schicksal meent et nich jut mit uns!« klagte Grill zerknirscht: »Ik jloobe, wir werden wieder ausjelacht, wenn wir ohne die jeringste Jachdbeute von unsern jroß anjelechten Unternehmen zurückkehren!«

Allein das Schicksal hatte eine ganz unerhörte Überraschung für die beiden bereit. Als sie sich am anderen Morgen kleinmütig und nicht ohne bange Sorge auf den Rückweg machen wollten, überzog sich der Himmel plötzlich mit schwarzem Gewölk und ein Wolkenbruch ging nieder, wie sie ihn selbst in Europa nie erlebt hatten: das schüttete wahrhaftig wie mit Kübeln, und das Wasser durchschlug selbst die Zeltwände in feinem Sprühregen und durchnäßte die Insaßen bis auf die Haut.

Weit entfernt, dieses unfreiwillige Bad als Unannehmlichkeit zu empfinden, schwelgten die Durchtränkten vielmehr in einem wahren Wonnegefühl.

»Ik meene, det is een wahrhaftiger und richtiger Rejen!« bemerkte der Vater der Eselin, als er nach den ersten Minuten schweigenden Staunens an seinen triefenden Kleidern herniedersah. »Ik halte det für een eijentliches Wunder und Märchen, indem det ik überhaupt nich mehr jewußt habe, wie so een Rejen aussieht und wie er sik zu benehmen pflecht. Hätten der Herr Baron so etwas für menschenmöjlich und denkbar jehalten in der rejenlosen Saharawüste?«

»Nee!« gestand Steinberg: »Das ist auch mir ein traumhaftes Erlebnis und ich weiß es mir nicht zu erklären; aber pudelwohl fühle ich mich in meinen nassen Kleidern!« Und er legte sich hin, um das sprühende Sturzbad behaglich zu genießen.

Peter folgte seinem Beispiel, und so lagen sie an die zwei Stunden in wortlosem Entzücken.

Endlich erhob sich der Baron und sagte: »Ich verspüre Appetit, Peter, sorge für ein ausgiebiges Frühstück!«

Schnell sprang der Diener auf und öffnete den Zelteingang, um Lebensmittel hereinzuholen, da die Ballen neben dem abgesattelten Kamel im Freien lagen.

Ein Ausruf namenlosen Staunens erscholl aus Grills Munde, sobald er einen Blick hinausgeworfen hatte.

»Herr Baron, Herr Baron! Det is een Meerwunder, die reenste Hexerei un Zauberei! Ik saje Sie, die Wüste is verschwunden, total wech! Da is keen Sand nich mehr, nur eene jrüne Wiese, so weit det Ooje schaut. Ik sehe det Jras un die Pflanzen wachsen: det is een Paradies, een Feenjarten, un et is nich anders möjlich, wir sind in det Zauberreich von eene Fee jeraten.«

Während dieses Redeschwalls war Abu Haschisch längst vor das Zelt hinausgestürzt und machte vor Verblüffung ein Gesicht, das nichts weniger als geistreich aussah.

Anfangs glaubte er zu träumen; aber als er sich überzeugte, daß er tatsächlich wache, geriet er völlig außer Fassung. Ein Traum hätte ja alles erklärt: aber ein solches Wunder für Wirklichkeit halten zu müssen, war doch eine starke Zumutung für einen vernünftigen und gebildeten Menschen. Sollte es in der Sahara tatsächlich Zauberer und Feen geben? Er war versucht es zu glauben.

Vergebens spähte er aus nach den öden gelben Sandflächen, die noch gestern die einzige Aussicht bildeten: keine Spur war mehr von ihnen zu entdecken. Bis zum Horizont dehnte sich nach allen Seiten ein frischer grüner Garten, und es war keine Einbildung Peters: alles wuchs zusehends!

Der Platz, auf dem das Zelt stand wurde auf zwei Seiten von einem reißenden Strom eingefaßt, der sich in mächtigen Schleifen, Bogen und Schlangenwindungen durch die Gefilde hinzog; gestern war das ein ausgetrocknetes Flußbett gewesen, ein breiter Graben in der Sandwüste, den sie überquert hatten, ohne daran zu denken, daß er das Bett eines Stromes darstelle, der nur alle paar Jahre einmal für einige Stunden Wasser führte, dann aber reichlich.

