Hermann Löns
Der Wehrwolf
Hermann Löns

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3. Die Braunschweiger

Am folgenden Tage aber, als der kleine Hermke auf seinen Knien Hopphoppreiter machte, ihm die Ohren lang zog und lustig krähte, bekam er wieder helle Augen, doch als er nachher säete, wollte ihm das, was er im Kruge belebt hatte, nicht aus dem Sinne.

»Das soll doch mit dem Deubel zugehen«, dachte er, »daß ich dem hergelaufenen Kerl das Pferd für nichts und wieder nichts lassen soll und obendrein noch einen ausgeben muß!«

Er dachte lange über die Sache nach und weil er doch auf dem Ulenhofe zu tun hatte, besprach er sich mit seinem Schwiegervater.

»Tja«, sagte Ulenvater und spuckte in das Feuer, »tja, das ist eine dummerhaftige Sache. Du kannst den Schaden ja wohl hören, aber ein Pferd ist doch kein Hühnerei und reichlich gut zum Verschenken. Weißt du was? Ich habe sowieso in Celle zu tun, und da wollten die Völker ja hin, wie du sagst. Ich will mal sehen, was sich machen läßt. Ich komme mit den Herren vom Hofe ganz gut aus, seitdem sich unser Herzog damals hier auf der Jagd über das wilde Schweinelied halb ungesund gelacht hat. Vielleicht ist es gut, daß du mitfährst. Heute kann ich nicht, aber morgen.«

Sie fuhren dann auch am andern Morgen los. Es war wieder ein schöner Tag; die Lerchen sangen über der Haide und im Bruche flötete der Kolüt. Die beiden Bauern aber sahen brummig vor sich hin und als sie vor sich drei Reiter zu Gesicht bekamen, faßte Harm die Zügel fester und Ulenvater legte die Pistole, die er mitgenommen hatte, neben sich in das Wagenstroh. Die Reiter aber ritten vorbei, indem sie ihnen nur eben dankten, als sie ihnen die Tageszeit boten.

Es waren drei Kerle mit Gesichtern, wie sie der Teufel nicht besser haben kann; der eine konnte seine Augen gar nicht von dem Gespanne wegkriegen, und als Harm sich umdrehte, sah er, daß sie haltgemacht hatten und miteinander redeten. Aber dann setzten sie sich in Trab und ritten quer in die Haide hinein.

Noch allerlei Volk begegnete ihnen; zuerst zwei Landstreicher, dann drei, dann Tatern, die mit ihrem Planwagen dahergezogen kamen, und in dem es von nackigten Kindern wimmelte. Eins davon, ein Mädchen, das wohl schon an die dreizehn Jahre alt war, aber so bloß war wie ein Fisch, sprang aus dem Wagen und ehe Harm es sich versah, saß es bei ihm auf dem Sattelpferd und bettelte ihn an und drei, vier andere machten sich bei Ulenvater im Wagen zu schaffen.

»Das Takelzeug ist noch zäher als wie Hirschläuse«, meinte der Wulfsbauer, als sie die nackte Gesellschaft abgeschüttelt hatten, und ersetzte hinzu: »Was für Völker jetzt im Lande herumstromen! Eine Schande ist es, daß da nichts getan wird! Gaudiebe und Vagelbunden sind beinahe die Herren jetzt. Wenn das so beibleibt, kann es noch gut werden.«

Indem er sich nach den Zigeunern umsah, wurde er gewahr, daß die drei Reiter umgedreht hatten und hinter ihnen herkamen. Das schien ihm verdächtig und deshalb ließ er die Pferde ordentlich laufen; so kam er früher vor der Stadt an, als die Reiter.