Drei bis fünf Jahre dauert es nämlich in diesen Gegenden der Sahara, bis einmal ein Regen niedergeht, der die im Sande schlummernden Samenkörner wie mit einem Zauberschlage zum Leben weckt. Als ob sie wüßten, wie wenig Zeit ihnen vergönnt sei, keimen, grünen und blühen sie auf binnen weniger Stunden und verwandeln unvermittelt die trostlose Ebene in einen Gottesgarten. Die Samen reifen noch am gleichen Tage unter der Glut der Sonne und fallen nieder, um im Sande verborgen jahrelang zu harren, bis ein neues Regenwunder auch sie zum Leben erweckt.

Weder Grill noch Steinberg hatten je etwas von diesen erstaunlichen Vorgängen gehört: kein Wunder also, daß sie sich in eine richtige Märchenwelt versetzt fühlten.

Das Kamel brachte sie erst wieder zu vernünftiger Besinnung: da stand es am Rande des Stromes und soff sich so voll, daß man es nun getrost acht Tage ohne Wasser lassen konnte. Aber unsere Freunde dachten mit keinem Gedanken an eine solche Notwendigkeit: sie ahnten nicht, daß der Zauber ebenso rasch verschwinden würde, wie er gekommen, sondern glaubten sich aus aller Not auf unabsehbare Zeit befreit. Ein solch üppiges Grün, meinten sie, müsse wochenlang vorhalten, und ein so reißendes Gewässer ebensolang dahinfließen, ehe die Glut der Wüstensonne es wieder zum Versiegen bringen könne.

Trotzdem war es ihr erstes, nachdem sie sich einigermaßen gefaßt hatten, daß sie ihre Wasserbehälter aus dem Flusse füllten und sich in den Fluten satt tranken.

»Zurück können wir vorerst nicht,« sagte der Baron: »Der Strom versperrt uns den Weg; denn da ist keine Möglichkeit hindurchzukommen: er würde uns mitsamt dem Kamel unwiderstehlich mit fortreißen und ersäufen. Aber das tut nichts: wir haben jetzt Wasser genug und können uns getrost so lange hier aufhalten, bis sich das Gewässer so weit verlaufen hat, daß es uns einen gefahrlosen Übergang gestattet, oder bis wir irgendwo eine Stelle entdecken, wo die Strömung nicht so reißend ist.«

Voll freudigen Muts wurde das Lasttier wieder bepackt und der Weitermarsch angetreten. Es war eine solche Wonne, durch das herrliche Grün zu schreiten, daß keiner daran dachte, zu reiten.

So ging es zwei Stunden dahin, obgleich der Regen noch fortströmte. Nun aber sollten unsere Freunde ein neues Wunder erleben.

Der Wolkenbruch ließ nach und rasch klärte sich der Himmel. Die Sonne erschien in ihrer alten Glut und war den Wanderern diesmal willkommen; denn sie hatten angefangen, empfindlich zu frieren, waren sie doch buchstäblich bis auf die Haut durchnäßt, und die beständige Verdunstung der Feuchtigkeit ihrer Kleider an der Luft bedeutete eine ganz gewaltige Wärmeentziehung.

Nach kurzer Zeit hatte die Sonne sie wenigstens äußerlich getrocknet und ein behagliches Gefühl der Wärme durchflutete sie, als sie plötzlich hoch aufhorchten.

Bisher war alles totenstill gewesen, wie gewöhnlich. Nun aber vernahmen sie auf einmal flüchtige Huftritte, und da jagte auch schon ein Rudel Gazellen heran. Mitten im höchsten und saftigsten Grase hielt die Herde an und begann gemächlich zu weiden.

»Woher det Jetier nur kommen mach?« fragte Peter erstaunt: »Det sin doch keene Wüstenbewohner nich!«

»Woher Sie kommen, ist mir schnuppe,« sagte der Vater des Krauts, indem er die Flinte anlegte: »Jedenfalls werde ich uns einen Braten schießen: die Antilopen sind ja so furchtlos oder hochmütig, daß sie von unserer Anwesenheit keinerlei Notiz nehmen. Dafür müssen sie gestraft werden.«

Steinberg zielte auf einen nicht entfernt stehenden kapitalen Bock mit prächtigen Hörnern. Genau auf's Blatt wollte er ihn treffen. Er drückte los, allein die Kugel pfiff der Gazelle an der Nase vorbei, kaum um Handbreite, aber eben doch vorbei. Und was hätte es schließlich den Jäger genützt, wenn er nicht so gründlich gefehlt, sondern die Schnauze getroffen hätte? Das Tier wäre grausam verwundet worden und doch entflohen.

Aber nicht umsonst war heute ein Tag des Märchenzaubers, der Feenwunder oder des Koboldspuks: die vorbeisausende Kugel fand in bedeutend weiterer Entfernung dennoch ein Ziel. Dort weidete ein Bock, der noch ungleich stattlicher war, als das glücklich seinem Schicksal entgangene Opfer. Der Baron, so stolz er auf seine vermeintliche Schießkunst war, hätte nie daran gedacht, auf ein so entferntes Ziel zu schießen. Nun wollte es jedoch sein märchenhaftes Weidmannsglück, daß dieses Prachtexemplar einer Antilope von der verirrten Kugel so tödlich getroffen wurde, daß es nur noch einen Luftsprung machte und verendend zusammenbrach.

Peter, der auch angelegt hatte, ließ vor Erstaunen die Flinte sinken: »Det is een Meesterschuß, een wirklicher Meesterschuß, Herr Baron!« rief er mit weit aufgerissenen Augen: bei aller Hochachtung vor seinem Herrn, hätte er ihm etwas Derartiges niemals zugetraut, denn er hatte ihn oft genug vorbeischießen sehen, oder doch recht schlecht treffen, selbst da, wo das Fehlen beinahe eine Kunst war.

Abu Haschisch hatte nur Augen für seinen Bock gehabt und die Wirkung seines Schusses an weit abgelegener Stelle war ihm völlig entgangen. Als er nun das aufs Korn genommene Tier, anscheinend unverletzt, davonjagen sah, und mit ihm die ganze aufgeschreckte Herde, mußte er seines Dieners Ausruf für höchst unziemlichen Spott halten und er sagte unwirsch, wenn auch ziemlich kleinlaut:

»Dummkopf! Halte deine vorlaute Schnute! Hättest du lieber auch geschossen und es besser gemacht, wenn du dir einbildest, ein tüchtigerer Schütze zu sein.«

»Nee!« entgegnete Grill: »Det bilde ik mich jewiß nich in, anjesichts dieses Meesterschusses, und wat meen eejenes Schießen betrifft, so is mich die Kujel vor Bewunderunk in Lauf stecken jeblieben. Ooch wäre et jrausam jewesen noch een Tier zu erlejen; denn nu haben wir Fleesch in Überfluß. Ik will nur jleich die Jaselle ausweiden.« Und damit eilte er nach der Stelle, wo die Antilope zusammengebrochen war.

Jetzt erst erkannte der Baron, welch unverdientes Glück er gehabt hatte, hütete sich jedoch, seinen Diener aufzuklären. Vielmehr begab er sich auch an Ort und Stelle und trennte die ungeheuren Hörner los, wobei er heuchlerisch bemerkte: »Ja, das war entschieden die schönste von allen, und wir bringen doch wenigstens eine Jagdtrophäe zurück, die glänzend genug ist, um uns vor jedem Spott über unseren Ausflug sicher zu stellen. Überhaupt werden sich die Kameraden wundern, daß wir in der Wüste Antilopen aufgestöbert haben.«

Die Beute lieferte zunächst einen vorzüglichen Braten zum Mittagsmahl, der über einem Feuer von trockenem Kamelmist zubereitet wurde; denn dieses kostbare Brennmaterial zu sammeln und mitzunehmen, hatten unsere Freunde von den Arabern gelernt.