Bei dem Tore sah es bunt aus; eine Menge fremden Kriegsvolkes lag dort, und als die Bauern den Wächter fragten, was das für eine Bewandtnis habe, hörten sie, daß das allerlei Gesindel war, das der Halberstädter Bistumsverwalter Christian von Braunschweig gegen die Kaiserlichen angeworben hatte. Die Leute hielten sich ziemlich anständig, denn sie lagen unter den Kanonen der Stadt und eine Abteilung herzoglicher Kriegsknechte unter einem Hauptmann paßte auf, daß sie keinen Unfug anstellten. Aber Harm dachte sich, als er sie besah: »Die mehrsten sehen aus, als wenn sie mit einem Strick um den Hals weggelaufen sind.«

In Celle spannten sie in der Wirtschaft zur goldenen Sonne aus, wo sie gut bekannt waren, und frühstückten mit vier Bauern aus dem Gau Flottwede. »Wir werden bald allerlei gewahr werden«, meinte der Wathlinger Burgvogt; »die Wienhäuser Nönnekens haben sich schon dünne gemacht, denn sonst könnten sie wohl bald ihr Nonnenfleisch losgeworden sein. In Altencelle haben die Halunken von Kriegsleuten den Bauern mit Gewalt die Würste und Schinken genommen und sie obendrein mit Schlägen zugedeckt. Der Vollmeier Pieper in Burg liegt auf den Tod; er wollte es nicht leiden, daß sie sich an seinen Töchtern vergriffen, und da hat ihm ein Kerl mit dem Säbel über den Kopf geschlagen, daß der Brägen herauskam.«

Er sah sich um und flüsterte dann: »Der Kerl, der das getan hat, ist aber auch verschwunden; es wird gesagt, die Knechte haben ihn um die Ecke gebracht. In Wathlingen sind auch zwei von den Brüdern fortgekommen. Meinen Segen haben sie!«

»Das ist das eine«, sagte ein Bauer aus Eicklingen, »das ist das eine. Seines Lebens ist man nicht mehr sicher, und dazu kommen noch die Steuern. Der Landtag hat die dreifache Schatzung ausgeschrieben und es heißt, daß das nicht das letztemal sein soll, denn das Land braucht jetzt Geld für Soldaten. Ja, das ist wohl so, und das wäre auch noch auszuhalten, aber dann kommen die fremden Völker und legen uns auch noch allerlei Lasten auf, das heißt, wenn sie nicht überhaupt nehmen, was sie kriegen können. Pohlmanns Ludjen haben sie eine milchende Kuh von der Weide genommen, und als er wenigstens Geld wollte, haben sie ihn ausgelacht, und als Hein Reimers vom Felde kam, ist er zwei gute Pferde auf die Art losgeworden. Wenn das so weiter geht, gibt es kein Recht und kein Gesetz mehr!«

Nun erzählten die Ödringer, weswegen sie nach Celle gekommen waren; aber alle meinten, sie sollten den Falben ruhig in den Rauchfang schreiben, denn wenn die Obrigkeit hinter alle solche Sachen hinterfassen sollte, dann hätte sie viel zu tun. Ul aber meinte, versuchen wollte er es doch und ging los.

Nach zwei Stunden kam er wieder und ließ den Kopf hängen, wie ein krankes Huhn. Ganz begossen sah er aus. »Ja, Junge«, sagte er, »ist das ein Betrieb! Angeschnauzt haben sie mich; ich sollte sie mit solchen Dummheiten in Ruhe lassen, denn sie hätten Notwendigeres zu tun, als hinter deinem Pferde herzulaufen. Na, so unrecht haben sie ja nicht, denn wie mir der zweite Koch erzählte, geht es ja jetzt in der Welt her, wie in einem Ameisenhaufen, bei dem der Specht zugange ist. Die Kaiserlichen kommen von der einen, der Braunschweiger und der Durlacher von der anderen Seite, und was unser regierender Herzog ist, der muß zusehen, daß er sich nicht dabei die Finger klemmt. Na, Mertens meinte, Herzog Georg, den sie doch zum Kreisoberst gemacht haben und der an die zwanzigtausend Mann unter sich hat, der wird schon dafür sorgen, daß sie uns nicht lebendig schinden. Aber den Falben bist du darum doch quitt. Tors Pferd soll den Kerl schlagen!«