Der Nachmittag wurde damit zugebracht, nach einer Furt durch den Fluß zu suchen. Allein, soweit man auch seinen Windungen folgte, es war keine zu finden. Die Jäger härmten sich übrigens nicht weiter über diesen kleinen Mißerfolg; denn mit der Heimkehr eilte es ja jetzt umso weniger, als auch die Lebensmittelvorräte infolge des erbeuteten Fleisches länger ausreichten.

Abends gab es schon so viel dürres Gras, daß der Braten zum Nachtimbiß an einem Grasfeuer bereitet werden konnte. Dann streckten sich die ermüdeten, wohlgesättigten Jäger zur Ruhe nieder.

Doch so gemütlich sollte dieser abenteuerreiche Tag nicht zu Ende gehen. Noch einmal sollte etwas völlig Unerwartetes kommen.

Wie oft im Leben ereignet es sich, daß man lange etwas ganz vergeblich erwartet. Hat man dann endlich das Warten darauf aufgegeben und denkt gar nicht mehr daran, so kommt es plötzlich, vielleicht recht zur Unzeit.

So ging es auch den beiden, die soeben gedachten, sich einem sorglosen Schlummer hinzugeben. Auf die Löwenjagd waren sie eigentlich ausgezogen und Löwen hatten sie umsonst gesucht. Schließlich waren sie zu der Überzeugung gelangt, daß sie keinem solchen Raubtier begegnen würden und hatten sich drein ergeben. Der prächtige Bock mit seinem außerordentlichen Gehörn mußte sie für diese Enttäuschung entschädigen.

Sie dachten nicht mehr entfernt an den König der Wüste, der überall zu herrschen schien, nur eben nicht in der Wüste, als sie ein fernes Gebrüll aufschreckte, in dem Augenblick, da ihre entschlummernden Gedanken sich schon zu verwirren begannen.

Das Brüllen des Löwen ist etwas so Gewaltiges und keiner anderen Stimme Vergleichbares, es sei denn dem Schrei des Straußes, daß es nicht zu verkennen ist. Da der Vogel Strauß sich nur des Tages vernehmen läßt, der Löwe jedoch nur des Nachts, so ist eine Verwechslung der sonst so ähnlichen Töne ausgeschlossen.

Unsere Helden kannten nun diese Stimme, nicht mehr nur aus Tierbuden und Tiergärten, sondern auch von der Oase Kufra her. Als sie sich daher nun jäh aufrichteten, ist es nicht verwunderlich, daß Peter sofort bemerkte:

»Wenn ik mir nich irre, so is dies der Jachdruf des Wüstenkönigs. Woher mach sich seene Majestät in diese öden Jefilde verirrt haben?«

»Du bist ein seltsamer Kauz, Peter,« meinte sein Herr: »Immer fragst du, woher die Tiere wohl kommen mögen. Bei den Gazellen mochte ja die Frage angebracht sein; aber gestern wundertest du dich selber, daß wir in der Wüste den Wüstenkönig nicht trafen, jetzt versetzt es dich schon in Staunen, daß wir ihn in seinem eigensten Reiche die Stimme erheben hören! Übrigens vergißt du, daß es sich nun gar nicht mehr um eine öde Gegend handelt, sondern um saftige Weiden. Sind die Antilopen hierher gelangt, was ist begreiflicher, als daß ihr grimmiger Feind und Herrscher ihrer Fährte folgte und nun auf sie Jagd macht? Ich vermute, daß wir auf unserer weiten Wanderung von heute nachmittag wieder in die Nähe der Gazellen gekommen sind, die wir durch meinen Schuß verjagten. Unter ihnen sucht sich der königliche Räuber ein Opfer. Da ist nichts Auffallendes dabei.«

»Det stimmt auffallend, un also ist doch etwas Auffallendes dabei. Aber ik meene, die Anjelejenheet is ooch jefährlik für unser irdisches Dasein, un ik will wachen un een jroßes Feuer unterhalten, indem daß die Bestie sich sonst an uns heranschleichen un eenen unliebsamen Anjriff auf uns machen könnte.«

»Unsinn! Du scheinst zu vergessen, daß wir auf die Löwenjagd ausgezogen sind: es wäre also die größte Torheit, das Tier von uns abhalten zu wollen. Im Gegenteil werden wir uns anschleichen und den Gewaltigen erlegen.«

»Det is ooch een Jedanke, der unserer Tapferkeet alle Ehre macht! Ik bin dabei, jnädigster Herr Baron, un eenen Meesterschützen, wie Sie, kann det jar nich fehlen.«

Dem kühnen Abu Haschisch wurde es etwas schwül beim Gedanken an seinen Meisterschuß von heute morgen. Wenn Peter wüßte, welche Bewandtnis es damit hatte! Allein der Baron hatte sich die Löwenjagd in den Kopf gesetzt, und somit machten sich die beiden an das Anschleichen, der Richtung folgend, aus der in Pausen das Gebrüll immer wieder erscholl.

Es ging der Windrichtung entgegen, so daß sie nicht befürchten mußten, dem Gegner vorzeitig durch die Witterung verraten zu werden. Es war mondhell, und man konnte ziemlich weit sehen.

Vorsichtig durch das Gras am Boden hinkriechend, gelangten die zwei nach einer halben Stunde in die Nähe einer weitausbiegenden Schleife des Flusses. Hier vernahmen sie das Brüllen aus unmittelbarer Nähe, und ein kalter Schauder durchrieselte ihnen die Gebeine, was aber keiner dem anderen gestanden hätte.

Jetzt sahen sie auch die leuchtende Gestalt majestätisch dem Ufer zuschreiten. Der Löwe hatte in der Tat eine Gazelle erbeutet, und begab sich nun gesättigt zur Tränke.

Wenn der Löwe satt ist, so ist er ungefährlich, vorausgesetzt, daß man ihn nicht angreift. Das wußten freilich weder der Baron, noch sein Diener; trotzdem zauderte Steinberg mit dem Schießen, so günstig das Ziel sich einem guten Schützen bot: der Anblick des furchtbaren Tieres flößte ihm begreifliche Furcht ein. Doch er schämte sich dieser Anwandlung und nahm sich zusammen, scharf zielend.

»Ziele gut und schieße gleich nach mir!« flüsterte er Peter zu: »Für alle Fälle habe ich zwei Sperrhölzer mitgenommen: da hast du eines davon.«

Noch eine halbe Minute: der Löwe neigte sich zum Wasserspiegel und begann zu trinken. Jetzt krachte Steinbergs Schuß. Er lag nicht schlecht, vielleicht mußte seine Wirkung eine tödliche sein; allein auch ein tödlich getroffener Löwe vermag unter Umständen noch mehrere Gegner ums Leben zu bringen.

Das furchtbare Gebrüll der Wut, das aus dem Rachen des Schwerverletzten hervorbrach, ließ den Tollkühnen das Blut in den Adern erstarren. Das Tier wandte ihnen das mähnenumwogte Haupt zu, und Grill, eingedenk der Weisung seines Herrn, drückte nun ebenfalls ab. Seine Kugel fuhr in den weit geöffneten Rachen. Auch sie mochte tödlich sein, aber der Löwe hatte seine Feinde erspäht und flog bereits durch die Luft daher.

Der Baron, dem der Angriff galt, hatte irgendwo gelesen, daß der Löwe seinen Sprung haarscharf abzumessen versteht und daß es in solchem Augenblick das Geratenste sei, sich ihm entgegen zu werfen, da er dann über sein Opfer hinausspringe und es für einen Augenblick aus den Augen verliere. Ein Sprung zurück, würde wenig helfen.

Blitzschnell war dem Gefährdeten diese Erinnerung gekommen, und ohne weiteres Besinnen schnellte er auch schon federnd voran. Richtig, der schwere Körper flog über ihn weg: ein entsetzlicher Augenblick.

Das Raubtier landete an eben der Stelle, wo Steinberg noch eine Sekunde zuvor gelegen hatte, dicht neben Peter.

Diesem wandte sich jetzt das Haupt des enttäuschten Ungetüms zu, und Grill fand den Augenblick für den Angriff mit dem Sperrholz, nach Münchhausens Methode, gekommen.