Er schlug sich Feuer für seine Pfeife, spuckte vor sich hin und sah seinen Eidam an: »Ich weiß nicht, ich glaube, es geht nicht anders: wir müssen daran denken, was dein Großvater immer sagte: Helf dir selber, dann helft dir auch unser Herregott! Denn warum? Die Obrigkeit, die wird alle Hände voll zu tun haben, daß sie im allgemeinen für Ordnung sorgt, soweit das angeht; der einzelne Mann muß sich selber wahren. Ich weiß man nicht, wie wir das anstellen sollen; denn was sollen wir zum Beispiel machen, wenn solche Galgenvögel, wie sie vor dem Tore liegen, hundert Stück und mehr, nach Ödringen verschlagen werden?«

»Komm«, meinte er dann, »wollen weg! Hier haben wir ja doch nichts mehr zu holen.« Er rief den Wirt und bezahlte. »Nanu«, schrie er auf einmal, »Harm, Junge, was ist denn das?« Und schnell lief er aus der Türe. Als Harm ihm in den Hof nachging, sah er, daß einer der drei Reiter, die ihnen am Morgen begegnet waren, das Sattelpferd aus dem Stalle zog.

»Hoho!« rief er und machte das Messer locker, »was soll denn das heißen?« Der fremde Mann sah ihn an und lachte: »Na, ich kann mir ja doch wohl das Pferd mal ansehen? Ich habe dem Knecht das ja gesagt und ihn gefragt, wem es gehörte. Ich bin nämlich Pferdehändler und dein Pferd hat mir gleich in die Augen gestochen, denn es paßt ganz zu einem, auf das ich handele, und das würde ein feines herrschaftliches Gespann geben. Was soll es gelten?«

Der Wulfsbauer schüttelte den Kopf: »Es ist mir nicht feil«, sagte er und führte es vor den Wagen. »Na, denn nicht; was nicht ist, kann noch werden. Vielleicht besinnst du dich.« Damit ging der Händler ab.

Die Odringer sahen ihm mit schiefen Augen nach, und der Wirt schnippte mit den Fingern. »Tja der«, knurrte er, »der und Pferdehändlerl Wer so billig einkauft, kann es zu was bringen in der Welt. Er kehrt öfter bei mir ein und verzehren tut er gut, aber ich sehe ihn lieber gehen als kommen, zum ersten, weil mir seine Augen nicht gefallen können, und dann weil ich ihn mit Völkern von der Masch zusammengesehen habe, denen jeder Kerl, der was auf sich hält, aus dem Wege geht. Hanebut heißt er, Jasper Hanebut, und aus Bothfeld bei Hannover soll er sein, und die er meist bei sich hat, Hänschen von Roden und Kaspar Reusche, den Brüdern traue ich auch nicht über den Weg.«

Gerade als sie losfahren wollten, gab es von der Stechbahn her ein großes Geschrei. Ein Bauer kam zwischen zwei Stadtknechten daher und hinter ihm ging seine Tochter, ein blasses Mädchen von siebzehn Jahren, das in ihre Schürze weinte. Der Bauer schimpfte gewaltig: »Verfluchte Zucht!« schrie er; »totschlagen soll man die Hunde! Ich bin wahrhaftig keiner, der nicht einen Spaß verträgt, aber was zu viel ist, das ist zu viel. Ist denn meine Tochter dazu da, daß jeder Lausepelz seinen Hahnjökel damit treiben kann? Na, so bald tut der Lümmel das nicht wieder; sein eines Auge paßt ihm in vier Wochen nicht wieder in den Kopf, und es tut mir bloß leid, daß es nicht ganz herausgekommen ist. Und ich will doch sehen, ob noch Recht und Gerechtigkeit im Lande ist, und ob wir in einem christlichen Staate leben oder unter Türken und Heiden!«