Seine mit dem zugespitzten Holze bewaffnete Faust fuhr in den geöffneten Rachen. Der Löwe schloß die Kinnladen und das Holz zersplitterte. Immerhin drangen das obere und das untere scharfe Ende ihm in den Gaumen und die Zunge ein und hinderten das völlige Zuklappen des Gebisses, so daß Grills Arm unverletzt blieb und nun mit aller Gewalt den Unterkiefer hinabpreßte, das beste und in solcher Lage einzige Mittel, jeden Versuch eines Bisses zu vereiteln. Dagegen traf die rechte Pranke des Raubtiers mit ihren scharfen Krallen Peters linke Schulter und brachte ihr einige tiefe Wunden bei.

Steinberg blieb inzwischen nicht untätig: rasch sprang er auf und zur Seite, eine Kugel um die andere aus seinem Repetiergewehr in Hals und Kopf des Löwen sendend.

Dieser ließ nun von seinem Opfer ab, zu dessen großem Glück, und setzte zum Sprung gegen den Angreifer an.

Abu Haschisch hatte dies nicht anders erwartet und eben das bezweckt. Er war daher auf diese Bewegung gefaßt und sprang mit einem Satz wieder in den Rücken des Tieres, das sich nun so langsam und schwerfällig wendete, daß man wohl merkte, wie die Kräfte es verließen. Immerhin mochte der sterbende Löwe noch ein lebensgefährlicher Feind sein und Steinberg rannte in langen Sätzen davon, während das Raubtier mit einem letzten Sprung ihm nachsetzte.

Des Barons Behendigkeit war seine Rettung gewesen; denn der entkräftete Springer vermochte es nicht, ihn zu erreichen, sondern fiel dicht hinter ihm schwer zu Boden mit einem heiseren, dumpfen Schrei, der noch entsetzenerregend genug klang.

Der Flüchtling hielt im Laufe um sein Leben nicht ein, bis ihm Abu Homrah, der sich inzwischen aufgerafft hatte, nachrief: »Siech, Siech, Herr Baron! Die Bestie ist tot, mausetot, janz kaput un verendet.«

Nun wagte sich Abu Haschisch heran und fand den Zuruf bestätigt.

Besorgt untersuchte er zunächst Peters Schulterwunden, die sich als reine Fleischwunden erwiesen, freilich tiefgehend und schmerzhaft, aber doch ungefährlich. Er wusch sie aus und verband sie. Dann löste er eigenhändig die an Hals und Kopf etwas durchlöcherte, sonst aber unbeschädigte Löwenhaut und schritt, mit ihr beladen, in des Verwundeten Begleitung zu der Stelle zurück, wo das Kamel noch lagerte.

Der Baron entzündete nun ein Feuer. Grill wollte Nachtwache halten, sein Herr jedoch ging nicht darauf ein: »Davon ist keine Rede,« sagte er: »du bist verwundet und vom Blutverlust ermattet, ich bin frisch und gesund, auch in sehr gehobener Stimmung von wegen der erbeuteten Löwenhaut. Du mußt schlafen, um morgen munter zu sein; ich werde wachen, da immerhin noch mehr gefährliche Tiere um den Weg sein könnten, und dabei bleibt es!«

Dabei blieb es denn auch: Der Vater der Eselin war in der Tat so erschöpft, daß er sich nicht lange wehren konnte, obgleich es ihm gar nicht hinunter wollte, daß der Diener schlafen und der Herr wachen sollte. Unwillkürlich entschlummerte er, während er noch halb im Schlaf Verwahrung einlegte.

Die Nacht verlief ruhig, und der Verwundete erwachte erquickt und ohne Wundfieber noch vor Morgen. Da legte sich auch Abu Haschisch noch etwas zur Ruhe; denn er war nun ordentlich müde. Er schlief noch drei Stunden, und als er die Augen wieder aufschlug, hatte sein Diener bereits einen leckeren Antilopenbraten zu kräftigendem Frühstück bereit, den beide mit Hochgenuß verzehrten.

Das Fleisch konnte sich heute noch halten, weshalb ein Vorrat der besten Bissen mitgenommen wurde, als kurz darauf der Aufbruch erfolgte.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel und das frische Grün, das noch gestern Auge und Herz erfreut hatte, war vollständig verschwunden: nur das dürre, zerbröckelnde Gras, das den Sand bedeckte, bewies, daß die ganze herrliche Erscheinung kein Traum gewesen war.