Ein Handwerksmeister, den der Wirt kannte, erzählte, was los war. Der Bauer, der aus Boye war und mit seiner Tochter, die es auf der Brust hatte, zum Doktor wollte, war zwischen das Halberstädter Kriegsvolk geraten, und die hatten das Mädchen hergekriegt und abgedrückt, als wenn es ein Taternfrauenzimmer war. Ihr Vater hatte dann dem einen Kerl eins mit der Faust ins Gesicht gegeben, daß das Auge gleich vor dem Kopfe stand, na, und der Ordnung halber mußte die Sache untersucht werden. »Aber«, setzte der Mann hinzu, »sie werden ihn wohl gleich laufen lassen; vom Schlosse aus ist den Braunschweigern angesagt worden, wenn sie nicht in einer Stunde unterwegs sind, dann würden die Leute des Herzogs sie auf den Trab bringen.« Er sah die Bauern an: »Ich würde an Eurer Stelle noch etwas warten, ehe daß ich losfahre; sie ziehen gerade ab und gute Laune haben sie just nicht.«

Das schien den Ödringern ein guter Rat zu sein, und so gingen sie mit dem Manne wieder in die Gaststube. Gerade als die Kastenuhr ausholte, um die zweite Stunde anzumelden, riß Ul die Augen auf, machte ein Gesicht, als ob er etwas Schreckliches sah, und sprang auf: »Komm«, rief er, »jetzt ist es aber Zeit! Wir brauchen ja nicht die Heerstraße zu fahren, wir können den Dietweg durch die Haide nehmen. Ich habe eine Unruhe auf dem Leibe, ich weiß nicht, was das mit mir ist. Vielleicht, daß ich mich habe allzuviel ärgern müssen.«

Sie fuhren also los. Vor dem Tore war es still, bloß daß da noch allerlei Zigeunervolk lag. Als sie in die Haide einbiegen wollten, rief es hinter ihnen; drei Bauern aus Engensen kamen angeritten. »Tag!« rief der älteste, »nehmt uns mit! Wie es heutzutage hergeht, reist man zu fünfen besser, als zu dreien und zweien. Vorhin sind hier drei Männer vorbeigeritten, die sahen aus, als wenn sie der Deubel aus dem Holster verloren hat. Es ist Zeit, daß Herzog Georg mal mit dem engen Kamm über das Land geht; es hat sich allerlei Ungeziefer angesammelt.« Er drehte sich um und winkte einem jungen Bauern zu, der die Heerstraße entlangritt: »Hinnerk, komm lieber hier, dennso hast du keine Langeweile unterwegs!« So waren sie selbst sechse, und da jeder eine Pistole und das große Messer bei sich hatte, brauchten sie sich nicht zu sorgen.

»Wulfsbauer«, sagte der Engenser, »wir können jetzt die Ohren steifhalten, wir gemeinen Bauern. Bei uns haben wir das schon abgemacht: Tatern und anderes fremdes Volk, das sich bei uns sehen läßt, das wird ohne weiteres mit der Peitsche begrüßt, denn die Bande zeigt den Räubern, denn was anderes sind doch diese Kriegsknechte nicht, bloß den Weg, wo es was zu holen gibt. In Ehlershausen haben sie vorige Woche zwei von diesen Kerlen, die ein Pferd von der Weide geholt hatten, in aller Heimlichkeit aufgehängt und beigerodet. Und das ist ganz recht so: denn erstens sind es keine richtigen Menschen, und außerdem, warum bleiben sie nicht, wo sie hingehören?«

Die anderen Bauern nickten, bloß Ulenvater nicht; denn der saß da, sah mit großen Augen über die Haide, machte einen Mund, wie ein Untier, murmelte ab und zu etwas vor sich hin, und als Harm ebenfalls über die Haide sah, denn er dachte, da wäre etwas, da war ihm, als spränge ein Mann hinter die Krüppelfuhren. Er sagte es Drewes, und der Engenser achtete auf den Weg und rief mit einem Male: »Kann schon stimmen: hier sind eins, zwei, drei Reiter hergekommen. Es soll mich wundern, wenn das nicht die verdächtigen Kerle von vorhin sind. Na, laß sie man kommen! Wir sind unsrer sechse und dreschen eine gute Nummer.«

Sie taten nun, als ob die Haide ein Garten Gottes war, prahlten und lachten, hatten aber die Hände an den Pistolen und hielten scharf Umschau. Sie sahen aber nichts Verdächtiges, bloß, daß mit einem Male aus den Fuhren drei Hirsche herauspolterten, als wenn die Wölfe dahinter waren, und als sie an der Stelle vorbeikamen, hörten sie im Busche einen Hengst wiehern, denn die

Ödringer hatten eine Stute als Handpferd, und die schien rossig werden zu wollen. Sie sahen sich an, prahlten dann aber bloß noch lauter los und lachten wie unklug, bis auf den Papenbur, denn der saß ganz still, biß an seinen Lippen herum und sah dahin, wo Ödringen liegen mußte.

Als sie eine Viertelstunde weiter waren, hörten sie den Hengst wieder wiehern und mit eins winkte Drewes die anderen zurück, jagte in die Haide hinein und es war ihnen, als wenn da etwas lief; ob das nun aber ein Mensch oder ein Tier war, das konnten sie nicht sehen. Mit einem Male hörten sie etwas, wie einen Schrei, und dann kam Drewes wieder angeritten und sagte: »Ich dachte, es wäre ein Wolf.«

Harm, neben dem er ritt, sah ihn sich genau an und da fand er, daß an dem dicken Krückstock, den der Engenser am Sättel hängen hatte, denn er hatte rechts ein kurzes Bein, frisches Blut war. Drewes fing den Blick auf: »Ein Zigeuner, der schon seit einer Stunde neben uns hergestunken ist. Er hat wohl den Spion für die drei Buschklepper machen sollen, aber ich habe ihm ordentlich eins ausgewischt. Einer weniger! Anders geht das nun einmal nicht!«

Wulf gefiel der Engenser nicht mehr so gut. Gewiß, die Tatern waren man ja halbe Menschen, und Christen waren sie erst recht nicht, wenn sie ihre Kinder auch in einem weg taufen ließen der Patengulden halber, aber gleich darauf loszuschlagen, wie auf ein wildes Tier, das wollte Harm denn doch nicht in den Kopf. Aber er mußte Drewes recht geben, als der leise zu ihm sagte: »Wenn in jedem Dorfe ein tüchtiger Kerl ist, und der holt alles zusammen, was sich wehren kann, und ein Dorf hilft dem anderen, dennso würde das schon gehen. Den Donner auch, wir sind doch nicht dazu da, daß Hans Hungerdarm und Jans Schmachtlapp mit uns Schindluder spielt! Das sage ich dir, und so sollte es ein jeder halten: ehe daß ich mir und meinen Leuten einen Finger ritzen lasse, lieber will ich bis über die Enkel im Blute gehen! Na, denn adjüs auch!« Er ritt mit den drei andern nach links ab.

Wulf und Ul waren kaum ein Ende allein weitergefahren, da hörten sie wieder den Hengst wiehern, und als sie haltmachten, kamen die drei fremden Reiter langsam hinter ihnen her. »Was die Kerls wohl von uns wollen?« meinte Ulenvater; »wollen so tun, als wenn an den Strängen was vertoddert ist, denn wenn sie uns an den Balg wollen, so können wir uns hinter dem Wagen bergen und sie mit einem guten Schusse begrüßen.« Sie stiegen also ab und machten sich an dem Geschirr zu tun, während die Reiter langsam näher kamen.

Als sie meist bei ihnen waren, rief der eine, von dem der Wirt in Celle gesagt hatte, daß er Hanebut hieß: »Na, willst du das Pferd jetzt verkaufen?« und dabei hatte er das Gewehr vor sich auf dem Sattel. Wulf schüttelte den Kopf und sagte: »Es ist mir nicht feil«, und währenddem stellte er sich hinter das Gespann und hatte die Pistole zur Hand, und Ul machte es ebenso. »Ich muß das Pferd aber haben, zum Donner noch einmal!« schrie der Kerl; »also wie ist es damit?« Er machte runde Augen und hielt das Gewehr mehr nach Wulf hin.