» Sic transit gloria mundi!« sprach der Baron wehmütig, als die dünne Schicht unter den Tritten des Kamels sich in Staub auflöste: »So schwindet die Pracht der Welt! Peter, wohin ist der gestrige Märchentraum? Wie mit einem Zauberschlage verwandelte der Regen die Wüste in die herrlichste Oase, und wie mit einem Zauberschlage ist heute die Oase in eine öde Wüste zurückverwandelt worden! Gibt es wirklich eine Fee in diesen Öden, so ist es nur die böse Fee Fata Morgana, die den armen Reisenden entzückende Trugbilder vorzaubert, um sie hernach umso grausamer zu enttäuschen. Und ich Tor dachte, diese verzauberte grünende Landschaft werde uns noch tagelang erfreuen!«

»Ja!« sagte Grill: »Wie jewonnen, so zerronnen, heeßt et mit Recht. Aber eene fatale Morjane is et doch nich jewesen zu unsern Glücke: wir haben doch frisches Fleesch erbeutet un Wasser jenuch: det is eene sejensreiche Wirklichkeet.«

»Allerdings! Und einen Löwen haben wir besiegt, das freut mich noch am meisten! Sieh, da liegt noch der abgehäutete Geselle unversehrt: offenbar ist kein Schakal und keine Hyäne in diese Gegend geraten, sonst wäre nur noch sein Knochengerüst übrig.«

Sie waren an den Schauplatz des gestrigen Kampfes gelangt und erreichten nun wieder das Flußbett.

»O weh!« rief Abu Homrah: »Ooch det Wasser hat sik verloofen: det Strombette is wieder so trocken, wie eene alte Semmel!«

»Wahrhaftig! Wo ist nun das viele Wasser hingekommen? Das ist Pech! Aber, halt! Hier, hart am Ufer schlängelt sich noch ein dünnes Wasserrinnsal hin. Da wollen wir noch auf Vorrat trinken und unsere Behälter frisch auffüllen; auch das Kamel soll sich noch einmal satt saufen. Dann können wir, ohne Durst zu leiden, die Oase wieder gewinnen.«

»Wenn se nich man ooch durch eenen Zauberschlach in eene Wüste verwandelt is,« warf Peter bedenklich ein.

»Das ist nicht zu befürchten,« beruhigte ihn sein Herr: »Sie wird von unversieglichen Quellen getränkt.«

Sie stiegen ab, tranken sich satt und füllten die Wasserbehälter, während auch das Lasttier seinen geräumigen Magen nochmals mit dem köstlichen Nasse vollsog.

Dann ging es über den Fluß, dessen trockenes Bett jetzt kein Hindernis mehr bildete, und an Hand des Kompasses wurde die nordöstliche Richtung eingeschlagen, in welcher nach Steinbergs Überzeugung die Oase liegen mußte.

Dabei zog er unglücklicherweise nicht in Rechnung, daß sie gestern ganz aus der Richtung gekommen waren, indem sie kreuz und quer die neuentstandene Oase durchstreift hatten und dann einen halben Tag lang den unzähligen Schleifen und Windungen des Stromes gefolgt waren, die nach allen Himmelsrichtungen ausbogen. Die Oase lag, von der Stelle des Flußüberganges aus, viel nördlicher, als sie glaubten, und beim Einhalten einer streng nordöstlichen Richtung mußte sie unbedingt verfehlt werden. Doch daran dachten sie mit keinem Gedanken, sondern ritten getrost durch die Ebene, die bald wieder den Charakter der echten Sandwüste annahm, so rasch zerstäubte die verdorrte Grasschicht unter dem Einfluß der glühenden Sonnenstrahlen.

 

Unterdessen waren die Gefährten in der Oase in nicht geringer Sorge um die verschwundenen Kameraden.

Ihre Abwesenheit war gleich entdeckt worden, erregte aber zunächst keine Beunruhigung.