In demselben Augenblicke hörte Wulf, daß die Engenser wieder angeritten kamen, denn Drewes' Sattel piepte auf ganz absonderliche Weise, und da wollten die Buschklepper fort, aber nun krachte es schon; der eine, der hinter Hanebut hielt, fiel mit dem Kopfe vornüber, hielt sich aber noch und jagte hinter den beiden anderen, die die Hasen machten, in die Haide, stürzte aber bald aus dem Sattel, wurde jedoch von Hanebut aufgegriffen und hinter sich gezogen, während sein Pferd wie wild hin und her lief. Hinter ihnen her jagten die Engenser und schossen noch zweimal.

»Da sind wir ja noch gerade rechtzeitig gekommen, Kinder!« lachte Drewes, als er zurückkam; »ich drehe mich noch einmal um und sehe die Lümmel hinter euch herreiten! Na, der eine soll wohl ein schönes Brägenschülpen haben! Ein Schade, daß sich mir gerade so eine vermuckte Fliege auf das Korn setzen mußte, als ich losdrückte; dadurch bin ich ein bißchen zu hoch abgekommen! Aber ein Hauptspaß war es doch, und eine schöne Hose voll Angst wird das Gesindel wohl mitgenommen haben. Und den Braunen sind sie auch los!«

Er klappte mit der Zunge und ritt auf das Pferd los: »Na, Hans, komm doch mal her! So schön!« Er hielt es am Halfter fest und besah es von allen Seiten. »Das dachte ich mir doch gleich«, meinte er dann; »seht mal her: ist das nicht Tidke Rundes Marke?« Damit wies er auf das Zeichen, das der Hengst auf der Schulter hatte. »Na, gekauft ist das bestimmt nicht, denn als ich vorige Woche von ihm einen Vierjährigen haben wollte, sagte er, er hätte selbst keinen über, da ihm einer an der Kolik gefallen ist. Da haben wir uns eine Runde Bier verdient, und die wollen wir gleich in Ehlershausen im voraus trinken. Hasenjagen macht eine trockene Leber.«

Im Kruge gab es einen großen Aufstand, als die sechs Bauerr mit dem Hengste ankamen, denn Runde aus Wettmar war schon dagewesen und hatte erzählt, daß ihm in der Nacht der Braune aus dem Grasgarten gestohlen war. Es waren eine ganze Menge Bauern aus dem Orte und aus der Umgegend da, die über die Braunschweiger sprachen. Wo sie hingekommen waren, hatten sie sich unnütz gemacht, aber da sie bloß hundert Mann stark waren und die Bauern keine freundlichen Gesichter machten, war es noch halbwege gut abgegangen, zudem viele davon angetrunken waren und kaum auf den Beinen stehen konnten. Die letzten waren eben erst abgezogen und man konnte, da der Wind nach dem Dorfe stand, noch hören, wie sie brüllten. »Lustige Braunschweiger seind wir« sangen sie.

Aus der einen Runde sollten zwei werden, aber die Ödringer hatten keine Ruhe. Ul bekam immer gläunigere Augen, und auch Harm war nicht gut zumute; je näher er bei seinem Hofe war, um so unheimlicher wurde es ihm. Als er den Hof meist sehen konnte, kam ihm der Knecht entgegengelaufen. »Na, was ist los?« rief er ihm zu; denn daß nicht alles in der Reihe war, merkte er gleich.

»Ach, Bauer«, stotterte der Knecht, »die Frau, es waren von den Biestern welche auf dem Hofe und die haben die Hühner, die haben sie greifen wollen, und da kam die Frau und wollte ihnen das wehren. Und da hat sie der eine Kerl mit dem Gewehr vor den Leib geschlagen, und da liegt sie nun und ist von sich. Und das Kind, es war ein Mädchen, das ist tot.«

»Junge«, brüllte der Bauer, »und die Bäuerin, wie ist das mit der?« Der Knecht fuhr zurück und stotterte noch mehr: »Das soll wohl nicht auf Leben und Tod gehen, sagt Mutter Griebsch; die sagt, das wäre bloß eine Allmacht von dem Schreck!« Er ging neben dem Bauer her. »Bei Uhre zwei, da war das, da kamen die Schinder an. Erst wollten sie Bier und dann Schnaps, und dann ging einer bei die Hühner, und da ist das denn so gekommen.«

Duwenmutter kam den Bauern in der Halbetüre entgegen: »Man ruhig! sie schläft jetzt. Vorhin hat sie das Fieber gehabt und immer nach dir gerufen; aber nachher, da ist sie eingeschlafen und hat gutgeschwitzt.« Sie weinte los: »So'n nüdliches Mädchen, das Lütje! daß das sterben mußte, ehe daß es auf der Welt war! Diese Hunde, diese gottverfluchten Hunde! Bei lebendigem Leibe könnte ich sie brennen sehen! Und die Frau hat dem Kerl kaum ein böses Wort gesagt. Sie rief man bloß: Doch nicht die Legehenne! Ich will dir ja gern eine Wurst geben! Und dafür liegt sie jetzt da und das Kind ist tot!« Sie hob ein Laken auf, das über zwei zusammengestellten Stühlen lag. »Kiek! da ist es. Es wäre ein schönes und gesundes Kind geworden.«

Harm sah kaum danach hin. Er hatte die Schuhe ausgezogen und ging nach der Dönze. Seine Frau schlief; er hörte, daß sie ruhig atmete. Er holte sich ein Glas Wasser und ein Stück Trockenbrot und setzte sich in den Backenstuhl neben den Ofen. Die Gedanken gingen ihm im Kopfe hin und her, wie die Schwalben über der Wiese. Mit der Zeit wurde er ruhiger, aber an Schlafen konnte er nicht denken. »Ja, Drewes hat recht«, dachte er, »jeder ist sich selber der Nächste. Besser fremdes Blut am Messer, als ein fremdes Messer im eigenen Blut!«

Ihm war zu Sinne, als müßte er verrückt werden vor Ingrimm. Seine Frau hatte einer von diesen Kerlen vor den Leib geschlagen, seine Frau, die keiner Fliege ein Leid antun konnte. Am liebsten hätte er sich wieder auf das Pferd gesetzt und wäre hinter dem Kerle dreingeritten. Aber das war ja Unsinn! Es hatte keinen Zweck, daran zu denken, wie schön es wäre, den Menschen so lange zu würgen und zu schlagen, bis kein Leben mehr in ihm war.

So saß er die ganze Nacht mit offenen Augen da und sah nach der Butze, in der seine Frau schlief. Als die Eule laut an zu prahlen fing, rührte die Bäuerin sich und rief leise: »Harm, Mann!« Da ging er schnell vor das Bett und nahm ihre Hand in seine, und so blieb er stehen, bis es Tag wurde. Da setzte er sich wieder in den großen Stuhl und sah vor sich hin, bis ihm die Augen zufielen. Aber er fuhr sofort wieder in die Höhe und sah sich wild um, und dann seufzte er und setzte sich wieder.

Er hatte geträumt, er war hinter den Kerlen tiergeritten und hatte den einen, gerade den, den er meinte, angetroffen, wie er daherwankte und das Braunschweiger Lied sang, und da hatte er ihn von hinten gepackt und gedümpt, bis er blau im Gesicht wurde und keinen Finger mehr rührte.

Leise ging er aus der Dönze und wusch sich draußen in einem Eimer. Ihm war, als wollte ihm das Blut aus den Ohren springen, und jedes Haar auf dem Kopfe krippelte ihm. Solde böse Augen hatte er, daß Grieptoo den Schwanz einzog, als er ihn ansah.

Aber war es nicht auch zum Verrücktwerden? Dalag nun seine Frau und wer weiß, ob sie am Leben blieb, und der Kerl, der Hund, saß vielleicht wieder mit dem Bierkrug in der Hand da und sang:

Herzog Christian hat uns wohl bedacht,
Bier und Branntwein uns mitgebracht,
Musikanten zum Spielen,
schöne Mädchen zum Vergnügen
bei Bier und bei Wein,
lust'ge Braunschweiger woll'n wir sein!


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