»Wenn der Baron mit seinem Diener in der Morgenfrühe sich davongemacht hat,« bemerkte Münchhausen sehr richtig, »so hat ihn zweifellos seine bekannte Jagdleidenschaft zu diesem Schritt verleitet. Die Spuren führen in die Wüste: das sieht ihm wieder gleich! Er zweifelt nicht daran, daß einem gewaltigen Jäger, wie ihm, das Wild überall nur so in die Hände laufen müsse. Irgend etwas erlebt er ja immer, und wir dürfen überzeugt sein, daß es wieder etwas zu lachen gibt, wenn er heimkehrt: wer weiß, was für eine merkwürdige Beute er diesmal mitbringt!«

Als die beiden auch am folgenden Tag nicht heimkehrten, meinte Rommel beruhigend: »Sie haben ein Kamel mitgenommen, beabsichtigten also von vornherein einen längeren Ausflug: morgen sind sie gewiß zurück, dazu muß sie schon der Wassermangel zwingen.«

»Wenn sie sich aber verirrt haben?« warf die Harmonika besorgt ein.

»Ach was!« erwiderte die Zitrone sorglos: »Hierin ist mein Bruder ängstlich und daher vorsichtig: er hat einen Kompaß bei sich.«

»Wenn er ihn nur auch zu gebrauchen versteht!« sagte der Pascha kopfschüttelnd.

Die Zitrone lachte: »Na! mit einem Kompaß wollte auch ich mich zurechtfinden: die Sache ist ja kinderleicht!«

»Das ist durchaus nicht immer der Fall,« widersprach der Professor: »Gerade, wer die Sache für zu einfach hält, ist in Gefahr, sich gewaltig enttäuscht zu sehen. Für den Unkundigen bietet sie ihre Schwierigkeiten. Wenn man natürlich unentwegt die gleiche Richtung einhält, genügt das Instrument vollkommen, um jedes Verirren auszuschließen. Sobald man jedoch auf eine längere Strecke die Richtung ändert, ohne sich genau darüber Rechenschaft zu geben, gerät man in ernstliche Gefahr, trotz des Kompasses den Ausgangspunkt bei der Rückkehr zu verfehlen.«

Der Niederschlag, der die beiden Jäger in ein Märchenreich versetzt hatte, ging auch in der Oase nieder, allerdings nicht als Wolkenbruch, aber doch als ergiebiger Regen. Er wirkte auch hier erfrischend und beförderte ungemein das Wachstum der Pflanzen. Da jedoch zuvor schon saftiges Gras und üppiges Grün den Boden allhier bedeckt hatte, gab es keine so plötzliche und gewaltige Veränderung, daß diese irgendwie den Eindruck des Wunderbaren und Zauberhaften gemacht hätte. Von der feenhaften Umwandlung, die sich draußen in der Wüste vollzog, hatte man hier keine Ahnung.

Der Vermißten wegen erweckte dagegen das seltene Naturereignis schwere Sorge. Bei Windstille, die in der Sahara das Gewöhnliche ist, erhalten sich sonst in der Wüste auch die leichtesten Spuren monatelang, so daß die Suche nach den Gefährten keine Schwierigkeit geboten hätte. Nun aber war nichts gewisser, als daß der niedergegangene Regen die Fährte so gründlich verwischt haben wußte, daß ihr Wiederauffinden ein Ding der Unmöglichkeit war. Und doch mußten am vierten Tage die Nachforschungen mit allem Ernst begonnen werden; denn jetzt erschien das Ausbleiben der Jäger wirklich bedenklich. Entweder hatten sie sich tatsächlich verirrt, oder sie waren von Beduinen überfallen worden: das war nun die vorherrschende Meinung. Und wenn man auch immer noch auf ihre Rückkehr hoffte, so wäre es doch unverantwortlich gewesen, gar nichts zu ihrer Auffindung zu unternehmen, da zum mindesten die Gefahr bestand, daß sie bei aufgebrauchten Vorräten an Wasser und Lebensmitteln irgendwo am Verschmachten lagen. Konnte man doch nicht einmal wissen, wie weit sich der Niederschlag erstreckt hatte und ob er ihnen die Möglichkeit bot, ihren Wasservorrat zu erneuern.

Nach ihnen suchen mußte man also; das gebot die natürlichste Pflicht. Ja, suchen, – aber wo? Das war die verhängnisvolle Frage!


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